RENAISSANCE und BAROCK. EINK UNTERSUCHUNG ÜBER WESEN UND ENTSTEHUNG DES BAROCKSTILS IN ITALIEN VON HEINRICH WÖLFFLIN. MIT 22 ABBILDUNGEN. MÜNCHEN. THEODOR ÄCKERMANN 1S8S. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG jS&sp gefördert durch die http://digi.ub.uni-heidelberg.de/dig1it/woelffiirlS8S/0001 GaselLKhalt der freunde *........... . , ' univ*i*ita«Helberg*v. © Universitätsbibliothek Heidelberg RENAISSANCE und BAROCK UNTERSUCHUNG ÜBER WESEN UND ENTSTEHUNG i DES BAROCKSTILS IN ITALIEN VON HEINRICH WÖLFFLIN MIT 22 ABBILDUNGEN. MÜNCHEN. THEODOR ACKERMANN UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG jS&sp gefördert durch die t http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinl8S8/000Z Umveniläi Heidelberger. © Universitätsbibliothek Heidelberg UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.urii-heideiberg.de/diglit/woelfflirtlSSS/oa03 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellst Halt der Freunde UnJwsrsJi« Híldíllwfg e.V HERRN PROFESSOR DR- HEINRICH VON BRUNN ZUGEEIGNET. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.urii-heideiberg.de/diglit/woelfflirtlSSS/oau4 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellst Halt der Freunde Universum H«Lde>LthE>rge.V 1 UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEEDELBERC http://digi.ub.urii-heideiberg.de/diglit/woelfflirtlSSS/oa05 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellst Halt der Freunde Unlvcrsn.il Híldíllwfge.V VORWORT. Die Auflösung der Renaissance ist das Thema der folgenden Untersuchung. Sie soll ein Beitrag zur Stilgeschichte sein, nicht zur Künstlergeschichte. Meine Absicht war, die Symptome des Verfalls zu beobachten und in der „Verwilderung und Willkür14 womöglich das Gesetz zu erkennen, das einen Einblick in das innere Leben der Kunst gewährte. Ich gestehe, dass ich hierin den eigentlichen Endzweck der Kunstgeschichte erblicke. Der Uebergang von der Renaissance zum Barock ist eines der interessantesten Kapitel in der neueren Kunstentwicklung. Und wenn ich hier den Versuch gewagt habe, diesen Uebergang psychologisch zu begreifen, so brauche ich gewiss keine Rechtfertigung des Unternehmens vorauszuschicken, wohl aber die Bitte um nachsichtige hup://digi.ub.uni-heidetberg,de/diglit/woelfflinlß88/0006 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellschalt der Freunde Univcrciidt Heldelberge.V. Beurtheilung. Die Arbeit ist ein Versuch nach jeder Richtung. Möge man sie als solchen gelten lassen. Den Plan, eine parallele Darstellung des antiken Barocks mitzugeben, habe ich in letzter Stunde fallen lassen. Das Büchlein wäre dadurch zu sehr belastet worden. Ich hoffe, bald an anderm Orte die merkwürdige Vergleichung ausführen zu können. Dr. Heinrich Wölfflin. UN ÍVERSITATS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG hUp://digi.ub.uni-heidetberg.de/diglit/woelfflinlB8S/0007 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellschaft der Freunde Unlvüriiiiii Heidelberg e.V Inhaltsverzeichniss Vorwort. § I. Bedeutung des italienischen Barockstils.......... . . . 1 g 3, Bedeutung des römischen Barockstiis........,..... 2 § 3, Zeitliche Bestimmung ......... 3 % 4. Die Meister......................... 4 § 5. Zeitgenössische Auffassung des Stilwandels. Der Name Barock . . . 9 g 6. Verhältniss zur Antike, Selbstgefühl . . *........... 10 g 7. Literatur......................♦ . . . 13 Erster Abschnitt* Das Wesen des SUlwandels. Kap. I, Der malerische Stil, § I. Begriff des malerischen Stils im Allgemeinen..... ...... 15 g 2. Der malerische Stil in der Malerei...........«... 16 § 3. a) Linien und Massen (Licht und Schatten); Fläche und Raum . . 17 § 4. b) Der freie Stil......... , . -........... 10 g 5. c) Das Unabsehbare und Unergründliche............. 30 g 6. Gegensatz von Malerisch und Farbig . . . *.......... 21 g 7. Der malerische Stil in der Plastik............, . . 22 g 8, Anwendung auf den Baruckstil 33 Kap. a. Der grosse Stil § i. Wirkung der Renaissance und des Barock im Allgemeinen..... 24 § 2. Der grosse Stil. Steigerung der Grössen Verhältnisse in's Kolossale . 25 g 3. Vereinfachung und Vereinheitlichung der Komposition ....... 36 Kap 3, Massigkeit, g 1. Zunahme der Masse und Betonung der Schwere bis zur Formlosigkeit 30 § 2. Charakter der Masse: weich, saftig. Das Wulstige........ 32 § 3. Die Masse ist nicht vollkommen durch geformt und durchgegliedert . 38 a) Stongebundene, wenig difTerenzme Formen: Pfeiler, Pilaster, Lisenen ; die nMauersäule". b) Vervielfachung der Glieder, c) Vervielfachung der Anfangs- und Schlusstnotivc, d) Rahmen- und Eckbildung. e) Das Ganze kein durchgebildeter Organismus. Geschlossene, unentwickelte Massenhaftigkeit, UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.uni-heide!berg.de/diglit/woelfflinl888/0008 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg e.V. Kap. 4. Bewegung. g£t, § I, Verhält niss von Kraft und Masse 40 § a. Dei Hochdrang 16 a) Ungleiche Verkeilung der Plastik. b) Auflösung der Horizontale. (Brechung der Formen.) c) Verschnell erung der Linienbewegung. Der Hoch drang als Motiv der verticalen Komposition. (Zunehmende Beruhigung nach oben) ........- - 47 Die Bewegung in der horizontalen Komposition 49 a) Khythmus statt Metrum. b) Steigerung der Plastik nach der Mitte. c) Schwingung der Mauer. Das Motiv der Spannung; die unbefriedigten Proportionen und Formen 50 Das Motiv der Deckung und Unübersehbarkeit.......... 51 Das Unbegrenzte: Komposition der Innen räume nach ßeleuchtungs- eftecten „............ ,......... 52 § 3. Schluss. Das System der Proportionalität in der Renaissance und im Barock............ 53 Zweiter Abschnitt. Die Gründe des Stil wandeis, § l. Die mechanische und die psychologische Theorie......„ , . 58 g z. Prüfung der erstem * *• ....... 59 g 3. Prüfung der zweiten..................... 61 § 4. Das Körperideal der Barockkunst ti5 § 5. Die Anfänge bei Michelangelo 67 g 6+ Seine Stimmung............... tiB § 7h Der Ernst der Nachrenaissance G9 § Ä. Die Poesie . . . -..................... ti9 § Qr Das Unbestimmt-Malerische. Das Erhabene ,.......... 71 g 10. Renaissance und Antike im Gegensatz zum Barock ....... . ( 73 Dritter Abschnitt. Die Entwicklung der Typen* Kap, l, Der Kirchen bau. g I. Centraibau und Langbau ....... 75 g 2. System der Facadenbildung 77 g 3. Historische Entwicklung des Facjadenbaues , 84 § 4. System des InnenrAunjes 9Ü a) Langbaus mit Kapellen............ 94 b) Tonnengewölbe.................... 9b" c) Wandbehandlung............ . . # t...... 97 d) Kuppel bildung* Licht Wirkung . É Ť Ť , . ,...... * 100 UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub.uni-heideiberg.de/di9lit/woelfflirtlSSS/oao9 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesel Isc h it lt der F reunde Univorsn.il Heidelbergi-V K ap- 3- Der Palast bau, § i. Allgemeines. Gegensatz von Facade und Innerem. Der Privatpalast und der öffentliche Palast................... 102 § 2. Mauer und Gliederung. Verhäituiss von Mauer und Oetfming , , , 101 § 3. Die horizontale Komposition .....* . 10'» § 4. Die verticale Komposition . ............ . 106 a) Die ,.ultima maniera" Bramante** und ihre Weiterbildung . . 107 b) Die Fagaden nach dem Muster von Pol, Famese 108 c) Die Fagade mit Mezzanin ............... . 106 % 5. Gl iederungs formen................... ^ . 110 § 6. Feusterbildung............, . ,. . . HO % 7+ Thorbildung....... ..... ;............=" > 112 § S. Hof............................ 112 § 9. Treppenanlage. . Hä § ioH Innen räume............ . . T..........., . ■ HO Kap. 3. Villen und Gärten, § 1. Stadtvilla und Landvilla................... 1I& § 2. Architectur der Stadtvüla . . . . , < * * .......... . HB 3. Architectur der Landvilla ,..........„„.*... , 121 4. Anfgang, Vor- uud Rückplatz . +........ . 193 § 5H Komposition des Gartens: das Teutonische und das ALectonische. . 123 § 6. Der grosse Slil. Ausscheidung des „giardino secreto" 12G § *]r Behandlung der Bäume; Gruppe, Allee, Hain ......... ■ \tl § S. Behandlung des Wassers: Brunnen,.Cascade, Bassin (Teich) .... 129 § 9. Wasserkünste und Vexirwasser . . . , , § 10. Auffassung des Gartens im Allgemeinen. Seine Qeßentüchkeit , ; 134 1 UNfVERSITATS- BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.Ub.Uni-heideiberg.de/diglit/WuelfflirtlSSS/0010 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesel kr h n lt der F reunde Univorsn.il HeidelbergS-V Verzeichniss der Abbildungen Saite Abb. i. Balustrade nach Raffael.................. 27 tt 2. Balustrade Dach Giacomo della Porta........ . ♦ . . 27 „ 3. Konservatoren pal as t *........ 33 tt 4, Kapitell vom Konservatorenpalast.............. 36 „ 5. Sockel vom Pal. Famese .................. 36 „ 6 (a u. b). Profile von der Cancelleria.........• - . * 37 „ 7. Profil vom Konservatoreüpalast............... 37 „ 8, Profil von Porta di S. Spirito.....,. . . ........ 37 „ 9. Schema des Renaissancepfeilers............• . . 39 „ 10, Schema des Barockpfeilers .,.♦.«.......*.-- 39 „ Ii. Schema der „Mauersäule"............... . . - 40 }I 12, Cancel leria. Oberstes Geschoss des Eck Rüg eis (Proportionalität der Renaissance).................... <>1 „ 13. II Gesü. Grundriss.................... 77 tf 14. S. Spirito. Schematische Zeichnung............. 78 15. S. M. de' montt.................... - 85 „ 16. Ii Gesü. Facade nach Vignola ..... 86 „ 17. 11 Gesu, Facade nach G. della Porta............ 87 „ 18. S. Susanna , .•...................... 91 „ 19. 11 Gesü. Durchschnitt.................. - 98 „ 20. Pal. Sacchetti....................... 103 „ SI. Treppenstufe aus Pal. Famese ......... H6 „ aa. Villa Borghese................±..... 120 UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinl88S/0011 © Universitätsbibliothek Heideiberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Unirt r ni ä t H eidetberg e.V. Einleitung. 1. Man hat sich gewöhnt, unter dem Namen Barock jenen Stil zu verstehen, in den die Renaissance sich auflöst oder — wie man sich öfter ausdrückt — in den die Renaissance entartet. Diese Stil Wandlung hat in der italienischen Kunst eine wesent^ lieh andere Bedeutung als im Norden. Der interessante Prozess, der in Italien beobachtet werden kann, ist der Uebergang vom Strengen zum Freien und Malerischen", vom Geformten zum Formlosen. Die nordischen Völker haben diese Entwicklung nicht durchgemacht. Die Architectur der Renaissance hat hier niemals jene vollkommen reine und gesetzmässige Durchgestaltung erfahren, wie im Süden, sie ist stets mehr oder weniger in der Willkür des Malerischen, ja Decorativen stecken geblieben. Von einer „Auflösung14 des strengen Stiles kann darum nicht die Rede sein*). Eine parallele Erscheinung bietet dagegen die Geschichte der antiken Kunst, wo denn auch der Name barock sich al) mäh lieh einzustellen beginnt2). Die antike Kunst „stirbt" unter ähnlichen Symptomen, wie die Kunst der Renaissance. 2. Diese Symptome aufzusuchen, ist unsere Aufgabe. Sie verlangt zunächst eine genaue Abgrenzung des Beobachtungsgebietes. — -Einen aligemeinen gleichartigen italienischen Barock giebt es nicht. Unter den landschaftlich verschiedenen Umgestaltungen der Renaissance aber hat einen Anspruch auf *) "Vgl, übet das, was im Norden barock heisst, Dohmer Studien \ zur Architecturgeschichte des 17. und iS. Jahrhunderts. In LützowTs Zeitschrift für bildende Kunst, 1878. £) Zuletzt bei Z. v. Sybei, Weltgeschichte der Kunst, i38S, der einen Abschnitt mit „Römischer Barockstil" überschreibt, WlrtßliiXt KttlfnisJaHC* und Barock. 1 http://digi.ub.uni-heidfllberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0012 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde typischen Werth (wenn ich mich so ausdrücken darf) allein die römische zu erheben. Aus drei Gründen. Für's Erste hat Rom die Renaissance in ihrer höchsten Abklärung gesehen. Bramante besass hier seinen reinsten Stil. Die Gegenwart ,der antiken Denkmäler that das Uebrige, das archi-tectonische Gefühl in einer Weise zu schärfen, dass jede Lockerung der Form hier mit ganz an der m Nachdruck empfunden werden musste ais sonst wo. Was wir für die italienische Kunst im Allgemeinen geltend machten, wird hier im Einzelnen entscheidend: die barocke Stilwandlung muss da beobachtet werden, wo man am besten wusstej was strenge Form sei, wo die Auflösung der Form mit höchstem Bewusstsein vollzogen wurde* Der Kontrast ist nirgends so gross wie in Rom. r Der Barock erscheint aber auch nirgends so frühe wie hier, Dies ist das- Zweite. Wir haben es nicht zu thun mit einem Stil schlechter Nachahmer, der da sich einstellt, wo das Genie ausgeblieben ist; vielmehr muss man sagen: die grossen Meister der Renaissance haben den Barock selbst eingeleitet. Aus der höchsten Blüthe ging er hervor, Rom blieb an der Spitze der Kunstentwicklung. / Endlich ist der römische Barock die vollständigste und durchgreifendste Umwandlung der Renaissance. Während anderwärts der alte Stil immer noch mehr oder weniger durchblickt und der Neue oft nur im schwülstigen Ausdruck dessen besteht, was man früher einfach gesagt hatte, ist hier jede Spur der frühern Empfindung verschwunden. Was man venezianischen Barock nennt und als den andern Pol dem römischen gegenüberstellt, bietet im Grunde gar nichts Neues. „Die kleinlichsten Gedanken der venezianischen Frührenaissance spuken hier in barocken Wulst gehüllt fort" *). — Man thäte vielleicht nicht Unrecht, überhaupt nur von einem römischen Barock zu sprechen. 3, Nach dieser lokalen Eingrenzung Jtöndelt es sich um eine genauere zeitliehe Bestimmung* Vorwärts ist der Barock begrenzt durch die Renaissance, rückwärts durch den neuen Klassizismus, der sich nach'der Mitte des 18« Jahrhunderts zu regen - beginnt; im Ganzen füllt er etwa zweihundert Jahre. Innerhalb dieser Zeit entwickelt sich aber der Stil in einer Weise, die es schwer macht, 1) Burckhardt^ Cicerone II \ 258. http://digi.ub.uni-heidfllberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0013 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde - s ihn als einen einheitlichen zu fassen. Anfang und Ende sehen sich wenig gleich. Man hat Mühe, die durchgehenden Züge zu erkennen. Schon Burckhardt bemerkt, dass die geschichtliche Darstellung mit Bernini eigentlich einen neuen Abschnitt müsste anfangen lassen. Es ist das ungefähr das Jahr r63o, Der Barock in seinem Beginn ist schwer, massig, gebunden, ernst; dann hebt sich der Druck allmählich, der Stil wird leichter, fröhlicher und dej Schluss -ist die spielende Auflösung aller tectonisehen Formen, die wir als Rococo bezeichnen. Unsere Absicht" geht nicht auf eine Beschreibung dieser ganzen Entwicklung, sondern auf eine Begreifung des Ursprungs: was wird aus der Renaissance ? Wir beschäftigen uns daher lediglich mit der ersten Periode (bis 1630); Den Beginn dieser , Periode setze ich unmittelbar nach der Hochrenaissance, Eine sog, „Spätrenaissance" kann ich für Rom nicht anerkennen, ich kenne nur verspätete Renaissancisten, denen zu Liebe man aber keinen eignen Stilabschnitt einrichten kann. Die Hochrenaissance verläuft nicht in einer spezifisch unterschiedenen Spätkunst, sondern vom Höhepunkt führt der Weg unmittelbar in den Barock hinein. Wo sichJein Neues zeigt, da ist es ein Symptom des kommenden Barockstiles. Die Rechtfertigung dieses Satzes kann hier nicht gegeben werden : sie bleibt der Formanalyse aufbehalten. Diese muss zeigen, welcher Komplex von Symptomen den Barock konstituirt, und erst danach lässt sich entscheiden, wo er beginnt, Als Ausgangspunkt aber bleibt unverrückbar jene Gruppe von Werken, die die Bewunderung der Nachwelt seit langem als die Schöpfungen der goldenen Zeit bezeichnete. Die Höhe ist nur ein ganz schmaler Grat. Nach dem Jahre 1520 ist wohl kein einziges ganz* reines Werk mehr entstanden, Schon stellen sich die Vorboten des neuen Stiles ein; hier, dort; sie werden häufiger, sie gewinnen die Uebermacht, reissen das Ganze mit sich: der Barock ist geworden. Will man für den fertigen Stil ungefähr das Jahr 1580 annehmen, so ist dagegen nichts einzuwenden. 4. Die Meister r Es ist die Aufgabe der Künstlergeschichte, den ganzen Reichthnm der schaffenden Kräfte aufzuzählen und den Individualitäten im Einzelnen nachzugehen; die Stilgeschichte E>o schäftigt sich nur mit den grossen, den eigentlich stilmachenden 1* UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBEKG t http^/digi.ub.uni-heidfllberg.de/digtit^woelfflinlSSS/OOi^ © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die G^sellathali der Freunde Univs r Litd r VI eictetberg e.V. Genien und darf von allem Persönlichen mit dem Hinweis auf die entsprechende Litteratur sich entledigen1). Dte Hauptn amen: Antonio da San^allo, Michelangelo, Vignola, Giacomo della Porta s Maderna. Vorbereitend die letzten Werke BramanteTs, RatTaers, Peruzzi's. Bramante {gest. 1514), in Rom seit Ende 1499, macht hier noch eine bedeutende Entwickelung durch. Es ist das Verdienst H. v. Geymülter's seine „ultima maniera" bestimmt zu haben Wenn man mit Fug in der Cancelleria, in S. Pietro in Montorio und den vattcanischen Bauten den vollkommenen Ausdruck der abgeklärten Renaissance erblicken darf, so hat man doch \ kein Recht, darnach BramanteTs römischen Stil ausschliesslich zu bestimmen. Seine letzte Manier ist schwer und gross. Denkmale: Sein eigenes Haus, jetzt zerstört, aber erhalten in einer Zeichnung Palladio's3), und der (blos angefangene} Pal di S. Biagio. Im Gebiete der kirchlichen Architectur ist S. Peter die grosse Aufgabe, an der sich die Besten der Zeit messen, Bramante1 s verschiedene Entwürfe sind ebenso viele Stiletappen. Unsere Geschichte könnte sich unbedenklich auf dieses Monument allein beschränken, indem jede Phase der Stilentwicklung eines Jahrhunderts hier ihre Spur zurückgelassen hat: anzufangen von dem ersten Plan Bramante's bis zur Errichtung des Langhauses durch Maderna. Raffael (gest. 152a). Geymiiller bestimmt seine architectonische Bedeutung durch die zwei Worte: Fortsetzer von Bramante's letztem Stil, Vermittler zwischen Bramante und Palladio, PaU Vidoni-Canarelli schliesst sich unmittelbar an Bramante's Haus an. Aus einem neuen Gefühl heraus geschaffen ist der Pal. dall Aquila (zerstört, aber erhalten in Zeichnungen und *) Vasari, vite etc. 2, Aufl. 156S. Ich citire nach der Ausgabe Sansoni, Florenz 1878 — 85, — Bagli&ni, le vite de* pittori, sc d tor i, architetti etc. Dal t57z fmo al 1642. NapoH 1733, Zeitgenössischer Bericht. — Milfeia* memoria degli architetti antichi e moderní. Bassano 17 §4. —. Ausserdem die neuem Bearbeitungen des Stoifes u. Ht v. Geymiilier, die ursprünglichen Entwürfe fUr S. Peter in Rom, Paris und Wien 1875 ff, foL — Derselbe, Üaffaello Sanzio studiato cöme architetto cün 1'aiuĚa di nuövi doeümenti. Milaiio 1884- fcl. 3) Publizirt von Geymüller, Raffaello etc. gefördert durch die G^sellatfiali der Freunde Stichen)1), der in der Facadeneinth eilung für den Palastbau der Folgezeit bedeutend wird, Langhausentwurf Raffael's für S. Peter, Peruzzi (gest. 1535). Sein tetzter Ausdruck; Pal, Costa und Pal. Massimi alle colonne. Das neue Formgefühl kündigt sich an. A. da Süttgällö der jüngere (gest. 1546), ein Hauptträger der Barockentwicklung, Sein Stil massig und ernst, robusto e severo (Ricci)E). Er hat von Raflfael gelernt, das Gelernte aber durchaus selbstständig weiter gebildet. Vielfach ist er Erfinder der neuen Form typen. Sein Hauptwerk: Pak Farnese*). Sein eigenes Haus, jetzt Pak Sacchetti, das Muster der aristokratischen Stadt wohnung+ Michelangelo Buonar&tü (gest. 1564), von jeher berühmt als der „Vater des Barock'■♦ Es mag von Bedeutung gewesen sein, dass Michelangelo erst als fertiger Mann sich mit dem Bauwesen abgab, bereits im Besitz eines Ruhmes, der ihm die Bewunderung und Nachahmung für Alles sicherte, was er irgend thun mochte. Er behandelt die Formen sofort mit souveräner Rücksichtslosigkeit, Sie werden nicht mehr um ihren Sinn befragt, sondern dienen einer Komposition, die lediglich auf bedeutende plastische Kontraste, auf das grosse Zusammenwirken von Licht und Schatten Jede Linie von ihm ist wichtig. Die florentmisehen Bauten: S< Lorenzo, Facadenprojecte von 1516, 1517; Mediceische Grabkapelle, Beginn der Arbeiten 1520; Bibliothek von S. Lorenzo (Laurenziana), Beginn circa 1523; die Die römischen Bauten: Die Umgestaltung des Kapitols; der Entwurf datirt aus den ersten Jahren Paul'5 III. InschriftKch bezeugt das Jahr 1538 für die Aufstellung der Statue des Marc Aurel. Das ovale Postament nimmt vielleicht schon Rücksicht auf einen *) Ftrrsriot Falazzi di Roma. Eine Zeichnung des Parmegianinc, publtziit bei GeymülJer, Raffaello etc. 2} Ricci) storia dell' arebitetmra in Italia, IIL 57. 3) Bekanntlich war es Michelangelo, der das Gebäude vollendete. Durch ihn würde die Fa^ade gründlich verdorben. Seinem weitausladenden Kranügesimse zu Liebe erhöhte er die Mauern um mehr als zwei Meter, wodurch Alles aus der Proportion kam, *) Hauptdaten* 18 5S, Michelangelo beschreibt die Treppe brieflich dem VasarL 1559, er schickt ein Modell dazu an Arnmannati. ausgeht. Treppe später*). UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG http ://digi,ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflin 18S3/Ü016 © Universitätsbibliothek Heidelberg geordert durch die GeseJIschalt der Freunde Universität Heidelberg e,V. oval gedachten Platz. Am Senatorenpalast stammt die doppelte Treppe sicher wenigstens aus der Zeit vor I555 1)« Das Gebäude im Uebrigen wurde erst von Giac. della Porta und Rainaldi vollendet Der Konservatorenpalast war zur Zeit als Vasari seine zweite Auflage schrieb, noch nicht ganz voltendet, aber doch wohl im Wesentlichen. Der gegenüberliegende gleiche Palast ist dagegen spätem Datums. Die „Cordonnata('} die langsam aufsteigende Haupttreppe, erwähnt Vasari a]s noch nicht vorhanden2)*- Die Geschicke der Peterskirche wurden in Michelangelos Hand gelegt am i, Januar 1547* Er behielt die Führung des Baues bis zu seinem Tode, Seine Redaction des Gründrisses, die Gestaltung der AussenarchitecEur an den hinteren Partien der Kirche und endlich der Modellentwurf zur Kuppel (1558) sind lauter Schritte von entscheidendster Bedeutung für die neue Kunst Aus den letzten Lebensjahren: Umbau des Hauptranmes der IJiüclctiansthermen zur Kirche S-M.degli angeli und Porta pia (1561), Die ganze folgende Entwicklung ist abhängig von Michel angelo. Es kann sich Keinerj der in seine Nähe kommt, dem Zauber entziehen: keiner wagt aber, ihn direct nachzuahmen. — Die leitenden Geister (bis Bernini) sind Vignola, Giacomo della Porta, Maderna. Jacopo BaroEZt da Vigswla (1507-1573, aus dem Modene-sischen stammend). Vignola gilt in der allgemeinen Vorstellung als der vollendete Regel mensch. Weil er ein berühmtes Lehrbuch der fünf Ordnungen schrieb , steht der Begriff des Theoretikers, des Vertreters akademischer Gesetzlichkeit im Vordergrund. Mit Unrecht, Man braucht nur das Titelblatt seiner „Regola" anzusehen, um sich zu überzeugen, dass die Kunst Vignola's sehr grosse Freiheiten sich nimmt und gestattet- In dem Hofe des Pal. di Firenze Auf dem Plan von Rom aus diesem Jahre ist sie schon angegeben. Einen ungefähr gleichzeitigen Stich lind et man nachgebildet bei Letarouilly, e'difices de Rome« Texte p. 721. Besser bei Müntz, antiquites de Rome, 1886. pT 151. — Uebrigens entspricht die jetzige Gestalt nicht der Absicht Michelangelo's. Die zwei liegenden Flussgötter, sind richtig; aber für die Mitte hatte er eine Nische mit einer stehenden kolossalen Jupiterstatue geplant. Durch den Brunnen ist die Nische jetzt dermassen verkürzt, dass nur eine kleine hasslich wirkende Roma hat Platz finden können. Der Brunnen erscheint auf Abbildungen vor dem Jahre 1600* 2) VII. 223: TJna salita, qua! sarä piana, http://digi.Lb.uri-heidelberg.de/diglit/woelffttnlS8S/0017 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellschaftd*?i Freunde.1 Universität Heidelberg e.V. wetteifert er geradezu mit Michelangelos willkürlicher Formbehandlung {Motive der Laurenziana), Seine Bedeutung fangt an, als er unter Julius III. zum zweiten Mal nach Rom kam (i55o)l), Damals war er 43 Jahre alt. Ein erster Aufenthalt als junger Mann hatte ihm die klassische Schulung gegeben; jetzt tritt er in den Geisteskreis Michelangelos ein. Das kleine Oratorium S. Andrea vor der Porta del popolo noch zurückhaltend und streng; die Vigna del papa Giulio, ein unsicher tastender Bau, scheint in der Hauptsache nicht auf ihn zurück zu gehend}, (Theilnahme Michelangelos (?), Ammannati's und Vasari's und des Bauherrn Julius IIL) Michelangelo muss viel von ihm gehalten haben. Er verwendet ihn am Pah Farnese, wo er die „galeria" und viele Details, Thüren, Kamine u. dgl, ausführte; auf dem Kapital, wo er Bauführer war und selbstständig die seitlichen Hallen oben an der Treppe gegen Araceli und Monte Caprino baute 3); nach dem Tode des Meisters bekam er die Leitung von S, Peter und führte in dieser Stellung die Nebenkuppeln aus, die in charakteristischer Weise über Michelangelos Entwurf hinausgehen, — Sein Hauptruhm aber ist das Schloss von Caprarola, ein fünfeckiger Riesenbau der Farnese, in den Formen des Uebergangs (aus den fünfziger Jahren) und die Kirche des Gesü (begonnen 1568), die für die ganze barocke Kirchenbaukunst vorbildlich wurde Der Tod hinderte Vignola, das Werk ganz zu vollenden. Der Facadenentwurf ist aber erhalten im Stich Sein Nachfolger an dieser Kirche und im gesammten römischen Bauwesen war Giacomo della Porta (gest. 1603). Er ist nicht der Bruder des Bildhauers Guilelmo della Porta, wie meistentheils angenommen wird, überhaupt wohl kein Lombarde, sondern — nach dem Ausdruck BaglioniSß} — di patrja e di vjrtü Romano7). 1) Vas, VH. 107* An diesem Datum ist festzuhalten. 2) Vas. VIL 694. t 3) Sie sind schon 1555 auf Abbildungen vorhanden. 4) S. M, degh' angeli bei Assisi, aus dem Jahre 1569, ist prinzipiell so verschieden vom Gesü, dass die Tradition wohl mit Unrecht Vignola als Architectea nennt 5) Francesco Vtllamena, alcune opere d'architettura di Vignola. Roma 1617. 6) Baghoni, vite etc, p. 76. 7) Den Stammbaum der mailändischen Porta (des Guilelmo etc.) gieht Kinkth Mosaik zur Kunstgeschichte S. 46. Unser Giacomo hat UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlSSS/0018 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durcfi die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberg e,V, Das überlieferte Geburtsjahr 1541 scheint fast unglaublich angesichts der Thatsache, dass er die Fagade von S. Catarina de1 funari schon 1563 (laut Inschrift) vollendet hatte. — Giacomo ist auf allen Gebieten mächtig gewesen. Die Gunst der Bauherren kam ihm entgegen. Durch ihn zuerst bekam die Kirchen fagade (Gesü, S. Maria deh monti), die Palastfacade, die* Villa den entschieden barocken Stempel. Seine höchste Leistung wäre die grosse Peterskuppel t wenn wirklich nicht nur die bauliche Ausführung* sondern auch die Zeichnung auf ihn zurückgeführt werden könnte (s. den betreffenden Abschnitt im dritten Theil). Was Porta begonnen, vollendete, übertrieb und — zerstörte, wenn man so sagen will, Carlo Maderna (1556—1639, gebürtig vom Comersee, kommt schon als Knabe nach Rom). Maderna bezeichnet in seinen späteren Werken bereits die Auflösung des Ernstes, der dem Barock bis dahin eigen war. Die tüchtige Ge- ß sinnung» die etwas Bedeutendes zum Ausdruck bringen will, verliert sich; es tritt eine Verflachung ein, die im Uebermass des dekorativen Reichthums ihr Höchstes sucht. Maderna selbst hat in der vorzüglichen Fagade von S. Susanna gezeigt, was er konnte (sie wurde vollendet 1603). Sein erstes grosses Werk ist auch sein bestes geblieben. Das grössere, die Fagade von S. Peter (vollendet 1612) erfüllt nicht» was man erwartet; doch darf man nicht vergessen, welch* ungeheure Aufgabe es war, diese Fläche zu gliedern, und wie der Künstler doch nicht frei, sondern an die von Michelangelo, bereits gegebenen Motive gebunden war. Die Vorhalle ist wieder hoher Bewunderung würdig. Um und zwischen diese drei grossen Meister gruppiren sich eine Anzahl kleinerer. Zunächst der tüchtige Bartolomeo Ammannati> Zeitgenosse des Vignola, ein Florentiner, der in Rom als Mann erst Architect wurde und das römische Gefühl sehr rein in sich aufnahm. {Pal Gaetsuii.) Von* seinen florentmischen Bauten ist die herrliche Brücke darin keinen Platz. — Dass die Spätem (seit Milizia) ihn zum Mailänder machen, mag darauf zurückgehen, dass es in der That auch einen Mailänder Architecten, Giovan Jacomo della Porta gab (Vas, VII. 544). Schon Vasari scheint sich in der Porta'sehen Familiengeschichte nicht recht ausgekannt zu haben: er macht diesen zum Onkel, statt zum Vater des Guilelmo, Wir werden ihm später nochmals begegnen. http://digi.Lb.uri-heidelberg.de/diglit/woelfflinl86S/0019 © Universitätsbibliothek Heidelberq gefördert durch die Gesellschaft der freund* Universität Heidelberg e.V. — 9 — r' " f der Trinitä ohne die römische Schule nicht denkbar, in seinen Palast bauten kommt er dagegen bald in die alten Florentiner Geleise. Das Co 1 legio romano, ein Werk von sehr zweifelhaftem Effectt das seine Entstehung einem zweiten römischen Aufenthalt verdankt, zeigt (namentlich in der Fagade), wie sehr ihm der grosse Sinn abhanden gekommen war. Weiter erscheint Martine Lunghi und sein Sohn Onorio (gest. 1619), Dcmmico Fontana, der Onkel Maderna's (gest. 1607) und sein Bruder Giovanni (gest. 1614), Flaminio Ponztoy Ottaviano Masckerino , Francesco da VolUrra, Giovanni Fiamingo, genannt Vasanzi&f u, s« w,, lauter Nicht-Römer. Die Mehrzahl kommt aus der Lombardei (vorzugsweise aus der Gegend des Comersees). Mascherino ist Bolognese, Francesco da Vo]terra nennt seine Heimat im Namen, Vasanzio ist Niederländer (Hans von Xanten). — Die Wenigsten dieser Künstler haben sich in die neue Bewegung recht hineingefunden; bei den Meisten merkt man die Befangenheit, mit der sie die neuen Formen aufnehmen, ohne doch das Ganze in einem neuen Geiste schaffen zu können. Jedenfalls waren von Hause aus die Römer mehr disponirt für jene Grösse und gewichtige Massigkeit, die dem Barock eigen ist Auf diesen Momenten beruht die Wirkung eines Giovan Battiste Soria (gest. 1651), eines mitfcelmässigen Künstlers, der aber als Römer noch spät in seinen Bauten die ganze „gravitas11 des früheren Stiles vorzutragen befähigt war. 5. Den Barock begleitet keine Theorie wie die Renaissance. Der Stil entwickelt sich ohne Vorbilder. Man scheint nicht die Empfindung gehabt zu haben, prinzipiell neue Bahnen einzuschlagen. Es entsteht darum auch kein neuer Stilname; stilo moderno umschliesst gleichmässig Alles, was nicht antik ist oder dem stüo tedesco (gotico) angehört. Dagegen stellen sich als Merkmale der Schönheit bei den Kunstschriftstellern jetzt einige Begriffe ein, die man früher nicht gekannt hatte: cafricci&so, bizzarro, str&-vagante a, l), Man empfand mit Wohlgefallen das Eigenthüm- i) Capriccios^ eigensinnig, eigentümlich (von capro, der Bock), Häufig bei Vasari. Als Ausdruck höchsten Lobes für die Kunst Michelangelos: introduzione T. 136 (ricoprendo con vaghi e capricciosi Ornament i ; ornamenti bedeutet nicht nur Decoration] i difetti della natura). Ibid. VI. 299 (v. di Mos ca.: non e possibile veder piu belli e UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG gefordert durcfi die t http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlS33/0020 GewJlidialitforFwund* ... . . .. Universität HewtelcwrEeV. © Universitätsbibliothek Herdelberg — 10 — liehe, was über die Regel hinausgeht. Der Reiz des Formlosen beginnt zu wirken. Der heute übliche Ausdruck Barock^ den auch die Italiener angenommen habenj), ist französischen Ursprungs. Die Etymologie ist unsicher. Einige denken an die logische Figur baroco, die etwas Widersinniges hervorbringt, Andere an eine „schiefrunde" Perlenform, die mit diesem Namen benannt wird Die grosse Encyclopädie kennt das Wort schon in ähnlichem Sinne, wie wir es gebrauchen: „baroque, adjectif en arcTiitecture, est une nuance du bizarre. II en est, si on veutT le raffinement, ou sJil e'tait possible de le dire, Tabus . # . il en est le superlatif. L'idee du baroque entraine avec soi celle du ridicule pousse ä l'exces. Borromini a donne- les plus grands modcles de bizarrcrie et Guarini peut passer pour le maitre du baroque". Die Unterscheidung von baroque und bizarre ist uns nicht geläufig; vielleicht empfinden wir eher den zweiten Ausdruck als den schärferen. Als künstln i stör tsch er Name hat das Wort den Nebengeschmack des Lächer^ liehen verloren; der gern eine Sprachgebrauch dagegen bedient sich desselben noch immer zur Bezeichnung eines Widersinnigen und Ungeheuerlichem — 6, Der Antike gegenüber ist ein Erkalten der Begeisterung schon seit dem Tode Raffaels bemerkbar. Nicht dass man mit den antiken Resten sich weniger beschäftigt hätte. Im Gegen-theiL Aber es ist nicht mehr das kindliche Staunen, das mit einer fast heiligen Scheu verehrte2), ohne eigentlich nachzuahmen, sondern eine kühlere Betrachtung, die auf Belehrung ausgeht. In Rom entstand eine vitruvianische Academie, die nochmals eine capricciosi altari etc,). Ibid- VII. 105 (v. di Vignola: belle e capricciose fantasie) etc. Ein späteres Beispiel: die Sammlung der „ornamenti capriceiosi" von Montan! und Soria. Roma 1625. — Im gleichen Sinne bhzarrö {Vas. L 136 und sonst) und siravaganU. (Vas. VIT, 260, v. di Michelangelo: stravagan'e e bellisstmo. Urtheil liber die porta pia,} — Lomazzo, trattato dell* arte "(Milano t5S5) hat genau denselben Sprachgebrauch 1) Seit wann, bin ich nicht im Stande genauer anzugeben. Milizia (1784) kennt ihn noch nicht 2) Vasari: quelle reliquie dt edinzj, che noi come &sa santa onoriamo e come sole bellissime c*ingegntamo d'imitare (V. 448). Uebrigens findet man bei Vasari auch anderslautende Urtheile (s. u.j. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0021 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge sc1 In: hü Ii der Freund« Universität Heidelberg e.V. gründliche Aufnahme der Ruinen veranstaltete J); Vignola ist in ihrem Dienste; er giebt als Frucht seiner Studien ein Lehrbuch der fünf antiken Säulenordnungen-) heraus, das für zwei Jahrhunderte das klassische Muster blieb; aber bezeichnend für den Geistj in dem es gemacht, sind die Worte der Vorrede. Seine Absicht ist, aus der Vergleichung dessen, was gefallt, eine Regel zu gewinnen» bei der sich jeder beruhigen könnteIn Allem aber, was über die fünf Säulenordnungen hinausgeht, hält er sich für vollkommen ungebunden. Um den Geist der Antike ist es ihm nicht zu thun Offene Klagen über die Geringschätzung der Antike werden laut bei Sca*tt&%$i*\ „Le cose fatte. dagli antichi vengono sprezzate e quasi derise." „Sono molti> che non 1'istimano moito*'^). Im Ganzen merkt man, dass die Antike als „Regel" empfunden zu werden beginnt. Die Einen durchbrechen sie mit Absicht, ängstlichere Gemüther suchen zu vermitteln und zu entschuldigen, was immer entschuldigt werden kann. So giebt L&mazso im trattato deir arte eine Zusammenstellung von Fällen, wo auch die Alten sich einige Freiheiten erlaubten, um eben damit die Neueren zu rechtfertigen ö), Lomazzo ist ein Mailändert die Leute in der Nähe Michelangelos sprechen anders. Das Unerhörte, was Michelangelo an !) Burckhardt, Renaissance in Italien, p. 39, wo die Litterätur darüber au finden. 2) Regola de Iii cinque ordini d'architettura, foL Roma (1560), 3) Mi e piaciuto di continue intomo questa prattica degli orna-menti vedeme ü parere di quanu scrittori ho passu to, e quelli com-parandoli fra lor stessi e con l'opre antiche, vedere di trarne una regola. 4) Idea deir architettura universale, fol. Vinezia 1615, &) i lib. I. cap. XXli. 6) So ist ihm ein Beispiel eine Thür aus der Gegend von FolignOj wo der Bogen der Thür Öffnung in das Giebelfeld hineinreicht. Der Giebel ist nach unten offen; es sind lediglich die tragenden Halb-Fäulen, welche einen Gebälkaufsatz haben, VgL hieuiit die ursprünglich geplanten Fenster Sangallo's für das 2weite Geschoss vom Pal. Farnese {bei Letar". a» a. 0., texte p. 289)* Bezeichnend ist, was Seriio^ der das kleine Monument auch kennt und abbildet, darüber sagt: „E an-cora che paja cosa liceniiosa% perche Tarco rompe il corso dell' architrave e del fregio, non dime no non mi dispiacque la inventione. La cosa e molto grata alla iti&ta" (Architettura, lib. IQ, p, 74- Ich citire nach der Quart-Ausgabe. Venedig 1566.) Malerischer Standpunkt. UNfVERSITÄTS* BIBLIOTHEK HEIUELBEKÜ t http//digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinl83S/0022 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durdi die GeHrJlwr hall dor Freunde Universität Heidelberger, der mediceischen Grabkapelle gewagt hatte, begrüsst Vasari als eine Erlösung. ,,Gli artifici gli hanno mfinito e perpetuo obbligo, avendo egli rotto i lacci e k catene delle cose, che per via d'una strada commune eglino di conti nuo operavano" 4). Es ist mehr und mehr nur noch das Grossartige, was man am Alterthum bewunderte, die Kolossalität seiner Unternehmungen, nicht der Reiz der Form im Einzelnen2). Jener Sinn/ der in der geringsten Spur des antiken Geistes ein Göttliches verehrte, ist verschwunden. Es mag das zum Theil bedingt gewesen sein durch eine Steigerung des Selbstbewusstseins, das man jenem Geschlecht nicht verdenken kann. Es wurzelte sich die Ueberzeugung fest, man könne mit den Alten sich messen. Michelangelo selbst, dessen Bescheidenheit gerühmt wird, urtheilte über einen seiner Entwürfe zu S. Giovanni de' Fiorentini, weder Römer noch Griechen hätten in ihren Tempeln etwas Aehnliches erreicht3). Das Gleiche spricht Vasari des öftern aus1*). Aus diesem Selbstbewusstsein muss man dann auch die Gleichgültigkeit zu begreifen suchen, dass z. B* von Sixtus V, die Reste des Septizonium Severi abgetragen werden durften, um Steine zu gewinnen^). Der Barock besass ein Gefühl von Alleinberechtigung und Unfehlbarkeit, wie vielleicht kein anderer Stil. Es ist interessant genug, das Wesen dieser Kunstempfindung näher zu betrachten. *) V. di Michelangelo. VII. 193. ,Vgl. Cendivi, vita. di Buona-rotti, c, 52 (bei C. Frey, vite di M.B. p. 192): cosa inusitata e nuoya, non ubbligata a maniera o legge alcuna antica over raodema (von einem Fagadenentwurf für einen Palast Julius III.); mostrando, rarchi-tettura non esser stata cosl dalli passati assolutamente trattata, che non sia luogo a nuova inventtone non men vaga e men bella. 2) Con tanta magnißcenza, che pareggia Je cose antiche, sagt Vasari von der schon recht barocken Porta di S, Spirito (v, di A. Sangallo, V. 465)- &) Vasari VH, 263. -*) Bei Gelegenheit des Kranzgesimses von Pal. Faraese (VII, 223), der mediceischen GrabkapeHe (VIIT 193) u. s, f, 5) Einige Leute vom Adel opponirten damals umsonst« gefördert durch die http://digi.Lib.uni-heidelberg.de/diglit/woeJffEinl8SS/0023 Ä.. . .„ *... .. , , .... i, Umupr5H.il Heidelberg e.V. © Universitätsbibliothek Heidelberg Jacob Burckhardt, Cicerone. — Erste Charakteristik des Stils, massgebend für alle folgenden Versuche* Derselbe, Arehitectur der Renaissance in Italien. 2. Aufl. 1878. ■ A. v. Zahn, Barock, Rococo und Zopf. (Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst. 1873*) — Enthalt für den Barock nichts aís einen Verweis auf Burckhardt R. Dahme ^ Studien zur Architecturgeschichte des i&, Jahrhunderts (Lützow's Zeitschrift für bildende Kunst. 1878). — Werthvoll ist die principielle Scheidung von römischem und venezianischem Stil, * G. £bet Spätrenaissance. Berlin 188Ó. 2 Bde. — Ohne selbst- ständigen Werth. V C. Gurliitj Geschichte des Barockstils, des Rococo und des Classicismus. Bd. L Geschichte des Barockstils in Italien, Stuttgart 1887. Der Vorwurf , der meiner Meinung nach diesem Buche an erster Stelle gemacht werden müsste, ist der* dass der Leser nirgends einen rechten Begriff bekommt, was denn eigentlich Barock sei. Die Definition (S. 7), Barock sei der Stil, der „von antikisiren-der Basis ausgehend durch bewusst freie, modern vielgestaltige Behandlung des Baugedankens zu einer gesteigerten, am Schluss bis zur Tollheit übertriebenen Ausdrucksform führte", ist zu vag. Sie veranlasst denn auch ein Schwanken, das durch das ganze Buch durchgeht. Ich nenne ein Beispiel. Madema ist auch für Gurlitt barock — S. Susanna wird als Muster des Stils vorgeführt —f Giac. della Porta aber, der unmittelbare Vorgänger und Vorbereiter Maderna1 st soll einer ganz andern Schule angehören, der sogenannten Spätrenaissance, „der Schule der auf Gesundung von innen heraus basirten Gegenreformation und der vorherrschenden nur unwillkürlich durchbrochenen Regel". Andererseits werden die venezianischen Paläste eines Scamozzi und Longhena, die ini Wesentlichen so ganz und gar nichts Neues bieten und bis dahin denn auch als Renaissance galten, dem Barockstil zu-^ gewiesen. Die Anfange des neuen Stils werden in Florenz gesucht, die Bedeutung der römischen Entwicklung tritt nicht hervor und kann http ://digi,ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflin 1833/0024 © Universitätsbibliothek Herdelberg gefordert durch die GeseJIscrtalt der Freunde Universität Heidelberger. es schon darum nicht, weil der Verfasser mit seiner Erzählung- erst nach Michelangelo einsetzt. Dass bei dem grossen, noch so wenig gesichteten Material im Einzelnen mancherlei Irrthümer unterliefen, möchte ich neben diesen — wie mir scheint — principiellen Fehlern t weniger betonen, — Ricci, storta dell' architettura in Italia. III. Roma 1864, — Oft grillenhaft; den Barock leitet der Verfasser aus dem Orient ab, von wo er über Sizilien und NeapePnach Rom gekommen sei. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG t http;//digi,üb.uni-heidelberg.de/diglit/woelfftinl888/0025 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universität Heidelberg e.V. Erster Abschnitt. Das Wesen der Stilwandlung. Cap. I. Ueb ereinstimmend wird von den Gesell ich tschreibern der Kunst als wesentlichstes Merkmal der Barockarchitectur der Malerische Charakter angegeben. Die, Baukunst verlässt ihr eigen-thümliches Wesen und geht Wirkungen nach, die einer andern Kunst entlehnt sind: sie wird malerisch. Der Begriff des „Malerischen" gehört zu den wichtigsten, aber zugleich zu den vieldeutigsten und unklarsten, mit denen die Kunstgeschichte arbeitet. Wie es eine malerische Architectur giebt, so giebt es eine malerische Plastik; die Malerei unterscheidet in ihrer Geschichte selbst eine malerische Periode; man spricht von malerischen Lichteffecten, von malerischer Unordnung, von malerischem Reichthum u. s, w. Wer etwas Bestimmtes mit dem Begriff ausdrücken möchte, wird sich über seinen Inhalt zuerst Rechenschaft geben müssen. Was bedeutet malerisch? Einfach ist es zunächst zu sagen; malerisch sei das, was ein Bild abgebe, was ohne weitere Zuthat ein Vorwurf für den Maler sei. Ein strenger antiker Tempel, der nicht in Ruinen Hegt, ist kein malerischer Gegenstand, Der architectonische Eindruck mag in Wirklichkeit noch so gross sein, im Bilde wirkt das Gebäude einförmig; der moderne Künstler müsste sich die äusserste Mühe geben, durch Beleuchtungseffecte, Luftstimmung, landschaftliche Umgebung das Object als Gemälde interessant zu machen, wobei dann das eigentlich Architectonische vollständig zurücktritt. Einer reichen Barockarchitectur lässt sich dagegen leichter eine malerische Wirkung abgewinnen: sie hat mehr Bewegung, die freieren Linien, UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG e http ://digi,ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflin 1833/0026 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die GeseJIschalt der Freunde Universität Heidelberg e,V. das belebte Spiel von Licht und Schatten, das sie bietet, befriedigen um so mehr den malerischen Geschmack, je mehr sie gegen die höheren Gesetze der Baukunst Verstössen. Das strenge architectomsche Gefühl wird verletzt, sobald die Schönheit nicht mehr in der festen Form, in dem ruhigen Gefuge des Körpers gefunden, sondern ein Reiz in der Bewegung der Massen gesucht wird, wo die Formen unruhig - springend oder leidenschaftlich auf- und ab wogend jeden Augenblick sich zu verändern scheinen. , Pointirt konnte man sagen: Die strenge Architectur wirkt durch das, was sie ist, durch ihre körperliche Wirklichkeit, die malerische Architectur dagegen durch das, was sie scheint^ durch den Eindruck der Bewegung* Dabei sei aber von vornherein bemerkt, dass von einem aus-schüessenden Gegensatz niemals die Rede sein kann. 2. Das Malerische gründet sich auf den Eindruck der Bewegung, — Man kann fragen, warum das Bewegte gerade malerisch sei, warum gerade die Malerei allein zum Ausdrucke des Bewegten bestimmt sein solle. Die Antwort ist offenbar dem eigentümlichen Kunstwesen der Malerei zu entnehmen. Fürs Erste ist sie von Hanse aus bestimmt, durch den Schein zu wirken; sie besitzt keine körperliche Wahrheit. Dann aber stehen ihr Mittel zur Verfügung, den Eindruck der Bewegung wiederzugeben, wie keiner anderen Kunst, Sie war nicht immer im Besitze dieser Mittel. Ich bemerkte bereits, dass die Malerei in ihrer Geschichte selbst eine malerische Periode unterscheidet; erst allmählig bildete sie den malerischen Stil aus, indem sie sich einer vorwiegend zeichnerischen Manier zu entwinden hatte. Der Uebergang vollzieht sich in der italienischen Kunst auf der Höhe der Renaissance. An verschiedenen Orten, Als berühmtestes Beispiel nennt man den Uebergang bei RarTael: an einer monumentalen Aufgabe, in den Stanzen des Vattcant machte er vor den Augen der Welt gleichsam die Entwkkelung vom alten zum neuen Stile durch. Die Stanza d'Eliodöro gilt als der Ort des entschiedenen Durchbruchs (1512—14), 4) Welches sind nun diese neuen Ausdrucksmittel, die für die Architectur entscheidend werden sollten ? *) C F. v. Rumohr, Italienische Forschungen iS^r. III. 85. rT. — ^A. Springer, RarTael und Michelangelo Is* 279 ff. http ://digi,ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflin 1833/002 7 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesellschaft dor Freunde Universität Heidelberger. Ich will versuchen, die Haupt züge des malerischen Stils im Folgenden zusammenzustellen. 3* Den unmittelbarsten Ausdruck der künstlerischen Intention findet man in den Skizzen. Sie geben das, worauf es dem Künstler als Wesentliches ankommt: man sieht, wie er denkt. Der Vergleich zweier Skizzen soll auch den Ausgangspunkt für uns bilden, das Verb ältn iss der beiden Manieren wird sich dadurch am besten klarstellen. Schon das Material ist nach dem Stile ein verschiedenes. Der zeichnerische Stil bedient sich der Feder oder des . harten Stiftes, der malerische gebraucht die Kohle, den weichen Röthel oder gar den breiten TuschpinseL Dort ist Alles Linie, Alles be-■ grenzt und scharf umrissen, der Hauptausdruck liegt im Kontour; hier Massen, breit, verschwimmend, der Kontour nur flüchtig angedeutet, mit unsicheren, wiederholten Strichen oder ganz fehlend l). Nicht nur die Etnzelg^talt, ^sondern die Komposition im Ganzen gliedert sich nach Massen von Hell und Dunkel, ganze Gruppen werden durch einen Lichtton zusammengehalten und anderen entgegengesetzt Der alte Stil dachte linear■, seine Absicht ging auf den schönen Fluss und Zusammenklang von Linien, der malerische Stil denkt nur in Massen: Licht und Schatten sind seine Elemente. Nun ist in der Natur von Licht und Schatten schon ein sehr starkes Bewegungsmoment gegeben. Während die begrenzende Linie das Auge sicher führte, so dass es, dem einfachen Laufe folgend, ohne Mühe die Figur fassen konnte, wird es hier von der nach allen Seiten steh zerstreuenden Bewegung einer Lichtmasse dahin und dorthin gezogen, immer weiter, nirgends eine Grenze, ein bestimmter Abschluss, nach allen Seiten ein Anschwellen und Abnehmen. Hierauf beruht vorzüglich der Eindruck steter Veränderung, den dieser Stil zu erwecken weiss.. t) So erwähnt Rumohr [a. a, Ö. EI, 195) einen Entwurf aum Heliodor, wo Ranael nur eine einzige Tuschlage gab, Nwelche höchst geistvoll längs der Schattenseite der Figuren und Gruppen hingeworfen, keinen anderen (ächten) Umriss zeigt, als den aus der Schattengrenze von selbst sich ergebenden. An der Lichtseite verfliessen diese Figuren in das helle Feld des Grundes". Nach Passavant müsste übrigens diese Bemerkung wesentlich modifizirt werden. (Raffael, IL 53 7*) WtitfliR, Renaissance und Barock. 2 UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIUELBERÜ t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlSSS/0028 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durtfi die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberg e,V, — 1$ — Der Kontour wird principiell vernichtet, an Stelle der geschlossenen ruhigen Linie tritt eine unbestimmte Sphäre des Auf-hörens, die Massen können nicht von harten Linien begrenzt werden, sondern t,verlaufenf4 sich. Während einst die Figuren von hellem Grunde sich scharf abhoben, ist nun die Tiefe zumeist dunkel und mit diesem Dunkel fliessen auch die Gestalten an ihren Rändern zusammen. Nur einzelne beleuchtete Flächen heben sich heraus. Dies führt auf ein Weiteres. Dem Gegensatz von linear und massig korrespondirt ein anderer: flächmkaß und räumlich (körperlich). Der malerische Stil, der mit Schatten Wirkungen arbeitet, giebt die körperliche Rundung; die einzelnen Theile scheinen im Räume vor- und zurückzutreten t). Der Ausdruck des „Vor- und Zurücktretens'1 bezeichnet bereits das Bewegungsmoment, das in aller Körperhaftigkeit gegenüber dem Flächenhaften liegt. Der Stil sucht darum alles Flache umzusetzen in Wölbung, überall Plastik, Licht und Schatten zu gewinnen, Durch die Verschärfung des Kontrastes von Hell und Dunkel kann der Eindruck bis zu dem eines wahren „Herausspringens" gesteigert werden. Ein derartiger Fortschritt ist in den vaticanischen Stanzen-bildern wohl zu bemerken. Raffael scheint das Motiv mit vollem Bewusstsein benutzt zu haben im Zusammenhang einer aufgeregtem Handlung. Die dramatische Wirkung der Vertreibung Heliodor's ist durch die einzeln aufblitzenden Lichter auf dunklem Grund wesentlich gesteigert5). Zugleich findet eine Vertiefung des Raumes statt Der um-schliessende (Thor^) Rahmen wird auf den spätem Bildern so be^ handelt, dass man glauben soll, wirklich durch einen Bogen hindurchzusehen. Dann folgt nicht nur em Plan, eine Reihe von Figuren, vielmehr wird das Auge weit hinein in die Tiefe, ja in's Unergründliche gezogen. 1) Natürlich handelt es sich hier wieder nur um quantitative Unterschiede: der frühere Stil war nicht flächenhaft im Sinne einer rein-linearen Zeichnung. 2} Nie aber gehen die Italiener bis zu jenem Unsicher-flimmernden fort, das die Holländer zu geben lieben. Sie bleiben ihrer plastischen Natur auch hier treu, die Lichteffecte sind gross und einfach, man hält sich im Wesentlichen an bewegte Gestalten, nicht an die unbestimmte Bewegung des Luft- und Lichtlebens, worin ein Rembrandt so gross ist. UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlS3S/0029 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durcfi die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberger, 4* Der malerische Stil ist auf den Eindruck der Bewegung angelegtDie Komposition nach Massen von Licht und Schatten ist das erste Moment dieser Wirkung; ich nenne als zweites die Auflösung des Regelmässigen. (Freier Stil, malerische Unordnung.) Alle Regel ist todt7 ohne Bewegung, unmalerisch. Unmalerisch ist die gerade Linie, die ebene Flache, Wo sie im Gemälde unvermeidlich sind, wie bei Wiedergabe architectonischer Dinge, werden sie durch Zufälligkeiten unterbrochen, man suppo-nirt einen trümmerhaften, zerbröckelnden Zustand; eine „zufällige" Teppichfalte oder irgend etwas dergleichen muss „belebend" eintreten. Unmalerisch ist die gleichmässige Reihung, das Metrische, besser das Rhythmische, noch,besser die scheinbar ganz zufallige Gruppírung, deren Nothwendigkeit nur in der bestimmten Ver-theilung der Licht- und Schattenmassen liegt. Um einen weitern Bewegungsreiz zu gewinnen, wird das Ganze oder doch ein bedeutender Theil schief zum Beschauer orientirt Bei einzelnen Figuren hatte man sich diese Freiheit natürlich längst genommen, während für Gruppen und für alles Tectonische die Regel festgehalten wurde. Vgl* den Fortschritt in den vaticanisehen Bildern: die schüchtern schief gelegten Bücher auf der Di sputa, das Tischchen auf der Schule von Athen, der Reiter im Heliodor u. s, w.3). Schliesslich wird die Axe des ganzen Bildes überhaupt (der archi-tectonisehen Räumlichkeit oder der Figurenkomposition) schief auf den Beschauer gerichtet. Bei hohem Augenpunkt (Ansicht von unten} 1Sitt noch eine Schrägsten ung der Tiefenaxe dazu. Unmalerisch ist endlich die symmetrische Ordnung- Statt der Entsprechung von einzelnen Formen giebt der malerische Stil überhaupt nur ein Gleichgewicht von Massen, wobei die beiden Seiten sich sehr unähnlich sehen können. Die Mitte des Bildes bleibt dann unbezeichnet Der Schwerpunkt ist nach der Seite verschoben und es kommt so eine eigentümliche Spannung in die Komposition. Die malerisch - freie Komposition vertheilt ihre Figuren prin- *) Vgl, Springer (a. a. O, I. 079): „Unzweifelhaft hängt der malerische Ton der Schilderung mit dem dramatischen Charakter zü^ sammea" Für die malerische Darstellung von architectonischen řacaden ist die schiefe Orlentirung unentbehrlich. Ueber das Motiv der Deckung, das dabei mitspielt/ vgl» unten. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlS33/0030 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert dureti die GewJIsf hall der Freunde Universität Heidelberg e,V, - 20 - cipiell nicht nach einem architectoni sehen Schema, sie kennt kein neurales Gesetz, sondern nur ein Spiel von Licht und Schatten, das aller Regel sich entzieht1}, 5. Das dritte Moment im malerischen Stil möchte ich die Unfassbarkeit nennen, (Das Unbegrenzte.) Zur „malerischen Unordnung" gehört, dass die einzelnen Gegenstände sich nicht ganz und völlig klar darstellen, sondern theilweise verdeckt sind. Das Motiv der Deckung ist eines der wichtigsten fiir den malerischen StiL Er ist sich sehr wohl bewusst, dass Alles, was auf den ersten Blick vollständig gefasst werden kann, im Bilde langweilig wirkt; darum bleiben einige Partieen verdeckt, die Gegenstände sind übereinander geschoben, schauen nur theilweise hervor, wodurch dann die Phantasie aufs höchste gereizt wird, das Verborgene sich vorzustellen, Man meint, es sei der Trieb des Halb versteckten selbst, sich an's Licht herauszuringen. Das Bild wird lebendig, das Verdeckte scheint voriutreten u. s. w- Auch der strengere Stil konnte eine theilweise Deckung nicht immer vermeiden, er gab dann aber stets wenigstens alles Wesentliche, so dass die Unruhe gemildert ist; jetzt dagegen werden Verschiebungen gesucht, die recht eigentlich auf den Eindruck des Vorübergehenden angelegt sind. Das Motiv, dass der Rahmen die Figuren zum Theil bedeckt, dass halbe Figuren in das Bild hineinschauen, gehört eben hieher. In seinem höchsten Ausdruck geht der Stil überhaupt auf das Unergründliche. Kann man etwa sagen, die Auflösung der Regel bezeichne den Gegensatz zum Architectoni sehen, so wäre hier der entscheidende Gegensatz zur Plastik gegeben. Dem plastischen Geschmack widerstrebt alles Unbestimmte, im Unendlichen sich Verlierende, gerade hierin aber findet der malerische Stil sein eigentliches Wesen. 1) Flächenmuster, die eine so komplirirte Komposition besitzen, dass man die Regel nicht erkennt, können eine vollständig malerische Wirkung besitzen. Man denke an arabische Beispiele, wo in der That oft ein unruhiges Flimmern, der Eindruck unaufhörlicher Bewegung resultirt Je schwieriger die Perzepüon des zu Grunde liegenden Gesetzes, desto unruhiger wirkt die Komposition. Interessant ist es, daraufhin die Zeichnung der Fussböden der vaticanischen Stamenbüder anzusehen : Disputa, ganz still \ Heliodor, unruhig zuckend und so auf neue Weise den Gesanimtcharakter des Bildes verstärkend. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK II El HELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelff3inl8SS/0031 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gestllschat« der Freund« Universität Heidelberg e.V. Nicht einzelne Formen, einzelne Figuren^ einzelne Motive, sondern ein MassenerTect, nicht ein Begrenztes, sondern ein Unendliches! Der alte Stil gab z. B. stets nur eine geschlossene Zahl von Gestalten, leicht übersichtlich, jede vollkommen fassbar. Jetzt stellen sich wachsende Volksmassen ein (man beachte die Zunahme im Fortgange der Stanzenbilder), sie verlieren sich im Dunkel des Hintergrundes, das Auge verzichtet darauf, dem Einzelnen nachzugehen und hält sich an den GesammtefTect; bei der Unmöglichkeit, Alles zu fassen, resultirt der Eindruck des Unerschöpflichen, die Phantasie bleibt in beständiger Thätigkeit und eben dies ist esa was der Maler beabsichtigt. Was den Reiz eines malerischen Faltenwurfs, einer malerischen Landschaft, eines n malerischen Interieurs ausmacht, ist grösstenteils eben diese Unerschöpflichkeit der Motive, die die 'Phantasie nicht zur Ruhe kommen lässt, das Grenzenlose. die Unendlichkeit — Wie un-absehbar und unergründlich ist schon die architectofiische Räumlichkeit des Eliodoro gegenüber der Schule von Athen! In seiner letzten Konsequenz muss der malerische Stil die plastische Form ganz vernichten. Sein eigentliches Ziel ist, das Leben des Lichts in allen seinen Erscheinungen wiederzugeben und hier kann das einfachste Motiv alle Mannigfaltigkeit> allen malerischen Reichthum vollständig ersetzen. 6\ Hieb ei mag noch eines Irrthums Erwähnung geschehen, - dem man häufig begegnet: der Verwechslung von Malerisch und Farbig. Der malerische Stil, wie wir ihn eben analysirten, kann auf Farbigkeit vollständig verzichten. Der grosste Meister darin, Rembrandt, benützte mit Vorliebe die Radirung, die nur Hell und Dunkel kennt. Die Farbe kann dazutreten, um den Stimmungsausdruck zu verstärken, aber sie macht nicht das Wesentliche aus. Vor Allem ist es nicht der Sinn des malerischen Stils den einzelnen Farben ihre höchste Kraft und Reinheit abzugewinnen und diese Elemente zu einer Harmonie zusammenzufügen, wo jede die andere in ihrer eigen thümtichen Lokal Wirkung erhöht. Die Lokalfarben werden vielmehr in ihrer Sonderkraft gebrochen, durch mannigfache Ueber-gänge mit einander vermittelt, einem Gesammtton untergeordnet, so dass keine die Haupt Wirkung, die auf dem Spiel von Hell und Dunkel beruht, stören kann, RafTael ist bezeichnend für den Uebcr- UNfVERSITÄTS* BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http//digi.ub,uni-heidelberg.de/diglityvvoelfflinl83S/0032 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durtfi die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberger, — 22 — gang* Die einfarbigen, ruhig-geschlossenen Flächen seines früheren Stils verchwinden, die Farben werden gebeugt und entwickelt nach allen Seiten, überall Leben und Bewegung. Ein anderes Beispiel, wie wenig Malerisch und Farbig zusammenfallen , hat man in der Geschichte der antiken Plastik. Die Bemalung der Statuen verschwindet in dem Momente, als die Kunst malerisch wird, d+ h. als man glaubte auf die Wirkung von Licht und Schatten sich verlassen zu dürfen *). 7. Ich möchte glauben, mit der eben gegebenen Analyse seien die elementaren Kunstmittel des malerischen Stils erschöpft a}. Für die malerische Plastik sind sie natürlich beschränkter. Doch erreicht auch sie eine Komposition nach Licht und Schatten, im Dienste eines Geschmackes, der vor Allem auf Bewegung von Massen ausgeht 3), * Die Linie verschwindet. Im Plastischen bedeutet dies ein Verschwinden der Kante, Sie wird gerundet, also dass an Stelle einer scharfen Grenze zwischen Licht und Schatten ein spielender Uebergang entsteht. Im Kontour zeigt man keine geschlossene Linie mehr. Das Auge soll nicht an den Seiten herabgleiten, wie an einer flächen-haft begrenzten Figur, sondern stets weiter nach der Rückseite geführt werden. Man betrachte etwa den Arm eines berninischen Engels, er ist behandelt nach Art einer gewundenen Säule. Und so wenig man im Umriss sich verpflichtet fühlte, der Linie einen einheitlichen Zug zu geben, so wenig suchte man die Flächenbehandlung zu vereinfachen; im Gegentheil; die klargeformten Flächen des alten Stils werden aufgelöst, absichtlich durch 1) Vielleicht am deutlichsten ist die Entwicklung in der Behandlung des Haares zu erkennen. 2) Eine Geschichte des malerischen Stils ist noch nicht geschrieben, Sie müsste sehr interessante Resultate liefern. 3) Vgl. Kekulé, über Lysipp: „Die Modell irung bringt ein scheinbat selbstständiges Spiel von Licht und Schatten hervor, das einer wirklich malerischen Wirkung vielfach verwandt ist". (Kunstgeschichte. Einleitg. zum Bädecker für Griechenland p. CVII.) — v. Brunnt über die pergamenische Gigantomachie: „Die Künstler erreichen durch scharfe Gegensätze von Licht und Schatten, sowie durch entsprechende Massen -gruppirung in hohem Masse, was wir als malerische Wirkung zu bezeichnen pflegen". (Jahrb, der preuss, Kunstsammlungen VH 237») UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http//digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinl83S/0033 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durdi die GewJIsf hall der Freunde Universität Heidelberger, „Zufalligkeiten" unterbrochen! um den Eindruck grösserer Lebendigkeit zu gewinnen. Im Relief haben wir die gleiche Erscheinung. Während im Fries des Parthenon ein goldener Grund denkbar ist, von dem sich der schöne Umriss der Gestalten wirksam abhebt, wäre bei einem mehr malerischen Relief, wie bei der pergamenischen Gigantomachie, ein solches Hervorheben des Kontours gänzlich unstatthaft, Man bekäme nichts als wüste Farbenflecke, so sehr beruht die ganze Wirkung ausschliesslich auf der Bewegung von Massen und nicht auf dem Linearen l). Im Uebrigeii brauche ich hier nicht auszuführen, wie weit die Uebertragung des „Malerischen" auf die Plastik getrieben wurde oder getrieben werden kann. Ich breche diese Bemerkungen ab, unser Thema ist die Architectur und ich greife zurück auf den Anfangssatz; Im Barock werde die Architectur malerisch und dies sei das eigentliche Charakteristicum des Stils. 8. Sollen wir den Barock nach den hier entwickelten Gesichtspunkten betrachten? -— Ich gestehe, dass es mir nicht passend scheint, den Begriff des Malerischen zu Grunde zu legen. Einmal wird der Irrthum dadurch nahe gelegt j es ahme die Architectur eine fremde Technik nach, während es sich doch um eine allgemeine Form Wandlung handelt, die alle Künste (auch die Musik) gleich massig umfasst und die auf einen gemeinsamen tiefern Grund hindeutet. Dann aber, was ist mit dem Wort „Malerisch" gesagt r Soll es heissen? dass die Architectur die körperliche Wahrheit aufgiebt und nur auf den Schein für das Auge rechnet? In diesem Sinn wäre jeder nicht organische Stil malerisch. Soll es heíssen, dass die Architectur dem Eindruck der Bewegung nachgeht? Damit wäre wenigstens etwas Bestimmtes zur Bezeichnung des Stiles gesagt Aber der Begriff der Bewegung reicht nicht aus, den Barock zu charakterisiren. Bewegt ist auch das französische Rococo und das ist doch ein sehr verschiedenes Ding, Die leicht-hüpfende Bewegung ist dem römischen Barock durchaus fremd; er ist schwer j massig. Also müsste man das Merkmal der Massigkeit dazu nehmen. Damit ist aber das Malerische überschritten. Der Begriff in seiner Aligemeinheit ist nicht fähig, den Barock zu fassen. *} Cffffzt, (Iber das Relief der Griechen, TATS- e http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlS3S/0034 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durďi die GewJIsf hall dor Freunde Universität Heidelberger, — U — Wir werden darum besser thun, die charakteristischen Merkmale des neuen Stils dadurch zu gewinnen, dass, wir ihn vergleichen mit dem was vorher da war, mit der Renaissance; es wird sich dann zeigen, welche Formbildungen als malerisch zu bezeichnen sind. Die Darstellung aber darf nicht sich dabei begnügen, etwa Fenster mit Fenster, Gesims mit Gesims, Träger mit Träger zu vergleichen und zu beschreiben — das wäre nicht nur unphilosophisch, sondern unwissenschaftlich — viel mehr gilt es, die allgemeinen formbedingenden Gesichtspunkte zu finden. Es sei erlaubt1 zum Anfang einige Worte über das unmittelbar Auffallende, über die verschiedene Wirkung zu sagen. Cap- IL i. Die Renaissance ist die Kunst des schönen ruhigen Seins. Sie bietet uns jene befreiende Schönheit, die wir ata ein allgemeines Wohlgefühl und gleich massige Steigerung unserer Lebenskraft empfinden. An ihren vollkommenen Schöpfungen findet man nichts, was gedrückt oder gehemmt, unruhig und aufgeregt wäre; jede Form ist frei und ganz und leicht zur Erscheinung gekommen; der Bogen wölbt sich im reinsten Rund, die Verhältnisse weit und wohlig. Alles athmet Befriedigung und wir glauben nicht zu irren, wenn wir et?en in dieser himmlischen Ruhe und Bedürfnisslosigkeit den höchsten Ausdruck des Kunstgeistes jener Zeit erkennen. Der Barock beabsichtigt eine andere Wirkung, Er will packen mit der Gewalt des Affects, unmittelbar, überwältigend. Was er giebt ist nicht gleich massige Belebung, sondern Aufregung, Ekstase, Berauschung. Er geht aus auf einen Eindruck des Augenblicks, während die Renaissance langsamer und leiser, aber desto nachhaltiger wirkt Man möchte ewig in ihrem Bezirk weilen. Vom Barock erfahren wir momentan eine starke Wirkung J) Man gedenke der schönen Worte Alber Iis (de re aedinc, IX, Buch, gegen Ende), wie die Leute sich nicht sättigen können am Anblick eines schönen Gebäudes und im Fortgehen immer wieder zurückschauen müssen, Neque qui spectent satis diu contemplates du cant se quod iter um atque herum spectariut atque ad mir entun ni iterato etiam inter ab c im dum respectent. UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG gefordert durcfi die t http://digi.ub.uni-hdddberg.de/diglit/woelfflinisas/0035 GewJIictalitforFwund* ... . . .. Universität HewteltwrGeV. © Universitätsbibliothek Herdelberg werden dann aber bald mit einer gewissen Oedigkeit entlassen s). Er giebt kein glückliches Sein, sondern ein Werden, ein Geschehen; nicht das Befriedigte, sondern das Unbefriedigte und Ruhelose. Man fühlt sich nicht erlöst, sondern in die Spannung eines leidenschaftlichen Zustandes hineingezogen. Diese Wirkung im Allgemeinen, wie wir sie nach Kräften hier zu bezeichnen versuchten, gründet sich auf eine Formbehand-lung, die nach den zwei Hauptgesichtspunkten der Massigkeit und der Bewegung beschrieben werden soll. Was man mit einem Worte VasarTs die „nianiera grande" nennen kann^), die Komposition aufs Grosse, die diesem Stil vorzugsweise eignet, mag einleitend als ein selbstständiges drittes Motiv betrachtet werden, die Absicht auf massige Wirkung fordert zwar theüweise schon von seihst den .grossen Süß1. 2, Er stellt sich dar als ein zweifaches: als Steigerung der absoluten Grössen Verhältnisse einerseits und als Vereinfachung und Vereinheitlichung der Komposition andererseits. Malerei und Plastik so gut wie die Architectur drängen seit den vaticanischen Arbeiten Michelangelos und Raffaers nach dem Grossen und Grössern. Man gewöhnt sich das ScnÖne nur noch als ein Kolossales zu denken. Das Mannigfaltige und Zierliche weicht einer Vereinfachung, die nur auf grosse Massen ausgeht, und in das Ganze kommt ein einheitlicher gewaltiger Zug; es soll nicht zusammengesetzt erscheinen aus einzelnen Theilen. Der Sinn für das Grosse und Kolossale, in Rom seit der antiken Zeit immer mehr oder weniger heimisch, hatte an den monumentalen Baugedanken der grossgesinnten Fäbste während der Renaissance neue Kraft gewonnen. Das entscheidende Beispiel für das gesammte Bauwesen: S. Peter. Hier war ein Massstab aufgestellt, der plötzlich alles Frühere als klein erscheinen lie&S. Der kirchliche Baueifer der Gegenreformation wird durch dieses Muster beständig in Athem gehalten und zu äusserster Anstrengung gereizt, t) Die Hauptbarackkünstler litten alle an Kopfweh. VgL über Bernini; Milizia, memorie IL 173; über Borromini ibid. II 158. — Auch von Melancholie wird berichtet, a) Gegensatz r die „maniera gentile". — Rumohr scheint mir zu irren, wenn er die >,maniera grande" identifizirt mit dem „malerischen Stil'*. Das ,,ingrandire la maniera" bedeutet unzweifelhaft mehr* UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlSSS/0036 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberg e,V, — 26 — wenn man auch nirgends hoffen durfte, ihm gleichzukommen. Im Privatbau herrscht nicht minder die Absicht, durch grosse Dirnen^ sionen zu imponiren. Seitdem der Pal. Farnese, den Alexander Farnese als Kardinal begonnen, durch ihn als Pabst (TS34) von 43 Meter zu 59 Meter Fac. adenbreite vergrössert worden war, um der neuen Würde Ausdruck zu geben1), steigerte sich das Verlangen nach dem Gewaltigen rasch allgemein: Pal. Farnese zu Piacenza (unter Einfluss des römischen Musters), Schloss Caprarola, beide von Vignoia für die Farnese gebaut. In Rom die Nepoten-paläste, die sich gegenseitig zu überbieten suchen. Selbst die Heiterkeit der Villen fällt der Absicht auf Kolossalität zum Opfer. Was Florenz aus seiner Blüthe aufzuweisen hat, erscheint daneben.als Verhältnissen ässig klein. Die einzige Ausnahme wäre PaL Pitti; aber man darf nicht vergessen, wie viel an diesem Gebäude dem Barock angehört. Der Bau Brunellesco's kam nur der Hälfte der jetzigen Facade gleich2). Die Steigerung der Grosse ist eine allgemeine Erscheinung bei sinkender Kunst oder richtiger: die Kunst kommt zum Sinken, sobald die Wirkung in der Massenhaftigkeit, in den kolossalen Verhältnissen gesucht wird. Das Einzelne wird nicht mehr nach-empfunden, die Feinheit des Formsinns geht verloren; man strebt allein nach dem Imponirenden und Ueberwältigenden. 3, Es liegt im Interesse dieses Stils, nicht eine Häufung einzelner Theile, sondern womöglich Körper aus einem Stück zu geben. Statt des Vielen und Kleinen sucht er ein einheitliches Grosses, statt des Getheilten ein Zusammenhangendes 3). Eine Umformung in diesem Sinn lässt sich beobachten im Einzelnen und im Ganzen. a.J}ie gesteigerte Grösse der Gebäude machte schon von selbst eine vereinfachte und wirksamere Bildung des Details nöthig. t) Vasari V. 469, — Letarouiliy» £difices de Rome moderne, texte p* a60, 2) Von ihm ist nur das dreigeschossige Mittelstück. Die zweigeschossigen Flügel, die die Facade von 107 auf »05 m Breite brachten, kamen im 17,, die vorspringenden Seitenhallen erst im 18. Jahrh, hinzu, 3) Man hört jetzt Kritiken wie die, „il componimento" sei „troppo sminuszato dai risalti e dai membri che sono piecoli". So Michelangelo über A. Sangallo's Entwurf zur Peters facade. Vas. V, 467. universitäts* BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlS3S/0037 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durtfi die GeseJIuhalt der Freunde Universität Heidelberger, So findet man im Architrav die Dreith eilung zu einer Zwei-theilung herabgea^iffdert ; in den Profilen der Gesimse die Vielheit kleiner Glieder ersetzt durch wenige, bedeutend sprechende Linien; die Balustrade, die sich früher zusammensetzte aus zwei gleichen Theilen (Abb. i), wird ein einheitlicher Körper (Abb* 2)t zuerst bei Sangallo und Michelangelo1), Abb» i. Abb. 2. Balustrade nach Raffael. iJalus trade nach Giacomo della Porta. b. Von einschneidendster Bedeutung wird das Princip für die" Komposition im Grossen, für Aufriss und Grundriss. ö) Man beginnt die Auflösung der Facade in einzelne gleich-werthige Stockwerke als unleidlich zu empfinden, Der grosse Stil verlangt, dass sie sich als einen einheitlichen Körper darstelle. Begreiflicherweise bietet der Palast die meiste Schwierigkeit. Rom ist hier wieder allen anderen Landschaften voraus, Es ist Bramante selbst T der die Wandlung einleitete. Seine „ultima maniera" drängt entschieden nach einer Einheit für die verticah Fatadenentwicklung. Die Periode der Cäncelleria, die drei Stockwerke gieichwerthig auf einander setzt, wird auch für ihn eine überwundene: er sucht dem Erdgeschoss den Charakter eines Sockels für das ganze Gebäude zu geben. (S. unten: Palastbau.) Am energischsten zeigt sich Michelangelo: an den capito- 1) Die Neuerung wird dann in Rom sofort allgemein angenommen. Jil Oberitalien erholt sich dagegen — bezeichnender Weise — die Ke-naissanceform noch lange : bei Pal lad io, Sans o vino. Sanmichele n. A. — Die Balustrade der Frührenaissance war ein einfaches Säulchen gewesen. So bei Biunellesco (Pal. Pitti, Dom, Cap. Pazzi etc.). 1 universitäts* BIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlSSS/0038 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die GewJIsf hall der Freunde Universität Heidelberger, - 28 - linischen Palästen fasst er kühn zwei Stockwerke mit einet Ordnung von Kolossalpilastern zusammen. Palladio ist hierin sein Nachfolger. In Rom fand das Beispiel einstweilen keine Nachahmung. Die verticalen Glieder wurden missliebig (s, unten) und man musste einen anderen Weg suchen, den Eindruck des Einheitlichen zu geben. Es geschah in der Weise, dass nun ein Geschoss durch Grösse und plastischen Reichthum zu unbedingter Herrschaft über die anderen herausgehoben wurde. Einer späteren Zeit (dem Bernini) blieb es vorbehalten , durch Kombination des Motives der durchgehenden Pilasterordnung und der sockelmassigen Behandlung des Erdgeschosses den neuen Typus zu scharTen, der für den Monumentalbau fortan am meisten bedeutsam war*)* Venedig bleibt in den alten Geleisen. Die frei rhythmische Disposition von Massen blieb hier unverstanden. Die Paläste im Stil des Pal. Pesaro (um 1650, von B. Longhena) geben stets eine Folge gleichwerthiger Prunkgeschosse- Auch bei Palladio findet man sehr oft zwei, ja drei gleiche Stockwerke über einander. ß) Für das horizontale Gliederungsprincip der Renaissance ist die Cancelleria ebenso typisch wie für das verticale. Die Pilaster theilen die Flächen so> dass je ein grosses Intervall zwischen zwei kleineren entsteht. Die Breite der Nebenintervalle zu der des Hauptintervalles ist nach dem Verhältnisse des goldenen Schnittes bestimmt Geymüller nennt dies Motiv die „rhythmische Travee des Bramante". (Siehe unten Abb. 12.) Für die Renaissanceempflndung ist es sehr charakteristisch 3), Man findet es namentlich oft in Verbindung mit einem mittleren Bogen (Triumphbogenmotiv). Das Bedeutsame liegt- immer in der Abwerthung der Flächen gegen einander; stets bleiben die Neben-theile klein genug, um die dominirende Stellung des Mitteltheiles nicht zu gefährden, andererseits aber auch gross genug, um selbstständigen Werth und eigene Bedeutung zu haben. Der Barock hält sich principiell von dieser Disposition fern, er verlangt absolute Einheit, die selbstständigen Nebentheile werden geopfert. Man vergleiche z, B. die Umbildung, die das Motiv des *) Ueber Kirchenfacaden und Wandgliedermag s. unten die betreffenden Abschnitte. 2) b : B = B : (b + B). ' 3) Es erscheint schon bei Alberti (mit den Proportionen b : B = 1:2}, S. M.r Noveüa, Florenz; S. Andrea, Mantua. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub,uni-heidelberg.de/diglitywoelfflinlSSS/0039 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durcfi die GewJIwrhtf Ii der Freunde Universität HeidültwrB^V. — 29 — Triumphbogens am Hochaltar des Gesü (von Giac, della Porta) erfahren hat; grosser Mittel bogen, die Nebentheile ganz verkümmert, die Säulen so zusammengedrückt, dass man fast von Kuppelung sprechen muss. — Den Renaissancetypus giebt Serlio, arch,. Üb. IV. fol. i49+ Ein gleiches Beispiel: Die Umgestaltung, die die bramantische Nische des mittleren Treppenabsatzes im Giardino della pigna erfuhr (wahrscheinlich durch A. de Sangallo) Im Gegensatz zu Rom behalt Oberitalien auch hier die Renaissanceformen noch bei. Vgl. das viel nachgeahmte Innen-System von S. Fedele zu Mailand (1569; Pellegrino Tibaidi): Triumphbogenmotiv, zweimal wiederholt; die äussere Mauergliederung von S* M, della Salute zu Venedig (1631 \ B. Longhena) u. s, f y) Auch die Raumgestaltung des Innern macht eine Entwicklung zur Einheit durch: die selbstständigen Neben räume müssen vor dem einen, gewaltigen Hauptraum verschwinden. Die Geschichte des Grundrisses geht ganz parallel mit der Geschichte der „rhythmischen Travee". Die floren tinischen Basiliken der Frührenaissance (S. Lorenzo, S, Spirito) stimmen das Nebenschiff zum Hauptschiff wie 1:2; es sind die Proportionen der 'gleichzeitigen Flächengliederung (vgl die Facaden Alberti's). Bramante proportionirt im ersten Entwurf zu S, Peter die Neben-kuppelräume zum Hauptraum nach dem goldenen Schnitt, wie die „rhythmische TraveV' der Cancelleria ihn auch aufweist. Die späteren Pläne zu S. Peter zeigen dann eine fortschreitende Verkleinerung der Nebenräume, ein Princip, das seinen entschiedensten Ausdruck in dem Langbau des Gesü erhielt (Vignola, 1568); hier giebt es nur noch ein Schiff, mit Kapellen, die zwar unter sich eine Verbindung haben, aber durchaus nicht als eigenes Nebenschiff wirken. Der Gesü wurde Vorbild für den ganzen römischen Kirchenbau. Genau das gleiche Schauspiel bietet die Geschichte, . des dreischimgen Vestibules. Original bei Raffael, Villa Madama; erster Plan. Schlussredaction: Pal. Famese (A. da Sangallo), Mittelstufer Der zweite Plan für Villa Madama*), — Die Theilung des Raumes bleibt oberitalienisch. *} Die Abbildungen bei Ldarúuiity, le Vatican II. Abbildungen bei GeymülUr, Raffaéllo Sanzio tav, 4, 5* — R(dtmbach*ry Lützow Z. f. b+ K. 1S7Ó, UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG i IL http://digi.Lb.unt-heiddberg.de/diglit/wo&lfflinlS3S/0040 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Geullscrtalt der Freund« Lfmvnriitdt Heidelberg <*A/ — 30 — d) Die Renaissance hatte ihre Freude an einem System grosser und kleiner Theile. Das Kleine bereitet auf das Grosse vor, indem es die Form des Ganzen vorbildlich enthält. Mag darum auch die Kunst das Kolossale bilden, wie im bramantischen S. Peter, so ist doch die Wucht der Grösse gemildert, dem Eindruck das Ueberwältigende genommen. Der Barock giebt nur das Grosse. Man vergleiche den S. Peter des Michelangelo mit demjenigen des Bramante. Zuerst den Grundriss. Bei Bramante (erster Entwurf) wird die Form der Kreuzarme zweimal in immer kleineren Proportionen wiederholt, in zwei Wiederholungen klingt das Kolossalmotiv leis und leiser aus. Bei Michelangelo ist jede Spur einer solchen Abtönung verschwunden. Noch charakteristischer ist die EntWickelung des Wand-systemes. Von einer zweigeschossigen Anlage ausgehend, war Bramante schliesslich selbst zu einer Kolossalordnung gekommen; für die Enden der Kreuzarme aber hatte er Umgänge mit (kleinen) Säulen beibehalten. Man steht so dem Kolossalen und Unfassbaren nicht haltlos gegenüber; das Gefühl findet eine Beruhigung in diesen menschlicher Grösse näher stehenden Gestatten; das Uebergrosse wird gleichsam fassbar. — Michelangelo beseitigt diese vorbereitenden Umgänge. Der barocke Geist sucht das Ueberwältigende, Niederschlagende. Man könnte von einer patho* logischen Wirkung dieser Kolossali tat sprechen. Cap. III. I. Der Barock verlangt eine breite, schwere Massenkaftigkeü* Die schlanken Proportionen verschwinden. Die Gebäude fangen an, lastender zu werden, ja hic und da droht die Form unter dem Drucke zu erliegen. — Die graziöse Leichtigkeit der Renaissance schwindet. Alle Formen werden breiter, gewichtiger. Man vergleiche die Balustrade der Kapitolstreppe von G, della Porta (Abb. 2); Piiasterund Pfeiler werden entsprechend umgeformt!), — l) Interessant ist, wie in der landschaftlichen Maierei z, B. in der Behandlung der Bäume ein durchaus analoges Formgefühl zum UNIVERSITÄTS- "íí^ BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digt.ub,Lini-heidefberg.de/diglit/woelffiini6S3/0041 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. Kirchliche und private Architectur geben den Fagaden eine möglichst bedeutende horizontale Ausdehnung, (Die Facade von St. Peter wird durch Eckthürme künstlich verbreitert*) Im Palastbau unterbleibt dazu noch jede Theilung durch vertkaJe Glieder; nach dem Vorbilde von Pal. Farnese lässt man die Pilasterord-nungen weg, selbst bei einer Facade von 19 Axen (Pal. Ruspoli des Ammannati). Die Kirchen geben die Verticalen nicht auf, schaffen aber durch mächtig vortretende Gesimse und Vervielfachung der Breitelinien ein starkes Gegengewicht. Ein unmittelbarer Ausdruck des Schweren und Lastenden ist die tiefe Senkung des Giebels. Man empfindet ihn nicht mehr als sich-hebend, sondern als herabsinkend. Entscheidend für den Ein* druck ist dabei ein horizontales Auslaufen an der Fusslinie (vgl als eines der ersten Beispiele den Gesü des G. de IIa Porta). Ebenda breite und schwere Akroterien zu beiden Seiten. (Abb. 17,) Niedrige Bildung des Sockels (vgl. Gesü des Vignola und des della Porta, Abb, 16 u. 17), Belastung der Träger durch hohe Attica über dem Gebälk (ebendort), sind weitere Mittel, mit denen der Stil seinen beabsichtigten Eindruck zu erreichen versteht* Ein sichtliches Behagen an der dumpfen Ausbreitung der Masse spricht aus den Treppenanlagen. Man will „salire con gravita", wie der Ausdruck bei Scamozzi lautet, aber die Treppen sind oft so gesenkt, dass das Gehen unbequem wird. Als monströses Beispiel können etwa jene runden Stufen genannt werden, die vom Kolonnaden platz zu S. Peter den ersten Anstieg vermitteln. Sie sehen aus, als ob eine zähflüssige Masse sich langsam hier herunterwälze. An ein Ansteigen ist nicht mehr zu denken, man fühlt nur das Abwärts. Dieses Nachgeben gegen die Schwere führt bis zu Erscheinungen, wo die Form unter der Gewalt der Last wirklich leidet* Der fröhliche Rundbogen bekommt eine gedrückte, elliptische Ausdruck kommt: breite, volle Laubmassen statt der schlanken Bäumchen der Frührenaissance. Das saftig-schwere Laub der Feige ist namentlich so recht ein Barockgewächs. Annibale Caracci ist hiefür charakteristisch. — In der Farbengebung gleicherweise eine Bevorzugung der schweren, dunkeln Töne, Die Gemälde bekommen gleichsam mehr Gewicht, rs1tats-thek LBERG i IL http://digi.Lb.unt-heiddberg.de/diglit/wo&lfflinlS88/0042 © Universitätsbibliothek Heidelberg tjuFördert durch die Geullstrtalt der Freund« Lfmvnriitdt Heidelberger - 32 Form (Michelangelo wölbt zum ersten Mal so:1) Hof Farnese, zweites Geschoss); die Säulensockel, die früher schlank und hoch, den ' Eindruck des Leichten wesentlich erhöhen halfen, werden "jetzt zu einer unerquicklichen Gestalt herabgedrückt, so dass man die wuch~ tende Gewalt ihrer Last fühlen muss. (So im Vestibule des Pal, Farnese v. A, de Sangallo). Michelangelo that den Schritt ins Grosse. In den Arcaden des Konservatorenpalastes auf dem Kapitol (Abbt 3} giebt er eine unbedingt hässliche Proportion* Das Obergeschoss drückt dermassen auf die (zu kleinen) untergestellten Säulen, dass diese an die durchgehenden Pfeiler herangedrängt werden. Wir sind uberzeugt, dass die Säulen nur gezwungen dastehen. Dieser Eindruck resultirt zum Theil aus der höchst trrationeilen und widrig-gequetschten Proportion des Säulenintervallsj das keine befriedigte und darum keine selbstgewollte Form sein kanna). Natürlich kann mit dieser Freude an der Stofifgewa.lt eine Tendenz zum Formlosen in die Baukunst und ein Mann, dem jedes architectonische Gewissen fehlte, wie Giulio Romano, schritt denn auch gleich zum Aeussersten: im Gigantenzimmer seines Pal, del Té zu Mantua wird die Form vollständig vernichtet. Die rohe Masse bricht hereinj ungeformte Felsblöcke statt der Gesimse, die Ecken abgestumpft, Alles weicht aus den Fugen und das Chaos beherrscht den Raum. Solche Fälle sind aber doch Ausnahmen und berühren kaum den Gesammtcharakter des Barock\ denn der Naturalismus, der an ländlichen Brunnen (fontáne rustiche) und Gartenarchitecturen die Masse in ihrer ganzen Formlosigkeit zeigt, ist entschuldigt. 2. Die breite Formbehandlung des Barockstils hängt zusammen mit einer ganz neuen Auffassung der Materie f ich meine, jener idealen Materie, deren inneres Leben und Sich-Haben die Bauglieder zum Ausdruck bringen, Es ist als wäre der harte spröde Stoff der Renaissance saßig und weich geworden. Man ist manchmal versucht ') Vas. VLL 224. Con nuovo modo di sesto in forma di mezzo ovato fece condurre le volte etc. — VgL übrigens schon die {von A. Springer publizirte) Zeichnung Brarnante's zur Schule von Athen: gedrücktes Gewölbe. s) Das Motiv der durchgehenden Pfeiler mit Säulen im Untergeschoss wiederholt in reiner Behänd hing die FacAde von S. Giavonni in Laterano (von A. Galilei aus dem 18 Jahrhundert). bibuotmekts" f ^ http://digi.Lib.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/0043 Heidelberg \s © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&Gltsthält der Freunde JnlversllAl Heidelberg e.V. Abb. 3. KonservMQrenpalast. Wóljflht, Rínaitsanc* ^nd Herode 3 L'NIVERSITÄTS-BIBLIOTHEK heidelherg http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/0044 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch dte s».11Klh.sit dtir Fiuundť Unlwrsilál Heidelberger ±r 3* — * an Thon zu denken. Michelangelo modellirte in der That in Thon architektonische Dinge, z. B. die geschwungene Treppe der Bibliothek von S. Lorenzo (Florenz)1) und anderes 2). Seine Gebäude scheinen dies Verfahren durch eigenen Formenausdruck zu verrathen> bemerkt j. Burckhardt hiezu3). Auch die Malerei beginnt in dieser Weise den Stoff zu empfinden. Man vergleiche etwa eine Landschaft des Annibale Caracci mit einer florentinischen der Frührenaissance {um den stärksten Gegensatz zu wählen): an Stelle des scharfen Felsgesteins ist eine klobige Masse getreten, die sich in saftigem Grünblau darstellt, in das das Licht ein Stück weit hineinscheint. Und diesen Fortschritt von einem scharf kantigen, man möchte fast sagen ehernen Stil zu einer weich-masstgen Fülle und Saftigkeit gewahren wir in Allem. Demselben Annibale Caracci kommt eine (späte) Figur Raffaels „schneidend hart'1 vor „wie ein Stück Holz". ,,Una cosa di legno, tanto dura e tagliente"4). Ueber die Trockenheit der früheren römischen Art Bramantes (Cancelleria) werden Klagen schon bei Vasari gehört, Vor der „secchezza" hat der Barock den grossten Abscheu. Indem sich nun aber der Stoff für ihn erweicht, die Masse gleichsam nüssig wird, löst sich der tectonische Zusammenhang und der massenhafte Charakter des Stils, der sich in der breiten und schweren Formgebung zum Ausdruck brachte, kommt nun auch in dem Mangel der Durchgliederungt dem Mangel exacter Formung zum Vorschein. Fürs Erste wird die Mauer nicht mehr behandelt, als ob sie aus einzelnen Steinen zusammengesetzt wäre, sondern als eine gleichmässig verbundene Masse. Die Schichtung der einzelnen Steine wird nicht mehr als künstlerisches Motiv benützt, sondern womöglich ganz verdeckt Hauptbeispiel der Renaissance: Die sauber gefügten Quadern der Cancelleria, Ebenda auch der Backstein in seiner ganzen Zierlichkeit zur Geltung gebracht. (Seiten- l) Vas. VII. 397. 2} Bottari, lett. pittoriche I, 17. Ken. in ItaL 77. 4) Lettere pittoriche I» 120. — Das Gleiche ist in der Malerei zu vernehmen, Federigo Zucchero findet das bolognesische Kolorit gegenüber den Lombarden zu trocken-^ man müsse „ingrassare il seeco coloiire della scuola caraccesca". Lett. pitt. VIL 513. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HE] HELBERG t http://digJ.Lib.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/0045 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&olEschdlt der Freunde Universität Heidelberg «V. — 35 — i facadea) Jetzt ist für Backstein die Uebermörtelung das Allgemeine. Erstes Beispiel,: Pal Farnese (A. da Sangallo)4), Der Haustein (in Rom hat man seit alten Zeiten den prächtigen Travertin) soll nie in einzelnen Blöcken wirken, sondern als Ganzes. Rustica-facaden giebt es darum nicht Der Versuch, den Bramante und Raftael mit der Rustica machten (fiir das, Sockelgeschoss der Paläste)t wurde nicht wiederholt 2). Man möchte sagen, der Barock entziehe der Mauer das tectonische Element, Die Masse verliert ihre innere Structur. Wo keine rechteckigen Steine die Elemente bilden t da braucht man sich nicht zu scheuen, bald auch die geraden Linien und die scharfen Ecken verschwinden zu lassen. Das Harte und Spitzige wird abgestumpft und erweicht, das Eckige gerundet. Dies Gefühl für weiche, volle Saftigkeit ist eigenthümlich römisch. Florenz bleibt viel härter und trockener. Selbst Michelangelo kann seine Heimath nicht immer ganz verleugnen. Die Decoration bot dem neuen Formgefuhl den leichtesten Angriffspunkt, In Wappenschilden z. B. wird das barocke Ideal schon früh verwirklicht (Schild an PaL Farnese von Michelangelo, c. 1546, an Porta del popolo von Vignola, am Gesü von Giac. della Porta). Vergleicht man mit diesen Mustern etwa den Schild vom Eck der Cancelleria^), so wird die principielle Verschiedenheit sogleich klar werden. Das Renaissance werk scheint zerbrechbar zu sein, der spröde Stoff begrenzt sich in scharfer Kante und harten Ecken, das vollsaftige Barockgebilde dagegen beugt sich aussen in rundem Wulst in sich zurück Auch die Cartouche (cartoccio) wird in dieser Weise behandelt, ganz abweichend von der florentirtischen und oberitalienischen Art, *) In Oberitalien wird der Backstein noch lange Zeit offen gezeigt. Vgl, Cicerone II4 259. 2) RaJFael gab übrigens schon nicht mehr einzelne Blöcke, sondern zusammenhängende Lagen. Ganz dem barocken Gefühl widersprechend ist z- B. das Motiv des Gesü nuovo in Neapel (1600): Ueberkleidung der ganzen Facade mit facettirter Rustica. SJ Abgebildet bei Burckhardt, Ren. Fig. Z08. 4) Es wird durch dies charakteristische Modv eine dem menschlichen Ohr ähnliche Form erzeugt. In Südbayern ist der Barockstil daher unter dem Namen „OhrwaschhtiF1 bekannt. 3* NIVERSITÄTS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG t gefördert durch die http://digiTub.uni-heidelberg.deydigHt/woeifflinl8Se/0O46 '........... ( UnivwsilalHeldBlhtrBe.V © Universitätsbibliothek Heidelberg — 36 wo man an geschnittenes Leder erinnert wird. (Vgl. Serlio> lib. IV. fol. 230,) Die Bildung des berühmten jonischen Kapitells, die Michelangelo am Konservatorenpalast versuchte, gehört ebenfalls hieher. (Abb, 4, seitliche Ansicht.) Der Marmor weicht fast durchweg dem Travertin, seitdem Michelangelo in der Decoration des farnesischen Hofes ihn „geadelt" hatte Das „spugnoso1*, das Schwammige des Steines, ist so Abb. 4. (]npitell vom Konservatorenpalasl (seitl. Ansicht). Abb. 5. PaL, Famest: Sockel recht im Sinn barocker FormbeHandlung. Der Marmor fordert stets zu feinerer Durchbildung auf. Im Tectonischen erscheint das Weich-Massige in der bauchigen Form des Frieses und noch bezeichnender in der des Sockels (vgl. Sockel von PaL Farnese, Abb. 5); dann etwa in jener Giebel-formT die den absteigenden Linien unten einen Schnecken artigen Abschluss giebt (von Vignola für das Hauptportat des Gesü pro-jectirt, früher schon an den Sarkophagdeckeln der Med iceischen Kapelle von Michelangelo); von der Bildung der Voluten soll später die Rede sein. In eigentümlicher Verwendung findet sich der stilisirte Kranz oder Blätterwulst als Fries (Vignola), ja in der Lateransbasilica sind Bogenleibungen und Pilaster durch ^einen bauchigen Haufen aufgebundener Falmblätter decorirt (Borromini). In der ProfiHrung wird ganz besonders auf die weichen1 üssigen Linien Acht gegeben. Zugleich setzen sich die einzelnen Theile *) Vas. introduzione L 12 3 : piů ďogni altro maestro ha nobilitato questa pietra Michel Agnolo Buonarotti nell* ornamento del cor tile di casa Farnese. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG t http://cfigJ.Lib.uni-rieidelberg.cle/dJglit/woelfflinlSSS/0047 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde JnlvcrcllAl Heidelberg e.V nicht mehr scharf von einander ab, sondern einer geht in den andern über. Der rechte Winkel wird ganz vermieden Ich stelle zur Vergleichung zwei bramantische Profile (Abb. 63 Z 1 i Abb. 6 a. Abb. 6 b. Profile von der Carstelleria. > Cancelleria, Sockel des Erdgeschosses, a, und Sockel der Pilaster des ersten Geschosses, b.) neben zwei spätere (Abb. 8). Man Abb. i. Profil vom Konservatorenpalast. Abb. S, Profil von Porte di S". Spirito. wird den exacten, scharf trennenden und das Kleinste noch durchfühlenden Geschmack der Renaissance nicht verkennen. Dagegen im beginnenden Barock das sichtliche Bestreben, Alles weich, flüssig zu machen. Die Abneigung gegen das harte Absetzen im rechten Winkel ist so grossj dass man sich nicht scheut, eine tectonische Fläche unten in einer starken Rundung auslaufen zu lassen. Das erste Beispiel: der Sockel von Porta di S, Spirito, A. da Sangallo (Abb. (gj); dann Sockel der hinteren Theile von S. Peter, Michel- *) So verletzt die Schroffheit, mit der in Florenz die Sparrendächer über die Mauer vorspringen, das römische Gefühl aufs Empfindlichste. UNIVERSITÄT^ *%fP* HEinEI HERG http://digi.ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8Se/004a © Universitätsbibliothek Heidelberg geordert durcri die si11Klh.sit dtir Fiuundť Unlwrsilál Heidelberge.V — 38 — angelo. Im strengen Stil hat die Fläche kein Recht, die Verttcale zu verlassen. Nach dem gleichen Frincip werden dann auch im Grundriss alle Ecken abgestumpft; ja der Sinn für das Tectonische verliert sich so ganz und gar, dass bald die Mauer überhaupt nach Belieben aus- und einwärts geschwungen werden durfte. Da dies Motiv als Ausdruck eines gesteigerten Bewegungsdranges erscheint, so wird erst unten davon des Genaueren die Rede sein l), 3. Die M&sse entbehrt der vollkommenen Durthglüdtrung \ dies ist das dritte, entscheidende Moment. Die Glieder behalten einen massigen Charakter, sie sind wenig differenzirt; sie setzen sich nicht einfach und exact-begrenzt zu selbstständigem Dasein heraus, vielmehr verliert das Einzelne seinen Werth und seine Kraft, die Glieder müssen vervielfacht auftreten, sie erscheinen nicht - rein-losgelöst und frei beweglich, sondern befangen im Stoff; der Baukörper im Ganzen bleibt dumpf geballt, ohne entwickeltere Gliederung im Grundriss oder Aufriss. Die Heiterkeit der Renaissancearchitectur bestand gerade in der Auflockerung der Masse, in der glücklichen Durchbildung des Baukörpers und der freien Gelenkigkeit der einzelnen Glieder. Der Barock bedeutet eine Rückbildung zu einem formloseren Zustande. a. Ein Symptom dieser Art ist zunächst die Verdrängung der Säule durch den Pfeiler, Der Ernst des Pfeilers besteht in seiner stofflichen Befangenheit. Während die Säule sich frei und rund und klar aus der Masse heraussetzt, in ihrer Form sich ganz selbst bestimmt, ganz Wille, ganz Leben ist, bleibt der Pfeiler immer — sozusagen —- mit einem Fusse in der Mauer stecken. Es fehlt ihm die selbstständige Form (die Rundung), der Eindruck des Massig-Schweren überwiegt. Die fröhlichen Seestädte Genua, Neapel, Palermo opfern die Säule nie. Auch Florenz bleibt ihr im Ganzen getreu- In Rom erscheint sie erst wieder gegen Mitte des 17. Jahrh. Die erste Periode des Barock ist ganz vom Pfeiler beherrscht. 1) Es muss übrigens auch bezüglich der anderen Beispiele erwähnt werden, dass das Moment der Bewegung eine Rolle mitspielt. Die rundlich auslaufende Fläche ist natürlich bewegter als die ebene Platte u. s, f. Ich komme darum in anderem Zusammenhange nochmals darauf zurück. BIBLIOTHEK I IL]HELBERG t M VERSi JÄTS- rdC n durch 01 e http://digj.ijb.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/0049 Gewitschalt der Freund iý-ii-:.. . „ ..... , ... - é ,, Universal Heidelberg e.V. © Umversitatsbibhothek Heidelberg Besonders empfindlich ist das Verschwinden der heiteren Säulenhöfe und Loggien. Der Hof von Pal. Farnese bezeichnet gegenüber dem der Cancelleria bereits den ganzen Wandel der Stimmung, Er ist von gewaltigem Ernst Im Kirchenbau waren Pfeiler schon konstructiv gefordert. Die grossen Tonnengewölbe verlangten stärkere Träger, Der Pfeiler wird zur breiten ungegliederten Mauermasse, Aber nicht genug, der Stil thut noch ein Uebriges, den Eindruck des Massenhaften zu verstärken: der zwischengespannte Bogen darf oben nicht das Gesimse erreichen, ein Stück Mauer bleibt undurchbrochen übrig; zugleich fällt die krönende Schlüsskonsole (Schlussstein) weg. Vgl* Innensystem von Vignola's Gesü und (schon früher) die Hauptfenster vom Schloss Caprarola; Innensystem von S. M. ai monti (von G, della Porta); dann S. Gregorio Magno, Facade (von Soria), Scala santa, Fagade (D. Fontana) u. a. * Oberitalien, das durch den Backstein von jeher gezwungen war, sich mit dem Pfeiler zu befreunden, wusste ihm einst durch schlanke Bildung und Auflösung in vier Püastcr eine recht leichte Form abzugewinnen. (Abb. 9.) Vgl etwa S, Giovanni Evangelista (Parma) oder S. Salvatore (Venedig). Die Uebersetzung dieses 1 Abb. 10. Schema des Barockpfeüers* vier*pilastrigen Pfeilers ins Barock-Massige lautet so, wie Abb. 10 zeigt, (nach dem Beispiel, das Michelangelo im Konservatorenpalast giebt). Die Masse ist hier nicht mehr ganz durchgeformt, nicht mehr ganz eingefasst von den Pilastern, sondern schaut an den stumpfen Ecken hervor. Die Verdrängung der Säule durch den Pfeiler bedeutet natürlich gleichzeitig eine Verdrängung der Halbsäule durch den Pilaster, Vgl. die Fortbildung des farnesischen Hofs zum Pfeilerhof mit Pilastern bei Giacomo della Porta (Sapienza) und bei Ammannati (Collegio rornano). 4 Abb. rj. Schema des Kfttiaissabeepftilers. V http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/00S0 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durcH die Gesi'lhihdjl der Fiiiun UnlvcrsJtál Heidelberg { — 40 — Weitverbreitete Sitte des Uebergangs: Halbsäulen und Pilaster mit rohen Rusticaquadern, gleichwie mit Fesseln zu überziehen, und an die Mauer zu schmieden. Serlio, der eine ganz unbändige Freude an Gestaltungen der Art hat, entschuldigt sich mit dem Beispiel Giulio Romano's (architettura, Jib. IV.). Auch Vignola hat das Motiv häufig für Thoranlagen benutzt {meist aber in ländlichem Zusammenhang).^. Den höchsten Ausdruck von stofflicher Gebundenheit erreichte Michelangelo: die Form ringt mit der Masse, Es ist derselbe Fortgang zum Pathologischen, den wir schon einmal bei Gelegenheit des capitolinisehen Palastes beobachteten, wo die Säulen unter der Last an die grossen Pfeiler herangedrängt werden. Auch hier giebt Michelangelo einen leídentlíchen Zustand: die Formgliedcr , vermögen aus der erstickenden Umhüllung der Mauer sich nicht loszulösen, — In der Vorhalle der Laurenziana treten die Säulen gar nicht aus der Fläche der Wand heraus, sondern bleiben zu zweien in Vertiefungen stecken. Die Komposition entbehrt so ganz und gar des Befriedigten und Befriedigenden, mit einem Worte der Notwendigkeit, dass der Eindruck einer unaufhörlichen Bewegung entsteht: leidenschaftliches Wühlen, aufgeregtes Ringen mit dem Stoff, Eine ganz einzige Wirkung, die der barocke Kunstgeist in diesem Räume hervorgebracht hat. Doppelt unvergleichlich durch die wunderbare Lösimg t die das wilde Vorspiel in dem Hauptraum oben an der Treppe erhält: hier wird mit einem Male Alles ruhig und befriedigt; der erste Raum war nur die Einleitung zu dieser zweiten edleren Wirkung. Ueber diese Komposition nach Kontrasten wird später noch Einiges gesagt werden Nur Michelangelo konnte so etwas wagen. Die Arcaden des Konservatorenpalastes wiederholen das Motiv in etwas anderer Form. Um für das Innere eine starke Kontrastwirkung sich zu sichern> bildete Michelangelo alle Formen der unteren Halle äusserst schwer und massig; die Säulen kommen von der Mauer nicht los. Es sind keine Halbsäulent sondern freie und völlige, aber sie haben ihre Freiheit noch nicht errungen. Etwa die Hälfte ist losgelöst, der Rest aber Schema der ' steckt noch drin (Abb. Ii)« Für die Phantasie t http://digi.Lib.uni-heidelberg.cle/cliglit/woelfflinlSfiS/0051 © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Ge&Gltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. — 41 — entsteht dadurch der Eindruck eines unablässigen, Unruhigen Arbeitens nach Befreiung,. Die Spätem verwenden dies Motiv der „MauerSäule", wenn ich so sagen darf, sehr häufig, mit verschiedener Abstufung (viertel-, halb-, drei viertel-freie Säulen). Für Facaden empfiehlt es sich schon wegen des kräftigen SchattenerTects, der durch die Eintiefung zu beiden Seiten gegeben ist. t In der zweiten Periode des Stils verschwindet es* Die Säule wird frei, tritt vor und bekommt im Rücken einen begleitenden Wand pi las ter. b. Die Renaissance gab jedes Glied rein und einfach, der Barock vervielfacht die Glieder, Die erste Veranlassung hie zu lag in den anormalen Grössen-Verhältnissen j das Gefühl verlangte kräftigere Formen1). Bald aber gewöhnt man sich überhaupt daran, Alles mehrfach zu sagen, (Ineinanderschachtelung von Giebeln ü, s. w,), Das Einzelne hat seine Kraft verloren, man glaubt nicht mehr daran; wenn Etwas als nicht blos zufällig sich zur Geltung bringen will, muss es gedoppelt und verdreifacht auftreten. Ja, wo will man überhaupt noch eine Grenze setzen, sobald das Einfache einmal verlassen ist Es kommt dazu ein Weiteres: die Vervielfältigung des Umrisses im malerischen Interesse. Die Form wird nicht gegeben mit einem Mal, ganz und voll und klar, sondern man schafft gleichsam eine Bildungssphäre, einen Komplex von Linien, wo man unsicher bleibt, welche die richtige sei. Es entsteht dadurch ein Bewegungseindruck: die Form scheint sich erst sammeln zu müssen. Eine Vervielfältigung des Umrisses in diesem Sinne bietet das Motiv des „Pi/as/erMndelsu: der Pilaster wird flankirt von je einem zurücktretenden Halbpilaster (später auch noch von einem ferneren Viertelspilaster). Der Ursprung dieses Motivs liegt wahrscheinlich im Backsteinbau, der leicht dazu kommen musste, die Rundung der Halbsäule durch eine Abstufung der Art zu ersetzen. In der That findet man in romagnolisehen und lombardischen Bauten ähnliche Formen einzeln schon in sehr früher Zeit. (Vgl. z. B. S.. Cristo-foro zu Ferrara.) 1) Kuppelung von Halbsäulen und Pilastern kannte übrigens schon die Hochrenaissance. http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/00S2 © Universitätsbibliothek Meidelberg gefördert durcfi die Gesi'IKihdjc der Fiuundť Unlwrsitál Heidelbe rge.V Doch ist eine andere Entsteh ungs weise nicht ausgeschlossen: Die Loggia der Farnesina zeigt z. B. an der Wandseite das Motiv vollständig ausgebildet, nur in einem andern Sinn: es soll die Form des gegenüberstehenden Pfeilers mit seinem Pilaster flächen-haft wiederholt werden. Es ist wohl denkbar, dass man von hier aus die wirksame Form auf die Facade übertrug. In Rom ist das erste Beispiel von einem selbstständigen Pilasterbündel durch Bramante gegeben worden, im ersten Geschoss des belvederischen HofesDann folgt Peruzzi (Pah Costa) und Michelangelo (Hof Farnese, drittes Geschoss). Damit war das Motiv der allgemeinen Nachahmung empfohlen. Eine ähnliche Form ist der flache Rahmen, mit dem die Mauer eines Pilastenntervalls an drei Seiten umzogen zu werden pflegt. Es ist gleichsam eine Vor-Bildung des Pilasters. Wieder keine exacte und einfach bestimmte Formgebung, sondern eine Verwischung der Grenzen, kein klares Heraussetzen der Einzelform, sondern ein Ueberleiten, ein Vermitteln, das oft an chromatische Gänge in der Musik erinnert2}. Die Mauereintiefung, oder — um den ersten Ausdruck beizubehalten — die Um Ziehung des Intervalls mit einem flachen Rahmenprofil ist offenbar wieder ein Backsteinmotiv. Man findet es bei Peruzzi, der als Sienese von Hause aus mit diesem Material vertraut war, dann in bedeutender Verwendung bei Michelangelo (Konservatorenpalast, Rückseite von S. Peter), c. Mit dieser Gewöhnung an das Vielfache hängt weiter eine Verdoppelung der Anfangs- und Schiussmotive zusammen. Die Formen begrenzen sich auch nach oben und unten nicht mehr exact wie frühen statt einem sichern Einsetzen und bestimmten Abschliessen ein zögernder Anfang und ein Nicht-Aufhören-Können. Das erste Beispiel dieser für die formlosere Kunst charakteristischen Erscheinung dürfte in der Bildung der Hofpfeiler von Pal. Farnese vorliegen. Man vergleiche, um den Unterschied inne zu werden, diesen Sockel ').Vgl. Serlio fol. 119. Ob die Form nicht erst dem Umbau durch Peruzai angehört? Letarouilly scheint es nicht anzunehmen (Le Vatican I. cour du Belvedere, pi, 11). 2) Höchst interessant ist, wie Bernini auch an Statuen einzelne Knochen, wie das Sellienbein, im Effect verdoppelt, vgl. Dohme, Kunst und Künstler* III. gefördert durch die Ge&oltschdlt der Freunde Universita! Heidelberg e.V. und die doppelten Gesimse mit den noch so einfachen und sichern Formen des Palladio im Hof der Caritä zu Venedig Vervielfachung des Sockelansatzes: Grabmal Pauls III. (Guilelmo della Porta); dann alle Säulen mit doppelter Platte u, s. w. Vervielfachung der Attica an Kirchenfaeaden: Gesü von Giac. della Porta (Vignola ist in seinem Entwurf noch einfach) u. a. Die Linie des Kranzgesimses scheint gleichsam noch mehrmals nachzuklingen. Unendlicher Abschluss. d. Rahmen- und Eckbildung, Der Eindruck des Massenhaften ist wesentlich dadurch bedingt, dass der Stoff nicht eingefasst ist von Rahmen, denen er sich ganz einordnete. Der Barock bezeichnet hier den vollkommensten Gegensatz zur Gothik. Die Gothik betont die zusammenhaltenden Glieder: feste Rahmen, leichte Füllung; der Barock betont den Stoff: der Rahmen fallt entweder ganz weg oder bleibt doch — trotz derber Bildung — ungenügend, die Masse quillt über. Die Renaissance bezeichnet die Mitte: das vollkommene . Gleichgewicht von Füllung und einschliessender Form* Die Füllungszierart, die der Pilaster in der Renaissance oft bekommt, ist für jene Zeit undenkbar ohne Eck-Rahmen; der Barock beseitigt diese Einfassung und lässt das Ornament grenzenlos wuchern. Erste Beispiele: Michelangelo, Grabmal Julius II. (S. Pietro in Vincoli), Ant da SangaJlo und Simone Mosca, Capella Cesi (S. M. della Face) i). — Das kassettirte Tonnengewölbe musste stets mit einer Gurte abgeschlossen werden, Im Barock fallt diese Gurte weg, die Kassetten bedecken das Gewölbe ganz und un^ gefasst (z. B. Cap. Corsini von Galilei im Lateran, sonst eine der reineren Schöpfungen der Spätzeit). — Die Komposition im Grossen verfahrt in der Bildung der Ecken ganz gleich. Man erinnere sich nochmals an die gothische Betonung der Kraftglieder und an die barocke Betonung der Masse. Der Campanile des Giotto in Florenz giebt an den Ecken gleichsam vorspringende Thürme im Kleinen, dem Stil kommt Alles an auf kräftige Einfassung; die Renaissance schliesst eine Mauerfläche mit einem blossen Pilaster (früher mit einem einzelnen, später auch mit einem gedoppelten); der beginnende Barock rückt den Pilaster von der Ecke weg und lässt die rohe Maueimasse den Abschluss bilden. (Vignola, ±) Vasarí VI. 299. http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/00S4 © Universitätsbibliothek Meidelberg capi toi ini sehe Hallen; Vorhalle von 3- in Domnica [fälschlich dem Raffael zugeschrieben]; u. a.). Wenn es sich nicht um einen einzelnen Pilaster, sondern um einen Pilasterbündel handelt, so entsteht ein ganzer Haufen von Eckliriien, so dass man gar nicht leicht die eigentliche Ecke heraus erkennt (vgl. Grabmal Pauls HL von Guilelmo della Porta, S. Gregorio magno von Soria etc.), Prin-cipiell aber vermeidet es der Stil überhaupt, Eckwinkel zu zeigen* er kennt nur Facaden und hier bleiben die äusseren Theile so wie so unbetont (s. unten): die ganze Kraft und der ganze Reichthum wird nach der Mitte geworfen. Eine höchst wirksame Steigerung des Motives giebt der Stil da, wo er die Füllung fiir den Raum zu gross bildet, die Füllung Uber den Rahmen herausquellen lässt. Die Komposition des Ganzen darf sich so weit natürlich nicht wagen, diese äussersten Effecte sind nur im Einzelnen möglich, wo die Dissonanz auch eine Lösung finden kann. Beispiele: die Deckenformation. Die Kassetten werden so gefüllt, dass zwischen dem Inhalt und der Uruschliessung eine bestandige Reibung stattfinden muss. In der Renaissance fügt sich Alles wohlig in einander, Alles hat Luft und Raum, hier eine gedrängte Massenhaftigkeit, man muss furchten, die Füllung sprenge den Rahmen. Erste Muster in den Decken des Sangallo (Pal. Farnese)1). Ueber die geklemmten Nischen an Kirchen facaden" vgl. unten den betreffenden Abschnitt. Die Füllung der Kuppelzwickei: die berühmten Figuren des Domenichino in S. Andrea della valle sind für den Raum zu gross; später lässt man ohne Bedenken den Inhalt überfluthen. In S. Peter ist das aUmählige Grösserwerden der Zwickel-figuren über den Bogen des Langschi fies wohl „zu beobachten, die jüngsten — ganz vorn am Eingange — sind die üppigsten: es ist die gleiche Erscheinung, die sich in der statuarischen Füllung von Nischen wiederholt. Die Statue hat keinen Reiz, wenn sie nicht die Nische zu zersprengen droht, e. Die Masse des Baukörpers im Ganzen bleibt geschlossen t ungegliedert^ ohne entwickelten Grundriss* 1) Abb, bei Letarouilly, .edifices de Rome. texte, p, 316. Ovale in engansch Ii essende Rechtecke gezwängt. ://digi.ub.uri-heidelberg.de/dJglit/woeJfflinlSSS/0055 IS © Universitätsbibliothek Herdelberg — 45 — Sie bleibt geschlossen* Loggien und ähnliche Formen verschwinden. Die Oeffnungen werden im Verhältnis zur Mauer immer geringer Die geschlossene Travertinwand ist das Ideal der Kirchenfacade. Und der Palastbau denkt ähnlich. Gelegentlich wurde auch schon darauf hingewiesen^ dass der öffnende Bogen nicht mehr bis an's Gesims heranreicht, sondern ein Stück Mauer im durchbrochen übrig lassen muss. Es liegt etwas Unbefriedigtes in diesem Motiv. Die Facade bleibt ungegliedert. Schon der „grosse Stil^ verlangt möglichste Beschränkung in der Theüung, Er sucht Fagaden aus einem Stück zu geben. Doch soll die Einheit keine absolute sein; es bleiben Nebentheile, nur werden diese durchaus unselbstständig gehalten. Und eben hierin liegt die mangelhafte Durchgliederung* Die Renaissance hatte gerade ihre höchste Freude darant das Ganze als eine harmonische Fügung einzelner, selbstständiger Theile darzustellen. Sie löste z, B. gerne von der Kirchenfacade Flügelbauteh ab, die im Kleinen das Motiv des Hauptkörpers wiederholen sollten, (VgL die Madonna di Campagna in Fjacenza<) Im Barock ist davon keine Rede, die Nebentheile bleiben dumpf befangen in der Hauptmasse, sie sind nicht zu einem individuellen Sonderdasein durchgebildet. Und so im Grundriss: keine Enfovickelung. Der Bau bleibt eine geballte Masse. Wie sehr aber beruht gerade auf dieser Auflockerung die Heiterkeit eines Gebäudes* Was wäre die Villa rotonda des Falladio ohne ihre Vorhallen. Was wäre die Farnesina ohne das reizende Motiv der vortretenden Flügel, die zu vollständiger Freiheit entlassen zu sein scheinen. Der Barock entschliesst sich nie zu ähnlicher Bildung; wo er das Fliigelmotiv verwendet, da löst sich der vortretende Theil nicht von der Masse los, es fehlt in den Gelenken. Vgl. die Villa Borghese (unten Abb, 21) und Pal Barberini. Der spätere Barock kommt eher wieder zu einer freieren Bildung. * ■IVERSITÄTS- 153? BIBLIOTHEK http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/00S6 © Universitätsbibliothek Meidelberg gefördert durch die Gesi'lhihdjc der Fiuundť Unlwrsirii Heidelbe rge.V - 46 — Cap, IV. 1, Massigkeit und Bewegung sind die Frincipien des Barockstils. Die Absicht geht nicht auf die Vollkommenheit des archi-tectonischen Körpers 7 auf die Schönheit des „Gewächses1' a wie Wickeimann sagen würde, sondern auf ein Geschehen, auf den Ausdruck einer bestimmten Bewegung in diesem Körper. Wie nun nach der einen Seite die Masse eine bedeutendere geworden ist, die Schwere zugenommen hat} so wird nach der anderen die Kraft der Formglieder gesteigert; aber nicht so, dass der Bau-Körper gleich massig davon durchdrungen würde. Der Barock wirft vielmehr die ganze Kraft auf einen Punkt, bricht hier mit einem übermässigen Aufwand los > indessen die anderen Partien dumpf tmd unbelebt bleiben. Die Functionen des Hebens und Tragens, die früher gleichsam als ganz selbstverständlich, verrichtet wurden} ohne Hast und ohne Mühe, werden hier mit einer gewissen Gewaltsam^ keit, mit leidenschaftlicher Anstrengung ausgeübt. Dabei wird die Action nicht einzelnen Kraftgliedern überlassen, sondern theilt sich der ganzen Masse mit, der ganze Körper wird in den Schwung der Bewegung hineingezogen. 2. Im Gegensatz zur Renaissance, die überall auf das Ruhige und Bleibende gerichtet war, tritt der Barock sogleich mit einem bestimmten Gefiihlför Richtung auf. Er drängt aufwärts; und so stellt sich dem oben beobachteten Zug zum Schweren und Breiten eine Verticalkraft entgegen, die stärker und stärker werdend, endlich die Horizontale überwindet (zweite Periode des Barockstyls). Das Motiv des Hockdrangs äussert sich zunächst im Einzelnen: in der ungleichen Vertheüung der Plastik. Die Fenster legen ihren ganzen Accent nach oben. Von dem klassischen Fenster der Renaissance mit Giebel und Halbsäulen, verschwinden rasch diese letzteren, sie werden ersetzt durch blosse Konsolen, die Giebel aber desswegen nicht gemässigt, sondern im Gegentheil in schwerster ausladender Bildung gegeben, wobei auf energischen Schattenschlag als auf ein Hauptmittel der Wirkung gerechnet ist. Es tritt dazu eine weitgehende Auflösung der Horizontale, eine Brechung der Formen^ die mit vollkommener Gleich giltigkeit gegen das Recht und den Sinn der Form im Einzelnen, nur dem malerischen Bewegungseindruck des Ganzen nachgeht. —^An den i UNIVERSITÄT!* BIBLIOTHEK I IE]HELBERG X http://digi.ub.uri-heidelberg.de/dJglit/woelfflinlSSS/0057 © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. Fenstern werden die (verticalen) Seiten rahmen entweder nach unten über die Grundlinie des Fensters hinaus verlängert oder nach oben als Ohren fortgesetzt; am Giebel wird die Fusslinie durchbrochen, auch der obere Winkel, bald beide mit einander u. s+ w. Für Bildungen der Art darf man immer zuerst auf Michelangelo als den Urheber rathen. Höchst einflussreich: die Fenster des zweiten Hofgeschosses von PaL Farnese, die ihrerseits durch die Formen der Laurenziana vorbereitet sind. In bedeutsamem Gegensatz zu diesen aufgeregten Einzelformen behalten die grossen Horizontalen des Gebälks ihre Ruhe* Die Verknüpfung wird während der ganzen ersten Periode sehr massig gehandhabt und bezieht sich meist auf ganze Mauertheile. Noch bis zu Maderna weiss man mit diesem Kontrast eine bedeutende Wirkung zu erzielen. Bedenklich wird die Sache erst im Verlauf des 17* Jahrhunderts, als jeder Haibund Viertelpilaster im Gebälk sein Echo finden will, und also die Linie vollständig Vernichtet wird. Dies ist denn auch die Zeit, wo das tectonische Gefüge überall einer wilden Bewegungsgier zu01 Opfer fällt) wo die Giebel sich bäumen und nach aussen werfen u. s, w. Wir haben diese Entwicklung nicht zu verfolgen. — Ein andrer Ausdruck des Hochdrangs ist die Verschnellerung der TJnienbewegtmgi Hieher gehört die Bildung von hermenartigen Pilästern: die nach oben divergirenden Linien scheinen mit grösserer Hast aufzusteigen als die parallelen (Michelangelo: Treppenraum der'Laurenziana, Grab Julius II. in S. Pietro in vincoli; dann hie und da bei Vignola). Die gewundenen Säulen gehen auf das gleiche Bedürfniss zurück: man will die Bewegung sehen. In der monumentalen Kunst dürften die an Bernini's Tabernakel (S. Peter) die ersten sein" (1633)- Die Theorie in den spätem Auflagen von Vignolas regola beruft sich wenigstens auf diese Für den Früh-Barock ist die Form ohne Belang. Ueber den Ausdruck des Hochdrangs im Kuppelbau wird im Zusammenhang der gesamrnten kirchlichen Architectur die Rede sein. 3. Von höchster Bedeutung wurde das neue Gefühl für die Kirchenfacade, Es bedingte zunächst eine ganz neue Art der Flächenfüllung, Fenster oder Nischen, die früher zu dem ihnen t) Bekanntlich finden sie sich schon auf Raflaels Tapeten (nach alten Mustern), t http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/00SS © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesi'lhihdjl der f muri Universität Heidelbergť zugetheilten Raum ein durchaus ruhiges und befriedigtes Verbal tn iss gehabt hatten, so dass eines gerade für das andere da zu sein schien, werden nun ganz ausser Beziehung zu einander gesetzt. Die Nische mit ihrer Giebelarchitectur drängt so hoch hinauf, bis sie irgendwo anstösst Sie füllt nicht das Pilasterintervall, das ihr angewiesen ist, in befriedigender Weise, sondern strebt aufwärts, so weit sie kann, während unten ein grosser Raum frei bleibt. Erhöht wird der Eindruck des Hochdrangs dadurch, dass die Nischen meist auch seitlich von den eng zusammentretenden Pilastern beengt scheinen. Es treten hier Symptome auft die an die Gothik erinnern, obwohl sonst Gothik und Barock das Allerentgegengesetzteste bezeichnen. Der Unterschied ist auch in diesem Falle ein wesentlicher. In der Gothik strahlen die Verticalkräfte unbehindert aufwärts" ■und lösen sich oben spielend auf; der Barock lässt sie erst hart zusammenstossen mit einem schweren Gesims, giebt dann aber — und dies ist das Bedeutsame — jedesmal eine beruhigende Lösung. In den obern Theilen finden sich Fläche und Füllung befriedigter zusammen; die vollständige Beruhigung wird dem Innern aufbehalten und gerade dieser Kontrast zwischen der aufgeregten Sprache der Fa^ade und der gelassenen Ruhe des Innern gehört zu den gewaltigsten Wirkungen, die die barocke Kunst ausübt Der Ursprung dieses Verticalmotivs; die Beruhigung eines heftigen Dranges nach oben liegt bei Michelangelo. Der Vorraum der Laurenziana zeigt es schon in vollkommen klarer Ausbildung3)* Für Rom mag die Rückseite von S. Peter entscheidend gewesen sein: im grossartigsten Sinn lässt Michelangelo die Formen nach oben immer reiner und stiller werden, die Lösung des an sich widrigen Fagadenmotivs &) liegt in der KuppeL — Man kann hier t) Leider hat die Decorationswuth späterer Zeiten an vielen Monumenten das Innere so umgestaltet, dass die Kontrast-Wirkung vernichtet ist, 2) Man vergleiche die analogen Theile irn Ober- und im Unter-geschoss^ Die lue kenartige Eintiefung über den Hau ptnischen ist B. unten oblong gebildet mit langen Ohren, oben quadratisch mit einge* schriebenem Kreis. Eine vollständigere Beruhigung ist nicht denkbar, 3) Die Unruhe wird hier noch dadurch vermehrt, dass die Mauer-j fei der abwechselnd je zwei und je drei Fenster (Nischen) übereinander enthalten* die FlächenfulLungen stimmen also auch unter sich nicht zusammen* ♦ gefördert durch die Ge&oltschalt der Frcurtcfe Universität Heidelberg e.V. — 49 — ahnen lernen, was dieser Mann unter dem „Komponiren im Grossen" verstand. -— 4_ Die horizontale Komposition macht eine ähnliche Entwicklung durch. In scharfem Gegensatz gegen die florenttnisch-klassische Sinnesweise, die gerade im gleichmässigen Durch stimmen ihren Stolz gesucht hatte und sogar auf alle Pracht der Eingangsthore und der Hauptfenster an ihren Palästen verzichtete, suchte man jetzt eine Bewegung in die Komposition hineinzubringen> indem man die Effecte nach der Mitte zu steigerte. ■ In einfachster Form erscheint dies Frincip als rhythmische Folge gegenüber einer blos metrisch-regelmässigen So ist die Anordnung der Fenster am Pal Chigi (Giacomo della Porta); nach der Mitte zu folgen sich die Fenster in immer rascherem Tempo, ohne dass der Wechsel (des Intervalls) in irgend einer Weise tectonisch motivtrt wäre. Eine weitergehende Ausbildung des Princips zeigen die Kirchenfagaden« Unter Giac. della Porta werden sie zu einem System übereinander geschobener Theile, wobei der plastische Ausdruck nach der Mitte zu beständig wächst, ein Fortgang von Pilästern zu Halb- und ganzen Säulen, die Anstrengung, das all-mählige Sammeln der Kraft wird so zur Anschauung gebracht, namentlich da, wo noch eine Häufung der Säulen in der Mitte eintritt. Die Eckfelder bleiben fast ganz tonlos. Der Körper ist nicht gleichmässig belebt. Die letzte Konsequenz war dann die Sckwingttng der ganzen Mauermasse in der Weise, dass die Fagade an den Enden sich etwas einwärts wölbt, in der Mitte dagegen eine lebhafte Bewegung nach vorn, auf den Beschauer zu erhält; es ist das die Linie, die Michelangelo für seine berüchtigte Treppe in der Laurenziana verwandte 2). Das erste Beispiel von Schwingung im Grossen gab A* da Sangallo^), aber lediglich als Einwärts Wölbung: Zecca vecchia 1) Die Säulenstellung, die Raffael für die Petersfacade projectirte, ist bewegt, aber noch nicht rhythmisch, 2J Uebrigens wollte er die Treppe von Holz, nicht von Stein. 3] Peruzzi's Pah Massimi alle colonne ist kaum hieher zu rechnen, da hier offenbar die Strasse die Form vorschrieb, kein ästhetischer Grund entscheidend war. Welgiiitt KenätUlnCb und Barock, 4 UNIVERSITÄT^ íí^* HEIDEI HERG http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/0O60 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durcri dte Gesi'llvchdjl der Fiuuridť Universität Heidelberge.V {banco di S* Spirito)*) und Porta' dt S, Spirito. — Die bewegten Muster finden sich erst bei Borromini: S. Agnese an Piazza Navona, noch massig; dann aber in S. Carlo alle quattro fontáne (1667) das äusserst Mögliche 3). Durch die Schwingung der Mauer erreichte der Barock noch einen anderen Zweck: indem sämmtliehe Giebel, Fenster, Säulen und so fort die Beugung begleiten, entsteht für das Auge ein äusserst lebhafter Bewegungseindruck. Es sieht gleichartige Formen gleichzeitig unter verschiedenem WinkeL Die Wirkung ist die, dass z. B. Säulenj die nach verschiedenen Axen orientirt die einfachen Harmonien des bramantischen Stils seien trivial geworden t man sucht entferntere Bezüge, künstlichere UebergängCj die dem ungeübten Auge leicht als absolute Formlosigkeit erscheinen. Dabei ist vor Allem zu bedenken, welche Folgen die Vervielfachung der Pilaster, die Verwischung der bestimmten Grenzen, kurz die Vernichtung aller klar geschlossenen Ein zeltheile hatte. An Giacomo della Porta'sFa^ade des Gesü (Abb, 17) ist z. B.t wie zu erwarten steht^ das Rechteck des Hauptportals, das der Segmentgiebel bedeckt (Pilaster einschliesslich von Socket und Gesims) genau proportional dem Rechteck des gesammten Mittelkörpers der Fagade, den der grosse Giebel deckt {ausschliesslich des Sockels der untern Pilaster), aber die Beziehung wird unklar dadurch, dass in den Segmentgiebel mit seinen Pilästern ein Dreieckgiebel mit Säulen eingestellt ist, der sich eben durch diese Säulen den Pilastern gegenüber als der wichtigere präsentirt und so die Aufmerksamkeit von dem andern ablenkt. Solche Fälle wiederholen sich mehrfach in der Facade. — Die Analogie zu gewissen Reizmitteln einer entwickelten musikalischen Komposition isk augenfällig. Ich brauche sie nicht näher zu beleuchten. Allein das Bedeutsame ist nicht diese Erschwerung in der Perception der harmonischen Verhältnisse, sondern die absichtlich gesuchte Dissonanz. Der Barock giebt Nischen, die geklemmt sind, Fenster, die nicht zum Raum passen, Gemälde, die für die zugemessene Wandfläche viel zu gross sind kurz Theile, die gJeichsam aus einer andern Tonart gehenj nach einer andern Scala von Pro- ■1) Vergleiche das schreiende Miss verbal miss an den Schmal wänden der Galeria Farnese: die Wand kann diese Gemälde nicht verdauen, möchte man sagen. UNIVERSITÄT!* BIBLIOTHEK Mt] HELBERG X http://digi.ub.uri-heidelberg.de/dJglit/woelfflinlSSS/00S7 © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. — 57 — portionen gestimmt sind. Der künstlerische Reiz besteht dann in der Auflösung dieser Dissonanzen. Nach oben zu setzen sich die widersprechenden Elemente auseinander, aus dem Dissonirenden arbeitet sich eine Harmonie von reinen Verhältnissen heraus. Man geht sogar weiter dahin, äussere und innere Räume in einen derartigen Kontrast zu setzen. Vgl. Laurenziana (Florenz): Treppenraum und Langsaal; Pal Farnese (Rom): Vestibüle und Hof u. a+ Die Architectur wird dramatisch, das Kunstwerk setzt sich nicht zusammen aus einer Reihe von geschlossenen Einzel-Schönheiten, die in sich selbst ruhen, sondern erst im Ganzen gewinnt das Einzelne Werth und Bedeutung, erst im Ganzen wird ein befriedigender Abschluss, eine Begrenzung gegeben. Die Kunst der Renaissance strebte nach dem Vollkommenen und Vollendeten, „was der Natur nur in seltenen Fällen hervorzubringen möglich sei'*. Der Barock wirkt durch das Aufregende der Formlosigkeit, die erst überwunden werden muss. Die „concinnitas" des Alberti ist im letzten Grunde wesensei ns mit dem Geiste der schaffenden Naturl), der höchsten Künstlerin 2). Die menschliche Kunst will sich nur einreihen in den Zusammenhang der Naturgebilde und damit in jene allgemeine Harmonie der Dinge, die bei Alberti wiederholt einen begeisterten Ausdruck rindet. Die Natur gleicht sich in allen Theilen, „Cer-tissimum est naturam in omnibus sui esse persimilem". Ich glaube, man sieht hier in die Tiefe des Kunstgeistes der Renaissance, Zugleich möchte von hier aus der barocke Stilwandel seinem Wesen nach am klarsten erkannt werden. 1) Líb, IX: Quae si satis constant, statuisse sic possumus pulchri-tudinem esse quendam consensum et conspirations m partium in eo cujus sunt ad certum numerům nnitionem collocatiouemque habitam ita ut concinnitas hoc et absoluta prim&riaqtte ratio naturae postularit. 2) Optima artifex. Lib. IX. v r UNIVERSITÄT^ HEIDELBERG http//digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8Se/0O6S © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch dte Gesi'llvchdjl der Fiuuridť Universität Heidelberge.V - 1 Zweiter Abschnitt Die Gründe der Stüwandkmg. i. Wo liegen die Wurzeln des Barockstils? Angesichts dieser gewaltigen Erscheinung, die sich darstellt wie eine Naturmacht, unwiderstehlich. Alles vor sich niederwerfend, fragt man erstaunt nach Ursache und Grund. Warum hat die Renaissance aufgehört? Warum folgt eben dieser Barockstil? Die Wandlung erscheint als eine durchaus nothwendige: ferne bleibt jeder Gedanke, als hätte die Willkür eines Einzelnen, die sich einmal im Nie-dagewesenen befriedigen wollte, dem Stil seinen Ursprung gegeben. Wir haben es nicht mit Experimenten einzelner Architecten zu thun, von denen der Eine es auf diese, der Andere auf jene Art probirte, sondern mit einem Stil, dessen wesentlichstes Merkmal die Allgemeinheit des Formgefühles ist, Von vielen Punkten aus sehen wir die Bewegung entstehen; hier und dort wandelt sich das Alte, die Veränderung greift um sich und schliesslich kann nichts mehr dem Strome widerstehen: der neue Stil ist geworden. Warum musste es so kommen? Man kann mit dem Hinweis auf das Gesetz der Abstumpfimg antworten und diese Antwort ist in der That oft gegeben worden. Die Formen der Renaissance haben ihren Reiz verloren, das Zu-oft-gesehene wirkt nicht mehr, das erschlaffte Formgefühl verlangt nach einer Verstärkung des Eindruckes. Die Architectur giebt diese Verstärkung und wird damit barock.- Dieser Theorie der Abstumpfung stellt sich eine andere entgegen, die in der Stilgeschichte ein Abbild der Veränderungen im menschlichen Dasein erblicken will. Der Stil ist für sie Ausdruck seiner Zeit» er ändert sich, wenn die Empfindungen der Menschen sich ändern. Die Renaissance ' * http://dFgi.Lib.uri-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/00G9 ERG [\[^ © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde JnlversllAl Heidelberg e.V. — 59 — musste absterben, weil sie den Pulsscblag der Zeit nicht mehr wiedergab, nicht mehr das aussprach, was die Zeit bewegte, was als das Wesentliche empfunden wurde. Für die erstere Auffassung ergiebt sich eine vom Zeitinhalt vollständig unabhängige FormenentWickelung. Der Fortgang vom Harten zum Weichen, vom Geraden zum Rundlichen ist ein Prozess rein mechanischer Natur (man gestatte den Ausdruck): dem Künstler erweichen sich die scharfen und eckigen Formen unter den Händen, gleichsam von selbst. Der Stil wickelt sich ab, lebt sich aus oder wie man immer sagen will. Das Bild vom Aufblühen und Welken einer Pflanze stellt sich dieser Theorie vorzugsweise als leitender Gesichtspunkt ein. So wenig die Blume ewig blühen kann, sondern das Welken unaufhaltsam herankommt, so wenig konnte die Renaissance immer sich selbst gleich bleiben: sie welkt, sie verliert ihre Form und diesen Zustand nennen wir Barock. Der Boden ist nicht schuld, dass die Pflanze abstirbt, sie trägt ihre Lebensgesetze in sich selbst. Und so der Stil; die Nothwendigkeit des Wandels kommt ihm nicht von aussen, sondern von innen: das Formgefiihl wickelt steh ab nach eigenen Gesetzen. 2. Was ist zu dieser Betrachtungsweise zu sagen? Die That-sache, die sje voraussetzt, ist richtig; gegen einen zu oft wiederholten, gleichen Reiz stumpft sich das pereipirende Organ ab, dE h. das Miterleben des Gebotenen wird immer weniger intensiv; die Formen verlieren ihre Eindrucksfahigkeit, weil sie nicht mehr mitgefühlt, miterlebt werden; sie nutzen sich ab, werden ausdruckslos. Diese Abnahme in der Intensität des Nachfühlens kann man wohl eine „Ermüdung des Formgefuhls" 1) nennen. Ob „das Schärferwerden des Gedachtnissbildes" an dieser Ermüdung allein Schuld sei, wie Göller wiH, möchte ich bezweifeln; jedenfalls aber scheint es verständlich, dass sie zu einer Steigerung der wirksamen Momente nöthigt Was gewinnen wir aber hieraus für die Erklärung des Barockstiles? — Wenig. Es fehlt auf zwei Punkten. Für's Erste ist das Princip einseitig. Es betrachtet den Menschen nicht nach seiner ganzen Leben- i) G&Ifer, Zur Aesthetik der Architectur, tÄS?, und Entstehung der architectonischen Stil formen, 1S8S. BIBLIOTHEK HEinEI I1ERG t http7/digi+ub.uni-heideiberg.deydiglit/woelfflinlS&ß/0070 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesi'llvchdjl der f muri dt Universität Heidelberge.V - 60 — digkeit und Wirklichkeit, sondern nur als form fühlendes Wesen, geniessend, müde werdend, nach neuem Reiz verlangend. Und doch ist nirgends in der menschlichen Natur ein Thun oder Leiden denkbar, das nicht bedingt wäre durch unser allgemeines Lebens-gefuhl, durch das, was wir sind, nach unserer gesammten Wirklichkeit, Wenn der Barock hie und da zu unerhört starken Ausdrucksmitteln greift, so ist daran viel weniger die Ermüdung des Formgefühls, als eine allgemeine Abstumpfung der Nerven schuld. Die Architectur musste das, was sie zu sagen hatte, mit jener Derbheit vortragen, nicht weil man an den Formen des Bramante sich stumpf gesehen, sondern weil der Zeit überhaupt die Fein-fühligkeit verloren gegangen war, weil sie durch raffinirten Lebensgenuss, durch das Schwelgen in Zuständen des äussersten Affects für leisere Reize unempfänglich geworden warijjtj— Dann aber, wie kann die Abstumpfung überhaupt stilbildend wirken? Was ist denn diese Steigerung der wirksamen Momente, die sie verlangt? Man kann das Bewegte bewegter, das Grosse grösser, das Schlanke schlanker machen, die Theile immer künstlicher kombirtiren — etwas wirklich Neues wird dadurch nie entstehen. Die Gothik kann immer schlaltker und schärfer bis zum übertriebensten Ausdruck gebildet werden, es kann das komplizirteste System der Proportionen, die allerkünstlichste Kombination von Formen zur Anwendung kommen, wie ein neuer Stil sich entwickeln soll, bleibt unersichtlich 2). Der Barock ist aber ein wesentlich Neues, das sich aus dem Vorhergehenden nicht ableiten lässt. Die einzelnen Motive der Auch scheint es mir irreführend zu sein, wenn Göl3er als Analogon anführt, dass eine Melodie, zu oft wiederholt, sich ausspiele. Die Thatsache ist ja richtig, aber ein architectonischer Stil lässt sich nicht so ohne Weiteres mit einer Melodie zusammenstellen, sondern doch auch nur wieder mit einem musikalischen Stil, der innerhalb seines Bezirkes unendlich viele Bildungen zulässt. 2J Die einzige Lösung — die aber kaum Jemand versuchen möchte — läge darin, den neuen Stil als nothwendige Reaction gegen den alten zu erklären. "Man käme damit in Hegel scher Weise zu einer Entwicklung, wo der Gegensatz das treibende Moment ist. Allein die Kunstgeschichte möchte dieser Konstruktion sich kaum fügen und den Thatsachen müsste in ähnlicher Art Gewalt geschehen, wie damals, als die Geschichte der Philosophie aus den Beziehungen der Begriffe zu einander im abstracten Denken begreiflich gemacht werden sollte. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK IIEIHELKERG t http://digi.Lib.uni -Heidelberg. de/diglit/woelfflinlSSS/OO/l © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. — 61 — „Abstumpfung", wie eben z. B. das schwerer fassbare System der Proportionalität, machen das Wiesen des Stils nicht aus. Warum wird die Kunst schwer und massig, warum nicht leicht und spielend? Hier muss nothwendig eine andere Betrachtungsweise Aufschluss geben, die Theorie der Abstumpfung ist nicht zureichend. Den Standpunkt, den neuerdings der Architect Prof- Geller, vertritt, erscheint mir ganz unhaltbar. Göller erkennt in der ^Ermüdung des Formgefiihles" allein „die treibende Kraft, der wir den Fortschritt seit den primitiven Schmuckformen der ältesten Völker verdanken1 ť. (Aesthetik der Architectur S. 32.} Der Grund der Ermüdung liege „in dem Schärferwerden des Gedächtnissbildes" (S, 23) und da nun „die geistige Arbeit, die wir im Gestalten des Gedächtnissbildes einer schönen Form leisten, die unbewusste seelische Freude an dieser Form1' sein soll (S. 16), so ist allerdings für diese Theorie sehr klar, dass eine beständige Veränderung nöthig ist: sobald wir die Formen auswendig können, hat jeglicher Reiz aufgehört. Die Aufgabe der Architecten besteht nun eben darin, in der Gruppirung der Massent in der Bildung und Combination der Einzelformen immer etwas Neues zu ersinnen. Wie entsteht aber ein gleichmässiges Formgefuhl, ein Stil? Warum probirte es z. B. am Ende der Renaissance nicht Jeder mit etwas Anderem? Weil nur das Eine gefiel. Aber warum gefiel nur das Einer 3. Die Betrachtungsweise, die das neue Formgefühl des Barock erklären soll, ist die psychologische. Sie fasst den architectonischen Stil als Ausdruck seiner Zeit; der Gesichtspunkt ist nicht neu, aber niemals systematisch begründet worden. Von Seiten der Techniker hat er von jeher Anfeindung erfahren und allerdings nicht immer mit Unrecht. Man findet recht viel Lächerliches in den sogenannten kulturhistorischen Einleitungen, die je weilen einem Stil in den Handbüchern vorausgeschickt zu werden pflegen. Sie fassen den Inhalt grosser Zeiträume unter sehr allgemeinen Begriffen zusammen, die dann ein Bild der öffentlichen und privaten Zustände, des intellectuellen und gemüthliehen Lebens geben sollen. Gewinnt das Ganze dadurch schon einen blassen Charakter, so fühlt man sieb vollends verlassen, wenn man nach den vermittelnden Fäden sucht, die diese allgemeinen Thatsachen mit der fraglichen Stilform verbinden sollen. Man bekommt keinen Einblick in die Bezieh* ungen, die zwischen der Phantasie des Künstlers und diesen Zeitverhältnissen bestehen, Was hat die Gothtk mit der Feudalität oder http://digi.ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinlSS6/0072 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gestikuluje der Fiuundť Unlwrsirii Heidelberge.V - 62 — der Scholastik zu thun? Welche Brücke leitet vom Jesuitismus zum Barockstil hinüber? x*ann man sich befriedigen bei der Ver-gleichung der hier und oort bemerkbaren Richtung, die um die Mittel unbekümmert nur auf das grosse Ziel hinstrebt ? Kann es für die ästhetische Phantasie von Bedeutung gewesen sein, dass der Jesuitismus seinen Geist dem Einzelnen aufzwingt und das Recht des Individuums der Idee des Ganzen opfert? Bevor man in solchen Vergleichen sich ergeht, sollte man sich doch immer fragen: was sich tectonisch überhaupt ausdrücken lasse und was für die Formphantasie bestimmend sein könne*). Ich darf hier in keine systematische Auseinandersetzung mich einlassen2), einige Andeutungen müssen genügen. Was ist für die Formphantasie des Künstlers das Bestimmende P Man sagt: Das, was den Inhalt der Zeit ausmacht. Für die gothischen Jahrhunderte nennt man den Feudalismus, die Scholastik, den Spiritualismus u. s. w. Aber welches soll der Weg sein; der von der Zelle des scholastischen Philosophen in die Bauhütte des Architecten führt? Es ist in der That sehr wenig gesagt mit der Aufzählung derartiger Kulturpotenzen, wenn man auch mit an-erkennenswerther Feinheit nach träglich einige Ähnlichkeiten mit dem Stil der Zeit herausfindet. Nicht auf die einzelnen Producte, sondern auf das Allgemeine kommt es an, auf die Grundstimmuhg der Zeit, die diese Producte hervorbringt. Diese Grundsttmmung aber kann nicht ein bestimmter Gedanke sein oder ein System von Sätzen, sonst wäre sie gar keine Stimmung. Gedanken lassen sich nur aussprechen, Stimmungen können auch einen tectonischen Ausdruck gewinnen, wenigstens bringt uns jeder Stil eine Stimmung in mehr oder weniger bestimmter Weise entgegen. Es fragt sich, welcher Art das Ausdrucksvermögen der Stilformen sei. Die Antwort muss ausgehen von einer bekannten und leicht kontrollirbaren psychologischen Thatsache. Jeden Gegenstand be-urtheilen wir nach Analogie unseres Körpers, Nicht nur verwandelt er sich für uns — auch bei ganz unähnlichen Formen — sofort i) Vgl. die treffenden Bemerkungen bei Springer, Bilder zur , neuere □ Kunstgesch. n* 400, a) Vorläufig habe ich darüber gehandelt in meiner Dissertation: Prolegomena zu einer Psychologie der Architecture München 18 86 (als Manuscript gedruckt). eiRUOTMEKTS^ f ^ http://digi.ub.uri-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/0073 Heidelberg: L||/ © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. in ein Wesen, das Kopf und Fuss* Vorder- und Hinterseite hat; nicht nur sind wir überzeugt, es fcönnv hm nicht wohl zu Muthe sein, wenn es schief dasteht und zu fallen/droht, sondern mit einer unglaublichen Feinfiihligkeit empfinden wir auch die Lust und Unlust im Dasein jeder beliebigen Konfiguration, jedes uns noch so fernstehenden Gebildes. Das dumpf befangene Leben des Klumpig-geballten, das keine freien Organe besitzt und schwer und unbeweglich daliegt, ist j&fc so verständlich, wie der helle feine Sinn dessen, was zart und leicht gegliedert ist. Ueberall le^fii wir .ein körperliches Dasein unter, das dem unsrigen conform ist; nach den Ausdrucksprincipien, die wir von unserm Körper her kennen, deuten wir die gesammte Aussenwelt. Was wir an uns als Ausdruck kraftvollen Ernstes, strammen Sich-Zusammennehmens oder als haldoses, schweres Daliegen erfahren haben, übertragen wir auf alles andere Körperliche1). Und die Architectur sollte an dieser unbewussten Beseelung nicht 1heil haben? Im allerhöchsten Maasse hat sie daran Theik Und nun ist klar, dass sie als Kunst körperlicher Massen nur auf den Menschen ab körperliches Wesen Bezug nehmen kann. Sie ist Ausdruck einer Zeit, insofern sie das körperliche Dasein der Menschen, ihre bestimmte Artsich zu tragen und zu bewegen, die spielend-leichte oder gravitätisch-ernste Haltung, das aufgeregte oder das ruhige Sein, mit einem Wort, das Lebensgefükl einer Epoche^Xtx ihren monumentalen Körperverhältnissen zur Erscheinung bringt. Als Kunst aber wird die Architectur dieses Lebensgefühl ideal erhöhen, sie wird das zu geben suchen, was der Mensch sein möchte^ Selbstverständlich kann ein Stil nur da entstehen, wo ein starkes Gefühl lebendig ist für eine bestimmte Art körperlichen Daseins. Unserer Zeit fehlt dieses Gefühl gänzlich* Dagegen giebt es z. B, eine gothische Haltung; jeder Muskel gespannt, die Bewegungen präcis, scharf, aufs Exacteste zugespitzt, nirgends ein Gehenlassen, nichts Schwammiges, überall bestimmtester Ausdruck eines Willens, Der Nasenrücken wird fein und schmaL Alle Masse, alle ruhige Breite schwindet; der Körper wird ganz auf. 1) Vgl.X^/stf, Geschichte der Aesthetik in Deutschland. r868. a> v. O. — L&tze7 Microcosmos II ^ 198 ff. —Vhchert das optische Formen-gefiihL 1872. — V&lkelt, der Symbolbegriff in der neuern Aesthetik. 1876. NIVERSITÄTS- BIBLIOTHEK HEIPEL&ERG t http//digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl886/0074 © Universitätsbibliothek Heidelberg geordert durch dte Gesi'llvchdjl der Fiuuridť Unlwrsiiál Heidelberger — 64 — I gelöst in Kraft. Die Figuren, hoch aufgeschossen und schlank, scheinen den Boden gleichsam nur tippend zu berühren. Im Gegensatz zur Gothik entwickelt dann die Renaissance den Ausdruck jenes wohligen Daseins} das Harte und Starre wird frei und gelöst, ruhige Kraft der Bewegung, kräftige Ruhe des Bleibens. Den nächsten Ausdruck findet die Art, wie man sich halten und bewegen will, im Kostüm, Man vergleiche etwa den Schuh der ^Gothik mit dem der Renaissance. Es ist ein ganz anderes Gefiihl des Auftretens: dort schmal, spitz, in langem Schnabel auslaufend, hier breit, bequem, mit ruhiger Sicherheit am Boden haftend u. s. w.— Eine technische Entstehung einzelner Formen zu leugnen, hegt mir natürlich durchaus fern. Die Natur des Materials, die Art seiner Bearbeitung, die Construction werden nie ohne Einfluss sein. Was ich aber aufrechterhalten möchte — namentlich gegenüber einigen neuern Bestrebungen — ist das, dass die Technik niemals einen Stä schajfö, sondern wo man von Kunst spricht, ein bestimmtes Form gefuhl immer das Primäre ist Die technisch erzeugten Formen dürfen diesem Formgefuhl nicht widersprechen; sie können nur da Bestand haben, wo sie sich dem Formgeschmack, der schon da ist, fügen. Weiterhin ist es aber auch nicht meine Meinung, dass der Stil während seines Verlaufes stets der gleichmässig reine Ausdruck seiner Zeit sei. Ich denke dabei nicht an die aufsteigende Geschichte, wo der Stil noch mit dem Ausdruck ringt und stufenweise lernen muss, das, was er sagen will, deutlich und bestimmt zu sagen, ich habe vielmehr jene Perioden im Auge, wo ein fertig ausgebildetes Formsystem von einem Geschlecht an das andere übergeht, wo die innere Beziehung aufhört, wo der Stil, erstarrt und unverstanden fortgebraucht, immer mehr zum leblosen Schema wird. Den Pulsschlag des Volksgemüths muss man dann anderswo beobachten: nicht in den grossen, schwerbeweglichen Formen der Baukunst, sondern in den kleinern decorativen Künsten, Hier befriedigt sich das Formgefuhl ungehemmt und unmittelbar und von hier aus findet dann auch die Erneuerung statt; die Geburtsstätte eines neuen Stils liegt stets in der Decoration1). 1) Meint PsychoL der Arch. S. 50. Vgl. G. Semper* Stil II. 5. gefördert durch die Ge&oltschalt der Frcurttfe JnlversllAl Heidelberg e.V. 4- Einen Stil erklären kann nichts Anderes heissen als ihn nach seinem Ausdruck in die allgemeine Zeitgeschichte einreihen, nachweisen, dass seine Formen in ihrer Sprache nichts Anderes sagen, als die übrigen Organe der Zeit, Indem ich nun für den Barock den Nach weis versuche, gehe ich wiederum nicht aus von einer allgemeinen kulturhistorischen Skizze der Nachrenaissance, sondern halte mich an's Nächstliegende, der VergJeichung sich unmittelbar Darbietende: an die Körperbildung und die Körperhaltung in der darstellenden Kunst, wobei es natürlich nicht um einzelne Motive sich handelt, sondern um den allgemeinen Habitus. Ob der Stil hiedurch vollständig charakterisirt werden kann, ist eine andere Frage. Ich lasse sie vorläufig bei Seite* Die principe eile Bedeutung aber dieser Reduction der Stilformen auf die menschliche Gestalt beruht darin, dass hier der unmittelbare Ausdruck eines Seelischen vorliegt. Das römische barocke Ideal von Körperlichkeit lässt sich etwa so beschreiben: An Stelle der schlanken und gelenkigen Gestalten der Renaissance treten vollmassige Körper, gross? schwerbeweglich, von schwellender Muskelbildung und rauschender Gewandung. (Das Herkulische.) Die fröhliche Leichtigkeit und Elasticität ist verschwunden, Alles wird lastender, drückt mit grösserer Schwere zu Boden. Das Liegen wird ein dunipf unbewegliches, ohne alle Spannkraft. Während die Renaissance den Körper ganz durchfühlte und in enganliegender Kleidung seinen Umriss sich beständig gegenwärtig hielt, wälzt sich der Barock mit Wonne in undurchdrungener Masse. Man fühlt mehr, den Stoff, als die innere Structur und Gliederung. Das Fleisch ist von geringerer Konsistenz, weich, haltlos, nicht die straffe Musculatur der Renaissance. Die Glieder sind nicht gelöst, nicht frei und beweglich in den Gelenken, sondern befangen in der Masse; die Gestalt bleibt dumpf-geballt. Allein dies ist nur die eine Seiten zu der Massenhaftigkeit tritt überall eine inTs Ungestüme und Gewaltsame gesteigerte Bewegung. Die Kunst hält sich überhaupt nur noch an die Darstellung des Bewegten. In dieser Bewegung ist eine 2unehmende Hastigkeit, eine Verschneherung der Action zu beobachten. Man vergleiche etwa die Darstellung der Himmelfahrten. Bei Tizian ist es ein sachtes Wölßiini ReiwfDiflce und Barock. 5 t s^Ps? gefördert durch dke http://digi+ub.uni-heidelberg.deydiglit/woelfflinlS&ß/0076 _.............* . T UniY«5ilai Heidelbergc. © Universitätsbibliothek Heidelberg — 66 — Em porgehoben werden, bei Correggio schon ein Aufrauschen, bei Agostino Caracci fast ein Aufsausen, ^ Das Ideal ist nicht mehr das befriedigte Sein, sondern ein Znstand der Erregung. Man verlangt überall ein affectvolles Thun; was früher die einfache und leichte Aeusseru hg einer kräftig-lebendigen Natur war, muss nun mit leidenschaftlicher Anstrengung vor sich gehen. Das ruhige Stehen wird schwungvollpathetisch oder es erscheint jenes wilde Sich-Aufbäumen,'als ob eine gewaltige Kraft eingesetzt werden müsste, um nicht zusammenzusinken. Wie charakteristisch ist die Umbildung der Sixtinischen „Sklaven'4 des Michelangelo in die entsprechenden Gestalten der Galeria Farnese durch die Caracci 1 Welche Unruhe, welche Verrenkungen ! Alle willkürlichen Bewegungen werden mühsamer, schwerfälliger, verlangen einen ausserordentlichen Kraftaufwand, Dabei agiren die einzelnen Glieder nicht selbstständig und frei, sondern ziehen den übrigen Körper theilweise mit in die Bewegung hinein. Der bis zum Aeussersten zu Ekstase und wilder Entzückung gesteigerte Affect kann im Körper nicht gleichmassig zum Ausdruck kommen: in gewaltsamer Heftigkeit bricht die Empfindung in einzelnen Organen hervor, während der übrige Körper der Schwere allein unterworfen bleibt. Der grosse Kraftaufwand deutet aber durchaus auf keine kräftigere Körperlichkeit im Allgemeinen. Im GegentheiL Die Action der willkürlichen Bewegungsorgane ist eine mangelhafte, die Beherrschung des Körpers durch die Impulse des Geestes eine sehr unvollständige. Die beiden Momente, Körper und Wille, sind gleichsam auseinander getreten. Es ist, als ob diese Menschen ihren Leib nicht mehr in der Gewalt hätten, nicht mehr ganz mit ihrem Willen durchdringen könnten: es fehlt die gleichmässige Belebung und Durchformung, Zustände der Auflosung, des Hingegossenseins, formloser Hingebung bei heftiger Bewegung einzelner Theile werden mehr und mehr die ausschliesslichen Ideale der Kunst. Um ein Beispiel zu haben > vergleiche man die Galatea, wie sie Raffael in der Farnes in a und wie sie Agostino Caracci im Pal+ ZITATS iek t http://cfigJ.Lib.uni-heidelberg.cle/dJglit/woelfflinlSSS/0077 © Universitätsbibliothek Herdelberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. Farnese gemalt hat. Das Beispiel ist sehr bescheiden gewählt, genügt aber völlig zur Bezeichnung des Charakteristischen. Beim Caracci ist die Bewegung lebhafter, affectvoller, aber der Körper, wie weit entfernt von dem leichten Dastehn der RaffaelIschen Galatea! von vollerer Massigkeit, haltlos sich anschmiegend, willenlos dem Zug der Schwere sich überlassend1}. Wo die Schwere im Körper selbst nicht genügend zum Ausdruck kommt, benutzt der Barock seine gewaltigen Gewandmassen, um den Gegensatz aufgeregter Bewegung und dumpfen Niederziehens eindringlich zu machen. So viel von der Körperlichkeit der Nachrenaissance, wie "sie sich in Rom entwickelte2). Es wird nicht schwer sein, die Parallelen zur architectonischen Formgebung zu ziehen: das Massenhafte, die wuchtige Schwere, die Unfähigkeit, sich stramm zusammen zu nehmenT der Mangel an Gelenkigkeit und gleichmässiger Durch form ung, die Verstärkung der Bewegung und die Steigerung der Action inTs Unruhige, Leidenschaftlich-Aufgeregte, es sind beiderseits die gleichen Symptome. Und wieder bleibt die Entwicklung parallel, als der Druck sich hebt und gegen Mitte des 17. Jahrhunderts die Architectur eine Wendung zum Leichtern nimmt. Wir haben uns damit nicht mehr abzugeben. 5, Die Anfänge dieser Kunst liegen natürlich bei keinem Andern als bei Michelangelosoweit man überhaupt das Weltschicksal der Kunst von Einem Menschen ausgehen lassen kann. Man nennt Michelangelo den Vater des Barock, mit Recht, nicht aber wegen der „Willkürlichkeiten", die er sich in seiner Architectur gestattete — Willkür kann nie ein Stilprincip sein —, sondern wegen seiner gewaltigen Art, die Körper zu behandeln, wegen des fürchterlichen Ernstes, der nur im Formlosen seinen Ausdruck finden konnte. Die Zeitgenossen nannten dies das „terribile". Ich will bezüglich des Michelangelo "sehen Stils, wie er in seinen spätem Werken zu immer schärferer Eigenthümlichkeit sich aus- J) Man beachte auch wie RanäeJ den Gegenstand zu einem Hochbild, Caracci zu einem Breitbild verarbeitet. 2) Den Florentinern bleibt der Afiect lange fremd, sie bleiben sauber, gediegen, regelmässig; in Venedig überwiegt das rahige, geniessende Dasein; die Lombarden haben eine grosse Vorliebe für das Zierliche und Niedliche, b* t http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/007a © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durcri die Gest I Kl h dj [ der f muri Unlvcrsitál Heidelberg« bildet, einige Bemerkungen aus der Charakteristik A. Springern wiederholen: ' „Michelangelos Gestalten setzen eine viel stärkere Kraft ein, als dieses in der Natur geschieht und während in der Antike alle Actionen als Aeusserungen freier Persönlichkeiten auftreten und in jedem Augenblick in den Schoss des letzteren zurückgenommen werden können, erscheinen die Männer und Frauen Michelangelos als die widerstandslosen Geschöpfe einer inneren Empfindung, welche die einzelnen Glieder nicht harmonisch und gleich massig belebt, die einen vielmehr mit der ganzen Fülle des Ausdrucks ausstattet., die andern dagegen beinahe nur schwer und leblos bildet"„Es fehlt das gleichmässige Mass der Belebung1*. „Uebermenschliche Kraft einzelner Theile, lastende Schwere anderer1'. Massenhafte, thei) weise herkufische Bildung seiner Körper. Der Eindruck der Unruhe verstärkt durch die rücksichtslose Entgegensetzung der sich entsprechenden Körpertheile (Kontraposto). Eine heftige Empfindung durchwühlt die Gestalten, aber die Bewegung ist gehemmt: sä bricht nur an einzelnen Punkten durch die Dumpfheit der Masse hindurch, dort dann aber um so gewaltsamer und leidenschaftlicher. Manche seiner Figuren, sagt J. Burckhardt, geben auf den ersten Eindruck nicht ein erhöhtes Menschliches, sondern ein gedämpftes Ungeheures2), 6, Man erkennt in den medieeischen Grabgestalten den Höhepunkt dieser Kunst. Sie sind auch der deutlichste Ausdruck der Stimmung, in deren Dienst jener Stil steht. Man braucht sich bei diesen sogenannten allegorischen Figuren weder zu sehr an die Allegorie noch an den Ort ihrer Aufstellung zu halten. Diese Gestalten der Nacht und des Tages, des Abends und des Morgens, wie sie daliegen, dumpf aufseufzend, dem Schlaf sich entringend, die Glieder krampfhaft angezogen oder leblos herabhängend, sie sind durchwühlt von einer tief innern Unruhe und Unbefriedigung, von einer Stimmung, die bei Michelangelo überall wiederkehrt, in seinen Gedichten und in seinen Figuren 3) und die man manchmal 1) Rafiael und Michelangelo IIB 247, Vgl dazu die Aufsätze Henke's: die Menschen M/s im Verhähniss zur Antike, und — über die Sixtina — im Jahrb. d, pr. Kluists. Bd. 6. 2} Cicerone II* 434. 3) Vorbereitet, ja stellenweise geradezu antizipirt sind die Motive der Mediceergrabnguren durch die nackten Figuren über den Zwickel- X http://digi.ub.uri-heidelberg.de/dJglit/woelfflinlSSS/0079 © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Ge&alEschalt der Freunde JnlversllAl Heidelberg e.V. versucht sein könnte Weltschmerz zu nennen, wenn das Wort nicht fad und schwächlich geworden wäre. Man staunt als über ein Wunder, dass Michelangelo seine Stimmungen in plastische Form zwängen konnte es ist vielleicht noch wunderbarer, dass er auch die Architectur dem Ausdruck ■ ähnlicher Gedanken dienstbar zu machen vermochte. Seine Bauten tragen überall den aller persönlichsten Charakter, wie bei keinem andern Künstler. Sie geben die individuelle Stimmung in einer Schärfe und Kraft, die der Architectur stets ferne geblieben war und die auch kein späterer erreicht hat,. 7. Michelangelo hat nieseln glückliches Dasein verkörpert; schon darum greift er über die Renaissance hinaus. Die Zeit der Nachrenaissance ist ernst von Grunde aus. - ■ In allen Sphären macht sich dieser Ernst geltend 2); religiöse Selbstbesinnung, das Weltliche tritt wieder in Gegensatz zum Kirch* liehen und Heiligen, der unbefangene Lebensgenuss hört auf^Tasso wählt für sein christliches Epos einen Helden, der der Welt müde istin der Gesellschaft,9ä den geselligen Umgangsformen ein schwerer gehaltener Ton; nicht mehr die leichte ungebundene Grazie der Renaissance, sondern Ernst und Würde; statt des leicht und heiter Spielenden eine pomphafte rauschende Pracht; überall verlangt man nur noch nach dem Grossen und Bedeutenden. 8. Es ist interessant, den neuen Stil auch in der Poesie zu beobachten. Die Verschiedenheit der Sprache bei Arw&t und Tasso drückt die veränderte Stimmung vollständig aus4)* Es genügt, die Anfänge des Orlando furioso {151 ö) und der Gerusalemme liberata (1584) zu vergleichen. schrägen in der Sixtinischen Kapelle, Vgl. namentlich den Crepuscolo mit der linken Figur zwischen der Ctimaea und dem Esaias. — Auch die Louvresklaven gehen die gleiche Stimmung wieder, — Michelangelos „letzter Gedanke" endlich war das vollkommen formlose Zusammensinken eines Körpers, der Zustand gänzlicher Willcnlosigkeit (Pietä im Dom zu Florenz und Pietä in Pal. Rondanini zu Rom), 1) Springer a. a. O. IL 262. 2) Ich verweise für die ganze geistige Wandlung auf die Darstellung bei Ranke, Päbste 1.8 318 ff, 3) Gerusalemme liberata I. 9. *) Der „ Marin bmus" hat mit der ersten Periode des Barock nichts zu thun. http7/digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/0080 © Universitätsbibliothek Meidelberg gefördert durcri die Gesi'lhihdjc der f muri Universität Heidelberg< 70 — Wie fangt Ariost einfach und munter-beweglich an: Le donne, i cavalier, Tarme, gli amori, Le cortesie, l'audaci imprese io canto, Che furo al tempo, che passaro i Mori D*Africa il mare, e in Francia noequer tanto; etc. Wie anders dagegen Tasso: Canto l'armi pietose, e il Capitano Che il gran sepolcro liberd di Cristo: Molto egü oprö col senno e con la mano; Molto sorlfri nel glorioso acquisto: E jnvan 1* Inferno a lui s'oppose, e invano S'armö d'Asia e di Libia il popol misto; Che il Ciel gli die: favore etc. Man beachte überall die hebenden Beiworte, die hallenden Endungen, die schweren Wiederholungen (molto —, mojto —; e invan — e invano), den gewichtigen Satzbau, den verlangsamten Rhythmus des Ganzen, ^ Aber nicht nur der Ausdruck, ^ich die Anschauungen^die Bilder werden grösser. Wie vielsagend ist z. B- die Umgestaltung, die Tasso mit dem Musentypus vornimmt. Er erhebt sie in unbestimmte Himmelsräume und statt dem Lorbeerkranz giebt er ihr „eine goldne Krone von ewigen Sternen" Mit der Bezeichnung „gran" wird nicht gespart, überall soll die Phantasie zu bedeutenden Vorstellungen veranlasst werden. Die gleiche Tendenz finden wir schon früher in einem ausserordentlich interessanten Beispiel, in der Umarbeitung, die Berni rtijf dem Orlando üinamorato des Bojardo vornimmt, gegen die Mitte des 16, Jahrhunderts, etwa 50 Jahre nach Erscheinen des Originals2). Wo Bojardo etwa schrieb: „Angelica scheint der Morgenstern, die Lilie des Gartens, die Rose vom Beet", da ändert Berni: „Angelica 1) O Mosa, tu che di caduchi allori, Nun circondi la fronte in Elicona, Ma su nel Cielo infra i beati cori. Hai di stelle immortali aurea Corona etc. (canto I, 2.) 2) Vgl. L. v. Ranke, Zur Geschichte der italienischen Poesie (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1835). Hieraus ist das folgende Beispiel entnommen. — Bojardos Gedient erschien 1494, die Umarbeitung 1541. UNIVERSITÄTSBIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.jb.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSS8/0081 y © Universitätsbibliothek Herdeiberg gefördert durch die Gesellschaft der Freund» Universität Heidelberg e.V. scheint der leuchtende Stern im Osten, ja um die Wahrheit zu sagen> die Sonne". Das Bild ist grösser, einheitlicher, rauschender geworden. Bojardo geht viel zu sehr in's Einzelne und Besondere, er Hebt noch die bunte Mannigfaltigkeit der Frührenaissance, das Kleine und Viele. Die spätere Zeit sehnte sich nach dem Grossen. Allgemein kann man sagen; während die Renaissance mit Liebe in jedes Detail sich versenkte, und ^ur sein Sonderdasein sich interessirte, also dass die Kunst weder in der Mannigfaltigkeit noch in der intimen Durchgestaitung des Einzelnen sich genug thun konnte, tritt man jetzt überall weiter zurück, man will nicht nur das Grosse im Einzelnen, sondern überhaupt nur noch einen GesammEeindruck: weniger Anschauung^ mehr Sti0nungt 9, Es ist offenbar, dass wir hier an einen Punkt gelangt sind, wo wir weiter gehen als die Analyse der barocken Körperlichkeit uns führen konnte. Und eben dass der Barock sich nicht rein in Körpermotive auflösen lässt, ist ein wesentliches Merkmal des Stils, Er hat für Werth und individuelle Bedeutung der einzelnen Form keinen Sinn, sondern nur für die dumpfere Wirkung des Ganzen; das Einzelne und Begrenzte, die plastische Form hört auf bedeutsam zu sein, man komponirt nach MasscnerTecten, ja die aller-unbestimmtesten Elemente: Licht und Schatten werden die eigentlichen Mittel des Ausdrucks, Mit andern Worten: dem Barock fehlt jene wunderbare Intimität des Nacherlebens jeder Form, die der Renaissance eigen war; er fühlte den architectonlschen Körper nicht njehr durch in dem Sinn, dass er jedes Glied in seiner Function (sympathisch-) mitempfindend begleitete, sondern hält sich an das (malerische) Bild des Ganzen, Die Licht Wirkung gewinnt eine grössere Bedeutung als die Form, Woher kommt diese Abnahme in der Fähigkeit des plastischen Nachfühlens \ — Ich verzichte darauf, dieses Phänomen zu erklären. Es scheint durch verschiedene Factoren bedingt zu sein; ein Haupt-factor möchte in dem zunehmenden Interesse für „Stinnttumg"* das Wort im modernen Sinne gebraucht, vorliegen. Der gute Stil war dadurch in doppelter Weise bedroht. Einerseits verdirbt der Stirnmungskultüs die Feinheit des Körpeigefuhls, andrerseits drängte das Verlangen nach Stimmung die Architectur in einen unvortheilhaften Wettstreit mit der Malerei, deren Kunstmittel recht eigentlich zum Stimmungsäusdruck geschaffen sind. Die Malerei ist eben darum die spezifisch moderne Kunst geworden, sie ist die Kunst, * f http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl8S6/0082 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch dte Gesi'lhihdjl der Fiiiun UnlvcrsJtál Heidelberg { — 72 — in der die Neuem am vollständigsten und unmittelbarsten sich aussprechen können. Und doch war für den Barockgeist die Architectur als Aus-drucksmittcl unersetzlich: sie besass etwas ^anz Einziges: sie war fähig, den Eindruck des Erhabenen zu geben. Hier treffen wir auf den Nerv des Barock* Er kann sich eigentlich nur im Grossen offenbaren. Der Kircfcenbau ist der Ort, wo er sich allein ganz befriedigt: Auf geilen im Unendlichen, Sich-Auflösen im Gefühl eines UebergewalHgen und Unbegreiflichen, das ist das Pathos der nach-klassi sehen Zeit. Verzicht auf das Fassbare. Man verlangt nach dem Ueberwältjgenden Es ist eine Art von Berauschung, mit der die Barockarchitectur, mit der vor Allem jene ungeheuren Räume der Kirchen den Sinn erfüllen. Eine dumpfe Totalempf^adung, man kann das Object nicht fassen, formlos möchte man sich hingeben an das Unendliche. Die neu entfachte Religiosität des Jesuitismus stimmt sich mit Vorliebe durch die Vorstellung der grenzenlosen Himmelsräume und der unzählbaren Chöre der Heiligen zur Andacht2). Man schwelgt in der Vorstellung des Unvorstellbaren, mit Begier stürzt man sich in die Abgründe der Unendlichkeit. Aber die formlose Entzückung gehört nicht der jesuitischen Kirchlichkeit altein an: ohne zu betonen, dass auch von einem Giordano Bruno gleichzeitig die Wonne dieser Gefühle durchgekostet wurde — das Aufgehen im All ist ihm die höchste denkbare Seligkeit3) —, will ich nur bemerken, dass der Jesuitismus eine bereits lange vorbereitete Sache übernimmt. Wir finden eine Steigerung des Empfindens nach dieser (pathologischen) Seite schon in den letzten Jahren Raffaels, Die heil. Cacilia (1513), die die Anne sinken lässt und überwältigt von der himmlischen Musik stumm aufblickt, nicht um zu sehen, sondern um den Tönen sich entgegenzuöfTnen, ist der Anfang zu der ganzen Masse der spätem Bilder, die die gleiche Stimmung, heftigert leidenschaftlicher, als wollüstiges Hinsinken, als entzückte Ekstase oder t) „Die Schönheit ist für ein glückliches Geschlecht, aber ein unglückliches muss man erhaben zu rühren stachen", — Schiller an Süvern. VgL Springer, RarTael und Michelangelo, Vorrede zur zweiten Auflage* 2} Ignafit Loyelae exercitia Spiritualia. 1548 11, o. präludiunu 5) „Liebt ein Weib, wenn ihr wollt, aber vergesst nicht Verehier des Unendlichen zu sein". gefordert durch die Bibliothek7^ |[T http://digi.Lib.jni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSS8/00S3 (^IbchtftdwFreunde HE)Helberg \s © Universitätsbibliothek Heidelberg — 73 — als sehnsuchtsvolle Hingabe und überirdische Beseiigung wiedergeben. — Die Sehnsucht der Seele, im Unendlichen sich auszuschwelgen, kann in der begrenzten Form, im Einfachen und Uebersichtlichen , keine Befriedigung finden. Das halb geschlossene Auge ist nicht mehr empfänglich für den Reiz der schönen Linie, man verlangt nach dumpferen Wirkungen: die überwältigende Grösse, die un-, begrenzte Weite des Raumes, der unfassbare Zauber des Lichtes, , das sind die Ideale der neuen Kunst. C. Justi charakterisirt den Piranesi gelegentlich1) als eine „modern-leidenschaftliche Natura*: „die Unendlichkeit, das Mysterium * des Erhabenen — des Raumes und der Kraft — ist seine Sphäre'*, Die Worte haben eine typische Bedeutung. iöT Man wird nicht verkennen, wie sehr gerade unsere Zeit hier dem italienischen Barock verwandt ist. In einzelnen Erscheinungen wenigstens. Es sind die gleichen AfTecte, mit denen ein RicJtard Wagner wirkt, „Ertrinken — versinken — unbewusst — höchste Lust l" — Seine Kunstweise deckt sich denn auch vollständig mit der Formgebung des Barock und es ist kein Zufall, dass er gerade auf Palestrina zurückgreift3); Palestrina ist der Zeitgenosse des Barock. Man ist nicht gewohnt, die^Kunst Palestrina's als Barock zu bezeichnen. Und doch muss eine vergleichende Stilanalyse die Verwandschaft klarlegen; aber da, wo für die Eine Kunst der Verfall beginnt, findet die Andere eben erst ihr eigentliches Wesen. Was man in der Architectür tadelt und als sachwidrig empfindet, kann in der Musik als durchaus angemessen erscheinen, weil sie ihrer Natur nach auch zum Ausdruck formloser Stimmungen geschaffen ist. Gerade das Zurückdrängen des geschlossen - rhythmischen Satzes, des streng-systematischen Aufbaues und der Ubersich tlich-klaren Gliederung kann für den Stimmungsausdruck in der Musik wohl entsprechend, ja nothwendig sein, die Architectür überschreitet damit ihre natürlichen Grenzen, Und so wird das „Lebensetement" der Palestrina'sehen Musik, was man als „Latenz des Rhythmus" (Ambros), als die Aufnahme eines „A-tactischen" C Justi, Winckelmann. I, 354. 2) ßw Wagner, Sämmtliche Werke. IX. 98 f. UNIVERSITÄT^ iíSp? HEinELHERG http://digi+ub.uni-heidelberg.deydigJit/woelfflinl886/0084 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch dte Gesi'llvchdjl der Fiuundť Unlwrsiiál Heidelberge.V — 74 — (Scidl) in die Kunst bezeichnet hat1), als ein Fortschritt begrüsst, für die Architectur bezeichnet es Auflösung. Ihre Biüthe ist bedingt durch ein allgemeines und starkes Gefühl für das Glück der Formung und Begrenzung. Die Renaissance hatte dies besessen. Die höchste Schönheit, die „concinnitas", ist nach dem Worte Alberti's, „animi rationisque consors", sie ist der Zustand der Vollkommenheitt das Ziel, das die Natur in allen ihren Bildungen erstrebt2). Wo immer uns etwas Vollkommenes begegnet, da fühlen wir sofort dessen Gegenwart, denn unserm Wesen nach verlangen wir danach, „natura enim optima concupis-cimus et optimis cum voluptate adhaeremus". Das Vollkommene ist das genaue Mittel zwischen dem Zuviel und Zuwenig, Für die Kunst des Formlosen giebt es keine Begrenzung, keinen erschöpfenden und abschliessenden Ausdruck, Die klassische Zeit der Renaissance empfindet wie die hohe Antike. Und um den welthistorischen Gegensatz zum Barock in aller Kraft hervortreten zu lassen, weiss ich nichts Besseres zu thun, als das zu wiederholen, was Justi als die Merkmale von Wincketmann's Kunstgefühl, als einer klassisch gearteten Natur aufführt 3): Mass und Fornij Einfalt und LinienadeJ, Stille der Seele und sanfte Empfindung, das waren die grossen Worte seines Kunstevangeliums. Krystallhelles Wasser sein Lieblingssymbol. — Man setze das Gegentheil eines jeden dieser Begriffe und man hat das Wesen der neuen Kunst bezeichnet. !) A. Seidt, Vom Musikalisch-Erhabenen. Leipziger Dissertation. 1887. S+ 126. —- Antbros, Musikgescb* IV, 57. 3) Lib. IX: Quldquid enim in medium proferat natura, id um no ex {&ncitittit. 99, gefördert durcri dir http://digi+ub.uni-heidelberg.deydiglit/woelfflirilS&ß/00S6 _.............* . t >■ UnlYwsitil Heidelberg í". / © Universitätsbibliothek Heidelberg — 76 — der Wirksamkeit dieser Factor en: als man in Venedig, beim Bau des Redentore über die centrale oder longitudinale Gestaltung unschlüssig war, entschied der Hinweis auf die Schönheit des Gesü1). Ich würde aber daraus noch nichts schliessenj Ii esse sich nicht die gleiche Veränderung nach weisen wo immer man hinsehen will; in der Decoration überall der Fortgang vom Runden zum Ovalen, vom Quadrat zum Oblongum u. s, w. Psychologisch gesprochen: man giebt das Befriedigte und Ruhende auf und verlangt nach dem Bewegten und Werdenden. Man will nicht das Fertige, sondern den Reiz der Spannung. Die Centraianlage giebt sich mit einem Mal, ganz und vollständig, sie stellt sich dar als ein absolut Vollkommenes, das nichts Weiteres will, sondern nur des ruhigen Daseins sich freuf. Das Longitudinale hat dagegen eine bestimmte Richtung und scheint sich in dieser Richtung fortwährend zu bewegen. Das kirchliche Langhaus mit Kuppel weiss diesen Eindruck aufs Höchste zu steigern: mit Zaubergewalt wird der Eintretende vorwärts gezogen, dem Licht entgegen, das aus der Kuppel herab-flutet Die Kuppel selber wird erst im Vorwärtsschreiten, sie wächst vor unserem Auge und eben dieser Reiz des Werdens war so recht im Sinne der Barockkunst. Der Gegensatz zur Longitudinalbewegung der Gothik besteht darin, dass der Barock zwei Momente ineinander spielen lässt: das Langhaus, das in der Apsis endet und die Kuppel, die Alles In sich aufsaugt. Das Erstere wird so kurz gebildet, dass die Kuppel nicht als blosses Anhängsel erscheint, sondern ihre centralisirende Kraft überall als wirkend empfunden wird. Das Langhaus erhält eine Ausdehnung von kaum zwei Kuppeldurchmessern. Dazu kommt, dass es als einheitlicher Raum mit blossen Kapellen zur Seite gestaltet wird, die Kuppel also der ganzen Breite entsprechen kann. {Das Weitere u,) Typisches Muster Gesü von Vignola 1568, (Abb. 13). * Frühere Symptome der Wandlung: Bramante selbst soll schliesslich noch ein Langnausproject für S. Feter ausgearbeitet haben (nach dem Zeugniss des Onophrius Fanvinius, de basilica Vaticana). Ob freiwillig? Ich möchte darauf den Durchschnitt beziehen, den Geymüller, T. 25 Fig. 3 mittheilt. Ein Langhaus projectirten auch 2) D&kme* Norditalienische Centraibauten. Jahrb, der k preuss, Kunstsammlungen V. BiRi^TEiIhT http://digi.ub.uri-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/0087 Heidelberg L||/ © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Ge&oltsthält der Freunde Universität Heidelberg e.V. í Raflael 1} und A n t. da Sangallo. Sehr einflussreich waren gewiss die letzten Aeusserungen Michelangelos zu Gunsten des Langbaues; S, Giovanni de'Fiorentini und S. M, degli Angeli. Die entscheidende That: der Umbau von S, Peter. — Für kleinere Kirchen tritt an Stelle des runden Raumes der ovale. Erster (?) Entwurf bei Serlio lib. V. foL 204; die Form ist nicht häufig. In Rom: S. Andrea (Vignola), ovale Kuppel über oblongem Raum (c, iS5o}; Giac. degli Incurabili (Franc, da Volterra}; S> Andrea (Bernini); S. Carlo alle quattro fontáne (Borromini) etc. Reine Cent raibauten kommen erst wieder inj der zweiten Periode des Barock, die ein anderes Lebensgefühl besitzt. Ober Italien hat dagegen nie darauf verzichtet; wie es in der darstellenden Kunst das Existenzbild festhielt, so ver Hess es auch in der Architectur nie ganz die Formen des Seins. 2, System der Facaaenbildung. Der Centraibau kann die Fagade missen, der Langbau bedarf ihrer unbedingt. Unter der Behandlung der Barockacchttecten wird sie zu einem höchst prächtigen Schaustück , das ohne organischen Zusammenhang mit dem Innern dem Kirchenkörper vorgesetzt wird. Selbst die Seitenansichten werden vollständig vernachlässigt. Im Gegensatz zur Renaissance ? die eine unendliche Fülle von Bildungen versucht hatte (das meiste ist Entwurf geblieben), zeigt der Barock sofort einen bestimmten Facadentypus t der sich sehr klar entwickelt. Er giebt zwei Geschosse, ein unteres in der Abb. 13, II Gesü* Grundriss. *) Nach der,Kritik des Ant. de Sangalle wäre es sehr dunkel gewesen. „Delta nave sarä ischurissima". (Vasari, comment., V. 477.) Man muss annehmen, dass Raftkel auf die malerische Kontrastwirkung von dun keim Schiff und lichtem Kuppel räume rechnete. Vgl. die ähnlich dunkel-malerische Architectur des Heliodor. gefördert durch die Gŕíľ I Ist h dj I der Fii'und Universität Heidelberg?. Höhe der Kapellen, und ein oberes, von geringerer Breite, dem Mittelschiff entsprechend, oft weit darüber hinaus in die Luft ragend, mit einem Giebel bekrönt. Seitlich legen sich Voluten daran. (Es ist ein Ausnahmefall, wenn das Obergeschoss gleiche Breite bekommt.) Die Mauer ist gegliedert durch Pilaster, und zwar so, dass Tinten fünf, oben drei Felder entstehen; bei kleineren Dimensionen auch drei und eins. Das Mittelinterwall? ettfas breiter, mit Thüre und Oberfenster; die anderen Flächen gefuilt mit Nischen und rechteckigen Eintiefungen, Dieser Typus rindet sich in fast Schema-tischer Reinheit an der Fagade von S. Spirito della Sassia a). (Abb. 14.) Sie ist noch nicht barock, aber sie enthält die Elemente, in deren Gestaltung und Gruppirung der neue Stil sich alsbald kund giebt Die Gliederung durch einfache PÜaster wird bei gesteigerten Grössen Verhältnissen als ungenügend empfunden, es erscheinen gekuppelte Pilaster, Halbpilaster schliessen sich zu beiden Seiten an, es entsteht die Form des Doppelpilasterbündels u. s4 w. Die Säule stirbt nie ganz aus, aber erst im 17, Jahrhundert fängt sie wieder an, sich lebhafter zu regen , so dass sie nicht auf das Portalfeld beschränkt bleibt, sondern über die ganze Fagade sich verbreiten darf. Sie muss aber lange warten, bis ihr wieder eine freie Bildung zu Theil wird. Anfänglich bleibt sie noch zur Hälfte oder wenigstens zu einem Vierttheil in der Mauer stecken. S. M. in Campitelli (von C. Rainaldi 1665) gehört zu den ersten Beispielen, wo sie ganz frei heraustritt. Nur erhält sie jetzt stets einen entsprechenden Abb, 14, 5. Spirito. Schematische Zeich nung. !) Als Autor gilt gewöhnlich A. da Sangall o. G. Milanest will sie dem B. Peruzzi zuschreiben (Vas. IV. 604. n. 3.), mit Unrecht, wie mir scheint. — Jedenfalls ist das Innere von Sanga11o,T er vollendete aber den Bau nicht selbst, erst unter Sixtus V« wurde die Facade zu Ende gefuhrt und zwar von Ottaviano Mascherino. (Baglioni, vite p, 94,) Der Vergleich mit dessen übrigen Werken lässt veranuüien, dass er in allem Wesentlichen an die Zeichnung Sangallo's sich hielt. UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK ILniPELBERO X http://digLLib.uri-heideiberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/00S9 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. — 79 — Pilaster im Rücken* — Für die Ordnung der mauergliedernden Pilaster, die anfangs im oberen und unteren Geschoss die gleiche ist, wird bald Abwechslung zur Regel. Gewöhnlich folgt auf eine korinthische (seltner dorische) eine komposite Ordnung. Wie in der späteren Antike wird das bewegte Blätterkapiteil das Beliebteste, Neu ist die massige Bildung der Blätter: man giebt nicht den ge-zakten Akanthus, sondern eine weich-rundliche Form fy. Seit A, da Sangallo ist dies die ständige Form; sie rindet sich auch in der regola des Vignola. — Fries und Architrav bleiben ohne Ornament, doch trägt der Erstere in der unteren Ordnung gewöhnlich eine Inschrift (die Dedication), die später, als Verkröpfungen hau Mg wurden, mit grosser Rücksichtslosigkeit selbst über diese hin weggeführt werden (z. B, an S. Ignazio, 1636; S. Ambrogio e Carlo u. a.J. Von Kapitell zu Kapitell schwingt sich ein Kranz oder der Raum wird mit einer Cartouche gefüllt. Die Abgrenzung etner eigenthümlichen Kapitellzone geht weit in die Renaissance zurück, * Das Motiv fand man an den römischen Triumphbogen» Zuerst nur ein Rahmen ohne Füllung; dann Füllung mit Kranz oder Cartouche in immer üppigem Formen, so dass schliesslich kein Fleckchen mehr leer bleibt. Die Behandlung ist eine verschiedene am obern und untern Geschoss und wieder an den innern Feldern im Gegensatz zu den äussern. Es wird später davon die Rede sein. Die Felder zwischen den Pilästern erhalten anfänglich gewölbte (leere) Nischen und oben und unten davon rechteckige Eintiefungen {oder vortretende Tafeln), Schon in den 70er Jahren aber, als der Stil ganz ernst wird, vermeidet man die runde Bildung der Nischen oder spart sie wenigstens dem freiem Obergeschoss auf, während unten rechteckige Fensterarchitecturen ihre Steile einnehmen. (Vgl die Gesü-Fagade nach dem Entwürfe des Vignola und des Giac. della Porta.) Jedenfalls aber wird die Nische von nun an mit einer Giebelkomposition umschlossen, wobei einer der durchgreifendsten Barockgedanken zur Erscheinung kommt: die ganze Kraft der Decoration nach oben zu werfen. Der Giebel wird nicht getragen von Halbsäulen oder Pi lästern, sondern, stark vorspringend und reich geschmückt, ruht er auf üppigen. Konsolen, *) Die antike röroiiche-Architectur hatte am griechischen Kapitell schon eine Umformung im gleichen Sinne vorgenommen. Sie wählte acamhus mollis statt acanthus spinosa. universitAts- "ffS^ bibliothek HEIDELBERG l ^ http://digi.ub.iJriHheiddberg.de/diglit/ woelfflin 1868/0090 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die GeseHxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 80 — die auf einfachen Rinnen oder Leisten auflaufen. Die Fusslinie des Giebels ist dabei meist durchbrochen, um der geschlossenen Horizontale zu entgehen und gleicherweise wird das Fussgesims durch stehende Konsolen oder Verfängerungen der Seitenteisten in seiner Schwere entlastet Ein leichter Kranz thut das Uebrige. Die Nische selbst aber soll nicht als Hohlraum wirken, sie ist dem Barock undenkbar ohne Statue und die leidenschaftlich bewegten Gestalten dieses Stils machen im Verein, mit einer üppigen architectonischen Einfassung, wie wir sie eben beschrieben, ein Ganzes von prächtigster Bewegung. Die begleitenden Tafeln, die als Andeutungen von Reliefs gelten mögen, wie sie Michelangelo zuerst für S. Lorenzo (Florenz) geplant hatte, machen im Kleinen die gleiche Entwicklung durch; auch sie bekommen starkschattende Giebel, leichte Fussverzierungen jund eine schwellende Füllung, Das Portal, ursprünglich einfach und durchaus untergeordnet, wird durch mehrfache vortretende Säulen allmählig zum Hauptstück der Fa^ade. Das Portalfeld bekommt einen eigenen Giebel, sogar einen doppelten (Segment und Dreieck ineinandergeschachtelt). Ebenso erhält das Fenster im Obergeschoss eine erhöhte Bedeutung für die Komposition: aus einem schmucklosen Rund wird es zu einem Prachtfenster, in dem die Architectur der Nischen ihre höchste Steigerung erfahrt. Die Voluten zeigen lange eine schwankende Formation: jene ersten, die L. B. Alberti an S. M. Novella gebildet und mit einer todten Inkrustation verziert hatte, blieben ohne Nachfolge, Auch die Voluten vom Dom in Turin und von S, Agostino in Rom zeigen die grosse Unsicherheit, die man dieser Form gegenüber empfand. Michelangelo projectirte für S, Lorenzo, sie durch angelehnte JüngUngsstatuen von kolossaler Grösse zu ersetzen. Vignola gab einen einfachen, ziemlich steilen Anlauf ohne ornamentale Behandlung (wie in andrem Zusammenhang — an der Kuppel — auch Bramante; vgl. Serlios Zeichnung, lib+ III. fol. 66). San-gallo ist schwungvoller {vgl, S, Spirito; die gleiche Form an seinem Fagadenentwurf bei S. Peter, bei Geymüller a. a. O. T. 48 Fig, 2)* Ihm folgt der junge Giac, della Porta an S« Gaterina de Funari, sucht aber durch Hinzufügung eines rückwärts gebeugten Nebenblattes am oberen Ende mehr Kühlung mit dem Hauptkörper zu gewinnen; bizarre Lösungen des Problems an S. Girolamo (M Lunghi sen.) und namentlich an S. M, traspontina (Mascherino): UNIVERSETÄTS BIBLIOTHEK HEIDELBERG X http://digi.ub uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/009J © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die GesetEschalt der freunde Universität Heidelberg e.V. — 81 — die Volute als Anlauf wie bei Vignola, aber oben mit Schneckenwindung endend und bekrönt von einem weiblichen Kopf mit jonischem Kapitell Offenbar ein Versuch zu karyatidenartiger Bildung, der aber erst spät dem jüngeren Lunghi an S. Vincenzo ed Anastasio und S, Antonio de' Portoghess glückt, wo die Aufgabe frei und schwungvoll gelöst ist. Die Durchschnittsform fand Giac. della Porta (Gesu); die Volute ist schwer, aber lebendig^ das Niederrollen statk betont, wie es dem ernsten Stil gemäss ist, Maderna schliesslich gab der Linie den Charakter leidenschaftlicher Anstrengung (S. Susanna). Inf späteren Barock verliert das Glied die Schwere und wird meist als einwärts gewölbte Strebe^ behandelt. So in den oben angeführten Bauten des jungen M. Lunghi, an S. Marcello von C. Fontána (als Palmzweige) u. s. f. In Florenz erscheint die Volute — sehr kleinlich — in der Mitte gebrochen, dT h. sie ist zusammengesetzt aus zwei Gliedern, die sich in die Form theilen. Der Sinn für Schwung und grosse Bewegung fehlt hier gänzlich. (Vgl. z. B. -S. Trinitk von Nighetti.) Noch weiter vom römischen Barock entfernen sich die venezianischen Decoratoren, die die Volute in blosses Arabesken werk auflösen. (Vgl. S. M. ái Scaízi von Salvi.) Der Giebelrand wird in der schweren Manier durch breite Akroterien nach seiner horizontalen Bedeutung hervorgehoben. Die einzelnen Pilaster in Statuen, Obelisken, Kandelabern, Flammentöpfen ausklingen zu lassen, ist kein barockes Motiv. Vignola wollte für den Gesu noch Statuen, Porta beseitigte alles dergleichen. Wenn der Barock eine Bekrönung giebt, so geschieht es in einer Massenform, wie eine Balustrade es ist, die für die ganze Facade gleichmässig gilt. Maderna an S. Susanna, (Das Motiv nahegelegt und eigentlich allein zu entschuldigen durch die Balustraden auf den Mauern zu beiden Seiten der Fagade. Abb. i3.) Auch die Stufen vor der Kirche werden zu Massenformen ausgebildet, nicht mehr einzeln vor der Hauptthüre, sondern stets über die ganze Breite der Facade hingeführt, (An S. Susanna ist die jetzige Form eine falsche moderne Restauration.) Selbst grosse Treppenanlagen, wie an S. Gregorio Magno, das auf der Höhe des Monte Celio steht, werden in keiner Weise gegliedert, um die Horizontalen in ihrer ganzen Macht wirken zu lassen, — Sonst sind die Treppen nur von sehr geringer Höhe; sie entsprechen dem Sockel der Kirche* und der Barock bildet dieses Glied durchweg Wtilßlitti RcnaLHanoe Und Barock. g UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.iJiii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/009? © Universitätsbibliothek HeideEberg gefordert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. sehr niedrig. Die Theoretiker der Renaissance verlangen dagegen gerade hiefiir möglichste Höhe, Je hoher, desto würdiger. ^So Alberti und auch noch Serlio, So' viel über die Gestaltung der einzelnen Theile. Wie eigentümlich-sie immer gebildet sein mögen, sie machen nicht das Wesen des Stils aus, das Hauptsächliche bleiben die neuen Frincipien der Komposition, Nische und Tafeln sind die Elemente der Flächendecoration. An S, Spirito sind sie so vertheilt, dass die Nische die Mitte des Feldes einnimmt, nach oben und nach unten in gleichem Abstand je eine Tafel folgt und nach allen Seiten ein angenehmer Raum frei bleibt* Dies ist Renaissanceempfindung. Der Barock bringt ein neues Gesetz: die Fläche wird nicht mehr als ein in sich geschlossenes Ganzes befriedigend gefüllt, die Nischen erscheinen beengt zwischen den Pilästern, sie haben nicht genug Raum um sich, darum drängen sie nach oben; sie halten sieh nicht mehr ruhig in der Mitte der Fläche, sondern wie schon ihre decorative Gestaltung den Hochdrang ausspricht, so zeigt auch ihre Lage, dass sie mit aller Macht aufwärts streben: gewöhnlich gehen sie so weit, bis sie an der Kapitellzone anstossen, oft wird auch diese durchbrochen. Nun muss aber eine solche Komposition beunruhigend, ja ängstigend wirken, wenn nicht eine Lösung des Konflicts geboten wird, Sie erfolgt in der That im Obergeschoss s hier beruhigt sich die Erregung, Fläche und Füllung kommen in ein befriedigendes Verhältniss. ^ Dieser verticalen Entwicklung geht eine horizontale zur Seite, S, Spirito zeigte eine Facade von fünf Pilasterintervallen, gleichmässig nebeneinander, mit der einzigen Abwechslung, dass das mittlere etwas breiter war. Diese Koordination ersetzt der Barock durch eine energische Subordination. Und zwar in einem anderen Sinne als die Renaissance Subordination verstand. Auch sie hatte ihre Facaden gegliedert in unabhängige und abhängige Theile: gewöhnlich ist es ein dominirender Mittelbau, flankirt von kleineren Eckbauten, die durch zurücktretende Fartieen mit dem Hauptkörper verbunden sind. Die subordinirten Glieder aber — und dies ist das Entscheidende — bewahren stets den Charakter selbstständiger Individualität, sie sind untergeordnet, aber gemessen eine ganz freie Entwicklung, man merkt in keiner Linie, dass sie http://digr.Lib.uri-heideiberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0093 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert duřeli die Gesettschalt der Freunde Unlvcrsitäl Heldelberg e.V. t ■■ m ■ - š? - ihr Wesen ob eines Anderen, Mächtigeren Willen verläugnen müssten. Der Barock dagegen erkennt keine freien Einzelexistenzen an; Alles bleibt in der allgemeinen Masse beschlossen. Seine horizontale Gliederung besteht darin, dass ein Mittelstück vortritt, die Seitentheile aber stufenweise zurückbleiben und in einem formlosem , ungegliederten Zustand verharren. Schmuck und Säulen verbreiten sich nicht gleichmässig über die ganze Breite der Facade, sondern es findet nach der Mitte zu eine Steigerung statt von Pilastern zu Halbsäulen, von Halb- zu Dreivicrtelsäulen und während die Eckfelder leer bleiben, entfaltet sich in der Mitte die Pracht der Decoration in aller Fülle. Fügt man hinzu, dass in der Grösse stets das Kolossale gesucht wurde> so möchten die Gesetze erschöpft sein, nach denen jene Fagaden entstanden, über denen nicht nur Rom, sondern ganz Italien die Renaissance in Kurzem vollständig vergessen konnte. Die zweite Periode des Barock hat schon keinen Sinn mehr für ■ die verticalen und horizontalen Steigerungen, sie decorirt die Fläche gleichmässig durch (schon S. Andrea della Valle 1665}. In Oberkanten, namentlich Venedig, war von Verständniss hiefiir überhaupt nie die Rede, An einer organischen Durchgestaitung des Kirchenkörpers war dem Barock nichts gelegen. Die Langseiten werden vollständig vernachlässigt und dies nicht einmal verdeckt. Man begnügt sich mit der reichen Ausfuhrung des Kopfes, die anderen Theile brauchen nur leicht angelegt zu sein. Man nimmt Backstein r. statt Travertin; eine dürftige Folge von Lisenen fasst anfänglich noch die Kapellenfenster ein, später unterbleibt auch diese; ebenso verschwinden die Voluten, die sonst oben an dem zurücktretenden Oberbau nach dem Muster der Facadenvolute wiederholt worden waren. Auffälligstes Beispiel dieser Vernachlässigung: die Nebenseiten von S, M. del miracolo und del monte, die den Eingang zum Korso bilden. Die Gestaltung der Umgebung kann sich selbstverständlich auch nur auf den Platz vor der Facade beziehen, Bramante hatte für seine centralen Bauten allseitig umschliessende Rahmen pro- jectirt. Vgl. die grossartige Einfassung von Portiken, die 3» Peter bekommen sollte (bei Geymüller Taf. 7), Der Barock, der in seiner Architectur principiell nicht von Körpern spricht t wünscht im Gegentheil den Biick von den Seiten abzuhalten. Was hinter der 6* UNIVERS1TÄTS- "fS^ BIBLIOTHEK HEIOELBERG I ^ http://digi.Lib.iJrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/0094 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 84 Fagade sich birgt, soll Ueberraschung sein* Dagegen wird für die Facade selbst womöglich ein weiter Vorraum geschaffen. Der Barock braucht Platz. Grossartigstes Muster: die Colonnaden Bernini's^^ 3. Jitstorische Eniwickelimg des Fü$adenb&ues. Wir haben gesagt, S. Spirito gebe gleichsam das Schema für alle späteren Fagaden: Alles noch im Keime enthalten, keine besondere Lösung vorausnehmend. Die zwei Ordnungen oben und unten gleich, kein Vortreten der Mitte, das Gebälk bleibt ganz ruhig und ungebrochen. Facade von •£ Caterma de* Funari^) von Giacomo della Porta, Sein Erstlingswerk; vollendet 1563. Das neue Gefühl ist vorhanden, aber wagt nur erst leise sich kundzugeben, Filasterordnung noch gleich in beiden Ordnungen, aber die Flächenfüllung schon verschieden nach den Stockwerken: unten gedrängt, ohne freien Raum, oben wohliger Die Kapiteüzonen mit saftigen Kränzen. Horizontale EntWickelung: die drei Mittelfelder mit dem Gebälk vorgeschoben, Eckpilaster einzeln verkröpft. Thürbildung schon bedeutender mit freien Säulen. Im Ganzen noch eine schüchterne Schlankheit2). Gesu in Rom* Das erste grosse Werk, das Porta als Nachfolger Vignola's schaffen durfte. Die Aenderungen, die Porta am Plane seines Vorgängers vornahm, sind von allerhöchstem Interesse. Man sieht hier in das intimste Wachsthum des Stils. Vor dieser Betrachtung möchte ich aber die kleine Facade von S. M. de1 monti (Abb, IS)3) heranziehent die zwar erst nach dem Gesu entstand (1580 vollendet), aber im Zusammenhange mit der eben analysirten S. Caterina besprochen werden muss, Sie zeigt den gleichen Typus 16 Jahre später. 1) Abb. bei Rossi, insignia templa Romae, foL 61. Lefar&uilty, irdificcs de Rome moderne. L pl, 7. Peyer-Imhöfj Renaissance - Archi.-tectur Italiens, Taf. 34. Gttrlitt, Barock in Italien* Fig, 26* 2) Die Facade von S. Annunziata zu Genua (Abb, bei P. P. Rubens, paJazzi di Genova. I\ 61) wird dem römischen Porta mit Unrecht zugeschrieben, Sie ist von seinem maüandischen Namensvetter gebaut (s. oben S. 7, Anm, 7), was man dem principiell verschiedenen Stil schon hätte entnehmen können. 3) Rossi i 71. Letaromlly, 27, Burckhardt, Renaissance in Italien. Fig. 67. t http://digr.Lib.uri-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0095 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde Universita! Heidelberg e.V. — 85 — Die Fagade wirkt schwerer und bewegter. Sockel niedrig, Hlaster breit, starke Attica über der ersten Ordnung, wodurch dem Untergeschoss das Uebergewicht gesichert wird. Die Attica durchsetzt vom Oberfenster. Giebel breit auslaufend, Horizontale En t Wickelung: die Aussenf eider treten zurück (mit den Voluten), an den Eckpilaster des Hauptbaues schliessen sie sich mit einem Halbpilaster an, so dass eine Abstufung entsteht, die bei S, Caterina noch fehlt. Die Plastik der Decoration nach der Mitte leb- 4. haft gesteigert; die Eckfelder sind schmal und bleiben ganz leer, Kapitellzonen hier nur dürftig gefüllt, Verticale EntWickelung: Ordnung unten korinthisch, oben komposit; die Tafeln oberhalb und unterhalb der Nischen in energischen Gegensatz gebracht: die untere sockelmässig quadratisch und gebunden, die obere freier und schmuck voll. Weiterer Gegensatz der Behandlung nach der Verschiedenheit des Geschosses. Ueber dem Portal eine stark schattende Tafel-, die Kapitellzone durchbrechend. Oben Alles ruhiger; aber der Gegensatz noch nicht rein und stark herausgearbeitet. Sonst ist diese Fagade eine der vorzüglichsten des Stils, II Gesit, Vjgnola's typischer Barockbau. Er starb 1573, als die Fagade (Abb. 16) noch nicht angefangen war. Der Fortsetzer des Baues, Giacomo della Porta, machte einen neuen Entwurf (Abb. r^) und vollendete die Fagade darnach 1575- Das System ist beiderseits das gleiche; zurücktretende Eckfelder, Gliederung in Doppelpüastern, Hauptaccent auf die Mitte geworfen: hier die Pilaster zu Säulen gesteigert, das Portalfeld mit eigenem Giebel bekrönt. Aber wie so ganz anders ist die Wirkung bei scheinbar wenig abweichender Ausdrucks weise. Wie ruhig und klar erscheint Vignola; er berührt uns noch fast renaissancemässig gegenüber dem Porta. Und in der That t der Eindruck der Fagade ist hauptsachlich bedingt durch den alten Sinn für bestimmte Durchgliederung und das Gefühl der Selbstständigkeit des Einzelnen. Abb. 15. M. de" monti. UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSSa/0096 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durth die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. - 86 TEMPLMESV ROMAS PARS ■ ATTTIRIOR 1ACOBO VJGN QLA ARCHJTECTO'INVINTORE / Abb. 16, U Gesit. (VignoU.) un1versítáts-BIBLIOTHEK HELPELKERO = IL http://digLLib.ijni-heidelberg.de/diglit/woelffliril8SS/0097 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefordert durch die Gesellschaft der Freunde Universita! Meldelberg e.V. 34 FdfíLaia íííJrťtíTfí íceht ď frtfttfpfr tráva fáttatia toteme frlLtpartta- I W lil I Abb. 17. 11 Gesů. {G. della Porta,) UNIVERS1TÁTS bibliothek heipelbeek http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlS8S/009S ©■ Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Umvi' i míjí Heidelberg e.V. f - 88 — ' Der erste durchgreifende Unterschied liegt in dem Verb alt niss der Geschosse zu einander: bei Vignola sind sie gleich werthig, bei Porta hat das Untergeschoss das entschiedene Uebergewicht, das andere erscheint nur als Aufsatz, Durch diese Vereinfachung wird die Mächtigkeit der Facade bedeutend gesteigert. Die' Geschosse sind gegliedert durch gekuppelte Pilaster, Vignola führt mit einem Gurtgesims in 2/a Höhe unten und 3/4 Höhe oben noch eine zweite Gliederung herbei, um kleinere Flächen zu gewinnen. Die so entstandenen Felder haben alle einfache, rationale Proportionen: sie werden gefüllt mit Nischen oder mit einem gleich-massigen Rahmenprofil umzogen, in jedem Fall aber als selbstständige Form behandelt. Selbst die Pilaster, die als Paar zusammengeordnet sind, verselbstständigt Vignola wieder durch zwischengefugte Nischen und Rahmen, sie sollen nicht als Masse, sondern als einzelne Individuen wirken, Porta giebt dies Princip vollständig auf. Er rückt die Pilaster so nahe zusammen als möglich und entfernt alle Zwischenfüllung; die Flächen belässt er in ihrer ungegliederten Ganzheit (ein schmaler Streifen in l/jj Höhe ändert kaum etwas an diesem Eindruck), die Masse soll als Masse zur Geltung kommen, die Felder, die durch die Pilaster an der Mauer abgegrenzt werden, sind zufällig in ihrer Form und bekommen durch keine Rahmen den Charakter selbstständiger Bedeutung. Weiter aber duldet Porta nicht mehr die Auflockerung der Mauer durch grosse Nischen, wie sie Vignola als Fortsetzung der Thüren in den Eckfeldern anordnete; er lässt diese Felder leer und gewinnt dadurch den Eindruck massiger Geschlossenheit, die erst gegen die Mitte hin sich löst, aber auch hier nur in bedingtem Mass: die Plastik der Säulen ist eine gedämpftere und das Hauptportal zeigt nicht die freie triumphbogenartige OerTnung wie bei Vignola. Bei allem Zurückhalten kommt aber die horizontale wie die verttcale Entwicklung wirksam zur Erscheinung und zwar hier zum ersten Mal in ganz grossen Verhältnissen. Die lastenden Elemente überwiegen; Sockel, Gesimse, Attica, Giebel und Voluten, Alles ist bedeutend wuchtiger gebildet Die Architectur ist hier zum Ausdruck eines beinahe drückenden Ernstes gekommen. Ein anderer Kirchenbau, der dem Giacomo della Porta zugeschrieben wird, S. Lmgi de* France si i), fällt ganz aus der Ent- *) Rossi 39, Gurlitt 31 RStTÄTS ERC r^^~> geförde rt durch die http://digc.ijb.uri-heideiberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0099 Gesellschaft der freunde A........ . .....,, Umversitäl Heidelberg e.V. © Universitätsbibliothek Heidelberg , - 8£ř — wicklungsreihe heraus, ja er zeigt ein so unsicheres Tasten, dass man sich kaum entschliesscn kann, den Meister von Maria de1 monti und vom Gesü dafür verantwortlich zu machen1). Von den Principien, die Giacomo's Werke mit wachsender Kraft verwirklicht zeigen, verräth diese öde Facade keine Spur. Nach dem Vorbild von 5. M* della anima ist die Facadenwand in gleicher Breite auch im obern Geschoss durchgeführt, indessen der Giebel nur dem Mittel-theil entspricht. Aber wie ungenügend ist diese riesige Fläche gegliedert. Der ATchitect versucht alle Mittel: Pilasterbündel, vorgeblendete Arcaden, runde und eckige Nischen, Eintiefungen, Relieftafeln, Formen, die Porta sonst nie gebraucht, und all1 das über die Fläche zerstreut ohne architectonischen Sinn, von vertäcaler Entwicklung keine Spur ut s. w.2) Ohne selbstständigen Werth sind auch die Facaden des Martino Lunghi sen. Er ist ein befangener oberitalienischer Meister, der sich in Rom ängstlich nach Mustern umsieht, und das Beste dem Giac. della Porta verdankt S. Atanasio dei Greci (voll, 1582)^) ist ziemlich langweilig. Von oberitalienischer Herkunft sind die zwei Thürme*), die aus den Eckfeldern aufsteigend den Giebel in die Mitte nehmen; ebenso die nach innen abgestuften Flächen im Obergeschoss, ein Motiv, *) Vas, I. 123: es seien Stücke eines andern Baues in die Facade eingefügt worden. Es mag das mit von Einfluss gewesen sein, Porta baute auch nicht selbst, vgl. den Ausdruck Bagliom's p. 77 : le porte con H due ordini della facciata furono di suo ordine e disegno, 2) Die Entstehungszeit der Facade ist unbestimmt. Dass auch A. da SangaUo einen Entwurf zur Facade machte (Vas. V. 484), könnte auf eine frühe Inangriffnahme des Werkes hindeuten. Andrerseits gäbe die Notiz bei Vasari (oben Anm. 1) einen terminus ante quem; wenn der Ausdruck: „le dette pietre ed altri lavori furono posti nella facciata della chiesa di S, Luigi" (L 123} auf die jetzige Facade und nicht etwa auf eine provisorische zu beziehen ist. Fällt der Bau wirklich vor 1568 (Zeitpunkt der Vasari-Notiz), so käme er in unmittelbare Nähe von S. Caterina de* funari, wäre also dem Porta unmöglich zuzuschreiben. Vielleicht gehen nur die Portale auf ihn zurück, *3) Rossi 62, *} In Oberitalien werden aber die ThUrme nicht so mit der Masse verbunden, sondern isolirt* Vgl. die Zeichnungen bei Serlio z. B. foL >215. UNIVERSITÄTS- BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.uiii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/010a © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 90 — der spätere Barock ausgiebig verwerthet Lunghis zweiter Bau, S. Girolamo deN Schiavom (1585)2}, wiederholt die Jugendperiode des Porta, aber ohne Genie. Er hält im Ganzen am System von S. Gaterina fest, mit noch ängstlicherer Flächenfüllung, was er als Obentaliener mitbringt, verbindet sich schüchtern mit den neuen römischen Motiven der Subordination. Das Ganze macht keinen unerfreulichen Eindruck; wir haben es aber nicht mit der Geschichte der Künstler, sondern mit der des Stiles zu thun und können uns hei den Leuten aus den hintern Reihen nur flüchtig aufhalten. Zu diesen gehört auch der Meister von S+ M, Traspontina 3}+ Seine Befangenheit zeigt sich in den Proportionen: drei gleiche Mitteitheile; dagegen ist das Detail lebhaft und kräftig, was aui einen zweiten Künstler deutet*}. Von Francesco da Volterra die tüchtige M. di Monserrato, die aber bei aller Fülle und Ueppigkeit der Einzel bil düngen im System auch nicht über Caterina de' Funari hinauskommt. An S. Giacomo degli Incurabili gehört das Neue nicht ihm, sondern dem Vollender der Facade, dem Carlo Maderna. In Carlo Maderna erschien wieder eine vorwärtstreibende Kraft. Er knüpft an die letzten Werke des Porta an, geht dann aber selbstständig weiter. Die Gedanken des Barockstils werden von ihm mit einer wirklich hinreissenden Gewalt vorgetragen: er sucht stets nach dem Bedeutenden in Masse und Bewegung. Seine erste selbstständige Schöpfung, die Facade von S, Susanna (Abb. t8), ist seine beste geblieben. Ein Werk von prächtigem Kraftgefühl und doch massvoll. Die Fagade dreifach nach den Seiten abgestuft; im plastischen Ausdruck von Pilastern zu Halb-, von Halb- J) Das verwandte Trinitä. de* monti geht nicht auf Domenico Fontana zurück, wie gemeinhin angenommen wiid. Von D. Fontana stammt nur Treppe und Portal der Kirche. (VgL die betreffende Notiz zur Abbildung in Rossťs nuovo teatro delle fabriche di Roma moderna.) Ebenso ist es ein Irrthum, wenn Ranke (Päbste Iö 310} eine Stelle aus des Gualteriüs vita Sbcti V. auf die spanische Treppe deutet, wo offenbar diese Kirchentreppe gemeint ist (scalasque ad templům illud ab utroque portae latere commodas perpulcrasque admodum eistruxit). 2) Rossi 66. 3) Rossi 65. *) Wahrscheinlich hat Salustio {Salverio) Perüzzi die Fagade angelegt, Ott. Mascherino sie vollendet. Die Vergleichung mit S. M. della Scala lässt diese Ueberlieferung als richtig erscheinen. UNIVERSETÄTS BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub uni-heidelberg.de/diglit/woelfflin 1SSS/O10J © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. — 91 - Abb. íS. S* Sušárna. UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSa/0l02 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universal Heidelberg e.V. - 92 — Dreiviertelsäulen fortschreitend. Die äusseren Felder bleiben nicht leer, Maderna nimmt den Ausgangspunkt im Geschmückten (zwei Relief tafeln übereinander), um in einer überquellenden Fülle zu enden, Nischen mit ihren Statuen, Giebeln, Kränzen, alle reicher und bewegter als frühen Der Reichthum entladet sich im Aufwärtsdrängen: höchst energische Betonung des Verticalstrebens, das erst in der gleichmässigen Füllung des Giebelfeldes sich beruhigt zeigt. Dem Porta gegenüber beweist aber Maderna schon hier, dass der schwere Ernst aus der Kunst zu weichen beginnt; der Druck scheint sich zu heben; die Formen regen sich freudiger, die Macht der Horizontale ist gebrochen. Unter dem Einfluss von S, Susanna ist die Fagade der Chiesa nuova1) entstanden {von Fausto Rughesi, nicht M. Lunghi). Bedeutend schwächer. Auch Maderna hielt sich nicht auf der Höhe. Für S« Peter reichte seine Kunst nicht aus. Da er im Einfachen das Bedeutende nicht zu finden wusste, sucht er es im Gehäuften und Mannigfaltigen: er wird lärmend und unangenehm. Mit S. Peter lenkt der Stil in seine zweite Periode ein- Wir haben uns damit nicht mehr abzugeben. Ein Nachzügler der früheren Zeit ist der brave Soria. Er hat eine ganze Reihe von Kirchenfagaden errichtet: S. M. della Vittoria^), S. Caterina da Siena, S. Gregorio Magno^), S. Carlo de* Catinari*): Ihr Werth liegt nicht in der lebhaften, gedankenreichen Komposition, sondern in dem Ernst, mit dem Soria diese Travertin-massen behandelte. Er ist der eigentliche Vertreter der römischen gravitas; durchaus selbstständig, macht er von den Reizmitteln einer entwickelten Kunst nur sehr massigen Gebrauch. S* Gregorio Magno auf dem Monte Celio gilt als das berühmteste Beispiel. Es handelte sich darum, der zurückliegenden Kirche einen Pfeilerhof mit Facade vorzubauen und den Aufgang monumental zu gestalten. Soria entledigte sich der Aufgabe mit wenig Genie, aber mit tüchtiger Gesinnung* Von der Treppe habe ich schon gesprochen: es sind gleichmässig durchgehende Stufen .von der 1) Rossi 29. Lübke, Gesch. der Architects S jfjg, ggo, a. a. G, Fig. 83, a) Rossi 70. 3J Ibid. 4] Rossi 50. ^ Gurliu\ un1versitäts BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digr.Lib.uri-heideiberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0103 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesellschaft dor Freunde Universita! Heidelberg e.V. — 93 — Breite der^Fagade, drei Absätze bilden die ganze Gliederung. Oben eine Fagade von zwei Geschossen zu je drei Intervallen, durch Doppelpilasterbündel gegliedert, unten von Bogen, oben von Fenstern durchbrochen, beide aber verhältnissmässig klein gebildet, um den Eindruck geschlossener Massigkeit nicht zu stören. Der Giebel entspricht nur dem MitteltheilJ). Milizia^) klagt, dass der Architect die Gunst des Terrains nicht besser zu verwerthen gewusst habe. „Bei einer solchen Erhebung, bei so viel freiem Raum nach vorn, hätte man einen malerischen Durchblick schaffen können, so dass der Pfeilerhof und die (hintere) Facade der Kirche gleichzeitig sichtbar geworden wären". Der Vorwurf ist berechtigt, aber er trifft nicht das Können» sondern das Wollen des Architecten, Die reichen t malerischen Prospecte entsprechen nicht dem ernsten Geschmack des ersten Barockstils. 4. System des Innenraumes. Der Barock verlangt möglichst weite und hohe Räume. Aber nicht die gleich massige Steigerung der Grössenverhältnisse bedingt den Eindruck. Bramante's S, Peter ist nicht barock. Man findet hier wohl einen Kuppelraum von den bedeutendsten Dimensionen, aber um ihn herum .ordnete Bramante vier Nebenkuppelräume an, die ihn nicht beengen, aber ihm doch ein Gegengewicht bieten. Sie behaupten dem grossen Räume gegenüber ihre Selbstständigkeit und massigen so den Eindruck des Ueberwältigenden. Michelangelo rechnete im Gegentheil gerade auf diesen Eindruck; er drückte die Nebenräume so weit heraK in ihrer Grösse, dass sie neben dem Hauptraume nicht mehr aufkommen können, und gewann so ein unbedingt dominirendes Centrum, dem gegenüber alles Andere unfrei und ohne eigenen Willen erscheinen muss. Der Durchmesser der Nebenräume ist bei Michelangelo nur ein Drittel von dem des Mittelraumes (d; D = 1 : 3), bei Bramante betrug er mehr als die Hälfte des Kuppeldurchmessers (d zu D steht im Verhältniss des goldenen Schnittes).3) Mit dieser bestimmten Absicht, möglichst grosse Räume „aus einem Stück** zu gebenj verbindet sich natürlich die andere, die t) Dies Motiv kehrt wieder bei S, Carlo de' Catinari und S4 Caterma da Sicna. 2) Milizia, memorkr II. 143. 3} Es ist Renaissanceempfindimg (wie sie in Öberitalien lange sich festhalt}, wenn Galeazzo Alessi an S. M. da Carignano (Genua) Nebenkuppeln und Hauptkuppeln wie 1 : 1,25 proportions UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG /woelffli http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSS8/0104 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 94 — Mauern dieser Räume mit einer einzigen Ordnung zu gliedern. Alle Rücksicht auf menschliche Grössen Verhältnisse wird aufgegeben, um eben jene spezifisch barocke Wirkung des JJeberwältigenden zu gewinnen. Bramante hatte wohl auch Kolossalgliedemngen angeordnet, aber daneben immer noch rein entwickelte, fröhliche Säulen kleinerer Ordnung, an die man sich anklammem kann. Das Kolossale schlägt so nicht nieder, sondern wird gleichsam fassbar, das Gefühl findet eine Beruhigung in diesen ihm näher stehenden Gestalten, ihre ungestörte Existenz giebt ihm selbst Halt und Sicherheit. Michelangelo will nur das Kolossale, Das Kleinere kann nicht mehr selbstständig daneben bestehen* Wo es auftritt, wie an den kapitolinischen Bauten, da tritt es gedrückt und gehemmt auf Man erinnere sich an jene Säulen, die von der Last an die Pfeiler herangedrängt werden. Der Mensch muss sich beugen vor dem Uebergewaltigen. Das Interieur der Renaissance ist darauf berechnet, dass der Mensch es beherrsche, mit seinem Lebensgefühl es ausfüllen könne; im Barock wird er vom Raum verschlungen, er versinkt im Ueber-grossen. Nach diesen Gesichtspunkten gestaltet sich der kirchliche Innenbau. a. Das Langhaus mit Kapellen, — Für den vereinfachten Grundriss gab der Gesu das entscheidende Beispiel: ein Schiff von bedeutendster Höhen- und Breitenausdehnung, statt aller Neben-schiffe nur eine Reihe von Kapeikn, die, dunkel gehaltent), keinen Anspruch auf selbstständige Bedeutung machen und mehr als Uebergang, denn als Abschluss dienen. Eine „malerische" Architectur der grossen Wandaltäre in der Tiefe thut das Uebrige, die Grenze zu verwischen und die Phantasie in's Unbestimmte zu leiten. Die Kapellen der Renaissance sind im Gegentheil klar bis in den hintersten Winkel, Die Querschiffe gelangen ebenso wenig zu einer bedeutenderen Entwickelung; sie haben meist keine grössere Tiefe als die Kapellen2). *) Die Fenster des Schiffes so hoch, dass kein directes Licht in die Kapelle dringt. Es scheint das nicht nur darin begründet zu sein, dass der ganze verfügbare Raum von der Breite des Mittelschiffes absorbirt wurde, sondern man wollte dem Langhaus kein starkes Gegengewicht bieten. Der spätere Barock giebt wieder ausladende Querschiffe. UNIVERSETÄTS BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digr.Lib.uri-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0105 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefordert durch die Gesettschalt der freunde Unlvcrsitäi Heidelberg e.V. Der Chor schliesst im Halbrund. Einschiffige Kirchen mit Kapellen waren während der ganzen Renaissance entstanden, aber doch stets nur bei kleinen Dimensionen. Grössere Räume suchte man stets zu gliedern. Das Neue am Gesü ist die Uebertragung des einen Schiffes auf grosse Verhältnisse. Man fragt nach Uebergängen* Darauf ist zu antworten mit dem Hinweis auf die eben erwähnte Redaction des bramantischen S. Peter durch Michelangelo. Noch bedeutender und jedenfalls unmittelbar bestimmend für Vignola ist das Beispiel gewesen, das Michelangelo an der Kirche von S. M. degli angeli gab. Bekanntlich handelte es sich um die Umwandlung eines antiken Thermenraums in. eine Kirche für die Karthäuser, Michelangelo übernahm die Aufgabe. Nun war er nicht der Mann, der aus Pietät das Alte schonte; wenn der antike Langsaal seine Form im Wesentlichen behielt, so geschah dies darum, weil er Michelangelo's Ideen entsprach. Die Zeit war gekommen, wo das Raumgefühl der späten Römer wieder verstanden wurde. Die Renaissance hatte sich mehr am Centraibau des augusteischen Pantheon begeistert. Für die Wände hatte Michelangelo auch schon Kapellen angenommen, wie der Gestü sie zeigt. (Sie wurden im 18. Jahrhundert wieder vermauert.) Trotzdem bleibt Vignola das ungeschmälerte Verdienst, die typische Form zuerst rein ausgebildet zu haben. Alles Frühere ' erscheint neben dem Gesü schmal und eng. Sein Langhaus wird in der Folge sogar bestimmend für den Ausbau von Peter, wo Nebenschiffe zwar nicht umgangen werden konnten, aber doch in einer Form gegeben wurden, die ihnen den Charakter von eigenen Räumen benimmt. (Auflösung In ovale Kuppeln; ausserdem verwehrt die'Breite der Pfeiler den Einblick vom Hauptschiff aus zum grössten Theile.) Der Barock hielt aber das Ideal eines einzigen Raumes, dessen Bedeutung nur in den grossen Verhältnissen liegt, nicht lange fest, Es macht sich im 17» Jahrhundert bald ein Streben nach dem Malerischen bemerkbar, im Sinne grösserer Mannigfaltigkeit. Man will reiche Durch blicke, interessante Verkürzungen und Anderes, was nur durch freie Säulenstellungen und Theilung des Raumes zu erreichen ist Mit dieser Theilung sinkt auch der Sinn iur die absolute Grösse, \ UNIVERSITÄTS BIBLIOTHEK HE IDELBERG http://digi.ub.urii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/0106 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Univerzál Heidelberg e.V. — 96 — Ein höchst eigenthümliches Beispiel für den Charakter dieser späteren. Zeit bietet S. M. in Campitelli. In Oberitalien, namentlich in Venedig, hatte die Architectur immer stark unter solch' malerischen Einflüssen gestanden. Wie ganz verschieden ist selbst Palladio's Redentore *) von römischen Mustern. {Coupirung des Raumes, Kuppelraum vom Langhaus abgetrennt, Durchsicht durch die hinteren Säulen in einen neuen Raum.) b. Das Tonnengewölbe. — Der Raum wird gedeckt durch ein Tonnengewölbe Es ist durchaus unbarock, das Langhaus in eine Reihe einzelner Kuppeln aufzulösen, wie es in Venedig beliebt ist und wie selbst ein dem Barock nahestehender Meister Pelle-grino Tibaldi es thut (S. Fedele, Mailand. Ebenso S> Ignazio, Borgo S. Sepolcro). Der Stil will den Raum nicht in einzelne Kompartimente theilen, sondern möglichst an einem Stück lassen und diesen Dienst thut die Tonne. Nach L. B. Alberti hat sie vor der flachen Decke auch eine grossere „dignitasu voraus; vor Allem aber ist es wesentlich, dass sie den Eindruck der Bewegung giebtt die Tonne scheint sich jeden Augenblick auf's Neue zu wölben, ja bei bestimmten Proportionen glaubt man ein Wachsen des Raumes nach oben zu empfinden. Die Gliederung der Tonne geschieht ursprünglich durch breite Gurten, die den Fi lästern der Wände entsprechen; dann wird mehr und mehr der tectonische Zusammenhang aufgehoben, der Gewölbeansatz verdeckt und das Ganze der Decoration anheimgegeben. Die Anwendung der Tonne war stets abhängig von der Beleuchtungsfrage. Bedeutend konnte sie erst werden, als man wagte, die Rundung mit Lichtöffhungen zu durchbrechen (Stichkappen mit mannigfach geformten Fenstern). Dadurch allein war das für den kirchlichen Charakter unentbehrliche Oberlicht zu gewinnen. Die Tonne von Alberti's S. Andrea (Mantua), einem Bau, der dem Barocktypus nahe kommt2), konnte bei den kleinen Verhältnissen dunkel bleiben und die Lichtzufuhr der Kuppel überlassen. *) Scamozzi, les bitiments de Palladio. FoL torm ELL pL i ff. 2} Einschiffiges Langhaus mit Kapellen; Kuppel und runder Chorabschluss. (Grundriss bei Burckhardt, Ren. Fig. 75,) Unbarock ist aber die Länge des Schiffes im Verhältniss zur Kuppel (3:1, während sie kaum die Proportion von 2 : 1 haben sollte), die bedeutende Behandlung der Querarme (Kapellen an den Seitenwänden) und die kleine Chorapsis. UNIVERS ETATS' BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digi.Ljb.ijni-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0107 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. - 97 ~ Die ersten Stichkappen mit Halbrundfenstern in der Tonne des Carmine (Padua), noch aus dem XV. Jahrhundert*}. Bei den Kreuzgewölben von S. Mt degli Angeli war die Lösung leicht. / Entscheidend: Gesü, wo aber die jetzige Decoration einer viel späteren Zeit angehört (Abb. 19), In S. Peter Tonnenfenster erst durch Maderna in den vorderen Theüen des Langschiffes. c. Die Wandbehandlung, — Die Wand ist von den Kapellen-eingängen durchsetzt. Diese Eingänge sind im Bogen gewölbt und werden eingefasst von Pilastern, die die Wand ihrer ganzen Höhe nach gliedern, ■ Die Einheit dieser Wandordnung ist ein Motiv, zu dem die Renaissance nur sehr langsam kam. Einschiffige, flachgedeckte Kirchen mit Kapellen, wie Cronaca's S. Francesco al monte (Florenz) von 1500, haben zwei vollständige PilasterOrdnungen übereinander: die untere rahmt die Kapelkn einj die obere die Fenster, Später beseitigt Sansovino (S. Marcello, Rom und S. Francesco della Vignap Venedig) die obere Ordnung, lässt die Mauer mit den Fenstern ungegliedert und drückt sie auch in der Grösse zu einer Art von Attica herab, — Das Gewölbe wird mit einem einheitlichen System verbunden bei Aiberti (S. Andrea, Mantua), in grössern Verhältnissen aber sind zwei Ordnungen das Gewöhnliche für den,Langbau und namentlich für den Centraibau. Bramante hatte auch für S, Peter diese Zweitheilung zuerst angenommen (Geymüller a* a> 0., T. 3, 4, 5), dann aber sich zu einer durchgehenden Pjlasterordnung mit unteren Säulen entschlossen {Geym, T. 13) und schliesslich gar zu einer reinen Kolossaiordnung, wenigstens theilweise: die (kleinern) Säulen werden in die Umgänge an den vier Enden der Kreuzarme verwiesen {Geymt T. 14). Michelangelo beseitigt sie auch dort (s. o.). Von da an bleibt das System massgebend für die römischen Bauten. In Oberitaüen hatte man einen kleinlichen Sinn nie ganz überwinden können, man wird selten ein Werk treffen, das der römischen Empfindung für das Grosse nahe käme. — Auch in Rom meldet sich im spätem Barock wieder die Neigung zu kleinen Theilen. Burckhardt, Ren. in Italien S. 134. Wblßiin, Renaissance und EwKlc. 1 UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSSa/010S © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 98 r- Die Gliederung der Wand geschieht durch Pilaster. Der Filaster ist der nothwendige Ausdruck des gehaltenen Ernstes. Oberitauen mag nie die Säule ganz missen (Fal)adio), in Rom erscheint sie erst, nachdem die Fagade sie wieder aufgenommen, auch im Innern (nach der Mitte des XVIL Jahrhunderts). Der einfache Pilaster konnte bei den gewaltigen Flächen keine genügend starke Gliederung abgeben; Bramante (S.Peter) giebt ihn gedoppelt; zwei Nischen übereinander sind dazwischengeklemmt, Der Gesü (Abb. 19} behält bei geringem Dimensionen die Kuppelung Abb. 19, II Gesü. Durchschnitt bei, entfernt aber die Nischen (vgl. die Entfernung der Nischen aus der Fagade durch Porta). Kleinere Kirchen begnügen sich mit dem einfachen Pilaster; — S. Andrea della valle führt die Form des Pilasterbündels ein (auch in den Gewölbegurten fortgeführt), — S, M. in Campitelli endlich gibt ganze Haufen von freien Säulen; der reiche Stil hat begonnen. i) Nach Daviler. Etwas zu. schlank. UNIVERS [TÄTS* BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digi.Ljb.ijni-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0109 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. — 90 — Die Bildung des Pilaste'rs im Einzelnen entspricht dem Geist, mit dem er verwendet wird: der ernste Charakter der ersten Zeit bildet den "Sockel niedrig und schwer. Michelangelo Hess in S* M, degli angeli den ganzen Fussboden erhöhen^ um die schlanken, antiken Säulensockel verschwinden zu machen. Mit der zunehmenden Befreiung der Glieder erhöht sich auch dieser Theil, der die Säule vom Erdboden emporzuheben bestimmt ist. (Die gleiche Entwicklung wie beim Sockel der FagadeJ, Noch deutlicher spricht die Behandlung der Attica. Der Barock verlangte eine schwer lastende Bildung* Die schlanken Ansätze des Kreuzgewölbes, die Michelangelo in S, M, degli angeli vorfand, erstickte er in einer drückend reichen Attica; der Gesü zeigt eine einfachere, aber noch schwerer lastende Form. Dann aber hebt sich der Druck, und allmählich verschwindet die Attica ganz. Der Bogen (d. h. der Kapelleneingang), der in der Renaissance das Pilasterintervall ganz ausfüllt, bis an das Gesims heranreicht und zu diesem durch eine Schluss-Console in Beziehung .gesetzt wird, wird jetzt oft so niedrig gehalten, dass ein beträchtlicher leerer Raum unterhalb des Gesimses entsteht. So im Gesü (hier ist der freie Mauerraum theil weise zu einer Galerie benutzt), in S. M. dei monti, in der chiesa nuova. Die Schlusskonsole bleibt fort. Sie kommt erst wieder mit dem zunehmenden Hochdrang, zugleich beleben sich dann die Bogenwinkel durch sitzende und Hegende Figuren, die Richtung nach oben wird dadurch energisch betont. In S4 Feter kann man die zunehmende Plastik dieser unglücklichen Zwickel-Gestalten beobachten: die letzten (dem Eingang zunächst) drohen jeden Augenblick mit ihrer gewaltigen Masse in die Tiefe zu stürzen. Es kommt die Zeit, wo die ganze Komposition eine aufgeregtere wird: was gibt sich Bor romin i für Mühe, die Wand der alten Lateransbasilika in Aufruhr und Bewegung zu bringen. Das Kircheninnere gab damit einen bedeutenden Factor der Wirkung auf, nämlich den Kontrast zur Facade« Bis dahin hatte man im Gegensatz zu der Unruhe der äusseren Erscheinung ein höchst ruhig und gross komponirtes Interieur gegeben, mit Borroniini fängt Alles aussen und innen gleich massig an zu Schreien. Die Beschleunigung des Pulsschlages zeigt sich deutlich in der Veränderung der Proportionen von Bogen und Filasterintervallen. Die Intervalle werden immer enger, die Bogen schlanker, die Schnelligkeit der Aufeinanderfolge nimmt zu. Man vergleiche in dieser 7* UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HE IDELBERG http://digi.Lib.iJrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSS8/0110 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Univerzál Heidelberg e.V. — 100 — Beziehung Gesu und Andrea della valle. Auch im Langhaus von S. Feter bemerkt man, wie Maderna mit den Pfeilern viel näher zusammenrückt als seine Vorgänger. Ein neues Motiv des Barock ist, auf die drei gleichen Intervalle des Langhauses ein kürzeres vor der Kuppel folgen zu lassen, das sich jenseits derselben wiederholt. Dies hat dann gewöhnlich keinen Bogen, sondern nur eine kleinere Thüre. Offenbar beabsichtigte man eine Verstärkung der Kuppelträger damit, für das Auge aber ist es eine sehr wirksame Vorbereitung auf den Kuppel räum1), d. Die Kuppelbildung und Licht Wirkung. — Als allgemeine Züge der Kuppelbildung ergeben sich: der Tambour rund, nicht polygon; Gliederung innen und aussen durch Pilaster oder Säulen; Attica; die Wölbung mit Rippen schlank -aufsteigend; Laterne mit Be-krönung. Natürlich blieb S+ Peter Vorbild für Alle^ Michelangelo hatte die Hauptkuppel nur bis zum Tambour fertig gestellt, aber ein grosses Holzmodell hinterlassen. Nach diesem vollbrachte G.ac. della Porta 1588 die RiesenWölbunga). Bramante projectirte eine Flachkuppel, gleich der des Pantheon, mit den bekannten Stufenringen. Die Kuppel schwebt über einem Kranze von freien Säulen, die einen Umgang bildenA). Das Ganze breit, ruhend, im Gegensatz zu dem mehr aufstrebenden Gebilde Michelangelo's, das in jeder Linie Nerv und Kraft ist, ohne desshalb gothisch-körperlos zu werden, H. v. Geymüller*) beschreibt den Unterschied mit folgenden Worten; „Bei der Kuppel Bramante's ist das Einheitlich-Ruhende i) Ein Freund bemerkte} es sei das ein kurzes Anhalten des Athems, bevor der grosse Kuppel sprung folge, 3) In jüngster Zeit ist durch Garnier (Gazette des beaux arts, II. per., t. XIII. p. 202) und Gurlitt (a, a. CX S, 66) dem Giac, della Porta nicht nur das technische, sondern auch das künstlerische Verdienst zugesprochen worden. Die Entscheidung der Frage hängt davon ab, ob das vorhandene Holzmodell Michelangelos von der ausgeführten Kuppel abweicht. Eine Erhöhung der innern Schale wird* allgemein zugegeben r es handelt sich nur um die berühmte äussere Umrisslinie. Die Messungen dirTeriren. Gotti (und Geymüller) erkennen nur Michelangelo als Künstler an. Geymüller (a. a. O, 244): uInnen ist die Kuppel Ys höher als dies von Michelangelo beabsichtigt war, im äussern Umriss dagegen und mit genauer Beibehaltung des Details nur 2*/3 Palmen d. h. ganz unbemerklich höher," 3) Abbildung bei Serlio, lib. III* fol. 66, 4) A, a. (X Text S. 244. ITÄTS EK ;RO http://digi.Lb.uni-riEidelberg.de/diglit/woelfflinlS8S/011L © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesettschalt der freunde Universita! Heidelberg e.V. ff f im breiten Forticus und in den Stufe nringen' des Kuppelanfangs in leuchtender Schönheit ausgedrückt; hier ist der Tambour die Hauptsache, wie eine herrliche Krone über dem Grab des Apostel-fiirsten schwebend, nur mit der nothwendigen Decke versehen, die hier als zierlich elegante Flachkuppel auf den Säulen leicht aufruht. Michelangelo zertheilt den Forticus in einzelne Strebepfeiler mit gekuppelten Säulen an der Stirn, er verstärkt das verticale Element, verstärkt aber zugleich auch die Last. Die Masse der Kuppel ist bei ihm eine viel grössere" Die Geschichte der Kuppel seit Michelangelo ist wesentlich nur eine Geschichte der wechselnden Proportionen, im System ändert sich nichts. Die Geschichte der Proportionen aber ist diese: mit dem Schwererwerden aller Formen sinkt auch die Kuppel zu einer gedrückten Bildung herab, erholt" sich dann aber und von Jahrzehnt zu Jahrzehnt lässt sich eine Steigerung zu immer grösserer Schlankheit bemerken. Und zwar innen und aussen, Das ruhige Schweben^ das nach dem Ausdruck Jacob Burckhardt/s die Peterskuppel den Menschen empfinden lässt, wird mehr und mehr zu hastigem Auffahren. Man mag an die gleiche Erscheinung im Gebiete der Malerei erinnern: die Heiligen schweben nicht mehr, sondern fahren mit leidenschaftlicher Hast aufwärts. Im Gesü betragt die Höhe nur das dreifache Mass der Breite (im Innern' vom Boden aus gerechnet), in S. Andrea della Valle genau das Vierfache. In S, Peter erhöhte Giacomo della Porta die innere Schale der Kuppel um ^3 gegenüber dem Project Michelangelos, was aber die Ruhe dieser ungeheuren Weite nicht altenrt — Der Hauptzweck der Kuppel aber ist, jene Ströme des Lichtes von oben in die Kirche zu leiten, die für den weihevollen Charakter des Raumes so wesentlich sind. Im Gegensatz zu der überirdischen Helle hier wird das Langhaus verhältnissmässig dunkel gehalten, vornehmlich aber die Tiefe der Kapellen verschwindet ganz im Finstern l). Der Raum scheint unbegrenzt. Es sind das die Effecte der Beleuchtung, die die Malerei eben erst gefunden hatte, die hier aber im höchsten Sinne zu einer gewaltigen Wirkung verwendet werden. Der Barock zuerst rechnet mit dem Licht als einem 1) Man vergleiche die analoge Erscheinung in der Malerei: der dunkle Grund. UNIVERS1TÄTS-"r?^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.Lib.ijrii-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSa/0112 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. wesentlichen Stimmungsfactor — Dass der Raum jetzt überhaupt dunkler gehalten wird als in der Renaissance, hängt zusammen mit der Schwere der Formen. Später als die Architectur leichter athmet/wird auch das Kircheninnere wieder heller. Cap- II. Palastbau. I* - Die profane Architectur des Barock steht zur kirchlichen in einem auffallenden Gegensatz. Man wäre geneigt, hier überhaupt eine barocke Stilentwickelung zw leugnen, so sehr überrascht es, nach der quellenden Fülle und Kraft der Kirchenfagaden hier eine zurückhaltende, strenge Formgebung zu finden. Es scheint auf den ersten Blick unmöglich, dass derselbe Maderna, der S. Susanna schuf, zu gleicher Zeit jenen Palast der Mattei bei S, Caterina de1 Funari (Mattei di Giove) aufführte, ein Gebäude, das durchaus der Horizontale unterworfen, schmucklos und gross, einen freudlosen, fast düstern Eindruck macht. Der Barockstil ist auch hier vorhanden, aber die Facade des Palastes hat eben andere Gesetze, als die der Kirche: sie ist nur zu verstehen als Aussen architectur, der eine ganz andere Innen-architectur entspricht: aussen kalte, ablehnende Förmlichkeit, innen üppige, sinnberauschende Pracht. Die Zeit der Vornehmheit auf spanische Weise war gekommen: ein steifes, schwerfalliges Wesen im Verkehr, statt der natürlichen Aeusserung eines lebendigen Gefühls eine gemachte Haltung, statt der Mannigfaltigkeit des Individuellen ein allgemeiner, gleichgültiger Ton Dies wird bestimmend für den aristokratischen Palast. Ant, da Sangallo, der ein vornehmer Herr in Rom geworden war2), gab in seinem eigenen Hause ein Muster (Pal. Sacchetti , Abb. 20); er hat alles Eigentümliche und Warm-Lebendige abgestreift und traf damit den rechten Ton, Alle freiere Aeusserung verschliesst man in's Innere des Hauses. *) Vgl. Ranke, Päpste I* 317. 2) Nebenbei bemerkt, lässt sich überhaupt ein allgemeines Vornehmwerden bei den Künstlern beobachten. Sie nehmen in Rom die ersten Stellungen in der Gesellschaft ein, werden Cavalieri, zu diplomatischen Missionen verwendet. Es wird Manches dadurch auch in ihrem Stil verständlich. "-' t gefordert durch die Gesellschaft dor Freunde Unlvcrsitäi Heldelberg e.V. Abb. so. Pal. SaechetiL. UNIVERSITÄTS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.Lib.iJrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/0114 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Unlvtrsildl HťLdelbflíg e.V. Eine Ausnahme machen öffentliche Gebäude, wozu die päpstlichen Paläste gehören, die sich an keine bestimmte gesellschaftliche Regel zu halten haben. Sie geben sich freier und prächtiger auch nach Aussen^. Der florentinisehe Pal asttyp us zieht Alles in's Hohe und Trockene, der römische Ernst, das Gefühl für das Ruhig-Grosse-artige, jene breite und prächtige Art zu sein, bleibt hier immer unverstanden. Ebenso ist der heitere Reichthum der Paläste Genuas, wie sie unter der Hand Galeazzo Alessi's als ein glücklicher Ausdruck gehobener Feststimmung entstehen, eine nicht nur unrömische, sondern auch dem Barock überhaupt fernerstehende Erscheinung. 2. Der römische Palast in der Zeit der kirchlichen Wiederherstellung ist ein grosser, ernster, vornehmer Bau*). Die Mauer aus Backstein, gleichmässig glatt übermörielt. Die Gliederungen, wie Ecken, Gesimse, Fenster in Haustein gegeben. Dies System, schon am Pal. di Venezia angewandt, wird durch Bramante eine Zettlang zurückgeschoben, kommt aber durch A. da Sangallo von Neuem zur Geltung, Hauptbeispiel : Pak Farnese. Die rohe Rustica wird selbst im Erdgeschoss nicht mehr geduldet, sie bleibt der ländlichen Ungebundenheit überlassen2). Die feinen Quader fugungen aber (nach dem Beispiele der Can-celieria) entsprechen nicht dem barocken Gefühl für Masse. Die Mauer bleibt möglichst ungetheüt und ungegliedert. —-Bramante hatte einst jedes Fenster in ein wohlgefügtes System von Pilastern und Gesimsen hineingezogen, also dass jeder Theil an seiner Stelle durchaus als beabsichtigt und vorbereitet, als nothwendig und unveränderlich erschien. Wo die vertScalen Ordnungen durch die Fenster-Halbsäulen überflüssig gemacht waren, da befriedigte man dieses Formbedürfniss durch Gurtgesimse, die die Fenster unter den Giebeln fassen, so dass sie nie aus einem festen Zusammenhang herauskommen. (Raffael: Pal. dall' Aquila und Pak Pandolfini; Baccio d'Agnolo: Pal, Bartolintj Ant Dosio: t) Der Ausdruck bei Scamozzi; „tenghino del grave i palazzi", 2j Wenigstens in Rom. Vgl. dagegen etwa Ammannati's Pittihof in Florenz und Pellegiino Tibaldi's Hof des Pal. areivescovile in Mailand. gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde Unlvcrsitäi Heidelberg e.V. — 105 — Pal. Lardarel u, At) Der Barock verzichtet auf diese Gliederung, Er belässt die Mauer in möglichst ungebrochener Ganzheit 1)T ■ Sangallo dachte an Pal. Farnese nie daran, Gurtbänder unter den Fenstergiebeln durchzuführen; wandgliedernde Pilaster oder Halbsäulen fehlen ebenfalls; man kann sagen, sie seien einigermassen ersetzt durch die Sauten der Fenster; aber es verschwinden auch die Fenstersäulen und es kommt kein Ersatz, Ja, man wagt die Fenster des Mezzanins ganz frei in der Luft schweben zu lassen (Pal. Sacchetti von Sangallo, Abb. 20)2) und schliesslich auch einem Ganzgeschoss jeden tectonisehen Halt zu entziehen (PaL Ruspoli von Ammannati)» Der spätere Barock bringt wieder Pilaster. (Pal. Odescalchi von Bernini, Vorbild für alle späteren Bauten.) Nach dem gleichen Gefühle für geschlossene Massigkeit bestimmt sich das Verhältniss von Mauer und Maueröffhung. Die breiten Fenster der Renaissance sind nirgends mehr zu finden, sie bekommen jetzt mehr und mehr eine elegante, fast gepresste Schlankheit und müssen gegen die Mauermasse sehr zurücktreten. Dann werden die Geschosse so erhöht, dass eine grosse leere Mauernache über den Fenstern entsteht3). Sehr mächtig wirken ganz geschlossene und ganz ungegliederte Parterres, wie an der Sapienza (nach Vorbild von Vigna di Papa Giulio?). — Von einer decorativen Flächenfüllung isk keine Rede. Auch dies ändert sich nach dem ersten Viertel des XVIL Jahrhunderts. 3. Die Iwrizontale Komposition. — Die Breite der Facade ist im Verhältniss zur Höhe meist eine sehr bedeutende: man liebt die prächtige bequeme Ausdehnung. Aber auch bei grösster Breite (Pal. Ruspoli von Amman nati mit 19 Axen) -*) wird der Körper 1) Charakteristisch die .Weglassung der Gliederungen an Ammannatis Pal.Anguillara (Florenz), der sonst den Typus Lardarel genau wiederholt. 2) Wie weit man hier gerne gegangen wäre, erkennt man an idealisirten zeitgenössischen Abbildungen. Ich erinnere mich an eine Darstellung des Pal. Salviaü (Gal. Doria, sala IV., No. 13; dem Poussin zugeschrieben}, wo diese Partie weit über die Wirklichkeit hinaus erhöht ist. Der Eindruck des Majestätischen gewaltig dadurch gesteigert. 3) Vignola hatte ihnen doch noch ein eigenes kleines Gesims gegeben, worauf sie stehen können (Pal, Farnese, Piacenza). 4) Abb. bei Ferrerio, Palazzi di Roma I# 23. gefördert durch die GewHxrialt der Freunde Uniwei MUi Heidelberg e.V. — 106 — durch keine vortretenden Eckflügel (wie etwa an der Cancelleria) oder von einem Mittelrisalit gegliedert, sondern als einheitliche Masse zusammengehalten. Pal. Barberini gehört schon einer ganz neuen Empfindungsphase an. Eine^interessante Art von horizontaler Entwicklung; ist dagegen die rhythmische Anordnung der Fenster i), die man an der Rück-facade der Sapienza (vielleicht auf Michelangelo zurückgehend)2) und Öfter von Giacomo della Porta angewendet findet, (Pah Chigi an Piazza Colonna) 3). Die Fenster ballen sich gegen die Mitte in lebhafter Bewegung zusammen, während die äussersten durch isolirte Stellung den ruhigen Ausgangspunkt bezeichnen. 4, Die verticale Komposition giebt nicht mehr eine Folge einzelner selbstständiger Stockwerke von zunehmend leichterer Bildung i wobei das Ganze zusammengesetzt erscheint aus gleich -werthigen Elementen, sondern ein Geschoss tritt nun entschieden dominirend hervor, die anderen müssen diesem sich unterordnen! haben nur in Bezug auf dieses Sinn und Bedeutung 7 d. h. ästhetischen Werth. Das Hauptgeschoss wird so herausgearbeitet, dass das darüber folgende ihm gegenüber die Selbstständigkeit verliert. Diese dorn i -nirende Stellung wird einmal in der Fensterbildung ausgedrückt: im Erdgeschoss ist sie streng und befangen, oben ganz schlicht, den Fenstern der Mitte bleibt die stattliche OetTnungsweite, der starkschattende Giebel, Konsolen und Sohlbank vorbehalten. Die Haupt Wirkung liegt aber in der jmponirenden Höhe dieses Geschosses. Sie entspricht den gewaltigen Saalanlagen des Innern; da aber diese Säle von der einen Fenster reihe, die lange nicht die Hälfte der Wandhöhe erreicht, nur ungenügend erhellt werden könnent so war man genöthigt, eine zweite Reihe kleinerer Licht-Öffnungen auszubrechen und diese ersehe i nt aussen als Mezzanin. Fälle, wo wirklich ein Halbstockwerk angeordnet ist, fehlen nicht, sind aber die selteneren 4). i) Vorbereitet durch die bewegt-metrische l/ensterdisposition an den Stiteniayadc.'ri von Pal Fameso. 2} Ferrerio L 30. Let, I. 70. 3) Ferrerio IL 14. 4} Nach dem Zeugniss Serhos verlangte man für den Winter kleinere Räumer der leichtern Heizbarkeit wegen. Burckhardt, Renaissance S, 190. UNIVERStTÄTS* BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digi.Lib.ijni-heidelberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0117 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert dur cri die Gesettschalt der freunde Universita! Heidelberg e.V. — 107 — Das Mezzartin wird nun nicht verhehlt oder nur decorativ angebracht, wie in der Renaissance, sondern darf mit architectontscher Bedeutung auftreten, ja es wird oft sehr werthvoll, indem es einen schwungvollen Rhythmus in die verticale Entwicklung der Facade hineinbringt. Es nimmt nicht die genaue Mitte zwischen den grossen Fenstern und dem Gesims ein, sondern zeigt eine Anziehung nach der einen oder der andern Seite, Der feinste Sinn fiir Verhältnisse ist nöthig, um die verschiedenen Fenstergrossen schön zueinander zu stimmen. Es giebt aber einige vortreffliche Beispiele, wo die oberste Fensterreihe gleichsam die mittlere Grösse aus Hauptfenstern und Mezzanin herauszieht und so wohlthuend ab-schliesst —■ Die Florentiner haben mit dem Mezzanin sich nie befreundet Auch in Rom verliert es sich wieder, als man später das Einheitsprincip für die Fagade aufgab und die Geschosse wieder gleichwerthig gestaltete (Pal. Altieri etc.; einzelne Beispiele sind schon früher zu rinden, z. B. Pal. Sciarra). Die einheitliche Bildung der Fagade beginnt schon bei Bra-mante's spateren römischen Arbeiten. Pal Giraud unterscheidet sich wesentlich von der Cancelleria dadurch, dass sie das Hauptgeschoss bedeutender heraushebt Im Erdgeschoss verschwinden zugleich die verticalen Fugen, was ihm mehr den Charakter eines blossen Sockels giebt. ^ Deutlicher ist dies Ideal verwirklicht in Bramante's letztem Stil, den sein eigenes Wohnhausi) repräsentirt: unten Rustica, durchaus sockelmässig, oben eine Ordnung von gekuppelten Halbsäulen. Eine Weiterbildung vollzog Raffael (?), indem er ein drittes Stockwerk als Attica aufsetzte (Pal Vidoni-CarTarelli)2). Aehnlich: PaL Costa 3) (von Peruzzi). Die Halbsäulen hier zu Pilasterbündeln gedämpft 4)+ • —— 1) S. oben S. 4 Anm. 3. 2) Abb. bei Letar. I. 106, Die Verticalfugen auch im Rustica-sockel unterdrückt. Die jetzige Form der Attica ist jedenfalls nicht dem Raffael auf die Rechnung zu schreiben. Ob überhaupt die Attica von ihm beabsichtigt? 3) Letar. T. 43. 4} Ohne Rustica-. der kleine Pal. Spada, via Capo di ferro (Letar. I. 27, Peyer-Imhof 18) und Vignola's Palast an Piazza Havona (Letar. L 3?}. Dem Giulio Romano ist die Lösung des Problems nie recht gelungen. Seine Schwäche liegt in den Proportionen. UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.Lib.iJrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSS8/011S © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 108 Die Einheit, die die Renaissance auf diesem Weg erreichte, konnte aber dem barocken Formgefuhl noch nicht entsprechen. Dieses erträgt nicht die Theilung des Baukörpers in bestimmt gesonderte Elemente: es will die Fagade als eine grosse gleiche massige Masse aufgefasst wissen. Darum vermeidet der Barock stark th eilende Gesimse und kontrastirende Mauerbehandlung ebenso wie Pt last er- und Halbsäulenordnungcn, Das entscheidende Wort wird nicht von bestimmten Formen, sondern von den Proportionen der Massen gesprochen. Das erste grosse Muster einer Facade in diesem Sinne (ohne Mezzanin) hätte A. da San gallo in Pal. Farnese gegeben, wenn nicht Michelangelo in letzter Stunde sein Werk verändert hätte. Sicherlich nicht zu seinem Vorth eil, Denn indem er das Kranzgesims um mehr als zwei Meter höher hinaufrücktet), kamen die Fenster ganz aus der Proportion; sie sind jetzt entschieden zu klein2). Antonio's Absicht ging darauf, das abschliessende Gesims ganz nahe über den Giebeln der oberen Fenster reihe hinzuführen, so dass dem Hauptgeschoss mit seinen grossen Fenstern und der hohen Obermauer die ganze Wirkung geblieben wäre, die jetzt durch die (schwächere) Wiederholung des gleichen Motivs im zweiten Stockwerk vollständig aufgehoben wird. Der Gedanke ging übrigens nicht verloren; er war in barockem Geiste konzipirt und wird von diesem Geiste wieder hervorgetrieben: ein halbes Jahrhundert später erscheint er — freilich nicht in glücklichster Form — am Lateranpalast des Domenico Fontana3). Für die Facade mit Mezzanin über den Hauptfenstern in der oben beschriebenen Art sind schon aus der Renaissance Beispiele vorhanden: vor Allem RarTaeUs Pal. dall1 Aquila4), Ganz unbarock sind hier nur die Bogen im Erdgeschoss. Dann Sansovino's Pak 1) Letarouilly, texte p. 289. 2) Cicerone II 4 20S. 3) Ferrerio I. 10. Let. III, 229. *) S. oben S. 5 Anm. i. Restauration bei Let* III. 346. — Geymüller, Ranaello f. 30,31. Hier tritt das Renaissancenlässige deutlicher hervor als in Letarouillys Restauration. Die Bogen-unten sind bedeutender, das Hauptgeschoss weniger dominirend, das Kranzgesims stärker betont. UNIVERS [TÄTS BIBLIOTHEK HEIDELBERG X http://digi.Lib.ijni-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0119 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. — 109 — Niccolini1}. Man kann hier deutlich sehen, wie nicht in einem neuen System, sondern in der Behandlung des Gegebenen der Barock sich später erweist, vorzüglich in dem Verhältniss von Mauer und Oerfnung, in der Proportionirung der Fenster zum Geschoss und der Geschosse zu einander. — Aus dem Parterre verschwinden von nun an die Buden. — Peruzzi's (?) Pal Angelo MassimiS) {neben Massimi alle colonne) schon auf Massenwirkung ausgehend und sehr gehalten im Ausdruck, — Sangallo's Pal. Sacchettr. (Abb. 20)3) (1543)- Sein eigenes Haus. Werth voll als Ausdruck seiner individuellsten Ueberzeugung. Was hier noch stört, sind die grossen Erdgeschossfenster, Die ausgebildete „fmestra terrena", wie sie in Florenz beliebt ist, entspricht nicht dem sockelartigen Charakter dieses Geschosses. — Vignola's Pal Mattei Paganica*). Sehr bedeutend von Vignola der Pal Farnese &) in Piacenza {vor 1550 begonnen, unter Sangallo's- Einfluss): fünf Geschosse sind hier so geordnet, dass für den Anblick nur ein Hauptstockwerk existirt. Gewaltige Wirkung der Masse, die durch keine Art von verticaler Theilung verkleinert wird. Die (bolognesisch-vi er eckigen) Mezzanine noch auf eigenen (untergeordneten) Gesimsen.. In den Proportionen einige Aengstüchkeit nicht zu ver* kennen, die römische Grösse, fehlt noch, ^fr , * Vignola's^ Schüler Giacomo-deT^^Porta thut, wie im Kirchenbau so auch in der Profanarchffi^ctur, die entscheidenden Schritte, um dem Palast die barocke Massigljeit und die Bewegung der Komposition zu geben. Noch knapp und gemessen PaL Paluzzi, Pal. Boadile und ein namenloser an via del Gesü (abgetragen)6), dann aber werden di# Formen voller und in die Proportionen kommt jene Spannung, die dem Barock elgenthümlich ist; PaL ChigP), Pal. d'EsteS) und Pal. Seriupi (unvollendet). 1) Let, I, 14. . s> 2) Let. III. 299. ^ ' * * Let, I. 92. V- - 4) LeL III. 314. :> * 6) qujiift Fig. 19. f.* e) Die Urheberschaft T^r>rTicht überall gesichert. Abb : Pal. Paluzzi bei FerrerjD II. 39 und^%urlitt Fig. 30, Fat. Boadile bei Let. L 36, Pal. in via del^Gesü bei Kerrerio II. 52. 7) Feiaaftio II. 14. 8) Ferrerio II. 20, UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ljb.lJrli-heidelberg.de/diglJt/WOelfflinlSSa/0l2a © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde UnkvtrsHdl MťLdeltpíg e.V. — 110 5- Gliederungsformen* — Der SockeL An der Cancelleria nahm der Sockel ein Viertheil der Erdgeschosshöhe ein, an Pal. Farnese ist er, als ausladende Bank, bedeutend niedriger gehalten, späterhin bleibt er fast unbezeichnet Man begnügt sich mit kleinen, hochkantig gestellten Platten: das Erdgeschoss als Ganzes vertritt die Stelle des Sockels. Die Gurtgesimse v/erden ebenfalls zu einfachen Streifen abgeschwächt. Sie sollen nicht bedeutend unterbrechen. Zur Zeit des Uebergartges waren kräftige Bänder mit Mäander Schema beliebt; darunter noch ein omamentirter Fries. Früher, bei Pilasterordnungen, gab man ein volles Gebälk. Florenz behält diese Form auch nachher noch lange, indem auf Eckpilaster Bezug genommen wird. In Rom sind die Ecken entweder gar nicht bezeichnet (selten) oder mit Ortsteinen eingefasst und zwar von abwechselnder Grösse, was eine unruhig bewegte Begrenzungslinie ergiebt. Eckpilaster waren ursprünglich von Sangallo auch für Pal. Famese projectirt, wurden dann aber durch RusticaHsenen ersetzt. Das letzte römische Beispiel wohl an der Vigna di Fapa Giulio, wo es auf die floren-tinischen Architecten zurückzuführen sein dürfte. Das Motiv widerspricht der barocken Massigkeit Das Kranzgesims darf nur wenig ausladen, da das oberste Geschoss eine so geringe Grösse besitzt.' Michelangelos Beispiel an PaL Farnese trotz aller Bewunderung hierin nicht nachgeahmt. Die Formgebung im Einzelnen schwankend. — In Florenz hält sich das vorspringende Sparren dach. Der Fries unter dem Kranzgesimse, der z. B. bei RafTaers Pal. Pandolfini als ein herrliches breites Stirnband ohne Ornament erscheint, wird im römischen Barock meist weggelassen. Das Motiv wirkt zu ruhig. Wo es aber vorkommt, da ist seine Bildung eine ganz schmale, ausserdem wird es ornamentirt: so am Pal Farnese und (schmaler) am Pal. Lateranense. 6\ Fensterbildung. — Die Fenster haben nicht mehr den Anspruch auf selbstständige Form; sie sind keine ädiculae mehr, Häuschen am Hause, die mit eigenen Halbsäulen oder Pilästern und bekrönendem Giebel auftreten t), der Barock duldet nicht diese i) Florenz giebt die selbstständigen Fenster nie auf Der einzige Ammannati versuchte nach seinen römischen Jahren die Neuerung in Florenz einzuführen- aber an Pal. Pitti musste er sich doch zur alten Form bequemen, UNIVERSITÄTS* BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digi.Lb.uni-riEidelberg.de/diglit/woelfflinlSS3/012L © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. — 111 Loslösung und Sonderexistenz, Ein einfacher Streifen, der sich oft mehrfach gegen die Mauer abstuft, ersetzt den Pilaster oder die Halbsäule; der Giebel aber wird getragen von stehenden Konsolen, die auf diese Mauerstreifen auslaufen. Dies ist der Grundtypus des Barock fensters. Die Form ist wohl auf Michelangelo zurückzuführen. Zuerst an Pak Riccardi (Medici) zu Florenz 4, dann in der Grabkapelle von S. Lorenzo und im zweiten Geschosse des Hofes von PaL Farnese. Ausserdem frühe bei Pemzzi, Pal, Linotte und (ohne Streifen) an Pal, Costa. Giebel ohne Konsolen zeigen die Fenster von Bramante's Wohnung. Eine reichere Form gewinnen die Spätem durch Verdoppelung der Konsolen> so dass eine nach vorn, die andere seitwärts blickt (Giac. della Porta, Pal. d'Este); durch Durchbrechung des Giebel-fusses und Unterstützung der Ansatzstücke mit Triglyphen klotzen über dem Fenster ran d u, s. w. Im Ganzen ist man sparsam mit dem Giebel; oft wird er ersetzt durch eine einfache horizontale Verdachung (mit oder ohne * Konsolen); in der Regel aber bleibt er dem ausgezeichneten Stockwerk vorbehalten. Die Fenster des Erdgeschosses bekommen dann etwa die erwähnte, einfache Verdachung, die des obersten Geschosses aber nur die aller strengste Umrahmung. Ebenso ist die Bildung des Fensterfusses eine wechselnde. Früher hatte jedes Fenster seine eigene Sohlbank, jetzt giebt man diese, das Zeichen relativer Selbstständigkeit, nur noch an bevorzugtem Orte. Sonst müssen die Fenster unmittelbar auf dem Gesims aufsetzen Regeimassig geschieht dies im obersten Stockwerk* Bei aller Zurückhaltung der Palastarchitectur kann sich die barocke Vorliebe für ausschliessliche Betonung der oberen Partieen nicht verläugnen. Die horizontale Verdachung ist wohl ein sehr einfaches Motiv, stark plastisch gebildet ergiebt sich aber doch ein sehr energischer Schattenschlag d. h, eine einseitige Acccntuirung -:-^^^^^^^^^^^^ t) Abb. bei Burckhardt, Ren. Fig. 9; Vasari VIL 191: (Michelangelo) fa il modello http://digi.Lib.ijrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSSa/012S © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. Cap, III. Villen und Gärten. .1, Italien besitzt seit der frühen Renaissance eine doppelte Art der Villa; die eigentliche Landvilla* eine grosse Anlage mit Oekonomie und Einrichtung zu längerem Aufenthalte für das ganze Hauswesen, und die kleinere Villa sitburbana vor dem Thore, die nur dazu dient, auf kurze Zeit eine frohe Gesellschaft aufzunehmen Ihr Hauptzweck ist ein schönes, gemessen des Dasein zu befördern, ohne die Gebundenheit der Stadt Daher die architectonische Behandlung, möglichst leicht und heiter: offene Hallen > gegliederter GrundrisSj der oft selbst auf die Symmetrie verzichtet; im Innern ein Komplex heller, wohliger Räume, „Durchsichtigkeit, alles voll Luft und Licht" (J. Burckhardt)Das vollkommenste Muster einer Stadt vi IIa im Stile der Renaissance: die Villa Farnesina. 2. Der Barock verliert auch in den Gebäuden der Lust seinen Emst nicht ganz. Der massige Stil bemächtigt sich auch der Villa; zugleich wird in charakteristischer Weise Vorder- und Rückseite in Gegensatz gebracht: nach vorne strenge ablehnende Haltung, hinten, wo man „unter sich" ist, der üppigste Reichthum in rückhaltloser Entfaltung. Betrachten wir zuerst die Villa suburbana. Den massigen Ernst bringt schon mit ganzer Entschlossenheit der Umbau der Villa Madama zur Geltung. Die freudenstrahlende Anlage RarTael's ist hier durch Giulio Romano fast inhs Düster-Grossarttge umgewandelt worden3). Geschlossene Mauerflächen bestimmen den Eindruck. — Villa Lante auf dem Janicolo, ebenfalls von Giulio Romano, ein früheres Werk. Auch ohne rechte Freudigkeit. Mit barocker Unruhe in der Disposition der Fenster. — Die Vigna del papa Giulio ganz anormal und kaum hier bei zu ziehen. Man merkt, wie verschiedenartige Leute dabei mitsprachen. Das Ganze ohne Zug. 1) Theoretische Scheidung schon bei Alberti. Vgl Burckhardt, Ren. in Italien. S, 219. 2) Tota aedium fades atque congressio penitus sit illustris atque admodum perspicua. — Arriäeani omnia adventu hospítis atque congra-tuíeniur. Alberti lib. IXt 3) Vergleiche das bereits mehrfach citirte Werk Geymüller's, RarTaello studiato co tne architetto, gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde Unlvcrsitäi Heidelberg e.V. ■ — J1 £> — Das erste bedeutsame Muster: Villa Meäüi von Anniba Je Li ppi1). Die geschlossene Parade des Stadtpalastes ist hier auch für die Villa angenommen, ein Hauptgeschoss mit Mezzanin, keine Pil aster, Fenster schmucklos; der Gegensatz von Strassen- und Gartenseite aufs Energischste durchgeführt; die hintere Facade ist sprudelnd reich, vortretende Flanken, Thürrnchen, offene Säulenhalle mit mittlerem Rundbogen, die Mauer besetzt von Nischen, Reliefs, Kränzen und Medaillons, zum Theil übereinandergeschoben. Steigerung gegen die Mitte: die äussersten Nischen sind leer. Villa Borghese (Abb. z2) von Vasanzio, typischer Barockbau. Hier war nicht eine eigentliche Strassenseite gegeben, da das Gebäude ganz im Park drinnen liegt, doch aber ist der Unter -schied von vorn und hinten sehr bestimmt festgehalten. Das Motiv der geschmückten Wand tritt an der Vorderseite nur im Schutz der vortretenden Flanken auf. Diese Flanken aber sind keine freien und selbstständigen Theik, wie etwa bei der Farnesina, sondern bleiben in der Masse befangen. Die Lisenen statt der Pilaster, die Belastung der Loggia mit einer hohen Attica, die Ghederungslosigkeit der Mauer, in A Ihm haben wir die Symptome eines Geschmackes, der auf das Massige und Schwere geht, Und gerade der Vergleich dieses Gebäudes mit der Farnesina ist vielleicht am besten geeignet den ganzen Wandet des Kunstgeir>tes deutlich zu machen: auf der einen Seite die Durchbildung und Durch-gliederung des Körpers in höchster Vollkommenheit, auf der anderen eine stoftliche Gebundenheit, die den Eindruck macht, als ob es in den Gelenken fehle. Dazu wird nun für den Villenbau bedeutsam das Redürfniss nach einer grösseren Anzahl von Räumen, das Gefolge mehrt sich, man kennt nicht mehr den Genuss eines schönen einfachen Daseins, überall wird- ein schwerfälliger Apparat nothwendig, Vi Ela Negroni von Dom. Fontana für Sixtus V. als Kardinal gebaut, ohne barockes Gefühl, mit Pilästern. Eher Palast als Villa, — Ebenso Villa Mattei ausserhalb der römischen Entwickelung, i) Abb. bei Ferrerio I 13- Monographie von Baliard. Paris, fol Die meisten der hier und im Folgenden angeführten Villen findet mau auch abgebildet in Fercier et Lafontaine^ choix des plus helles maisons de plaisance de Rome etc, Paris 1800. foL Ausserdem sei ein für alle Mal verwiesen auf die bekannten Stichsatnmíungen von Rosst und Fulda, die unter verschiedenen rite In existiren, Ii UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.Lib.ijrii-heidelberg.de/diglit/woelfflinlS8a/013a © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 120 UNIVERSITÄT^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG I — 121 — von G. del Duca, einem Sizilianer. — Villa Doria von Algardi gehört schon ganz der zweiten Stilperiode an. Für die Innenräume gilt das, was schon gelegentlich der Palastsale bemerkt wurde. Die Proportionen in's Unbehagliche gesteigert. Hauptsaal durch zwei Stockwerke1). Man fühlt sich sehr zeremoniös. Die Villa suburbana wird gerne etwas versteckt. Der Eingang nicht direct auf das Haus zuführend. Man soll den Anblick nicht gleich haben. So die Orti farnesiani, ViÜa Borghese, Villa Doria u, a. — Alberti verlangte im Gegentheil, die Villa solle gleich beim Austritt aus der Stadt auf sanftem Hügel sichtbar sein, „tota se facie videndam obtulerit laetam". — Im Barock ist es nur die Landvilla, die sich in dieser Weise präsentirt. 3. In der Architectur der Landviliat herrscht am Ende der Renaissance ein starkes Schwanken., Es sind alle möglichen Typen vertreten> sowohl in der Grösse als in der Behandlung. Villa Lante (bei Viterbo), klein, kasinoähnlich; Caprarola, gewaltiges, burgähnliches Fünfeck; Villa d'Este (Tivoli), gross, streng, geschlossen, nach Art des römischen Stadtpalastes. Lante3), dem Vignola von der Tradition zugeschrieben, Noch ganz renaissancemässig. Zwei gleiche kleine quadratische Gebäude. Gekuppelte Pilaster mit eingespannten Blendarkaden. Leise glatte Rustica. CapraroJaä) von Vignola* Villa für den päpstlichen Nepoten Alexander Farnese, die einen ganz ungeheuren Tross voraussetzt. (Piano nobile, piano dei cavalieri, piano de' staffieri.) Imposanter fünfeckiger4) Massenbau. Der Aufgang mit grosser Pracht behandelt, innen ein runder Hof, der vielleicht das Höchste bezeichnet, was der Profanbau im Gebiete grossartiger Gehaltenheit erreichen kann. 4) Heisst irn Norden stets „salle a Pitalienne'1. a) Die Aufnahme bei Percier et Lafontaine ist noch immer die einzige, obwohl sie ganz ungenügend ist. 3) Abb, bei Ferrerio IL 1 ff, Der Entwurf des Peruazi iür Caprarola zeigt auch schon die Fünfecksform (s. bei R. Redteribacher, Mittheilungen aus der Sammlung arch. Handzeichnungen der Uffizien, I. fol. Er lehnte sich da- bei seinerseits wahrscheinlich an die ältere fortezza an, die A. da Sangall 0 hier aufgeführt hatte (Vas. V. 451. n.). 1^ IS http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/woelfflinlSSa/0l32 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durth die Gesellxhalt der Freunde Universal H*LdeltH»rg e.V. al ďEste a)j trockene Palastarchitectur, einfaches Mauerwerk, Fenster ohne Decoration, weite Ausdehnung, im Gegensatz zur Stadt hier eine Gliederung durch leise vortretende Eckflügel (ander-orts, auch Lisenen in Rustäca); das Hauptmotiv ist die Vorhalle als Abschluss des ausgedehnten Treppen- und Terrassen wer kes, das den Aufgang durch den Garten bildet; das Haus kommt überhaupt nur in Betracht nach seinem Mittel stück, d. h. insofern es vom Eingangsviale aus sichtbar ist, Dieser Typus wird mehr oder weniger massgebend für Alles, was in der Nähe Roms entsteht. Es ist kein einziger bedeutender Bau darunter. Villa Aldobrandini in Frascati (von G. della Porta und Domenichino), unangenehm-formlos. Man scheint den Ausdruck des Ländlichen in einer gewissen Willkür gesucht zu haben 2), die zu den mürrischen Formen am allerwenigsten passt. Die Rückseite wieder freier und heiterer, mit offener Loggia; der gleiche Gegensatz wie bei der Stadtvilla. — Vilia Mondragone ebendort (von M. Lunghi, Fl. Ponzio und G, Fontana), ein mächtiger Steinhaufen ohne höheren Werth, das Mittelstück sehr schmal, um von den Cypressen der Aufgangs-viaie eingefasst zu werden, — Villa Borghese (Frascati) u, a. 4. Um gerecht zu sein, muss man hier stets im Auge behauen, dass die Architectur gar keine selbstständige RoÜe spielen will. Das Haus ordnet sich der Umgebung bescheiden ein. Je mehr die architectonisehen Principien hier sich zur Geltung bringen, desto mehr schwindet aus dem Palast alle höhere Kunst. Man könnte glauben, es sei auf eine Annäherung der beiden Gebiete abgesehen gewesen. Zunächst verlangt der Eingang eine bedeutende Gestaltung. Man sucht für die Villa ein ansteigendes Terrain und rückt das Haus soweit in die Höhe, dass der Eingang als ein prachtiges Treppensystem gegeben werden kann3). Die symmetrisch diver- )) Dem Ant, da Sang all o sehr nahestehend; namentlich die Vorhalle möge man vergleichen mit der Gartenhalle seines Pal. Sacchetti (abgeb. bei Letarouilly, texte p, ajt). 2) Bei Serlio wird ausdrücklich bemerkt, auf dem Lande sei Alles gestattet. Die Stelle zitirt bei Burckhardt, Ren, S, 221. 3) Für die Renaissance ist die Anlage von Villa Lante bezeich- . nend \ die zwei Häuser bleiben am Fusse des Abhanges; den Eingang bildet ein quadratisches Parterre, gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde Unlvcrsitäi Heidelberg e.V. — 123 — girenden Rampen treppen Bramante's aus dem vaticanischen Hofe dürfen für aU* diese Anlagen ab das ideale Vorbild angenommen werden. Villa dTEste: Parterre mit mittlerem Rondell, dann Steigung in vier Absätzen, noch steil, die Theile kleinlich. -—Ürti Farnesiani: Abhang des Palatin, sehr malerisch; vier piani, die jedesmal reicher und mannigfaltiger werden (oben zwei schief zu einander aufgestellte Vogelhäuser). — Villa Aldobrandiiu: breite, weit ausladende Rampentreppen, besetzt von Brünnchen und Citronenbäumchen, Die Stufen verschwinden, — Villa Mondragone, ein langer, langsam ansteigender Cypressengang. Das Tectonische tritt ganz zurück. Vor dem Haus findet sich ein terrassenartiger VorptaiB; erst nur schmal, dann immer weiter, je mehr die Treppen sich senken: Uebergang zum Flächengeschmack. Villa Mondragone hat schon einen sehr bedeutenden Platz i); er steht im Zusammenhang mit der weiten Aussicht, die einer früheren Zeit zu wüst und unbegrenzt gewesen wäre. Die Theile hinter dem Haus werden in den gleichen Gegensatz gesetzt, den die Behandlung der vordem und hintern Fagade zeigt. Hinter dem Haus fühlt man sich unbeobachtet, man lässt den zurückhaltenden Ton fallen. Der Vorplatz ist viereckig, der Rückplats rund*: Motiv des teatro (zurückgehend auf das bramantische teatro im vaticanischen Hof), Prachtbeispiel: Villa Aldobrandini 2), Reichste Ausstattung mit Nischen , Brunnen, Statuen, Wasserwerken etc. — Gleicherweise unterliegt das Buschwerk der Eingangs-partieen einer strengen Behandlung, Die Beete vorn sind eingefasst von mannshohen Hecken, Alles dicht geschlossen, hinter dem Hause: die Hecken niedriger, das Ganze freier, offener. 5. Nicht nur die nächste Umgebung des Hauses, sondern der gesammte Garten steht unter der Herrschaft eines architectonischcn Geistes. Es ist das eigentlich nichts Neues. Der Gartenbau der hohen Renaissance hatte bereits alle Motive der Natur, die Hebungen des Terrains, den Baumschlag, das Wasser stilisirt, die verschiedenartigen Theile des Gartens gesondert t jede einzelne Räumlichkeit 1) Die grossen Säulen, die sich hier und anderwärts bemerk!ich machen, sind Schlote für die unten rdisehen Küchen. 2) Ausser den Stichen Falda's, Ii giardini di Roma, ist speziell hier zu erwähnen das schöne Werk: Domenico Barriere, VfHa Aldo* brandina Tusculana 1647, gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 124 — tectonisch gefasst. Aber wenn die Renaissance wohl architectonische Motive gab, so gab sie sie doch ohne architectonisehen Znsammenhang, ohne Einheit in der Komposition; und eben hierauf beruht der-Fortschritt, den der Barock nach der Seite des Architectonisehen machte. * Die Renaissance schmiegte sich der liodengestaltung an, wie sie eben war, und verzichtete auf eine höhere Gesetzlichkeit im Ganzen, Ein deutliches Beispiel geben die Gartenanlagen der Viüa Madama, wie sie unter RarTael projectirt waren. Wir besitzen drei Pläne: einen von Raflaers eigner Hand, einen zweiten von Francesco da Sangallo und einen dritten von Ant. da Sangallo, beide letztern für RarTael gezeichnet1). Die Pläne repräsentiren verschiedene Entwicklungsstadien. — RarTael giebt drei Motive nebeneinander: ein kreisförmiger Garten in der Mitte, auf der einen Seite eine Art Hippodrom, tiefer gelegen, auf der andern ein quadratischer Garten, ebenfalls tiefer. Die Verbindung geschieht durch grosse Treppen Systeme, die ganze Anlage aber ist ohne Einheit unter sich und ohne Beziehung zum Haus. Weder in der Komposition noch in der Lage schliesst sie sich daran an: sie liegt zu Füssen des Palasthügeis und zwar in seitlicher Verschiebung, indem sie eben durchaus der gegebenen Formation des Bodens folgt. In einem Thälchen weiter hinten sollte noch ein „Ninfeo" eingerichtet werden, eine Anlage, wo das Wasser die Hauptmotive abgiebt (mit Badebassin etc, 2). — Nach den Zeichnungen der beiden Sangallo, die im Wesentlichen dasselbe wollen, würde die Komposition sich schon etwas geschlossener gestaltet haben und es wäre namentlich ein engerer Anschluss an's Haus gewonnen worden: drei Terrassen übereinander, rechts vom Hause, der Senkung des Hügels nachgehend, aber ganz verschieden unter sich, so dass von einer gesetzlichen Entwicklung noch nicht die Rede sein kann. Der Barock fügt s-ich nicht dem Terrain, sondern untenvirft es sich, er sucht ihm um jeden Preis eine einheitliche Anlage abzugewinnen: ein durchgehendes Hauptmotiv, herrschende Prospecte, 1) Es ist ein hohes Verdienst H, v. GeymüHer's, diese Dinge wieder an's Licht gezogen und in ihrer Bedeutung erkannt zu haben. Vgl. RafFaelio Sanzio studiato come architetto. Die Pläne liegen in den TJfnzien. 2) Studien dazu von Ant. da Sangallo (ebenfalls in den Uffizien). UNIVERS ETATS' BIBLIOTHEK I LH IDELBERG X http://digi.Ljb.ijni-heidelberg.de/diglit/woelffliril8SS/0135 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. II — 125 — alles Einzelne nach seiner Stellung zum Ganzen gestimmt und auf seine Wirkung im Ganzen berechnet, die Axe des herrschaftlichen Wohngebäudes auch für den Garten festgehalten, Pavillons oder Casinos nicht zufällig zerstreut oder in eine Ecke verwiesen, sondern in der Mittellinie liegend, überall symmetrische Entsprechung, Villa d'Este, wo wohl zuerst eine derartige Komposition in grossem Massstabe versucht ist, leidet noch daran, dass der Wasserlauf mit der Axe des Palastes, die zugleich den Hauptgang des Gartens bezeichnet, nicht zusammenfallt, wodurch ein Zwiespalt entsteht. Die beiden Axen sind aber wenigstens streng senkrecht auf einander orienhrt — Vollkommen reine Lösungen bieten die Gärten der Villa Lante und Caprarola* Villa Lante1): Parterre vor den zwei Häusernt quadratisch, geschlossen, für sich; dann aber der ganze Abhang einheitlich behandelt, Hauptmotiv: ein Wasserlauf, der unter verschiedenen Formen des Sturzes und Falles erscheint; die Anlagen zu beiden Seiten sehr mannigfaltig ab-gestuftj immer aber symmetrisch; der Garten hat vier Absätze jeder anders gestaltet und durch immer neue Treppenanlagen mit dem nächsten verbunden; oben ebener Platz mit einem Brunnen in der Mitte und zwei kleinen Casini, die den zwei unteren Palästen entsprechen* — Die gleiche Einheit ist in allen folgenden Gärten festgehalten* - n Es mag wunderbar erscheinen , dass der „malerische" Stil das am meisten malerische Object, die Landschaft, am entschiedensten architectonischer Gesetzlichkeit unterwirft. "Das Wunder ist aber nur scheinbar. Der Barock stilisirte die Natur, um ihr die grosse Haltung und gemessene Würde zu geben, wie. sie jenes Zeitalter verlangte, der Park geht aber nicht auf im Architectonischen; das Formlose und Unendliche wird mit in die Komposition hineingezogen und so war es möglich, dass gerade an und mit diesem - *- *) Die Tradition nennt als Künstler Vignola* Die Verwandtschaft mit den Anlagen von Caprarola ist in der That auffallend. YilJa Lante scheint der frühere Bau zu sein. Alles noch kleinücher und gehäufter, die Formen strenger (rund statt oval etc.) Nach Tercier & Lafontaine wurde die Villa in der jetzigen Weise verschönert gegen 1564; gegen I588 das zweite Hans gebaut und Baumpflanzungen und Wasserwerke vollendet* Ich weiss nicht, woher diese Notiz genommen ist* — Die Aufnahme bei Perc. & Laf. ist schlecht. Einige Skizzen bei Lützow Z. f* b, K. XI* 292 ff* UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.iJb.ijr»i-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlS8a/0136 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 126 — Gartenstil die moderne Landschaftsmalerei, ein Poussin und Dughct sich entwickelte. In doppelter Weise überhebt man sich der architectonischen Komposition. Der Park verlauft in einer Wildniss, er geht all-mähljg in die ungeformte, ungebundene Natur über; sodann wird die Aussicht auf die Landschaft als Wesentliches mit in Betracht genommen, man richtet Alleen z, B. so, dass die Ferne den Abschluss bildet; mit anderen Worten, das Technische nimmt als nothwendige Ergänzung ein Atectonisches, ein Formloses und Unbegrenztes in sich auf. Von dieser Komposition hatte die Renaissance noch keine Ahnung gehabt, & Der Gartenbau des Barock rechnet principiell mit grösseren Räumen und mit grösseren Motiven als die Renaissance* Sein Ideal ist das „spazioso", das Weiträumige. Vincenzro Giustiniani 3 der in Bassano selbst einen Park anlegte, schreibt1): man müssse den Entwurf machen „con animo grande". „Le piazze, i teatri, e vicoli siano piü lunghi e spaziosi che si puö"; alles möglichst gross und nur ja nichtst was zusammengedrückt und eng aussieht: „e sopra tutto non pecchino di stretto o angusto". Man solle sich nicht einlassen auf Kleinlichkeiten, auf „lavori minuti di erbette e fiori", sondenv auf grosse Motive den Nachdruck legen, auf „ornamenti piü sodi, cio£ de* boschi grandi, che abbiano del salvatico, de' boschi d'alberi, che mantengono sempre foglie" etc. Das Bunte und Zierliche muss aus dem Parke weichen, er rechnet durchaus nur noch im Grossen, - Darum wird nun der Schmuck von Blumenbeeten und gar all das was blos ein botanisches oder medizinisches Interesse hat und früher im ganzen Garten zerstreut war2), zu eigenen Kompartimenten ausgeschieden: es entseht ein ^giardino secretvl\ ein besonderer Zier- oder Prunkgarten, der zum Hause in nächste Beziehung gesetzt wird. Es ist ein offener, sonniger Raum mit platten belegten Wegen, geometrisch übersichtlich geordnet, streng gezeichnete Beete, niedere Buchshecken3). 1J Al Teodoro AmideDi, Battäii, teuere pittoriche VI, 117 ff, 2) Alber iL IIb. IX: haerbis rarioribtis et quae apud xnedicos in pretio sintj hortum virenteni reddet Ausserdem findet man manchmal auch noch einen giardino de' semplici, Garten fiir die Heilkräuter und fremde Pflanzen, und verschiedene Obstgärten, Diese alle aber werden nicht aufgenommen in die Parkanlage, sondern bleiben abseits. un1versitäts BIBLIOTHEK HEIDELBERG X gefördert durch die http://digc.ijb.uri-heideiberg.de/diglit/woelfflinl8SS/0137 A......., . .....,, Umversitäl Heidelberg e.V. © Universitätsbibliothek Heidelberg — 127 Schon Villa Madama hat hiefur eine besondere Terrasse, es ist der „giardino" im eigentlichen Sinn1)» in einem Winkel noch-mal „horticiniu, wahrscheinlich für ganz kleine Sachen (Heilkräuter und dergleichen,} Dem giardino entspricht auf der zweiten Terrasse eine Orangen anläge, die dritte ist ftir Tannen und Kastanien bestimmt2). Im Garten des Belvedere liegt der giardino secreto vertieft, gleich hinter dem Paläste. Später wird er gewöhnlich ganz dem Auge entzogen, indem man ihn zwischen Mauern oder auf hoher Terrasse zu beiden Seiten des Hauses anordnet oder sonst in einer Ecke versteckt, wo er die Symmetrie nicht stört In Villa Mondragone ist ein geschlossener Hof neben dem Palast mit zwei einander gegenüberliegenden Hallen von quellender Rustica dafür eingerichtet, Schliesslich tritt er als vertieftes Parterre wieder offen als Haupt-stiiek der Villa hervor (Villa Doria, Villa Albani) und geniesst dann eine sehr prächtige Ausschmückung mit Statuen, Nischen, Treppen, Brunnen u. s. w,; es ist die zweite Periode des Barock, Durch diese Ausscheidung bleiben dem Park ausschliesslich die grossen Motive überlassen: die Elemente seiner Komposition sind nicht einzelne Blumenbeete mit kleinen Wegen dazwischen, sondern Baummassen, Alleen, bedeutende Rondelle u, s* w. Der Stadtgarten, der nur einen beschränkten Raum zur Verfugung hat und stark durch gegebene Momente (Strassenzüge und dergleichen) bestimmt ist^ nimmt eine Mitte ein, zwischen dem Park und dem giardino secreto, wobei eigentlich gar nichts Neues und Eigenthumliches zur Entwicklung kommt. 7. Der barocke Geist giebt sich nicht nur in den mächtigen Grössen Verhältnissen Ausdruck, sondern auch in der geschlossenen ernsten Behandlung seiner Massen. Der Garten der Renaissance t) Nach den Notizen auf dem Plane des Francesco da Sangallo. 2) Auf diese Dreitheilung, die auch auf dem Plane des Antonio da Sangallo sich findet (ohne Inschrift), mag sich dessen Randbemerkung (auf Nr, 1054) beziehen: la villa sia partita i tre parti ? urbana rustica fruttuaria. Doch ist meines Wissens weder der Name urbano für den Ziergarten, noch rustico für den Garten mit mächtiger Vegetation je üblich geworden. UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.Lib. uni-heiddberg.de/dig1it/woelfflinlSeS/013S © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert dur Gesellxhalt der Freunde Universal Heidelberg e.V. ist ofTen und licht; ringsum blühende Wiesenflächen verlangt Atberti für die Villa, und die Landschaft überall sonnig und offen1), „Nolo spectetur uspiam aliquid, quod tristiore ofTendat umbra." Der römische Barock giebt wenig offenen Raum ; keine lichten Haine, sondern geschlossene Baummassen mit dun keim Laub, keine freien, hellen Wiesen (wie sie sich in den toscanisehen Villen; Castello u. ä. forterhalten), keine Weinreben über Säulen, sondern dichte Laubgewölbe; keine bunten Farben; Alles massig und dunkel a. Der einzelne Baum als solcher hat keine Bedeutung. Das Individuum geht auf im Zusammenwirken mit Andern. Es erscheinen jene gewaltigen Gruppen von immergrünen Eichen, die dicht zusammengedrängt und von hohen geschnittenen Lorbeerhecken umfasst, den Charakter der italienischen Villa wesentlich bedingen. Es wird dabei der Gegensatz von Form und Formlosigkeit absichtlich betont: die Hecken sollen aussehen wie mit dem Lineal gerichtet, die Ecken sind besetzt mit steifen Hermen, oben aber die gewaltigen Laubmassen formlos herausquellend, als wollten sie den Rahmen sprengen, Die Friihrenaissance konnte sich weder für den starklaubigen Baum im Einzelnen begeistern — Alberti verweist die Eiche in den Fruchtgarten — noch für diese Komposition in geballten Haufen. Sie verlangteeine lichte Aufstellung in geordneter Folge. Bei Alberti lautet die Vorschrift; Arborum ordines ad lineam et intervallis comparibus et angulis correspondentibus ponentur, uti aiunt ad quineuncem 2). Auf den Plänen zur Villa Madama findet man auf den Terrassen links vom Palast noch eine derartige Pflanzung beabsichtigt; doch möchten das edlere Bäume gewesen sein; die „Tannen und Kastanien" hätten wahrscheinlich schon eine Massengruppe bilden müssen, ein sogenanntes „salvatico". Von da an werden der offenen Beete immer weniger, das Motiv des Dickichts greift immer weiter um sich bis es schliesslich den ganzen Raum in Anspruch nimmt. Ausser der Eiche kommt auch die dunkle Tanne und die Cypresse zur Verwendung. Für die Hecken ausser dem ') Alberti, IIb* IX,: praü" spatia circum florida et campus per-que apricus. D. h. nach Art der fünf Augen auf dem Würfel, gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde Unlvcrsitäi Heidelberg e.V. — 129 — Lorbeer auch Maulbeer oder Cypressen. Alberti dachte einst an Rosenhecken1). b. Die zweite Aufgabe der Baumarchitectur ist die grosse Gestaltung der Wege und Plätze des Gartens. Es handelt sich um weise Benutzung der einzelnen Arten; höchst monumental wirken die für den Eingangsviale aufgesparten Cypressen, Vgl. die herrlichen Cypressengänge in Villa Mondragone, Villa Mattei, Guardini Boboli (Florenz). — In Villa d'Este die Cypressen auf die Hauptsachen beschränkt: für Rondell (Mitte des Parterres) und die in zwei Kurven divergirende Treppe in der Mitte des Aufstieges. -— Einzelne Cypressen kommen nie vor. — Sonst auch Ulmen oder Eichen beigezogen, die dann den überwölbten Viale abgeben. .Es ist nicht immer zu entscheiden, ob unter „viale copertof( ein Spaliersystem verstanden ist, ursprünglich jedenfalls.2). Aber der laubüberwolbte Weg ist schon an sich etwas Neues. Womöglich wirken auch in diesen Alleen antike Denkmäler mit, nicht aber einzeln, sondern nur in Masse, Wenn die Mittel fehlen, die Baumintervalle gleichmässig auszufüllen, so lässt mau diese Dinge ganz weg. Musterbeispiel: Villa Mattei. c. Der Hain erscheint in Form der Schluss wildniss, die von schmalen Wegen durchzogen ist. Der berühmte lichte Pineto, der Pinienhain der Villa Doria ist kein Motiv der früheren Barockkunst. Er gehört bereits der zweiten Periode an, die wie überall so auch hier eine Entwickelung in]s Helle und Gelöste bezeichnet. 8, In gleicher Weise wie die Vegetation wird das Wasser durchaus massig behandelt; nicht kleine Aederchen und Brünnlein, sondern grosse rauschende Massen; nicht klar-durchsichtig, sondern undurchsichtig-tief. Alberti spricht nur von aquuiae3), von fontes et rivuli ämpidissiini. — Es ist höchst interessant, diese einfachsten Symptome zu beobachten. Die Landschaftsmalerei zeigt, seitdem der Geschmack am Massenhaften vortrat, niemals, wieder jenes hell-durchsichtige Wasser, das sich auf Bildern der^ früheren Renaissance immer findet. Und wenn ich oben die VgU die Madonnen „im Rosenhag", die später auch nicht mehr vorkommen. 2) ,,Ed anco nel giardino siano viali coperti r i quali sono assai in uso in Francia, ove si dicono ollee$u+ Bottari, lett. pttt, VL 119. 3) Praerupent aquulae praeter spem locis compluscülis. 9 UNIVERS1TÄTS BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.Lib.iJrii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSSa/OHO © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Univerzál Heidelberg e.V. — 130 — Renaissance mit der Antike in Parallele setzte, so darf ich hier nochmals daran erinnern, dass eben das kristallhelle Wasser auch das Lieblingssymbol Winckelmanns war. — Eine Barock-Villa ohne Wasser ist kaum denkbar *), Das Wasser ist das Lieblingsclement des Jahrhunderts. Der Stil verlangt nach dem Rauschenden. Rauschende Laubmassen, rauschende Ströme Wassers. Es wird ein gewaltiger Aufwand getrieben, um das Wasser möglichst reichlich und mit starker Kraft zu gewinnen2). — Die Villa ďEste mag in dieser Architectur vorangegangen sein, sie hatte den Teverone in nächster Nähe zu ihrer Verfügung. Doch findet sich hier noch viel Kleinliches und bloss Zierliches, was später nicht mehr vorkommt; z. B. jene ganze lange Wand mit den fast unzählbaren kleinen Brünn lein. Wie viel grossartiger sind die analogen 22 Nischen in ViUa Conti (Frascati). Die Erscheinungsformen des Wassers sind die Fontana, die Cascata, das Bassin. a. Die Fontana. Der Brunnen ist entweder isolirt oder an eine Wand gelehnt, beziehungsweise in eine Nische gefügt. Die Behandlung ist entweder eine tectonische oder geht zur Rustica, zu naturalistischem Felsbau über, Aus der Kreuzung dieser zwei Gegensatzpaare ergeben sich vier Haupttypen der Fontana, Der isolirte tectomsche Brunnen3), — Seine Elemente: ein unteres Becken, der Stamm, eine obere Schale und daraus sich emporhebend das wasserspeiende Glied. (Selten noch eine zweite Schale.) ^ Das untere Becken, früher meist eckig, wird rund oder oval-geschweift; im Profil nicht gerade, sondern ausbauchend, mit stärkerer Einziehung nach unten. Einige niedrige Stufen vermitteln mit dem Erdboden. i) Bottari, lett. pitL VI, 120. a) Auch die Stadt Rom ist berühmt für ihren Brunnenreichthüm. Scarnozzi I. 343: sopra tutto Roma, ove non é piazza ně campe- né strada principále che non abbia una o due bellissime fontáne. s) Es sei erlaubt, diesen Gegenstand hier zu besprechen, obwohl die Villen den kleineren Ant Ii eil gegenüber den Plätzen der Stadt daran haben. Die Hauptmeister sind wieder Vignola, Giacomo della Porta and Maderna. Eine Specialarbeit wäre lohnend. TS http://digi.ub uni-hEidelberg.de/diglit/woelfflinlSSS/OI41 © Universitätsbibliothek Heidelberg gefördert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. Eckig noch die berühmte Fontána della Rocca des Vignola (in Viterbo}, die Fontana auf Piazza in Campitelli von G, della Porta und vereinzelt noch hie und da, — Die schönste Profillinie bietet wohl Domenico Fontana in dem Brunnen, der einst auf Piazza del popolo stand '). {Sie lehnt sich übrigens an an die Losung, die schon Giac, della Porta an dem Brunnen vor dem Pantheon2) gegeben hatte.) Die obere Schale, von der Renaissance flach gebildet, mit scharfem Rand, wird tief, der Rand übergeschlagen, so dass das Wasser gleichmässig nach allen Seiten herunterplätschert; der Barock duldet nicht einzelne Strahlen, das Wasser soll formlos ü he rfli essen. Und so wird auch oben, das Element nicht in scharfem Strahl emporgetrieben, sondern erscheint als Strahlengarbe, massenhaft, formlos. Vgl. die prächtigen Exemplare auf dem Colonnadenplatz von Maderna3), Das Wasser wird von einem breiten, pilzförmigen Körper ausgestossen und fällt auf diese rundliche Fläche zurück. Wo kein Strahlenbündel zu geben war, sorgte man doch immer für einen möglichst vollen Strahl. Das Hauptgewicht wird nicht gelegt auf das Aufspringen des Wassers, sondern auf das Nieder rauschen. Die Brunnen werden dann immer breiter und niedriger, das Becken später gar nicht mehr vom Boden abgehoben, sondern als Bassin in den Boden hinein verlegt Der Nischenbrunnen. — Er erscheint selten einzeln, meist in einer Gruppirung von drei bis fünf Nischen, In Rom gaben Domenico und Giovanni Fontana die berühmten Muster, jener mit der Aqua felice*) (1587), dieser mit der Aqua Paola&) (i6i2). Grosse Bogennischen mit schwerer Attica und krönendem Aufsatz. Das spätere Monument verbreitert die Anlage durch Beifügung zweier kleiner Eck ní sehen zu den drei Hauptnischen. Uebrigens fehlt beiderorts die ursprüngliche Gestalt: ehemals standen nur einzelne runde Brunnenbecken in den Nischen. Die tiefliegenden *) Abb. bei Fulda; fontáne di Roma, I. tav. 14. 2) Falda. I. 25. 3) Falda. I, 1, 4) Letarouilly IL 331. Moses, Wasser aus dem Felsen schlagendt als Brunnenfigur zu venverthen, war schon eine Idee des Michelangelo, Vas. VII. 58. 5) lyCtarouilly III. 276, 9* UNIVERS1TÄTS-BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.urii-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSSa/0142 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellschaft der Freunde Universal Heidelberg e.V. — 132 — grossen Bassins davor, kamen erst später dazu1). Es mag das Beispiel der fontána Treví entscheidend gewirkt haben. Der naturalistische Brunnen, ist in seinem Haupttypus reprasend rt durch, die „fontána rustica", die sich aus Felsblöcken aufbaut Die Gartenarchitectur ist hierin verständlicherweise der städtischen vorausgegangen. In den Villen waren derartige Felsgruppen längst bekannt, ehe Bernini auf der Piazza Navona ein monumentales Beispiel dieser Gattung aufzurichten wagte. In den Bninnenanlagen des grossen vaticanischen Gartens hat Maderna schon frühe die letzten Konsequenzen der Rustica-Manier gezogen* Man kann hier auch einsehen, wie dieser naturalistische Brunnen fast von selbst zum Grotten bau sich ausbildet. Musterstück i die fontána dello scoglio (der Klippenbrunnen), ein wüster Felshaufeu mit Grotten und vorderem Bassinin der von allen Seiten und auf alle Weise das Wasser rauschend nieder spritzt und nie der sprudelt. Eine Form, die sich hier anschliessen lässt, ist dann der Tropfstemhöhlenbau, stanzone della pioggia; wobei es sehr verschiedene Grade des Festhaltens an einem technischen Gefüge geben kann. Die Koniposition mit Muscheln und Tuffsteinen ist schon dem Alberti bekannt. Eine eingehende Schilderung eines derartigen Baues giebt dann Annibale Caro (153B)2), der als feiner Kenner spricht und auch die verschiedenen Schallemdrücke analysirt. Das Ganze sei schauerlich und düster, dTun orrore, che tsene insieme del rítirato e del ven er and o * Eine kurze Anleitung giebt auch Vasari in der introduzione zu den Biographien3); ér rechnet aber noch mit sehr kleinen Motiven. b* Die cascata. Das Mittelstück des an den Berg angelegten Gartens bildet ein Wasserlauf. Er kommt nicht als formloser Bach den Abhang herunter, sondern stilisirt; die einzelnen Motive des Laufes und Sturzes möglichst gross und massig* Fortschritt vom Formlosen und Ungebundenen zu immer strengerer Fassung, je näher dem Hause, Hauptbeispiel: Die lange cascata der Villa Aldobrandini* Das Wasser erscheint hoch oben in roher Naturumgebung, als fontanone *) So muss man wenigstens aus den Abbildungen bei Falda schliessen. (1691). 2) Bottari, ktt pitt. V* 271 ff 3) Cap> V,; i 140 ff. UNIVERSETÄTS* BIBLIOTHEK IIHLDELBERO http://digr.Lib.uri-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0143 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. 1 - 133 — rustico, dann gerader Lauf zwischen halbrunden Wülsten — das Wasser sammelt sich: stürzt über eine hohe Wand in ein Bassin, verschwindet — kommt weiter unten aus einem Loch wieder hervor, es wechselt nochmals gerader Lauf mit Stauung in einem Bassin^ die Profi Ii rung der Einfassungen wird durchgebildeter, das Wasser kommt in interessante Bewegung: wellig abgetreppte Fläche mit stärkerer Neigung; Schlusssturz als Mittel stück des teatro hinter dem Palast. — Die vollkommenste Lösung der cascata giebt wohl Villa Conti, Es ist nur Ein Motiv, aber gross, mächtig und rauschend. Vier, immer breiter werdende wulstige Ausbauchungen, in jede Bauchung eine Schale eingestellt, mit schwellender Lippe, das Wasser fliesst über, gleitet über eine schiefe Ebene mit Schuppenmuster ä) und stürzt von dieser in die nächste Schale. Alles Kleinliche ist weggelassen, auch die mit Spiralen umzogenen Säulen, an denen das Wasser herumläuft, die kleinen Muschelschalen auf den Treppenbalustraden, wo eine das Wasser an die andere abgiebt und so eine cascata im Kleinen vorstellt u. s. w. c. Der Teich. In rechtwinkeliger Form kennt ihn schon die Renaissance als Fischteich oder Badebassin ; gewöhnlich ist er in einen strengern Form zusammen hang aufgenommen- Bei Villa Madama in unmittelbarer Nähe des Hauses, angelehnt an die seitliche Terrasse; bei Villa d'Este fügt er sich den Beeten des Blumenparterres ein. Später ist er gewöhnlich rund oder oval, meist mit einer Fontana als Mittelgruppe. Immer tief, der Grund soll nicht durchscheinen. Der erste „natürliche** See mit einer kleinen Insel in der Mitte findet sich in Villa Dona, in den freiern Aussenbezirken der Villa. Der Naturalismus beschränkt sich aber auf ein in Rnstica gehaltenes Ufer. Die Form des See's ist ebensosehr nach einer regelmässigen Figur bestimmt, wie die Insel die genaue Mitte einnimmt2), 9. Das Wasser musste schliesslich auch noch zu Zwecken dienen, die mit dem Form ideal des Barock wenig zu thun haben: ich meine zu jenen musikalischen Kunststücken, die die Zeit- t) Schuppenmuster sehr allgemein. Vgl, Maderna's Brunnen vor S. Peter, 2) Und doch war der See fähig, einen Dichter zu dem Verse zu begeistern: „Stagna superfusi dum cemis rustica föntis Urban 1 possis spernere fontis acquas." Bei Faiäa} Villa Doria Panfilia. Universität* 9efůrdert durch die BIBLIOTHEK HEIOELBERG http://digi.ub.utii-heidelberg.de/diglit/woelfflinlS8S/0144 GweiiKiiait der Freunde © Universitätsbibliothek Heidelberg - 134 - genössen aufs Höchste bewunderten und zu den Scherzen, die sich der Gutsherr mit harmlosen Besuchern erlaubte, indem er sie unversehens von einem Wasserstrahl durchnässt werden liess. Der Barock liebt das Starktönende. Fast alle grossen Wasseranlagen sind mit Schall werken verbunden, Am berühmtesten waren die Tonkünste im teatro der Villa Aldobrandini, Eine Beschreibung giebt Keissler t): Ein Löwe und eine Tigerin kämpfen miteinander und diese ahmt mit dem Wasserspritzen aus Nase und Rachen das Pfuchzen einer erzürnten Katze sehr natürlich nach. Der Wasserstrahl in der Mitte verursacht einen solchen Lärm, als wenn Granaten und Luftkugeln geworfen würden mt ein Centaur bläst auf dem Horn, dass man's vier Meilen weit hört u, s. w. Die Wasserscherze spielen auf den zeitgenössischen Abbildungen eine sehr grosse Rolle: man zeichnet keinen Garten, ohne ein paar Menschen mitzugeben, die jählings vom Wasser überfallen werden. Man hatte sich namentlich vorzusehen, wenn man sich setzen, oder einen Gatter aufmachen, die Treppe hinaufsteigen wollte u, s. w. Besonders schlimm scheint in dieser Beziehung Villa Conti gewesen zu sein3). IO. Um diesen ganzen Garten Stil zu verstehen, ist es nöthig, sich klar zu machen, dass der Villen-Park jener Zeit immer auf eine grosse prächtige Gesellschaft berechnet ist. Man lässt sich nicht gehen in dieser Umgebung, der streng-stilisirte Garten erfordert Haltung und Würde; man durch schlendert nicht diese Wege, sondern man durch wandelt sie, womöglich mit grossem Aufzug, mit Damen und Pferden und Wagen. Man darf etwa auch an die fetes galantes denken, wie sie später gemalt worden sind. Den directen Gegensatz zu diesem italienischen Park bildet der nordisch-moderne Garten, der die Natur ohne Umgestaltung geben will. Ich meine nicht den afTectirten englisch-chinesischen J) Keis$Urt neueste Reisen. 1751- I- 696. 2) Vgl. Keissler a, a, Ö. I, 686. Ein Beispiel in grösserem Stil aus Poggio reale bei Neapel erzählt Serlio (lib, HI, 121). Wenn der König gut aufgelegt war, so setzte er die Herren und Damen der Gesellschaft mit einem Druck unter Wasser, e cosl ad im tratto, quando pareva al re, faceva rimauere quel luogo asciutto ne vi maneavano vestirnenü diversi per rivestirsi etc, 0 delitie Italiane, fügt Serlio bei, come per la discordia vostra siete estinte. UNIVERSITÄTS BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digr.Lib.uri-heidelberg.de/ctiglit/woelfflinl8SS/0145 © Universitätsbibliothek HeideJberg gefordert durch die Gesettschalt dor Freunde UnlvcrsLtäi Heidelberg e.V. m - 135 — mit Naturbrücken, Strohhütten, künstlichen Ruinen und dergl., sondern denjenigen, den die Naturbegeisterung eines Rousseau u. a. verlangte. Es ist dieser Geschmack verbunden mit einer elegischen Sentimentalität. Das Ideal einer reinen, unberührten Natur, nach der die Seele sehnsuchtsvoll zurückverlangt, existirt aber für die italienische Gartenarchitectur so wenig, wie für die ländlichen Poesien eines Tasso und GuarinL Hieraus erklärt sich denn auch, dass der Italiener nicht das Bedürfniss hat, einsam mit der Natur zu verkehren; es kommt aber als Weiteres dazu eine grossartige Liberalität der Gesinnung: der italienische Park steht Jedermann offen. In Inschriften wird dieser Grundsatz auf verschiedenste Weise ausgesprochen. Mehreres der Art findet man bei Keissler zusammengestellt. Am schönsten ist das Gärtneredict aus Villa Borghese. Als harmloser Schlussschnörkel möge es hier noch seine Steile finden: Villae Burghesiae Pincianae Custos haec edico: Quisquis es, si Über, Legum compedes ne hic timeas, Ito quo voles, carpito quae voles, Abito quando voles. Exteris magis haec parantur quam hero, In au reo Seculo, ubi cuncta aurea Temporum securitas fecit, Ferreas leges praefigere herus vetat: Sit hic amico pro lege honesta voluntas. Verum si quis dolo malo Lübens sciens Aureas urbanitatis leges fregerit, caveat ne sibi Tesseram amicitiae subiratus villicus Advorsum frangaL UNIVERS1TÄTS- "r?^ BIBLIOTHEK HEIDELBERG http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglJt/woelfflinlSS8/0H6 © Universitätsbibliothek HeideEberg gefördert durch die Gesellxhalt der Freunde UnkvtrsHdl H*LdeltH»f g e.V.