im PAÜLSCfroitZl - NAÜAVBURG KULTURARBEITEN BAND 2: GÄRTEN HERAUSGEGEBEN V0/AKUN5TWART f JQKMJ U M J| ^ ili ili iL PAUL SCHULTZE-NAUMBURG KULTURARBEITEN BAND II PAUL SCHULTZE-NAUMBURG KULTURARBEITEN ^i:®*:®!:®^®^® BAND II: GÄRTEN ^Si:®^S&M^S&M HERAUSGEGEBEN VOM KUNSTWART DRITTE AUFLAGE ^ 1P BEI GEORG D. W. GALLWEY IM KUNSTWART-VERLAGE ZU MÜNCHEN 1909 DRUCK VON KASTNER & CALLWEY MÜNCHEN VORWORT ZUM ERSTEN BANDE UNTER dem Gesamttitel „Kulturarbeiten" erscheint im Kunstwart-Verlag eine Serie von Büchern, von denen in Form einzelner Aufsätze der Kunstwart bereits Bruchstücke veröffentlicht hat. Ihr Zweck ist, der entsetzlichen Verheerung unseres Landes auf allen Gebieten sichtbarer Kultur entgegenzuarbeiten. Sie sollen auch die ungeübtesten Augen durch stetig wiederholte Konfrontierung guter und schlechter Lösungen gleicher (oder ähnlicher) Aufgaben zum Vergleich und damit zum Nachdenken zwingen ; ferner sollen sie auf die guten Arbeiten bis zu Mitte des 19. Jahrhunderts aufmerksam machen und so die Tradition, das heisst die direkt fortgepflanzte Arbeitsüberlieferung wieder anknüpfen helfen. Die Kultur des Sichtbaren umfasst nicht allein Häuser und Denkmale, Brücken und Strassen, sondern auch Kleider und gesellige Formen, Forste und Viehzucht, Maschinen und Landesverteidigung. Über die Tatsache, dass sie so, wie seit 50 Jahren Volk und Regierung sie formt, eine entsetzliche Entstellung der Physiognomie unseres Landes bedeutet, darüber sind sich heut wohl alle, die hier eine Stimme abzugeben befähigt sind, einig. Seit mehr als fünf VORWORT Jahren hat eine starke Bewegung eingesetzt, die mit gewaltigen Kraftanstrengungen arbeitet, aJDer ihre Arbeit vorzugsweise den Luxusbedürfnissen oder doch den Bedürfnissen der Bemittelteren zugewandt hat. Bei der Gestaltung der Formen des Lebens von Stadt und Dorf verschwinden die Besserungsversuche in der ungeheuren Menge der täglichen Aufgaben so gut wie ganz. Und doch ist es höchste, allerhöchste Zeit, dass hier Bestrebungen einsetzen, die Einhalt gebieten, wenn unser Land nicht bald das rohe und freudlose Antlitz einer verkommenden Nation tragen soll, die den Sinn des Lebens zum Vegetieren entstellt. Es ist gar nicht zu ermessen, welcher geistige Schaden geschieht, wenn wir auf die Dauer die Verbindung „nützlich und hässlich" für gewissermassen innerlich begründet halten. Wir sollten also bei unseren Bemühungen auf die Mithilfe von allen Einsichtigen rechnen können. Es kann aber keine gute Sache geben, die nicht alsbald ihre „Gegner" findet. Anstatt zum gemeinsamen Werke zusammenzuhalten, sieht man die Kampfgenossen sich gegenseitig zerfleischen, so dass man manchmal meinen könnte, es käme ihnen gar nicht auf die tatsächliche Erreichung des Zieles zum Wohle der ganzen Menschheit, sondern vielmehr darauf an, nur ja selbst die ersten im Wettlauf zu sein. Es scheint mir angebracht, der Serie von Büchern einige erklärende Worte vorauszuschicken, um den zer- VORWORT störenden Folgen der Missverständnisse wenigstens bei denen entgegenzutreten, die mit gutem Willen kommen. Die Serie „Kulturarbeiten" wendet sich nicht an die Kreise derer, die schon mit uns für gleiche Ziele fechten. Auch von ihnen werden vielleicht Einige mit Interesse die Methode beobachten, mit der ein Mitkämpfer für die gleichen Ziele eintritt; auch sie werden an der Sammlung der Reste einer bescheidenen, aber feinen Kultur ihre Freude haben können und sich an der konsequenten Durchführung von Beispiel und Gegenbeispiel nicht stossen, wenn sie sich sagen, dass auf diesem Prinzip der ganze propagandistische und erzieherische Gedanke der Bücher basiert. Aber der Zweck der Veröffentlichung ist, denen die Augen zu öffnen, die noch ganz fernab stehen, denen noch nichts von der Erkenntnis dämmert, dass das Urteil unseres bewussten Anschauens nicht allein „schön und hässlich" lautet, sondern „gut und schlecht", in beiderlei Sinn, nämlich „praktisch brauchbar und unbrauchbar" und „moralisch gut und schlecht", und dass das Auge sein Urteil nicht vom Sprachdenken zu beziehen braucht, in dem wir das einzig „logische" Denken zu erblicken gewöhnt sind. Auch das Auge vermag logische Schlüsse zu ziehen. Die Bücher wenden sich auch nicht ausschliesslich an die, die sich „die Gebildeten" nennen, sondern unser Wunsch ist es, das Volk zu gewinnen, den kleinen Bürger, die Bauern, die Arbeiter, diejenigen, die am nachhaltigsten VORWORT an der Umgestaltung des Antlitzes unseres Landes tätig sind. Man wird mir sagen : Die lesen doch keine Bücher. Ich entgegne: Man muss die Bücher eben derartig unter das Volk zu bringen suchen, dass sie sie lesen können. Die Statistik unserer Volksbibliotheken spricht für uns. Im übrigen soll man uns doch ein anderes erreichbares Mittel sagen, mit dem man heut besser als mit billigen Büchern und Abbildungen auf breite Massen wirken kann. Natürlich, mit fortreissen kann erst die Betätigung, die dann zur Nachahmung verführt. Aber das liegt nicht in meiner Macht und so muss ich mich damit begnügen, in Wort und Bild zur Betätigung zu überreden. SAALECK I. TH. PAUL SCHULTZE-NAUMBURQ VORWORT DIESER Band über Gärten behandelt den ersten Teil des Themas: die architektonische Anlage des Gartens. Der botanischen Anlage wird ein anderer Band der Kulturarbeiten gewidmet werden. Man bringt dem Künstler immer das Vorurteil entgegen, dass er unpraktischen und sentimentalen Idealen nachjage. In dem, was ich hier zu erörtern habe, wird sehr wenig von der Poesie des Gartens die Rede sein, viel mehr von seiner praktischen Benutzbarkeit. Die Poesie ergibt sich als Resultat, um das ich nicht viele Worte zu verlieren brauche. Ich sehe es voraus, dass das rasch fertige Urteil über mein Buch das Fazit ziehen wird, indem es sagt: dieser Herr will den steifen französischen Garten wieder einführen und weiss nicht, dass WIR den doch überwunden haben. Kann also überhaupt nicht mitreden. Bei Leuten, die mein Buch gar nicht oder nur halb lesen, kann ich mich dagegen nicht wehren. — Manche praktisch Tätige werden sagen: das wissen wir ja schon lange. Das strebt ja die moderne Landschaftsgärtnerei schon lange an. VORWORT Gut. Ich glaube es zwar nicht, aber ich kann auch nicht das Gegenteil beweisen. Man müsste mir zum Beweis nur zehn neue Gärten in ganz Deutschland zeigen können, die nach diesen Prinzipien gestaltet wären. SAALECK I/TH. PAUL SCHULTZE-NAUMBURG VORWORT ZUR ZWEITEN UND DRITTEN AUFLAGE DA ich am Inhalt des Buches nichts Wesentliches zu ändern hatte, ist es bis auf einige geringfügige Korrekturen und Bilderergänzungen unverändert zum Abdruck gekommen. Ein weiteres gesammeltes Anschauungsmaterial von 100 Beispielen guter Gartengestaltung habe ich in einem Bilderergänzungsband zu Band H gesondert herausgegeben, SAALECK I/TH. PAUL SCHULTZE-NAUMBURG JANUAR 1909 IM Hause schafft der dringende Zwang der Zweckmässigkeit manchmal ohne Absicht des Erbauers etwas Erträgliches. Im Garten, wo diese unumgängliche Forderung der Zweckmässigkeit fehlt, kommt die Ratlosigkeit unserer Zeit, Lebensformen zu gestalten, trostlos zum Ausdruck. Hätten wir nicht noch vereinzelte Reste von poesieumwobenen alten Gartenanlagen, so wüssten wir heute überhaupt nicht mehr, was ein Garten sein, welche Gefühlswerte er bergen und was er in unserem Leben bedeuten kann. Nur in den Köpfen vereinzelter phantasiebegabter Menschen könnte sich dann das Traumbild einer nie erschauten Gartenherrlichkeit zeigen, und man würde ihnen nicht glauben, wenn sie davon erzählten. Gottlob ist es ja noch nicht so weit. Wenn man fleissig sucht, findet man in abgelegenen Winkeln kleiner Städte bei eigensinnigen alten Leuten noch — wirkliche Gärten. Ich habe mir alle gemerkt, die ich sah, und sie, wo es anging, im Bilde festgehalten. Von neuen Anlagen habe ich bis heute nur wenige entdeckt, die meinen Begriffen vom Garten auch nur annähernd entsprochen hätten. Schultze-Naumburg. Kulturarbeiten II l Die Anlage eines Gartens ist, man mag sagen, was man will, doch immer eine architektonische Aufgabe, auch wenn man nicht nur mit Steinen baut, sondern als Hauptmaterial die lebende Pflanze verwendet. Ein Garten ist kein Wald und keine Wiese. Er ist die vermenschlichte Form der freien Natur. Lassen wir den Begriff des ausgedehnten Parkes vorläufig ganz ausser Betracht, und nehmen wir erst einmal den Garten als Erweiterung des Hauses. Hier erscheint er durchaus als architektonische Aufgabe, denn sein Zweck ist, wenn auch nicht gerade Räume, so doch Aufenthaltsorte zu schaffen, und zwar abgetrennte Aufenthaltsorte, die einer ganz ausgesprochenen Bestimmung dienen, und zu deren Gestaltung, Gliederung und Trennung der Erbauer statt zu totem zu dem lebenden Material der Pflanze greift, die er durch Steinbau, Holz- und Lattenwerk und Kultur in die beabsichtigten Formen bringt. Die Pflanze an sich mag sich noch so frei entwickeln — die grosse Form, die die Gesamtheit der Pflanzen im Garten annimmt, ist eine vom Menschen beabsichtigte (auch weil man unter den bekannten Pflanzcnformen die wählt, die man haben will) und deshalb eine architektonische Aufgabe. Betrachten wir zuerst einmal die eigentliche, aus Steinen und Holz erbaute Architektur für den Garten, wie sie sich als Grundlage, gleichsam als erstes Glied des erweiterten Hauses ergibt. Ich wähle diesen Weg, weil ich zu der An».i(ht gckotnmcn bin, dass sich von der vorhaiuk-ncn alten Gartenarchitektur aus besser der Begriff des Gartens selbst ableiten lässt, als umgekehrt. Vielleicht ist dies auch der natürliche Weg der Entwicklung gewesen. Die aus dem einfachen Nutzbedürfnis sich ergebende nächstliegende architektonische Aufgabe im Gartenbau ist die Laube und die vor Witterung besseren Schutz bietende, architektonisch gewordene Form der Laube: das Gartenhaus. Man könnte ein Buch allein über das Gartenhaus schreiben. In der ganzen Zeit vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis auf die Tage, in denen Goethe starb, ist kaum etwas so Trauliches, etwas so dem behaglichsten Familienleben Entsprossenes erdacht worden, wie die Gartenhäuser, deren Grundformen zu jener Zeit festgelegt wurden. Man versetze sich in jene Tage zurück, wie beim Lesen von „Wilhelm Meister" oder von „Dichtung und Wahrheit" das Auge sie sich erdichtet. Feste Wälle und Mauern hatten ehemals die Städte eingeschlossen. In den Strassen drängten sich die alten Patrizierhäuser mit ihren hohen Fassaden, die die Renaissancezeit reich geschmückt hatte, mit ihren Wagenmagazinen und Speichern und mit ihren Höfen, die hinten an die Stadtmauer anstiessen, eng zusammen. Allmählich \xar der kriegerische Bann gefallen ; man entfernte die Wallgänge und legte im ersten erwachenden Natursinn lange, schmale Gärtchen zwischen Haus und Stadtmauer an, die von den Nachbargärtchen durch Mauern getrennt waren. Hatte sich ihr Niveau durch Anhäufen guter Gartenerde erhöht, so zog man wohl auch eine niedrige Futtermauer gegen das Haus hin, zu der bequeme Treppchen hinanführten. Zwischen dem Haus und der altersgrauen Stadtmauer entstand nun ein beschauüches Leben. Lag dort an der Ecke gerade eine alte Bastion, so erhob sich auf ihr ein lustiges Gartenhaus, zu dem schmale Steintreppchen emporklommen. Von seinen hellen Fenstern aus schaute man über die Alleen, den Fluss, die Wiesen, ohne dass man den Garten den Blicken von aussen her preisgegeben hätte. Aber auch die Leute draussen kamen dabei nicht zu kurz, denn das Bild, das sich von jenseits des Stadtgrabens ergab, war überaus reizend. Das freundliche Dach, die geschwungenen Linien der weissgestrichenen Fensterrahmen, die hellen Wände und die dunklen Baumkronen, die sich über graue Mauern erhoben, erzählten von dem, was man der unmittelbaren Neugier verschwieg. Oder man baute das Häuschen im Schutz des alten Gemäuers in den Garten hinein, so dass die Tür des Sälchens, zu dem wenige breite Stufen hinaufführten, unmittelbar in den Garten hineinschaute, durch die mit Buchs cingefasste Allee, die zum Wohnhaus führte. Niederes Spalierobst stand im mittleren Teil des Gartens, während ein dichtes Efeukleid alle Mauern umspann, so dass im heissen Sommer der Aufenthalt in ihm kühl wie in einer Grotte war. Und auch draussen vor den Toren erwuchs fröhliches Gartenleben. Wachsende Freude am Landleben begnügte sich nicht mit dem kleinen Stadtgärtchen. Der wohlhabende Bürger erwarb draussen ein grösseres Gartenland oder auch Weinberge, deren sommerliche Lusthäuser für ganze Tage, ja, auch für Nächte zum Aufenthalt dienen konnten. Lag der Garten in der Ebene, so umzog man ihn mit einer hohen Mauer, über die kleine fröhliche Pavillons hervorschauten. Aber nur mit dem Dach, denn man baute ja nicht für die andern, sondern für sich. Deshalb auch fiel es einem nicht bei, die bevorzugten Teile der kleinen Bauten der Strasse zuzuwenden. (Abb. L) Ich kann alles das besser in Bildern zeigen. Man betrachte Abb. 2. Ist es nicht, als ob der junge Goethe selber hier gegangen käme? Das Gartenhäuschen legt sich mit dem Rücken an die Mauer an, die so hoch ist, dass nur das Dach über sie hervorlugt. (Siehe Abb. L) An sich ist es gar kein architektonisches Meisterwerk, wenn man bei diesem Wort nur an die Bewältigung schwierigster Aufgaben denken will. Oder sollte man die restlose Lösung einer kleinen bescheidenen Aufgabe auch ein kleines Meisterwerk nennen dürfen? Ist hier nicht das Äussere der vollkommene Ausdruck des Sinns und Zwecks des Ganzen? Erzählt nicht das kleine Bild genug von Heiterkeit, Behagen, Ruhe und verschwiegenem Glück? Auch heute baut man noch Gartenhäuser, aber sie sehen alle ganz gleich aus und z\xar wie auf dem Bilde Ahbildung 1 rechts von Abb. 2 (Abb. 3). Ist es nicht ein Anblick zum Weinen, wenn man sieht, was für Gefühlsausdrücke man heute für das Gartenleben wählt? Man frage in der ganzen Welt herum, ob man heute andere Lösungen für die Gartenarchitektur findet! Dies hier ist das eine Schema, das in den Bauschulen geübt wird. Gewiss, es gibt auch noch „elegantere" und „phantasievollere", aber der Himmel behüte uns vor jenen Vorlagenwerken, denen sie entstammen. Sie sind npch ärger, meist geben sie sich für skandinavische Holzarchitektur aus oder noch Fremderes und passen als solche ja freilich sehr schön in unsere deutschen Gärten ! Mit Vergnügen besuche ich immer wieder das alte grosse Gartenhaus, das auf Abb. 4 zu sehen ist. Es ist eigentlich schon mehr ein Gartensaal und ist an dem dem Hause entgegengesetzten Ende des Gartens in die Mauer eingebaut, so dass auf dieser gleich das Dach sitzt. Hohe Mauern umgeben wieder den ganzen Garten. Und doch — der Anblick bedeutet sogar für den Vorübergehenden ein freundlicheres Geschenk, als es die offen hinter kalten Eisengittern liegenden modernen Gärten geben können. Denn es kommt nicht darauf an, wie viele Gegenstände man beim Vorübergehen überschauen kann, sondern was für Gefühlswerte der vorüberstreifende Blick empfängt. Ich glaube ganz sicher, dass es jedem auch nur einigermassen empfänglichen Menschen ebenso gehen muss: dass die zurückhaltende Andeutung von dem, was traulich hinter BEISPIEL Abbildung 2 GEGENBEISPIEL 10 BEISPIEL Abbildung 4 11 GEGENBEISPIEL Abbildung 5 12 den Mauern wohnt, mehr von leisem Glücksgefühl mitgibt, als der für jedermanns Blick preisgegebene Garten, der kahl und offen hinter Elsenstäben liegt, und dem man von aussen ansieht, wie wenig die Bewohner sich darin zu Hause fühlen können. Man vergleiche Abb. 6 und 7. In beiden Fällen handelt es sich um die Gestaltung derselben Aufgabe: auf einem Punkt hoch über dem Tal einen Ort zu schaffen, der nicht allein Schutz vor Sonne und Regen, sondern auch freundlichen, geselligen Aufenthalt bietet. Die hohe Lage beider Orte kommt leider in der Photographie kaum zum Ausdruck. Nun besehe man sich genau, wie die alte und wie die neue Zeit diese Aufgabe löst. Beim alten Pavillon erklimmt man auf breiten Steintreppen die Höhe, muss dann wieder auf einer Treppe um den Bau herumsteigen und betritt ihn erst von hinten durch die Tür, die auf dem Niveau der obersten Bergterrasse liegt, während die Fundamente des Häuschens in der unteren Terrasse ruhen. Man betritt also von hinten den Bau, nachdem man, mit dem Bilde der Landschaft im Rücken, die Höhe erstiegen hat. Wendet man sich nun, um in die Tür einzutreten, so erblickt man (Abb. 8), selber im dämmerigen Raum stehend, die Tallandschaft durch das einheitliche grosse und breite Fenster des Sälchens, das sich nach vorn zu öffnet. Die beiden runden Wände rechts und links sind vollkommen geschlossen und sammeln so den Blick auf den schönen und natürlichen Ausschnitt, den gerade das . 13 Fenster bildet. Der ganze Ort ist wie geschaffen zum Träumen und wie geschaffen zum behaglichen Lebensgenuss. (Abb. 10 ist derselbe Pavillon, von unten ge- sehen.) Damit vergleiche man die Art, wie unsere Zeit solch eine Aufgabe löst. (Abb. 7.) Die Tür führt irgendwo hinein; man hat gar nicht überlegt, welche Folgen die Art des ersten Eintritts in den Raum hat. Vorn nach dem Tal zu ist allerdings auch der Blick offen, zugleich sind aber auch links zwei grosse Fenster angebracht, die nicht nur den Blick von dem Tal, das vor allem schön ist, auf den vor den Fenstern sich hinziehenden, vollkommen uninteressanten Weg ablenken, sondern auch den im Pavillon Sitzenden den Blicken der auf dem Wege Daherkommenden preisgeben, was das Gefühl verursacht, auf dem Präsentierteller zu sitzen. Nebenbei blendet das seitlich hereinfallende Licht die Augen und macht den Aufenthalt unangenehm, nicht zu vergleichen mit der Ruhe des oberen Pavillons. Auch ist die Öffnung nach vom viel zu hoch und zu breit, um das Bild des Tals zu umgrenzen und zur Einheit zu schliessen. Aber niemand gibt sich die Mühe, Wirkung und Ursachen genau zu prüfen; man stellt die Bauten ohne Liebe und Nachdenken auf und läuft seines Wegs. Den Benutzem scheint das Bedürfnis nach Lebensharmonie und ihre Erscheinungsform abhanden gekommen zu sein. Aber man braucht sich nicht einmal die ganze Kette BEISPIEL 14 > Abbildung b 15 GEGENBEISPIEL Abbildung 7 16 BEISPIF.L Abbildung 8 17 GEGENBEISPIEL Abbildung 9 Schultze-Naiimburg, Kulturarbeiten 11 18 BEISPrEL Abbildung 10 19 GEGENBEISPIEL Abbildung II 2* 20 von Ursache und Wirkung klarzumachen. Wozu haben wir denn unsere Augen, wenn wir nicht aus der Schönheit der Erscheinung die Vorzüglichkeit des inneren Wesens abzulesen vermögen? „Der Schein trügt", sagt ein altes Tantenwort. Ich aber sage: ihr könnt nicht lesen, wenn der Schein euch so leicht trügt. Ich meine, ein Blick schon auf die beiden Bauten muss dem gebildeten Auge genügen, um ohne weiteres anschauend zu erkennen, dass der eine zweckmässig und schön, der andere unzweckmässig und hässlich ist. Von der wundervollen und geschlossenen Form des einen und den zappeligen, unsinnigen Zacken, Kanten und „Verzierungen" des andern will ich gar nicht reden, denn davon spricht das einfache Augen-Urteil ja ohne weiteres genug. Ich zeige eine grosse Anzahl aller möglichen Gartenhäuser im Bild. Sie dienen den verschiedensten Zwecken, und ich glaube nicht, dass hier im Garten die neue Zeit irgendeinen neuen Zweck dem alten hinzugefügt hat. Nicht einmal die Gefühlswerte des kultivierten Menschen, die er aus dem Garten und seinen Teilen schöpft, sind andere geworden. Da finden wir das primitivste Gartenhaus, das zunächst als Geräteraum dem schlichten Nützlichkeitszweck dient. Aus seiner geschickten Anlage ergibt sich von selbst der Ort, der einen umfassenden Umblick über Garten und Umgebung bietet. Allmählich entsteht das Gartensälchen und die feste Laube, die vor den Unbilden der Witterung sicheren Schutz geben. Dann teilt 21 sich die Linie; die eine entwickelt sich weiter zum festen, bewohnbaren Gartenhaus, die andere führt zu der grünumrankten Laube, die bald ausser dem Laubwerk nur aus einem dünnen Gerüst von Latten besteht, bald mit einem festen Dach überdeckt ist und so das Bindeglied zum „Pavillon" wird. Diese grosse Reihe von Möglichkeiten wollen wir in den Bildern durchlaufen. Abb. 12 ist ein Häuschen, das in einem hier mehrfach erwähnten und als Beispiel im Bilde herangezogenen Bauerngärtchen steht. Die Anlage befindet sich auf einem nach dem Flusse zu abfallenden Gelände, das Häuschen auf der dem Flusse zugewandten Seite. Das Gelände innerhalb des Gärtchens ist geebnet und durch eine Futtermauer in zwei Terrassen geschieden, die durch zwei Treppchen in Verbindung stehen. (Siehe Abb. 69 und 76.) Durch die Terrassenanlage ist es bedingt, dass die Mauer innerhalb des Gartens (Abb. 12) niedriger ist als ausserhalb. Sie steigt innen also zu einer noch überschaubaren Höhe an, während sie von aussen fast mehr als doppelte Menschenhöhe erreicht. Dort oben steht nun das Gartenhäuschen und thront so in ansehnlicher Höhe. Diese Höhe und sein Platz auf der Ecke der Mauer lassen es zu, dass von da aus der Blick weit flussauf und flussab schweift, ohne dass die aussen auf dem Wege Vorübergehenden irgendwie stören könnten. Wie nett ist das kleine Gemach, zu dem die wenigen breiten, behaglichen Stufen emporführen. Heute ist es ein Ort der Verwahrlosung, und die Besitzer 22 BEISPIEL Abbildung 12 23 GEGENBEISPIEL Abbildung 13 24 wissen nichts anderes damit anzufangen, als Mohnköpfe darin zu trocknen und das Oanze verfallen zu lassen, weil auch ihnen die Fähigkeit der Lebensempfindung abhanden gekommen ist. Ich kann nicht sagen, ob die soziale Lage des Bauern so viel schlechter geworden ist, als sie es vor hundertfünfzig Jahren war. Dass damals dem Besitzer eines solchen kleinen Gütchens behagliche Lebensformen geläufig waren, beweisen uns die hinterlassenen Anlagen. Man würde sie nicht geschaffen haben, wenn man sie nicht zu benutzen verstanden und diese Benutzung nicht beabsichtigt hätte. Man braucht kein Sterndeuter zu sein, um dem Bilde 12 Zweck und Sinn der Anlage, sowie die Lebensformen der Erbauer abzusehen. Das ist ja gerade das Seltsame des Kunstschaffens, dass es keine verabredete Hieroglyphenschrift ist, sondern dass die Formen elementar vom Sinn und Zweck des Erbauten erzählen. Kunst ist Ausdruck, und bildende Kunst ist Ausdruck, der durch die Augen vermittelt werden soll; immer wieder muss man es wiederholen. Man nehme nun noch einmal seine Augen recht voll von diesem einfachen Bauwerk mit seinen weiss geputzten Wänden, auf die so gar kein Schmuck gehängt ist, den einfachen viereckigen Fenstern, dem schlichten Dach mit der Luke, die wie ein freundliches altes Auge blinzelt — und blicke dann rasch auf Abb. 13. Das ist ein Nutzbau, wie man ihn zu Ende des 19. Jahrhunderts, des aufgeklärten, baute. Von ehrlichem Ausdruck ist nichts mehr zu finden. Auch hier nur ein sinn- 25 loses Zusammenpappen und -leimen von „Motiven", wie ich es. in Band I genugsam beschrieben habe. Die Pfeiler haben eine ganze Menge von Giebeln bekommen, die man irgendwo aufgeschnappt hat, und die Mauer ist oben mit Schiesscharten versehen, hier offenbar das allernotwendigste Requisit! Es bedarf keiner weiteren Erklärung. Abb. 14 ist eine, was die Lage anbetrifft, ähnliche Anlage wie Abb. 12. Auch hier ist die Ecke der Gartenmauer über dem Fluss gewählt, um einen lauschigen Sitz zu errichten, der aber auf der dem Garten zugewendeten Seite offen ist und so mit dem Garten ununterbrochen zusammenhängt, während man im Rücken vor Wind und Regen geschützt, und auch der zudringliche Blick der Vorübergehenden leidlich abgewehrt ist. Offenbar hat man im Bild 15 ähnliche Absichten gehabt. Aber die Menschheit ist unfähig geworden, Aufgaben, die vor hundert Jahren jeder Bauer aus seiner gefestigten Tradition heraus wie eine Selbstverständlichkeit schuf, auch nur nachzumachen. Immer wieder wird es törichte Spielerei, die jedem verständigen Gebrauch spottet, dafür aber auf der Stirn das Kainszeichen des Unehrlichen und Unwürdigen trägt. Was soll solch ein Schilderhaus an der Ecke, wie die Abb. 15 es zeigt? Auch diese Anlage liegt am Weg längs des Flusses. Es wäre das Natürliche, falls man überhaupt etwas auf die Mauer baut, einen Aufenthaltsort zu schaffen. Dazu ist das Ding aber viel zu klein, dazu sind seine Fenster viel zu eng, düster und ge- 26 BEISPIEL Abbildung U GEGENBEISPIEL Abbildung 15 28 fängnisähnlich. Vergittert sind sie auch. Ist es nur eine Gerätekammer, so muss man fragen, wozu sie sich dann so aufdringlich breit macht, am bevorzugtesten Platz des ganzen Gartens sitzt und Schiesscharten hat. Der Geist der das Ganze schuf, zeigt sich genugsam in dem Haus, das man hinten sich erheben sieht. Es kann einen sehr traurig stimmen, wenn man weiss, dass es das Haus einer studentischen Vereinigung ist, deren Mitglieder doch mit der Absicht auf die Universität ziehen, dort das Erbe einer grossen geistigen Kultur anzutreten. Aber sie haben schon so sehr die verkümmerten Augen ihrer Generation, dass sie nicht zu erkennen vermögen, dass sie mit Formen der Gemeinheit und der Lüge umgeben sind, mit Formen, die sie, so hoffe ich, mit Abscheu von sich stossen würden, sobald sie ihren Inhalt zu erkennen vermöchten. Dicht daneben steht noch ein alter überlebender Zeuge einer feinen Geisteskultur (Abb. 16), dessen Lebenstage gezählt sind. Er wird bald Protzenbauten der beliebten Art seinen Platz lassen müssen. Auch hier handelt es sich um ein Lusthäuschen, das einst hoch über der Strasse auf der Mauer lag, und zu dessen Höhe von hinten eine doppelte Treppe in phantastischen Bogen hinaufführte. Offenbar ist später das Strassenniveau höher gelegt und das Türchen mit Benutzung der alten Teile einfach mit hinaufgeschoben worden. Mit Sicherheit behaupten lässt sich das nicht, aber es ist das Wahrscheinliche. Auch dieses Häuschen muss einen entzückenden Aufenthalt geboten 29 haben, da die breiten doppelten Fenster den vollen Genuss der schönen Landschaft gestatteten. Im Erdgeschoss lag gewiss ein Gerätekeller. Niemand mit einigermassen empfänglichen Sinnen wird sich der Anmut einer solchen Anlage verschliessen können, und trotzdem wird man immer wieder zugeben müssen, dass diese Anmut ohne jede schmückende Zutat, wie Ornamente und dergleichen, geschaffen wurde. Stets macht die Anlage als Ganzes und ihre Fähigkeit, unsere Gemütsstimmung bezwingend zu beeinflussen, ihren Schönheitszauber aus. Hie und da kommt es auch heute noch vor, dass man das Gartenhaus auf die Mauer setzt (Abb. 16a). Aber die fehlende Gestaltungskraft unserer Tage zerstört trotzdem den Eindruck der richtigen Lage so vollkommen, dass kein Behagen und keine Freude beim Betrachten aufkommen. Ich glaube nicht einmal, dass die richtige und gute Lage des Hauses zu der Mauer auf Abb. 16a eine eigene Tat des Erbauers war, sondern es erscheint mir wahrscheinlicher, dass das Ganze eine Verballhornung einer älteren guten Anlage ist. Jedenfalls wollte man Mauer und Gartenhaus „verschönern". Ich lasse hier noch eine Reihe von schönen alten Gartenhäusern folgen, die ich mir auf meinen Wanderungen mit meinem Kodak gesammelt habe. Die Gegenbeispiele dazu möge man sich selber in seiner nächsten Nachbarschaft suchen. Niemand wird zu dem Zweck weit gehen müssen. 30 BEISPIEL AbbilUtiiig Iti 31 GEGENBEISPIEL Abbildung Iba 32 Abbildung 17 33 Auf Abb. 17 liegen zwei Anlagen übereinander. Die obere ist sehr alt; sie soll aus dem Mittelalter stammen. Ihre heutigen Formen weisen auf das Ende des 17. oder den Beginn des 18. Jahrhunderts hin. Die untere ist neueren Datums und mag vom Anfang des 19. Jahrhunderts stammen. Abb. 18 ist der Pavillon eines Aussichtspunktes in einem Stadtgarten neueren Datums und mag so um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts angelegt sein. Er ist mir ganz besonders lieb, weil sein einfacher und würdiger Sinn sich in hohem Grade in seinem Äusseren ausdrückt. Man wollte hier nicht einen Ort zurückgezogener Beschaulichkeit schaffen, wie es bei den vorher gezeigten Beispielen der Fall war, sondern im Gegenteil eine Stätte der Geselligkeit, wie sie dem Mittelpunkt eines kleinstädtischen Parkes gemäss ist. Demnach baute man sinn- und folgerichtig: einen geräumigen Parterreraum, in den man sich bei Hitze oder Regen unmittelbar aus dem Garten zurückziehen, und wo man Erfrischungen nehmen und Toilettenräume finden konnte; eine Treppe führt zu einem geräumigen Saal, dessen Kuppeldecke der Dachform folgt, und der grösseren geselligen Vereinigungen dienen mochte. Die Grösse dieses Raums ist bedeutender, als man der Photographie der Aussenansicht anzusehen vermag, und die durch die hohe Kuppel erreichte Raumwirkung ausgezeichnet. Ein geräumiger Balkon mit sehr einfachem, aber anmutigen Holzgitter deckt die Eingangshalle. Leider ist das ganze Gebäude nicht mehr so solid ausgeführt, Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 3 34 AbbildunR 18 35^ wie es in noch frülieren Zeiten geschehen wäre. Dem erfindenden Kopf schwebte etwas Ausgezeichnetes vor, aber das ausführende Handwerk hatte schon seine guten Traditionen verloren und legte den Grundstein zu all dem modernen Imitations- und Schwindelwerk, das heute derart selbstverständlich geworden ist, dass niemand es mehr als eine Schande betrachtet: so dass man Bücher darüber schreiben muss, um auf etwas doch eigentlich Selbstverständliches hinzuweisen. Der Abb. 18 kann man die schlechte Ausführung nicht ansehen ; den Geist, der aus der Anlage spricht, verehre man als den Geist der Wahrheit. Der auf Abb. 19 abgebildete Bau trägt nicht das Odium des verkommenden Handwerks an sich. Er wie die folgenden drei Bilder stammen aus einem alten Park, der einer der herrlichsten Vorbilder für Gartenanlagen ist, die mir je bekannt geworden sind, obgleich ich die bekannten Gärten des In- und Auslandes fast alle gesehen habe. Aber ihn traf das Schicksal alles Schönen : eine Fabrikanlage zerstörte unbarmherzig einen Teil, und nun wurde das Ganze einem Stift verkauft, von dessen Gesinnung es abhängen wird, ob dies köstliche Kunstwerk ganz dem Ruin oder der „Verschönerung und Modernisierung", was dasselbe sagen will, anheimfallen wird oder ob es der Nachwelt als ausserordentliches Kunstwerk aufbewahrt bleibt, wie es bei Werken des Pinsels oder des Meisseis heute selbstverständlich geworden ist. Sind denn solche baulichen Kulturdenkmäler von geringerem Wert für die 36 Abbildung It 37 Nachwelt? Ganz sicher: eine so hohe menschenbildende Schöpfung, wie die grossen Meisterwerke der Malerei und der Plastik es sind, kann eine Gartenanlage schwerlich werden. Aber ist sie weniger notwendig im Rahmen des Ganzen? Und wie geht man mit ihr um? Es hat etwas Tragikomisches, zu sehen, wie die Menschheit immer die Kunstwerke der jüngeren Vergangenheit vernichtet, um dann die der älteren Vergangenheit unter den grössten Mühen mit Scharfsinn wieder aufzuscharren und zu rekonstruieren. Und dabei sind uns doch die uns näherliegenden Kunstwerke der späten Blüte des Nordens wichtiger als die antiken Gärten des alten Rom und Pompeji. In einer grossen Stadt Süddeutschlands ist jüngst ein wundervoller alter Park demoliert worden, daneben aber ist ein neuer Stadtpark nach üblichem Muster angepflanzt; und offenbar das Ganze nur, weil es sich auf dem Reissbrett so ergab. Nach diesem System werden heute alle Anlagen gemacht. Wenn man Bebauungspläne eines Geländes anfertigt, dann wird zuerst alles von vorhandenen Anlagen : Gärten, Bäume, Alleen, rasiert und dann das Reissbrett- « produkt auf das arme Terrain gepresst, das nun von neuem, nur auf ungeschicktere Art, mit jungen Gewächsen bepflanzt wird, die erst die übernächste Generation als erwachsene Bäume besitzen wird. Zurück zu unseren Abbildungen. Auf mächtig hohen Terrassenmauern, die steil nach dem Strom zu abfallen, 38 AbbitUung 2U 39 zieht der Garten sich in Ausdehnung von fast einem Kilometer hin. Hinter der höchsten Terrasse, die den fürstlichen Haushalt seines Erbauers gleichsam offiziell repräsentieren sollte, steigt man viele Stufen hinab zu einer unteren Terrasse, die gleichsam mehr dem Privatgebrauch dient. Drei Wege gliedern diese. Der eine zieht sich hart am Rande der Mauer, die hier nur auf Sitzhöhe den Garten überragt, nach dem Flusse zu hin. Niedriges Spalierobst fasst ihn ein. Der andere Weg geht auf der anderen Seite des langgestreckten Gartens hin, der die Felsen der Anhöhe ansteigt, und führt dort an Grotten, Brunnen und den Felsenkanälen einer Fischzucht vorüber. Der dritte Weg liegt in der Mitte zwischen beiden und schafft so zwei breite, geschlossene Rasenflächen, die in früheren Zeiten sicher mit niederen Buchsbaumhecken sauber eingefasst waren. In Abb. IQ sind wir auf diesem Wege dicht vor einer niederen Treppe, die mit feinem Verständnis die schiefe Ebene in zwei wagrechte auflöst. Mitten im Wege liegt ein Pavillon, den er durchschneidet, so dass bei offenen Türen dem Auge die Freude der langen und einfach überschaubaren Perspektive bereitet wird. Heute hat man scheinbar vergessen, welche Freude eine solche lange Perspektive ist, und vernichtet beständig durch charakterlose rundliche Linien jeden planmässigen weiteren Blick, was scheinbar , natürlich" aussehen soll. Über den Denkfehler, der dem zugrunde liegt, muss ich später bei der Anlage der Gärten ausführlicher sprechen, um die Verkehrtheit 40 Abbildung 21 41 auf dem Wege des diskursiven Denivens zu beweisen, die man, wenn die Menschheit mit ihren Augen noch „schauen" könnte, viel einfacher durch prüfendes Anschauen erkennen würde. Die zuerst genannte obere Terrasse verbindet mit dieser unteren Terrasse das Gartenhäuschen auf Abb. 20 in der Weise, dass das Zimmer, das hier im ersten Stock sich zu befinden scheint, auf der Höhe der oberen Terrasse liegt, und man von ihr aus ebenerdig in dasselbe hineinschreitet. Diese Anlage, die das Ganze so herrlich gliedert und die trautesten Orte bildet, war natürlich nicht von vornherein da, sondern wurde erst mit grosser Kunst geschaffen, indem eben wieder die ursprüngliche schiefe Ebene durch diese Bauten in wagerechte Terrassen zerlegt wurde. Der Geist des Widerspruchs wird hier sofort wieder seine Stimme erheben und sagen : das ist aber sehr teuer. Ge\xiss ist das sehr teuer. Grossartige fürstliche Parke sind aber auch heute noch nicht billig geworden, nur versteht man das Geld nicht mehr für die Hauptsachen zu verwenden, sondern verquackelt es in lauter Verzierungen, die zwar gar nicht zieren, dafür aber auch nicht gestalten. Und mit dem Gestalten fängt jedes Werk an. Heute fängt man mit dem Verzieren an. Die obere Terrasse wird wieder durch zwei Gartenhäuser begrenzt, das rechte auf Abb. 20, das hier von unten gesehn, und das linke auf Abb. 21, das hier von oben gesehn ist. Wie entzückend dies Eckchen ist, von 42 Abbildung 22 43 dessen Balustrade man weit über den Fluss in das Land schaut, kann man sogar in der Photographie ahnen. Und wie einfach ist dabei die Gestaltung von allem : man besehe die einfache Tür ohne Ornament, die schlichten Stufen, die schlichte Bank und das Spalierwerk, an dem das Grün sich emporrankt. Und ich betone: es war ein reicher fürstlicher Haushalt, der dies schuf. Man sehe sich dagegen all die „Motive" an, mit denen der Besitzer einer Villa zu 30 000 Mark seinen Bau bedeckt! Das Haus auf Abb. 22 liegt auf einer noch höheren Terrasse, die etwas zurücktritt. Auch an ihm möge man lernen, wie man anmutige und freundliche Gartenbauten schafft. Den vornehmen Mann erkennt man an seinem einfachen Kleid, das aber aus dem besten Stoff ist. Dieser Würde der Erscheinung wolle man nachstreben, sie nicht durch unnütze Zutaten noch übertrumpfen. Abb. 23 zeigt eine etwas reichere Gestaltung eines fürstlichen Pavillons. Aber auch ohne die Portaleinfassung würde das Ganze das Wesentliche, seine Anmut behalten. Abb. 24 zeigt einen Pavillon, der sich in einem städtischen Garten dicht am Fluss auf den schützenden Untermauern, die der Garten erst geschaffen hat, erhebt. Hier erklärt der blosse Anblick alles, und leicht wird man wahrnehmen, dass das dünne Lattengebälk, das sich von rechts an das Dach ansetzt, die Zutat einer ahnungslosen neueren Zeit ist und nicht im ursprünglichen Plan enthalten gewesen sein kann. 44 Abbildung 23 45 Abbildung 24 46 AbhildunK 2& Abbildung 26 48 Abbildung 27 49 Abbildung 28 Scbultze-Naumburg, Kultararbetten II 50 Abbildung ;•' 51 Abbildung 30 52 A Abbiklimg M 53 Abbildung 32 54 Abbildung 33 Lr .--•;£ ::^ Abbildung 34 56 AbbildunK 35 57 Eine ganz feine Anlage zeigen Abb. 36 und 37. Hier herrscht eine Zartheit des Empfindens und Gestaltens, die manchen vielleicht über das kleine Bild hinwegsehen lässt, ohne dass er den heimlichen Zauber, der von ihm ausgeht, recht bemerkte. Das Ganze ist so einfach, und wenn man es bemerkt, so lenkt man seine Aufmerksamkeit vielleicht allein auf den kleinen Giebel, der die Grotte an der Laube bekrönt. So reizend diese auch ist, so ist doch mit ihr die Anlage nicht geschaffen, deren Schönheit besonders in den so wohl abgewogenen Verhältnissen der Dach- und Wandflächen beruht. Und gerade diese Proportionen, diese Raumverteilung schaffen uns den Eindruck von ausserordentlicher Anmut und Zartheit des Empfindens. Obwohl diese Anlage dem Garten eines fürstlichen Jagdschlosses entnommen ist, zeigt sie doch nicht das Gepräge, das man heute bezeichnenderweise „herrschaftlich" nennt, sondern sie hat eher etwas Verwandtschaft mit dem, was man unter Bauerngarten versteht. Aber gerade diese ganz feine, stille Anmut ist es ja, die sie anziehend macht. Über die Begriffe Park, Garten, Gärtchen und ihre Berechtigung reden wir später bei anderer Gelegenheit noch ausführlicher. Zuvor einige Bilder von Gartenhäuschen der einfachsten Art: schlichte Gerätehäuser, die vielleicht noch ein kleines Zimmer enthalten, weniger zu geselligen Zwecken als wohl zum Aufenthalt eines Gärtners, Wächters und dergleichen. Diese Häuschen muss es früher in grosser 58 Abbildung 36 59 Abbildung 37 60 Abbildung 38 61 Zahl gegeben haben. Sie standen zumeist auf der Mauer, auch wohl auf einer Ecke derselben (siehe Abb. 38, 39, 40) und erfüllten nicht nur ihren praktischen Zweck, sondern wirkten auch auf den Beschauer innerhalb oder ausserhalb des Gartens sehr anmutig. Ihre Form ist so ungesucht und ergab sich so selbstverständlich aus dem einfachen Erfüllen der sachHchen Forderungen, dass man sich nicht vorstellen kann, '«ie sie anders aussehen sollten: Vier schlichte Wände, ein ebenso schlichtes Ziegeldach, das gewöhnlich pyramidenförmig war und nur dort, wo man einen höheren Bodenraum wünschte, die Form des gebrochenen Doppeldaches annahm. Man kann sich nichts Einfacheres denken, und doch wird jeder für Formensprache Empfängliche sich dem grossen Reiz einer solchen Anlage nicht entziehen können. Abb. 40 ist verfallen. Ich kann nicht finden, dass diese Zerstörung das Bild „romantischer" macht, sondern bin im Gegenteil sicher, dass ein wohlerhaltenes Äussere und die Umgebung eines gepflegten Gartens den Gesamteindruck nur steigern würden. Abb. 41 ist Gerätehaus und Schuppen eines sehr grossen Küchengartens (siehe auch Abb. 185). Was man heute dem Anblick sorgfältig entziehen oder da, wo das nicht möglich ist, durch einen nicht hingehörenden Aufputz zu „verschönern" suchen und so seinen Zweck verschleiern würde, das haben frühere Zeiten einfach gestaltet, und siehe da, es wurde ganz von selbst ein Schmuck. Auch hier spricht die Abbildung fast aliein für sich. Wer 62 Abbildung 39 63 sfry Abbildung 40 64 AbbilduoK 41 65 wäre wohl ein solcher Barbar, dass er sich dem seltsamen Zauber dieses schlichten Häuschens im Grün mit seinem gebogenen Dach, das so rätselhaft herüberblickt, verschliessen könnte. Hier ist der Ort, noch das Bild eines grossen Treibhauses einzufügen (Abb. 42), das durch den einzigen Schmuck einer monumentalen Hohlkehle sein charaktervolles Äussere erhält. Eins der traurigsten, leider aber auch charakteristischsten Beispiele für den Ersatz guter alter Gartenarchitektur durch Neues zeigen die Abb. 43 und 44. Abb. 43 ist die Front einer Orangerie im Park eines alten Gutes. Es ist mit Worten schwer zu beschreiben, was für ein eigentümlicher Zauber von diesem Ort ausgeht. Ist es nicht, als ob er aus einer Stormschen Novelle genommen wäre? — Über dem Dach bemerkt man ein absurdes Zackenwerk, das wie ein flach liegendes Zahnrad aussieht. Wenn man um den Bau herumgeht, um zu untersuchen, was für ein Unfug dahinten sein Wesen treibt, so entdeckt man, ^x•as Abb. 44 zeigt. Man hat die Torheit begangen, die gewiss einst wundervolle Rückseite, die nach dem Teiche zu wohl mit Terrassen ausgebildet war, abzureissen und durch eine kindische Spielerei mit „märkischer Backsteingotik" zu ersetzen. Leider zeigt die Photographie, die auch das HässHchste immer gleich in eine gewisse Bildwirkung setzt, noch nicht genügend die lebensgrosse Scheusslichkeit der neuen Anlage. Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II ' 66 Abbildung 42 67 Eine besondere Gattung unter den Gartenhäusern bilden die Weinberghäuser, die in Weingegenden in den Rebgärten überall zu finden sind. An sich folgen sie den Formen der übrigen Gartenhäuser, soweit diese sich mit dem hier geforderten Zweck decken : im Winter Unterschlupf für die Besitzer des Weinbergs zu bieten. Gerade in den Winzerhäuschen haben sich die Formen von der schlichtesten Nützlichkeit bis zur originellsten Phantastik entwickelt. Abb. 45 zeigt die alte Form, wie sie wohl zu Ende des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den Weinbergen des noch nicht reich gewordenen Bürgers üblich war. Sie ist uns in diesem Buch nicht mehr neu, wir finden sie auf den Abb. 38 bis 40 wieder, nur ist die Art ihrer Lagerung eine andere. Die Weinberge werden selten ringsum von Mauern eingeschlossen, sondern schützen sich durch ihre Lage am Abhang von selbst, so dass meist nur unten am Fuss eine freie Mauer zu finden ist. Je nach Geschmack des Besitzers oder auch nach Art des Zugangs entstehn diese Häuschen ganz oben auf der höchsten Höhe des Abhangs und ragen von dort weit ins Land, oder sie schmiegen sich unten an den Fuss des Berges. Ich habe mit grosser Liebe die Bilder der verschiedenen Typen gesammelt und führe eine Reihe hier vor, manchmal auch zusammen mit dem, was an ihrer Stelle heute entstanden ist oder entsteht. Gibt es denn nun keine Macht der Erde, die den Leuten die Erkenntnis zu- 5* 68 BEISPIEL Abbildung 43 69 GEGENBEISPIEL Abbildung 44 70 BEISPIEL Abbildung 45 71 GEGENBEISPIEL Abbildung 46 72 BEISPIEL Abbildung 47 73 GEGENBEISPIEL .jä^Bs: Abbildung 48 74 Abbildung 49 75 rückgibt, dass sie an einer Anlage, wie sie etwa Abb. 47 zeigt, nach Lage, Wahl des Orts, Gestaltung des Terrains und Errichtung des Hauses einen heimlichen, köstlichen Schatz besitzen, den man hüten und pflegen sollte, und dass man eine grenzenlose Torheit begeht, wenn man den freundlichen Bau abreisst und eine Schweizerhausphantasie, einen greulichen Kasten wie Abb. 48 einpflanzt? Zum zehnten Male sei es wiederholt: diese nüchternen, langweiligen Bauereien, denen man das Unbehagen schon von weitem ansieht, sie sind nicht allein unbehaglicher, sie sind auch unzweckmässiger, verständnisloser, als die alten, und zwar in genau demselben Verhältnis schlechter, wie man ihnen die Kopflosigkeit und Verständnislosigkeit der Erbauer für praktische Zwecke schon von aussen ansieht. Es ist nichts als eine schlechte Ausrede, wenn man immer wiederholen hört: ja, aber die neuen Häuser sind doch praktischer. Nein und abermals nein, sie sind weder hygienischer noch praktischer. Wir haben doch unsere Augen, damit sie mit ihrer Urteilskraft das erkennen und einsehen. Abb. 49 zeigt ein schönes altes Weinberghaus, das durch einen durchaus unpassenden Anbau verschandelt ist. Abb. 50 ist ein Werk des Klassizismus. Aber es steckte den Leuten von damals noch so viel gutes Gefühl in den Gliedern, dass der Bau anmutig geriet. Dies Sälchen, ringsum von einem verdeckten Gang mit schlichten Holzsäulen umgeben, ist durchaus keine blosse Attrappe, son- 76 AbbilUuiig äO 77 dern der Ort reizenden Aufenthalts auf luftiger Höhe. Man kann sich vielleicht fragen, warum das Dach unter dem nordischen Klima so flach geraten ist. Hunderte von ähnlichen klassizistischen Bauten (siehe unsere Abbildungen) beweisen, dass sich sehr wohl Säulen mit nordischem Dach verbinden lassen, weil nämlich die Säulenreihe zum Tragen des Schutzdachs ganz von selbst entsteht, ohne dass man direkt einen Tempel zu imitieren braucht. Aber wie dem auch sei, das kleine Werk ist vortrefflich. Abb. 51 ist ein ziemlich alter Bau, wohl der älteste meiner ganzen Sammlung von Weinberghäusern. Er zeigt fast noch mittelalterliche Formen, die, den Sitten der Zeit entsprechend, etwas Wehrhaftes haben. Aber auch bei ihm entspringt alles dem Zweck und Sinn. Der Hauptteil wird durch einen runden turmähnlichen Körper gebildet, der durch zwei Etagen geht. Der untere Teil dient offenbar wieder als Gerätehalle, zu der vorn eine kleine Tür führt. Zu dem Obergeschoss führt der Zugang durch den kleinen Anbau, den man hinten vom Berghang aus ebenerdig betritt, ganz ähnlich wie bei unserm alten Freund auf den Abb. 6, 8 und 10, der auch hier wieder und auf Abb. 53 hinten vorlugt. Die Gestaltung einer so einfachen Aufgabe, wie dies alte Weinberghaus, ist geradezu erstaunlich, und ich führe es mit Absicht in drei Abbildungen vor, damit man sehe, wie es von jeder Seite, in jeder Ansicht immer wieder ein Ganzes mit seiner Umgebung bildet, wie seine schlichten glatten Mauern, sein so simples 78 Abbildung 5t 79 Väi*'!::-s£f/.-r;i Abbildung 52 80 Abbildung 63 81 Dach und die viereckigen Fenster einen Reichtum von Abwechslung, von Gruppierung und ein Anschmiegen an das Terrain zeigen, dass immer neue und interessante Bilder entstehen. Wie ragt es auf Abb. 52 so kräftig als Silhouette heraus, mit dem Schmuck der dunkeln Spalierblätter. Und wie duckt es sich, von oben gesehen (Abb. 53), zusammen, während die Berglinie es überschneidet Abb. 54 bis 57 endlich zeigen noch eine Reihe von kleineren oder grösseren Weinberghäuschen der beschriebenen Art, die wieder vier verschiedene und neue Typen darstellen. Das reichste davon ist Abb. 57, an das sich eine breite Terrasse mit Balustrade anschliesst Wilder Wein hat alles eingesponnen. — — Wir haben die Hauptformen, in denen bis auf den heutigen Tag das Gartenhaus überhaupt gestaltet worden ist, durchlaufen. Richtig verstanden : unsere Tage haben keine irgendwie wertvollen neuen Formen hinzugefügt, sondern sich damit begnügt, das Erbe zu vertroddeln. Die zw^eite vorn erwähnte Aufgabe der Gartenarchitektur ist die Laube. Auch hier wende ich die Methode der Entwicklung an der Hand der Bilder an. Zum Vergleich dienen zunächst Abb. 58 und 59. Beide sind der Anlage nach nahezu gleich. Beide gehören zu einer kleinen Villa, an die sich ein Garten anschliesst, dessen Fläche anderthalb Meter über der Strasse liegt und durch eine Futtermauer getragen wird. Beide Lauben erheben sich auf der Mauer. Man lasse nun seine Augen Scbultze-Naamburg, Kulturarbeiten II ^ 82 '.'ys Abbildung 54 83 Abbildung 55 84 Al)bil(Juii|; fih 85 Abbildung 37 86 BEISPIEL Abbildung 58 87 GEGENBEISPIEL Abbildung 59 88 Abbildung bu 89 von dem einen zum andern Bild wandern und beobachte den Eindruck. Ganz Ahnungslose werden vielleicht sagen : das linke Bild ist poetischer, das rechte aber eleganter. Ich will nun gar nicht die Frage stellen, warum wir dies gefürchtete „poetisch" im Leben eigentlich so geringschätzen, und will nicht darauf hinweisen, dass im Lauf unserer Betrachtungen das „Poetische" sich gewöhnlich als das Zweckmässigste herausgestellt hat. Sehe man sich nur einmal die einzelnen Teile an, aus denen die Bauten sich zusammensetzen. Auf dem rechten Bilde sitzt die Laube auf einem Sockel aus Werkstein, der plötzlich in eine Mauer mit gelben Verblendern übergeht, die offenbar feiner aussehen soll. Im linken Bild steht eine ganz schlichte Bruchsteinmauer. Sie ist durchaus nicht verfallen oder baufällig, sondern die Art der Zusammensetzung und die Behandlung der Steine ist lebendig, sie bezeugt die Herkunft, sie erzählt vom Mauern, sie bringt uns den Begriff „Mauer" zur Anschauung. Dass diese lebendige Behandlung des Steins „uneleganter" sei, vermag niemand zu beweisen, es sei denn, dass er bewiese, dass Langeweile „eleganter" sei als frische Tätigkeit. Ich vermag auch nicht einzusehen, dass der Wohlhabendere seine Mauern für das Auge langweilig zu machen habe und nur der Unbemitteltere aus Mangel zu der „poetischeren", das heisst belebteren Steinbehandlung greifen müsste. 90 Abbildung 61 91 Auf der Mauer mit den Verblendern vermögen die Schlinggewächse kaum Halt zu finden, während auf der anderen Abbildung die an sich schon dem Auge belebter erscheinende Mauer sich nun noch aufs lustigste umgrünt. (Bei meiner im Herbst gemachten Aufnahme ist das mehr zu ahnen als zu sehen.) Man vergleiche dann die beiden Lauben. Auf dem linken Bild ist die Laube dem einfachen Zweck gemäss aus schlichten viereckigen Hölzern errichtet, denn man muss sich bei dem Bau einer Laube sagen, dass sie sich mit dem Schmuck lebenden Grüns bekleiden wird, und dass dieser Schmuck einer einfachen Laube gemäss ist, da sie doch kein Palästchen, sondern eben eine Gartenlaube ist. Man blicke dann auf das rechte Bild. Die Laube wird hier von wulstigen Säulen getragen, die zwar im höchsten Grade protzen, aber doch in gar keinem Verhältnis zu der ganzen Anlage : nämlich einem bescheidenen Hause mit Garten stehen. Den Rand des Daches bedecken eine Anzahl peinlicher Zacken, von denen niemand sagen kann, wozu sie dienen und welchem Sinn sie entsprossen sind. Endlich wende man auch hier wieder das Auge als Gradmesser an und vergleiche den blossen Eindruck. Einen, der nach reiflicher Überlegung und Betrachtung das Bewohnen der Haus- und Gartenanlage auf Abb. 59 vorzöge, würde ich bedauern müssen, denn sein Mangel an ästhetischer Bildung brächte ihn in den Verdacht 92 Abbildung 62 93 sittlicher Minderwertigkeit, die den falschen Schein mehr als den ehrlichen Ausdruck des Wahrhaftigen liebt. Die neue Zeit hat auch für die Laube keinen neuen Typus geschaffen, sondern nur alles Erdenkliche erfunden, was die gute alte Laube verballhornen konnte. Sogar Lauben aus Eisen hat man ersonnen, obgleich doch hier die unmittelbare Berührung des dünnen, frostigen Materials beim Sitzen geradezu abscheulich ist. Hier gilt dasselbe, was später über das eiserne Gitter zu sagen ist. Ja, ich glaube, dass das Eisen auch ein viel zu guter Wärmeleiter ist, um bei Hitze und Kälte den Pflanzen selbst angenehm zu sein. Ich denke, es genügt, wenn die Laube die nächsten 100 Jahre hält. Man kann sie übrigens ewig erhalten, wenn man die schadhaften Latten von Zeit zu Zeit auswechselt, was bei Holz weder teuer ist, noch sonderliche Mühe macht, während man, wenn das Eisen verrostet oder gar gebrochen ist, zu einer Reparatur die halbe Laube einreissen muss. Aber auch wo man beim Holz bleibt, sucht man neuerungssüchtig nach Veränderung der guten, überlieferten Formen und findet nur alberne Spielereien. Das Vernünftige, das sich unmittelbar und sinnfällig Ergebende ist doch das einfache Spalierwerk, wie man es seit alters her anwandte, um den Pflanzen das Klettern und Umranken nach Möglichkeit zu erleichtern. Solange das Kletterwesen der Pflanze sich nicht ändert, ist auch darin keine Neuerung nötig, mag draussen zehnmal die 94 Abbildung 63 95 Lokomotive vorbeifahren und die Elektrizität die Arbeit der Menschen übernehmen. Es ist Begriffsverwirrung, wenn man meint, man müsse deswegen heute durchaus alles und jedes anders machen, als früher. Das Spalierwerk, wie es sich (auf keinen besonders alten Anlagen) in Abb. 60 und 61 zeigt, und das mit seinem weissen oder grünen Anstrich angenehm mit dem Blattwerk harmoniert, ist stets die natürliche Wandung der Laube gewesen und wird es bleiben. Auch die Laube durchläuft alle Stadien vom schlichtesten Plätzchen bis zum vornehmen Pavillon des fürstlichen Gartens, und die Lösungen, die eine blühende Kultur dafür fand, sind überall gleich schön. Reizend ist auf Abb. 64 die kleine Laube auf der Mauer. Das Holzwerk ist derart schlicht und simpel, dass man kaum noch von künstlerischer Lösung sprechen kann : das Fehlen alles Störenden ist hier das Wertvolle, das uns Menschen von heute eben als ein ganz besonderer Vorzug erscheint. Sehr geschickt dagegen ist der Ort gewählt und die Verbindung mit der Mauer. Abb. 65 ist eine überdachte Laube, die auf einen Vorsprung des Gartens, der sich auf alten Festungsmauern aufbaut, gesetzt ist und dadurch einen (auf dem Bilde nicht erkennbaren) weiten Blick über Stadt und Fluss bietet. Altere Zeiten wussten immer geschickt diese Orte aufzufinden, an denen man so recht behaglich sass und den Blick sinnend in die Ferne schweifen Hess. 96 AlitiilüuiiK *>4 97 Abbikliing *)5 Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 98 Abbililtiiig <><• 99 Mitten im Buschdickicht liegt der Pavillon des Bildes 66. Wie reizend wirkt auch hier die Perspektive des Holzwerks, wie geschickt sind die grossen Augen angebracht, durch die man die Wege hinab sieht. Obgleich hier der Eindruck des Ganzen keine Zweifel aufkommen lässt, dass es sich um einen sehr vornehmen Garten handelt, wird dieser Eindruck des Reichtums nirgends aus Schmuckmotiven geschöpft, sondern lediglich aus einer gewissen Grossartigkeit der Anlage. Ahnlich ist es auf Abb. 67 und 68. Auf ersterer liegt der Pavillon hart am Rande einer niedrigen Terrasse, und zwar auf der Ecke derselben, so dass der Blick frei hinausschweifen kann ; auf der andern liegt er auf einem weiten mit Bäumen besetzten Plan, dessen natürlichen Mittelpunkt er bildet. Es gibt eine alte Stadt in Deutschland, die die herrlichsten Gärten des Landes hat, eine Gartenstadt im breiten Elusstal, und wohl keine Gartenaufgabe hat dort nicht ihre vollendete Lösung gefunden. Noch liegt ein grosser Teil dieses Schatzes allen sichtbar da. Aber niemand scheint ,es zu bemerken, denn niemand lernt davon. Auch hier entstehen nur noch jene traurigen Karikaturen, bei deren Anblick man sich so unglücklich fühlt, und vor denen alle Lebensfreude schwindet; jeder private, jeder öffentliche Garten ist ein neues Gegenbeispiel, das man lebensgross neben die herrliche alte Kultur pflanzt. In der Nähe dieser Stadt, in der eine alte Universität 100 Abbildung t>7 101 und bedeutende Kliniken sich befinden, ging ich einmal spazieren. Ich stieg über Höhen und Felder und gelangte, indem ich querfeldein ging, plötzlich in ein von Wegen durchzogenes Gelände, das einen seltsam beklemmenden Eindruck machte. Ich konnte nicht sagen, was es sei, aber die Wegeführung, die dem Gelände so zuwider war, und besonders allerhand krause Anlagen hatten geradezu etwas Beängstigendes. Steinhaufen am Wege, die nicht Kinderhände gehäuft haben konnten, zeugten von einer seltsam nervösen Wühlarbeit, am grausigsten aber war eine Art Pavillon, der auf ebenem Terrain sich erhob: es war, als trüge er Züge des Irrsinns. Plötzlich fiel mir ein : sollt« ich unachtsamerweise in den Garten der Provinz-Irrenanstalt geraten sein? Der Garten war ganz einsam, vielleicht war jetzt die Speisestunde der Kranken? Sollten all diese Zerrbilder die Arbeiten sein, mit denen man die Unglücklichen beschäftigt, um sie an den Aufenthalt im Freien zu fesseln ? Um mir Gewissheit zu verschaffen, fragte ich einen alten Arbeiter, dem ich endlich begegnete, und der sicher kein Kranker sein konnte, wo ich hier wäre. Mein Erstaunen war nicht gering, als ich hörte, dass ich mich in den neu angelegten städtischen Anlagen befände, die um die Mittagsstunde stets so menschenleer seien. Damit man sehe, dass ich keinen Scherz treibe, habe ich einiges aus diesem „Park" photographiert. Leider gibt ja jede Photographie, und besonders meine schwerlich ganz 102 Abbildung 68 103 einwandfreie Amateurphotographie, den Eindruck der Wirtdichkeit nicht ganz richtig wieder; dem in einen begrenzten Raum gebrachten Objekt wird geschmeichelt, und das kleine gedruckte Bildchen sieht oft netter aus, als der Gegenstand es verdient. Man muss also, um die Lehre aus der Betrachtung der Bilder zu ziehen, scharf beobachten, auf was es bei ihnen ankommt, und die Phantasie muss ergänzen oder abziehen, was auf der Photographie nicht zum Ausdruck kommt oder durch die bildmässige Darstellung besticht. Dies berücksichtigend, betrachte man etwa Abb. 70, auf der grosse Steinmengen zu sehen sind, nach einem System geschichtet, das als hochgradig kindisch erscheinen muss, besonders wenn es sich um Arbeiten handelt, die so viel Material und Arbeitskraft voraussetzen. Rechts und links vom Wege sind solche Denkmäler -errichtet, indem bald flache Steine flach gehäuft, bald auf die hohe Kante gesetzt sind, so dass sie beim geringsten Anlass herabzurollen drohen. Frage ich mich im vollen Ernste, zu welchem Zwecke man diese Trümmerhaufen hier errichtete, so gelingt mir nur eine Erklärung: dass -man nämlich beabsichtigte, durch „künstliche Ruinen" „poetische" Wirkungen zu erzielen. Über den Wert von künstlichen Ruinen mag man geteilter Meinung sein ; immerhin muss man es solchen, wie sie in früheren Jahrhunderten hie und da entstanden, lassen, dass es festgefügte Bauten waren, die immerhin den wirklichen Ruinen gleichsahen, und die erkennen lassen wollten. 104 BEISPIEL Abbildung 69 105 GEGENBEISPIEL Abbildung 70 106 Abbildung 71 107 dass hier eine feine architektonische Anlage zerstört sei. Die Anlage an sich war gut, die künstliche Zerstörung wäre wohl nicht nötig gewesen, wenn sie auch oft mit viel Geschmack und anmutig-sentimental ausgeführt war. (Abb. 71.) Die Menschen von heute aber sind mit ihren ästhetischen Urteilen so tief heruntergekommen, dass sie gar nicht mehr sehen, ob gut oder schlecht kopiert ist; denn hier bei unserer Abbildung 70 muss man es wirklich dazuschreiben, dass es sich um künstliche Ruinen handeln soll. Kein halbwegs verständiger Mensch wird, wenn er an ihnen vorübergeht, auch nur eine Sekunde lang in den Bannkreis der poetischen Vorstellung geraten, hier etwa an den Trümmern eines verfallenen Tors vorüberzugehen, sondern der Eindruck ist lediglich der von gesetzlos zusammengehäuften Steinen, denen jeder erfindliche Zweck mangelt. Die Gefühle, die ihnen gegenüber aufsteigen, sind die banger Rastlosigkeit. Stellt man sich daneben gleich vor, was man bei vernünftiger Verwendung der hier vergeudeten Menschenkräfte und Materialien hätte schaffen können, so überkommt einen erst recht der Unmut. Dem Gelände fehlt jede Gliederung. Ich sprach schon öfter davon, dass die natürliche Gliederung eines unebenen Terrains zu Gartenzwecken immer die Terrassenanlage ist, die die schiefe Ebene in eine horizontale Ebene scheidet, die der menschliche Fuss benutzen kann, und in eine steile vertikale Fläche, die eine hohe Brüstung schafft, von der man den Blick weit schweifen lässt. 108 BEISPIEL Abbiidung 72 109 GEGENBEISPIEL Abbildung 73 110 Abb. 69 zeigt ein Beispiel, wie in einem Bauerngärtchen die schiefe Ebene durch eine Futtermauer, in die eine Treppe einschneidet, in zwei Terrassen zerlegt wird. Beispiel 69 und 70 passen insofern gut zusammen, als die Summen der Steinarbeiten sich ungefähr entsprechen. Was mit beiden erreicht ist, wird jedem Sehenden vor den Bildern klar. Abb. 73 zeigt den abstrusen Gartenbau, von dem ich oben erzählte. Es kann einem davor wirklich bange werden, besonders wenn man ihn mit der selbstsicheren Würde eines Pavillons aus alter Zeit vergleicht (Abb. 72). Wem das einfache Augenurteil nicht genügt, der zerlege sich das Gebäude rein verstandesgemäss. Zunächst mache er sich den Unsinn klar, den es bedeutet, wenn man Naturholzformen mit architektonischen Formen zusammenwürfelt. Die architektonische Form bedeutet die Herrschaft des Menschengeistes über das Material. Er bemächtigt sich des Materials und schafft aus ihm neue Formen, die nur dem Menschen eigentümlich sind, und die seinem geistigen Walten symbolischen Ausdruck verleihen. Eine Naturform ist an sich ebenfalls eine schöne Form, nur drückt sie etwas ganz anderes aus. Ein gebogener Baumstamm bringt eben den Sinn „Baum" zum Ausdruck, der etwas ganz anderes bedeutet, als „Haus" oder „Säule". Verwendet der Farmer in seinem Blockhaus unbehauene Stämme, so tut er es aus Not, nicht weil er damit kokettieren möchte. Er sucht sich auch immer nach Möglichkeit die Stämme heraus, die 111 schon unbehauen den Dienst von behauenen Stämmen verrichten können : die geradesten, architektonischen Formen ähnHchsten. Hier aber in unserem Beispiel sind mit koketter Absicht die Formen gewählt, die dem Wesen des Architektonischen direkt widersprechen. Offenbar glaubte man auch hier „poetisch" zu wirken. Aber über den wahren Wohnsitz der Poesie mag das Augenurteil auf Abb. 72 und Abb. 73 entscheiden. Geht man dann so zergliedernd weiter und fragt sich, was auf Abb. 73 die lange Nase in der Mitte wohl will, was sie bedeuten oder ausdrücken solle, so wird niemand in der Welt darauf eine Antwort wissen. Diese an sich schon so sinnlose Spitze hat auch noch „Dachluken" ! Dachluken haben den Zweck, Licht in den Bodenraum zu lassen. Dieser Raum hier wäre nun an sich schon offen und hell, das Schönste aber ist, dass die Luken nur als Attrappen auf das Dach aufgesetzt sind, und gar keine Öffnungen durch das Dach führen. Offenbar soll das auch wieder „poetisch" wirken. Vor hundert Jahren wäre ein ernsthafter Mann ausgelacht worden, wenn er sich solche Mühe hätte geben wollen, ein Werk, das offenkundige Narrheit zur Urheberschaft hat, so mühsam zu zergliedern und zu widerlegen. Ich fühle sehr wohl das Ungeheuerliche einer solchen Augiasarbeit. Und doch — ist sie nicht heute notwendig, da die ganze Welt anfängt, die Erde nach diesem Tollhäuslersystem einzurichten ? Man betrachte nur mit wirklich unbefangenem BHck menschliche Taten, wie auf Abb. 73. Bis hinauf zu den beiden 112 Wetterfahnen, die aus angenagelten Hölzern bestehen und sich nicht drehen können, ist alles vollständige Narrheit. Und das in einer Stadt, in der noch Dutzende solcher Qartenhäuschen stehen, wie auf Abb. 72, das selber keine Viertelstunde weit von Abb. 73 entfernt ist. Abb. 72 kann eine kritische Zergliederung vertragen. Alles ist hier sinnvoll, klar und verständig, und das anderswo mühsam gesuchte „poetisch" stellt sich hier ganz von selbst ein, da uns das frohe Lebensgefühl, das die Erbauer jener Zeit solche Bauten gestalten Hess und das sie mit hinein bauten, uns heute noch daraus anweht und wir diese Gefühlswerte, die unser Auge uns übermittelt, eben poetisch nennen, da uns keine bessere, bezeichnendere Formel dafür geläufig ist. Hier hat auch der kleine Kuppelaufsatz seinen Sinn, da ein Oberlicht die Innenseite der Kuppel beleuchtet. Da wir gerade bei dem Park der Tollen sind, möchte ich noch ein Beispiel aus ihm anführen, das sehr bezeichnend dafür ist, wie erbärmlich schlecht selbst die einfachsten sachlichen Aufgaben heute gelöst werden, sobald sie sich von den ganz bestimmten Gebieten entfernen, in denen der Genius des 19. Jahrhunderts trium- phiert. Ein steiler Abhang. Man möchte einen Weg anlegen, der seinen Gipfel mit seinem Fuss verbindet. Ich glaube, vor hundert Jahren hätte jedes Kind gewusst, dass man das macht, indem man bei ganz geringer Neigung der 113 Wegebene so dem Gelände folgt, dass zwar ein langer, aber dafür recht wenig steiler Weg entsteht. Je nach dem Terrain ergeben sich dann Serpentinwindungen oder sonstige Formen. Heute fällt dem Gartendirektor vor seinem Reissbrett rein gar nichts anderes ein, als oben und unten mit einer gebogenen Linie zu verbinden, denn er schafft ja nicht praktische Ingenieuranlagen, sondern er will poetisch wirken. Das fällt dann freilich, sieht er es in Lebensgrösse vor sich, fatal aus. „Teufel nochmal," denkt er, „so kann das nicht bleiben!" Man hat nämlich wider alles Erwarten eine steile Wasserrinne angelegt statt eines Wegs, und jeder Gewitterregen schwemmt nicht nur allen Kies weg, sondern reisst auch noch tiefe Rinnsale in die Erde dieses sogenannten Kommunikationsmittels. Also: so kann es nicht bleiben. Man kommt auf eine ganz schlaue Idee. Man zieht Dämme über den Weg. Ich treibe wieder keinen Scherz. Damit man mir's glaube, zeige ich die Photographien Abb. 74 und 75. Ich musste meinen Kodak stark nach oben richten, um den ganzen Weg auf das Bild zu bekommen, daher erscheint er viel weniger steil, als er tatsächlich ist. Und nun muss man alle 20 Schritte einen Hupfer machen, um die Steindämme zu überwinden, die Abb. 75 genau zeigt. Abgesehen davon, dass solch ein Weg bei Nacht geradezu lebensgefährlich ist — denn wer vermutet auf einem gebahnten Weg solche künstlichen Hindernisse? — so ist auch bei Tag die Passage ein Hindernisrennen. Musste der Weg durchaus so steil sein, Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 8 114 Abbildung 74 115 warum verwendete man dann die oben beschriebenen künstlichen Trümmerhaufen (Abb. 70) nicht lieber dazu, eine breite und behagliche Treppenanlage zu schaffen, an die der menschliche Fuss gewöhnt ist, und die er selbst im Dunkeln nahezu gefahrlos und mit weit geringerer Anstrengung geht? Hätte man Augen im Kopf gehabt, so hätte man ein klassisches Vorbild dazu gerade fünf Minuten weit um die Ecke gefunden. Aber ich fürchte, das wird man nächstens als altmodisch und „überwunden" wegreissen und dafür ein ähnliches Kunstwerk wie das beschriebene hinbauen. Auch da, wo man auf die natürliche Lösung zur leichten Bewältigung eines steilen Abhangs, die Treppe, kommt, fehlen die Orundelemente der Gestaltung. An demselben Ort finde ich wieder Beispiel und Gegenbeispiel dazu. In Abb. 76 und Abb. 78 teilt die Futtermauer die beiden Terrassen. Auch in Abb. 77 sind zwei verschiedene Terrainhöhen, aber ein trockener, steiniger Rasenabhang trennt beide, und der gliedert sie nicht für das Auge. Ich habe schon an verschiedenen Stellen darauf hingewiesen : es ist eine Geldfrage. Eine Futtermauer ist nicht billig. Aber es sei ganz besonders betont: man muss eben deshalb die Gelder für die Anlage richtig einteilen. Heute wirft man das Geld für hundert Nichtigkeiten und Albernheiten aus dem Fenster und hat es dann dort, wo es wirklich gebraucht wird, nicht mehr zur Verfügung. Man betrachte hierzu auch gleich Abb. 79. Hier ist die Gartenfläche 8* IIb Abbildung 75 117 einfach als schiefe Ebene gelassen, was den Garten überhaupt nicht gHedert. Das letzte Stück nach dem Wasser zu ist etwas steiler und mit Steinen „garniert". Unten am Wasser ist ein Drahtgitter. Nun kann man von keinem Ort direkt ans Wasser, steht aber auch nicht über ihm, wie es bei einer Mauer geschähe. Über die konfuse Weganlage noch später. Man vergleiche nun die drei Treppen selbst. Abb. 76 und 78 zeigen schön gefügte Stufen, zum Teil einfach profiliert, was ein bequemes Beschreiten ermöglicht; Abb. 77 dagegen Stufen, die lebhaft an das Theater erinnern ; als wäre ein Lattengestell mit Leinwand überzogen worden. Man hat nämlich roh behauene Blöcke mit Zement verschmiert. Was die spitzen Steine rechts und links von der Treppe bedeuten sollen, das mag man vergebens erraten. Sachlichen Zwecken können sie nicht dienen, denn sich an ihnen zu halten oder sich auf sie zu setzen, verhindert, soweit es die Polizeivorschriften nicht schon verbieten, ihre Form. Diese Form kann aber zu einer wirkHchen Gefahr werden, wenn jemand über diese Hindernisse im Weg stolpert. Also wird ihr einziger Daseinszweck wohl wieder die mehrfach erwähnte sogenannte „Poesie" sein. Und auch hier wieder kann ich nur auf Beispiel und Gegenbeispiel verweisen und das Auge nach der Poesie suchen lassen. Widersprechen macht nun einmal so viel Freude, und so werden auch manche Leser sich die Freude machen 118 BEISPIEL Abbildung 119 GEGENBEISPIEL Abbildung 77 120 BEISPIEL Abbildung 78 121 GEGENBEISPIEL Abbildung 79 122 und sagen : ja, aber die alte Anlage, besonders Abb. 76, umgibt der Zauber des Alten, des Verfalls, und die neue muss erst schön „werden". Ich könnte diesen so oft gehörten Einwand ganz einwandfrei widerlegen, wenn ich über ein Mittel verfügte : wenn ich eine Photographie zur Hand hätte, die zeigt, wie Abb. 77 in hundert Jahren aussehen wird, und eine zweite, wie Abb. 76 oder auch 78 vor hundert Jahren aussah. Es ist aber auch ohne diesen Augen beweis gar kein Zweifel, dass hier nicht Alter oder Neuheit die Ursachen von Schönheit und Unschönheit sind, sondern dass diese Ursachen lediglich in der Anlage selbst stecken. Man wolle sich nur einmal die Veränderungen recht klarmachen. Auf den beiden Bildern (76 und 77) stehen auf der oberen Terrasse junge Bäume. Sind solch junge Bäume nicht etwas Entzückendes, wenn sie an ihre Stämmchen gebunden sind? Ist auf dem Bilde 76 die Mauer mit der Scheune etwas Schöneres, als auf 77 die weite Ferne mit dem alten Schloss? Alles andere aber ist Anlage. Die Schlinggewächse auf dem Vordergrund des Bildes 76 sind fast ausnahmslos einjährige Gewächse, die man, wenn man wollte, auch in der jüngsten Anlage haben könnte. Kaum viel anders fällt der Vergleich mit Abb. 78 aus. Nein — mit dieser Ausrede ist nichts zu machen. Wer es nicht versteht, eine Anlage gleich schön zu machen, wird umsonst auf ihre Verschönerung durch ihren Ruin warten. Rne der, sagen wir: komischsten Gegenüberstellungen 123 von neuer und alter Kultur, die hier im Bild vorgeführt werden, sind die Abb. 80 und 81. In beiden Fällen war fast die gleiche Aufgabe zu lösen : die Treppenanlage zu einem auf terrassenförmig ansteigendem Terrain liegenden Garten. In der alten Anlage ist die Aufgabe nicht allein mit Phantasie gelöst, sondern diese Treppe schmiegt sich auch auf das engste den natürlichen Bedingungen an, so dass ihre Benutzung leicht und angenehm wird. Man lasse sich beim Betrachten des ersten Bildes nicht durch die starken Futtermauern des Terrains zu der Meinung irreführen, dass erst diese kostspieligen Bauten der Anlage die Schönheit verliehen hätten. Auch ohne diese Futtermauem, indem sie nämlich in denselben Windungen durch das Berggelände, dem sie sich anpasst, hinaufstiege, würde die Treppe dem Auge reizvoll und für den Fuss angenehm zu betreten sein, wenn sich auch der Charakter des Ganzen ändern würde — man stelle sich nur das sich ergebende Bild in der Phantasie vor. Das schlechte Prinzip der Treppe auf Abb. 81 liegt darin, dass hier das Gefährliche sowohl wie das Nüchterne einer so steilen, nirgends unterbrochenen Treppe nicht vermieden worden ist. Ein Lauf von 25 steilen Stufen ohne einen einzigen Podest ist ja an sich schon eine sehr schlechte Anlage, die nur in der dringendsten Not gewählt werden sollte. Man meint den Hals zu brechen, wenn man die Treppe auch nur ansieht. Können wir uns vorstellen, dass sie nach einem Heim führt? Sie täglich hinaufsteigen zu müssen, erscheint als Qual für 124 BEISPIEL Abbildung 80 125 GEGENBEISPIEL Abbildung 81 126 jeden, zu dem die Steine noch reden. Zu wem aber die Umgebung nicht durchs Auge redet, je nun, dem erzählt sie auch nichts Schönes. Er mag seine Abgestumpftheit in Ruhe ertragen, er weiss eben gar nicht, welche Fülle von Lebensfreude ihm damit verloren -geht. Wir sind hier von selbst zum Thema des Garteneingangs gekommen. Betrachten wir die alten Gartenanlagen, so überkommt uns das Gefühl der Bewunderung dafür, mit wieviel Phantasie und zugleich mit welch sicherer Selbstverständlichkeit dort immer die Art des Zugangs zum Garten und seine Formen gefunden sind, möge sich nun das Terrain des Gartens auf der Höhe des Wegs, unter oder über seinem Niveau befinden. Diese Bewunderung erstreckt sich gleichzeitig immer mit auf die Gestaltung des Gartenterrains selbst, von dem die Eingangsfrage nicht zu trennen ist. Betrachten wir neue Gärten, so werden wir Gestaltung kaum an einem bemerken. Das Terrain ist hergenommen, wie es gerade war, und das Schema F wurde auf dem Reissbrett darauf gepresst, mochte es nun passen oder nicht. Von Ausnahmen, die sich irgendwo befinden mögen, rede ich nicht. Sie richten als Ausnahmen genugsam den heutigen Typus. Niemand wird leugnen können, dass dieser moderne Gartentypus in Villenstrassen und Viilenkolonien das kopfloseste und ödeste ist, was unsere moderne Kultur überhaupt gezeitigt hat. Das Material der lebenden Pflanze ist nicht gut zu korrumpieren gewesen, 127 und wo es wuchert, erfreut es wenigstens durch sein Vorhandensein. Wenn man aber die herrlichen Harmonien, die man früher aus dem Pflanzenmaterial und dem Menschenwerk schuf, gesehen und empfunden hat, dann muss man einen wahren Abscheu bekommen vor allem, was man heute Garten nennt. Gehen wir in unseren Vergleichen ohne vorherige Aufstellung eines Systems gleich wieder mit anschaulichen Bildern vor. Abb. 82 und 83 sind zwei sich genau entsprechende Anlagen. Beides sind Gartenvillen in einer bevorzugten Strasse einer kleinen Stadt. Nehmen wir zunächst das linke Bild. Das Haus ist hier mit seiner Schmalseite an die Strassenfront herangerückt. Aus guten Gründen. Rückt man das Haus nur etwas von der Strassenfront zurück, so bleibt ein schmaler Streifen Garten, der nur Verlust bedeutet, da mit ihm rein nichts anzufangen ist. Er ist zu schmal und zu sehr den Blicken der Vorübergehenden ausgesetzt, um einen angenehmen Aufenthalt zu gewähren. Wollte man dagegen das Haus so weit in den Hintergrund des Gartens rücken, dass es sich vollkommen von der Strasse trennt, so würde das erstens eine bedeutende Tiefenausdehnung des Gartens voraussetzen, die hier nicht vorhanden war, zweitens würde es den Charakter des Ganzen insofern wesentlich ändern, als dann das Haus gar nicht mehr mit der Strasse Zusammenhang hat. Ob das aber der Fall sein soll, entscheidet der Erbauer — jedenfalls ist es eine andere Lösung der Aufgabe. 128 BEISPIEL Abbildung 82 129 GEGENBEISPIZL Abbildung 83 Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten 11 130 Ich kann mir aber sehr wohl vorstellen, dass der Erbauer den Wunsch hat, von seinen Fenstern aus die Strasse überschaun zu können. In diesem Fall ist das Zurückrücken der Frontseite um nur wenige Meter meist nichts als eine Torheit, die sich nur in wenigen Fällen durch besondere Umstände rechtfertigen lässt. Diese Art der Anlage erzwingt aber heute die Baupolizei und macht sie im ganzen Lande zur ständigen Regel, so dass nun alle Villenstrassen überall dieses kopflose Aussehen bekommen. Der Sinn der polizeilichen Vorschrift entspringt ja ganz sicher dem guten Willen, das Entstehen von blossen Fronthausstrassen zu verhindern, indem man die „Zinsvillen" mit etwas Grün umputzt. Aber die Vorschriften sind wieder einmal zu kurz gedacht: mit etwas mehr Phantasie oder wenigstens mit etwas Studium der alten Anlagen Hesse sich derselbe gute Zweck erreichen, ohne diesen armseligen Vorgartentypus zu züchten. Die Strassen, in denen die Villen wie auf Abb. 82 angelegt sind, sind wirklich ideale Gartenstrassen, in denen der Wunsch der Stadt: lichte und freie Strassen zu erhalten, im höchsten Grade erfüllt ist. Dass von Zeit zu Zeit einmal ein anmutiger, mit Grün umsponnener Giebel in der Strassenflucht liegt, macht die Strasse nicht enger oder weniger frei. Mit dem Reissbrett und dem Lineal lassen solche Gestaltungen sich aber nicht schaffen. Im Band „Städtebau" Eingehenderes über diese Frage. Jene Strassen entstanden damals auch ohne Polizeivorschriften. 131 Ich will nicht entscheiden, ob sie nicht auch heute ganz von allein entstehen würden, einfach nach dem alten Gesetz von Angebot und Nachfrage. Wenn die Leute lieber in freistehenden und mit Grün umsponnenen Häusern wohnen wollen, so kommt der Erbauer schon von selbst den Wünschen der Konsumenten entgegen, ohne dass die Polizei die Menschen erst zu ihrem Glück zwingen muss. Ist es aber wirklich unbedingt notwendig, dass die Baupolizei diese Fragen regelt, so tue sie es wenigstens nicht in dieser armseligen Weise, die aussieht, als hätte ein Schutzmann sie ausgedacht. Zurück zur weiteren Betrachtung der Anlage. Also das Haus stösst vorn an die Strasse an; der hintere, verdeckte Teil des Gartens wird dadurch grösser, und der eigentliche, zum privaten Gebrauch dienende Teil bleibt dem Blick der Vorübergehenden entzogen. Der Eingang ist rechts vom Haus. Zwei kräftige Stein pfosten fassen ihn ein, das ursprünglich hölzerne Gitter ist durch ein eisernes, Gott sei Dank aber wenigstens nicht „verziertes" Gitter ersetzt. Da die schiefe Ebene des ursprünglichen Terrains in Terrassenform umgeschaffen ist, führen einige Stufen hinab zu dem unteren Gartenniveau. Der Teil, der den Blicken von aussen ausgesetzt ist, wird also auf diese Weise zum Zugangsweg, gleichsam einem neutralen Gebiet, und das intimste Stück des Gartens wird dadurch nicht beeinträchtigt. Und nun betrachte man Abb. 83. Vom Hause selbst 132 BEISPIEL Abbildung 84 133 GEGENBEISPIEL Abbildung 85 134 sei hier nicht ausführlich die Rede, da über diese Fragen der Band I eingehend handelt. Aber auch ohnedies wird niemand sich der Kläglichkeit des Anblicks verschliessen können, den nach Abb. 82 solch ein Haus bietet. Zu welch dürftiger Schweizerhausphantasie ist der schlichte Giebel von Abb. 82 geworden, wie unklar und zerrissen sitzen die Fenster in den Wänden, wie sinnlos laufen die Sandsteinstreifen über die Backsteinfassade, ohne dass sie doch irgend etwas zu definieren hätten. Das Haus ist zurückgerückt und folgt der baupolizeilichen Front, indem es zwischen sich und die Strasse einen schauderhaften, allen preisgegebenen Vorgarten setzt. Diese Öde scheint man schliesslich auch empfunden zu haben und hat nun wieder ein gänzlich missratenes Gartenhaus hingepflanzt, das eher an eine Bauhütte, als an einen behaglichen Sitzplatz erinnert und trostlose Gefühle erweckt. Ich bitte nur, der Reihe nach all die hier gezeigten guten Gartenhäuser und Lauben zu betrachten und dann den Blick auf dieses fallen zu lassen. Das wird jedes weitere Wort unnötig machen. — Der Garten hat seine schiefe Ebene behalten, und auch der Zugang ist auf diese Weise eine schiefe Ebene geworden, so dass der Eingang in dem Gewirr des Gitterwerks kaum zu finden ist. Da das Haus gerade in der Mitte des Gartens steht, ist auch nirgends ein ausgesprochener Gartenteil entstanden, und man sieht es dem Ganzen sofort von aussen an, dass niemand sich wirklich glücklich in dem Garten fühlen kann. Vielleicht haben die Be- 135 wohner desselben nie die wahre Heiterkeit und den Frieden eines Gartens kennen und empfinden gelernt und vermissen nicht das nie Gekannte. Aber wirkliches Lebensbehagen kann sie dort nicht überkommen. Eine ähnliche Anlage zeigt Abb. 84, nur handelt es sich dabei um viel bescheidenere Verhältnisse. In dem Haus auf Abb. 82 wohnte Goethe öfters im Sommer. Abb. 84 ist das Häuschen eines Windmüllers. Ein ganz kleines, bescheidenes Häuschen, das so weit zurückgesetzt ist, dass zwischen Weg und Haus ein wirklicher benutzbarer Garten liegt, in dem die Leute zwischen Buchsbaumhecken und Rosenspalieren Erdbeeren pflanzen und Kohl ziehen. Das Haus lag einst weit vor der Stadt im Feld, und die Gesichtspunkte waren andere, als in der Gartenstrasse. Kann ein empfänglicher Mensch an dieser kleinen Idylle vorübergehen, ohne eine freundliche Erinnerung mitzunehmen, ohne die Empfindung zu haben, dass glückliche Menschen dort wohnen mussten? Philemon und Baucis sind nicht mehr am Leben, Neubauten haben das Häuschen umschlossen, die nur von Dumpfheit und Langeweile erzählen, wie auf Abb. 85. Ist es nicht eine Strafe, dies Bild lange betrachten zu müssen? Flimmert es einem nicht vor den Augen, bekommt man nicht Augenschmerzen von all dem Gewirr weisser Fugen, Drahtgitter und sonstigem Gezappel ; wird einem nicht angst und weh vor diesen Zuchthausfenstern, zerquält man sich nicht immer bewusst oder unbewusst das Gehirn, zu was diese kleine öde Sand- und 136 Rasenfläche zwischen Haus und Strasse da ist? Ob man zur Strafe da Menschen einsperren will, die sich zwischen den peinigenden Blicken der Neugierigen vor dem Käfig und der harten Steinmauer nicht zu retten wissen? Ist das der Sinn des 19. Jahrhunderts? Man tue als Gegenmittel einen tiefen Blick in die freundlichen Augen des alten Häuschens auf Abb. 84. Abb. 86 zeigt die Art und Weise, wie man in früheren Zeiten in den Strassenfronten ein Gärtchen anbrachte, das reizend ausgedacht war und wiederum Zweck und Sinn der Anlage klar zum Ausdruck brachte. Das Haus ist in Hufeisenform angelegt. Zwei Seitenflügel verband ein zurückliegender Mittelbau, so dass zwischen diesen dreien und der Strasse ein viereckiger Raum übrigblieb. Die Eingangstreppe legte man so, dass sie halb auf der Strasse, halb innerhalb der Futtermauer lag, auf die sich die hochgelegte Terrasse stützt. Heute werden solche vorspringenden Treppen rasiert und Neuanlagen dieser Art verboten. Man hat sich daran gewöhnt, solche Vorschriften als die notwendigen Folgeerscheinungen der neuen Zeit anzusehen. Leute mit Geschmack finden, das wäre zwar tieftraurig, aber unabwendbar. Ich glaube nicht an die logische Richtigkeit dieser Beweisführung. Wir haben uns nur daran gewöhnt, all diese kurzgedachten Vorschriften als gegeben hinzunehmen und grübeln nicht mehr darüber nach, ob ihr Kern nicht am Ende doch nichts als Unsinn und Schutzmannsweisheit enthält. 137 „Solche Anlagen sind ein Verkehrshindernis." Das ist das Axiom, das ich allmählich anzuzweifeln beginne. Oder richtiger gesagt: der Gedanke, der ihm für die Weiterentwicklung der Menschheit zugrunde liegt, fängt an, mir als recht schief gerichtet zu erscheinen. Das Menschenleben hat sich allmählich zu einer Hetze und wilden Jagd entwickelt: also rasch alles aus dem Weg räumen, was der Weiterentwicklung zu immer tollerer Hetzjagd hinderlich sein könnte. Wir haben verlernt, unsere Augen zu gebrauchen. Sie sind uns nicht mehr Gefühlsvermittler und Richter über den sittlichen Wert unserer Formen, sondern nur noch stumpfe Tastorgane, die verhindern, dass wir nicht an alle Ecken anrempeln. Deshalb um Gottes willen alle Ecken und krummen Linien vermeiden, nur immer ganz gerade Strassen, damit der Mensch in seiner tollen Fahrt durchs Leben wie besessen einherfahren kann, ohne nach rechts und links zu sehen. Unsere Glieder sind steif und ungewandt geworden. Wenn wir unserer Militärpflicht genügt haben, legen wir uns einen Bauch und eine Glatze zu und wollen keinen Sprung mehr machen. Deshalb alles hübsch glatt und eben, aus allen Strassen eine Gleitebahn machen, auf der man weiter so hin pendeln kann, ohne dass man irgendwo den Fuss zu heben oder gar aufzumerken braucht. Das ist der tiefste, unbewusste Sinn der Prinzipien, nach denen wir das Leben einrichten. Wenn diese Prinzipien BEISPIEL 138 Abbildung 86 139 GEGENBEISPIEL Abbildung 87 140 Recht haben, so sind auch die Verordnungen richtig, aber ich bin der Überzeugung, dass diese Kulturgedanken uns auf verfehlte Bahnen drängen. Es ist nicht nötig, dass wir, wenn wir die Fortschritte der neuen Zeit benutzen, sie zugleich missbrauchen. Wenn wir von dem steigenden Verkehr der neuen Zeit sprechen, so kann dieser doch nicht als eine absolute Grösse hingenommen werden. Das Strassenleben einer kleinen Stadt ist heute nicht lebhafter, als das einer kleinen Stadt im Jahre 1500 oder in einer Villenvorstadt einer Grossstadt. Wenn wir aus den Dokumenten jener Zeit ein richtiges Bild gewinnen, so ist im Gegenteil anzunehmen, dass es damals auf der Gasse belebter zuging als heute, weil damals manches sich auf und an der Strasse abspielte, was sich heute in gedeckte und geschützte Räume zurückgezogen hat. Zudem nehmen heute Städte von 20 000 F.inwohnern einen grösseren Raum ein, als vordem Städte von 100 000 Einwohnern, die von Mauern umschlossen wurden und enge Gassen hatten. Mag der Wagenverkehr auch bedeutend zugenommen haben — trotz alledem vermag ich nicht einzusehen, was für ein entsetzliches Verkehrshindernis ein paar Stufen sein sollen, die in den Fussteig einspringen, besonders seitdem die Beleuchtung so gewaltige Fortschritte gemacht hat. Man sieht sie eben und weicht ihnen aus. Nach den Prinzipien, nach denen jene Aufräumer handeln, müsste man ja schliesslich die Laternen pfähle und die Strassenecken polstern lassen. Wir wollen doch Men- 141 sehen sein, die sich ihres Lebens und ihrer Lebenskräfte bewusst sind, und die nicht ein fast künstlich-automatisches Leben führen, Dass man eine Verkehrszentrale, wie etwa die Leipzigerstrasse in Berlin, für riesenhaften Verkehr einrichtet, schliesst doch nicht die Notwendigkeit ein, dass jedes Gässchen im glücklichen Krähwinkel sich auf denselben Riesenverkehr vorbereitet und dass deswegen einstweilen alles demoliert wird. Die Treppe führt also zu dem Gärtchen empor, das so hoch über der Strasse liegt, dass ein Hineinblicken von dieser aus unmöglich gemacht ist. Dies auf drei Seiten von freundlichen Hausfronten eingeschlossene Gärtchen müsste den angenehmsten Aufenthalt bieten. Der Mittelweg, der von der Strassen pforte nach der Haustür führt, teilt ihn in zwei gleiche Teile, Buchsbaumhecken fassen sie ein, Rosen umspinnen das Spalierwerk, und ein kleines Wasserbecken, eine Grotte, eine Statue oder dergleichen könnte den Garten schmücken. Rechts und links von den Seitenflügeln könnten oben Sitzplätzchen angelegt sein, die im Schatten der Mauern oder der Bäume liegen und unbeobachtet Ausblicke auf das Strassenleben gestatten. Das hier in Abb. 86 vorliegende Gärtchen hat seine alte Wohnlichkeit verloren und ist verwahrlost. Solche mit Liebe erdachten Anlagen fehlen der neuen Zeit ganz. Einförmig kehrt immer nur der eine und noch dazu verfehlte Gedanke wieder: der Vorgarten. In infinitum könnte ich Gegenbeispiele wie Abb. 87 anführen. 142 Abbildung i>i> 143 Abb. 88 zeigt die Anlage eines Gärtchens, das im alten Stadtgraben angelegt ist. Seitdem die Befestigungen gefallen sind, führen Strassen an den alten Wällen hin; ein Streifen von diesen ist neben der Strasse stehengeblieben und dient gleichsam als Terrasse (siehe auch Abb. Q5). Am Eingang von der Strasse aus steht eine kleine Laube, hoch über der Tiefe hinter der alten Mauer. Ein Treppchen führt hinunter in den Grund, von einem Rebgang überdeckt. Meine Abbildungen sind im Winter gemacht, die Bäume sind kahl und frostige Stimmung liegt über dem Ganzen. Trotzdem sieht man ihm seine behagliche Gartenanlage noch an. Es ist ein ganz bescheidenes Gärtchen, gemacht von Leuten in den bescheidensten Verhältnissen, wie Ludwig Richter sie uns sehen gelehrt hat. Einen über der Strasse liegenden Garten zeigt Abb. 89. Hier ist alles in dichtes Grün eingesponnen, das über die Mauer wuchert. Breite Steinstufen und eine freundliche Holztür geben das Motiv. Man vergleiche die Garteneingänge Abb. 90 und 9L Der erstere bildet einen Typus des natürlichen „gewachsenen" Garteneingangs, wie ihn der wohlhabende Städter im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts sich baute. Von der Art dieser Gartenanlagen sprach ich schon. In den breiteren Gartenstrassen blieb in der den ganzen Garten umziehenden hohen Mauer eine breite Lücke, die nur durch Lattenwerk geschlossen war, und in deren Mitte die Eingangstür lag. Doch profanierte dieser Einblick den Garten 144 Abbildung ht 145 nicht; wie in all den harmonischen Anlagen jener Zeit war auch die Lage des Hauses mit feinem Sinn darauf berechnet. Es schloss mit seiner breiten, niedrigen Front den Garten gegen die Bresche zu ab, indem zwischen Haus und Gitter ein breites und langes Blumenparterre lag, das gleichsam einen erweiterten Eingang des Hauses bildete, und durch dessen bunten Teppich der breite, mit Buchs eingefasste Weg gerade auf die wiederum breite Tür des Hauses führte. Eine solche Lösung bedeutete natürlich durch ihren Raumaufwand eine ziemlich kostspielige Anlage, denn der eigentliche Garten lag erst hinter dem Haus und war ringsum von Mauern umschlossen. Wer auf solchen Luxus verzichten musste, der wählte eine andere Lage des Hauses zum Garten, aber er suchte nicht durch blosse Verkümmerung und Verkleinerung der reichen Anlage den Schein einer solchen aufrechtzuerhalten, wie das heutzutage üblich, ja für gewisse Strassen sogar baupolizeiliche Vorschrift geworden ist. Abb. 91 zeigt diesen Typus. Man wird nicht leugnen können, dass so, wie dies Bild, die meisten „Zinsvillen"-Strassen in grossen und kleinen Städten aussehen. Zu dem kläglichen Typus kommt nun eine noch kläglichere Ausführung. Aus den kräftigen monumentalen Sandstein pfosten sind armselige Pföstlein geworden. Aber was an Monumentalität abgeht, wird durch gar herrlich reiche Ornamentik ersetzt! Man ruht nicht eher, als bis das Ganze durch lauter Kleinkram kurz und klein zerhackt, bis jede übersichtliche Gliederung aufgeSchultze-Naumburg, Kulturarbeiten II ^^ 146 BEISPIEL Abbildung 90 147 Abbildung 91 10* 148 BEISPIEL Abbildung 92 y;^ ^iif;. 149 GEGENBEISPIEL #'— Ml 150 hoben ist. Auch über diese Formenauffassung ist sachlich nichts Neues mehr vorzubringen ; ich kann jeden, der noch überzeugt sein will, nur bitten, beide Bilder nebeneinander auf sich wirken zu lassen. Die schönste Art der Qarteneinfriedung wird wohl immer die hohe Mauer bleiben. Nicht nur für den im Garten Weilenden, sondern auch für den draussen Vorübergehenden ; denn es ist etwas Köstliches um den heimlichen, verschwiegenen Zauber einer hohen Mauer, über die Bäume sich neigen. Gewiss ist eine solche Maueranlage die teuerste Lösung der Garteneinfriedigung. Hat man nicht trotzdem auch heute noch oft genug die Mittel dazu? An der Sparsamkeit liegt es nicht, wenn die neuen Anlagen lächerlich aussehen. Man vergleiche Abb. 92 und 93, die beide eine vollkommen gleiche Anlage mit Mauern zeigen. Aber auf dem linken Bild fühlt man sich wohlig gestimmt, und auf dem rechten meint man einem Sargdeckel gegenüberzustehen. Die Verzierungen geben den Eindruck der Armut, nicht des Reichtums, während die schlichten Linien der Holztür von Vornehmheit und Behagen reden. Es ist überhaupt sehr schade, dass man heute dem Eisen als Material so unbedingt den Vorzug vor dem Holz gibt. Es Hesse sich für die Berechtigung dieser Wandlung nur ein Grund beibringen, und der wäre für die Welt tief beschämend : dass nämlich die Menschheit im Gegensatz zu früher nur noch aus Vandalen bestünde, die alles 151 kurz und klein schlügen, was nicht niet- und nagelfest ist. Ich vcill nicht darüber entscheiden, ob dem so ist. Ich möchte nur feststellen, dass man im 17., 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die meisten Gartentüren aus Holz machte, obgleich man sehr wohl schmiedeeiserne kannte. Landstreicher und Einbrecher gab es damals denn doch wohl nicht weniger, als heute — aber man empfand das Traute, Anmutige und Warme wahrscheinlich stärker und also als einen grösseren Wert, der dem Material des Holzes und den ihm entsprechenden Formen innewohnt. Übrigens trifft es nicht einmal ohne weiteres zu, dass hölzerne Türen minder haltbar seien. Wir haben so unendlich viele Türen, die, wenn sie durch Anstrich gut geschützt wurden, ihre 150 Jahre alt wurden, so dass die Fürsorge, dass unsere modernen eisernen Gartentüren nur ja ihre 2—300 Jahre alt würden, wirklich übertrieben erscheint. Ganz gewiss haben die alten Holzgartentüren während dieser Zeit hie und da der Reparatur bedurft, aber dafür war ihre Anlage auch um so viel billiger, dass man bei den eisernen doch noch von keiner Ersparnis reden könnte. Ja, ich möchte noch weiter gehen und behaupten : in vielen Fällen sind Holzgitter haltbarer, Holz fault, wenn man es nicht mit Ölfarbe schützt — Eisen rostet, wenn man es nicht in der gleichen Weise schützt. Die üblichen eisernen Spitzen unserer Gitter aber vermag ein Hammerschlag abzuschlagen oder doch so zu biegen, 152 Abbildung 94 153 dass der Stab bricht. Holz ist viel zäher und ist vor allem viel leichter zu reparieren. Noch eine Tatsache sei erwähnt, die dem Holz den Vorzug vor dem Eisen gibt: das akustische Verhalten von beiden Materialien. Während eine Holztür hübsch leise und schalldämpfend in ihren Rahmen fällt, dröhnt und schlägt eine eiserne Tür, dass es durch den Garten und das ganze Haus schallt. Es ist ein so hässliches Geräusch, dass dies allein einem schon die eisernen Türen verleiden könnte. Soll eine eiserne Tür nicht Geräusch machen, so muss sie mit der äussersten Sorgfalt gearbeitet und von grosser Schwere sein, was allein schon nicht auf die Bestimmung als luftige Gartentür hinweist. Ich möchte nicht missverstanden werden, in der Weise, als hielte ich es für unmöglich, auch aus Eisen schöne Gartentüren zu gestalten. Ich zeige in Abbildung 94 ein Beispiel aus einem alten fürstlichen Park, der im übrigen selbstverständlich von einer hohen Mauer umschlossen ist. Aber man sollte deswegen doch nicht das schöne Material des Holzes vergessen. Es liegt keine Notwendigkeit dafür vor, und das Beispiel Englands und Amerikas, die das Holz als Garteneinfriedigung wieder aufnehmen, sollte uns zur Nacheiferung anregen. Man vergleiche Abb. 95 und 96 einmal nur auf das Material hin. Die erstere zeigt Gartenzaun und Laube aus älterer Zeit. Wie freundlich ist die Anlage trotz der winterlichen Stimmung, und wie anmutig ist ihr einfaches 154 BEISPIEL Abbildung 95 155 GEGENBEISPIEL Abbildung 96 156 BEISPIEL Abbildung 97 157 GEGENBEISPIEL Abbildung 98 158 Spalierwerk! Das andere Tor, Abb. 96, welche Wirkung erreicht es mit seinen Eisenschnörkeln? Aus der Ferne die, dass es gar nicht da zu sein scheint, aus der Nähe die der langweiligsten Dürftigkeit. Aber nun wolle man die Aufmerksamkeit einmal entschieden auf das Material lenken. Muss man da nicht zu der Meinung kommen, dass zu den bescheidenen, stillen Gärten das freundliche Holz mit seinen breiten Pfosten besser „stimmt", als das dünne Eisen? Dem Material des Eisens wohnt eben eine andere Ausdrucksweise inne, und diese passt nicht überall hin. Es wird Fälle geben, für die sie passt, wenn auch in anderen Formen, als die, die sich heute im Geschäftsvertrieb der Schlossermeister eingefunden haben. Auch Abb. 97 und 98 zeigen nahezu identische Anlagen. In Abb. 97 sehen wir eine Terrasse vor einer Villa. Alles ist hier von ausgesucht feinem Geschmack und mit Verstand angeordnet. Dicht vor das Haus selbst ist noch eine zweite kleinere, aber hohe Terrasse gelagert, die den Übergang zum Haus vermittelt und einen angenehmen Ort zum Sitzen bietet. Die untere Terrasse trägt in der Mitte ein rundes Wasserbecken, das sein Wasser von einer Figur (die seltsam ist, aber doch Stil hat) empfängt. Runde Bäume geben der Balustrade überschaubare Verhältnisse und leiten zur Architektur über. Niedrige Vasen, aus denen Blätter emporwachsen, sind regelmässig verteilt. — Auf Abbildung 98 sieht man noch das abscheuliche eiserne Gitter, das vorn den Garten abschliesst. 159 Auch hier führen Stufen hinauf, auch hier stehen Vasen mit Pflanzen, auch hier erhebt sich die Villa unmittelbar hinter der Terrasse. Aber alles ist ausdruckslos, unnütz, nirgends empfindet man die Logik des Aufbaus, nirgends das notwendigerweise „Gewordene". Die schreckliche Vase auf der Säule mit der dürftigen Palme drin ist eine Art Gradmesser für das Ganze, das auch nur wieder einmal recht angeschaut zu werden braucht, um in seiner ganzen Nichtigkeit erkannt zu werden. Allen Formen wohnt ein merkwürdiges Ausdrucksvermögen inne, derart, dass bei einer scheinbar ganz geringen Verschiedenheit oft eine starke Veränderung des Ausdrucks sich ergibt. Die Fähigkeit zum Lesen in Formen lässt sich sehr steigern. Man kann sich das an folgenden Beobachtungen klarmachen : an sich sind die einzelnen Individuen derselben Menschenrasse sehr ähnlich. Alle haben Nasen, Augen, Ohren, Arme, Beine, die überall in derselben Weise angeordnet sind. Trotzdem wissen wir, dass kein Mensch dem andern gleichsieht und erkennen auf den ersten Blick die Verschiedenheit des Ausdrucksinhaltes der einzelnen Formen, die doch den Typus immer nur ganz wenig variieren. Diese Fähigkeit, in den Formen zu lesen, ist die Erziehung unseres Gesichtssinns durch die systematische Schulung der Beobachtung. Diese Beobachtung wird jedoch meist nur partiell geübt. Die Fähigkeit zur Unterscheidung der einzelnen Menschenerscheinungen und besonders ihrer Gesichter ist im allge- 160 BEISPIEL Abbildung 99 161 GEGENBEISPIEL Abbildung 100 Scbultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 11 162 meinen bei allen Menschen entwickelt. Es scheint das den meisten eine Selbstverständlichkeit. Man kann sich aber an einem naheliegenden Beispiel klarmachen, wie wenig selbstverständlich ihr Vorhandensein ist oder in den allgemein angeborenen Fähigkeiten des Menschen begründet liegt, und dass es vielmehr die Entwicklung der Fähigkeit durch Übung voraussetzt. Wenn wir eine Hammelherde erblicken, so sehen wir eine Vielheit von Hammeln. Das einzelne Individuum hebt sich nicht hervor, es sei denn durch seine Grösse oder eine Absonderlichkeit. Aber auch das verliert sich, sobald wir den Vergleich der Individuen nicht mehr unmittelbar nebeneinander haben. Stellen wir zuerst einen Hammel abseits und betrachten ihn, so werden wir es nicht merken, wenn er mit einem andern vertauscht wird, falls der in Farbe und Grösse halbwegs mit dem ersten übereinstimmt. Wir kennen den Typus Hammel wohl so ungefähr, dass wir sagen können, um was für eine Tiergattung es sich handelt, doch wir kennen ihn nicht genug, um die individuellen Abweichungen zu erkennen. Anders der Schäfer. Er würde lächeln, wenn wir ihn fragten, wie in aller Welt er es nur anfinge, die einzelnen Tiere seiner Herde zu unterscheiden. Die Frage kommt ihm gerade so komisch vor, als ob unsereiner gefragt würde, wie wir es anfingen, unsere Freunde und Bekannten zu unterscheiden. Sein Auge ist eben auf die Ausdrucksfähigkeit gewisser Formen so geübt, dass er in ihnen liest, wie wir in anderen Formen, also etwa den menschlichen 163 Angesichtern, lesen. Ich setze diese Betrachtung hierhin, um darauf aufmerksam zu machen, wie sehr der Mensch seine Fähigkeit, sein Unterscheidungsvermögen Formen gegenüber zu gebrauchen und in den Formen zu lesen, entwickeln kann. Man mache sich das klar, indem man zwei Bilder wie 99 und 100 vergleicht und aneinander abwägt. An sich sind es ganz ähnliche Dinge : Garteneingänge aus Holz, in den Formen zwar nicht gleich, aber doch eben auch nicht so verschieden, dass eine Welt die Bestandteile trennte. Und doch : eine Welt trennt den Ausdruck dieser beiden Formen. Die eine ist traulich, anmutig und heiter, die andere entsetzlich trivial, ledern und dumm. Geradeso wie eine Welt der Empfindungen zwei Gesichter trennen kann, und haben doch beide Nasen, Augen und Ohren, die in derselben Weise angeordnet sind. Ganz gewiss sind unsere Augen, Ohren und Nasen Organe, die an Feinheit dem Bau einer Tür, und sei es der kompliziertesten, derartig überlegen sind, dass wir die Summe von Ausdruck in beiden nicht direkt vergleichen können. Natürlich, an dem Ausdruck eines menschlichen Auges ist mehr zu erkennen, als an unserer Gartentür auf Abb. 99. Dort ein ganzes Menschenleben, hier nur gewisse Grundstimmungen der menschlichen Anlage, die zu dem Bewohner und dem Vorübergehenden von dem Sinn des Erbauers sprechen soll. Aber bei aller Gradverschiedenheit handelt es sich doch um dieselbe Sache: die Fähig- 1 1* 164 BEISPIEL Abbildung 101 165 GEGENBEISPIEL Abbildung 102 166 keit, durch die Vermittlung des menschlichen Auges gewisse Ausdruckswerte zu erkennen. — Jetzt noch rasch einige erklärende Worte zu den übrigen Abbildungen der Garteneingänge. Abb. 101 ist das Steinportal eines Weinbergs, das aus der Barockzeit stammt. Trotz seines ornamentalen Schmucks wird die Hauptform des Ganzen, die den Begriff Portal zur Anschauung bringen soll, durch die Ornamentik nicht so überwuchert, dass diese Hauptform verschwindet. Auch Abb. 102 möchte den Begriff des „Portals" zur Anschauung bringen. Aber es bleibt beim guten Willen ; die Anschauung selber tritt nicht ein. Während die steinerne Wölbung auf Abb. 101 die Türöffnung klar erkennbar macht, trennt das dünne Eisen auf Abb. 102 den Türraum nicht klar erkennbar vom umgebenden Raum, und der Eisenstab wird zum unnützen Schnörkel, der nicht einmal irgendwelche ornamental-rhythmischen Lustgefühle auslöst, da seine Formen sinnlos und ohne Ausdruck sind. Selbst der sachliche Zweck, die Laterne zu tragen, ist in keiner Weise glücklich gelöst. Abb. 103 ist die allerprimitivste Form der Pforte in der Mauer, die überhaupt möglich ist. Sobald eine Mauer da ist, lässt sich auf wohlfeilere Art überhaupt keine Tür herstellen. Und doch wird man von dieser so einfachen Türanlage nur angenehme Eindrücke empfangen. Man darf nicht sagen, der Hauptreiz dieses Bildes sei durch das entstanden, was der Zufall schuf. Derselbe Zufall müsste 167 dann doch im Lauf der Jahre das Gärtchen auf Abb. 104 verschönern. Darauf wird im Ernst niemand warten. Was uns auf Abb. 103 anmutet, ist die sympathische Anlage, die sich bis auf die Pflanzen erstreckt, die doch auch in die Hand des pflanzenden und pflegenden iMenschen gegeben sind. Abb. 104 ist auch eine ganz bescheidene Anlage, die in den Hof kleiner Leute führt. Aber sympathisch ist sie nicht, alles kopflos zusammengesetzt, das Verschiedenartige eint sich nicht zum Ganzen, die Zierate sind nicht am Platz, auch die Blechtür erscheint dem Auge kalt und unfreundlich, und beständig hört man sie klatschend dröhnen und zufallen. Wen überkäme nicht beim Anblick einer solchen Anlage das trostlose Gefühl, das uns den meisten modernen Anlagen gegenüber beherrscht: dass das Leben nicht lebenswert sei ! Während uns bei den guten alten Anlagen von selbst eine derartige Heiterkeit überkommt, dass der Himmel uns lachend, die Erde licht erscheint. Dieselbe Wahrnehmung wird uns gegenüber Abbildung 105 und 106 beherrschen. Dies kleine Häuschen, das so lieblich in Grün eingesponnen ist, wird uns ohne weiteres zum Wohnsitz von Glück und Zufriedenheit, während sich dem rechten Bild gegenüber sofort das Gefühl von dumpfer Schwere, vom Unmut des modernen Lebens einstellt. Abb. 107 und 108. Dasselbe Bild. Man wird vielleicht sagen : Das erste Bild ist eben besonders „malerisch" auf- 168 BEISPIEL M»>>ei>--d^ -H,..vir. IS. «Abbilüting 10.^ 169 GEGENBEISPIEL Abbildung 104 170 BEISPIEL Abbildung lO.'i 171 GEGENBEISPIEL Abbildung 106 172 BEISPIEL Abbildung 107 173 GEGENBEISPIEL Abbildung 108 174 genommen. Ich kann nur konstatieren, dass sich bei solchen guten Anlagen das „Malerische" ganz von selbst als eine Begleiterscheinung einstellt. Ich bin an diesem Garten zu irgendeiner nicht vorher festgesetzten Tagesstunde mit meinem Kodak vorbeigekommen ; und sofort ordnete sich das Treppenmotiv zum angenehmen Bild. Aus der Anlage auf Abb. 108 könnte auch der geschickteste Künstler kein erträgliches Bild gewinnen. Alles ist hier kopflos angeordnet und erzeugt die ungemütliche Stimmung, die nur das versöhnend verdeckende Dickicht des wilden Weins im Hintergrund etwas mildert. Die beiden Pfosten der Tür sind steingrau angestrichene korinthische Säulen, die nichts tragen, aus denen aber seitlich zwei unendlich lange Türflügel herauswachsen. Um das dem Auge erklärlich zu machen, sind die Pfosten viel zu dünn. Vor der Treppe ist ein Löwe aufgestellt, der weder an sich besonders schön ist, noch die Treppenanlage bessert. Aber man macht überall dieselbe Erfahrung: alle Welt ist der Meinung, dass das Hinzufügen von Ornament oder sonstiger Kunst „verschönert", während diese Verschönerung nicht allein davon abhängt, dass die Zutat selber etwas taugt, sondern auch, dass der Ort, wo sie Platz findet, richtig gewählt ist. Abb. 109 und 110 decken sich gleichfalls in ihren Bestimmungen. Beide sind schmale Gartentüren, die nur dem Fussgängerverkehr dienen, da die Einfahrten gesondert angebracht sind. Abb. 109 ist ziemlich späten Datums; 175 die Tür mag wohl aus den dreissiger Jahren stammen. Für mein Gefühl ist sie eine der heitersten und freundlichsten Gartentüren, die ich kenne. Abb. 110 mit den mit Goldbronze bemalten Spitzchen ist mir eine der unangenehmsten Türen, die ich vorführe. Abb. 111 ist für mich das schönste Bild, das ich in dieser Sammlung habe. Es ist auch ein ganz besonderes Tor: es ist die Tür, die zu Goethes Gartenhaus im Park zu Weimar führt. Ich mag ihm kein Gegenbeispiel gegenüberstellen — seine Schönheit mag für sich sprechen. — Wenn man doch nur wieder allgemein begreifen wollte, dass es durchaus nicht nur Assoziationswerte sind, die für uns hier mitsprechen, sondern dass solch eine Tür eine kritische Zergliederung vertragen kann. Man zeige mir in der ganzen Welt eine zweite Tür, die mehr dem Sinn entspricht, als freundlicher Zugang zu einem heiteren Garten zu dienen, und die dabei mehr dem Material — dem durch Farbe geschützten Holz — entspricht. Abb. 112 führe ich noch an als Treppenaufgang von einer Einfachheit und Schmucklosigkeit, die kaum zu überbieten ist, so lange es sich um in Stein gebaute Anlagen handelt. Auch hier wird man das freundliche Gesicht der ganzen Erscheinung sofort erkennen. Aber wo findet man in allen unseren modernen Garten- und Villenkolonien einen Eingang, der sich auch nur mit diesem messen könnte? Abb. 113 ist eine gute alte Anlage, die in trauriger 176 BEISPIEL Abbi.Uuug 1U9 177 GEGENBEISPIEL Abbildung 110 Schultze-Naumbnrg, Kulturarbeiten II 12 178 Abbildung III 179 Abbildung 112 12* 180 Abbildung 113 181 Weise entstellt ist. An den beiden Seitenteilen bemerkt man noch die alten Holzgitter und kann den Bogen des oberen Querholzes verfolgen. Dies setzte sich natürlich in geschwungenem Bogen durch die Tür der Mittelöffnung fort, so dass diese Holmen in der Erscheinung ein Ganzes bildeten. Als die Mitteltür schadhaft wurde, meinte der Besitzer, dem Märchen von der Minderwertigkeit der hölzernen Türen Glauben schenken zu müssen. Er bestellte beim Schlosser eine eiserne Tür, und dieser setzte nun irgendeine hinein, die zu der Erscheinung des Eingangs gar keine Beziehung hat. Dass man eine zwar kleine, aber vollendete Harmonie zerstörte, davon ahnt der Besitzer gewiss nichts. Ähnlich auf Abb. 114. Die Pfosten mit den Kugeln verraten noch, dass es sich um eine einst gewiss sehr schöne Tür handelt. Die alten Türangeln sitzen noch im Stein, man kann sie auch im Bild deutlich sehn. Sicherlich sass da eine hohe Holztür, die die Pforte bis zu derselben Höhe schloss, wie der Holzzaun rechts und links von der Tür, wodurch die Höhe der Pfosten gerechtfertigt wird. Neue Zeit hat auch hier ein eisernes Tor eingeflickt, das zu der ganzen Anlage ohne den geringsten Zusammenhang steht. Es ist traurig zu sehen, wie Jahr für Jahr Unmengen guter Vorbilder fallen und durch solche und ähnliche Anlagen ersetzt werden, die dann leider wieder als Vorbilder dienen. 182 Abbildung 114 183 Abbildung 115 184 BEISPIEL At)i)ilcitin^' lli> 185 GEGENBEISPIEL Abbildung 117 186 Abbildung 118 187 In Abb. 115 zeige ich noch einen schönen alten Weinbergeingang mit grossen Barockvasen. Abb. 116 ist ein moderner Eingang, an dem wir erkennen können, dass gewiss nicht die Jahreszahl der Entstehung, sondern lediglich der Sinn des Erbauers massgebend ist. Allerdings lehnt sich dieser Garteneingang an die Formen alter Zeit an, aber was hat sich denn auch am Wesen des Garteneingangs so geändert, dass wir das nicht mehr dürften? Auch das grösste Genie vermöchte nicht etwas Gutes hervorzubringen, ohne sich auf die Schultern seiner Vorgänger zu stellen. — Soweit in dem Vorhergehenden die Rede von der Gestaltung des Gartenterrains war, geschah es immer in seiner Beziehung zum Garteneingang, das heisst in seiner Lagerung zum Zugang oder zur Strasse. Die Betrachtung der Terraingestaltung selbst muss hier folgen. Es wäre eine fast unmögliche Aufgabe, alle Terraingestaltungen, die bei Gärten vorkommen können, aufzuführen. Jedenfalls fällt es nicht in die Aufgabe dieses Buchs, das zum Nachdenken anregen will. Es wird deshalb genügen, wenn ich zu den übrigen Beispielen, die als Folgeerscheinungen anderer Betrachtungen sich von selbst ergaben, noch einige verschiedener Art hinzufüge. Wenn man die prinzipiellen Ergebnisse aus den wenigen Beispielen in seine Erkenntnis eingereiht hat, so werden sich diese Ergebnisse bei anders gearteten Anlagen von selbst herausstellen. Ich nehme Beispiele, wie ich sie gerade zur Hand habe: einen Garten in der Stadt, einen in der Vorstadt, einen am Fluss und einen auf dem Berg. Abb. 118 ist ein Garten in einer Stadt, die auf welligem Terrain angelegt ist. Der Teil, auf dem das alte Patrizierhaus unseres Bildes steht, bildete eine schiefe Ebene, deren tiefste Steile im Hintergrund lag (im Bild also links) und deren Höhepunkt sich nach oben (im Bild also rechts) hinzog, wie sich aus der Abbildung noch ""^arltn-kiitiu iiiiuniimimiim ni lHiiHiiiiimiiauHii Abbildung 119 erkennen lässt. (Siehe auch Abb. 119.) Die Haus- und Gartenanlage schuf dies Naturgebilde in ein Gebilde aus Menschenhand um, indem es die gegebenen Bedingungen geschickt benutzte. Der Baumeister sagte sich: der Teil des Anwesens rechts (vom Standpunkt des Beschauers aus gesehn) liegt hoch, die Strasse liegt tief. Wenn wir aus dem allmählichen Übergang von tief zu hoch einen schroffen Übergang machen, das heisst eine Terrasse vorschieben, die die schiefe Linie in zwei horizontale und eine vertikale zerlegt, so gewinnen wir sehr viel und verlieren nichts. 189 Dadurch, dass das Haus auf den Rand der Terrasse zu liegen kommt, erhebt es sich hoch über die Strasse, liegt aber mit seinem Garten auf einer Ebene. Das hat den Vorteil, dass man sehr bequem auf und in die Strasse blicken kann, die Leute draussen uns aber nicht in die Erdgeschossfenster gucken können, das Haus dadurch auch sicherer wird. Nebenbei fügt sich von selbst das schöne Motiv der hohen Freitreppe dazu. Trotz der Höhe sind wir aber von unserm Garten nicht getrennt, sondern wir brauchen nur über einige Stufen aus dem Gartenzimmer in das Garten parterre hinabzuschreiten. Abb. 120 und 121 zeigen vorzügliche Lösungen solcher Ausgänge. Der Garten liegt nun auch so hoch über der Strasse, dass das Strassenleben uns nicht mehr stören kann. Wir können zwar jederzeit bequem hineinblicken, wenn wir an den Rand des Gitters treten ; wir können uns auch eine versteckte grüne Laube auf dem hohen Rand anlegen, aber uns kann man nicht sehen, wenn wir in der Mitte oder im Hintergrund des Gartens wandeln. Wir können uns, wenn wir Lust dazu haben, im Morgengewand im Garten ergehen, denn nicht einmal von den Nachbarhäusern kann man uns sehen. Auf der einen Seite schützt uns das eigene Haus, rechts ist das Terrain ohnehin frei, gegenüber liegt eine Kirche, an die vierte Seite grenzt ein Nachbargarten, dessen Haus, hinter Bäumen versteckt, ziemlich weit entfernt liegt. Im Hintergrund des Gartens er- 190 Abbildung 120 191 hebt sich wieder eine Mauer, die als schützender Abschluss ein reizendes Motiv bildet, in der sich Grotten anlegen lassen, die man mit Efeu umspinnen, und in deren Schatten man Bänke setzen kann. Es ist ein kleines Paradies, was auf diese Weise entstanden ist, und die Leute, die es bewohnt haben, haben sich's Wohlergehen lassen darin, das braucht man nicht zu errechnen, das sieht man. Natürlich stellt sich für den Widerspruchsgeist sofort automatisch der Einwand ein, auf den ich schon mehrfach zurückkommen musste: „Ja, das ist ja ganz schön, aber so eine Anlage ist ja viel zu teuer." Amen. Wer Lust hat, der folge nachstehender Rechnung. Eine Anlage wie die auf Abb. 118 würde nach heutigen mittleren Baupreisen für Haus und Garten etwa 150 000 bis 200 000 Mark kosten. Moderne Villen- und Gartenanlagen, die 200000 Mark kosten, sind in den letzten Jahrzehnten in Deutschland durchaus keine Seltenheit mehr. Die Villenanlagen, die begüterte Leute sich jetzt in grossen und kleinen Städten erbauen, mögen zumeist diese Summe erreichen, oft auch überschreiten. Eine Futtermauer von der Länge wie auf Abb. 118 (man sieht im Bilde nicht die ganze Länge) lässt sich in Bruchstein für 4—5000 Mark herstellen. Dazu kommt noch einmal eine Summe für Erdarbeit. Das macht etwa 6—8000 Mark, alles sehr hoch gerechnet. Diese Summe, die recht klein ist im Verhältnis zu den Gesamt- 192 Abbildung 121 193 baukosten, wäre also notwendig, um das Fundamentale zu schaffen, die Hauptsache der ganzen Anlage, von deren Vorhandensein oder Nichtvorhandensein die Schönheit des Ganzen abhängt. Sehe ich daraufhin unsere hier in Frage kommenden modernen Anlagen an, so mache ich immer wieder die Beobachtung, dass für sie oder zu ihrem „Schmuck" Summen verausgabt werden, die doppelt und dreifach so gross wie die oben genannte sind. Betrachte ich dann das für diese Summen Geleistete, so komme ich zu dem Schluss, dass die ganze Anlage nur gewinnen würde, wenn man diese Zutaten, die schmücken sollen, einfach entfernen könnte. Ich brauche nicht weiter darauf einzugehen, mein ganzes Buch handelt ja davon, und wer mich verstehen will, der weiss auch, was ich meine. Würde man die zur Verfügung stehenden Gelder am richtigen Ort verwenden, so würden sie auch heute noch überall zu praktischen, sinnvollen und angenehm zu benutzenden Anlagen reichen. Abb. 122 zeigt den einfachen Garten an einer Strasse, die durch die Vorstadt ins Freie führt. Vernünftigerweise ist auch hier die Hauswand in die Strassenfront gesetzt, so dass das Haus Strasse und Garten verbindet und beide gleicherweise beherrscht. Das schlichte, einfach als Würfel gestaltete Haus mit dem Dach in ebenso einfacher Pyramidenform wirkt, wie immer, trotz des Fehlens jeglichen Schmucks, sehr freundlich und heiter. Was kann man Scbultze-Naumburg. Kulturarbeiten II 13 194 Abbildung 122 195 von solch einfachem Häuschen noch mehr verlangen? Wieviel das schon bedeutet, wird man einsehen, wenn man sich darüber klar geworden ist, dass die meisten Vorstadthäuser aus der modernen Zeit die Gegend auf Sehweite veröden. Der Garten ist hier ebenfalls durch eine kleine Futtermauer über das Strassenniveau erhoben und zur Ebene gemacht. Wie heiter sind diese alten Gartenvorstädte, in denen man zwischen Mauern und Grün und freundlichen weissen Häuschen umherwandeln konnte und überall immer nur das eine sah, dass nämlich die Menschen sich Häuser bauten, um gemütlich drin zu wohnen, und Gärten anlegten, um sich heiter darin zu bewegen. Abb. 123 zeigt die Anlage am Fluss. Auch die Flussufer bildeten ursprünglich eine schiefe Ebene mit wechselndem Gefälle der Böschung. Um dem Fluss ein Stück seines Hochwasserterrains abzugewinnen, schob man die hohe Mauer nach Art unserer öfter besprochenen Terrassenbildung ziemlich weit vor und schuf so ein ebenes Terrain, das man zum Garten umwandelte. Unter sich hatte man nun das Hochwasserbett des Flusses, das sich im Sommer in einen üppigen Rasenteppich verwandelte. Das Gartenhaus lag weit vorgeschoben auf dem Rande der Mauer, von vorn geschützt durch ihre Höhe, von hinten durch die Bäume des Gartens. Abb. 124 und 125 zeigen die Anlage auf einem Berg. Auf dem Plateau dicht am Rande des steilen Abhangs 13* 196 Abbildung 123 197 Abbildung 124 198 Abbildung 125 199 zieht der Garten sich hin. Hier ist die Terrassenbildung derartig durch das Terrain gefordert, dass man ihr kaum entgehen konnte. Frühere Zeiten sind dieser natürlichen Forderung stets nachgekommen, und die Gebilde, die dann entstanden, gehören zu den schönsten Blättern in der Geschichte des Gartenbaus. Unser erstes Bild zeigt die obere Terrasse, auf der höchsten Kante des Terrains. Das niedere breite Mäuerchen rechts, an dem die Allee von Rosenstämmchen sich hinzieht, ist natürlich nur der oberste Teil der hohen Futtermauer, die steil nach der zweiten Terrasse zu abfällt, zu der Steintreppen hinabführen. Abb. 125 ist die zweite Terrasse. Links erscheint die mit Weinlaub dicht umkleidete Wand der oberen Terrasse, der ein Streifen mit blühenden Pflanzen vorgelagert ist. Rechts auf der Mauerkante zieht der Weg sich hin. Die Mauer springt hie und da bastionartig vor, so dass der Blick von diesen Plätzen aus meilenweit talauf und talab schweifen kann. Selbstverständlich ist das eine ausserordentlich grosse und reiche Anlage. Aber ich kenne doch ganz neue Villen- oder Schlossanlagen, wo nur Einsicht, nicht die Mittel dem Erbauer fehlten, um etwas ähnlich Schönes zu schaffen. Wie oft ist ähnlicher Aufwand gemacht worden ! Und doch, wo es geschah, hat man meist durch missverstandene Stilfexerei und Ornamentprotzerei den Eindruck des Ganzen verdorben. Noch einige Beispiele für Terrassenanlagen. Abb. 126 ist der zurückliegende Teil des Gartens, dessen vordere 200 BEISPIEL Abbildung 126 201 GEGENBEISPIEL Abbildung 127 202 Terrassen Abb. 124 und 125 zeigen. Das Terrain ist hier flacher; trotzdem hat man mit Bedacht die schrägen Neigungen in ebene und senkrechte Flächen aufgelöst und dadurch den Garten in Räume gegliedert, die sich dem Auge stufenweise im angenehmsten Wechsel darbieten. Dass malerische Bilder wie Abb. 126 durch die gute Anlage und nicht durch „Zufall" entstehen, mache man sich durch den Vergleich mit Abb. 127 klar. Bei ersterer überschneiden sich Terrasse und Gebäude in reizvollem Wechselspiel der Linien. Diese dem Auge so wohlgefällige Anordnung stellt sich aber bei genauer Prüfung als das logische Ergebnis einer Reihe von Nützlichkeitsforderungen heraus. Die obere Terrasse muss diese Höhe haben, um als ebene Zufahrt von der Strasse nach dem Hauseingang zu dienen, während die tiefer liegenden und windgeschützten Terrassen der gegebene Ort für eine Rosenzucht werden. Ferner ergibt sich durch weitere Durchbildung dieser Terrassengestaltung eine Reihe von angenehmen Zugängen, Verbindungen verschiedener Orte usw., die allerdings nur auf genauen Plänen dargestellt werden könnten. Von Abb. 128 (Abb. 78 wiederholt) sprach ich schon auf S. 115—122. Man versteht auch hier sofort, dass der untere, vorn liegende Teil des Gartens einen ganz anderen Charakter haben muss als der obere. Auf dem Gegenbeispiel dazu sind lauter spitze Steine aufrecht in die Erde gesteckt; warum, weiss ich nicht. Abb, 130 muss jedem ein vertrauter Anblick sein. 203 Diesen einfachen Garten mit einer niedrigen Terrassenbildung gibt es in jeder alten Stadt. Das Bild mag für sich selbst sprechen. Bei Abb. 131 lehnt sich eine Laube auf die natürlichste, netteste Weise in einer Ecke an Futtermauer und Aussenmauer an. Abb. 132 ist eine Terrasse mit Treppchen weiter oben im selben Garten. Die Mittel, die wir ausser der eigentlichen schon besprochenen Architektur zur Gestaltung des Gartenterrains zur Verfügung haben, sind im wesentlichen : Wege, Rasenflächen, Pflanzen, Sträucher, Bäume, Wasserbecken und die kleinen architektonischen Zutaten wie Treppen, Brücken, Bänke usw. Die fundamentalste Arbeit nächst der Schaffung der Terrainfläche selbst ist das Ziehen der Wege. Sie entspricht, wenn man es mit dem Bilde nicht zu streng nehmen will, ungefähr dem Einteilen des Hauses in Zimmer. Auch hier wieder wollen wir uns über die Art und Weise, wie alte und neue Zeit sich dieser Arbeit entledigten, an Bildern unterrichten. Wenn man den grossen Gegensatz der alten zu den neuen Gärten in eine kurze Formel fassen wollte, die den Gegenstand zwar nicht erschöpft, aber doch mit einem Schlagwort ziemlich deutlich kennzeichnet, so würde das heissen : „Hier gerade — dort krumme Wege." Wer hat da nun recht? fragt der Unbefangene. Ich möchte meine Meinung nicht als diktatorisches Urteil vorausschicken, 204 BEISPIEL Abbildung 128 205 GEGENBEISPIEL Abbildung 129 206 Abbilduni; 130 207 Abbildung 131 208 AbhildunK 133 209 sondern möchte den Gedankengang niederschreiben, den der Leser notwendig durchlaufen muss, um selber zu der Lösung zu kommen. Auch wenn dieser Gedankengang etwas weitschweifig erscheinen wird, sollte man ihn doch mitmachen, da er zur Klärung der Begriffe absolut notwendig ist. Zunächst wird man sich gestehen müssen, dass Wege Menschenwerk, kein Naturprodukt sind. Wege sind die von Menschen zunächst für den Menschenfuss gebahnten Verbindungen zweier Punkte. Für den Menschenfuss gebahnt, darauf liegt der Schwerpunkt. Denn gebahnte Verbindungen zweier Punkte für andere sich bewegende Objekte kennt die aussermenschliche Natur sehr wohl. Der FIuss ist eine solche, der die beiden Punkte : den höchsten, die Quelle, mit dem tiefsten, der Mündung, verbindet und eine geschaffene Bahn darstellt. Allerdings eine für die Laufart des Wassers geschaffene. Ein Giessbachbett, ein Flussbett haben ihre daraus hervorgehenden Formen. Die Formen unserer Wege werden durch die Bedingungen bestimmt, die aus dem Wesen unserer Gehwerkzeuge, unserer Zugtiere und unserer Fortbewegungsmaschinen hervorgehen. Sie stellen entweder horizontale oder schiefe Ebenen dar; eine Nebenform ist die ausschliesslich für den menschlichen Fuss berechnete Form der Treppe: die Aneinanderreihung horizontaler Ebenen mit ansteigender Niveauhöhe. Wenn der Mensch von einem Punkt zu einem andern Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 14 210 213 gelangen will, die beide auf einer Fläche liegen, und es trennt die beiden Punkte kein Hindernis, so wird er direkt von dem einen auf den andern zugehen. Sein Weg wird dann eine gerade Linie beschreiben. Der im Winkel gezogene Weg entsteht, wenn ein Hindernis im Wege liegt, das umgangen werden muss. Ist es ein umfangreicher Gegenstand, etwa ein Berg, so entsteht anstatt des Winkels die Kurve. Ebenso entsteht die Kurve dort, wo starke Anhöhen überwunden werden müssen. Wollte man die beiden zu verbindenden Punkte, Höhe und Tiefe, geradlinig verbinden, das heisst den Weg direkt den Berg hinauflaufen lassen, so würde, sobald ein gewisser Neigungswinkel überschritten ist, eine Steigung entstehen, die für rollend sich fortbewegende Fahrzeuge nicht mehr benutzbar ist, bei etwas stärkerer Neigung aber auch für den Fuss nicht mehr bequem wäre. Bei Steigungen von über 30^^ würde das Gehen sich schon dem Klettern nähern, das dann das Terrain mehr treppenartig benutzt. Will man in solchen Fällen allgemein benutzbare Wege schaffen, so wird man auf Kosten der Kürze der Verbindung die Wegfläche weniger steil machen, das heisst man zieht den Weg in langen Kurven den Berg hinan. Man kommt dabei auf eins der fundamentalsten mechanischen Gesetze, das Gesetz von Kraft und Zeit, die im umgekehrten Verhältnis zueinander stehen. Um in den langen flachen Kurven den Berg hinaufzufahren, braucht man allerdings einen viel geringeren Kraftaufwand, als zum steilen in die Höhe Klim- 114 AbbilduHK 13h 215 men, dafür muss aber ein entsprechend grösserer Raum durchmessen und bei gleicher Geschwindigkeit entsprechend mehr Zeit verwendet werden. Das sind die gesamten Grundbedingungen, nach denen unsere Wege angelegt werden. Ihre übrigen Formen entstehen nach Massgabe der auf der Bahn zu bev;egenden Objekte. Ein Fussteig kann im Winkel von 90 ^ umbiegen, ohne dem sich verhältnismässig langsam zu Fuss fortbewegenden Menschen Schwierigkeiten in der Benutzung zu machen. Die Rollbahn der Eisenbahnschienen • braucht bei unseren heutigen Geschwindigkeitsverhältnissen Kurven von nicht unter 180 m Radius — bei den zukünftigen Schnellbahnen wird indessen der Radius ganz bedeutend grösser sein müssen. — Die von Wagen befahrenen Landstrassen werden die Mitte zwischen diesen beiden Extremen halten, immerhin aber auch überall scharfe Knicke vermeiden und sich geschwungener Kurven bedienen müssen. Dass ein Blick auf unsere Landkarten selten gerade Linien der Strassen zeigt, liegt daran, dass diese Kartenlinien erstens bedeutende Verkleinerungen, ferner überall die Summe vieler Wegverbindungen darstellen. Sobald Punkt A und B verbunden sind, läuft die Fortsetzung des Weges auf den dritten zu verbindenden Punkt C los, und nur ein Zufall könnte es wollen, dass soundso viel zu verbindende Punkte alle auf einer Geraden liegen. Das Resultat unserer Beobachtung ist: der Mensch 216 AbbildunK 137 217 schafft die Verbindung zweier Punkte, soweit es ihm möglich ist, immer geradlinig, da er als vernunftbegabtes Wesen sein Ziel zuvor ins Auge fasst und gerade darauf zuschreitet. Er weicht nur dann von dieser Regel ab, wenn die Bedingungen Ursache dazu geben. Man könnte nun wohl einwerfen : das sei aber doch recht langweilig, wenn es wirklich der Fall wäre. Doch ist das wohl erst zu beweisen. Ich wüsste aber nicht, wie dieser Beweis zu erbringen wäre. Die geradlinige Allee schafft die unendliche Perspektive, die nichts weniger als langweilig ist. Wenn es langweilige geradlinige Wege gibt, so liegt die Ursache an ihrer trostlosen Umgebung, nicht an der Geradlinigkeit der Wege. Sind die Abb. 133, 136, 137, 138, 139, 141, 143, 149, 150, 152, 153, 154, 155, 156 usw. langweilig? Wenn aber die gewundenen Strassen und Wege auch schön sind, so sind sie es, weil aus den in dem besonderen Fall gegebenen Verhältnissen heraus die Kurve in ihrer Richtung bedingt ist, nicht weil die Kurve a priori schöner wäre, als die gerade Linie. Sehen wir uns nun danach in der Wirklichkeit um. Abb. 133 ist aus einem alten Garten genommen, der als Muster einer guten Anlage dienen kann. Die hier gezeigte breite Allee durchschneidet ihn in der Mitte in seinem Längsdurchmesser und bildet die Verbindung des Schlösschens, das an einem Ende des Gartens liegt, mit der erhöhten Terrasse, die durch die Bresche der Mauer hindurch den Blick ins Tal zulässt. Diese geradlinige Ver- 218 AbbilüuiiK 138 219 bindung ist nun einmal tatsächlich die einfachste Verbindung- vom Ostende zum Westende des Gartens, die beim Durchwandern die entzückende Perspektive der jungen Bäume zeigt; zweitens aber gliedert sie den Garten, der durch sie in zwei Hälften, die nördliche und die südliche, zerfällt. Auch diese werden wieder rechtwinklig von einigen geradlinigen Wegen durchschnitten, die natürlich bei der geringeren Querausdehnung des Gartens weniger lang sind (Abb. 143 und 150) und die ihrerseits den Garten weiter gliedern. Die früheren Gartenkünstler wussten aber sehr wohl, dass uns Menschen mit breiten, behaglichen Wegen zum Lustwandeln allein nicht gedient ist, wenn wir den Garten geniessen wollen, sondern dass wir auch nach schattigen, versteckten, lauschigen Plätzchen, Laubgängen, Lauben und kühlen, efeuumsponnenen Mauern verlangen. Alles das ist in unserm Garten wunderschön vorgesehen. Seine an sich rechteckige Grundform wird durch die rechtwinkligen Wege in eine Anzahl weiterer Rechtecke und Quadrate zerlegt. Das ist allerdings eine an sich ganz geometrisch-architektonische Gestaltung. Aber diese Rechtecke selber bergen nun ein entzückendes Dickicht, das wie geschaffen ist zum Sichverstecken. Man betrachte Abb. 139. Hier durchziehen lauschige Wege die stockwerkhohen Laubwände, deren Kronen sich über den Wandelnden wölben. In der Mitte des Wegs liegt eine bedachte Laube, deren Formen auf Abb. 66 grösser dargestellt sind. Die hohen Laubwände schliessen manchmal 220 AbbilduiiK l-)*« 221 kleine Höfe ein, zu denen nur irgendein schmaler Schlupf führt. Nicht alle Felder des Gartens müssen so mit Buschwerk gefüllt sein. Innerhalb des einen breitet sich ein geräumiges Wasserbecken aus, über das noch zu reden sein wird. Ein freier Raum dient zum Spielen, eine kreisförmige Hecke bezeichnet den grossen runden Platz (Abb. 140). Ein anderer Plan ist mit Bäumen bepflanzt, in deren Mitte ein Pavillon steht (Abb. 68). An der nach Süden gerichteten Seite der Aussen-Mauer zieht sich ein schattiger Weg hin, dessen Grotten und Lauben kühlen Aufenthalt gewähren. Bei all dieser Abwechslung, die überall die malerischste Erscheinung bietet, sind die Wege in dem ebenen Gartengelände doch überall gerade geblieben. Nur da, wo ein erkennbarer Zweck und ein besonderer Grund vorliegt, weichen die Wege von der geraden Linie ab. Um einen kreisrunden Platz, dessen Mitte ein plätschernder Brunnen ziert, läuft ein Weg im Laubgang, der genau der Kreisform folgt. Hier erkennt man sofort beim Betreten die Notwendigkeit der Rundung der Wegrichtung. Ebenso biegt ein Weg, der in ein Versteck führen soll, im Dikkicht um. Man b>etrachte nun die Weganlagen unserer Gärten von heute. Die geraden Wege hat man längst aufgegeben, unter der Begründung, sie seien steif und unnatürlich. Die Wege, die man jetzt zieht, folgen bis auf den heutigen Tag immer noch im Grundriss einer Brezel oder Herz- 222 Abbildung 140 i 223 und Nierenformen. Auf den Abb. 134, 135, 142, 144, 148, 151 sieht man sie angedeutet. Suchen wir uns der Reihe nach die Beweggründe für diese Formen und tclären wir uns über die Begriffe auf. Man behaupte also, die geraden Wege seien unnatürlich, und mit den geschlängelten Wegen folge man der Natur. Dass das hier eine inhaltslose Redensart ist, wird man erkennen, wenn man sich des vorhin vom Wesen des Weges (Seite 209 u. f.) Gesagten erinnert. Die „Natur" kennt keine Wege, die für den Menschenfuss gemacht sind; die muss immer erst der Mensch machen. Der Fluss, der Giessbach bahnen sich auch ihre Wege, verleugnen dabei aber nicht ihre nur ihnen eigentümlichen Formen. Ebenso wird der Menschenweg nicht seinen Stil verleugnen dürfen, der sich als Menschenwerk in einen gewissen Gegensatz zu der aussermenschlichen Natur setzt, indem er diese meistert und sie seinen Zwecken unterwirft. Also könnte man mit dem Hinweis auf die „Natur" höchstens meinen : die Menschenwerke draussen in der Wiese, im Feld, im Wald. Was nun zunächst die Wege in den Wiesen und im Feld angeht, so muss eine recht oberflächliche Beobachtung der Meinung zugrunde liegen, sie schlängelten sich im Stil dieser Gartenwege. Wege auf Feld und Wiese sind zunächst reine Nutzwege, die der Landwirt für seine Leute und Wagen anlegt. Er denkt gar nicht daran, diese ohne Grund von ihrer Zielrichtung abweichen zu lassen. Diese Wege führen 224 BEISPIEL Abbildung Ul 225 GEGENBEISPIEL Abbildung 142 Scbultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 15 226 BEISPIEL Abbildung 143 227 GEGENBEISPIEL Abbildung 144 15* 228 BEISPIEL Abbildung 145 229 GEGENBEISPIEL ^^^;;^ ^'' 230 auf ebenem Gelände fast immer gerade von Ziel zu Ziel. Da ein Weg nun meist mehrere Ziele berührt, so entsteht nur dadurch ein Abweichen von einer einzigen Geraden. Sobald natürlich Terrainsteigungen zu überwinden sind, tritt das andere Prinzip ein, das wir ja schon besprachen. Auch von den anderen Ursachen zur Abbiegung der Wege war schon die Rede: das Hindernis im Weg. Das kann natürlich von mannigfachster Art sein, in dem Hang eines Bergzugs oder dem Lauf eines Baches bestehen, dem man folgen muss. Fluss- und Bachläufe machen oft die anmutigsten Schwingungen, und auch der Weg, der sie begleitet, paraphrasiert diese Anmut. Folglich müssen doch also auch Gartenwege, wenn sie solche Windungen zeigen, anmutig sein, nicht wahr? Hier setzt das Missverständnis ein. Zunächst das eine, grosse, auf das immer wieder bei unsern Betrachtungen hingedeutet werden muss, weil es im Grunde auf etwas Unethischem, dem Mangel an Ehrlichkeit, beruht. Wenn man nämlich Gärten anlegt, so muss man bekennen : ich mache jetzt einen Garten, das heisst ein Menschenwerk, und darf nicht so tun, als ob man ein Flussgott wäre, der sein Bett durch die "Wiesen schlängelt. Lässt man dann aber gar die Ursachen, die die gewundenen Linien draussen in der Wiese erst hervorriefen (also etwa den Fluss, den Berg usw.), weg und behält nur noch die nun leere, sinnlos gewundene Linie übrig, die rein gar nichts mehr ausdrückt, so gelangt man ins Gebiet des Lächerlichen. 231 Aber auch von dieser inhaltlosen Linie wird vor dem Gebrauch erst noch ein verdünnter Aufguss gemacht. Die durch bestimmte Verhältnisse in Feld und Wiese verursachten Windungen der Linien sind von sehr grossen Dimensionen. Unsere Gärten sind, dagegen gehalten, sehr klein. Man verkleinert also dementsprechend einfach die Windungen, bis schliesslich Wege herauskommen, auf denen man sich keinen Schritt mehr vorwärts bewegen kann, sondern beständig bald rechts bald links taumelnd durch den Garten tänzeln muss. Aber immer noch mehr. Die ersten Versuche, Wegwindungen zum Handgebrauch im Garten gleichsam auf Flaschen zu ziehen, liegen weit zurück. Tempi passati. Seit jenen ersten Versuchen hat offenbar kein Gartenkünstler der Brezelwege die Vorlagen in Feld und Wiese mehr recht angesehen. Denn die Windungen sind in einer Weise vernudelt und in dieser Form eingetrocknet, dass sie nun auch jede letzte Ähnlichkeit mit dem an sich schon missverstandenen und an falscher Stelle angewendeten Vorbild verloren haben. Die alten Waldwege zeigen allerdings selten eine gerade Richtung. Wo das Terrain ansteigend ist, findet das seine Erklärung schon aus den Umständen, die auf Seite 213 beschrieben sind. Im Wald auf ebenem Terrain muss man sich aber das Zustandekommen der Pfade doch so denken : Der Erste, der seinen Weg durch das Dickicht suchte, lief einfach da, wo Lichtungen waren und dün- 234 neres Unterholz ihm den Weg nicht versperrte. Den Bäumen musste er ohnehin ausweichen. Seitdem mehrere den Weg gingen, wurde er immer mehr gebahnt, behielt aber seine schlängelnde Richtung, die vom beständigen Ausweichen herrührte. Das gilt vom Waldpfad. Ganz anders liegen die Verhältnisse bei der Strasse, die man durch den Wald anlegte. Hier gilt kein Ausbiegen, sondern herrisch schlägt sich die Menschenhand den Hohlweg durch das grüne Dickicht. Dass ein Imitieren des Waldpfads im Garten, dessen Bäume man erst anlegt, nicht dem Sinn „Garten" entsprechen kann, muss einleuchten. Gesetzt, es wäre möglich, das Wesen des Waldes mit all seinen reizenden Zufälligkeiten getreu zu kopieren, so Hesse sich über den Wert einer solchen Kopie eventuell reden. Sie ist aber sehr viel schwieriger, als man sich vorstellt, ja, sie ist unmöglich. Denn das, was wir Zufälligkeiten nennen, sind ja im Grund so unendlich verschlungene Gesetzmässigkeiten, dass wir sie nicht entfernt zu durchschauen, geschweige denn nachzuahmen vermögen. Sie aber als Zufälligkeiten absichtlich nachzuahmen, ist jener kulturfeindliche Widersinn, der stets das Zeichen aller Verfallzeiten bildete. Der Erkenntnis der Richtigkeit dieses Gedankengangs muss sehr bald die Frage folgen : Ja, wie sollen wir denn nun unsere Wege anlegen? Ich kann nur das eine antworten: immer dem 235 Sinne nach. Gerade wie bei einem Hausbau. Man besehe sich zunächst sein Terrain, und dann mache man sich klar, was man auf diesem Terrain haben möchte — hier eine Laube, da ein Gartenhaus, dort einen Spielplatz. Und dann überlege man sich : wie gelangt man am einfachsten von der Haustür zum Gartenhaus, wo ist eine Treppe notwendig, wo erleichtert eine Futtermauer die Gestaltung des Terrains, und wo sind nun Verbindungen der einzelnen Organe des Gartens notwendig. Diese Verbindungen sind die Wege. Und so werden sie auch am schönsten sein. Hier noch ein Seitengedanke: es ist sehr bezeichnend für die Kopflosigkeit und Gedankenlosigkeit unserer Zeit, dass man die Gesetze bei Garten- und Städteanlagen gerade verkehrt hat. Beim Städtebau legt man heute nur noch schnurgerade Strassen an, vermeidet jede Biegung und Krümmung, und schafft dadurch lauter Windschachte, die nicht mehr den Schutz bieten, den die Stadt geben sollte — von dem ästhetischen Denkfehler ganz abgesehen, der die Schachte unübersehlich und ein Betrachten der Häuserfassaden unerquicklich macht. Den Weg aber, der frei über die offene Wiese läuft — den biegt und rundet man ohne jeden Grund. Auch da, wo man Wasserbecken oder Wasserläufe anlegt, macht man es nicht besser. Wenn man in seinem Garten ein Wasserbecken baut, so soll man eben zeigen, dass der Mensch diese Formen geschaffen hat. Es ist 236 Abbildung U<> 237 ein unwürdiges Versteckspiel, wenn wir so tun wollen, als ob es gar keine Gartenanlage wäre, sondern als sei es der Tümpel, der von der letzten Überschwemmung zurückgeblieben ist. Der Tümpel und der Waldweiher haben ganz spezifische Formen. Liegt zufällig irgendwo neben einem Garten ein Waldweiher, so liegen eben zwei verschiedene Dinge nebeneinander: das eine ist Garten, das andere ist Waldweiher. Käme nun eines Tages der Gartenbesitzer auf die Idee, den Weiher anzukaufen, so bliebe der trotzdem Weiher, selbst wenn der Mann ihn einzäunte und seinem Garten einverleibte. Wäre nun das zwar auch keine Gartenanlage, so könnte einen der Besitz ja trotzdem freuen, denn wer sässe nicht gern an einem Waldweiher, besonders wenn es sein eigener Privatw^aldweiher wäre. Nun denke man sich aber den Fall, ein Mann möchte gern solch einen Waldweiher gerade auf seinem Grundstück haben, es sei jedoch beim besten Willen keiner in der Nachbarschaft zu kaufen. „Gut," sagt er, „machen wir uns einen." Und er finge nun an, sich einen Waldweiher genau zu kopieren. Er höbe das Terrain ganz so aus, dass es wie der eingesunkene Boden im Wald aussähe. Er gäbe sich unendliche Mühe, alles so zu gestalten wie beim wirklichen Waldweiher; die Uferränder, das Schilf, die Uferpflanzen — was wäre eigentlich der Sinn des mühevollen Werks? Eine wirkliche Kopie eines Stückchens reiner Natur ist nicht möglich, wie wir vorhin sahen. Übrigens fällt es den Gartenkünstlern gar nicht ein, auch 238 BEISPIEL .\l)illiLlllll|^ l.lU 239 GEGENBEISPIEL Abbildung 151 240 nur den Versuch zu machen, den Waldweiher oder eine andere Naturform irgendwie genau oder doch mit liebevoller Beobachtung zu kopieren. Sondern es gibt in ihrer Theatergarderobe ein Requisit, das heisst „der Teich", und dies jämmerliche Ding wird nun schon seit länger als einem halben Jahrhundert in den Garten eines jeden Mannes gesetzt, der sich beim „Oartenkünstler" ein Wässerchen bestellt. Im Preiskurant ist es als „f. f. hochpoetisch" bezeichnet, und beim Publikum ist es seit langer Zeit ein sehr beliebter Artikel. Der Waldweiher ist draussen im Wald meist ein ziemlich rundes Wasserbecken, seltener streckt er sich in die Länge, nur bei seeartiger Ausdehnung und besonderer Terrainbildung kommen Buchten und weitgedehnte Krümmungen der Uferlinien vor. Die Teiche unserer heutigen Oartenkünstler haben bei 20 Fuss Ausdehnung 25 Kurven und sollen wahrscheinlich einem riesigen Landsee auf einer tausendfach verkleinerten Landkarte, mit weitverzweigten Buchten, Armen und Zipfeln gleichen, um an Reichtum der Form und Gestaltung jenen wirklichen Seen gleichzukommen oder sie zu übertreffen. Handelte es sich um das Modell eines Sees, in der Art, wie es plastische Modelle von Städten oder Gebirgen gibt, die dem geographischen Unterricht dienen — gut. Was das im Privat- oder Stadtgarten zu tun hat, wird zwar niemand zu sagen wissen. Aber darum handelt es sich ja in keiner Weise. Man besehe sich Abb. 148. ist das nicht eine unwürdige, kindische Spielerei? Damit die hehre 241 Illusion recht gesteigert werde, macht man die Uferränder aus Zement und lässt die Wege den Uferformen dieses Phantasieteiches folgen. Auch da, wo etwa ein Bachlauf kopiert werden soll, steht es immer ebenso schlimm. Man zeige mir doch unter all den Tausenden von Schwanenteichen, Felsengrottengewässern mit den nötigen Felssteinen drin usw. usw., sobald sie neueren Datums sind, auch nur einen, der nicht das Odium der kindischen Spielerei an sich trüge. Gewiss ist ein Wasserbecken oder auch ein Wasserlauf im Garten etwas Entzückendes. Aber da, wo man sie erst künstlich anlegen muss, da zeige man eben auch, dass sie menschliche Anlagen sind, und man spreche dabei die Sprache, die der Mensch spricht: geometrisch-architektonisch. Der Kreis, das Rechteck, das Quadrat usw. sind nicht die Formen der aussermenschlichen Natur, es sind aber durchaus nicht etwa nur dürre Abstraktionen, sondern es sind die Grundformen unseres Raumdenkens. Die Tatsache, dass mit diesen Grundformen auch Unfug getrieben werden kann, wenn sie ohne Gestaltungskraft und Phantasie auf dem Reissbrett irgendwohin schabloniert werden, erniedrigt sie nicht. Man kann auch mit unserer Sprache Gemeinheiten sagen und lügen, und doch ist in ihr das Edelste, was der Menschengeist hervorgebracht hat, niedergelegt. Die Quadrate, Rechtecke und Kreise also sind es nicht, die Phantasielosigkeit und Nüchternheit in unser Dasein bringen, sondern die Phantasielosigkeit und Schultze-Nuimburg, Kulturarbeiten II 16 242 Abbildung 152 243 Nüchternheit der Leute, die jene missbrauchen, ist es, die diese ins Leben trägt. Ein Wasserbecken wie auf Fig. 141 ist eine einfache Art der Gestaltung eines solchen und dabei doch sehr anmutig und sinnvoll. Drei Stufen führen zu den Bordsteinen hinunter, die in regelmässiger Form den Wasserspiegel einfassen. Ähnlich ist das Becken auf Abb. 143, das eine runde Form hat. Auch hier fassen Bordsteine den dadurch genau als Kreis definierten Wasserspiegel ein. Man vergleiche daneben Abb. 144, v^o durch das Verschleiern der Kreisform die Anlage nur noch kümmerlicher gemacht wird, als die drei geschlängelten Wege es ohnehin tun. Eine reichere Gestaltung der Aufgabe zeigt Abb. 145 aus einem alten Schlossgarten. Abb. 146 ist ein Wasserbecken aus einem neuen Stadtpark. In die unarchitektonische Zementfassung sind allerhand Steine gedrückt, so dass ein recht armseliger Aufputz entsteht. Natürlich darf man sich nicht irreleiten lassen, den gewissen malerischen Eindruck, den die starke Verkürzung der Linien auf der Photographie macht, auf Rechnung der Anlage zu setzen. Überhaupt gehört Mühe dazu, aus meinen kleinen Reproduktionen all das deutlich herauszusehen, was man in der Natur mühelos erkennt. Von besonderer Grossartigkeit und Einfachheit ist Abb. 147, zu der Abb. 148 ein deutliches Gegenbeispiel bildet. Dass die geometrische Kreisform auf Abb. 147 16* 244 Abbildung 153 245 langweilig sei, wird einer so ausgesucht edlen Anlage gegenüber niemand den Mut haben zu behaupten. Das Äusserste von geometrischer Strenge zeigt Abb. 149, der deswegen doch Anmut nicht fehlt. Wem die Anlage seltsam erscheint, der vertiefe sich in den Anblick. Es sollte mich wundern, wenn er nicht die stille, feine Poesie herauslesen würde. Blickt man in einen wohlerhaltenen alten Garten, so wird man das Wohltuende seines Eindrucks auf den ersten Blick wahrnehmen. Dieser wohltuende Gesamteindruck kommt zum grossen Teil von der Möglichkeit, die Gestaltung des Gartens leicht und rasch zu erkennen. Mit andern Worten : die Formen des Gartens erklären seine Einteilung sehr anschaulich. Diese anschauliche und übersichtliche Anordnung allein ruft in uns Lustgefühle wach, während uns das beunruhigende Gewirr von Eisengittern, unklaren Wegen und sonstigem Durcheinander, wie es die modernen Gärten zeigen, quält. Die Alten kannten sehr genau die Mittel, mit denen sie die Formen des Gartens schön gestalten konnten. Wir werden es an ihrer Hand wieder lernen müssen, denn die Meinung, man könnte das alles wie etwas Selbstverständliches aus dem Ärmel schütteln, ist eine Überhebung. Obgleich ich die botanische Seite des Gartens, die Pflanzen, Blumen und Bäume in einem andern Band der „Kulturarbeiten" gesondert behandeln will, muss ich hier einiges vorwegnehmen, das sich von seiner architektonischen Anlage nicht trennen lässt. 246 Es gab früher keinen Garten, dessen Wege nicht mit Buchsbaum eingefasst waren. Diese Sitte ist bei uns selten geworden, und das ist schade. Als amüsantes Beispiel, hinter was für Ausreden die Leute sich verstecken, erzähle ich folgendes: Ich fasste neulich einen alten Mann dabei ab, wie er in seinem Gärtchen den Buchs ausrodete und an seine Stelle als Wegeinfassung — umgekehrte Champagnerflaschen eingrub! Freundlich zur Rede gestellt, erklärte er sein Tun damit, dass Buchs als Zufluchtsort — für Ungeziefer dienen könnte! Wenn man aber in der ganzen Welt alles dies ausrotten wollte, so würde es ja bald kein Gebüsch, kein Dickicht, keinen Felshang und kein Bachgewässer mehr geben. Wie hübsch, wenn erst die ganze Erdoberfläche mit Zement sauber verstrichen wäre! Dann könnte sich kein Käfer und kein Würmchen mehr breit machen, und dem lichtscheuen Treiben der Nachtschmetterlinge könnte endlich ein Ende bereitet werden. — Buchs ist eine sehr dichte, kompakt aussehende Pflanze, die zum Trennen von Weg und Beet oder Rasen wie geschaffen ist. Diese klare Trennung und Abgrenzung ist nicht allein im rein praktischen Sinn beim Bewirtschaften des Gartens angenehm, sie ist es auch für das Auge. Wie reizend sehen diese kleinen grünen Hecken aus, und wie versöhnend ist der Anblick im Winter, wenn nicht der ganze Garten von dem Winteransturm zerstört ist, sondern der Buchs streng die Ordnung und Gliederung auf- rechterhält. 247 Auch grössere Hecken sollten viel mehr in den Gärten verwendet werden, und zwar nicht allein als Einfriedigung des Grundstücks, sondern auch zur Gliederung im Innern. Die Hecke als Einfriedigung ist im Abnehmen. Auch an den ihr entsprechenden Anlagen sieht man die ganze Lieblosigkeit unserer Zeit. Früher gab es keinen Bauerngarten, dessen Besitzer nicht darauf gehalten hätte, dass eine gut gepflegte Weissdorn hecke sein Gehege umschlösse. Heute zieht man einen dünnen Stacheldrahtzaun darum, der an sich ja sehr gut das Gerippe zu einer werdenden Hecke abgeben könnte. Aber man bleibt dabei stehen. Höchstens pflanzt man ein paar dürftige Schlingpflanzen daran, die sich aber an den dünnen Drähten, die keinen Schutz gewähren, nie recht entwickeln. Für das Auge aber ist durch sie überhaupt keine Abgrenzung geschaffen, man kann sich nur die Kleider daran zerreissen. Der nackte Stacheldrahtzaun — er ist ein vortreffliches Symbol geworden für den Sinn, der allgemein in Stadt und Land den Garten — und andere Dinge beherrscht. Kalt, lieblos, feindselig, niemand zur Freude. Wie gut die Hecke zur Gliederung im Innern des Gartens zu verwenden ist, sieht man an Abb. 150 und 152, wo der Weg wie in einem Gang dem Auge aufs klarste definiert wird. Die Grasplätze zur Rechten und zur Linken werden durch die Hecken viereckig umgrenzt und erhalten dadurch den Charakter eines umhegten Spielplatzes. Bei der Besprechung der Hecke liegt es nahe, zu 248 Abbildung 154 249 fragen, ob €s überhaupt recht ist, Pflanzen zu beschneiden und in künstliche Formen zu bringen. Die „naturalistische" Schule unter den Gartenbauern verwirft alles Formen an der Pflanze als Unnatur. Ich meine, einen Baum, den wir als frei gewachsenes Individuum in seiner ganzen Schönheit geniessen wollen, den beschneidet man natürlich nicht, sondern man gibt ihm Raum, sich zu entfalten. Ebenso ist es mit jeder anderen Pflanze. Wenn es sich aber darum handelt, Raum-Formen im Garten zu schaffen, so kann man als Material statt nur Stein, Holz oder Erde auch recht gut die lebenden Pflanzen verübenden. Es gibt ja Pflanzen, die durch ihren Wuchs einer solchen Absicht geradezu entgegenkommen, und deren Eigenleben durchaus nicht dadurch unterbunden wird, dass man sie regelmässigen Formen anpasst. Diese Ausnutzung der Pflanze zu einem uns eigentümlichen Zweck ist in keiner Weise zu verwechseln mit jener übermässig raschen Ausnutzung ihrer Produktionsfähigkeit, die wir Raubbau nennen. Denn bei diesem wird nicht allein Eigenleben, sondern auch die der ganzen Gattung innewohnende Kraft vorzeitig ausgesogen. Auch handelt es sich bei der architektonischen Verwendung der Pflanze nicht um kindische oder unwürdige Spielereien, nicht um den Versuch, ob man die Pflanze zur Abwechslung nicht ,,mal anders" ziehen könnte, sondern um die Lösung sachlicher Aufgaben mit zweckentsprechenden Mitteln. Betrachten wir daraufhin Abb. 153 250 Abbildung IbS M 251 (oder 154 und 155, dfe einem Garten aus England entnommen sind). Hier handelt es sich offenbar um einen Wandelgang, der zunächst einen abgeschlossenen Zugang zum Haus bilden soll. Dass durch solch klares Trennen der einzelnen Teile des Gartens die behagliche Benutzung erleichtert wird, ist für jeden klar, der ein eigentliches Gartenleben kennt. Es ist nur dann möglich, sehr verschiedenartige Gartenräume mit ganz entgegengesetztem Charakter auf verhältnismässig kleinem Gebiet zu schaffen, wenn die Abteilungen nicht ineinander verfliessen, sondern durch deutlich sichtbare Scheidewände getrennt sind. Für solche Scheidewände eignet sich im Garten nichts besser als das Material der Pflanze. Steinmauern wären meist zu teuer und würden oft die Teile strenger abschliessen, als man wünscht. Holzwände betonen zu ausschliessHch die Nutzform der Plankenwand. Wollte man Gebüsche und Sträucher errichten, so würde man den zehnfachen Raum brauchen, um dieselbe Dichtigkeit und Höhe zu erreichen, wie eine einfache Hecke sie besitzt, die nebenbei noch bei weitem das Billigste ist. Hat man aber einmal die Existenzberechtigung der beschnittenen Hecke eingesehen, so ist es nur eine logische Gedankenfolgerung, dass man die gerade Flucht derselben, die das Auge schwer ausmisst, durch regelmässig wiederholte Glieder teilt. Man sieht, dass man von selbst bei den Grundlagen der Architekturformen anlangt. Jene ausserordentlich ernsten, strengen Pyramiden- 252 Abbildung 156 253 formen, die ich aus englischen Gärten (auf Abb. 155 und 156) vorführe, kann man natürlich nur aus Pflanzen formen, die an sich schon diesen Charakter haben und dadurch oft einen sehr wirksamen Gegensatz zum leichter gebauten grossen Laubbaum bilden. Harmlos nett sind die Kugelformen, die die Bäumchen auf den Buchen- oder Weissdornhecken unserer deutschen Gärten zeigen. Auf Abb. 157 betonen zwei grössere kugelförmige Bäume den Eingang. Ich kann beim besten Willen nicht verstehen, was man gegen das reizende Bild, das dabei entsteht, einwenden könnte, oder warum man so einfache Formen nicht wieder von neuem verwenden sollte. Wie kahl sieht dagegen das kopflos hingepflanzte Tannengestrüpp aus, wie es etwa auf Abb. 158 aufwächst. Die klare Definition für das Auge bildet doch immer die Grundlage für das freudige Erkennen der Welt um uns. Jede Allee ist ein Zeugnis dafür. In früheren Zeiten wurde jeder Weg, den man betonen wollte, in dieser Art als fester Gang geschaffen. So etwa wurde immer der Zugang von der Gartentür nach der Hauspforte als kleine Allee behandelt, was auf den Eintretenden den angenehmsten Eindruck machte, indem die Bäumchen ihm gleichsam das Geleit gaben bis nach dem Haus. In unsern Bildern finden sich mancherlei Arten von Alleen, die sich ohne Worte aus sich selbst heraus erklären. Ebenso wie die Hecke ist der Laubgang eine immer mehr aus den modernen Gärten verschwindende Anlage. 254 BEISPIEL Abbildung 157 255 GEGENBEISPIEL Abbildung 15S 236 Abbildung 1S9 Ich habe schon öfters von ihm gesprochen und brauche sein Lob kaum von neuem zu verkünden. Die Anlage ist nicht sehr kostbar, da einfachstes Lattenwerk nicht nur genügt, sondern das passendste und schönste dafür ist. Das über Lauben Gesagte gilt auch hier, da der Laubgang ja im Grunde nur eine fortgesetzte Laube ist. Zahlreiche Abbildungen von Laubgängen sind in dem Bilderergänzungsband zu Band II zu finden. Abb. 159 und 160 zeigen Bruchstücke aus Laubgängen oder Gerüsten zu solchen, die aus einem modernen Garten stammen. Seine vollendete Tauglichkeit für den modernen Menschen beweist mir, dass es sich hier nicht um schon überlebte Formen handelt. Noch ein anderer Beweis liegt in den beiden Bildern : dass eine gute Anlage nicht nur nicht ruinös zu sein braucht, um gut auszusehen, sondern dass sie es schon im unfertigen, halbangewachsenen Zustande tut, und dass es eine Ausrede mangelnder Gestaltungskraft ist, wenn jemand die Öde seines Gartens damit entschuldigen will: er sei eben noch nicht angewachsen. Man findet heute in reichen Gärten sehr oft exotische und andere seltsame Gewächse. Man wird den Pflanzenfreund nicht schelten wollen, wenn er solche Liebhabereien hegt. Nur über die Art, wie solche Anpflanzungen gemacht werden, lässt sich streiten. Nicht immer fügen sich solche Pflanzen dem Gesamtbilde des Gartens ein ; oft wird auch schon unabhängig von dieser Erwägung der Wunsch da sein, sie als Schaustücke zu isolieren. Diese IsoScbultze-Naumburg, Kulturarbeiten 11 17 258 Abbildung I6U 259 lierung einzelner Pflanzen wird in neuerer Zeit recht ungeschickt gemacht. Als ein vortreffliches Vorbild aus älterer Zeit führe ich Abb. 161 an. Hier ist neben einer Terrasse •eine zweite mit etwas niedrigerem Niveau geschaffen, das an zwei Seiten von der Mauer, auf den beiden anderen Seiten von Steinbalustraden umgeben ist. Dadurch ist ein Platz gestaltet, der abseits vom Weg von selbst zu sagen scheint: hier kann etwas zur Schau gestellt werden. In der Mitte ist das exotische Gewächs eingepflanzt, das sich hier, ungestört vom Verkehr, frei entwickeln kann, und das sich trotz der deutlichen Isolierung mit seiner Umgebung dem Gesamtbilde des Gartens doch wieder vortrefflich einreiht. Ich kenne ein grosses, altes, gut angelegtes Haus auf der Höhe über einem Fluss. An seiner Westseite fallen die Fundamente steil nach dem Wasser zu ab, an der Ostseite zieht eine schmale Strasse vorbei, an der Nordseite liegt eine Terrasse, auf der sich ein Gärtchen ausbreitet, nach Süden zu erstreckt sich ebenfalls ein Gärtchen, das dem Berghang zugewendet ist. Die West- und besonders die Nordseite gestatten wundervolle Blicke weit über das ganze Tal hinweg. Jetzt pflanzt man an der Nordseite Kastanienbäume an. Wenn sie gross geworden sind, versperren sie dem Haus und der Nachbarschaft jeden Blick ins Tal, geben aber keinen Schatten, denn er fällt, soweit er sich an der Nordseite überhaupt noch bilden kann, ins Tal hinunter. Hätte man die Bäume auf der Südseite gepflanzt, 17* 260 AbbilütiiiK l)il 261 SO würde die Aussicht nicht versperrt werden, und man hätte ein schattiges Plätzchen für den Sommer geschaffen. Auf der Nordseite hätte man, wollte man Neuanpflanzungen machen, niedere Laubgänge ziehen können, die das Grün unten gehalten hätten, ohne den Blick aus ihnen hinaus zu beeinträchtigen, während aus den Stockwerken der Blick über sie hinweggestreift wäre. Das Haus war zu niedrig, um durch seinen Schatten das Wachstum zu beeinflussen. Die kleine Erfahrung ist mir ein gutes Beispiel dafür, wie kurz heute die meisten bei solchen Dingen denken : Medizin nehmen macht gesund, Ornamente verschönern und Tännchen pflanzen, schafft Anlagen. Darüber hinaus arbeitet das Gehirn nicht, weil es nie daraufhin erzogen wurde. Wer hätte vor hundert Jahren so sinnlos eme Pflanzung gemacht? Mit dem unüberlegten Pflanzen von Bäumen wird heute im Garten der meiste Unfug getrieben. Wir schneiden damit ein Thema an, das, weil es auf die botanische Seite der Gartenfrage hinüberleitet, zu gross ist, um hier irgendwie eingehender behandelt zu werden. Ich verweise nochmals auf den später folgenden Band der ,, Kulturarbeiten", der von Pflanzen und Bäumen handelt. Beim Vergleichen unserer heutigen Kultur mit der früherer Zeiten wird man immer und immer wieder zu der Frage kommen : ob denn dem heutigen Geschlecht, ausser der Phantasie, nicht auch jedes Streben nach feinerem Lebensgenuss abhanden gekommen sei. Man will einen 262 BEISPIEL 263 GEGENBEISPIEL Abbildung 163 :64 BEISPIEL 265 GEGENBEISPIEL Abbildung 165 266 Sitzplatz schaffen. Also kauft man eine eiserne Bank, ohne seine Augen dabei zu gebrauchen, und stellt sie mit derselben Liebe, mit der man den Einkauf besorgt hat, irgendwohin. Man suche nach Plätzen, die im achtzehnten Jahrhundert oder in der ersten Hälfte des neunzehnten angelegt wurden. Noch gibt es einige. Abb. 162 zeigt einen davon. Vor dem Haus, um die Linde herum ist der Platz gezimmert, auf der Terrasse, die den Blick ins Tal hat. Zu der Nüchternheit des anderen Bildes ist nichts zu bemerken, ausser dass die Löcher in der Mauer eine Verzierung bedeuten sollen, um sie „gefälliger" zu „gestalten". Auch das wird in unsern Bauschulen gelehrt. Die Bank ist eins der wichtigsten Stücke im Garten, denn sie bezeichnet den Ort geselliger Zusammenkunft oder behaglicher Ruhe. Ausserdem sitzt man darauf. Alle älteren Gartenbänke verkörpern diesen Zweck. Man strich sie weiss, manchmal mit einem Stich ins Grüne. Diese Farbe hob sie nicht allein leicht erkennbar von ihrer dunkelgrünen Umgebung ab, sondern sie bildete auch einen freundlichen Farbenakkord mit ihr. Heute streicht man die Gartenbänke meist „holzfarben", macht sie dadurch unerkennbar und hebt den Akkord auf. Abbildung 164 ist das Bild einer alten Gartenbank oder doch die Nachbildung einer solchen. Abb. 165 ist die „reichverzierte" Bank aus Gusseisen, wie sie eine Zeitlang in allen Gärten und öffentlichen Anlagen zu finden war. Jetzt ist man noch naturalistischer geworden. Man macht die Bänke am 267 liebsten ganz aus rohen Stämmen. Welch entsetzliche ..Stillosigkeit" es ist, zu menschlichen Formen Naturformen zu verwenden, die etwas ganz anderes ausdrücken, davon war schon eingehend die Rede auf Seite 230. Aber ich möchte doch noch ein paar Beispiele dafür im Bild vorführen. Ich verweise auf die Abb. 166, 168 und 170. Von allem andern abgesehen : was für ein qualvoller Sitz das ist, das sieht man schon beim Betrachten ; wie man sich stösst, Löcher in die Kleider reisst, blaue Flecke als Andenken an die schmerzliche Ruhepause davonträgt. Billiger als eine anständige Gartenbank ist diese Bank auch kaum um ein Nennenswertes. Fürchtet man Demolierung oder Diebstahl, so errichte man lieber gleich eine Steinbank mit Holzsitz, die durch den Wegfall von Unterhaltungskosten und Reparaturen in der öffentlichen Anlage vielleicht am billigsten ist (Abb. 167). Auch das Brückengeländer auf Abb. 170 ist aus ähnlichen Gründen verwerflich. Ein Brückengeländer kann nur den Sinn haben, Halt beim Überschreiten der Brücke zu geben, wie es etwa auf Abb. 169 in einfachster Gestaltung zu sehen ist. Dies tut nun das bei Abb. 170 in Frage stehende Geländer zwar nicht, wohl aber bietet es durch seine Astformen, die hier, weil sinnlos, ausdruckslos sind, Gelegenheit, sich zu stossen oder zu reissen. Ich erinnere an den Garteneingang, den ich auf Seite 166 und den folgenden Seiten andeutete. Soll ich gar noch reden von der albernsten aller Ge- 268 AbtillUuilg Ibh 269 schmacklosigkeiten, die man unseren Gärten angetan hat: lebensgross gewordene Nippes, in Form von TerrakottaGnomen, Rehen oder Pilzen usw. in den Garten zu setzen? So wie man den schönen Treppenaufgang auf Abb. 172 durch die läppische Zutat verdorben hat. Dieser Unfug grassiert in einer Weise, dass soundso viele grosse Fabriken in Deutschland davon leben, diesen „Gartenschmuck" herzustellen. Wenn man die Umsatzziffern liest, die manche dieser Fabriken prahlend verkünden, so begreift man nicht, dass die Welt so gross ist, dass alle diese Gnomen sich noch leidlich darin verkrümeln, und man nicht an jeder Strassenecke über einen stolpert. Aber wo sollen wir hinkommen, wenn jedes Jahr neue Hunderttausende davon in die Welt setzt, besonders, wenn sie von solch schwer zerbrechlicher Qualität sind, wie die Prospekte es verheissen ? Dies Thema braucht hier eigentlich nicht besonders behandelt zu werden. Wirkliche Kunstwerke werden, richtig aufgestellt, überall schmücken, auch im Garten ; traurige Plattheiten aber, wie jene Gartenschmuckware sie darstellt, sollten überall verfolgt werden, wo sie sich zeigen, nicht bloss im Garten. Als würdige Form eines wirklichen Gartenschmucks sei in Abb. 171 eine lustige Barockvase als charaktervoller Zeuge neben Abb. 172 gestellt. Die alte Treppe auf diesem Bild ist natürlich sehr schön. Über das Aufstellen von wirklichen Kunstwerken, also hier im Garten Plastiken, lässt sich nicht viel Prinzipielles 270 BEISPIEL 271 GEGENBEISPIEL Abbildung 168 272 BEISPIEL Abbildung 169 273 GEGENBEISPIEL Abbildung 170 Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 18 274 BEISPIEL Abbildung 171 275 GEGENBEISPIEL Abbildung 172 18« 276 Abbildung 173 277 sagen. Sogar das Vorführen von vorbildlichen Abbildungen ist schwer, denn die Fälle, wo es geschehen ist. sind bei uns in Deutschland seltener. Abb. 173 ist von der Rampe der Orangerie auf Abb. 43. Abb. 174 zeigt eine ganz gute Gestaltung einer Barockgruppe, wie sie früher von Bildhauern, die oft nicht mehr wie Handwerker sein wollten, recht gut gemacht wurden. Abb. 176 ist eine Steinnymphe, die vor der erwähnten Orangerie steht. Mit einer kaum glaublichen Geschmacklosigkeit hat man die dekorativ recht gute Figur in einen albernen Aufputz von Palmen und Blattpflanzen gesetzt, was allerdings aus der einen Abbildung nicht genügend sichtbar ist. Man findet solche „Arrangements" zur Verschönerung guter und früher verständig aufgestellter Plastik so häufig, dass ich den Verdacht hege, dass irgendwo in Gärtnerschulen solche Ideen planmässig gezüchtet werden. Und sind sie erst einmal in die Literatur ujid die Köpfe eingepflanzt — wie viele Generationen müssen darüber sterben, ehe sie wieder verschwinden ! Ein köstliches Beispiel für diese vielgeübte Gärtnergeschmacklosigkeit ist Abb. 175. Die an sich sehr schöne Statue einer Venus in hockender Stellung ist rings herum so mit Tropfsteinen (!) und Blattpflanzen umbaut, dass jeder unbefangene Beschauer sich sofort die Frage stellt, warum das Mädchen sich gerade mitten in diesem Aufbau niederlässt. Wenn das nun auch in der Natur von geradezu überwältigender Komik ist, so ist doch schliesslich 278 BEISPIEL Abbildung 174 279 GEGENBEISPIEL Abbildung 175 280 eine schöne Statue nicht dazu da, um den Beschauer zum Lachen zu reizen, und man empfindet zum Schluss doch mehr das Entwürdigende einer solchen Behandlung. Abb. 178 ist aus Italien. Die Werke der Gartenplastik, die als Kunstwerke an sich beachtenswert sind, beschränken sich in Deutschland fast ausschliesslich auf die paar Dutzend fürstlichen Parke. Ich will hier den Begriff des fürstlichen Parkes mit dem des Gartens nicht vermischen, ebenso wie ich beim Thema Hausbau Palais und Wohnhaus gut trennen musste, denn bei dem ewigen Hinüberschielen nach dem fürstlichen Palais und dem Vergessen der eigenen Bedingungen hat sich unser gutes altes Wohnhaus verloren und ist der beschämenden Maskerade verfallen, die heute noch immer der Brauch ist, wo man nicht ausschliesslich „praktisch" bauen will. Das, was uns bei diesem Thema vielleicht am meisten not tut, ist die prinzipielle Trennung zwischen ,,Park" und „Garten". Wollen wir uns über den für uns nötigen Begriff „Garten" Klarheit verschaffen, so wird es deshalb gut sein, zuvor den Park und seine Entstehung zu untersuchen. Ich will nicht eine Geschichte des Gartens schreiben, und wir können uns deshalb Zeitdaten und eingehendere historische Betrachtungen dabei schenken. Der Park ist sicher aus dem fürstlichen Wildpark entstanden, einem umfangreichen eingezäunten Wald- und Wiesengehege, das an das Schioss anstiess. Natürlich war die 281 nächste Umgebung des Schlosses kultivierter, und der eigentliche Wald, der „Wildpferch", fing erst in einer gewissen Entfernung an. Das Wort „Pferch" ist wohl nur eine andere Form von „Park". Es lag in der Weiterentwicklung des Schlosses, dass der Teil des Parkes, der dem engsten Gebrauch des Hofhalts dienen sollte, schliesslich noch besonders durch Mauern abgegrenzt und den höfischen geselligen Eormen entsprechend umgestaltet wurde. So entstanden jene Schlossgärten, jene Parke, die allgemein bekannt sind. Die meisten von ihnen sind, wenn sie sich in ihrem einstigen Zustand erhalten haben, wundervoll, wie alle Reste jener alten Kultur. Selbstverständlich muss man bei ihrer Beurteilung die Bedürfnisse ihrer Bewohner berücksichtigen. Ohne weiteres jene alten Schiossparke als Muster und Vorbild für unsere heutigen Gärten aufzustellen, bedeutet, wie gesagt, denselben Trugschluss, den man begangen hatte, als man das Palais als das Vorbild des einfachen Bürgerwohnhauses hinstellte. Das breite Blumenparterre (Abb. 180) mit den Kiesplätzen und Statuen war jenen Feudalgärten gerade so notwendig, wie den Schlössern weite Empfangs- und Thronsäle. Die weiten Perspektiven, Alleen und Wasserkünste passten zu der Architektur und der Umgebung der Barockschlösser. Wollte man die Perspektiven erweitern, so wandte man häufig das Mittel an, die Mauer zu unterbrechen und statt derer als Abgrenzung gegen den Hirschgarten einen tiefen Graben vorzu lagern, der ein Ausbrechen 282 Abbildung 176 283 des Wildes verhinderte, den Blick aber ungehindert über die Waldwiesen des Wildparkes schvceifen Hess, was die Grösse der Besitzung noch mehr zeigte. Das Studium dieser für andere Verhältnisse gemachten Gärten führt uns indessen nicht zum Erkennen der Bedingungen des Hausgartens. Es hat auch keinen Zweck, beim neuen Suchen nach echter Gestaltung unserer modernen Gärten sich mit Schlagworten zu umgeben, wie „französischer Garten" und „englischer Garten" usw., denn meist versteht jeder darunter, was er mag. Wenn man unter „französischem" Garten jene alten Schlossparke meint, deren schönste Deutschland besitzt, so werden wir uns einig darüber sein, dass sie Ideale verkörpert haben, die uns zum mindesten hier beim Thema unseres Buchs nicht naheliegen. Denn die Grundsätze, die dort bei der Gestaltung walteten, lassen sich nicht einfach auf unsere Privatgärten übertragen, deren Dimensionen winzig erscheinen, wenn man sie gegen jene alten Feudalparke hält. Dass man im einzelnen in der Technik sehr viel von ihnen lernen kann, ist selbstverständlich. Der englische Garten ist, wo er den Namen verdient und nicht der internationale Brei ist, noch heute der streng architektonische Garten. Der „englische Park" ist wohl eine Nachbildung der englischen Landschaft mit ihren Wiesen und Baumgruppen, und seine weiche Lieblichkeit entspricht nicht immer unserer Landschaft. Ihn ohne weiteres zu uns herüberzunehmen, geht selbst da nicht an, wo es sich wirklich um weite Parke, nicht um Gärten handelt. 284 Abbildung 177 285 Wir müssen heute, wenn wir Gärten anlegen wollen, alle jene eingerosteten Schlagworte mit ihren Vorurteilen hinauswerfen und, wie bei allen andern Aufgaben, wieder nach Zweck und Sinn der Anlage fragen. Wenn jemand ein paar Morgen Land beim Haus hat, so darf er eben nicht einen Park markieren wollen und Gartenbauformen anwenden, die erst dann Sinn und Berechtigung haben, wenn es sich um Flächen handelt, die soundso viele Hunderttausende von Quadratmetern umfassen. Ich will nicht mit Klassifizierungen arbeiten, sondern mit Anschauung. Dann entsteht aus ihr die natürliche Klassifizierung von selbst. Ich führe zu dem Zweck noch eine Reihe von Gartentypen im Bild vor, so gut das eine kleine Photographie vermag. Abb. 179 zeigt den waldähnlichen Teil eines grossen Parkes in England. Selbstverständlich liegt dieser hier abgebildete Teil nicht in der Nähe des Hauses (das hier Schloss genannt werden muss), sondern er ist der Abschluss des ausserordentlich ausgedehnten Gartens, der in waldähnliche Bestände übergeht. Der Teil am Haus ist streng architektonisch gehalten, die Wegeanlagen sind, gemäss der Blumen- oder Obstzucht, gerade und schneiden sich rechtwinkelig. Das in unserem Bild noch zu sehende Wasserbecken ist der Abschluss der eigentlichen Gartenanlage; was wir dahinter sehen, ist Park. Es ist nicht nötig, an die prinzipielle Scheidung zwischen diesen befden Begriffen nochmals zu erinnern. Abb. 181 ist der Garten eines alten, schon ziemlich Abbildung 178 287 grossen deutschen Landsitzes. Schnurgerade Wege fassen das lange Rechteck ein und kreuzen es einmal in der Mitte. In diesem Schnittpunkt liegt ein rundes Wasserbecken, von Sandstein eingefasst. Die Wege werden von Buchsbaumhecken begrenzt. An den Endpunkten der Wege stehen Lebensbäume, die die einzelnen Teile des Gartens, dem Auge klar erkennbar, in bestimmte Verhältnisse teilen. Rechts und links \on den Wegen ziehen sich hier Alleen von Rosenstöcken, dort von Zwergobstspalieren hin. Die Rechtecke aber, die zwischen den Wegen bleiben, sind ausgefüllt von Beeten. Da sind lange Erdbeerbeete, dort hellgrüne Salatpflanzungen, dort ist wieder die dunkle Farbenpracht des Rotkohls. Dann kommt ein Dickicht von Himbeerbüschen, dann wieder ein Beet mit, Gewürzpflanzen. Und so fort. An den Mauern, die den Garten ringsum einfassen, sind Spaliere gezogen, die hier mit echtem Wein, dort an der Südseite mit Pfirsichen bepflanzt sind. Hinter der nördlichen Mauer, an der die Schattenmorelle wächst, erhebt sich die dunkle Masse dichter Baumkronen. Ein breites Tor in der Mauer führt hinein. Dieser kleine Hain, durch dessen dichtes Blätterdach kaum ein Sonnenstrahl bis zur Erde dringt, ist wie ein stilles Heiligtum. Obwohl nur zweihundert Schritte lang, atmet er tiefen Waldfrieden. Und doch will er kein Wald sein. Schnurgerade führt der gebahnte Weg bis zum Hintergrund, wo in ein breites Steinbecken an der Mauer ein Quell plätschert. Grosse Steintische und Bänke stehen hier. Das 289 Dickicht ringsum ist zur üppigen Wildnis verwachsen, der Efeu klettert an den alten Baumstämmen empor und füllt das, was er erstickt, doppelt mit eigenem Leben. Das Unterholz bildet ein undurchdringliches Blätterdach, unter dem Farn und anderes Waldpflanzengestrüpp wuchert. Dieser Garten ist ein kleines Paradies. Und ist doch zur grösseren Hälfte eigentlich ein Obst- und Gemüsegarten, wie alle jene Rittergutsgärten älterer Zeit. Die Leute der damaligen Zeit waren viel zu vernünftig oder wenn man will, viel zu ehrlich, um ihre paar Morgen Gartenland in einen Pseudopark en miniature umzuwandeln, indem sie nur an die Anlage von Bäumen, Büschen und Rasenflächen dachten. Warum lassen die Leute von heute sich nur all die herrHchen Möglichkeiten entgehen, die in der Verschmelzung des geselligen Gartens mit dem Obst- und Gemüsegarten liegen? Glauben sie, es sei eine Schande, Salat im Garten wachsen zu haben? Wenn sie doch nur ahnten, welche Freuden solch ein benutzbarer Garten dem Bewohner bietet, wie er sich und uns mit dem Leben verbindet, und welche Herrlichkeiten er zu schauen gibt. Das Auge vergleiche doch nur die tödliche Langeweile jener ,, Ziergärten", in denen der Bewohner nichts anderes kann, als wie ein gefangenes Tier im Käfig sich auf den runden Schlängel\x'egen ewig um sich selbst zu drehen, weil er sich nicht getraut, die mühsam angepflanzten runden und ovalen Rasenplätzchen zu betreten. Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten II 19 290 Abbildung 180 291 Welches Leben dagegen in einem Obst- und Gemüsegarten ! Wie kräftig ist schon der Duft der frisch aufgeworfenen Erde, wenn im ersten Frühjahr die Beete gegraben und geebnet, die Wege gezogen werden. Und dann, wenn der Aprilwind den Blütenschnee über die ersten grünen Spitzchen weht. Das erste strahlend helle Grün, das die Zweige umwebt. Dann kommen die ersten Früchte. Unter dem Blättergerank glüht die leuchtendrote Pracht der Erdbeeren. Im Himbeergebüsch rötet sich's, und die Trauben der Johannisbeere färben sich dunkler. Lachend entdeckt man eines Tags, dass über Nacht zwischen den Blättern die kleinen Äpfelkinder erschienen sind ; man beginnt, sie auf den einzelnen Bäumen zu zählen und ihre Fortschritte zu überwachen. Auch auf den Gemüsebeeten gibt es lustiges Leben. Man ergötzt sich an der bunten Pracht des Kohls, macht kleine Jagd auf grosse Raupen, die ihn uns streitig machen wollen. Nach dem Gewitter, wenn der Regen seinen bunten Bogen über das abziehende Wettergewölk spannt, geht man hinaus in die würzige Luft. Da schaukelt sich auf jedem Kohlblatt, in jeder Rinne seiner krausen Fläche ein grosser kugelrunder Kristalltropfen, der purzelnd die Flucht ergreift, wenn man an den Kohlkopf stösst. Mit den Herbstblumen kommen die blauen Pflaumen, die in Gemeinschaft mit den braunen, roten und gelben Blättern kleine Farbenorgien veranstalten. Die Gemüsebeete leeren sich, buntes, halbverdorrtes Gerank deckt sie, auf dem der erste Nachtreif 19* 292 AbbitdutiK 181 293 glitzert. Die letzten Herbstarbeiten, ehe der Garten winterschlafen geht. Der Duft reifer Früchte durchzieht die nebelige Luft, mit der die mattgewordenen Sonnenstrahlen kämpfen. Die Rosensträucher w^erden umgelegt und eingebunden, die Frühbeete zugedeckt, ein letztes festliches, geschäftiges Treiben, ehe die lange Nacht kommt. Warum all diese Gartenfreuden sich entgehen lassen? Manche fürchten die viele Arbeit oder die Verwaltung oder die Kosten, die eine Nutzanlage ihnen bringt. Ich glaube nicht recht an die Stichhaltigkeit solcher Gründe, auch nicht an die Ehrlichkeit derer, die sie vorbringen. Kosten macht jeder Garten, mag er dies oder jenes tragen ; Verwaltung benötigt jedes eigene Anwesen. Man braucht den Nutzertrag gar nicht erst in die Wagschale zu legen. Auch bei grösseren Besitzungen, die in getrennte Anlagen von Ziergärten, Obst- und Küchengärten geteilt werden können, sollte man diese Nutzgärten in Hinsicht auf den Gartengenuss, den sie gewähren, doch als gleichwertig dem Ziergarten ansehen und sie nicht schüchtern hinten verstecken, wie gewisse Zeiten es mit Räumen taten, die „nur" Schlafzimmer waren. Ich zeige noch ein paar Bilder von solchen Anlagen. Abb. 182 ist der grosse Gemüsegarten eines Gutes. Wie schön ist hier das Haus angelegt, dessen Fenster in die bunte Herrlichkeit schauen. Rechts im Hintergrund ragen die Bäume des Obstgartens über die Mauer. Die Gemüsebeete sind heute nicht mehr mit der Liebe angelegt und gepflegt, wie früher; die Buchsbaum- 294 ""•" 295 hecken der Hauptwege sind verwildert, die Rosenalleen sind gefallen und die Blumen nicht wieder angepflanzt. Der wurmartig gewundene Weg im Vordergrund ist Zutat neuerer Zeit. Nur das lange Spalierwerk, das sich an der Südseite von Mauer und Haus hinzieht und beide so schön zu einer Einheit verbindet, ist noch alte Anlage. Den eigentlichen Blumen- oder Ziergarten bildet der Komplex, der von den Gebäuden und Mauern hofartig umschlossen wird. Auch hier entsteht die Schönheit wieder durchaus aus der sinngemässen Anlage. Nach Süden nur durch eine Mauer begrenzt und dadurch der Sonne offen, auf den drei andern Seiten von Gebäuden eingeschlossen, ist dieser geschützte Raum wie geschaffen für alle feineren, empfindlichen Gewächse. Westwand und Ostwand der Gebäude bilden den geeigneten Ort für Spalierpflanzen, die nicht den ganzen Tag Sonne vertragen können ; ausserdem sind noch Wandflächen vorhanden, die fast von Frühe bis Abend ununterbrochen beschienen werden. Ein Dumpfigwerden dieses eingeschlossenen, auffallend fruchtbaren Gartens ist wegen der Grösse der .Ausmessungen nicht zu befürchten. Ganz Blumen- und Gemüsegarten ist die Anlage auf Abb. 183. Die hohen Futtermauern im Hintergrund sind die alten Wallmauern, die einst die ganze Stadt umzogen. Seit sie überflüssig geworden sind, hat man sie geschleift oder, was gescheiter war, Alleen auf ihrer Höhe angelegt, während in den geschützten und gut bewässerten Wall- 296 Abb>lJuiit( li>3 297 gräben ein Ort üppiger Fruchtbarkeit sich auftat. Im Wallgraben gleichsam ist der Garten erwachsen. Das Haus legt sich so an das Gelände an, dass die Haustür von hinten in das erste Stock, vom Garten aus gerechnet, mündet. Das Oberstock rückt auf diese Weise hoch heraus, so dass seine Fenster den freien Blick über Fluss und Land haben. Im Gartengeschoss dagegen sind gut geschützte winterwarme Räume, wie der Gärtner sie braucht. Die Mauern sind selbstverständlich durch Spalierwerk aufs t beste ausgenutzt. Obwohl ausgesprochene Nutzgärtnerei, ist für mein Empfinden dieser Garten von einer weit grösseren Behaglichkeit und, wenn man es so nennen will, poetischeren Ortsstimmung, als alle jene Ziergärten, wie man sie heute findet, zusammen. Richtige Bauerngärten zeigt Abb. 184, die ich noch mit anführe, um zu zeigen, wie nett, heiter und freundlich auch ihr Anblick ist. Jedes der kleinen Häuser besitzt einen langen schmalen Streifen solchen Gartenlands, die parallel zueinander verlaufen. Dank der Notwendigkeit der beständigen Bearbeitung, die ein so bestelltes Stück bedarf, breitet sich den ganzen Frühjahr, Sommer und Herbst ein Hauch von Gartenheiterkeit über das Land, dessen Werben so leicht niemand sich verschliessen kann. Abb. 185 zeigt die Abteilung eines grossen fürstlichen Gartens, der die Gewächshäuser enthält. Es ist fast der anmutigste Teil des ganzen Gartens, wenigstens in der heutigen Verfassung. Den grossen Gartenschuppen 298 Abbildung 184 299 kennen wir schon aus Abb. 41. Der eigentliche Park liegt oben auf den hohen Mauern, die den Küchengarten umziehen und ihm hinreichend Schutz bieten. Durch die langen geraden Wege, denen man bis heute aus wirtschaftlichen Rücksichten ihre Richtung gelassen hat, entstehen jene reizvollen Perspektiven, die hier von den Gewächshäusern eingefasst werden. Entzückend ist auch der Teil, der hinter den Gewächshäusern liegt und für die eigentlichen Beetanpflanzungen bestimmt ist. Hier liegen grosse offene Wasserbecken, in denen das Leitungswasser durch langes Stehen an Luft und Sonne zum Giessen für die Pflanzen geeignet gemacht wird. Um dem Gärtner das Schöpfen mit Giesskannen zu erleichtem, legte man den Wasserspiegel fast auf dieselbe Ebene mit dem Erdboden. Dank diesen praktischen Forderungen und der Abwesenheit jeglicher Versuchung, die Anlagen durch Schmuckzutaten „eleganter" zu machen, ist das Ganze ausserordentlich reizvoll und schön geworden. Wie sich hier alles zu Bildern gruppiert, vermag jeder Empfängliche schon aus meiner kleinen Photographie zu lesen. Die Anmut und die traute Poesie solchen Anblicks liegt aber nicht in der Grösse und Ausdehnung der Anlage, sondern in ihrem Charakter. Auch das kleinste Gärtchen könnte ihrer teilhaftig werden, wenn man wollte. Diese Behauptung könnte ich noch mit unzähligen Bildern beweisen, wenn ich nicht der Zahl der Abbildungen ein Ziel setzen müsste.* * Weitere 100 Bilder von guter Gartengestaltung enthält der eingangs erwähnte Bilderergänzungsband der Gärten. 300 Abbildung iS.s 301 Es versteht sich von selbst, dass, je mehr der Garten mit der Architektur in Verbindung tritt, desto mehr sein eigener Charakter architektonisch werden muss. Als Beispiel denke man an die Gärten, richtiger gesagt Höfe der Grosstadt, die man heute dadurch freundlicher zu gestalten sucht, dass man sie als Gärten behandelt. Hier wird es zur vollkommenen Narrheit, Formen des freien Parkes anwenden zu wollen. Das Unzulängliche einer solchen beschränkten Anlage wird dadurch in unnützer Weise bis zur Unerträglichkeit gesteigert, während eine von vornherein architektonisch gehaltene Anlage den Garten gar nicht mit der freien Natur in Konkurrenz treten lässt. Ein so gestalteter Garten hof kann entzückend sein, wenn er sich als solcher gibt. iMan denke sich einen kühlen schattigen Hof, dessen Wände mit Efeu umkleidet sind. Di€ Mitte nimmt ein flaches, viereckiges Wasserbecken ein, in dessen ruhiger, durch kein armseliges Springbrünnlein getrübter Fläche sich die Wände spiegeln. Im Hintergrund an der Mauer ist eine Grotte, in der, wenn man das Wasserplätschern mag, ein Wasserstrahl fliesst. Steinbänke fassen die Grotte ein. Den Wänden und den Wasserbecken folgend, zieht sich ein viereckiger Weg herum, der natürlich mit Buchs eingefasst ist. Rosen und so viele Blumen, wie man mag, mögen ihn begleiten. Will man grösseren Geldaufwand machen, so ist eine gute Statue (Kopien nach Antiken und neueren sind erschwinglich) hier am Platz. Dass solche Hof-Gartenanlagen schon gestaltet worden 302 sind, weiss man von reichen Patrizierhäusern aus der Renaissance. In Nürnberg und Augsburg findet man Überreste und Erinnerungen. Sogar Pompeji hat hier Vorarbeit geleistet. Wenn man dort in den grossen Hausanlagen den letzten Hof durchschritten hat, kommt man an eine ganz kleine, häufig hinter einem Wasserbecken gelegene Terrasse, auf die das allerdings winzige Blumengärtchen des Hauses verlegt war. Auf mich hat die Vorstellung dieser Gärten einen tiefen Eindruck gemacht, da sie das Bild des antiken Hauses erst recht vervollständigen. Auch italienische Renaissance-Gartenanlagen sollte man wieder fleissig studieren, nicht um sie wahllos zu kopieren, sondern um an ihnen zu lernen. So entsinne ich mich der Überreste des Gartens und der Badeanlagen des Palastes del Te in Mantua, der gewisse Lösungen von Gartenaufgaben enthält, die für unsere in Nüchternheit und Phantasielosigkeit erstarrte Gartenarchitektur Erleuchtungen bedeuten müssten. Wieviel Häuser und Gärten werden heute wieder gebaut, zu deren Errichtung gewaltige Summen aufgewendet werden ! Und wie gering ist im Vergleich zu ihnen die gestaltende Kraft, wie gering das Resultat an geschaffenen Formen, die das Leben in heitere, schöne Bahnen lenken! Prinzipiell das gleiche gilt von den Anlagen auf den Plätzen der Stadt, die von allen Seiten mit Häusern umgeben sind. Was über die weiteren gärtnerischen StädteAnlagen im besonderen zu sagen ist, möchte ich in meinem 303 Band über Städtebau bringen ; das Allgemeine über die Gartenanlage als solche fällt mit dem über grosse Gärten Gesagten vollkommen zusammen. Ich hörte neuüch behaupten : Ja, das wäre alles ganz schön und gut, aber dieses Behagen, diesen intensiven Genuss am Gartenieben und an seiner Heiterkeit — das wirklich auszukosten wäre uns nervösen Menschen doch verschlossen, die hastig und ohne Müsse durchs Leben hetzen. Ich kann mir nicht helfen, ich muss solche Einwände als recht kurz gedachte Gedanken betrachten; aber gesetzt, der moderne Mensch wäre wirklich in allen Fällen ein so armes gehetztes Tier. Liegt darin eigentlich der Beweis und die Notwendigkeit, dass es gut so wäre, und dass es nun auch so bleiben müsste? Und ist damit die Möglichkeit ausgeschlossen, dass, weil unsere Väter es falsch gemacht haben, wir und unsere Kinder nicht wieder zur Besinnung kommen und das Leben in ein ruhigeres Tempo bringen können, das es wieder lebenswert macht? Die Menschen bestimmen das Tempo, und sobald sie zu der Einsicht gekommen sind, dass diese Methode der Hetzjagd eine unvorteilhafte iMethode ist, bei der das Ziel der ganzen Mühe, das Glück unserer Erdentage zu erhöhen, nicht erreicht wird, von dem Augenblick an werden sie wieder zu leben anfangen. Nicht der uralte, nach tieferer Erkenntnis ringende Forschergeist ist es, der an dem falschen Tempo schuld ist, denn wer philosophisch oder 304 naturwissenschaftlich zu denken gelernt hat, der muss sich einen Standpunkt errungen haben, von dem aus die moderne Hetze als ein recht törichtes und zweckloses Beginnen anzusehen ist. Die Verderbnis unserer sittlichen Grundstimmung — dieselbe, die durch ihren Ausdruck in den Formen der Häuser, der Gärten, der Gemälde und der Lebenssitten ihre Gemeinheit verrät, ist schuld an der Verkehrung des Sinns in Unsinn. Wohl erzeugt der behagliche Sinn den behaglichen Ort, umgekehrt aber schafft die gemütliche Stätte die Ruhe des Gemüts. Gerade der Verkehr mit dem stillsten Kinde der Natur, der Pflanze, könnte dem aufgeregten und unruhigen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts von Nutzen sein. Zeitweise, wohlverstanden : zeitweise Rückkehr zum vegetativen Dasein bedeutet für unsern Körper und Geist Ruhe. Der Garten kann ein Heilmittel unserer Zeit sein. ENDE DES ZWEITEN BANDES Die Abbildungen sind, mit Ausnahme der unten genannten, Originalaufnahmen des Verfassers. Abb. 36 und 37 sind von Otto Bartning gemacht, Abb. 149, 154, 155, 156 und 178 dem Country life entnommen. Kunstwartverlag Georg D. W. Callwey, Mündien Schultze-Naumburg Kulturarbeiten Band I Hausbau. 3. Auflage Mit 118 Abbildungen. Preis Mk. 3.50, gebunden Mk. 4.50 „Dieses Buch wünsche ich in einer Million von Exemplaren verbreitet* — so schrieb Fritz Stahl im Berliner Tageblatt beim Erscheinen des ersten Bandes —. „Dsls Buch ist bescheiden und schlicht geschrieben. Der Text dient den Bildern, die der wichtigste Teil sind. In diesen Bildern sind schlechte und gute Häuser, Treppen und Türen nebeneinander gestellt, immer ein Paar, ein Musterbeispiel und ein abschreckendes. Ich halte dieses Buch für das Beste und Wirkungsvollste, was bisher für die Erziehung zu einem gesunden Geschmack getan worden ist, für eine kulturelle Tat." Band II Gärten. 3. Auflage. Mit 186 Abbildungen. Preis Mk. 4. —, gebunden Mk, 5. — Die Neue preussische (Kreuz-) Zeitung schrieb zum zweiten Bande u.a.: „Wir können den Besitzern alter Grundbesitze, für deren schöne Parke und Umgebungen Schultze-Naumburg ein besonders scharfes Auge besitzt, sowie allen Freunden von Gärten selbst kleinster Ausdehnung nur raten, sich an den erfrischenden Darlegungen und dem reichen Schmuck von Garten-Ausund Einblicken zu laben und dieses ganz eigenartige Buch gründlich zu studieren." Kunstwartverlag Georg D.W. Call wey, Mönchen Schultze-Naumburg Kulturarbeiten Ergänzende Bilder zu Bd. II Gärten 100 Abbildungen mit einführendem kurzen Texte. Preis Mk. 3.—, gebunden Mk. 4. — »Wir haben bei Besprechung früherer Bände dieses so ausserordentlich verdienstvollen Werkes den Wunsch geäussert, die mit dem Verfahren der Nebeneinanderstellung von gutem Beispiel und schlechtem Gegenbeispiel wirkungsvoll gebotene Lehre ergänzt zu sehen durch weitere Sammlungen nur des Schönen . . . Die Anregung sieht sidi durch diese heute angezeigte erste Ergänzungskollektion in schönster Art erfüllt .... Dass doch der Geist, der in diesen „Kulturarbeiten" um Schätzung wirbt, noch zur bestimmenden Macht werden möchte, bevor das Unverständnis das alles noch beseitigt hat, wofür er zu liebender Erhaltung mahnt, weil es um köstliches Erbe innerlichsicherer Geschlechter sich handelt!" St. Galler Blätter Band III Dörfer u. Kolonien. 2. Auflage Mit 177 Abbildungen. Preis Mk. 4.—, gebunden Mk. 5.— Ueber den dritten Band schrieb die „Deutsche Kunst und Dekoration*: «Diese« Werk verdient überall in deutschen Landen eingehende Beachtung. Es gibt über das Wesen deutscher Ansledelungs- und Bsu-Weisen Aufschlüsse, wie sie In ähnlicher Fülle und TrefHichkeit noch nie beissmmen zu flnden waren. Wir wünschen das Buch namentlich In den Händen aller hohen Baubehörden, dann aber der Baumeister, -Unternehmer und Künstler. Es Ist durchsus gemeinverständlich und frisch geschrieben.* Kunstwartverlag Georg D.W. Calhvey, München Schultze-Naumburg Kulturarbeiten Band IV Städtebau Mit 288 Abbildungen. Preis Mk. 5.50, gebunden Mk. 6.50 Professor Schultze-Naumburg will mit diesem Bande nicht das Lehrbuch einer Theorie des Städtebaues geben, sondern durch Anschauung eine Reihe von Fragen vor denen erörtern, die heute Städte anlegen lassen: vor Laien. Der Verfasser beschäftigt sich insbesondere mit ganz einfachen praktischen Fragen des täglichen Lebens, die dem Bürger heute beständig nahetreten, die er aber meist nur vom Standpunicte verbrauchter Vorurteile aus ansieht. Sodann wird auf die Schäden hingewiesen, die unsere üblichen Bauordnungen anrichten, die Gesichtspunkte, die bei Stadterweiterungen den aufgestellten Bebauungsplänen zugrunde liegen müssten, werden kritisch erörtert, endlich will Schulize-Naumburg etwas zur Schätzung des Wertes der Städte beitragen, die sich noch nicht stolz Grossiädte nennen können. Band V Kleinbürgerhäuser Mit 130 Abbildungen. Preis Mk. 3.50, gebunden Mk. 4.50 Der Stand des Kleinbürgers ist in einer so überwältigenden Zahl da, dass auf hundert Häuser, die heute gebaut werden, sicher neunzig kleinbürgerliche kommen. Diese Bauten sind aber bis heute das Jämmerlichste, was überhaupt gebaut wird. Und da sie in unendlich grosser Zahl aufschiessen, so sind sie in hohem Grade mitschuldig, wenn sich das Bild unseres Landes in immer hässlichere Züge hüllt. Die älteren Kleinbürgerhäuser sind ihnen himmelweit überlegen. So lag hier die im Rahmen der „Kulturarbeiten* gegebene Aufgabe, eine Reihe von natürlichen und nicht veralteten Traditionsformen zu sammeln, die dem Bauenden manche Anregung geben können. Denn der Zweck des Buches ist wiederum, dass die Bilder zum Nachdenken und Beobachten anregen sollen. Eugen Diederichs Verlag, Jena Paul Schultze-Naumburg Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung. 13. bis 14. Tausend. Mit 133 Illustrationen. Preis Mk. 4.—, gebunden Mk. 5.Häusliche Kunstpflege. 13. Tausend. Mit Buchschmuck von J. V. Cissärz. Preis Mk. 3. —, gebunden Mk. 4.— Das Studium und die Ziele der Malerei. 3. Auflage. Mit 16 Illustrationen. Preis Mk. 3.50, gebunden Mk. 4.50 Kunst und Kunstpflege. 2. Tausend. Mit Buchschmuck von Walter Hessling. Preis Mk. 2. —, gebunden Mk. 3.— Verlag von E. Haberland, Leipzig Paul Schultze-Naumburg Die Technik der Malerei Ein Handbuch für Künstler und Dilettanten, mit Buchschmuck von J. V. Cissarz und einfarbigen und bunten Abbildungen im Texte. Preis Mk. 4,—, gebunden Mk. 5. — t^^ W^: r^ r H* I I I I .1. I I I