V» yjjf* ch war nervös, aber nur leicht. Ich finde diese milde Nervosität beruhigend, sie zeigt, dass ich konzentriert bin. Viereinhalb Monate hatten wir darauf hingearbeitet: Wie weiland dem Hofbräukeller war ich der Sendung jenes Wizgür entwachsen, wie weiland in den Zirkus Krone war ich in ein neues Studio gezogen, das meiner eigenen Sendung diente. Wie man hörte, erreichten die Einnahmen aus Werbung der deutschen Industrie bereits wieder ein Niveau, das den Unterstützungsmitteln kurz vor der Machtergreifung 1933 vergleichbarwar. Eine Vorfreude aufkommende Ereignisse durchfuhr mich, dennoch bewahrte ich eiserne Konzentration. Ich kontrollierte noch einmal kurz mein Bild im Spiegel. Tadellos. Sie ließen den Vorspann über den Studiobildschirm laufen. Er war gut geworden, meine Wertschätzung für den einstigen Hotelreservierer Sawatzki war immer weiter gewachsen. Eine simple Basstonfolge der Titelmelodie läutete ihn ein, man sah mich in alten Aufnahmen, wie ich den Vorbeimarsch der SA in Nürnberg abnahm. Dann einige kurze Aufnahmen von Riefenstahl, aus »Triumph des Willens«. Und darüber sang eine ganz liebenswürdige Schlagerstimme: »Er ist wieder da, wieder hier.« Jetzt wurden einige gute Aufnahmen vom Polenfeld- zug gezeigt. Stukas über Warschau. Abgefeuerte Geschütze. Guderians rasende Panzer. Dann ein paar sehr schöne Aufnahmen von mir beim Truppenbesuch an der Front. »Er ist wieder da«, sang die liebliche Frauenstimme, »so sagt man mir.« Darm kamen einige Aufnahmen neueren Datums. Sie zeigten mich beim Bummel über den neuen Potsdamer Platz. Wie ich bei einer Bäckerin einige Brötchen kaufte und, diese Bilder gefielen mir besonders, wie ich an einem Spielplatz zwei kleinen Kindern den Kopf tätschelte, einem Buben, einem kleinen Mädel. Die Jugend ist einfach unsere Zukunft. »Dass er noch nicht bei mir war«, klagte die Stimme verständlicherweise, »kann ich nicht verstehn — und ich frage mich, was ist nur geschehn.« Das hatte ich schon sehr bewegend gefunden, als ich den Schlager in der Diskussion über die Titelmelodie das erste Mal gehört hatte, weil ich ja tatsächlich nicht genau sagen konnte, was geschehen war. Die Bilder präsentierten mich nun im Fond eines schwarzen Maybach auf der Fahrt zum Aufzeichnungsort, einem ausgedienten Kino. Und während ich dort angekommen ausstieg, ins Kino schritt und die Kamera hinter mir nach oben auf den Kinoschriftzug schwenkt, der den Namen der Sendung zeigte - »Der Führer spricht« sang die Dame den geschickt zurechtgeschnittenen Schluss ihres Liedes: »Er ist wieder da — wiiiiiie-deeeeeer hiiiier.« Ich hätte den Vorspann immer und immer wieder ansehen können, aber spätestens bei der Brötchenszene musste ich mich hinter den Kulissen auf den Weg machen, damit ich direkt nach dem Ende des Liedes am 324 325 Schreibtisch saß und mit ernster Miene den Begrüßungsapplaus entgegennehmen konnte. Es war insgesamt etwas entspannter als, sagen wir, im Sportpalast, aber durch die Einleitung dennoch recht feierlich. Sie hatten mir ein schönes Studio gebaut, kein Vergleich mit der einfachen Rednerbühne bei Wizgür. Man hatte es der Wolfsschanze nachempfunden, ein Kompromiss. Ich hatte zuerst den Obersalzberg vorgeschlagen, die Dame Bellini sagte, das sehe zu heiter und lieblich aus, und schlug den Führerbunker vor — wir einigten uns dann auf die Wolfsschanze. Ich bin mit einer Produktionstruppe sogar hingefahren, eigentlich mehr aus Neugier, denn natürlich hätte ich ihnen den ganzen Aufbau des Komplexes aus dem Gedächtnis detailgetreu aufmalen können, innen und außen, samt Wachpersonal. Aber die Dame Bellini bestand nicht ganz zu Unrecht darauf, das Produktionsteam müsse vor Ort einen eigenen Eindruck gewinnen. Ich hatte selbstverständlich angenommen, die Russen hätten in ihrem Machtbereich alles geschleift, was Zeugnis von unserer Vergangenheit ablegte, aber gegen den Stahlbeton der Organisation Todt hatten sie natürlich keine Chance. Man hat sogar die Flaktürme in Wien stehen lassen müssen, weil man sie einfach nicht sprengen konnte. Natürlich hätte man sie bis unter das Dach mit TNT vollstopfen können, aber Tamms, dieser Teufelskerl, hatte sie genialerweise mitten in die Wohngebiete gesetzt. Jetzt stehen sie immer noch da, Denkmäler deutscher Festungsbaukunst, beeindruckend düster. Die Polen hingegen haben eine Art Freizeitpark aus der Wolfsschanze gemacht, da tut einem das Herz 326 fast weh angesichts dieser uninteressierten Naivität, mit der dort jetzt der letzte ahnungslose Lümmel über das Gelände schlurft. Da fehlt einfach der nötige Ernst, da sind mir letzten Endes diese Dokumentationszentren noch lieber, die sie jetzt überall hinbauen. Natürlich wird das Volk da ideologisch berieselt, aber insgesamt sind der Ernst der Bewegung und auch das Ziel weitgehend korrekt wiedergegeben, sogar inklusive der Judenproblematik. Selbstverständlich ein wenig eingefärbt von diesen Weltverbesserern, aber doch nicht so, dass sie nicht sicherheitshalber immer noch überall hinschreiben, wie »menschenverachtend« unsere Politik gewesen sei. Der Goebbels hätte ihnen das sofort rausgestrichen: »Wenn Sie's extra reinschreiben müssen, dann ist der Text jämmerlich. Ein guter Text muss so sein, dass der Leser sofort gar nichts anderes denken kann als: >Das war ja menschenverachtend. < Dann - und nur dann - glaubt er nämlich, er sei selber draufge-kommen!« Der gute Goebbels. Ich hab seine Kinder so gemocht, die waren mir immer das Liebste im Führerbunker! Die Wolfsschanze, nun ja: Ein Hotel haben sie jetzt dort, in der Kantine gibt's jeden Tag masurisch, und in der Nähe ist ein Schießstand, bei dem man mit Luftgewehren schießen kann, insgesamt eine klägliche Veranstaltung. Wenn man mich den Laden leiten ließe, ich hätte unsere OriginalwafTen eingesetzt, das Gewehr 43, die Pistole 35, die Luger, die Walther Armeepistole oder auch die PPK, obwohl, die PPK vielleicht nicht, weil ich bei dem Gedanken an die gute alte PPK stets wieder diese lästigen Kopfschmerzen bekomme. Ich sollte vielleicht mal einen Arzt dazu fragen, aber in letzter Zeit fällt mir das schwer. Es war schon praktisch, damals, mit 327 dem Theo Morell immer in der Nähe. Göring hat ihn nicht gemocht, aber Göring war auch nicht in jeder Beziehung eine Leuchte. Ich wartete, bis der Applaus vollkommen erloschen war, was gewöhnlich eine regelrechte Nervenprobe zwischen Sender, Publikum und mir war, denn ich wollte absolute Stille. Und ich habe noch jedes Publikum zur Ruhe bekommen. »Volksgenossinnen und Volksgenossen! Wir wissen: Eine Nation lebt von ihrem Boden. Ihr Boden ist ihr Lebensraum. Doch — in welchem Zustand ist denn dieser Boden heute? Die >Kanzlerin< sagt: Hervorragend. Nun ja. Früher galt es in diesem Lande als 328 das Höchste, wenn man sag^te: Hier kann man von1 Boden essen. Wo, frage ich ^iese >Kanzlerin<, möchten Sie a;m liebsten vom Boden essen? Auf die Antwcort warte ich heute noch, denn auch die >Kan%ierin< weiß: Der deutsche ^Boden ist verseucht vom Gift des Großkapitals, der internatiotiaien Hochfinanz! Der deutsche feoden ist voll Müll, das deutsche K^nd braucht Hochstühle, um gesund zu sitzen, der deutsche fviann, die deutsche Frau, die deutsche F amilie fliehen möglichst weit, in Hochhäuser der kleine deutsche Hund, er heißt Strupf oder vielleicht aucn Spitzl, er tritt mit seiner empfindlichen pfote in einen Kron^nkorken, oder er leckt a^ einem Dioxin und stirDt qualvoll und unter Krämpfen! Der arme, arrr\e Struppi. Und das ist der Boden, von dem unsei>e 329 >Kanzlerin< essen möchte. Na, Mahlzeit! Unser heutiger Gast ist eine Expertin für den deutschen Boden. Die grüne Politikerin Renate Künast.« Eine groß gewachsene SS-Ordonnanz führte sie herein, Werner hieß er, er war blond, er hatte ausgezeichnete Manieren, und auch wenn man der Dame die Abneigung gegen seine Uniform deutlich ablesen konnte, so konnte man doch genauso aus ihrer Mimik eine gewisse Anerkennung seiner körperlichen Vorzüge wahrnehmen. Frau bleibt Frau. Auch die Idee zu Werner stammte von Sawatzki. Man war in den Reihen von Flashlight der Ansicht, ich brauchte einen Assistenten. »Das ist wichtig«, hatte Sensenbrink damals gesagt. »Es gibt Ihnen die Möglichkeit einer dritten Ansprache. Wenn der Gast mau ist, wenn eine Bemerkung nicht zündet, dann sitzen Sie nicht allein mit dem Publikum da.« »Ich kann also jemand anderem die Schuld zuschieben?« »Sozusagen.« »Das mache ich nicht. Der Führer delegiert die Tätigkeiten, aber nicht die Verantwortung.« »Der Führer macht aber auch nicht selbst die Tür auf, wenn's läutet«, hatte die Dame Bellini eingewandt. »Und Gaste kriegen Sie ja wohl mehr als genug.« Das war allerdings richtig. »Sie haben doch damals auch irgendeinen Assistenten gehabt? Wer hat Ihnen denn die Tür aufgemacht?« 330 ■ Sie hielt kurz inne, dann fugte sie hinzu: »Also - nicht Sie. Sondern der Hitler.« »Schon gut«, meinte ich, »die Tür? Das wird wohl der Junge gewesen sein. Oder zuletzt einer von Schädles Leuten ...« »Oh Mann«, hatte Sensenbrink geseufzt, »die Typen kennt ja keine Sau.« »Ja, was haben denn Sie gedacht? Dass mir Himmler persönlich morgens die Uniform aufbügelt?« »Den würde man wenigstens kennen!« »Machen wir's doch nicht so kompliziert«, hatte die Dame Bellini gebremst. »Sie haben doch jetzt auch nicht irgendeinen kleinen SS-Mann genannt, sondern den ... Schäuble?« »Schädle.« »Eben. Stellvertretend. Dann gehen wir eben noch eine Etage höher. Ist ja nur symbolisch.« »Na gut«, sagte ich, »dann wird's wohl auf Bormann hinauslaufen.« »Wen?«, fragte Sensenbrink. »Bormann! Martin! Reichsleiter.« »Nie gehört.« Ich war kurz davor, ihm mal ordentlich die Meinung zu sagen, aber da fiel mir die Dame Bellini m den Arm. »Ihre Sachkenntnis ist toll«, flötete sie, »das ist ganz groß, dass Sie diese ganzen Details kennen, das bringt sonst keiner! Aber wenn wir die Masse kriegen wollen, die ganz große Quote«, und da machte sie nicht ungeschickt eine kleine Pause, »dann können wir Ihren Assistenten nur aus einem kleinen Kreis aussuchen. Sehen Sie's mal realistisch: Wir können Goebbels nehmen, Göring, Himmler, vielleicht noch Heß ...« »Heß nicht«, warf Sensenbrink ein, »da ist auch im- 331 mer so ein Mitleidsfaktor mit drin. Armer alter Mann, ewig eingesperrt wegen der bösen Russen____« »... ja, gut, sehe ich auch so«, fuhr die Dame Bellini fort, »das war's dann aber schon, was wir an Kandidaten haben. Sonst fragt in der Sendung jeder Zuschauer nach dreißig Sekunden, wer der seltsame Typ da neben dem Führer ist. Irritation ist gar nicht gut. Sie selber sind irritierend genug.« »Goebbels würde mir nie die Tür aufmachen, wenn's klingelt«, sagte ich etwas trotzig, aber ich wusste natürlich, dass sie recht hatte. Und selbstverständlich hätte mir Goebbels die Türen aufgemacht. Goebbels hätte alles für mich gemacht. Ein bisschen wie damals mein Fox! im Schützengraben. Aber es war mir auch klar: Goebbels durfte es nicht werden. Sie hätten aus ihm einen Quasi-modo gemacht, wie den buckligen Fritz in dieser sensationellen Frankenstein Verfilmung mit Boris Karloff. Sie hätten aus ihm eine groteske Kreatur geformt und ihn jedes Mal dem Spott preisgegeben, sobald er über die Bühne schlurfte. Das hatte Goebbels nicht verdient. Göring und Himmler hingegen ... Gewiss, sie hatten ihre Meriten, aber ein gerechter Zorn über ihren Verrat glomm immer noch. Andererseits hätten sie Aufmerksamkeit von mir abgezogen. Ich hatte ja gesehen, was mit Wizgür geschehen war. »Und wenn wir den unbekannten Soldaten nehmen?« Das war vom Hotelreservierer Sawatzki gekommen. »Wie meinen Sie das?«, fragte die Dame Bellini. Sawatzki setzte sich aufrecht hin. »Einen großen, superblonden«, sagte er, »so ein SS-Typ.« »Gar nicht schlecht«, meinte die Dame Bellini. »Göring wäre der bessere Lacher«, sagte Sensenbrink. »Wir wollen keine billigen Lacher«, sagte ich in einem Satz mit der Bellini. Wir sahen uns an. Sie gefiel mir mit jedem Male besser. »Schon, dass Sie da sind«, begrüßte ich Frau Künast und bot ihr einen Platz an. Sie setzte sich selbstbewusst, wie jemand, der die Kameras kennt. »Ja, freut mich auch«, sagte sie spöttisch, »irgendwie.« »Sie fragen sich vermutlich, warum ich Sie eingeladen habe.« »Weil sonst keiner zugesagt hat...?« »Oh nein, wir hätten auch Ihre Kollegin haben können, die Frau Roth. Da fällt mir ein: Können Sie mir einen Gefallen tun?« »Kommt drauf an.« »Bitte eliminieren Sie diese Frau aus Ihrer Partei. Wie soll man mit einer Partei kooperieren, die so etwas Grauenhaftes beherbergt?« »Also, das hat bisher weder die SPD gehindert noch die CDU ...« »Nicht wahr, das hat Sie auch gewundert?« Sie war für einen ganz kurzen Moment irritiert. »Ich möchte mal hier festhalten, dass die Claudia Roth eine ausgezeichnete Arbeit macht und ...« »Sie haben ja recht, vielleicht genügt es, wenn man sie einfach von den Kameras fernhält, in einem fensterlosen Kellerraum, schallgeschützt - aber da sind wir schon beim Thema: Ich habe Sie eingeladen, weil ich natürlich in die Zukunft planen muss, und wenn ich es recht sehe, braucht man für eine Machtergreifung parlamentarische Mehrheiten...« »Parlamentarische Mehrheiten?« 332 333 »Ja, sicher, wie 1933, da habe ich noch die DNVP gebraucht. Das könnte in absehbarer Zukunft ähnlich laufen. Aber leider gibt es die DNVP nicht mehr, und jetzt dachte ich, ich prüfe mal, wer so infrage kommt für eine neue Harzburger Front...« »Und da kommen Sie als Ersatz ausgerechnet auf die Grünen?« »Warum denn nicht?« »Ich sehe da ja wenig Möglichkeiten«, sagte sie stirnrunzelnd. »Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, aber stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel. Ihre Partei ist geeigneter, als Sie vielleicht glauben!« »Da bin ich aber neugierig.« »Ich nehme an, wir haben vereinbare Visionen für die Zukunft. Verraten Sie mir bitte: Wo sehen Sie Deutschland in fünfhundert Jahren?« »In fünfhundert?« »Oder in dreihundert Jahren?« »Ich bin keine Prophetin, ich halte mich eher an Realitäten.« »Aber Sie werden ja wohl ein Konzept für Deutschland haben?« »Doch nicht für dreihundert Jahre. Niemand weiß, was in dreihundert Jahren sein wird.« »Ich schon.« »Ach? Was wird denn in dreihundert Jahren sein?« »Die Grünen suchen in ihren Zukunftskonzepten Rat beim Führer des Deutschen Reiches — ich sagte Ihnen doch, dass eine Kooperation gar nicht so unvorstellbar ist...« »Behalten Sie's für sich«, ruderte Künast eilig zurück, »die Grünen kommen ganz gut ohne Sie klar ...« »Also schön, wie viele Jahre in die Zukunft reicht denn Ihre Planung überhaupt? Hundert?« »Das ist doch Quatsch.« »Fünfzig? Vierzig? Dreißig? Zwanzig? Wissen Sie was? Ich zähle runter und Sie sagen einfach >Stopp!<.« »Kein Mensch kann seriös sagen, dass er kommende Entwicklungen weiter abschätzen kann als sagen wir zehn Jahre.« »Zehn?« »... oder meinetwegen fünfzehn.« »Also gut: Wo sehen Sie Deutschland in einer Viertelstunde?« Künast seufzte. »Wenn Sie unbedingt meinen: Ich sehe Deutschlands Zukunft als umweltfreundliches, energiepolitisch nachhaltig versorgtes Hochtechnologieland vor allem für Umwelttechnik, eingebettet in ein friedliches Europa unter dem Dach von EU und UN ...« »Haben Sie das, Werner?«, fragte ich meine Ordonnanz. »... eingebettet in ein friedliches Europa unter dem Dach von EU und UN«, notierte Werner brav »Dass es die EU bis dahin noch gibt, wissen Sie aber?«, fragte ich. »Selbstverständlich.« »Sind da die Griechen noch dabei? Die Spanier? Die Italiener? Die Iren? Die Portugiesen?« Künast seufzte: »Wer kann das heute schon sagen?« »In der Energiepolitik können Sie das! Da denken Sie in meinen Dimensionen! Wenige bis keine Importe, vollständige Autarkie aus nachwachsenden Rohstoffen, aus Wasser, Wind, das ist energiepolitische Sicherheit auch in hundert, zweihundert, tausend Jahren. Sie kön- 334 335 nen ja doch ein wenig in die Zukunft sehen. Und was soll ich sagen - es ist das, was ich auch immer schon forderte ...« »Moment! Aber aus völlig falschen Gründen!« »Was haben denn die Gründe mit nachhaltiger Energiewirtschaft zu tun? Es gibt gute Windräder und es gibt schlechte Windräder?« Sie sah mich ärgerlich an. »Verstehe ich Sie recht«, hakte ich nach, »zur artgerechten Haltung von Delphinen darf man die gute, gesunde Sonnenenergie verwenden, aber wenn man die ukrainischen Ackerböden mit germanischen Wehrbauern besiedelt, kriegen die nur Braunkohlestrom? Oder Atomenergie?« »Nein«, protestierte Künast, »dann besiedelt man sie mit Ukrainern. Wenn man sie überhaupt besiedelt!« »Und die Ukrainer dürfen dann aber Windenergie nutzen? Oder haben Sie da auch spezielle Vorstellungen? Haben Sie für die Energiearten und ihre korrekte Verwendung eigentlich ein Verzeichnis?« Sie lehnte sich zurück. »Sie wissen genau, dass das so nicht gemeint ist. So wie Sie argumentieren, könnten Sie ja gleich fragen, ob die Ermordung von Millionen Juden mit Solarenergie besser gewesen wäre ...« »Interessant«, sagte ich, »aber das Thema Juden ist nicht witzig.« Für einen Moment hörte man gar nichts im Studio. »Stille im Fernsehen ist immer eine Verschwendung kostbarer Volksfrequenzen«, sagte ich. »Machen wir in der Zwischenzeit lieber etwas Werbung.« Das Licht wurde etwas gedämpft. Einige Mitarbeiter aus der Maske kamen und erneuerten unsere Gesichter. Künast deckte mit der Hand ihr Mikrofon ab. »Das ist ganz schön an der Grenze, was Sie hier veranstalten!«, sagte sie gedämpft. »Ich kenne natürlich die Befindlichkeiten Ihrer Partei«, sagte ich, »aber Sie müssen zugeben — ich habe nicht mit den Juden angefangen.« Sie überlegte kurz. Dann ging das Licht wieder an. Ich wartete den Applaus ab, dann fragte ich: »Begleiten Sie mich bitte zum Kartentisch?« Wir hatten im Studio rechts außen den alten Kartentisch aus der Wolfsschanze nachgebaut. Ich hatte eine schöne große Reliefkarte der Welt bestellt. »Warum«, fragte ich beim Hinüb erschien der n, »verzichtet Ihre Partei in letzter Zeit eigentlich auf die Erfahrung, auf das Wissen eines Mannes wie des früheren Kriegsministers Fischer?« »Joschka Fischer war nie Verteidigungsminister«, entgegnete Künast brüsk. »Da haben Sie recht«, pflichtete ich ihr bei, »ich habe ihn auch nie als Verteidigungsminister gesehen. Verteidigen kann man nur Reichsgebiete, und da gehört das Kosovo ja nun nicht unmittelbar dazu. Eine Annexion hatte angesichts der Entfernung auch keinen Sinn gemacht — oder sehen Sie das anders?« »Eine Annexion des Kosovo stand doch nie zur Debatte! Es ging um die ethnischen Säuberungen... also, ich erkläre Ihnen doch jetzt nicht die Sache mit der Intervention im Kosovo. Da konnte man einfach nicht wegsehen!« »Niemand hat dafür mehr Verständnis als ich«, sagte ich ernst. »Sie haben völlig recht, es gab da gar keine Alternative, ich kenne das noch von 1941. Was macht denn dieser Fischer eigentlich jetzt so?« Ihre Augen pendelten zwischen den aktuellen Befind- 336 337 lichkeiten des Herrn Fischer und einer vergleichenden Betrachtung der Balkanpolitik der letzten siebzig Jahre. Sie entschied sich für Ersteres. »Wichtig ist, dass die Grünen sich um Talente in den eigenen Reihen keine Sorgen machen müssen. Joschka Fischer war und ist eine wichtige Person in der Geschichte der grünen Bewegung, doch jetzt sind andere an der Reihe.« »Wie zum Beispiel Sie?« »Wie - unter vielen anderen - auch ich.« Wir waren inzwischen beim Kartentisch angekommen. Ich hatte die Einsatzorte der »Bundeswehr« mit Fähnchen markieren lassen. »Darf ich Sie fragen, wie die Grünen den Einsatz in Afghanistan siegreich beenden möchten?« »Was heißt siegreich beenden — der Militäreinsatz muss dort möglichst rasch beendet werden. Das fuhrt nur zu weiterer Gewalt...« »In Afghanistan gibt es für uns nichts zu gewinnen, das sehe ich ähnlich. Was sollen wir dort?« »Moment«, sagte sie, »aber ...« »Jetzt sagen Sie bitte nicht, Sie haben wieder Bedenken wegen meiner Motive«, sagte ich. »Sagen Sie bitte nicht, dass nur Sie sich aus Afghanistan zurückziehen dürfen, und ich müsste drinbleiben!« »Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt noch was sage«, meinte sie und irrte mit den Augen durchs Studio. Ihr Blick blieb unter dem Kartentisch hängen. »Da steht noch eine Aktentasche«, sagte Künast süffisant, »gehört das so?« »Die hat wohl jemand vergessen«, sagte ich abwesend, »wo ist eigentlich Stauffenberg?« Die Sache mit der Aktentasche unter dem Karten- tisch war wiederum meine Idee gewesen. Tatsächlich ist mir der ganze Vorfall beim Besuch der Wolfsschanze wieder so recht eingefallen. Ich habe dann auch vorgeschlagen, man könnte das als festes Element in die Sendung nehmen. Neben dem Gang zum Kartentisch. Die Aktentasche, fand ich, sollte man bei jeder Sendung für jeden Gast neu verstecken. »Nachdem wir uns auf den Abzug aus Afghanistan geeinigt haben«, sagte ich über den Tisch gebeugt, »verraten Sie uns zum Schluss bitte noch: Wenn die Grünen die Regierungsgewalt in diesem Lande bekommen — welches Land werden Sie als Erstes annektieren?« »Die Tasche tickt«, sagte Künast entgeistert. Das war Sensenbrinks Idee gewesen. Er hatte sie ganz kurz vor mir. »Seien Sie nicht albern«, mahnte ich. »Eine Tasche tickt nicht. Eine Tasche ist kein Wecker. Welches Land, sagten Sie?« »Kommt da jetzt Konfetti raus? Oder Mehl? Ruß? Farbe?« »Mein Gott, dann sehen Sie doch nach!« »Das würde Ihnen so passen. Ich bin ja nicht verrückt!« »Dann werden Sie es wohl nie erfahren«, sagte ich. »Wir hingegen haben einiges Interessante über Ihre sehr sympathische Partei erfahren. Vielen Dank, dass Sie bei uns waren — Frau Renate Künast!« Ich blickte unter dem Applaus hinter die Kulissen. Dort standen Sensenbrink und die Dame Bellini. Sie klatschten abwechselnd und streckten mir dazwischen ihre Fäuste mit aufgerichteten Daumen entgegen. Es war ein gutes Gefühl. 338 339