rrrrr^'Tnri" ,V-W->,..Wwl^«-T*W-U-v-.- »'(•'-- ' -o -(O "in PAUL5ChULTZE-NAU/ABURG ULTURARBEITEN BAND 1: HAUSBAU HERAUSGEGEBEN VOMKU I i i J I I t I I I Wi t m ! I I 1 I i ( I i PAUL SCHULTZE-NAUMBURG KULTURARBEITEN BAND I PAUL SCHULTZE-NAUMBURG KULTURARBEITEN ^S^5Äe)J® BAND I: HAUSBAU ^©J^.Nfire)!:® EINFÜHRENDE GEDANKEN ZU DEN KULTURARBEITEN ^St® HERAUSGEGEBEN VOM KUNSTWART !.' VIERTE VERMEHRTE UND VERBESSERTE AUFLAGE \^ BEI GEORG D. W. CALLWEY IM KUNSTWART-VERLAGE ZU MÜNCHEN 1912 DRUCK VON KASTNER & CALLWEY MÜNCHEN VORWORT UNTER dem Gesamttitel »Kulturarbeiten« erscheint im Kunstwart-Verlag eine Folge von Büchern, deren Zweck es ist, der entsetzlichen Verheerung unseres Landes auf allen Gebieten sichtbarer Kultur entgegenzuarbeiten. Sie sollen auch die ungeübtesten Augen durch stetig wiederholte Gegenüberstellung guter und schlechter Lösungen gleicher (oder ähnlicher) Aufgaben zum Vergleich und damit zum Nachdenken zwingen; ferner sollen sie auf die guten Arbeiten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts aufmerksam machen und so die Tradition, das heisst die unmittelbar fortgepflanzte Arbeitsüberlieferung wieder anknüpfen helfen. Die Kultur des Sichtbaren umfasst nicht allein Häuser und Denkmäler, Brücken und Strassen, sondern auch Kleider und gesellige Formen, Forste und Viehzucht, Maschinen und Landesverteidigung. Über die Tatsache, dass sie so, wie seit fünfzig Jahren der einzelne und das Gemeinwesen sie formt, eine entsetzliche Entstellung der Physiognomie unseres Landes bedeutet, darüber sind sich heut wohl alle, die hier eine Stimme abzugeben befähigt sind, einig. Seit einer Reihe von Jahren hat eine starke Be- VORWORT wegung eingesetzt, die mit gewaltigen Kraftanstrengungen arbeitet, aber ihre Arbeit vorzugsweise den Luxusbedürfnissen oder doch den Bedürfnissen der Bemittelteren zugewandt hat. Bei der Gestaltung der Formen des Lebens von Stadt und Dorf verschwinden die Besserungsversuche in der ungeheuren Menge der täglichen Aufgaben so gut wie ganz. Und doch ist es höchste, allerhöchste Zeit, dass hier Bestrebungen einsetzen, die Einhalt gebieten, wenn unser Land nicht bald das rohe und freudlose Antlitz einer verkommenden Nation tragen soll, die den Sinn des Lebens zum Vegetieren entstellt. Es ist gar nicht zu ermessen, welcher geistige Schaden entsteht, wenn wir auf die Dauer die Verbindung »nützlich und hässlich« für gewissermassen innerlich begründet halten. Wir sollten also bei unseren Bemühungen auf die Mithilfe von allen Einsichtigen rechnen können. Es kann aber keine gute Sache geben, die nicht alsbald ihre »Gegner« findet. Anstatt zum gemeinsamen Werke zusammenzuhalten, sieht man die Kampfgenossen sich gegenseitig zerfleischen, so dass man manchmal meinen könnte, es käme ihnen gar nicht auf die tatsächliche Erreichung des Zieles zum Wohle der ganzen Menschheit, sondern vielmehr darauf an, nur ja selber die ersten im Wettlauf zu sein. Es scheint mir angebracht, der Reihe von Büchern einige erklärende Worte vorauszuschicken, um den zerstörenden Folgen der Missverständnisse wenigstens bei VORWORT denen entgegenzuwirken, die mit gutem Willen an sie herantreten. Die Buchfolge »Kulturarbeiten« wendet sich nicht an die Kreise derer, die schon mit uns für gleiche Ziele fechten. Auch von ihnen werden vielleicht einige mit Interesse die Methode beobachten, mit der ein Mitkämpfer für die gleichen Ziele eintritt; auch sie werden an der Sammlung der Reste einer bescheidenen, aber feinen Kultur ihre Freude haben können und werden sich an der beharrlichen Durchführung von Beispiel und Gegenbeispiel nicht stossen, wenn sie sich sagen, dass auf diesem Grundsatz der ganze werbende und erzieherische Gedanke der Bücher beruht. Aber der Zweck der Veröffentlichung ist, denen die Augen zu öffnen, die noch ganz fernab stehen, denen noch nichts von der Erkenntnis dämmert, dass das Urteil unseres bewussten Anschauens nicht allein »schön und hässlich« lautet, sondern »gut und schlecht«, in beiderlei Sinn, nämlich »praktisch brauchbar und unbrauchbar« und »moralisch gut und schlecht« und dass das Auge sein Urteil nicht vom Sprachdenken zu beziehen braucht, in dem wir das einzig »logische« Denken zu erblicken gewöhnt sind. Auch das Auge vermag logische Schlüsse zu ziehen. Die Bücher wenden sich auch nicht ausschliessUch an die, die sich »die Gebildeten« nennen, sondern unser Wunsch ist es, das Volk zu gewinnen, den kleinen Bürger, die Bauern, die Arbeiter, diejenigen, die am nach- VORWORT haltigsten an der Umgestaltung des Antlitzes unseres Landes tätig sind. Man wird mir sagen : Die lesen doch keine Bücher. Ich meine: man muss die Bücher eben derartig unter das Volk zu bringen suchen, dass sie sie lesen können. Die Statistik unserer Volksbibliotheken spricht dafür. Im übrigen soll man doch ein anderes erreichbares Mittel sagen, mit dem man heut besser als mit billigen Büchern und Abbildungen auf breite Massen wirken kann. Natürlich, mit fortreissen kann erst die Betätigung, die dann zur Nachahmung verführt. Aber das liegt nicht i;i der Macht des einzelnen, und so muss ich mich damit begnügen, in Wort und Bild zur Betätigung zu überreden. SAALECK i. Th. PAUL SCHULTZE-NAUMBURQ VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE Dieser Band war nichts anderes, als eine etwas ausführliche Umschreibung des Programms der »Kulturarbeiten«, wie sie sich an das Thema Hausbau anknüpfen Hess, ohne es irgendwie erschöpfend behandeln zu wollen. Je weiter die Bearbeitung der folgenden Bände vorschritt, desto mehr ergab sich die Notwendigkeit der spezialistischen Behandlung der einzelnen Gebiete. Ich habe deswegen von einem weitern Ausbau dieses Bandes bei seiner Neuauflage abgesehen, um die ein- VORWORT gehendere Behandlung der Einzelfragen den weiteren Bänden zugute kommen zu lassen. Saal eck, Pfingsten 1904 PAUL SCHULTZE-NAUMBURG VORWORT ZUR DRITTEN AUFLAGE Die Veränderungen, die bei diesem Bande mit der dritten Auflage geschahen, bestanden im wesentlichen in einem Vermehren oder Verbessern des Bildermaterials und dem weiteren Ausbau einiger früher nur angedeuteten Ideen. Ausserlich wurde noch eine Verbesserung durchgeführt, die vielen Lesern willkommen sein wird. Es wurden nämlich die Bilderseiten von jedem laufenden Text freigelassen, wodurch erreicht wurde, dass die Textstelle unmittelbar neben das Bild, auf das sie sich bezieht, gesetzt werden konnte, wodurch das Vergleichen erleichtert wird. Auch die Untertitel zu den Bildern sind eine Neueinrichtung, die einem sehr häufig aus dem Leserkreise geäusserten Wunsche entsprechen. Saal eck, Herbst 1906 PAUL SCHULTZE-NAUMBURG VORWORT VORWORT ZUR VIERTEN AUFLAGE Mehr als zwölf Jahre sind ins Land gegangen, seitdem die ersten Kapitel dieses Bandes gedruckt wurden. Die Zustände sehen heute wesentlich hoffnungsvoller aus, als sie es damals taten. Es ist nicht bloss bei Vorsätzen oder Einzelversuchen geblieben, dem geschilderten Tiefstand unserer sichtbaren Kultur ein Ende zu bereiten, sondern es sind schon überall auf breitester Grundlage Ansätze zur Besserung zu finden. Unsere Architekten sind sich der Wichtigkeit ihrer Aufgabe bewusst geworden, die Erziehungsanstalten haben neue und bessere Wege eingeschlagen. Eine grosse Vereinigung, die sich »Heimatschutz« nennt, hat sich gebildet und sucht das Verständnis für ihre Aufgabe in alle Volksschichten zu tragen. Aber trotzdem sind wir heute noch nicht so weit, dass man sagen könnte: der Zweck dieser Veröffentlichungen ist erfüllt, das Buch ist überflüssig geworden. Denn wieviel Arbeit muss noch geschehen, bis die Entstellung und Zerstörung unseres Landes ein Ende nimmt, bis ein Verantwortungsgefühl für seine sichtbaren Gestaltungen das ganze Volk durchdrungen hat und die Forderung nach wahrhaftiger, schöner Gestaltung aller Dinge eine ebenso selbstverständliche geworden ist, wie sie auf ethischem Gebiet die nach Redlichkeit eines jeden Menschen schon lange bedeutet. Die Gegenbeispiele unserer heutigen Jahre sind zwar VORWORT nach einer andern Mode gekleidet, sind aber noch lange nicht ausgestorben. Es scheint mir jedoch eine verlorene Liebesmüh zu sein, sie jedes Jahr der augenblicklich herrschenden Mode anzupassen, und ich lasse daher die Bilder so stehen, wie sie damals entstanden sind, in der Ueberzeugung, dass der, der den Sinn verstehen will, es auch heute noch vermag. Saal eck, im Herbst 1911 PAUL SCHULTZE-NAUMBURG BEI den ersten Veröffentlichungen der Kulturarbeiten hat es nicht an solchen gefehlt, die schrieben, das seien ja Sachen, die sie schon längst wüssten. Hat schon einer dem Verfasser einer französischen Sprachlehre gesagt: das ist doch ganz unnötig, in Frankreich können die Leute ja alle französisch? Ich schreibe nämlich für solche, die noch nicht »französisch können«. Und wenn hier viel vom Häuserbauen die Rede sein wird, so ist es nicht meine Absicht, die guten Architekten belehren zu wollen, sondern mein Rat richtet sich an die, welche Häuser bauen lassen. Dass ein solcher Rat nicht überflüssig ist, zeigt die traurige Verwüstung unseres schönen Landes durch die Neubauten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, zeigt unser allgemein anerkanntes Bauelend überhaupt, das auf jede Strasse seine Greuel pflanzt. Der Wert der Gestaltungen unserer Zeit ist auf künstlerischem Gebiet gering, wenn man ihn an denen der früheren Epochen misst. Auf keinem Gebiete ist das GeSchultze-Naumburg, Kulturarbeiten VI 1 stalten aber kümmerlicher, in seiner Tragweite unheilvoller und demoralisierender, als auf dem Gebiete des Bauens. Kümmerlicher, weil weder zum Maler-, noch zum Bildhauerberufe sich derart unbekümmert vollkommen Unberufene wenden, wie es beim Baugewerbe der Fall ist ein Beruf, der meist als ein lediglich rechnerisch-praktischer, nicht als einer angesehen wird, der die Fähigkeit zu sinnfälligem Gestalten voraussetzt. Unheilvoller, weil kein anderer materiell Gestaltender seine Werke so zahlreich, so umfangreich und von so festem Material macht, wie der Bauende. Schlechte Bilder braucht man nicht aufzuhängen, schlechte Statuen kann man zerschlagen oder einschmelzen. Aber ein Haus steht fest und sein relativer Gebrauchswert verhindert, es ohne weiteres einzureissen. Demoralisierender, weil uns der elende Anblick der verunstalteten Welt stets vor Augen steht, ohne dass wir ihrem Anblick entgehen können. Deshalb läuft der, der in den Formen zu lesen versteht, nur mit beständigen Qualen umher, während der geistig Blinde sich mehr und mehr abstumpft und gleichgültig gegen die Sprache der ihn umgebenden Gemeinheit wird. So ist uns der lebendige Begriff des »Gestaltens« abhanden gekommen und man spricht bloss noch von »konstruieren« und von »verzieren«. Fin »Gestalten«, d. h. der Idee die Realität verleihen, bei der Kultur des Sichtbaren also die äussere Form- gebung, irgendwie geschieht es aber von jedem Sterblichen sein ganzes Leben hindurch. Dagegen gemessen schrumpft das Gestalten im engeren künstlerischen Sinne so zusammen, dass man es ganz übersehen könnte in jenem grossen Getriebe, das die Veränderung der ganzen Erdoberfläche durch Menschenhand bedeutet. Daran arbeiten ja alle mit: der Bauer und der Ingenieur, der Kaufmann wie der Gärtner, der Seemann wie der Soldat, der Förster wie der Baumeister, alle, vom Chausseearbeiter an, der die Strasse glättet, bis zu der alten Frau, die ihre Blumen vorm Dachkammerfenster zieht. Das alles ist keine Kunst im engeren Sinne. Aber tatsächlich gehört alles Gestalten derselben Familie an, der auch das eigentliche künstlerische Schaffen entspringt. Und nur wenn es Gestaltung der »Idee« ist, hat es Kulturwert. Nur, wenn es in vollkommenster Weise seinem Zwecke dient und sich diese Vollkommenheit auch in seiner äusseren Form ausdrückt. Und ist der Zweck selbst ein ethischer, so wird das einzelne die Harmonie eines ethischen Weltbildes zur Anschauung bringen. Unsere menschlichen Aufgaben sind aber nie solche, die nur die Erfüllung einer einzelnen Forderung verlangen, sondern fast immer handelt es sich um zusammengesetzte Forderungen. Ein guter Innenraum soll nicht allein Schutz gegen Wind und Wetter bieten, sondern er soll Menschen vereinigen und Werkstätte geistigen Lebens sein. Und von Vollkommenheit der Gestaltung kann man erst dann reden, wenn sämtliche Zwecke zum sichtbaren Ausdrucl< gelangt sind. Diese Vollkommenheit deckt sich haarscharf mit unserer Auffassung des Wortes »schön«. Ich glaube, all unser Menschenwerk wäre schön, wenn nie ein Schulmeister die Forderung gestellt hätte, man müsse etwas schön machen, wenn überhaupt von verschönern nie die Rede gewesen wäre; wenn als oberstes Arbeitsgesetz immer allein gegolten hätte: nur das zu bilden, was einem guten Zweck dient, dabei aber diesen Zweck stets auf die einfachste und vollkommenste Weise in seiner Erscheinung auszudrücken. Selbst die reine sogenannte zwecklose Kunst lässt sich hier mit einbeziehen. Sie bereitet unser Fühlen und Denken auf die Beherrschung der Wirklichkeit vor, setzt dieser die Ziele. Und auf die mit Nützlichkeitszwecken in Verbindung getretene Kunst trifft sie erst recht zu. Warum sind jene Villen »hässlich«? Weil ihr Äusseres nicht der Ausdruck eines behaglichen Daseins ist, weil man den Fenstern schon von aussen ansieht, sie leiten das Licht nicht so in die Zimmer, dass es unsere Augen umschmeichelt und ihnen wohl tut, weil ihre Zierate den Eindruck kindischer Putzsucht machen, anstatt durch Steigerung der Bewegung in der Linienführung und durch Veredelung der Sprache der Materialien das ganze Bauwerk ausdrucksvoller zu gestalten. In ihren tiefsten Wurzeln berührt sich Schönheit mit Ethik, indem sie uns das im weitesten Sinne für den Menschen »Gute« als »schön« sichtbar macht und ihn es lieben lehrt. Eine Harmonie in unserer Weltanschauung ist nicht möglich, so lange wir Gut und Schön als Begriffe auffassen, die nichts miteinander zu tun hab)en. Wir müssen jede Unterwerfung einer von uns unabhängigen Macht als ethisch betrachten, wenn diese Macht dabei nicht sinnlos vernichtet, sondern organisch einem höheren Zweck eingeordnet wird. Gibt es einen stärkeren Ausdruck der durch die Menschheit gebändigten Naturkräfte, als einen Eisenbahnzug? Wenn das Ungeheuer mit seinen glühenden Augen daherkommt, wie es in der grossen Kurve dort auf dem Boden dahinschiesst, dann auf dem Bahnhof laut keuchend und pustend kaum zu Atem kommt und nun mit tiefem Aufstöhnen von neuem die Last aufnimmt? — Natürlich, das ist Vermenschlichung: reden wir so, so wird für unser Gefühlsleben die Lokomotive »schön«. Es ist zum guten Teil Gewohnheit, weil sie so wenig Aehnlichkeit mit einem korinthischen Kapital hat, wenn uns nicht ohne weiteres dieses Wort auf die Lippen kommt. Sie hat auch noch Unvollkommenheiten an sich. Ausgerechnet diese erscheinen uns hässlich. Schön ist sie überall da, wo der gewaltige Zweck bis zur Vollkommenheit durchgedrungen ist. Ich lebe in einem kleinen Oertchen, das auf einem gesegneten Fleck Erde liegt. Selten nur verbindet sich die Natur in ihrer Fülle mit solch einem Reichtum hoher und alter Kulturreste. Fluss und Felsen, Felder und Wälder, steinige Einöden wechseln ab mit alten Dörfern, Höfen, Burgen und Städten. Es ist kein Land, das durch »Ungeheuerlichkeiten« den Touristen heranzöge, aber auch keines, bei dessen Spärlichkeit man die feinen Reize der Natur erst mühsam suchen müsste. Ueberall tritt einem ein solcher Reichtum der Mannigfaltigkeit, tritt eine Grossartigkeit der Linie entgegen, die manche Ähnlichkeit mit der römischen Campagna hat. Geologisch genommen ist es eine Hocheb)ene, eine Muschelkalkplatte mit etwas Rotsandstein, durch die in ungezählten Zeiträumen der Fluss sein breites und seltsam geschlungenes Bett gefressen hat. Und wenn man die Ränder des Tales in die Höhe klimmt, erblickt man die zu den weiten Fernen sich schwingende Hochebene, deren Ähren im Sonnengolde wogen. Idyllische Seitentäler mit steilen Hängen schieben sich dazwischen, in denen hie und da eine halbvergessene Wassermühle klappert. An einzelnen Stellen, an denen das Wasser heute noch nagt, fallen die Muschelkalkfelsen senkrecht zum Flusse ab; an anderen hat sich in langer Arbeit der Humus aufgehäuft, in lieblicher Hebung steigt der Boden an, mit dem dichten Kleide mächtiger Buchenwälder überzogen. Dort wieder, wo die Sonne das Gestein gebleicht hat, dehnt sich der langgestreckte Buckel kahler Orashalden, auf denen die Schafherden mit dumpfem Getrapp weidend ziehen. Der Fluss hat noch sein klares Gebirgswasser mitgebracht, ist aber doch schon breit genug, dass sein mit grünen Erlen umsäumtes dunkelblaues Band für jeden Blick über das Tal hervortritt. An seinen Südabhängen erheben sich Weinberge, in denen die wohlhabenden Städter im achtzehnten Jahrhundert mit höchst origineller Phantastik aus ihren Winzerhäuschen sich Sommer- Lusthäuser schufen, die der Schauplatz fröhlicher Weinlesefeste wurden. Und diese behagliche Fröhlichkeit ist hangen geblieben, noch nie hat die Anlage und Architektur des versteckten und einsamen Gärtchens eine reizendere Verkörperung gefunden, als zwischen den Mauern, die am Fusse der Weinberge von altem Efeu und wildem Weine umsponnen sind. Treppchen führen zwischen den Mauern nach oben, auf der höchsten Stufe steht hie und da noch ein lustiger Pavillon, von dessen breiten Fenstern oder säulengetragenem Vorplatze man flussauf- und flussabwärts meilenweit übers Tal blickt. Ich kenne dieses Land seit meiner Kindheit, da meine Heimat in der Nähe liegt. Ich will nun weiter nichts tun, als die Kulturarbeiten beschreiben, die diesen Fleck Erde verändern, wie es mir auf Spaziergängen auffällt. Die Nutzanwendung des Gesagten mag man sich dann selber ziehen. Ich fürchte, sie passt nicht allein hier. Und ich weiss, sie ist lehrreich überall im deutschen Lande. WENN es mein Leitmotiv ist, dass man an das Wohnhaus vom Anfang des 19. Jahrhunderts anknüpfen musste, um die abgerissene Entwicklung weiterzuführen, so meinte ich einen ganz bestimmten Typus, den man in allen Gegenden Deutschlands noch oft genug findet. Unsere Kenntnis vom nordischen Wohnhause datiert allerdings bis zum Mittelalter zurück. Soviel wir heute noch davon kennen, waren es Bauten, die ihre Zeit vortrefflich zum Ausdruck brachten. Jedes Haus war eine Festung, die Mauern dick, die Fenster klein, mächtige hohe Dächer mit Pfannen gedeckt, angebaute Treppentürme mit Wendeltreppen, so stehen die vereinzelten Überreste als trotzige und charaktervolle Gesellen da. Allmählich entwickelte sich das Städtewesen zu immer imposanterer Machtentfaltung. Das Haus der Renaissance ist das Patrizierhaus, wie es in der Front der Strasse mit aufragender Giebelfassade oder hohem Dach steht. Die Fenster sind breit und gross geworden, Reichtum drängt nach üppigem Schmuck, grosse Speicher, Höfe und wohl auch ein Gärtchen schliessen sich auf der Rückseite des Hauses auf dem langgestreckten Grundstück an. Im 18. Jahrhundert ist nicht mehr der Patrizier die »aktuelle Figur«. Der Bürger ist der Träger der beginnenden politischen und geistigen Freiheit geworden, und mit ihm zieht das Bürgerwohnhaus ein — das, was wir heute noch ersehnen, dessen Erfüllung heute da sein müsste, dessen Entwicklung aber unterbunden wurde. Das Bürger- Wohnhaus setzt im 18. Jahrhundert in derselben einfachen Schönheit ein, die stets im vollkommenen Ausdruck des vollkommenen Zwecks liegt. Wir besitzen es noch in zahlreichen Exemplaren, aber seltsam : auch die Architekten scheinen es kaum zu sehen. Ja, es sind ganz gute Häuser, meinen sie, aber es ist nicht viel »Architektur« an ihnen. Dass gerade darin, dass es gute Häuser sind (vielleicht auch, dass so wenig »Architektur« daran ist), das unsagbar Wichtige liegt, das beachtet man nicht. Man reisst sie ein wie altes Gerumpel, und setzt schauderhafte Protzenbauten an ihre Stelle. Man schaut mit aufgerissenen Augen nach England hinüber und meint: von da muss uns das Heil kommen, denn alle Wetter, was baut man da nicht allein moderne, sondern auch gemütliche und wohnhafte Häuser! Ja, allerdings, von den Engländern kann uns das Heil kommen, aber nicht, indem man ihnen so weiterschielend Motive abguckt, sondern indem man dieselbe Methode aufnimmt, durch welche die Engländer ihr heutiges Wohnhaus gewonnen haben. Indem man nämlich an unser Wohnhaus vom Ende des 18. Jahrhunderts und vom Beginn des 19. Jahrhunderts anknüpft und es den veränderten Bedingungen gemäss weiterführt. Der Bürger war frei geworden, er zog aus der engen Strasse, aus der Fassade heraus vor das Tor, das keine Festung mehr verschloss. Rechts und links von den Landstrassen wachsen die traulichen Gärten mit den frei- 10 stehenden Häusern empor. Am liebsten umschloss man den Garten mit einer hohen Mauer, damit der Besitzer sich darin wie in seinem kleinen Paradiese ganz nach eigenem Gefallen ergehen konnte, behaglich und unbeiauscht. Manchmal freilich öffnete sich auch in der Mauer ein breites Stück und Hess einen Einblick in eine besonders dazu geschaffene Stelle oder auf die Front des Hauses. Aber bald schlössen sich wieder die Umzäunungen, sie Hessen das trauliche Gartenleben den Draussenstehenden nur ahnen, man zerstörte es nicht, indem man es den Blicken preisgab. An der Mauer angebaut stand oft ein kleines Gartenhaus, dessen Dach über sie hinausschaute und dessen breite lichte Tür aus dem Sälchen über ein paar flache Stufen unmittelbar in den Garten führte. Die Wege waren nicht in der beliebten Brezelform unserer heutigen Gartenkünstler angelegt, sondern meist geradlinig, mit einer reizvollen Perspektive, von Buchsbaum und Zwergobst eingefasst. Dichte, kühle Lauben aus Lattenwerk, mit Efeu oder wildem Wein umsponnen, gaben wirklichen Schutz vor der Sonne. Da es hier ganz und gar auf die unmittelbare Anschauung ankommt, habe ich das Beste dessen, was uns hier erhalten geblieben ist, in Abbildungen festgehalten. Und zwar zum Teil auch gleich mit den Gegenproben, d. h. mit dem, was heute an seine Stelle oder doch daneben gesetzt ist. Abb. 1 und 2 mögen als Gegenstücke dienen. Das eine ein ganz einfaches Gartenwohn- 11 haus, geNx^iss kein architektonisches Meisterstück, sondern nur eben ein freundliches und schlichtes Haus, wie es im 18. Jahrhundert selbstverständlich war. Aber welche Anmut, welches Daseinsbehagen und welche Wahrhaftigkeit im Ausdruck von der Tür bis zum obersten Dachziegel hinauf! Es ist ganz ohne Schmuck, — der Besitzer wollte keinen Reichtum erheucheln, wo nur leidliche Wohlhabenheit vorhanden war, er begnügte sich mit dem lebenden Schmuck des wilden Weins, der das Haus umrankt. Trotzdem bedeutet das Haus, so wie es dasteht, einen Schmuck des Gartens, ja der ganzen Gegend. In ihrer Einfachheit entzückend ist die Silhouette des Daches mit dem einfachen Dachreiter. Denn das ist keines von den heute so sinnlos aufgeleimten Türmchen und Zinnen und Zacken, die vollkommen überflüssig sind, mit dem Bewohner in gar keinem Zusammenhang stehen und im Grunde nichts als eine kindische Protzerei verbunden mit Butzenscheibensentimentalität bedeuten. Sondern es ist durchaus Ausdruck des Zwecks, nämlich der Träger eines luftigen, hochgelegenen und benutzbaren Sälchens mit einem Ausblick über Fluss und Tal. Deswegen ist das Türmchen so hoch hinaufgeschoben, um über Bäume und Dächer der Nachbarschaft zu sehen. Das schlichte Dach mit der einfachen Wetterfahne schliesst ohne jede Stilfexerei ab. Als charakteristische Zutat der neuen Zeit bemerke man, dass im ersten Stock das zweite und fünfte Fenster aufgemalt sind. 12 Abbildung 1 Gartenwobnhaus in Jena 13 Jg«!§P^-''^'-^ GEGENBEISPIEL Abbildung 2 14 Und nun unser Gegenstück, Abb. 2. — Warum lachen wir denn? Das ist gar nicht komisch, sondern tieftraurig. Es ist nicht das Haus meines Feindes, dem ich einen Schabernack spielen will, sondern es ist eben der Typus des Hauses, wie wir es heut überall, zu Dutzenden, zu Hunderten, zu Tausenden emporschiessen sehen auf den Ruinen der Ansätze einer feinen, echten und wahren bürgerlichen Kultur. Es ist das »elegante« kleine Haus, wie es gradso in den Vorstädten Berlins, wie hier, wie sonstwo steht. Ich weiss sehr gut und bin gewiss einer derjenigen gewesen, die es immer mit froher Hoffnung betont haben : gewiss, es wird besser. Ich werde auch davon Beispiele bringen. Aber was wollen diese, fast immer noch als Ausnahmen erkennbaren Vorläufer bedeuten gegen die zahllosen — nennen wir es nur beim rechten Namen: Schwindelhäuser, die in Deutschland überall aus dem Boden schiessen. Sie sind, nicht dank eigner Würdigkeit, aber dank der modernen Baupolizei, leider Gottes dauerhaft, und so schänden sie das Bild unseres schönen Landes auf unberechenbare Zeiten hinaus. Geht es so weiter, dann ist der Begriff ein »schönes Stadtbild«, ein »idyllisches Land« bald abgestorben im ganzen Vaterlande. Die Welt wird aus Proletarierkasernen und aus »eleganten Villen«, wie unsere Abb. 2, bestehen. Man sehe sie sich mal genauer an. Im Grunde sind die Zimmer viel kleiner als früher, und die Treppe ist enger und steiler. Aber die Fenster haben Putzumrahmungen, die offenbar an einen 15 Palazzo erinnern sollen. Das Dach-Giebelzimmer ist winzig, aber ein herrlicher Schnörkel sitzt oben drüber! Gibt es in der ganzen Welt einen Menschen, dem diese Karikatur wirklich gefällt, nachdem er sie erst einmal »verstanden« hat? Ich glaube nicht. Die Menschen bilden sich alle nur ein, »so was« sei eben schön, und nehmen es als gegeben an, weil es der Nachbar ja auch hinnimmt, und weil es, wenn es überall so gemacht wird, doch wohl so sein muss. Endet bei den wohlfeileren Bauten heute fast alles in ein trostloses Proletariertum, wo früher jede Köhlerhütte ein Stück wirklichen Gestaltens zeigte, so läuft bei den kostspieligeren Anlagen der Witz des »schönen Bauens« in eine kopflose Zusammenhäufung von Motiven aus. Als uns damals der deutsche ästhetische Schulmeister die Tradition zerbrach, schenkte er uns dafür ein Lehrbuch der historischen Stile oder genauer gesagt: ihrer Schmuckformen. Und in der Zusammenhäufung dieser Stilmotive in der verkümmerten Form schlechter Kopien sieht man von damals bis heut Alpha und Omega der landesüblichen Bauerei. Dank der Vorlagewerke kann man heut beim kleinsten Maurermeister in der Provinz alles bestellen : gotisch, romanisch, deutschen Reichs- oder »Sezessionsstil« — auf dieselbe kubische Inneneinteilung wird dann das entsprechende Ornament aufgeklebt, und der höhere oder niedere Preis bestimmt die Menge der »Motive«. Bildet in alten Bauten hier einmal ein Erker, dort einmal eine Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten 1 18 durch das Treppentürmchen begründete Haube eine malerische Bereicherung der äusseren Erscheinung, so bilden heute unsere Villen-Vorstädte illustrierte Musterkataloge von missverstandenen alten oder neuen Formen. Auch da, wo man im vorigen Jahrhundert ein Haus bauen wollte, das man heute ein kleines Palais nennen würde, machte man nicht den Versuch, äusserlich so zu tun, als ob es im Grunde eine Ritterburg wäre, sondern man blieb beim schlichten Wohnhaus. Auch der vornehme Mann wollte den Ausdruck der Behaglichkeit nicht entbehren, besonders wenn er vor die Stadt zog und ein Stück Etikette zu Hause lassen durfte. Unsere Abb. 3 kann als ein gutes Beispiel für ein solches Heim dienen. Es ist ein schon ganz stattliches Haus und enthält viel mehr Raum, als man ihm so äusserlich ansehen dürfte. Auch hier wird man nach Zieraten vergeblich suchen. Und doch verrät die blosse äussere Erscheinung ohne weiteres ein selbstbewusstes Auftreten und eine beträchtliche Wohlhabenheit. Der Bewohner brauchte nicht zu fürchten, dass man ihn nach seinem schlichten Hause unterschätzte. Wie einfach sieht dagegen Abb. 1 aus; schon die mit dichtem wildem Wein umwachsene Vorfahrt gibt diesem Hause auf Abb. 3 ein ganz anderes Gepräge. Die Fenster sind gross und hell und beleuchten aufs behaglichste die Innenräume. Und nun sehe man sich Abb. 4 an. Auch das ist ein Haus, wie es sich nur ein wohlhabender Mann bauen kann. Es war aber einer aus unseni 19 Tagen. Beschauen wir es uns recht. Wird uns warm ums Herz? Empfinden wir überhaupt etwas? Motive, Motive, sinnlos zusammengetragene Motive von allem möglichen, was als mustergültig in den Bauschulen gelehrt wird. Deutsche Renaissance ist mustergültig, hier hast du Motive aus deutscher Renaissance. Italienische Renaissance ist auch mustergültig, es kann auch damit gedient werden. Ist es ein Bau, der gewachsen ist? Ein Bau, der sich einer menschlichen Existenz um- und anschliesst wie ein Kleid? Ist es aber etwa ein Monstrum, das selten zu finden wäre? Steht es denn nicht an allen Strassen? Wenn die Häuser, die zwischen 1870 und 1900 gebaut sind, in ihrer Mode wechseln, so dass man fast ohne weiteres die Jahreszahl der Erbauung erraten kann, so zeigen uns die Reste unserer wirklichen Kultur ein viel grösseres Beharren. Beileibe nicht etwa Einförmigkeit; im Gegenteil, der Phantasiereichtum bei ihnen ist ein so fabelhaft grosser, dass jedes Haus fast ein anderes Gesicht hat. Man sehe sich Abb. 5 an. Hat es nicht ein breites, gutes, ehrliches Gesicht? Und ist ein ganz einfaches städtisches Gehöftgebäude. Aber es hat Charakter, hat Wahrhaftigkeit. Und das reisst man nieder, nicht, weil es baufällig wäre, sondern weil die Stadt verschönert werden soll. Und wie verschönert man? So wie Abb. 6 zeigt, das Haus, das man daneben gebaut hat. Man kann wohl ziemlich sicher sein, dass seine inneren Qualitäten seinen äusseren entsprechen werden und 2* BEISPIEL 20 ^Tfm^ Abbildung 5 Gehöftgebäude in Jena 21 GEGENBEISPIEL Abbildung b 22 keine Spur von der sonnigen Behaglichkeit zeigen, die ähere Zeiten ihren zu Wohnzwecken bestimmten Gebäuden mitgaben. Wäre das neue Haus behaglich, dann würde es auch behaglich aussehen. Man sagt heute so oft: das Volk müsse zur Kunst erzogen werden. Das klingt mir mit der Zeit ganz verdächtig. Ich glaube fast, es würde grad genügen, die Kinder daran zu gewöhnen, einfach die Augen aufzumachen, anstatt sie einmal zu dem und zu dem und ein andermal wieder zu etwas anderem zu erziehen. Dann stände es ganz gewiss nicht so schlimm um unsere Kultur des Sichtbaren. Denn — das ist meine Hoffnung: so geradezu gemein, wie es die Wege, Strassen, Brücken, Häuser, Gärten, Denkmäler und Kirchen in der eindringlichen Sprache ihres Äusseren erzählen, so gemein können ja all die Menschen, die sie schufen und die für sie einstehen, gar nicht sein. Es gibt drei Möglichkeiten. Entweder, es deckt sich das Sichtbare ganz genau mit dem Charakter unserer heutigen Menschheit. Dann könnten wir von heute alle verzweifeln. Denn dann stände das Ethos der Gegenwart auf einer so tiefen Stufe gegenüber aller Vergangenheit, dass wir am besten Schluss wünschen müssten. Oder aber: sichtbare Erscheinung und tatsächliches Wesen hätten überhaupt nichts miteinander zu tun, — »der Schein trügt«, heisst ein alter Gemeinplatz. Dann könnte man mit Recht fragen, wie überhaupt das Äussere 23 zustande kommt und xx^elchen Zweck die Natur verfolgte, als sie uns mit Fähigkeiten ausrüstete, es wahrzunehmen und zu »beurteilen«. Oder aber, die dritte Möglichkeit: infolge einer sonderbaren Funktionsstörung ist die Beziehung »innerlich« auf »äusserlich« unterbrochen worden. Das geht nur auf kurze Zeit, denn es besteht Wechselwirkung. Über lang oder kurz wird dann das Äussere im Innern wahr machen, was es jahrzehntelang verkündet: die Menschheit wird dann wirklich so gemein sein, wie sie jetzt nach ihrer sichtbaren Betätigung nur zu sein scheint. Das ist unsere Sorge und unsere — Hoffnung. Denn wir wünschen : macht endlich einmal die Augen auf, ihr ^iiüsst ja sehen, was da so klar, so leuchtend klar jedem Haus, jedem Tor und jedem Dach im Gesicht geschrieben steht, gegen das unsre Schriftzüge dunkle Hieroglyphenzeichen sind! Aber man macht vorläufig die Augen eben noch nicht auf. Man hat Geschäfte und Eile und kann nicht gross zur Seite schauen. Unsere Trottoirs sind ja so gangbar. Das kann einer, dem die Augen stets Gefühlsvermittler für das Unaussprechbare gewesen sind, schwer begreifen. Und doch muss man es jeden Tag neu erfahren. Bis zu welchem Grade das gehen kann, habe ich diesen Sommer beobachtet. Ich besuche von Zeit zu Zeit eine alte Universitätsstadt in der Nähe. Es ist schwer, mit wenigen Worten zu sagen, was mich zu ihr zieht, aber ich verlebe in ihr 24 Tage von traumhafter Schönheit. Es sind nicht die Berge und der Fluss und das Tal, die mich so anziehen, denn in diesen verbringe ich das ganze Jahr. Sondern es ist die Atmosphäre der Stadt, die eng mit allen Steinen, Ziegeln, Brettern, Balken, Erde und Pflanzen verwachsen zu sein scheint. Unsere ganz Grossen im Geiste waren es, die hier wandelten und sich ihre Stätten schufen. Die ganze wundervolle geistige Kultur, die einst Deutschland hervorbrachte, hatte sich hier gleichsam zu greifbarer Form verdichtet. Nicht die grossen Kunstwerke, die sie schufen, finden wir, sondern das Milieu, das sie sich in der Harmonie ihres Lebens bildeten. Überall war geweihte Stätte, aber: man wusste es nicht allein, sondern man sah es, man fühlte es mit seinen Augen. Und ich ging von Ort zu Ort, nicht um Totenkultus zu treiben, sondern um bereichert im eigentlichsten Sinne des Wortes dann wieder weiterzugehen. Denn die geistige Kultur, die sich dort in sichtbarer Form niedergeschlagen, barg Werte, die noch nicht ausgeschöpft sind für das deutsche Volk. Wir haben sie noch lange nicht in uns aufgenommen und noch lange nicht sind sie als Leben in uns aufgegangen. An einem Hause blieb ich immer stehen. Es bedeutete einen Denkstein in der Geschichte der deutschen Studentenschaft. Aber mehr noch : der deutsche Genius selber hatte es geweiht, und die Worte, die er dort gefunden, sind Eigentum der Welt geworden. Das Haus stand an einer alten ehrwürdigen Brücke, und Fluss, Brücke und Haus bildeten 25 ein Ganzes, das nicht gebaut, sondern gewachsen zu sein schien. Das mag eine Empfindung sein, die man allen allseitig harmonischen Anlagen gegenüber haben kann. Die Brücke, eine der wenigen, die von Hochwasser und Restaurierung verschont geblieben war: eine sehr einfache alte Brücke, die nicht eine einzige Verzierung aufwies, die sie »gefälliger« hätte gestalten können. Welch eine Monumentalität, welch ein Ausdruck in ihrem schweren Bau mit ihren gedrungenen Pfeilern, die den Zug der Heerstrasse auf ihren Rücken tragen ! Und daneben die Herberge, in der Goethe selbst in jungen Jahren oft Gast gewesen war. Allmählich wurde mir Fluss, Haus und Brücke zu einem Symbol der grossen Zeit selber, das als Mikrokosmos die Welt spiegelte, die jener gesehen und sehen gelehrt hatte. Und als ich wieder einmal hinkam, fand ich die vertrauten Züge verwischt und ein leeres Gesicht an ihre Stelle getreten. Unsere Bilder 7 und 8 erzählen besser als Worte von der Veränderung. Zufällig bewahrte ich vondem Orte eine Skizze und konnte deshalb das alte Haus in das eine Bild so hineinzeichnen, dass es, wenn auch nicht auf architektonische Korrektheit, so doch auf Richtigkeit des Eindrucks Anspruch machen kann. Aber, fragt man, empörte sich denn nicht die ganze Studentenschaft, tat sich nicht die Gesamtheit der akademischen Lehrer zusammen, um mit allen Mitteln solche Barbarei zu verhindern? Ich habe nichts davon gehört ^5 S z. <" ^;t: « E <2 .5 y S " >- _. « — E CS CJ u rt ° ~ C/J Ol N ^ a S .•S H 5 * S ü 28 Wo einst Goethescher Geist ausging, da herrscht jetzt unangefochten Maurermeisterschablone und Restaurateur- geschmack. Wahrscheinlich — sie hatten es gar nicht gesehen. Hatten es gar nicht gemerkt, wie man sie bestohlen. Sie hatten es ja nie besessen. Ich machte die Probe. Ich holte mir den und jenen Bekannten und führte sie hin. Die meisten merkten gar nicht, dass das Haus ein anderes geworden war! Die Gedenktafel hing ja wieder dran .... Man betrachte die Bilder 9 und 10. Wieder das alte Haus an der Heerstrasse und das neue. Jenes nach dem Typus gebaut, den wir häufig finden im 18. Jahrhundert: den Mittelbau hervorgehoben durch den Risaliten mit dem Giebel, die Fensterachse durchgeführt, das gebrochene Mansardendach. Puristen sagen hier: Sehen Sie, da beginnt der Verfall. Hier schiebt sich in unsere heimische mittelalterliche Bauweise, die aus dem Material hervorging und individualisierend (soweit das beim Bauen überhaupt möglich) war, zuerst das fremde Moment des klassizistischen Gedankens hinein, der der Urheber allen Unheils wurde. Hier beginnt die Regel das Leben zu ersticken. Der Fassade zulieb wird eine vorbestimmte Fensterachse innegehalten, die Symmetrie wird wichtiger als die Sachlichkeit; hier beginnt die Zerlegung der grossen einheitlichen Lichtquellen nach einem vorgefassten Schema. Zugegeben : hier sind die Quellen dessen, was später 29 ZU einem so breiten See von Unheil auslief. Aber war dieser Anfang einer, der die Notwendigkeit zu solchem Ende schon in sich trug? Ich glaube nicht. Hätte sich nicht unter anderen Einflüssen alles genau so gut aus diesen Anfängen zu ausgezeichnetem Weitergedeihen fortentwickeln können? Der klassizistische Zusatz ist eng mit unserem deutschen Geistesleben verwurzelt. Könnte oder wollte man ihn je wieder ausscheiden? Alle grossen Kultur-Entwicklungen entstehen aus der Befruchtung zweier an sich entgegengesetzten Prinzipien, wie aus Vater und Mutter, die zusammen das neue Kind zeugen. Nordischer Geist und antiker Geist gingen hier eine Ehe ein, und die Kinder, die damals aus ihr hervorgingen, waren schöne Geschöpfe. Prinzipienreiterei sollte uns nicht blind dagegen machen. Man sehe sich doch ein Haus wie auf Abb. 9 (auch 11, 13, 15 und andere) ganz vorurteilsfrei an und lasse es auf sich wirken. Spricht hier nicht alles vom Ernst der Lebensauffassung, die sich mit Heiterkeit gesellt, von vornehmer Würde, von Selbstsicherheit, von Anstand, von Gemessenheit und von Nachdenklichkeit, die den höchsten Gütern des Lebens Raum gibt? Von dem Erfüllen der sachlichen Forderungen später einmal bei einem weniger ruinösen Beispiel. So wie auf Abb. 10 ist dann endlich alles ausgegangen. Hier haben wir die vollständige Narrheit! Auf den Mittelgiebel ist die Schweizerhausphantasie eines Mannes geklebt, der sicher nie in der Schweiz ge- 30 BEISPIEL r — Abbildung 9 Gastbaus in Neufleinmingen 31 GEGENBEISPIEL AüUllOuli^ lU 32 wesen ist, denn der tut man mit dem Namen »Schweizerhausarchitektur« unrecht. Das Dach, die hohe Stirn, ist weg, und das ganze Haus macht ein Gesicht, wie ein dummer Junge, der sich irgendeinen albernen Kopfputz aufgesetzt hat, die Augen aufreisst, das Maul aufsperrt und nun seiner nicht ganz sicher die Welt anstiert. Auch in Zeiten gefestigter Überlieferung verwendete man Formen, die nicht der direkten Überlieferung angehören. Doch ist es in vielen Fällen schwer zu unterscheiden, ob es sich um Übernahme oder eigene Erfindung handelt. Es gibt eben gewisse Bauglieder, die sich dem Überlegenden von selbst einfinden und auf die man logischerweise kommen müsste, wenn auch vorhergehende Zeiten sie noch nicht gehabt hätten. Will man etwas Freistehendes tragen lassen, so bleibt einem nichts anderes übrig, als eine Säule darunterzusetzen, und die runde Form ist vermöge ihres einfachsten Querschnittes die nächstliegende. Das dorische Kapital ist der einfachste und logischste Abschluss nach oben in solchem Masse, dass man ihn schliesslich auch ohne die Vorarbeit des Altertums ähnlich hätte finden müssen. Es ist deshalb ein recht törichter Vorwurf, den man den von klassizistischen Momenten durchsetzten guten Bauten vom Ende des 18. und vom Anfang des 19. Jahrhunderts macht, der Vorwurf, dass sie undeutsch wären. Verkörpert sich doch trotz dieser klassizistischen Momente gerade in jenen Bauten das Wenige, was wir vom echten deutschen Bürger- 33 hause haben, denn eben nach ihnen ward die Überlieferung abgebrochen. Bis zu welch phantasievoller Anmut und innerer Harmonie trotz einzelner, wenn man vtill, griechischer Bauglieder man damals gekommen ist, das zeigt z. B. der kleine Pavillon auf Abb. 11, den man sich freilich ohne die Verkürzung vorstellen möge, die sich bei der photographischen Aufnahme nicht vermeiden Hess. Das ist durchaus kein griechischer Tempel und auch kein Sammelsurium aus fremden Schmuckformen, sondern ein Bau aus einem Guss, dem sein schöner Zweck klar und rein auf der Stirn geschrieben steht. Und diesen hohen Grad von fintwicklung Hess man dann verkümmern ! Man verliess ihn, um sich einem traditionslosen Bauwahnsinn in die Arme zu werfen. Sind Bauten wie Abb. 15a etwa Seltenheiten bei uns? Man borgt sich breite romanische mächtige Bogen, auch wenn sie durchaus nicht schwere Massen zu tragen haben, man bringt Schiesscharten an, obgleich der Bau nichts weniger als eine Festung ist, Zinnen, obgleich kein Wehrgang da ist, Treppentürme, wo keine Treppenbauten vorhanden sind, Giebel, wo nichts zu decken ist, Turmspitzen, wo nichts gen Himmel zu ragen braucht! Auf solchen Wahnsinn aber kommen die sich selbst oder einer Überschwemmung von verwirrenden Vorlagen überlassenen Baumeister, während sie auf den sicheren Bahnen der Tradition zu so schönen Leistungen gelangen könnten wie die Tausende ihrer Vorfahren im Handwerk! — Zwei weitere Pavillons aus älterer und Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 3 34 Abbildung 11 Weinbergpavillon in Rossbach a. S. 35 neuer Zeit zeigen Abb. 13 und 14. Auch der erstere zeigt durchaus die Formensprache der »Renaissance«, während die Formen des andern halbe Narrheit bedeuten, obgleich solches auf unseren öffentlichen Bauschulen gelehrt wurde. Ich zeige noch einige Beispiele von anmutigen und guten Bauwerken, welche ausgesprochen antike Bauglieder besitzen und dabei doch durchaus deutsch wirken. So ist Abb. 15 geradezu der Typus des kleinen Lusthauses, wie ihn sich das behagliche Bürgertum des 18. Jahrhunderts zu Schützenhäusern oder zu Stätten anderer ländlicher Freuden schuf. Trotz der Säulen, die die schlichte Front so gut gliedern, wird niemand auf den Qedanken kommen, das Häuschen wollte sich als Tempel aufputzen, und das flache Delta des Giebels ergibt sich aus dem Mangel eines hier unnötigen hohen Bodenraums ganz von selbst. Allerdings liegt ja bei unserem Klima in einem solchen flachen Dache eine gewisse Gefahr, da der Schnee nicht genügend abrutscht. Aber wenn man die Dächer, die ja im übrigen einen immer noch weit stärkeren Neigungswinkel hatten als unsere »flachen Dächer«, so gut eindeckte und die Stellen, wo verschiedene Dachflächen zusammenstossen, so sorgfältig verkehlte, wie es damals die Handwerker noch taten, dann ging sogar das. Unsere heutigen Dächer sind zumeist auch nicht steiler, ja oft flacher, aber sie sind dafür mit Dachpappe geDie Abbildung 12 der früheren Auflasen ist in dieser Auflage Abbildung 15 a. 36 BEISPIEL Abbildung 13 Gartenpavillon in Kassel 37 GEGENBEISPIEL Abbildung 14 38 BEISPIEL Abbildung^ 15 Scbützenhaus bei Arnstadt 39 GEÜENBEISPIEL Abbildung 15a* * In den früheren Auftagen Abbildung 12. 40 Abbildung 16 Vorhalle des Schützenhauses bei Arnstadt o 41 deckt oder bei massiver Deckung die Kehlungen mit Zink gemacht! Die überdachte Terrasse, die dem Eingang (Abb. 16) vorgelagert ist (es ist die Rückseite von 15), zeigt freistehende, ebenfalls dorische Säulen. Niemand wird leugnen können, dass diesem Eingang nicht allein der Ausdruck schlichter Würde innewohnt, sondern dass er hinter dem einfachen Stabwerk des Geländers auch äusserst anmutige und behagliche Gelegenheit zum Sitzen bietet. Ein ähnliches Bild bietet die Vorfahrt auf Abb. 17. Auch hier habe ich schon den Vorwurf der »Undeutschheit« laut werden gehört. Und trotzdem lösen sich bei näherer Betrachtung alle Formen in die schlichte Beantwortung von Nützlichkeitsfragen auf. Das Ganze gehört zu einem Sudwerk, also einer Fabrikanlage, wie sie das 18. Jahrhundert schuf. Schon der erste Blick überzeugt, dass man damals den Zuchthausausdruck noch nicht für eine notwendige Begleiterscheinung für jedes Gebäude hielt, das industriellen Zwecken diente. Leider ist dieses schöne Beispiel für gute alte Bauart vor kurzem zum Teil einer Feuersbrunst zum Opfer gefallen und recht schlecht — natürlich, wie könnt's denn anders sein — wieder aufgebaut. Doch fügte es sich gut, dass ich kurz vorher noch eine Reihe von Aufnahmen davon gemacht hatte, die ich in einem andern Bande der »Kulturarbeiten« zeigen kann. Unsere Abbildung zeigt die Vorfahrt. Die Aufgabe 42 war, nicht allein den Wagen der Direktoren us^J7., sondern auch wartenden Lastwagen eine geschützte Wartestelle zu schaffen, denn der eine Raum rechts von der Tür beherbergte die Salzwage. Eine weit vorspringende und breite Verdachung ergab sich also von selber. Da auf dieser Verdachung ein Balkon keinem Zwecke gedient hätte, weil er auf den Speicher hätte führen müssen, auch wohl keine Beamten hier wohnten, musste man die Platte vor dem Regen mit einem Dach schützen. Um den hierbei entstehenden Bodenraum gut zu beleuchten und dadurch nutzbar zu machen, liess man die Vorderwand in einen Giebel endigen, den man mit einem grossen ovalen Fenster versah. Um das Dach zu tragen, fügte man Stützen vorn unter und es mussten ganz von selbst Säulen werden, da hier keine Mauer den Blick der Beamten nach aussen hindern und den Raum verdunkeln sollte, auch genügend Ausgänge nach vorn (man sieht im Bilde noch den Ansatz einer Treppe auf eine höhere Terrasse des Gebäudes) bleiben mussten. Da man mit Holz arbeitete, musste der Architrav ziemlich hoch werden, um die grosse Spannweite zu tragen, besonders, da ja der Bodenraum vielleicht noch mit Salz belastet wurde. So fügte sich aufs natürlichste eins dem andern und indem man nur mit aufmerksamem Sinn dem Diktat der sachlichen Forderungen folgte, entstand bei der feinen Artung der Ausführenden, welche von der Hand einer Tradition sicher geleitet wurden, ein höchst anmutiges Gebilde. 43 Sieht nicht eine Vorfahrt wie die auf Abb. 18 im höchsten Grad unwürdig aus? Ganz abgesehen von dem unechten Aufputz des Hauses selbst, steht denn das kümmerliche Glasdach mit dem übrigen Aufbau des Hauses auch nur in der leisesten Verbindung und sieht es nicht vielmehr aus, als sei das Ganze angeklebt? Aber reisst man nicht alle guten alten Anlagen mit dem Bemerken, sie taugten nichts mehr, nieder, um sie durch Kopflosigkeiten und Gemeinheiten zu ersetzen, die man für den Ausbund von Sachlichkeit und Eleganz hält? Und dieses klägliche Schauspiel wiederholt sich in derselben Weise überall und überall vor unsern Augen, in Stadt und Land, Gärten und Strassen, bei Kirchen und Brücken. Das schlichte einfache Fronthaus, wie man es bis zu Anfang des 19. Jahrhunderts fast überall hatte — es war doch ein anständiges und würdiges Glied im Stadtbild, und wenn wir es noch heute besässen, d. h. wenn sein Wert heute bei uns noch allgemein lebendig wäre, wäre es ein leichtes, es den Bedingungen der heutigen Zeit gemäss weiterzuführen. Denn auch das ist nichts als ein Wahn, dass der entsprechende heutige Wohnhaustypus an sich in irgendeiner Beziehung bequemer oder behaglicher wäre. Denn den relativ grösseren Komfort verdanken die neuen Häuser lediglich unserer Technik, die in Heizungen, Wasserzu- und -abführung und sonstigen hygienischen Einrichtungen Hervorragendes leistet, nicht der Architektur. In Abb. 19 zeige ich 44 BEISPIEL Abbildung 17 Ehemalige Form der Salzwage Sudwerk Suiza 45 GEGENBEISPIEL Abbildung 18 46 BEISPIEL Abbildung 19 BUrgerwohnfaaus in Naumburg a.S. 47 GEGENBEISPIEL Abbildung 20 48 ein sehr einfaches Haus in der beschriebenen Art, in Abb. 20 ebenfalls einen Typus, wie man ihn in jeder Stadt an allen Ecken findet, der sogar dieselben Grundformen zeigt wie 19, die jedoch überall verkümmert erscheinen und deren schmückende Zutaten einen recht ärmlichen Eindruck erzeugen. Man vergleiche doch die beiden Giebel, mit und ohne Zacken. Der Augenschein wird überzeugen ! Wie sinnlos das oft gehörte Wort von der Luft- und Lichtfeindlichkeit der alten Zeit ist, wenn man es ohne weiteres verallgemeinern will, das zeigt neben Abb. 19 auch die Fensteranordnung auf Abb. 21, die mit ihrer langen Reihe hoch im Zimmer liegender Fenster eine starke Lichtflut in die Räume bringt. Wie angenehm, breit und bequem sind in diesen einfachen Häusern die Treppenanlagen, wie behaglich noch ihre Mansardenzimmer! Ich hätte schönere, imposantere Beispiele für Fronthäuser bringen können; ich wähle dieses schlichte, um zu zeigen, wie sicher die einfachste Anlage auch dem bescheidensten Handwerker damals geriet, weil er innerhalb der festgefügten Grenzen der Überlieferung schritt. Wohin der Architekt oder Bauunternehmer aber heute gerät, wenn ihm nicht die Tradition sagt : so machst du es und nicht anders, sondern Bauschulen und Bildung mit tausend Bauformen, die er nicht versteht und die er nicht braucht, ihn überschütten und verwirren, das sieht man an Abb. 22, dem Hause, wie es überall auf den Ruinen von Häusern wie auf Abb. 21 entsteht. Was ist da nicht 49 alles zusammengestohlen, aus Florenz, Athen und Paris; nicht einmal aus innerem Drange, sondern rein aus Torheit, weil man dem armen Manne seine Tradition kurz und klein geschlagen und ihm dafür ein Ansichtsalbum fremder Länder in die Hand gedrückt hat. Aber in welcher Verbindung steht der brave Kleinstädter, der in dem Hause wohnt, in der ersten Etage mit der florentinischen PseudoPalastfassade und seinen sinnlosen Gurtgesimsen, mit der Imitation der römischen Kaiserpaläste in der zweiten Etage und der Attika über dem Hauptgesims, das von irgendeinem Barockschloss abgeguckt ist und besser einem anständigen Dach Platz machen sollte. Der Augeneindruck allein lehrt uns hier, dass sich die fremden Bauglieder oder richtiger, ihre verkümmerten Reste nicht von selbst eingefunden haben, sondern dass sie ohne jede innere Verbindung mit dem Hause stehen, nur auf dasselbe aufgeklebt und durch ihre Verkümmerung sogar den eigenen ursprünglichen Ausdruck verloren haben. Gehe man nun durch alle unsere Städte und suche die Bestätigung. Waren früher die kleinen einstöckigen Wohnhäuser draussen in der Vorstadt (Abb. 23) eine Freude für die Augen, so erblicken die heute Proletarierkasernen. Für den, der mit offenem Sinn an ihnen vorübergeht, ist ein Haus wie auf Abb. 24 keine Augenweide mehr. Zudem ist es aber keinen Pfennig billiger als eins wie auf Abb. 23, wenn ihr Kubikinhalt sonst übereinstimmt. Und doch, welch himmelweiter Unterschied liegt im Ausdruck Scbultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 4 50 BEISPIEL Abbildung 21 Bürgerwohnhaus in Laucha a. U. 51 GEGENBEISPIEL Abbildung 22 52 Abbildung 22 a Wohnhäuser am Markt in Naumburg a. S. 53 Abbildung 22 b Wohnhaus in Erfurt 54 BEISPIEL Abbildung 23 Vorstadthäuser In Landsberg a. W. 55 GEGENBEISPIEL Abbildung 24 56 BEISPIEL Abbildung 25 Vorstadthaus in Deutsch Krone 57 GEGENBEISPIEL Abbildung 26 58 dieser beiden Häuser, obwohl dazu noch ihr Aufbau, Gruppierung, Fenstereinteilung, Lage des Eingangs annähernd übereinstimmt. Aber alles ist in der Qualität schlechter geworden und hat an handwerklicher Tüchtigkeit und der aus ihr hervorgehenden sittlichen Haltung so gut wie alles verloren. Waren bei dem bescheidenen Hause auf Abb. 23 alle Verhältnisse fein abgewogen, so dass die Linienführung uns wie bei einem kleinen Kunstwerk harmonisch anmutet, so fehlt dem Hause auf Abb. 24 jede liebende Sorgfalt. Man vergleiche daraufhin das, was die beiden Häuser unterscheidet. Die lichten Höhen der Räume sind etwas höher geworden und mit ihnen auch die Fenster, die dafür aber auch schmaler sind, keine Fensterläden mehr besitzen und nicht mehr schön sauber weiss gestrichen sind, »damit man den Schmutz nicht sieht«. . . . Ja nicht sieht. Das Haus ist unverputzt geblieben, was etwas wesentlich anderes bedeutet, als ein gut durchgeführtes und als Ziegelrohbau durchgeführtes Haus, bei dem die Schönheit des Materials, wie bei den Bauten im Norden Deutschlands und in England zum Ausdruck gebracht ist. Wie freundlich stehen vor dem Hause auf Abb. 23 die beiden Kübel mit Bäumen darin, während auf Abb. 24 ein vollkommen sinnloser und miserabel gehaltener Vorgarten den deprimierenden Eindruck des Ganzen erhöhen hilft. Aber woher soll bei so einem Hause die Liebe zu ihm kommen? Abb. 25 und 26. Dasselbe Bild. Man wird sagen: 59 die Bäume auf 25 machen dieses noch günstiger. Ja, aber gehören denn die Bäume nicht genau so zur Anlage durch Menschenhand, wie der lächerliche Vorgarten mit seinem steingraugestrichenen Eisengitter und den kümmerlichen Gewächsen? Oder ist etwa die Anlage eines Baumes an der richtigen Stelle etwas so Unerreichbares, dass es sich nicht auch der mit den bescheidensten Mitteln arbeitende Haus-Erbauer leisten könnte, wenn sein Wunsch nur danach stände? Man beachte auf Abb. 26 die Hörner oder Ohren, die man den Giebelmauern aufgesetzt hat, offenbar, um sie zu verzieren. Aber diese Putzsucht rächte sich höchst amüsant. Die Giebelecke wurde nie trocken, weil alles Regenwasser sich in den mit Zement verputzten horizontalen Flächen staute, so dass der Besitzer sie abtragen lassen musste. Hätte der Mann Augen zum Sehen im Kopfe gehabt, so hätte er nicht die Erfahrung mit dem Regenwasser abzuwarten brauchen! Abb. 27 ist eine kleine Spielart des grossen alten Patrizierhauses. Heute sehen die Häuser in der Stadt aus wie auf Abb. 28. Man besehe Abb. 29 unmittelbar neben Abb. 30; beides sind kleinstädtische Eckhäuser. Kann jemand sagen, wodurch bei letzterem die Dachluken die unförmig grossen Hauben erhalten haben, wenn er nicht annimmt, dass der Erbauer grad zur unrechten Zeit von gotischen Motiven läuten hörte? Man beachte des ferneren 60 BEISPIEL Abbildung 27 Bürgerwohnhaus in Naumburg a.S. 61 GEGENBEISPIEL A>yJi 62 BEISPIEL Abbildung 29 BUrgetwohnhaus in Kolmar i. E. 63 GEGENBEISPIEL Abbildung 30 64 BEISPIEL Abbildung 31 Haus in Torgau 65 GEGENBEISPIEL Abbildung 32 Schnitze-Naumburg, Kulturarbeiten 66 BEISPIEL Abbildung 33 Beamtenwohnhaus im Schlossgarten zu Charlottenburg 67 GEGENBEISPIEL Abbildung 34 68 BEISPIEL Abbildung 35 Stadtisches Wohnhaus in Saalield 69 GEGENBEISPIEL Abbildung 36 70 BEISPIEL y7^ Abbildung 37 BUrgerwohnhaus in Merseburg 71 GEGENBEISPIEL Abbildung 38 72 BEISPIEL Abbildung 38 a Schulgebäude in Weimar 73 GEGENBEISPIEL Abbildung 38b 74 Abbildung 38c Wohnhaus in Doberan 75 Abbildung 38 d Wohnbaus in Rudolstadt 76 Abbildung 38 e Städtisches Wohnhaus in Dessau 77 Abbildung 38 f Städtisches Wohnhaus in Jena 78 '•pti Abbildung 39 Städtisches Wohnhaus in Naumburg a. Saale 79 die Anordnung der Fenster und die Anlage des Daches. — Abb. 31 und 32 — überall dasselbe. Und immer findet man dasselbe Bild fast bei allen Bauten in der Weise, dass alt = anständig und verständig, neu = unvornehm und unpraktisch ist. Ich will noch kurz eine Reihe von Vergleichen anführen, von denen man es gelten lassen muss, dass sie die ältere »altmodische« Bauart und die neue »moderne« charakteristisch vertreten und zu denen nicht viel zu sagen ist, da die Bilder sich gegenseitig genügend erklären. Abb. 39 ist eines jener gemütlichen alten Wohnhäuser, wie es sich leidlich wohlhabende Familien zu Ende des 18. und auch wohl noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts bauten, um ein Stockwerk selbst zu bewohnen und das andere zu vermieten. Es ist deshalb im Innern nicht ganz der Typus des alten vornehmen Einfamilienhauses, wie es sehr wohl auch in Deutschland sich entwickelt hatte. Trotzdem ist der Anblick des Ausseren der einer wohlanständigen Behaglichkeit, die sich lediglich in den Verhältnissen und Formen, nicht in Zieraten oder Besonderheiten ausdrückt. Nirgend ist nach etwas gesucht, sondern eine jede Form ergibt sich von selbst aus der von innen nach aussen sich ergebenden Notwendigkeit. Selbst der grosse Bogen, der sich im Putz der Strassenfront unter den Giebel spannt, ist mehr wie eine Erklärung des statischen Moments für das Auge, denn als Zierat aufzufassen. Abb. 41 zeigt ein Haus mit einem Stachel, dem man so BEISPIEL Abbildung 40 Städtisches Wohnhaus in Jena 81 GEGENBEISPIEL Abbildung 41 Scbultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 82 es ansieht, dass es sich weit vornehmer dünkt und sich »Villa« nennt. Will man recht erkennen, wie lächerlich es wirkt, so vergleiche man seinen Ausdruck unmittelbar mit dem der Abb. 39 und 40. Hier alles selbstsichere Ruhe und Würde, dort eine fatale Kläglichkeit, die mit allerhand Motiven und geliehenen Fetzen sich herausputzt. Was die Turmspitze, die an das Dach angeklebt ist, eigentlich bedeuten soll, wird niemand sagen können, denn der Erkervorbau an sich motiviert doch in keiner Weise eine Spitze, die übrige Dachlösung noch viel weniger. Während auf Abb. 39 die Gesimsführung den Hauskörper in grosse Massen zerlegt, zerreisst auf Abb. 41 das Übermass an Gurtgesimsen vollkommen die Einheitlichkeit des Ganzen. Anstatt das Dach als Gegensatz möglichst ruhig zu halten, wird es durch sinnloses Ornament nutzlos zerrissen, nach dem schönen Grundsatz: »jedes Ornament verschönt und je mehr man davon daraufpappt, desto schöner wird der Gegenstand«. Das kleine schlichte Arbeiterhäuschen links von der Villa trägt in sich weit mehr wahre Vornehmheit als das grosse, sich elegant dünkende Haus daneben. Einen guten Vergleich zwischen alter und neuer Bauart bieten auch Abb. 42 und 43. Wiederum ist die Anlage beider Häuser ganz ähnlich. Beide liegen auf dem ansteigenden Terrain an der Landstrasse auf einem terrassenartig gegliederten Abhang. Zu beiden Häusern steigen von der Strasse Treppenaufgänge herauf. 83 bei beiden liegen die Gärten auf dem Bergabhang hinter dem Hause. Abb. 42 ist eine prächtige Anlage. Welche Wucht und Feinheit zugleich liegt in ihrem Ausseren und wie verlangend muss der Vorübergehende nach diesem trauten Sitz da oben auf der Mauer heraufgeschaut haben. Eine Veränderung scheint allein der obere Abschluss des Mittelrisaliten erlitten zu haben, dessen Überhöhung in dieser Form, zum mindesten mit dem aufgemalten Fachwerk eine Zutat neuerer Zeit zu sein scheint. Abb. 43 ist zwar an sich als Anlage kleiner. Es liegt in der geringeren Summe, die der Bau kostete, aber nicht der mindeste Zwang für die ethische Minderwertigkeit des Baues. Diese ergibt sich aus dem traurigen Ausdruck des Hauses, wie er in den schlechten Proportionen, den pappernen Zieraten und dem Scheinwesen des ganzen Hauses sich ausdrückt. Seine Oiebelfront, die auf dem Bilde dem Beschauer zugekehrt ist, trägt — aufgemalte Fenster! Über diesen spannt sich als Schutz die kindische Laubsägenarbeit aus, an den Ecken ist ebenfalls Sandsteinverblendung — aufgemalt. Das Haus ist so weit zurückgerückt, dass von seinen Futtermauern noch "2 bis 3 Meter Vorgarten bleiben, der eine schiefe Ebene bildet und den denkbar ungemütlichsten Aufenthalt gewährt, während man diese 2 bis 3 Meter gemütlichen Garten hinter dem Hause gewonnen hätte, wenn man das Haus vorn bis an die Strasse herangerückt hätte, wie es 84 BEISPIEL Abbildung 42 Ehemaliges herzogl. Weissenfelser Sommerhaus in Markwerben 85 GEGENBEISPIEL Abbildung 43 86 fast alle guten alten Anlagen mit feinem Sinn fürs Leben taten. Aber unsere heutigen Baupolizei-Vorschriften erzwingen ja fast überall diese Anordnung. (Im Band IV ist dies Thema ausführlich behandelt.) Der fast bis zur Komik schlechte Treppenaufgang ist in Band II (Gärten) abgebildet. Ein ganz besonders charakteristisches Bild bieten Abb. 44 und 45 und zwar wird der Eindruck erhöht durch die Art und Weise, wie die beiden dicht nebeneinander stehenden Bauten zueinander angeordnet sind. Abb. 44 ist ein feines bescheidenes Haus, etwa im Charakter eines ländlichen Pfarrhauses. Der blosse Augeneindruck wird davon überzeugen, dass es ein von gutem, ehrlichen Sinn gebauter Wohnort ist. Der sehr bescheidene Schmuck der Hauswand durch die schmalen Pilaster und die feinen Stuckornamente geben dem Hause etwas Naiv-freundliches, nicht den Schein des Prunkenwollens. Die Dachluken blicken wie freundlich blinzelnde Augen und der hohe Treppenaufstieg verliert durch die niedrigen Stufen und seine geringe Steigung das Gefährliche für Benutzbarkeit und Aussehen. Und nun klemmt sich mit der ganzen parvenühaften Rücksichtslosigkeit, die im Ausdruck dieser neuen Bauweise liegt, ein Neubau davor, wie ihn Abb. 45 in ganzer Grösse zeigt, und möchte den bescheiden dahinter stehenden alten Bau vernichten und zerdrücken. Diese Stellung ist so fabelhaft bezeichnend, dass mir immer ist, als sähe ich zwei lebende Menschen, den einen fein und bescheiden, den andern dummdreist und flegelhaft, den 87 ersten fortdrängen wollend und dabei doch seiner selbst nicht recht sicher um sich blickend. Man könnte ja nun mit Recht sagen : ist der Neue der Stärkere, wenn auch noch der Rohere, so wird es wohl in der natürlichen Entwicklung liegen, dass er den Altgewordenen, wenn auch feiner Kultivierten, verdrängt. Dies ist jedoch hier in keiner Weise der Fall. Vorgestellt hat sich zwar der neue Bau, den alten vernichten kann er aber nicht. Im Gegenteil: der alte vernichtet durch sein blosses Aussehen den neuen derartig in Grund und Boden, dass dem neuen Hause gar nichts Schlimmeres geschehen konnte, als sich neben den alten Bau als Gegenbeispiel zu stellen, welcher bescheiden sagt: sehet mich an und sehet ihn an, und ihr werdet wissen, mit wem ihr es zu tun habt. Ich wünschte, dies Beispiel und Gegenbeispiel von alter und neuer Kultur bliebe noch recht lange so nebeneinander stehen. Vielleicht öffnet der Anblick doch manchem die Augen, weil er zum Vergleich herausfordert, während zwei anders zueinander stehende Häuser den meisten die Idee eines Vergleiches gar nicht aufkommen lassen. Ebenso durch den blossen Augeneindruck überzeugend wirken Abb. 46 und 47 nebeneinander. Auch dort wieder die behagliche, traute, zum Wohnen und Aufenthalt einladende Stimmung, die ohne weiteres davon überzeugt, dass sie von sehr realen Qualitäten herrührt, und dort die verkörperte Unbehaglichkeit, die in jedem Dachziegel und jedem Backstein schreiend zum Ausdruck kommt. 88 BEISPIEL Abbildung 44 Ländliches Wohnhaus in Unterneusulza 8Q GEGENBEISPIEL Abbildung 45 90 BEISPIEL Abbildung 46 Vorstadthaus in Torgau 91 GEGENBEISPIEL Abbildung 47 92 BEISPIEL Abbildung 48 Vorstadthaus in Camburg 93 GEGENBEISPIEL Abbildung 49 94 In unsern Vorstädten findet man sehr häufig Häuser, die sich Villen nennen, aber mehrere Wohnungen umfassen. Auch in den Gartenstrassen älterer Zeiten findet man häufig solche Mietshäuser, die in Landhausform gebaut sind. Abb. 48 zeigt einen häufigen Typus. Die Häuser, die man heute zu demselben Zweck baut, sehen meist wie Abb. 49 aus. Oder man vergleiche das alte und das neue Landhaus selbst, Abb. 50 und 51, Der mächtige, schlossartige Kasten, wie ihn das 18. Jahrhundert gestaltete, war doch ein stattliches und ehrwürdiges Gebäude, mit seinem mächtigen Dache und den grossen, weissgestrichenen Fenstern. Mochte ja immerhin die Fensterachseneinteilung (siehe auch bei Abb. 9) an das Können des Architekten grössere Anforderungen stellen — damals löste man die schwere Aufgabe, weil man eben jenes Können als Erbe empfangen hatte. Als man aber um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Häuser historisch aufzufrisieren begann, hatte man offenbar mit den Stilformen den Kopf so voll, dass all dies Können langsam und spurlos verloren ging. Soweit nicht etwa die Fassade durch ihre strenge Achsenteilung Klarheit, Einfachheit der Raumaufteilung und damit eine gewisse Würde erzwang, gingen alle Feinheiten der Grundrisslösung verloren. Ein gutes Beispiel für diese Zeit ist Abb. 51, das an sich ja durchaus keinen unwürdigen Eindruck macht, dem nur aus stilistischen Gründen das Dach abhanden gekommen ist. Ganz ausserordentlich interessant ist der Vergleich von Abb. 52 und 53. Das erste Bild 95 zeigt ein Haus, das durchaus in den klassischen Bauformen gehalten ist, wie es bis in die zwanziger und dreissiger Jahre des 19. Jahrhunderts geschah, als eine künstlerische Tradition doch allen noch unbewusst im Blute lag. Das ganze Haus ist verständig aufgebaut und bringt eine reizende Stimmung von Garten heiterkeit und würdigen Lebensformen mit sich. Der geschützte Eingang in der Mitte des Erdgeschosses, die offene Loggia im ersten Stock, der angebaute Gartensaal und die offene Terrasse darüber — das sind alles Gestaltungen, die aus dem neuen Wohnbedürfnis des gebildeten Bürgerstandes entstanden sind und die sich bis heute kaum wesentlich verändert haben. Sämtliche Formen des Hauses geben diesen Bedürfnissen aufs feinste nach und befriedigen sie in ungesuchten und sich von selbst ergebenden Konstruktionen. Nun vergleiche man hiermit Abb. 53. Das ist ein Haus, in dem dieselben klassischen Grundformen zur leblosen Form erstarrt, zur hohlen Phrase geworden sind. Es ist ganz merkwürdig, wie beinahe dieselben Formen so grundverschieden im Ausdruck sind. Auch der Laie wird sich gefühlsmässig sofort darüber klar sein, wenn es ihm auch nicht gleich möglich sein wird, die Ursachen dieser zweierlei Wirkung anzugeben. Natürlich liegen diese in den Formen und ihrer Behandlung, denn eine jede Form nimmt sofort unter den Händen des Verfertigers den Ausdruck an, der seinem Sinn entspricht. 96 BEISPIEL Abbildung 50 Gasthaus in Schinditz bei Camburg 97 GEGENBEISPIEL Abbildnng 51 Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten 1 98 BEISPIEL Abbildung 52 Gartenwohnbaus in Rudolstadt 99 GEGENBEISPIEL Abbildung 53 100 Abbildung 63a üutshaus in Burgellern in Franken 101 Abbildung 53b Gartenhaus in Basel 102 Abbildung 53c In Belvedere bei Weimar 103 Abbildung 53d Prag Kleinseite 104 Wir wollen mit wenigen Worten die Unterschiede bei den beiden Häusern klarlegen. Das Dach ist bei Abb. 53 niedriger geworden, dafür ist ein Kniestock aufgesetzt, dessen winzige Fensteröffnungen versteckt werden sollen. Wohnräume entstehen so nicht, in die man Menschen menschenwürdig unterbringen kann, während ein vernünftiges Dach genügend Raum für die hier oben nötigen Zimmer gewährt hätte. Sodann ist der Giebel durch ungünstige Gliederungen seiner wuchtigen Wirkung beraubt und wirkt jetzt kleinlich. Die aufgesetzten Akroterien sind ebenfalls derartig kleinlich und kümmerlich, dass sie dem Giebel den Rest geben. Die Fenstergewende mit den Verdachungen sind zu stark abgesetzt, wodurch das Ganze etwas Zerrissenes bekommt, die seitlichen Fenster sind ganz unnötigerweise durch Giebelverdachungen zusammengezogen, die an das Hauptgesims anstossen und in keinem Verhältnis zum Mittelgiebel stehen. Ganz nebenbei sei noch darauf aufmerksam gemacht, wie geschickt bei Abb. 52 die Pflanze als belebendes Mittel benutzt und wie ungeschickt auf Abb. 53 die Fichten für diese Stelle gewählt sind, was sich mit jedem Jahre ihres weiteren Wachstums steigern wird. Nie wäre es einem Maurermeister fünfzig Jahre früher eingefallen, all diese Formen so ungeschickt anzuwenden und zu gestalten, da ihm eine gefestigte Tradition die Wege wies. Ganz schlimm wurde es erst, als man die altdeutsche Renaissanceherrlichkeit »entdeckte« und in Giebeln und Butzenscheiben, Erkern und Holz- 105 nischen, Türmchen und bunten Glanzziegeln zu schwelgen begann. Mit dieser Epoche beginnt die eigentliche Verwüstung unseres Landes. Davon, dass es nicht das tatsächliche Alter ist, das durch ein Zaubermittel dem Bau das verleiht, was dem neuen fehlt, kann man sich vor den wenigen guten modernen Bauten, die es gibt, überzeugen. Da von diesen ein eigener Band handeln soll, will ich nur einige wenige moderne Häuser hier anführen, die indessen doch eine Vorstellung davon geben werden, dass auch eine moderne Bauerei den natürlichen Traditionen nicht wie dem bösen Feinde in weitem Bogen aus dem Wege zu gehen braucht und doch vortrefflich dem Sinn und den Forderungen unserer Zeit gerecht werden kann. Abb. 54 ist ein Stadthaus, das Messel im Tiergartenviertel Berlins erbaut hat. Man sieht an ihm, dass die alte, längst verlassene und hier wieder aufgegriffene Überlieferung des vornehmen Stadthauses auch für ein modernes Haus durchaus passt und sogleich mit seiner Umgebung so harmonisch zusammenwächst, dass man vor ihm das Gefühl hat, das man vor jedem guten Bauwerk haben müsste: dass das Haus nicht erst zu irgendeiner Zeit hingebaut, sondern dass es schon immer dagewesen sei und dass es immer so bleiben muss. — Sehr reizvoll ist auch das kleine Torwärterhaus auf Abb. 55, ebenfalls von Messel, das als Gehäuse für ein bescheidenes, aber behagliches Dasein ganz vortrefflich dient. Zwei sehr interessante Bauten von Ihne 106 Abbildung 54 Städtisches Wohnhaus in derMargarethenstrasse in Berlin, erbaut von Messel 107 Abbildung 55 Torwärterhaus in Grunewald bei Berlin, erb. von Messel 108 Abbildung 56 Nebengebäude einer Villenanlage in Grunewald bei Berlin, erbaut von Ihne 109 Abbildung 57 Nebengebäude einer Villenanlage in Grunewald bei Berlio, erbaut von ihne 1^" a u V V S C 111 sind auf Abb. 56 und 57 gezeigt. Hier sind niedersächsische und vor allem englische Anregungen die Grundlage gewesen. In ganz mustergültiger Weise sind hier die einfachen Bauformen durchgeführt und zu einem harmonischen Ganzen verschmolzen, so dass man wirklich von einer Gesamtanlage sprechen kann. Auf Abb. 58 sieht man, wie ein grosser Baukomplex, ein Stift, in meisterhafter Weise zu einem Ganzen verschmolzen ist. Die Formen sind aus der bayrischen Bauweise entwickelt, wie es für Ort und Künstler, Hocheder in München, das Natürliche war. Bei einem hessischen Künstler, Thyriot, treffen wir hessische Traditionen, die er bei seinen Schulbauten (wie in Friedberg) aufs natürlichste verwendet. (Abb. 59 und 74.) Abb. 60 und 61 führen uns wieder nach München, wo unsere vortrefflichen Lehrer auf dem Gebiete der Architektur zu finden sind und waren. Abb. 60 ist ein Villenbau von Dülfer, Abb. 61 ein ländliches Wohngebäude von Flossmann. Abb. 62 ist das Wohnhaus, das sich der Bildhauer Hildebrand in München erbaute und das schon mehr einem kleinen Schloss gleichkommt. Um auch noch ein ganz kleines Bauwerk zu zeigen, führe ich das Häuschen auf Abb, 63 an, das Buschhüter in geschickter Weise gebaut hat. Abb. 64 ist das Haus, das sich Richard Riemerschmid nach eigenen Entwürfen in München errichtete. Man verstehe mich nicht in der Weise, als müsste nun so das moderne Einzelhaus aussehen. Es führen gar manche Wege nach Rom, und die gezeigten 112 Abbildung 59 •Oyinnasium in Friedberg i. H., erbaut von Thyriot 113 Villa in MUnchen, erbaut von DUlfer Abbildung 60 Schnitze-Naumburg, Kulturarbeiten 1 114 Abbildung 61 Wohn- und Werkstättengebäude in Pasingb. München, erb. von Flossmann 115 SUdtisches Wohnhaus in München, erb. v. Hildebrand Abbildung 62 8« 116 <9 117 '•'^^^;-'ct.v.^?^^<«v*«-:':,(-. . ;rv.%«;-^^::'v' ^*:^ -w^ Abbildung 6t • Wohnhaus in Pasing bei MUneben, erbaut v. Riemerschmid • Nach einer neuen Aufnahme des umgebauten Hauses. 118 Werke verkörpern unter vielen Möglichkeiten einige, wie sie mir gerade zur Verfügung standen. Sie passen sich vortrefflich den heimatlichen Bedingungen an, führen die alte Tradition weiter und bieten dabei doch eine Reihe von neuen Formen, in denen die alte Tradition den modernen Bedingungen gemäss weiterentwickelt ist. Man wäre heute in der Lage, eine grosse Menge ausgezeichneter Neubauten, von denen sich dasselbe behaupten iässt, im Bilde anzuführen. Doch tun das andere Veröffentlichungen in hinreichender Menge, so dass ich mich hier auf die Andeutungen beschränken kann. Auf der Abbildung 65 herrscht nicht etwa Regenwetter, wie das glänzende Dach annehmen Iässt, sondern das Haus ist mit Glanzziegeln, diesem glänzenden Einfall der Industrie, eingedeckt. Es wird nach dem Vorausgegangenen kaum nötig sein, diesen unharmonischen Bau zu zergliedern. Seine Hässlichkeit beruht auf den schlecht abgewogenen Verhältnissen und den sinnlos aufgeklebten Zierformen. Dem Elend unserer Kultur wird aber nicht eher ernsthaft zuleibe gerückt werden, als bis man erkannt hat, dass Schönheit nicht in kostspieligen Zutaten liegt, die man sich erst von dem Moment an leisten kann, von dem an Überfluss vorhanden ist, sondern dass jeder Form, ob schlichter Nützlichkeitsform oder Luxusform, eine gewisse Summe von Ausdruck innewohnt, die den Sinn zur Anschauung bringt, der den Gestaltenden dem Bau gegenüber beherrscht. Deshalb strömt von 119 Abbildung 65 120 Abbildung 65 a Stadthaus in ehester Arch. John Douglas 121 Abbildung 65 b Städtisches Wohnhaus in London. Arcb. K. Norman Shaw 122 BEISPIEL Abbildung 66 Wohngebäude in Naumburg a. S. 123 GEGENBEISPIEL Abbildung 67 124 {BEISPIEL Abbildung 6S Oartenwohnbaus in Bautzen a. S. 123 GEGENBEISPIEL Abbildung 69 126 einem Bau wie auf Abb, 66 Lebensfreude aus, während das Haus auf Abb. 67 so eiskalt und langweilig aussieht. Oder man vergleiche die beiden Häuser im Garten, Abb. 68 und 69. Das eine sieht aus wie ein alter freundlicher, heiterer Pfarrer und das andere wie ein rechter Hohlkopf. Und leider Hessen sich diese Vergleiche ja bis in infinitum führen. Man betrachte einen Bau wie auf Abb. 71. Kann diese kalte Reissbrettschablone, in die nicht ein Fünkchen Liebe hineingebaut ist, diese Anlage, die nur mit Winkel und Schiene gemacht wird, — kann aus der dann etwas anderes blicken als Gleichgültigkeit, Nüchternheit und Kälte? Es sind aber unsere Schulen, die so gebaut werden, die Pflanzstätten unserer Zukunft. Und in diese traurige Umgebung setzt man die Jugend hinein und ahnt nicht, was man ihr vorenthält und welchen verderblichen Einfluss eine solche Umgebung bei der Bildung des Anschauungsvermögens ausübt. Glaubt man denn wirklich im Ernst, dass auf eine Kinderseele die Gemütsstimmung der Umgebung nicht einwirkt? Nur ein unglaublicher Unverstand kann das annehmen und nur ein harter, liebloser Sinn kann wünschen, dass kalte und gleichgültige Einflüsse zu dem Kinde sprechen anstatt freundlicher und heiterer. Dass es sehr wohl anders sein kann, wird man an den schönen Schulbauten erkennen können, die heute einzelne Künstler erstehen lassen, von denen ich in Abb. 72 einen der frühesten anführe. Er stammt von Theodor Fischer, während Abb. 74 das 127 Gymnasium Thyriots (von dem auf Abb. 59 ein Teil zu sehen ist) in ganzer Form wiedergibt. Man könnte vielleicht bei meiner Sammlung denken, ich hätte nur das Groteskeste und Läppischste im ganzen Lande zusammengetragen, um mit ihm als »Gegenbeispiel« einen Trumpf auszuspielen. Wer mit offenen Augen in Deutschland und im Auslande umhergelaufen ist, weiss, dass dem nicht so ist. Die Abbildungen bleiben ganz im Rahmen des Charakteristischen; die Gegenbeispiele sind sogar fast alle dem nächsten Umkreis meines Hauses, nicht weiter als ein paar Meilen im Umkreis, entnommen. Bei denen, die ich als Beispiele für gute und echte Kultur bringe, habe ich durchweg jene kunstgeschichtlich katalogisierten Denkmäler vermieden, die als Spitzen hoher Kunstentwicklung mit Recht allgemein gekannt und verehrt werden. Von denen ist genug gesprochen worden. Meine Absicht hier ist es, auf das Unscheinbare, gleichsam auf die Alltagskost hinzuweisen, wie wir sie brauchen und wie sie einst da war. Vielleicht trägt die Veröffentlichung ein wenig dazu bei, das unschätzbar Gute in jenen schlichten Resten zu erkennen und etwas verständiger mil ihm umzugehen, als es bisher geschah. Wo es mir möglich ist, möchte ich nebeneinander immer das Alte und den Ersatz durch das Neue vorführen. Wegen äusserlicher Schwierigkeiten geht dies nicht immer an. Wohl aber lassen sich ganz entsprechende Anlagen bringen. BEISPIEL 128 ' ''JH 129 GEGENBEISPIEL Abbildung 71 Schulbaus Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 130 BEISPIEL fminllii" II 131 GEGENBEISPIEL Abbildung 73 9* hl "" A CO ^ 1 " 133 Abb. 76 zeigt einen Oarteneingang, den uns eines der letzten Jahre beschert hat. Dies sinnlose papperne Gebäu ist ganz das, wa> heut bei uns überall an den Strassen und Wegen blüht. Und darf man den Bautechnikern, die es entwerfen, die Hässlichkeit so hoch anrechnen? Es sind ja die Kopien der Stilblüten, die sie in den öffentlichen Bauschulen auswendig lernen mussten! Man besehe sich nur einmal die Vorlagewerke, wie sie auf unseren höheren und niederen Schulen benutzt werden. Es Hesse sich eine hübsche Musterkollektion daraus zusammenstellen, die eine böse Blamage für unser Schulwesen abgeben würde. Unsere Abb. 76 ist ja noch bei weitem nicht das Schlimmste, was man in der Art sehen kann. Das kommt daher: es ist eine »modernisierte« alte Anlage. Die alte Anlage war entzückend; die hat man nun mit viel Geld und Mühe so weit, wie's möglich war, verdorben, ganz totzumachen war sie nicht. Die niedere Terrasse mit dem Treppeneingang ist wenigstens als Anlage geblieben, wenn auch die Bauausführung durch schlechte Detaillierung und Materialbehandlung jeden Reiz vertrieben hat. In Eisengitter und Balustrade zeigt sich die übliche Protzerei mit ungenügenden Mitteln; das Lattenwerk für einen entstehenden Laubgang mit den Säulen wäre an sich das Natürliche und Gegebene und wäre deshalb auch hier gut; der kindische Dachaufsatz darauf verdirbt aber wieder diesen guten Ansatz. C =3 ja 2 C/3 M 135 Abbildung 74 b Städtischer Schulbau in Berlin. Von Hoffmann 136 BEISPIEL 137 GEGENBEISPIEL Abbildung 76 138 Abbildung 77 Garteneingang in Goslar 139 Abb. 75 zeigt eine Anlage, ganz ähnlich der, deren Platz jetzt Abb. 76 einnimmt. Wenn ein Blatt geeignet ist, die zu >xiderlegen, welche behaupten, zu allem Schönen gehöre viel Geld und zwar mit Steigerung im geraden Verhältnis, so tut es dieses hier. Auf eine kostspielige architektonische Anlage ist ganz verzichtet und die bauliche Unterlage ist mit den denkbar einfachsten Mitteln ausgeführt. Aber der Mann, der sie ausführte, wusste, was er wollte, und sein Schaffen war ein ehrliches. Auf die Art und Weise, wie der Stein hier zusammengefügt ist, erhält die einfache Fläche Leben. Das Übrige ist aus schlichtem Lattenwerk aufgeführt, weils ja eben nur ein kleines Oärtchen sein sollte und nicht die Terrasse eines Schlosses. Was uns so entzückend traut und heimlich anmutet, ist die Liebe und die Ehrlichkeit, die der Mann in sein Werk hineinbaute und die nun immer wieder daraus spricht. Was redet wohl aus dem anderen Bilde? Man komme nicht mit dem beliebten Einwände des »praktischen Weltmanns«: ja, das ist eben alt und malerisch, aber so was schickt sich doch nicht für uns. Unser altes Treppchen ist durchaus nicht ruinös und daher »malerisch«, sondern der Stein war von vornherein »belebt« verwendet. Früher wusste man eben, wie Stein wirkt; heute, wo der Handwerker durch den Unternehmer abgelöst worden ist, weiss man es nicht mehr. Das so vielfach auslegbare Wort »malerisch« ist in solchen Dingen am BEISPIEL , , $w?^^,.:^-r Abbildung 78 Hauseingang in Kosen 141 GEGENBEISPIEL Abbildung 79 142 besten gar nicht zu benutzen, denn es kann uns ja doch auf der weiten Welt kein Mensch sagen, was »malerisch« eigentlich ist. Aber die Zeiten des guten Handwerks wussten eben mit dem Material umzugehen und alle seine Reize auch mit den einfachsten Mitteln zum Ausdruck zu bringen. Man glaube nicht, dass allein die Patina die alten Werke schön mache. Die alten Städte sind nie und nimmer deswegen schön, weil sie ruinös, sondern weil sie von vornherein schön angelegt sind. In Italien ist nicht der Schmutz schön, sondern die alte Kultur, die darunter steckt. Man kann dort auch moderne Häuser zu Ruinen verfallen sehen. Es sind Orte, wo einen der Menschheit ganzer Jammer anfasst. Unser moderner Plunder aber wird nach fünfhundert Jahren noch genau so gemein und reizlos sein wie heute, wenn er nicht, wie zu hoffen, dann längst niedergerissen ist. Da ich gerade von Eingängen rede, will ich gleich noch einige Beispiele von solchen anführen. Man betrachte Abb. 78 und dann Abb. 79. Wem dabei nicht ohne weiteres die Empfindung eines selbstsicheren, wenn auch bescheidenen Daseins kommt und sodann die eines traurigen Proletariertums, das sich mit geliehenen Fetzen aufputzen will, fehlt dem nicht völlig das Gefühl für den Ausdruck des inneren Wesens durch die äussere Erscheinung? Das Haus Abb. 78 ist gar nicht so alt; es stammt aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Eingang ist ja beileibe nicht ein grosses Kunstwerk. Das Holzwerk 143 ist beinahe ärmlich und konstruktiv nicht einmal mustergültig; aber auch nirgends ist etwas, woran man Anstoss nehmen könnte; es ist sowohl sachlich wie gemütlich anständig. Wie weit viären wir, wenn das wieder selbstverständliche Voraussetzung sein könnte! Man betrachte auch noch die Fenster auf Abb. 79. Auch das ist Schema F unserer heutigen Bauschulen. Schon in allen Proportionen liegt etwas unsagbar Liebloses, Gedankenloses, was durch die Materialien, Verblend- und Profilsteine, noch unbehaglicher und bis zur Verzweiflung nüchtern wird. Die Fenster sind oben, wo das Licht hineinfallen soll, noch zugehängt, die Gardine dahinter nimmt den Rest von Licht, das allein unten auf den Fussboden fällt und das Zimmer im Dunkel lässt. Ja, aber dank dieser Fassade ist es ja kein einfaches Haus auf dem Lande mehr, man hat ein Haus wie in der grossen Stadt! Man schämt sich, Arbeiter und Bauer zu sein, und der neue Begriff des Proletariers ist entstanden. Und ist es weiter nach oben zu viel besser? — Man betrachte Abb. 80 und 8L Zwei Eingänge, der eine aus alter, der andere aus neuer Zeit. Der eine mit ganz unscheinbaren Mitteln errichtet, der andere mit grossem Aufwand arbeitend. Und bei dem einen Hause ist mit dem Geringen alles erreicht, was ein bescheidenes Haus sich an Stimmung, Heimlichkeit und praktischer Anlage ersehnen kann, während man bei dem andern nur das Gefühl quälender Konfusion empfindet. Abb. 82 war (jetzt ist es natürlich beseitigt!) das Fen- 144 BEISPIEL Abbildung 80 Garteneingang in Schwetzingen 145 GEGENBEISPIEL Abbildung 81 Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 10 BEISPIEL 146 I Abbildung 82 Werkstättenfenster in Unterneusulza 147 GEGENBEISPIEL Abbildung 83 10* 148 BEISPIEL Abbildung 84 Fenster i. Freiburg a. U. 149 GEGENBEISPIEL Abbildung 85 150 ster einer Schusterwerkstätte in einem Hause, das anfangs des 19. Jahrhunderts erbaut ist. Es ist nicht der zu dieser Zeit übliche Typus. Aber auf dem Lande hat sich oft bis in die siebziger Jahre hinein eine gute Überlieferung erhalten. Das Fenster ist breit, hoch angebracht, erhellt die ganze Werkstatt, und da es zweckmässig und behaglich ist, sieht es auch von aussen behaglich aus. Ein anderer nicht minder lehrreicher Vergleich ist Abb. 84 und 85. Hier ist das Gegenbeispiel in der Absicht entstanden, etwas Besonderes zu geben ; ich glaube beinahe, der Verfertiger dachte, er baue im gotischen Geiste, weil er in Stein und Holz alles spitzbogig machte. Und gruselt einem nicht vor diesem Gefängnisloch? Und nun tue man einen Blick auf das arme alte Fenster auf Abb. 84. Der Typus des »Vorgartens« ist so gut wie neu. Man war früher zu sparsam dazu, eine Anlage zu schaffen, die viel Raum wegnahm, aber nicht benutzbar war. Man setzte entweder das Haus an die Strasse und den Garten dahinter, oder das Haus ganz hinten hin, so dass der ganze Garten oder doch ein für die Benutzung genügend grosser Teil des Gartens vor dem Hause lag, schützte ihn dann aber vor den Blicken der Vorübergehenden. Davon Ausführliches in Band II und IV. Unsere Abb. 86 zeigt eine im vorigen Jahrhundert besonders häufige Form, eine Art Vorhof zwischen den Häuserfronten zum Gärtchen umgewandelt und durch dichtes Gitterwerk den Blicken von aussen verschlossen. Auch 151 hier handelt es sich wie immer um eine ganz einfache und wohlfeile Lösung der Aufgabe. Das Ganze trägt viel zu sehr den Ausdruck der Freundlichkeit und der GartenHeiterkeit, als dass dieses Abschliessen etwas Störendes hineinbringen könnte. Sieht die kleine Pforte nicht aus, als ob das Glück selber dahinter hausen müsste? Mein Gegenbeispiel dazu (Abb. 87) ist nicht etwa die Tat eines wahnsinnig gewordenen Zimmermeisters. Es war ein damals überall und sehr beliebtes Muster. Der Vorgarten selbst ist zwei Meter breit — zu wenig, um je einen angenehmen Aufenthalt zu gewähren. Ist er erst angewachsen, so versperrt das Gestrüpp lediglich die Fenster. Und diese Herrlichkeit hinterm Stacheldrahtzaun schliesst der fünf Meter hohe Torbogen ab. Kann ein Mensch enträtseln, wozu all die hölzernen Sachen oben drüber sind? Eine Einfahrt durch eine hohe Einfriedigung ist es nicht, sonstigen Sachzwecken kann es auch nicht dienen. Also wird es wohl Verzierung sein sollen, welche lediglich »verschönt«. Dass diese »Verschönerung« nichts koste, wird niemand glauben. Da aber dieserlei im Dutzend billiger ist, hat man gleich noch ein zweites Monument hingesetzt, obgleich noch kein Haus dasteht, und weiter unten noch ein drittes und viertes. Auch Abb. 88 und 8Q bilden hierfür einen lehrreichen Vergleich. Man betrachte die beiden Eingänge Abb. 90 und 91. Bei beiden war eine gewisse starke Steigung zu überwinden, vom Wege bis zur Haustür. Bei der alten An- 152 BEISPIEL Abbildung 86 Gartenwohnhaus in Jena 153 UEGENBEISPIEL Abbildung 87 154 BEISPIEL Abbildung SS Einfahrt in Gera 155 GEGENBEISPIEL Abbildung 89 156 BEISPIEL Abbildung 90 Hausaufgang b. Schulpforta 157 GEGENBEISPIEL Abbildung 91 158 läge schob man einen offenen Altan vor und legte eine Treppe daran, die sich nach unten zu verbreiterte. So entstand eine plastische Anlage, die nicht allein ausserordentlich gemütlich, sondern auch sehr praktisch zum Gebrauch und dabei erfreulich fürs Auge war. Machte sie auch gewisse Anlagekosten notwendig, so war sie doch auch, bildlich gesprochen, für die Ewigkeit gebaut. In Abb. 91 machte man aus dem Wege eine schiefe Ebene. Man tat dies nicht, um Geld zu ersparen, denn an unnützen Dingen, die unschön aussehen, wurde nicht gespart. Man tat es lediglich aus Gedankenlosigkeit. Die schiefe Ebene war nun viel zu steil, um sie mit einem Wagen zu befahren, für den Fussgänger aber viel unbequemer als eine nicht steile Treppe. Bei Glatteis und Schnee fällt jedermann hin, und im Sommer reisst jeder Gewitterregen tiefe Rinnen in den Boden, der deshalb ständiger Ausbesserung bedarf. Gespart ist auf diese Methode nicht worden; dagegen hat man eine Anlage »geschaffen«, die nicht allein höchst unzweckmässig ist, sondern deren äusseres Gesicht auch derartig von der Unbequemlichkeit und Unsinnigkeit erzählt, dass sie nirgends beim Beschauen ein angenehmes, geschweige denn beglückendes Gefühl hervorruft. Ach, und so, wie auf Abb. Ql, richtet heutzutage die Menschheit schier die ganze Erde ein. Wenn man eine grössere Menge vergleichenden Illustrationsmaterials beisammen hat, so liegt es sehr nahe, mit ihm den Versuch eines geschichtlichen Entwicklungs- 159 beitrages zu wagen. Zwar sind die vorhandenen Blätter an Zahl viel zu beschränkt, um eine allgemein-umfassende historische Entwicklung zu geben, doch bringen sie von zeitlicher (und nahezu örtlicher) Entwicklung durchaus ein richtiges Bild. Sie würde zudem an einem andern Orte kein so wesentlich anderes geben, dass man nicht die gleichen Schlussfolgerungen aus ihr ziehen könnte. Abb. 92 zeigt einen wundervollen Türbogen mit gotischen Formen, der lange Zeiten unter Putz verborgen war. Erst in den letzten Jahren hat ein Zufall ihn zutage gefördert, doch konnte man ihn nicht vor dem Schicksal bewahren, von dem unsere Abbildung erzählt. Dieser Bogen ist ein ausserordentlich interessanter Gegenstand. Die Jahreszahl zeigt 15Q4. Es ist bekannt, dass dies schon eine spätere Zeit der deutschen Renaissance war. Und doch hier diese aus gotischem Geiste hervorgehenden Formen von einer Schönheit, die in dieser einfachen Lösung sehr selten ist in Deutschland. Sie sprechen wieder einmal davon, wie leicht sich in kleinen Städten oder abgelegenen Orten eine gute Überlieferung unverdorben bewahrt. Unser Bogen zeigt aber nicht allein ein Bewahren einer guten alten Form, sondern zugleich fast eine Neuschöpfung aus dem Geiste der Gotik heraus. Man beachte hierbei einmal, worin die zwingende Gewalt dieser Gestaltung liegt. Die Hauptaufgabe heisst: tragender Bogen, und dieses Motiv ist, nirgends unterbrochen, durchgeführt. Dabei ist es jedoch durchaus kein ganz einfacher glatter 160 Abbildung 92 Bogen im Rathaus in Naumburg a. S. 161 Bogen, sondern seine ästhetische Ausgestaltung ist eine im höchsten und besten Sinn dekorative. Ohne Zuhilfenahme irgendwelcher nur von aussen hinzutretenden, nur »ornamentalen« Formen ist doch eine starke Abwechslung oder zum mindesten ein graziöses Spiel der Formen erreicht, das sich jedoch wiederum ganz in den natürlichen Grenzen des Materials, des Steines, hält. Jede entstehende Linie verstärkt den Eindruck des Tragens, und die Wickelung versteift gleichsam für das Auge die Tragkraft. Und dabei diese Anmut, die nicht von andern Naturformen nur geliehen, sondern gleichsam aus dem Stein herausgewachsen zu sein scheint. Dieser Bogen ist eine geradezu ideale Lösung der Prinzipien, die man sich heute wieder gesetzt, es dürfte indessen kaum leicht fallen, unter den modernen Arbeiten viele so einfache und dabei so schöne Lösungen zu finden. Abb. 93 fällt seinen Formen nach kaum viel später, als unser Bogen auf Abb. 92. Mag aber sein, dass seine Entstehung aus denselben Gründen, wie beim vorigen, weit ins 17. Jahrhundert hinein verlegt werden muss. Ich für mein Teil kann nicht behaupten, dass die ornamentalen Zugaben, zu denen hier die deutsche Renaissance griff, mir als ein Fortschritt erscheinen; weder prinzipiell noch hier in unserm besonderen Beispiele. Bei diesem ist das Hinzutreten der zappeligen ornamentalen Bekrönung ein ziemlich willkürliches und der Zusammenhang mit dem runden Pförtchen ein loser. Trotzdem tut der GesamtScbultze-Naumburg, Kulturarbeiten I 11 162 Hauseingang in Laucha 163 eindruck wohl. Die Lage der grossen Pförtnerloge (die sicher einst zugleich eine Werkstätte war), und des etwas höher gelegenen Parterres mit dem noch höheren Treppenfenster ist eine vernünftige, die trotz ihrer Unregelmässigkeit einen Beiklang von Gesetzmässigkeit hat. Abb. 94 zeigt die einfachsten Formen des bürgerlichen Barocks, und auch hier ist die eingeschriebene Jahreszahl für diesen Stil eigentlich zu spät. Es scheint festzustehen, dass man sich auf dem Lande nicht nach den Zeiten »richtete«, die unsere Kunstgeschichte für die einzelnen Stile festgesetzt hat. Wir finden Formen, die wir mit »Empire« bezeichnen möchten, schon in Werken von der Mitte des 18. Jahrhunderts, und auf Dörfern scheinen sich rein gotische Formen bis in das 19. Jahrhundert hinein erhalten zu haben. Das Bestimmen der Entstehungszeiten nach Stilen ist deswegen bei solchen ländlichen Erzeugnissen eine sehr unsichere Sache. Auch Abb. 94 hat im Prinzip etwas, w^as manche im Ausdruck des »modernen« ersehnen : einfache Sachlichkeit ohne fremde, von aussen hinzutretende Ornamentik mit schöner Bewegung der zu betonenden Formen. Der Ausdruck des Ganzen ist der einer behaglichen Verständigkeit. Abb. 95 zeigt eine sehr häufig zu findende Ausgestaltung der Eingangstür, welche in zwei Flügel übereinander geteilt ist. Vielleicht ist diese Form viel mehr der Ausdruck der Gelassenheit der Zeit im allgemeinen, als die Nutzform für einen ganz bestimmten Zweck. Es schwatzte sich wohl so eut über die halb- 164 Abbildung 94 Haustür in Naumburg a. S. 165 Abbildung 95 Haustür in Torgau 166 Abbildung 96 Haustür in Naumburg an der Saale 167 geöffnete Tür weg. Die Türeinfassung selbst ist in ihrer Kinfachlieit höchst anmutig. Abb. 96 zeigt eine Variation der Aufgabe, wie sie in Abb. 94 gelöst war; Abb. 97 einen Kaufladen mit breitem Guckfenster. Ganz reizend ist Abb. 98. Vielleicht liegt dem Ganzen ein gotischer Bogen zugrunde. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts hat man dann wohl einen Laden eingebaut und neben die Tür ein »Schaufenster« nach Begriffen der damaligen Zeit gesetzt, ein Verkaufsfenster, hinter dem der Ladentisch stand. Was uns bei so einer kleinen Tür besticht, sind ausser der an sich vernünftig und anmutigen Gestaltung ganz sicher auch Assoziationswerte, die uns sofort ein Bild von Ludwig Richter vorzaubern. Aber ebenso, wie Ludwig Richter für uns diese und jene starken seelischen Werte hat, so liegen auch solche in dem Ausdruck der Formen jener alten Tür. Es wäre ein viel tiefer liegendes psychologisches Problem, zu ergründen, weshalb diese oder jene gebogenen Linien oder Formen in uns diese und jene Gefühle hervorrufen. Man würde bei seiner Lösung wohl zweckmässig dabei anfangen, sich zu fragen, weshalb diese und jene Linien und Formen des Gesichts diese und jene Gefühle erwecken. Auch hier könnte man bei näherer Betrachtung die Lösung nicht einfach in gewissen Erfahrungssätzen gegenüber den menschlichen Gesichtsformen suchen, sondern würde zu dem Schluss kommen, dass allen Formen ebenso gewisse 168 , Abbildung 97 Ladentür in Nebra a. U. 169 Abbildung 98 LadentUr in Laucba 170 Abbildung 99 Haustür in Freyburg an der Saale 171 elementare Gefühlsausdrücke innewohnen, wie den Lauten, vermöge derer wir die Natur beseelen, so dass sie für uns gleichsam menschliches Leben erlangt. Dies ist im Grunde der alleinige Masstab unserer ästhetischen Stellungnahme. Abb. 99 stammt ganz aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Für mein Empfinden ist diese derb-kleinstädtische oder fast bäuerliche Auffassung anmutiger Barockformen von hohem Reiz. Ganz ähnlich zeigt Abb. 100 eine ländliche Behandlung des Rokoko und Abb. 101 des Louis XVL Aber — und das ist das Bestimmende: nirgends handelt es sich um blosse Übernahme von Stilformen in ländliche Architektur, sondern die Umwertung jener Stile in schlichte Nutzformen war eine derartig vollkommene, dass sich in ihnen nur durchweg das Beste aufbaut, was wir in Deutschland an bürgerlichen oder ländlichen Bauten überhaupt haben. Wäre diese Tradition mit Umwertung und Anpassung weitergeführt worden, so hätten wir heute das, was der Engländer hat : das nationale Haus. Wir also : das deutsche Haus. Noch begann ja zu Anfang des 19. Jahrhunderts alles gut, man kann gar nicht genug vor dem Irrtum warnen, die Zeiten, zu denen Goethe alterte, auf dem Gebiete architektonischer Anlagen für tiefstehend zu halten. Die wirtschaftliche Armut lag wie ein allgemeiner Druck auf allem, was entstand, aber die geistige Kultur, die jene Zeit eben doch besass, drückte ebenso ihr Gepräge auf alles Entstehende. 172 Abbildung 100 Haustür in Unterneusulza 173 Abbildung 101 Haustür im Wetbuatale 174 Abbildung 102 Haustür in Jena 175 Man besehe sich doch einmal Bauten wie auf Abb. 102 und 103. Das sind l3a Hausportal in Doberan Schultze-Naumburg, Kulturarbeiten 178 Abbildung 103 b Haustor in Karlsruhe i. B. 179 Abbildung 101 Haustür in Deutsch-Krone 12* 180 Abbildung 105 Haustür in Riva 181 es dem Laden an, dass ihn ein Kuchenbäcker innehatte. Selbst die Halbmöndchen auf den Fensterbekrönungen sind nicht so übel, denn sie haben viel mehr etwas von Selbstironie, als von sinnlosem Motiventrödel. Abb. 105 ist angeblich aus den vierziger Jahren, aber >xohl die Replik einer älteren Anlage — übrigens ganz ausgezeichnet in edlen Hölzern ausgeführt. Abb. 106 ist, wie das Oberlicht es verrät, vom Jahre 1834. Abb. 107 mag noch später sein; wie gut ist hier noch der breite Treppenaufgang durch die Gartenterrasse. Je weiter wir nun in das vergangene 19. Jahrhundert hineinsteigen, um so trauriger wird der Anblick. Abb. 108 zeigt noch eine vernünftige Anlage mit dem Ausdrucke von Behagen und Anständigkeit, so dass sich nichts dagegen einwenden lässt. Abb. 109 ist ein Erlöschen. So freudlos, so nüchtern und traurig baute man aber die sämtlichen sechziger Jahre hindurch. Und es wurde immer noch am besten, wenn man so baute und auf »reiche Architektur« verzichtete. Denn die wurde furchtbar. Aber nun kam in den siebziger bis neunziger Jahren das, was man den grossen kunstge\xerblichen Aufschwung nannte. Ich habe schon mancherlei Beispiele aus dieser Zeit gebracht und wähle aus der Überfülle von Beispielen, die man, leider, hier bringen könnte, zwei heraus, nur weil sie mir zunächst liegen. Man weiss ja ohnehin, was ich mit diesem »einen für alle« bezeichnen will. Herrliche Sachen wurden erfunden : Glasierte Verblendziegel in allen 182 Abbildung 106 Haustür in Deutsch-Krone 183 Abbildung 107 Haustür in Kosen 184 185 Abbildung 109 Haustür in Kosen 186 GEGENBEISPIEL Abbildung 110 187 GEGENBEISPIEL Abbildung 111 188 GEGENBEISPIEL Abbildung 112 189 Farben, Stuckkonsolen und Ornamentik in allen Stilarten, fertig franko aus der Fabrik zu beziehen — es ist nicht möglich, den ganzen Hexensabbat, der von damals bis heute vorüberzog, nochmals zu beschreiben. Wess Geistes Kind herausschaute, erkennt man auch aus meinen drei Bildchen Abb. 110, 111 und 112. Das war, ganz im Rohen besehen, die Entwicklung des Eingangs in einem gewissen Zeitabschnitt. Die Hauptnutzanwendung, die ich bei allen meinen Schilderungen gezogen sehen möchte, lautet stets: knüpft die gesunde Tradition wieder da an, wo sie stehengeblieben ist. Nicht, um sich künstlich in eine geschwundene Zeit zu versetzen, sondern um handwerklich konstruktiv erst wieder einmal Grund und Boden unter die Füsse zu bekommen, was wichtiger ist als alle künstlich gezüchteten neuen Formen. Es ist ein Dogma bei uns geworden, dass alle Baulichkeiten, die technischen Zwecken dienen, den Ausdruck trostloser Öde und Langeweile tragen müssten. Fragt einmal jemand, ob sich nicht auch diese Bauten lebendiger, ausdrucksvoller gestalten lassen, so dass sie nicht mehr die Gegend im Umkreise eines Kilometers veröden, so missversteht man ihn schon, eh er nur ausgesprochen hat. Denn sofort ist die Antwort fertig: nein, dafür ist kein Geld da. Der alte Irrtum, dass diese Bauten sich nur durch »Verzierungen gefälliger gestalten« Hessen. 190 BEISPIEL Abbildung 113 Brückenkopfhau 8 in Unterneusulza 191 GEGENBEISPIEL Abbildung 114 192 Auf diesen Grundfehler ist so oft in diesem Buche hingewiesen worden, dass es nicht nötig ist, den Gedankengang immer wieder von neuem zu erörtern. Unsere Abbildungen werden auch hier besser reden, als Worte. Nicht weit voneinander liegen zwei eiserne Brücken (Abb. 113 und 114). Von diesen selbst und dem Stil des Eisens sei ein andermal die Rede. Zunächst wolle man die beiden Zolleinnahmehäuschen betrachten, die am Brückenkopf liegen. Beide ruhen auf festem gemauerten Hochwasserunterbau, beide haben ziemlich gleiche Grösse, beide dienen demselben Zwecke. Aber ihre »Seele« ist eine grundverschiedene. Das eine sieht aus wie ein freundlicher alter Bauer und das andere wie ein recht unangenehmer Mensch. Natürlich ist dieses das neue und jenes das alte. Der Wesensunterschied zwischen den beiden Häusern springt so in die Augen, dass man auch hier wieder sofort die Frage stellt: wie kam es nur, dass die früheren Zeiten in all ihren sichtbar gewordenen Taten so sehr viel mehr Ehrlichkeit und Anstand zeigten? Sind sie unserer Zeit wirklich als Gemeingut so ganz abhanden gekommen? Oder liegt die Schuld nicht anderswo? Hier bei unseren Brückenhäuschen passt das beliebte Wort von der Billigkeit nun schon gar nicht. Dem neuen helfen alle seine Putzgesimse, seine geschnitzten Giebelbalken, gedrehten Spitzchen und die wie mit der Maschine gemachte Schieferdeckung nichts. Das alte ist auf ganz einfachem Bruchsteinsockel aufgesetzt, ist 193 rauh geputzt, hat schlichte Ziegeldeckung und nicht ein einziges kleines Ornamentlein. Aber es tut seinen Dienst genau so gut, wie das neue, und tut sogar noch mehr; es schaut einen jeden, der sich dem Flusse nähert, aufs freundlichste an, es breitet das Gefühl von Ruhe und Gelassenheit aus, und der Ort, an dem es steht, verknüpft sich mit unserm Gefühlsleben enger und fester. Wir wissen vielleicht selbst nicht, dass es der Zauber eines so einfachen Hauses ist, dem wir da unterliegen, wir können uns die Gründe nicht angeben, warum und wieso dem so sei. Aber die Erfahrung steht fest, und wir können sie täglich bestätigt hören von unzähligen Leuten, die uns mitteilen, wie die und jene Städte, Dörfer, Orte ihnen vertraut geworden sind, ihnen leise, seltsame Glücksgefühle geben, ohne dass sie versucht haben, zu erfahren, woraus sie diese Gefühle schöpfen. Aus einem kalten aufgeputzten Kasten wie auf Abb. 114 strömen keine erwärmenden Gefühle in uns über. Man erfröstelt, wenn man ihn sieht, zahlt sein Brückengeld und eilt vorüber. Unsere Bilder Abb. 115 und 116 zeigen zwei Gebäude, die gleichfalls technischen Zwecken dienen. Nicht denselben, aber das ist ja für das Prinzipielle, um das es sich hier handelt, gleichgültig. Und wieder zeigt sich das entsprechende Bild ! Wir haben uns daran gewöhnt, dass technische Bauten kalt, langweilig und gleichgültig aussehen müssen; wenn jemand die Forderung aufstellt, auch Wagenschuppen, Seil ul t ze-N a iMnbu rp, Kulturarbeiten I '3 194 BEISPIEL Abbildung 115 Soolschachtgebäude in Kosen 195 GEGENBEISPIEL Abbildung 116 13* 196 BEISPIEL Abbildung 117 Uehöft in Kosen 197 GEGENBEISPIEL Abbildung 118 198 Strassenübergänge, Bahnwärterhäuser und Fabriken sollten unsern Augen erzählen, das Leben, das sie leben, sei ein überhaupt lebenswertes, — so fragen wir ganz erstaunt: ja, kann man das denn? Da SS man es kann, davon erzählen die alten Bauten bis gegen die Mitte des 19. Jahrhunderts hin. Und es ist beim besten Willen nicht möglich, einzusehen, warum der sinnfällig gewordene Ausdruck der Eisenbahnen, des Strassenverkehrs und des Handels für uns mit der verkörperten Trostlosigkeit und dem Grauen vor dem Leben verknüpft sein soll, da doch die Gegenstände selber nichts Trauriges an sich haben, sondern im Gegenteil schaffendes werktätiges Leben bedeuten. Abb. 117 und 118 zeigen zwei ländliche Betriebe; den ersten aus den dreissiger Jahren und den zweiten aus den neunziger Jahren. Reden diese Bilder nicht Bücher? Und nun stelle man sich noch dazu vor, was man im Bilde nicht sehen kann, dass das neue Haus mit schwarzen Glanzziegeln eingedeckt ist, die nie Patina bekommen, die stets wie frischlackiertes Blech bei Regenwetter aus- sehen. ' ! Das Schlimmste ist bei uns zu Lande, dass alles immer und immer wieder missverstanden wird. Die Leute haben eben nicht die Zeit, zuzuhören; sagt man ihnen, das Schema F unserer Fabriken, Eisenbahnwärterhäuser und Brücken sei unerträglich, so kann einem passieren, dass man gefragt wird, ob man denn auch diese Bauten im 199 »Sezessions«- oder »Jugend-Stile« gebaut wissen wolle. Unter diesem Namen umfasst nämlich heute der Banause das, was er sich unter Neuerem vorstellt. Ganz sicher braucht der heut so mannigfaltige und weit verzweigte technische Betrieb eine Menge Formen, für die keine direkte Tradition zum Anknüpfen da ist. Selbstverständlich müssen hier aus dem Zwecke heraus neue Formen gefunden werden. Vieles, was der Ingenieur da gestaltet, hat manchmal schon eine so charakteristische Erscheinung, dass es oft nur gilt, die Umgebung harmonisch anzupassen. Man denke nur an die Hochöfen, Schmelzhütten usw., die hie und da direkt monumental wirken. Aber auch hier verdirbt dann das öde Schema der Betriebshäuser, Verwaltungsgebäude oder gar eine darangeklebte »Architektur« wieder alles. In einem späteren Bande, der von technischen Bauten handelt, werde ich eine Reihe Abbildungen zeigen, die beides, das Gute und das Schlechte, darstellen sollen. Das hier in diesem ersten Bande Gesagte kann nur dem Zweck dienen, ein Streiflicht auf das ganze Gebiet zu werfen und für die iVlaterie überhaupt Interesse zu sammeln. Jeder der weiteren Bände behandelt eingehender ein Sondergebiet. Es hat etwas Furchtbares, zu sehen, wie jährlich Hekatomben guter alter Bauten unnötig geopfert werden, um überall dem Ausdruck eines Zuchthäusler- oder Protzendaseins Platz zu machen, wie jeden Tag der dünne Faden, der uns noch mit der Tradition verbindet, sich mehr 200 lockert, während sie doch das einzige sein kann, was unsere Kultur des Sichtbaren, als Gesamterscheinung begriffen, retten kann. Aber noch ist es nicht zu spät. Noch sind wir, wenn auch nicht mehr im inneren, so doch noch im äusseren Besitz eines guten Teiles des von den Vorfahren errungenen Gutes. Es gilt, die Erkenntnis von dem Werte dieses Besitztums wieder zu gewinnen, das noch heute Private und Stadtverwaltungen und Regierungen nicht nur verkommen lassen, sondern zerstören, anstatt diese kostbaren Reste als lebendiges Anschauungsmaterial so lange zu bewahren, bis sie wieder begriffen werden, bis der abgerissene Faden wieder angeknüpft ist. Dann, erst dann dürfen sie wie alles Vergängliche sterben gehen. Dann wird Neues und Schöneres an ihre Stelle treten, aber dann erst. Kunstwartverlag Georg D. W. Call wey, München SCHULTZE- NAUMBURG KULTURARBEITEN Band I Hausbau 4. Auflage Mit 137 Abbildungen. Preis M. 3.50, gebunden M. 4.50 , Dieses Buch wünsche ich in einer Million von Exemplaren' verbreitet. Es ist bescheiden und schlicht geschrieben. Der Text dient den Bildern, die der wichtigste Teil sind. In diesen Bildern sind schlechte und gute Häuser, Treppen und Türen nebeneinander gestellt, immer ein Paar, ein Musterbeispiel und ein abschreckendes. Ich halte dieses Buch für das Beste und Wirkungsvollste, was bisher für die Erziehung zu einem gesunden Geschmack getan worden ist, für eine kulturelle Tat." Fritz Stahl im Berliner Tageblatt Band II Gärten 3. Auflage Mit 186 Abbildungen. Preis M. 4. —, gebunden M. 5. — a . . . Mit scharfer Feder ist in dem Bande ein feines poetisches Fühlen niedergelegt. Ohne möglichen Widerspruch hält uns der Verfasser den Spiegel vor und zeigt uns die Irrtümer und Schäden, welche die neue Gartenarchitektur unter dem Deckmantel des „Modernen" verursacht. Mit einer Serie feinsinnif gewählter Kodakaufnahmen von Beispielen und Gegenbeispielen wird das eindrucksvolle Wort unterstützt und in anregender Weise, wie es sonst bei solchen Werken selten der Fall ist, folgt man der Führung des Autors." Neue freie Presse, Wien Kunstwartverlag Georg D. W. Callwey, Mündien Ergänzende Bilder zu Band II Gärten 2. Auflage 120 Abbildungen mit einführendem kurzen Texte. Preis M.3.— , gebunden M. 4. — ,Wir haben bei Besprechung früherer Bände dieses so ausserordentlich verdienstvollen Werlces den Wunsch geäussert, die jmit dem Verfahren der Nebeneinanderstellung von gutem Beispiel und. schiechtem Beispiel wirl(ungsvol! gebotene Lehre ergänzt zu sehen durch weitere Sammlungen nur des Schönen . . . Die Anregung sieht sich durch diese heute angezeigte erste Ergänzungskollektion in schönster Art erfüllt .... Dass doch der Geist, der in diesen >Kulturarbeiten< um Schätzung wirbt, noch zur bestimmenden Macht werden möchte, bevor das Unverständnis das alles noch beseitigt hat, wofür er zu liebender Erhaltung mahnt, weil es um köstliches Erbe innerlichsicherer Geschlechter sich handelt I* St. Galier Blätter Band III Dörfer u. Kolonien 2. Auflage Mit 177 Abbildungen. Preis M. 4.—, gebunden M. 5. — .Dieses Werk verdient überall in deutschen Landen eingehende Beachtung. Es gibt über das Wesen deutscher Ansiedelungs- und Bau-Weisen Aufschlüsse, wie sie in ähnlicher Fülle und Trefflichkeit noch nie beisammen zu flnden waren. Wir wünschen das Buch namentlich in den Händen aller hohen Baubehörden, dann aber der Baumeister, -Unternehmer und Künstler. Es ist durchaus gemeinverständlich und frisch geschrieben." Deutsche Kunst und Dekoration Band IV Städtebau 2. Auflage Mit 328 Abbildungen. Preis M. 5.50, ^gebunden M. 6.50 „ . . . Der Laie könnte keinen besseren Lehrer auf diesem ungewohnten Gebiet finden, als Schultze-Naumburg. AngSicherheit des Blickes für die Formen, in denen sich die natürliche Logik eines ästhetischen Satzes mit geradezu Kunstwartverlag Georg D.W. Call wey, München greifbarer Deutlichkeit vericörpert, übertrifft er wohl alle seine Kollegen ; der Ueberzeugungsicraft der leicht gefügten Darstellungen beugt sich auch der Zögernde bald vollständig. ... In den 328 Abbildungen, die der erstaunliche Fleiss des Verfassers zusammengebracht hat, lebt ein schier unendlicher Reichtum ungel(ünstelter und abgeklärter Schönheit vor uns auf, dem der Hintergrund neuzeitlicher Unkultur, den die Gegenbeispiele maien, nur noch helleren Glanz und erquickendere Wärme verleiht." Prof. E. Haenle Band V Kleinbürgerhäuser 2. Auflage Mit 150 Abbildungen. Preis M. 3.50, gebunden M. 4.50 ,In seinem Kampfe gegen die' Geschmacklosigkeiten unserer Zeit hat Schultze-Naumburg den einzig richtigen Weg beschritten. Er greift hinein in den Kunstschatz des Volkes, nimmt gute Beispiele heraus und führt sie den Laien vor Augen, um ihnen das Schöne unmittelbar zum Bewusstsein zu bringen und ihren Geschmack zu läutern. Der vorliegende Band seiner „Kulturarbeiten" ist wieder eine sehr schätzenswerte Gabe, weil sie sich an die breiteste Masse wendet, sicherlich auch auf weiteste Kreise wirken wird. Wir wünschen dem Buche die weiteste Verbreitung, nicht nur im Volke, sondern auch bei den Baubeflissenen und Behörden, damit alle, die es angeht, aus den Abbildungen dieser Kleinbürgerhäuser lernen können, wie sich Zweckmässigkeit und Wahrheit zu Schönheit gestalten." Pädagog. Warte Band VI Das Schloss Mit 266 Abbildungen. Preis M. 4.—, gebunden M. 5. — , . . . Das Buch gibt für das heutige bildende Geschlecht reiche Anregung, in den Werken der Vorzeit zu forschen und den Gesetzen ihres Schaffens nachzuspüren, auf dass sie zu Nutz und Frommen unsrer Schlossarchitektur fröhliche Auferstehung feiere. Das Ansichtenraaterial ist musterhaft ausgewählt und von umfassender Vielseitigkeit." Hamburger Nachrichten „ ... Es enthüllt zaubergleich eine Fülle leuchtender Schönheit aus vergangenen Zeiten." Anzeiger des Germanischen Museums EUGEN DIEDERICHS VERLAG IN JENA Paul Schultze-Naumburg Die Kultur des weiblichen Körpers als Grundlage der Frauenkleidung. 15. Tausend. Mit 139 Illustrationen. Preis M. 4.—, gebunden M. 5.Häusliche Kunstpflege. 13. Tausend. Mit Buchschmuck von J. V. Cissarz. Preis M. 3.—, gebunden M. 4.— Das Studium und die Ziele der Malerei. 5. Tausend. Mit 16 Illustrationen. Preis M. 3.50, gebunden M. 4.50 VERLAG VON E. HABERLAND, LEIPZIG Paul Schultze-Naumburg Die Technik der Malerei Ein Handbuch für Künstler und Dilettanten, mit Buchschmuck von J. V. Cissarz und einfarbigen und bunten Abbildungen im Texte. Preis M. 4.—, gebunden M. 5. — '^ 1 f ^üMERSm OF TORONTO LIBRARY Acme Library Card Pocket Under Fat. " Ref. Index File. Made by LIBRAEY BUREAU TT .- .^*..^-+*>»^.-' -.-* V i. ,'. ^ *.^ j ,- 'i -.-^v -V.-. •-• ...•» ^-^-—/v-^^j-^.-^wjv'-iM • "^ * "l 'I I ;': r;'i*,'-. ^';;;:.x;;ii^ri-t;-art:r-Tjht7r:tr]trm:j: .' 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