Feuchtwanger, Lion * 7. 7. 1884 München, † 21. 12. 1958 Los Angeles F. stammte aus dem jüd., in Glaubensdingen noch orthodox geprägten Großbürgertum Münchens; er brach 1903 nach dem Abitur mit seinem Elternhaus, um sich einer schöngeistigen Laufbahn zu widmen. Diese wurde seit der Gründung des literar. Vereins »Phöbus« (1903) von antisemitischen Anwürfen begleitet; in dem Schlüsselroman Der tönerne Gott (Mchn. 1910) wird - noch im Rahmen der Dekadenzliteratur um 1900 - sogleich die Frage nach den Existenzformen des Juden zum Leitthema. Auch die Dissertation Heinrich Heines Fragment ›Der Rabbi von Bacharach‹. Eine kritische Studie (Mchn. 1907), mit der F. sein philolog. Studium bei Franz Muncker abgeschlossen hatte, zeugt von seinem Interesse an der Existenz des jüd. Schriftstellers in Deutschland. Beachtung hat Feuchtwanger zuerst als Bearbeiter von Werken der Weltliteratur gefunden> des indischen Spiels Der König und die Tänzerin (nach Kalidasas Liebesdrama Sakuntala, Hrubín, Ztracený prsten), und als Antikriegsdramen gedachten Bearbeittungen von Die Perses von Aischylos und Frieden des Aristophanes. 1917 trat er mit seinem Schauspiel Jud Süß hervor, das Wilhelm Hauffs gleichnamige Novelle aus dem Jahre 1827 verarbeitet. Die Petroleumsinsel über die reiche und rachsüchtige Miß Gray nimmt manche Motive der Margarete Maultausch schon vorweg. Stoffhunger nach der expressionistischen Epoche; parallel zum Werk der historischen Essayistik Emil Ludwig (1881 – 1948) und Stefan Zweig Neuartiger Vortrag: zupackend, ohne einstige Wort-Tabus, Zeitlupen, Rückblenden Entzauberung der Geschichte: Er schont niemanden, enthüllt zynisch die Schwächen der dargestellten Personen. Jegliches Pathos des Gewesenen fehlt: nur Machtkämpfe, egoistischen Interessen, Genußsucht, Enttäuschungen. Alle sind rafferisch, fragwürdig, das Wirtschaftsgeschichtliche wird betont., Detail exakt exponiert. Metaphysische Ängste der Epoche nur ganz am Rande dargestellt. keine Sentimentalität Die häßliche Herzogin Margarete Maultasch – Zeit ökonomischer und sozialer Umwälzungen (Ritterwesen – Geldwirtschaft), Versuch einer Frau sich als Subjekt der Geschichte durchzusetzen. Fördert den wirtschaftlichen Aufschwung Tirols 180.000 Auflage 2,5 Millionen Exemplare Jud Süß (1925) – Warnung vor dem Antisemitismus. Württemberg 1732, Hofbankier Isak Simon, genannt Landauer, führt Joseph Süß-Oppenheimer (1698 – 1738) beim Hof ein, Schatullenverwalter des jungen Prinzen Karl Alexander (1733 – 1737) aus einer Nebenlinie, ein Mischling (Sohn einer jüdischen Schauspielerin und eines adeligen Abenteurers), dem die Schuldenübernahme vom Landtag verweigert wird. Jud Süß ist ein genialer Finanzpolitiker, der in Kleidung und Gebaren den Juden verleugnet. Am Rande einer Skandalgeschichte und einer literarische veredelten Kolportage. Gleichermaßen befürchtet wie beneidet. Pietistin Magdalen Sybille Weißensee, die Tochter des Präsidenten des Kirchenrates, die ihm aus Bekehrungseifer und einer Art Haßliebe anhängt, überlässt er bedenkenlos dem sinnlich-ausschweifenden Prinzen: Aber er war so gewohnt, das erst das Geschäft und der Herzog kam und Weiber und Geilheit und Sentiment erst hinterher, daß er sogleich (…) sagte, er freue sich, seiner Hoheit dienen zu dürfen. Bei Rabbi Gabriel seine Tochter Naemi versteckt gehalten. Weißensee, Präsident des Kirchenrates rächst sich dem Hofjuden, indem er die Aufmerksmakeit des Herzogs auf das Mädchen lenkt. Die Zudringlichkeit des Herzogs treibt sie in den Tod. Der Vater Süß rächt sich: verrät den verfassungstreuen Parlamentariern den Plan eines herzoglichen Staatsputsches, der den Protestantismus beseitigen und eine Militärautokratie errichten sollte. Der Herzog erleidet einen Schlaganfall, Jud Süß bietet sich den Verschwörern als Sündenbock an . Sein Persönlichkeitswandel in der Haft: er hält alles Tun für heillos, will niemand mehr kompromitieren, um sich dadurch eine Chance erhöhen, oder den Glauben zu wechseln.. Der gescheiterte Versuch der deutschen Judenschaft, ihn loszukaufen. Unter dem Galgen zitiert er den Anfang des jüdischen Glaubensbekenntnisses: Ein und ewig ist das Seinedem das Überwirkliche, der Gott Israels, Jahve, Adonai. Mit dem Welterfolg seines Romans Jud Süß (Mchn. 1925), der Bearbeitung seines früheren Jud Süß-Dramas (Mchn. 1918), hatte F. freilich zu dem Typus des »historischen Romans« gefunden, dem er auch in Werken mit zeitgeschichtl. Stoff treu bleiben sollte. Mit dem bösartigen nationalsozialistischen Propagandafilm, den Veit Harlan[1] 1940 aus dem Stoff fertigte, hat F.s Roman nichts gemeinsam. Im Schicksal des Hoflieferanten Süß-Oppenheimer, in seinem steilen Aufstieg im Württemberg des 18. Jh. u. seinem Sturz, entdeckte F. das Modell für das Dasein eines jüd. Staatsmannes, wie er es urspr. in einem Roman um Walther Rathenau schildern wollte. Entschieden widmete sich der prominente F. dem Kampf gegen den Nationalsozialismus. 1936-1939 war er Mitherausgeber der Moskauer Exilzeitschrift »Das Wort«. Bei seiner Moskaureise 1936/37 wurde er von Stalin empfangen, erlebte freilich auch den Schauprozeß gegen Karl Radek. Trotzdem bekannte sich F. in seinem Reisebericht Moskau 1937 (Amsterd. 1937) emphatisch zum Sowjetkommunismus u. löste damit heftige Debatten unter den dt. Emigranten aus. In der McCarthy-Ära scheiterte daran noch seine Einbürgerung in die USA. F.s Roman-Satiren gegen den Nationalsozialismus - Der falsche Nero (Am-sterd. 1936) Töpfer und Schauspieler, der nach Neros verheimlichtem Tod mit Hilfe von Großunternehmern eine Diktatur errichtet und zusammen mit den Helfern am Kreuz endet. von Die Zauberer (New York 1943. Endgültiger Titel: Die Brüder Lautensack. London 1944) - führen die ästhetische Faschismusdeutung aus Erfolg, die Hitler als wahnsinnigen Schauspieler einer histor. Rolle vorstellt, fort. Hanussen In epischer Breite stellt das Panorama des vorrevolutionären Frankreich, Waffen für Amerika (Stockholm 1947/48. U. d. T. Die Füchse im Weinberg. Amsterd. 1947/48), den je eigenen Beitrag verschiedener Schriftsteller- u. Menschentypen - von Beaumarchais bis Franklin - zum Fortschritt vor. Zu F.s zentralem Werk wird jedoch die Josephus-Trilogie (Der jüdische Krieg. Bln. 1932. Die Söhne.Amsterd. 1935. Der Tag wird kommen. Stockholm 1945), das Modell für das Dasein eines jüd. Schriftstellers in nichtjüd. Welt. Im Lebenslauf des antiken jüd. Geschichtsschreibers Flavius Josephus werden wirkende Mächte der Zeitgeschichte u. zgl. damit Motive von F.s gesamtem Schaffen reflektiert. Der histor.Prozeß, der vom Haß der Barbaren gegen den Geist vorangetrieben wird u. deshalb widersinnig wirkt, verlangt dem Geschichtsschreiber - nach einer Formel Theodor Lessings - die »Sinngebung des Sinnlosen« ab; wird ihm allerdings »Erfolg« zuteil, verstrickt sich der betrachtende Autor selbst in den Taumel der Macht. Der seiner jüdischen Identität verlusige, assimilierte ränische Bürger, den die Terrorherrschjaft des Domtian zu seine jüdischen Wurzeln zurück bringt. Die beiden letzten Werke F.s, Spanische Ballade (Bln./DDR u. Reinb. 1955.Seit der Ausg. Bln./DDR 1955 u. d. T. Die Jüdin von Toledo) u. Jefta und seine Tochter[2] (Bln./DDR u. Reinb. 1957), kreisen um dieses Dilemma des Judentums. Der Roman Goya oder der arge Weg der Erkenntnis (Ffm. 1951) hingegen handelt wiederum von dem Preis, den der volkstüml., gesellschaftskrit. Künstler für die Erkenntnis der Wahr-heit im Geschichtsprozeß zahlen muß; Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau (Ffm. 1952) läßt schließlich die Person desAutors völlig hinter den histor. Taten verschwinden, die durch seine Worte bewirkt wurden. So hat F. den Weltruhm seines Werkes, der einem Robert Musil, aber auch Freunden wie Thomas Mann als Indiz geringeren Ranges erschien, bis zuletzt nach seinen künstlerischen u. ethischen Voraussetzungen befragt. ________________________________ [1] Veit Harlan: Der große König (1940-42), Jud Süß (1940) [2] Der Feldherr Jephta muß die Zugehörigkeit zu Jahwe durch Opferung des einzigen Kindes beweisen.