Rosa Löffler (l.) mit ihrer Schwester Luise Ketterer. Titisee-Neustadt, nach dem Kirchgang (Aufh. 2005): R. Löffler im blauen Schöbe mit Tiilleinsatz, ihre Schwester im grünen Schöbe, ohne Einsatz getragen, und mit bestickter schwarzer Schürze; beide mit weißem Strohhut. Kleidung als Spiegel der sozialen Verhältnisse Viele Schwarzwälder Familien waren noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts so arm, dass sie ihre Kinder bereits im Schulalter zum Arbeiten in andere Familien gaben - damit sie als Esser vom Tisch weg waren, kein Bett bzw. keinen Strohsack mehr belegten und sich wenn möglich noch ein paar Kleidungsstücke verdienen konnten. In einem Jahr konnte sich z. B. ein zwölfjähriges Mädchen als Maidli bzw. Mädle, das im Haushalt zur Hand gehen oder als Kindsmädle auf kleine Kinder aufpassen musste, neben der Kost und Unterkunft ein Sonntagskleid verdienen; je nach Vereinbarung musste das Kind auch zwei bis drei Jahre für eine Kleidungsausstattung dienen. Jungen wurden übrigens meist als Hirtenbuben in Bauernfamilien verdingt. Dass nahezu ausnahmslos alle Schwarzwälder Kinder noch bis in die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg im Sommer barfuß laufen mussten - die ärmeren auch zur Schule oder gar auch zum Kirchgang - zeugt von extrem kargen Lebensverhältnissen. In besser gestellten Regionen war dies jedenfalls im 20. Jahrhundert nicht mehr üblich. Es kostete die Familien mit mehreren Kindern - fünf und mehr Kinder waren zu Beginn der 20. Jahrhunderts eher die Norm als eine Seltenheit - große Anstrengungen für die Unterkunft, Verpflegung und Einkleidung nach Brauch zu sorgen. Besonders teure Teile, wie z. B. ein Schäppel, besaßen jedoch nicht alle Familien, so dass sich die ärmeren zu den entsprechenden Anlässen, wie z. B. zur Erstkommunion, ein solches von wohlhabenderen Familien ausborgen mussten. Die allgemein verbreitete Kargheit der Lebensverhältnisse - auch viele Bauern mussten sehr sparsam wirtschaften -hat so auch kein ausgesprochen prachtvolles Kleidungsverhalten aufkommen lassen, wie dies vergleichbar insbesondere in einigen Landschaften mit guten landwirtschaftlichen Verhältnissen üblich geworden war. Im Schwarzwald wurden meist eher schlichtere Kleidungsformen ohne besonders kostenträchtige Stickereien und Bordüren usw. getragen, wenn auch Samt und Seide und verbreitet goldbestickte Kappen und Leibchen bereits im 19. Jahrhundert zumindest von den wohlhabenderen Bauern aufgenommen worden waren. Das Tragen von schlichteren Kleidungsformen hängt allerdings auch damit zusammen, dass man sich in den meisten Schwarzwaldtälern schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts stark an der aktuellen städtisch-bürgerlichen Mode orientierte und damals bereits die ehemals barocke Prachtentfaltung weitgehend abgelegt hatte. Bis in die ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts mag sich auch im Schwarzwald in der Kleidung im Besonderen auch noch der Stand der Trägerin bzw. der Trägers abgezeichnet haben, und zwar nicht nur in Bezug auf die Unterscheidung von Bürger zu Bauer, sondern auch bezüglich der Standeshierarchie innerhalb des Bauernstandes. Schließlich war der Bauernstand, dem auf dem Land außer Pfarrer und Lehrer und eventuellen anderen Honoratioren alle Landbewohner angehörten, wiederum in sich in verschiedene Hierarchieschichten unterteilt. An deren Spitze standen die Großbauernfamilien. Da Grundbesitz zumindest die Ernährung und teils auch die Rohstoffe für die Kleidung sicherte, war Landbesitz bis zum Zweiten Weltkrieg das erstrebenswerteste Gut; und je mehr Grundbesitz man hatte, desto angesehener war man im Allgemeinen. Den Bauern waren die Handwerker untergeordnet - wer nur geringen Grundbesitz hatte, musste neben der Bewirtschaftung der mehr oder weniger großen Landwirtschaft auch noch zur Existenzsicherung ein Handwerk ausüben und u. a. auf die Stör gehen, d. h. in die Kundenhäuser zur Arbeit gehen. (Vgl. Inge Jockers: „Im Kundehus schaffe" - Arbeiten auf der Stör. In: Fest u. Alltag. Haslach 1999, S. 31.) Auf der untersten Stufe standen die Familien der grundbesitzlosen Tagelöhner, u. a. ehemalige Knechte, und seit dem Ende des 19. Jahrhundert auch zunehmend Fabrikarbeiter und deren Familien. Von dieser sozialen Hierarchie mit einhergehenden standesgemäßen Ehen usw. war das ländliche Gemeinwesen auch im Schwarzwald bis zum Zweiten Weltkrieg geprägt; in den Gebieten, in denen noch Tracht getragen wurde, wahrscheinlich mit einem konservativeren Sittenkodex als in Regionen, in denen keine Tracht mehr üblich war - entsprechende Untersuchungen liegen zwar nicht vor, würden diese These aber wahrscheinlich bestätigen. Dass die meisten Frauen, die hier zu ihrem Kleidungsverhalten befragt wurden, ihre Eltern noch mit „Ihr" angeredet haben, zeugt jedenfalls u. a. von relativ konservativen Konventionen. Als Folge der allmählich besser werdenden und sich verändernden Lebensverhältnisse mag im Zuge der starken Modernisierung der Kleidung die hierarchische Standeskleidung nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend aufgegeben worden sein, so dass eine weitgehende allmähliche Nivellierung des Kleidungsverhaltens einherging und die Standesunterschiede nicht mehr unbedingt sichtbar waren. Auch Kinder von ärmeren Familien wurden seit den dreißiger Jahren wenn irgend möglich nun bereits im Schulalter u. a. mit einer Seidenschürze ausstaffiert, und Jugendliche konnten sich auch eine goldbestickte Brust anfertigen lassen. Zuvor waren goldbestickte Brüste nur den wohlhabenderen Familien vorbehalten und ärmere Mädchen und Frauen mussten auch an Festtagen nur seidenbestickte oder gar nicht bestickte Brüste anziehen. Mit gewachsenem sozialen Ausgleich hatten sich die ehemals sichtbaren Standeszeichen mehr und mehr nivelliert. Wenn auch der Umfang der Kleidungsausstattung, den ein Mädchen als Hochzeitsaussteuer in die Ehe mitbrachte, noch je nach Wohlhabenheit unterschiedlich war, so gab es in der Stoffqualität und Auszier der Kleidung nach dem Zweiten Weltkrieg schließlich immer weniger Standesunterschiede. Das Kleidungsverhalten der dokumentierten Gewährsfrauen spiegelt jedenfalls den sozialen Wandel wider. 202 203 Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen zum Trachttragen Gruppenbild von der Markgräfler Trachtengruppe Freiamt-Ottoschwanden in der evangelischen Markgräfler Festtagstracht (Aufn. 1999). Die meisten der Gruppenmitglieder tragen auch noch gelegentlich außerhalb der Vereinsaktivitäten Tracht. Je mehr auf dem Lande die regionalen Kleidungsformen abgelegt wurden, desto mehr wuchs das Interesse von außen an ihnen. Insbesondere Kreise des Bildungsbürgertums machten sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Gedanken, wie man das Trachttragen fördern könne und starteten entsprechende Initiativen. Diesbezügliche Aktivitäten gab es auch im Badischen, allen voran engagierte sich hier Heinrich Hansjakob, Pfarrer in Freiburg. Der gebürtige Haslacher publizierte 1892 die kleine Broschüre „Unsere Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung." (1) Die reaktionäre Schrift fand so starkes Echo, dass sie mehrfach aufgelegt werden musste; sie rief allerdings auch Widerspruch hervor. U. a. Richard Nuzinger, von 1893 bis 1910 Pfarrer von Gutach, verfasste vier Jahre später eine Gegenschrift „Die Erhaltung der Volkstrachten. Eine Warnung." (2) und betrachtete den Sachverhalt wesentlich nüchterner und realistischer. Diskutiert wurde u. a. aus welchen Gründen die Tracht immer mehr abgelegt worden ist, warum man das Trachttragen erhalten sollte und auf welche Weise man dazu ermuntern kann. Im Einzelnen auf die Thesen einzugehen, würde hier zu weit führen - u. a. erwog Hansjakob, Vereine zu bilden, die sich um die Erhaltung der Völkstrachten bemühen. (3) Im Nachwort zur vierten erweiterten Auflage von 1896 verzeichnete er bereits diesbezügliche Erfolge „Angeregt durch das Büchlern ,Unsere Volkstrachten', hat sich in Ba- den, das noch eine Reihe der schönsten Volkstrachten besitzt, eine Anzahl Vereine zur Erhaltung derselben gebildet, und zwar mit wachsendem Erfolge, weil auch die Großherzogliche Regierung ihren Bestrebungen das verdiente Interesse entgegenbrachte und ebenso die kirchlichen Oberbehörden unterstützend für sie eintraten..." (4) 1893 wurde bereits der erste Verein zur Erhaltung der Volkstrachten im Gutach- und Kinzigtal gegründet. initiiert u. a. von Maler Wilhelm Hasemann (5); dann folgten der Volkstrachtenverein Freiburg und neben ihm weitere selbstständige Abzweigungen in Waldkirch, Offenburg und Oberkirch, (6) - überhaupt der erste Trachtenerhaltungsverein wurde übrigens schon 1883 in Bayrischzell / Bayern gegründet. (7) Federführend waren bei den Vereinsgründungen meist hochrangige Beamte, Pfarrer. Lehrer, Maler und angesehene Bürger; und auch die Mitglieder kamen in der Regel nicht aus dem Bauernstand. Satzung des Volkstrachtenvereins Freiburg: „§ 1 Der Verein bezweckt die Erhaltung der Volkstrachten sowie der bewährten heimischen Gebräuche und Sitten und damit Belebung der Liebe zur Region, zur Heimat, zum Vaterlande und zum angestammten Fürstenhause." (8) Mitglieder der Trachtengruppe Freiamt-Ottoschwanden in der Markgräfler Festtagstracht mit Hornkappe (Mitte) und Mitglieder der Volkstanz gruppe Ottoschwanden in der Freiämter Tanztracht, der so genannten „Kleinen Tracht" (Aufn. 2002). „§3 ...Erreicht soll dieser Zweck werden vorzugsweise durch Belehrung. Förderung der den Vereinszwecken dienenden einheimischen Industrie und auf Ansuchen - soweit die Vereinsmittel dies gestatten - durch Gewährung von Beihilfe zur Anschaffung von Volkstrachten an Erstcommu-nicanten (Confirmanden), Brautleute u. a." Nicht zuletzt hatte auch das herrschende politische System Interesse an der Erhaltung des Trachttragens. Hansjakob führte die diesbezüglichen Gründe u. a. wie folgt an: „Eine soziale Revolution ist unmöglich, solange der Bauer in seinem Sonderleben erhalten bleibt, und zu diesem Sonderleben gehört auch seine Tracht... Darum hat niemand ein größeres Interesse an der Erhaltung unseres Bauernstandes in Religion, Sitte, Tracht und Sprache als der bestehende Staat, die bestehende Gesellschaft." (9) Noch bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurden eigens Kleiderordnungen erlassen, die das soziale Aufwärtsstreben im und durch das Kleidungsverhalten eindämmen sollten. Infolge der Aufklärungsgedanken war die offizielle Regulierung des Kleidungsverhaltens zwar aufgegeben worden, indirekt hat man sich jedoch fiir eine standesgemäße Kleidung weiter eingesetzt und erhoffte sich davon u. a. auch eine Stabilisierung der alten Standesordnung. „Die hauptsächlichsten Mittel nun zur Erreichung der Vereinszwecke sind: Unterstützung von Erstkommunikanten und Konfirmanden zur Anschaffung der Tracht, sofern sie bedürftig sind und die fernere Beibehaltung der heimischen Kleidung anzunehmen ist; die Erhaltung der Kunstfertigkeiten zur Herstellung der Trachtenstücke durch Prämierung von Stickerinnen, Schneidern und Näherinnen, auch Gewährung von Lehrgeldzuschüssen; Veranstaltung festlicher Zusammenkünfte im Trachtengebiete." (10) Feste mit Aufzügen von Trachtenträger/innen gestaltete man schließlich in Baden in den neunziger Jahren eine Anzahl - 1894 in Gutach; 1994 in Offenburg; 1895 in Freiburg; 1896 in Karlsruhe; 1897 in Bleibach bei Waldkirch und 1899 letztlich in Haslach. (11) „Die schönste Weihe verliehen unserem Feste Ihre Königlichen Hoheiten Großherzog Friedrich und Großherzogin Luise durch ihre Allerhöchste Teilnahme..." so schrieb Karl Gageur z. B. nachträglich über das Trachtenfest zu Haslach. Jede Gruppe brachte dem Landesherrn und seiner Gemahlin ihre Huldigung dar (12) - Gageur führte seitenweise die von Sprecher/innen vorgetragenen Huldigungsverse auf. (13) Etwa 1800 Trachtenträger zogen durch die festlich geschmückte Stadt (14) und etwa 25000 Festbesucher, die u. a. mit Sonderzügen angereist waren, säumten die Straßen... Ein voller Erfolg, wie auch die anderen Trachtenfeste, was bei den Aktivisten die Genugtuung hervorrief, dass man 204 205 Mitglieder der Trachtengruppe St. Georgen beim Kreistrachtentreffen in Ottersweier (Aufn. 2003). durch die Zurschaustellung und Beachtung der Trachtenträger/innen den Bauernstand geehrt und das Trachttragen aufgewertet habe und dadurch den Bauernstolz belebt und zur Beibehaltung bzw. Wiederaufnahme der Tracht ermuntert habe. Solche Initiativen mit festlichen Aufzügen der Trachtenträger/innen zur Förderung des Trachttragens gab es übrigens auch in anderen deutschen Landen, so u. a. 1894 in München, 1904 in Scheeßel bei Bremen und 1906 in Butzbach (Hessen). (15) Nach der Jahrhundertwende wurde es in Baden um die Trachtenerhaltungsbewegung etwas ruhiger; 1912 fand in Wolfach nochmals ein Aufzug von 1700 Trachtenträger/innen statt, und zwar anlässlich der Einweihung eines Krieger- und Großherzog-Friedrich-Denkmals, wobei die nationalistische Sinngebung bzw. Funktionalisierung der Trachtenträger insbesondere zum Ausdruck kam. (16) Eine gewisse Desillusionierung mag sich breit gemacht haben - die hehren Ziele trugen keine oder nur wenig nachhaltige Früchte. Insbesondere die Männertracht war in den meisten Gebieten bereits vollständig abgelegt und nicht mehr aufgenommen worden. Zudem brachte der Erste Weltkrieg eine Zesur. In den zwanziger Jahren gründeten sich dann in mehren Städten, in deren Umfeld keine Trachten getragen wurden, neue Trachtenvereine. (17) Auch auf dem Lande kleideten sich nun erste Vereine in Tracht, so die Glottertaler Blaskapelle und die 1926 gegründete Trachtengruppe, ebenso 1928 die St. Peterner Sing- und Spielschar, und der 1928 gegründete Heimatverein von Titisee. Diese Vereine trugen als Vereinskleidung Tracht, verfolgten aber neben der Trachtenpflege auch andere Ziele, wie z. B. die Pflege von tradi-i tionellen Volksliedern und Volkstänzen. Außer bei Veranstaltungen im heimischen Raum, vor allem auch für die Fremdenunterhaltung, bestritt man auch zahlreiche auswärtige Auftritte. (18) Eine gewisse Funktionalisierung der Trachtenträger seitens der Regierung im Rahmen der Festgestaltung lässt sich mehrfach auch in den zwanziger Jahren feststellen, so u. a. 1925 bei dem Südwestdeutschen Heimattag und 1930 beim Badener Heimattag in Karlsruhe. (19) Hier waren nun zunehmend Vereinstrachtenträger gefragt. Mit der Blut-und-Boden-Ideologie des Dritten Reiches bekam die Trachtenpflege neue Impulse. Nun stand offiziell nicht mehr im Vordergrund, die bestehenden Trachten zu erhalten, sondern diese sollten auf ihren „germanischen Kern" reduziert und zu einem allgemeinen Volkskleid werden. „Jede sklavisch-museale Übernahme überholter und unzeitgemäßer Formen ist zu vermeiden." (20) „Es kann indessen keinesfalls der Sinn nationalsozialistischer Volks-tumsarbeit sein, Zerfallszustände zu konservieren. Sollen die Trachten auch heute für uns von Wert sein, so nur dann, wenn sie wieder zum Kleid bodenständiger Volksgemeinschaft werden. Nur dies kann Ziel sein: Aus Bauern-Tracht wieder Volks-Tracht zu machen." (21) Bei den diesbezüglichen Aktivitäten stand im Vordergrund, die Trachten zu erneuern und zu einem zeitgemäßen deutschen Volkskleid zu machen. Trotz gewisser Ansätze und Vorschläge - vgl. Keller - konnte man wohl keinen direkten und nachhaltigen Einfluss auf das Trachttragen im Schwarzwald nehmen, dazu waren die tradierten Kleidungsgepflogenheiten in den meisten Regionen noch zu verwurzelt. Das einschlägige Handwerk hat man jedoch wie überall im Land aufgewertet und reglementiert. Die zuvor nur mehr oder weniger lang angelernten Näherinnen mussten z. B. nun eine dreijährige regelrechte Lehre als Trachtenschneiderin absolvieren, so dass es dann eigens das eigenständige Berufsbild der Trachtenschneiderin gab - auch das Berufsbild des Trachtenschneiders wurde neu eingerichtet. Seit Beginn der fünfziger Jahre wurde dann das Berufsbild übrigens wieder zur Damen- und Trachtenschneiderin erweitert. Trotz aller Vorbehalte gegenüber dem damals bodenständigen Trachttragen im Schwarzwald gab es im Dritten Reich aufs Neue eine starke, ja eine verstärkte Funktionalisierung der Trachtenträger/innen, sowohl bei örtlichen Veranstaltungen wie auch bei der Gestaltung von überregionalen Festivitäten. Eine besonders exponierte Rolle hatten tausende Trachtenträger/innen aus dem ganzen Reich, u. a. auch aus dem Schwarzwald, auch bei den von 1933 bis 1937 auf dem Bückeberg bei Hameln inszenierten Reichserntedankfesten. Bei den jeweils zwischen 300000 und einer Million Mitglieder der Trachtengruppe des Heimatvereins Schönwald beim Kreistrachtenfest in Ottersweier (Aufn. 2003). Menschen umfassenden Großveranstaltungen wurde der Aufmarschweg des Führers von Trachtenträger/innen aus allen deutschen Gauen umsäumt. (22) Schon wenige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg formierten sich wieder engagierte Bürger zur Arbeitsgemeinschaft „Schwarzwälder Volksleben". Man arrangierte 1948 in Haslach einen Schwarzwälder Heimattag und gründete eine Hansjakob-Stiftung, von der - wie auch fünfzig Jahre zuvor - verdiente Handwerker/innen ausgezeichnet und bedürftige Kommunikantinnen und Konfirmanden und Brautleute bei der Anschaffung von Trachtenkleidung unterstützt werden sollten. (23) Auch mit der Festgestaltung, wie z. B. mit dem Schwarzwälder Heimattag vom Mai 1949 in Freiburg, knüpfte man an alte Zeiten an und verband damit u. a. auch politische Interessen. (24) Während der aus der Arbeitsgemeinschaft „Schwarzwälder Volksleben" hervorgegangene Bund „Heimat und Volksleben" anfangs noch den Anspruch hatte, nur das authentische Trachttragen von tatsächlichen Trachtenträgern zu fördern, so traten dem Bund seit den sechziger Jahren zunehmend Trachtenvereine bei, deren Mitglieder Tracht meist nur als Vereinskleidung trugen. (25) Dem Bund „Heimat und Volksleben" sind im Jahr 2006 etwa 220 Vereine und 300 Einzelmitglieder sowie 145 kooperative Mitglieder aus dem Bereich des alten Land Baden angeschlossen; er betreut so u. a. insbesondere auch die Schwarzwälder Landstriche, in denen noch von mehr oder weniger vielen Frauen im 20. Jahrhundert tagtäglich Tracht getragen wurde und zum Teil bis zur Gegenwart noch getragen wird. 1958 schloss sich der Bund dem neu gegründeten „Landesverband der Heimat- und Trachtenverbände Baden-Württemberg e. V." an. Diesem Landesverband gehören übrigens noch mehrere andere Trachten- und Heimatverbände Baden-Württembergs an (26) - da es in deren Einflussgebiet keine authentischen Trachtenträger mehr gibt, sei allerdings auf deren Betrachtung verzichtet. In der Satzung von 1985 verfolgt der Bund „Heimat und Volksleben" e. V , der seinen Sitz in Freiburg hat, folgendes Ziel: „Der Bund setzt sich für die Erhaltung, Pflege und Förderung des bodenständigen Volkslebens ein, das sich insbesondere in Tracht, Lied, Musik, Tanz, Mundart, Sitte und Brauchtum äußert." Die Ziele versucht man - wie auch fünfzig oder hundert Jahre zuvor - u. a. dadurch zu erreichen, dass man das Trachttragen anlässlich der Erstkommunion, Konfirmation und Hochzeit usw. mit einem finanziellen Zuschuss fördert. Die angeschlossenen Vereine tragen als Vereinskleidung in der Regel die örtliche Tracht, nach alten Vorbildern nachgearbeitet oder eine derzeit noch von den authentischen Trachtenträgerinnen getragene KJeidungsform, meist in etwas uniformierter Weise und meist deren Festtagskleidung; diese dann aber im Rahmen der Gruppenaktivitäten zu allen Anlässen, auch wenn dazu eigentlich keine Festtagskleidung üblich war bzw. ist. Neben der Trachtenpflege verfolgen die Vereine je nach Profil auch andere Ziele der Volks-tumsarbeit - siehe Satzung des Bundes-, aber auch allgemeine Belange der Jugend- und Erwachsenenarbeit. Die Vereinstrachtenträger/innen sehen sich dabei im Allgemeinen in direkter Linie zu den authentischen Trachtenträgerinnen. Sie negieren dabei meist fundamentale Unterschiede. Während die Tracht bei den authentischen Trachtenträgerinnen als normale täglich getragene Kleidung gleichsam Ausdruck der jeweiligen Sozialisation und des regional bezogenen Selbstverständnisses ist, möchte man mit Vereinstrachten die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Trachtenverein und darüber hinaus eine gewisse Heimatverbundenheit und regionale Identität signalisieren. Bezeichnend für die Vereinstrachten ist darüber hinaus, dass die Mitglieder der Trachtenvereine den sozialen Bezug der Kleidung nicht berücksichtigen und die ehemals an sich bäuerliche Standeskleidung nun nach dem sozialen Ausgleich auch in anderen Volksschichten weiter tragen. Als Repräsentanten ihrer Heimat werden die Trachtenvereine zu vielen Veranstaltungen im In- und Ausland eingeladen. So wurden und werden die Trachtengruppen auf vielfältige Art u. a. auch bei den seit 1978 stattfindenden Heimattagen Baden-Württemberg eingesetzt; (27) ebenso vertraten und vertreten jüngst auch Schwarzwälder Trachtengruppen ihre Heimat auf Bundesebene bei den Festlichkeiten anlässlich des Tages der Deutschen Einheit. Eine gewis- 206 207 Mitglieder der Renchläler Trachtentanzgruppe Oppenau beim Kreistrachtenfest in Ottersweier (Aufn. 2003). se Funktionalisierung der Trachtenträger/innen seitens der Politik ist auch hier nicht von der Hand zu weisen. Auch im heimischen Raum werden die Trachtenvereine immer wieder fremdbestimmt - bei jedweden Veranstaltungen bittet man sie, das „Rahmenprogramm" zu gestalten. Politiker nutzen gerne die Bürgernähe bei diesen Veranstaltungen als Selbstdarstellungsforen; ein mitgebrachter Scheck sichert die Gunst, auch wenn ein Grußwort unversehends taktisch politisiert wurde. (28) Nicht zuletzt nehmen die Trachtengruppen in der Touristenunterhaltung durchaus einen gewichtigen Raum ein und werden auch als Werbeträger eingesetzt. Die Darbietungen, je nach Verein vorrangig aus Volksliedern, Volkstänzen und / oder volkstümlicher Blasmusik bestehend spiegeln jedoch dabei eher die allgemeine Folkloretradition und volkstümliche Musikszene der letzten Jahrzehnte wider, als dass sie die spezielle Tradition der Heimat aufnehmen, weitertragen und vorführen. Im Gegensatz zu anderen Trachtenlandschaften (vgl. Der Tracht treu geblieben Bd. 1 -4), wo es eine strickte Trennung von authentischen Trachtenträgerinnen und Vereinstrachtenträger/innen gibt, ist der Übergang im Schwarzwald zum Teil fließend. Hier sind oder waren einzelne authentische Trachtenträgerinnen sogar Mitglieder in den örtlichen Trachtenvereinen, so u. a. von den dokumentierten Gewährsfrauen Monika Zimmerer, Nordrach, und Hilda Schneider, Freiamt, bis zur Gegenwart sowie Mathilde Blattmann, Glottertal, einige Jahre in den fünfziger Jahren. Mitglieder der Sing-, Tanz- u. Trachtengruppe Kirnbacher Kurrende beim Kreistrachtenfest in Ottersweier (Aufn. 2003). Andererseits stehen aber die meisten authentischen Trachtenträgerinnen den Folkloretrachtenträger/innen mit dem Schautragen der Tracht, wie es u. a. Mariann Grießbaum nennt, zwiespältig und mit gewissem Argwohn gegenüber. Auch dass einige Frauen nur noch zu gewissen Festlichkeiten usw. Tracht anziehen, so zum Teil Frauen, die in der Kindheit und Jugend noch immer Tracht trugen, als auch Frauen, die erst in den letzten Jahrzehnten zum gelegentlichen Trachttragen übergegangen sind, und dabei nicht mehr die zur Tracht passende „richtige" Frisur haben, wird von zahlreichen Trachtenträgerinnen mit Bedenken und Vorbehalt verfolgt; so ist das gelegentliche Trachttragen u. a. im Elztal, im Simonswäldertal und im mittleren Kinzigtal verpönt, im Glottertal, in St. Peter und St. Märgen dagegen seit Jahrzehnten üblich. Betrachtet man die Stellung der Trachtenträger/innen im öffentlichen Leben, so zeigt sich seit über hundert Jahren eine gewisse zwiespältige Bewertung. Während einige Kreise das Trachttragen negativ bewerteten und bewerten und die Trachtenträger/innen gar als altmodische „Buretrampel" schmähten und herabsetzten, begleiten andere Kreise das Trachttragen ausgesprochen wohlwollend, ja hofierend. Seit den siebziger, achtziger Jahren erhielten die Trachtenträger/innen im Zuge der allgemeinen Nostalgiewelle zunehmend eine recht positive Resonanz und die Folklorebewegung bekam einen starken Auftrieb; zuvor mussten die Trachtenträgerinnen, insbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren, schon manche abfallige und spöttische Bemerkung wegstecken. So standen die derzeitigen Trach- tenträgerinnen im Laufe des Lebens in der Spannung von zustimmenden und mokierenden Äußerungen seitens ihrer Mitbürger. Außer der jeweiligen Einstellung der Familienangehörigen war die Haltung der „Respektspersonen", der Pfarrer und Lehrer, von besonderer Bedeutung, „...unser Pfarrer hat es gern gesehen, wenn man Tracht trug" - so berichteten dies viele Gewährspersonen. Einige Geistliche, wie z. B. der St. Märgener Pfarrer Siebold, von 1919 bis 1950 in St. Märgen, appellierten kraft Amtes an die Frauen, doch Tracht zu tragen bzw. dabei zu bleiben. Indem man den Trachtenträgerinnen u. a. bei den kirchlichen Riten eine hervorgehobene Stellung zuwies, zeigte man, dass man das Trachttragen schätzte. Durch diese Wertschätzung wollte man das Selbstwertgefühl bezüglich des Trachttragens erhöhen und die Frauen animieren, die Tracht in Ehren zu halten. Pfarrer Siebold bat z. B. darüber hinaus seine St. Märgener Gemeindemitglieder u. a. auch, bei Ausflügen im Rahmen der Kirchengemeinde in Tracht mit Hut zu erscheinen - damit sie auswärts ein beeindruckendes Bild abgaben; der Hut wurde ansonsten im Allgemeinen nur zum Kirchgang und zu Festlichkeiten getragen. Durch das gemeinsame Auftreten in schmucker Tracht wollte er das Gemeinschaftsgefühl stärken und Stolz auf die regionale Kleidung wecken. Verfolgt man die Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen über hundert Jahre, dann lässt sich Folgendes resümieren: Trotz aller Maßnahmen und Appelle seitens vieler Pfarrer, Lehrer, politischer Gremien und Vereine, ja trotz finanzieller Unterstützung und trotz aller wohlmeinender Beachtung seitens der Medien und Wertschätzung seitens der Touristen usw. war der Rückgang des Trachttragens auch im Schwarzwald nicht aufzuhalten - in den anderen deutschen Trachtenlandschaften (vgl. Der Tracht treu geblieben Bd. 1-4), wo es keine so ausgeprägten Erhaltungsmaßnahmen gab, lässt sich jedenfalls eine weitgehend parallel laufende Entwicklung feststellen. Die Unterstützungsmaßnahmen könnten allerdings mit dazu beigetragen haben, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Tracht von jüngeren Frauen als gewisse Festtags- und sommerliche Kirchgangskleidung beibehalten oder als solche aufgenommen wurde. Letztlich ließ sich aber nur in gewisser Weise das organisierte Trachttragen fördern, das Trachttragen in tradierter Form jedoch nicht - dieses hatte und hat nicht mehr seine Zeit. In den letzten Jahren ist nochmals eine verstärkte Abnahme des Trachttragens festzustellen, selbst zum Kirchgang in St. Peter und St. Märgen kleiden sich gegenwärtig nur noch einzelne Frauen in Tracht; nur bei den Prozessionen ist das Trachttragen, z. T. organisiert, vielerorts noch präsent. Die älteren authentischen Trachtenträgerinnen können meist aus Altersgründen und einhergehender Gebrechlichkeit nicht mehr am öffentlichen Leben teilnehmen, so dass das Trachttragen immer mehr aus dem Straßenbild der Schwarzwaldregionen verschwindet - ... und diese Dokumentation quasi ein Abgesang ist. Anmerkungen 1) Pfarrer Hansjakob: Unsere Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung. Freiburg 1896 (4. Aufl.) 2) Richard Nuzinger: Die Erhaltung der Volkstrachten. Eine Warnung. Heidelberg 1897 (2. Aufl.) 3) Vgl. Pfarrer Hansjakob, s. Anm. /.. 5. 27. 4) Vgl. Pfarrer Hansjakob. s.Anm. 1., S. 29. 5) Vgl. Heinz Schmitt: Volkstracht in Baden. Karlsruhe 1988. S. 68. 6) Karl Gageur: Das Trachtenfest in Haslach/Kinzigtal. Freiburg 1899. S. 6. 7) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5.. S. 66. 8) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1.. S. 30. 9) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1., S. 18 10) Vgl. Karl Gageur, s. Anm. 6.. S. 7f. 11) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5.. S. 71f 12) Bereits Jahrzehnte zuvor wurden vielfach Trachtenträger/innen in ihren regionaltypischen Kleidungsformen eigens zu Huldigungsaufzügen delegiert. Diese Inszenierungen sind damals zu bestimmten Anlässen meist von den jeweiligen Herrschern selbst initiiert bzw. in Auftrag gegeben worden. So wurde 1881 aus Anlass der Vermählung der badischen Prinzessin Viktoria mit dem Kronprinzen Oskar Gustav von Schweden und Norwegen in Karlsruhe ein Festzug mit Trachtenträgern des Landes organisiert. Bereits 1885 hat man in Karlsruhe zur Hochzeit des Erbprinzen Friedrich von Baden mit Prinzessin Hilda von Nassau nochmals einen ähnlichen Aufzug mit Huldigung seitens der Abordnungen des Landes inszeniert. Die badischen Aktivitäten mit den speziellen Huldigungsszenarien stehen im Kontext ähnlicher Inszenierungen anderer Länder, Parallelen gab es u. a. 1835 in München, 1841 in Stuttgart, 1842 in Weimar und 1844 in Darmstadt. (Vgl. H. Schmitt, S. 28f. u. B. Miehe: Die Tracht und ihre Träger als Objekt der Festgestaltung. S. lOf.) Bei all' diesen Inszenierungen ging es einzig um die Huldigung seitens der Abordnungen in ihren regionaltypischen Kleidungen. Das Motiv der Förderung des Trachttragens kam erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts bei den Organisatoren der festlichen Aufzüge dazu. 13) Vgl. Karl Gageur, s. Anm. 6.. S. 11 u. 18f. 14) Vgl. Karl Gageur, s. Anm. 6., S. 46. 15) Vgl. Brunhilde Miehe: Die Tracht und ihre Träger als Objekt der Festgestaltung. In: Hess. Blätter für Volks- u. Kulturforschung. Folge 32. Marburg 1997. 16) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 76. 17) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 77. 18) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 77/78. 19) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 80/81. 20) Vgl. Rudi Keller: Tracht am Oberrhein. Straßburg 1942. S. 71. 21) Rudi Keller, s. Anm. 20., S. 69. 22) Vgl. Brunhilde Miehe, s. Anm. 15., S. 34. 23) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5.. S. 88 24) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 88 25) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 89 26) Dem Landesverband gehören gegenwärtig außerdem die 1968 gegründete „ Trachtenjugend Baden-Württemberg e. V" sowie der „Südwestdeutsche Gauverband der Heimat- und Trachtenvereine e. V", der „Bodensee Heimat- und Trachtenverband". 1921 gegründet, und der 1951 gegründete „Trachtengau Schwarzwald e. V." an. Darüber hinaus sind dem Landesverband der 1953 gegründete „Landesverband der Egerländer Gmoin Baden-Württemberg" sowie der „Bund der Vertriebenen - Vereinigte Landsmannschaften Landesverband Baden Württemberg" angeschlossen. Außerdem gehören dem Landesverband die „Arbeitsgemeinschaft derSing-, Tanz- und Spielkreise in Baden-Württemberg e. V", 1952 gegründet, und die „Heimatzunft Baden-Württemberg e. V." an. 27) Vgl. Heinz Schmitt, s. Anm. 5., S. 109. 28) Vgl. Brunhilde Miehe. s. Anm. 15., S. 39. 208 209 Ursachen zum Rückgang des Trachttragens und Motive zum Beibehalten der Tracht Aus welchen Gründen in zahlreichen Schwarzwälder Gebieten wie auch in einigen anderen deutschen Landschaften bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch von mehr oder weniger vielen Frauen Tracht getragen wird, in anderen gleich gearteten Regionen dagegen die regionale Kleidungsform von der Landbevölkerung bereits seit langem abgelegt wurde, ist nicht generell zu beantworten und bedarf detaillierter Betrachtung. Viele einzelne äußere Gegebenheiten und Einflüsse müssen bei der Analyse in Betracht gezogen und in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit gesehen werden, schließlich ist das Kleidungsverhalten nicht in monokausalen Motiven begründet. Dennoch bleibt ein Rest unwägbarer Faktoren. Die Entscheidung Einzelner, die als Trendsetter Einfluss auf das Kleidungsverhalten ausübten, beruht auf individuellen Motiven, die zwar u. a. auch in der allgemeinen Lage begründet sind, jedoch subjektiv verarbeitet wurden. Einige ursächliche Faktoren seien im Folgenden in Betracht gezogen, dennoch wird das Phänomen nicht vollends ergründbar sein. Bereits vor über hundert Jahren ging man der Frage nach, aus welchen Gründen die regionalen Kleidungsformen mehr und mehr abgelegt wurden. Schließlich waren damals weite Kreise daran interessiert, dass die Landbevölkerung bei Tracht blieb. Als eine der Ursachen zum Ablegen der Trachten mutmaßte der Freiburger Pfarrer Hansjakob am Ende des 19. Jahrhunderts: „Eine weite Schuld am Verfall der alten Trachten trägt in neuerer Zeit die sogenannte Freizügigkeit', welche allerlei fremde Elemente mit modischer Tracht in die Landbevölkerung bringt und überhaupt den geschlossenen Bestand der Dörfer und Gaue verändert hat." (1) Ferner stellte Hansjakob fest: „Dann kommen viele Schwarzwälder, die als Uhrenhändler in der Welt waren, heim, bringen die Pariser Mode mit und stecken andere an. Ferner tragen viel Schuld die Soldaten, wie ehedem die Landsknechte. Viele Soldaten kommen als Rekruten in ihrer Landestracht in die Garnison, werden hier von dummen Unterofficieren und Soldaten wegen ihrer bäurischen Kleidung ausgelacht, sehen während ihres Dienstes die Modetracht und schließen sich nach Ablauf der Dienstzeit ihr an." (2) Außerdem erwog Hansjakob als Zeitgenosse: „Zunächst haben die Bewohner der kleinen Städtchen die Schwarzwälder Bauern angesteckt. Diese kommen an Markt- und Sonntagen in die Landstädtchen, sehen da die neumodische Tracht und machen sie zuerst theilweise und dann ganz nach. Voran gehen dabei die ,besseren Bauern', besonders die Bürgermeister, die viel mit den ,Herren' verkehren und sich deshalb dummer Weise der alten schönen Volks- und Bauerntracht schämen." (3) Die modisch gekleideten Sommerfrischler, die zunehmend in den Schwarzwald kamen, mögen die Landbevölkerung auch mit der neusten Mode vertraut gemacht haben. Pfarrer Nuzinger aus Gutach gab dagegen zu Bedenken: „Aber warum halten denn die Bauern im allgemeinen nicht mehr so viel auf ihre Trachten? Dafür giebt es neben der Freizügigkeit doch noch manchen anderen Grund... Einesteils sind die Trachten keineswegs alle bequem und praktisch. Unsere Gutacher Frauen- und Mädchenhüte haben z. B. ein Gewicht von ca. drei Pfund... Auch die Röcke und Unterröcke sind ganz außergewöhnlich schwer. Nur wer von Jugend auf diese Last gewöhnt ist, vermag sie ohne allzu große Beschwerden zu tragen. Wie leicht und bequem ist dem gegenüber die städtische Damenkleidung, wenn man ihre Modenarrheiten nicht mitmacht." (4) Zudem nahm Nuzinger an, dass die Modekleidung billiger als Tracht sei. Für eine Frauentracht kann „man sich doch sehr gut zwei einfache und hübsche städtische Frauenkleider anschaffen." (5) Diesbezüglich sei angemerkt, dass die Modekleidung zwar in der Anschaffung billiger war, für Tracht sprach jedoch, dass sie länger in Mode blieb, bzw. dass sie im Rahmen der ländlichen Kleidungsgepflogenheiten länger getragen werden konnte. Die Ausstattung, die man zur Hochzeit machen ließ, zogen die Frauen schließlich im Allgemeinen über Jahrzehnte oder gar lebenslang an, zumindest die gute Kleidung. Zudem übernahm man zahlreiche geerbte Stücke, so dass einige aus finanziellen Gründen gerade bei Tracht blieben. Als ein weiterer Grund für das Ablegen der Tracht kann die gewachsene Mobilität in Betracht gezogen werden. Diese spielt zwar auch eine gewisse Rolle, kann jedoch nicht unabhängig von anderen Komponenten betrachtet werden. Schließlich gibt es abgelegene Gebiete, in denen schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts keine regionale Kleidungsform mehr getragen wurde, und andererseits tragen in verkehrsoffenen stadtnahen Gebieten bis zur Gegenwart einige Frauen Tracht, so u. a. in Schutterwald vor den Toren Of-fenburgs oder im Kinzigtal nahe Haslach. Auch ein Eisenbahnanschluss und eine einhergehende erweiterte und leichtere Mobilität führten nicht unmittelbar zum Ablegen der regionalen Kleidungsformen; ging doch die Eisenbahn durch das Kinzigtal bereits 1866 bis Hausach, 1873 dann auch durch das Gutachtal; durch das Elztal 1875 bis Waldkirch und 1901 bis Elzach. (6) In all diesen Tälern gibt es bis zur Gegenwart mehr oder weniger viele Trachtenträgerinnen. U. a. in Mühlenbach, 3 km vom Bahnhof Haslach entfernt, und in Nieder- und Oberwinden bei Elzach / Elztal mit direktem Bahnanschluss blieben bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts jeweils etwa 20 bis 30 ältere Frauen bei Tracht. Die Männer hatten dagegen u. a. im Elztal schon vor dem Eisenbahnanschluss die Tracht weitgehend abgelegt, andererseits behielten in Mühlenbach bei Haslach einzelne ältere Männer bis in die dreißiger Jahre, in Welschensteinach sogar bis in die fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts Tracht bei, so dass eine unmittelbare Wechselbeziehung von Bahnanschluss und Ablegen der Tracht nicht in Betracht kommt. Arbeiter/innen der Zigarrenfabrik Franz Krämer in Schweighausen (Aufn. um 1906" formiger Arbeitstracht mit Peter und Schürze. Archiv G. Finkbeiner): Alle Arbeiterinnen in relativ gleich- Auch die Einführung des Fahrrads mit einhergehender leichterer Mobilität mag sich auf das Kleidungsverhalten nicht ausgewirkt haben. Von den Jugendlichen, die in einer Stadt in Stellung gingen, passten sich einige im Kleidungsverhalten der neuen Umgebung an, andere blieben auch in der Stadt bei Tracht, so von den Gewährsfrauen Theresia Kempf und Gisela Kaltenbach. Insofern kann das auswärtige Arbeiten und ein längerer Aufenthalt fern des heimischen Milieus auch nicht generell als Ursache zum Ablegen der Tracht betrachtet werden, wenngleich dies häufig ein Motiv für das Umkleiden war. Wer gar in eine Stadt oder in ein anderes trachtenloses Gebiet heiratete, legte im Allgemeinen die Tracht ab, aber auch diesbezüglich gab es Ausnahmen. Wenn Trachtenträgerinnen von einer Trachtenregion in eine andere heirateten, passten sich die meisten der neuen Umgebung an und nahmen die Kleidungsform des neuen Milieus allmählich oder auch abrupt auf (vgl. die Studie von Maria Strecker). Auch bei der Arbeitsaufnahme in einer Fabrik gingen die Trachtenträgerinnen im Kleidungsverhalten nicht konform - die einen blieben bei Tracht, andere legten sie ab. Seit dem Ende des 19. Jahrhundert gab es in verschiedenen Schwarzwaldtälern Fabriken, in denen auch Arbeiterinnen beschäftigt waren, so u. a. in Haslach, Steinach und Seelbach Zigarrenfabriken (7), in Gutach / Elztal die Nähfadenherstel- lerfabrik Gütermann. Die Arbeitsaufnahme in einer Fabrik brachte die Frauen in ein anderes Umfeld und gab ihnen eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit, durch die eine leichtere Lösung aus dem Normenzwang des bäuerlichen Milieus möglich war. Trotzdem blieben viele Fabrikarbeiterinnen zunächst bei Tracht - bei der Nähgarnherstellerfabrik Gütermann in Gutach / Elztal waren z. B. noch bis in die siebziger Jahre Arbeiterinnen in Tracht gekleidet. Der Arbeiterstatus war übrigens im bäuerlich geprägten Milieu anfangs weniger angesehen als das Verdingen als Bauernmagd oder als das In-Stellung-Gehen in einem städtischen Haushalt. U. a. Mariann Grießbaum, Mühlenbach, zog es zudem z. B. aus wirtschaftlichen Gründen vor, als Bauernmagd zu dienen als dass sie in der Haslacher Zigarrenfabrik gearbeitet hätte, obwohl sie als Fabrikarbeiterin einen höheren Lohn gehabt hätte. Da sie mit ihren Eltern und neun Geschwistern nur eine kleine Mietwohnung bewohnte, ging sie lieber zu einem Bauern in Stellung, da sie dort zum kleinen Entgeld noch Unterkunft und Verpflegung hatte. Trotz der Stadtnähe zu Haslach (3 km) gingen in den zwanziger und dreißiger Jahren nur wenige Mühlenbache-rinnen in die Haslacher Zigarrenfabrik zur Arbeit, das bäuerlich geprägte Milieu band die Arbeitskräfte noch weitgehend im Ort. Ja, trotz der Stadtnähe und einhergehender Arbeitsmöglichkeiten gab es in Mühlenbach um die Jahrtausendwende noch über 30 Trachtenträgerinnen, die tagtäglich bei Tracht geblieben waren. 210 211 Arbeiterinnen der Nähfadenherstellerfabrik Gütermann in Gutach/Elztal In Seelbach bei Lahr, seit dem Ende des 19. Jahrhunderts ein Zentrum der Zigarrenmanufaktur, gingen die Frauen dagegen bereits vor dem Zweiten Weltkrieg zunehmend zu städtischer Kleidung über. In den anderen Schuttertäler Gemeinden - Schuttertal, Dörlinbach und Schweighausen -, wo ebenfalls örtliche Zigarrenfabriken bestanden, blieben dagegen einzelne Frauen bis nahezu zur Jahrtausendwende oder in Schuttertal sogar bis zur Gegenwart bei Tracht, hier ist das bäuerliche Milieu mit den tradierten Werten länger tonangebend geblieben, trotz zahlreicher Familien mit Arbeiterstatus. Die Burekleider waren im Schuttertal zu Beginn des 20. Jahrhunderts jedoch stark in Anlehnung an die städtische Mode modernisiert worden. In Steinach / Kinzigtal, mit direktem Bahnanschluss und einer im Ort befindlichen Zigarrenfabrik, legten in den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts bereits die letzten Frauen die Tracht ab; ebenso in Biberach / Kinzigtal, wo man auch direkten Bahnanschluss hatte. In den kleineren, mehr bäuerlich geprägten Gemeinden des mittleren Kinzigtales und den einhergehenden Seitentälern, wie z. B. in Hofstetten und Welschensteinach sind jedoch noch bis zur Gegenwart jeweils einige, z. T. noch dutzende Frauen bei Tracht geblieben. (Aufn. um i960*): Im Vordergrund noch drei Frauen in Tracht. rinnen um und das Ortszentrum hat einen weitgehenden Vorstadtcharakter angenommen, nur am Ortsrand tragen noch zwei ältere Frauen aus dem bäuerlichen Milieu bis zur Gegenwart Tracht. In St. Peter und St. Märgen, stadtfern im Hochschwarzwald gelegen, gab es keinerlei Industrie, allerdings im 20. Jahrhundert zunehmend relativ starken Fremdenverkehr mit einhergehenden Arbeitsmöglichkeiten. Der bäuerliche Sittenkodex blieb aber bis über die Mitte des 20. Jahrhunderts prägend und die bäuerlichen Kleidungsgepflogenheiten wurden hier als Attraktion für die Fremden besonders gepflegt und von offizieller Seite sehr begrüßt, sowohl von politischer wie auch von kirchlicher Seite. Betrachtet man das unterschiedliche Kleidungsverhalten in Bezug auf die Wechselbeziehung mit gewachsener Mobilität und auswärtigem Arbeiten, bzw. mit einer Arbeitsaufnahme in einer Fabrik, dann lässt sich keine unmittelbare Korrelation feststellen, wenngleich diesbezüglich jeweils ein gewisser Einfluss eine Rolle spielte. Immer müssen jedoch das hochkomplexe Geflecht der ursächlichen Gegebenheiten und Einflüsse in Betracht gezogen und auch die subjektiven Motive im Auge behalten werden. In Gutach / Elztal mit über hundertjährigem Bahnanschluss und ebenso langer Nähfadenherstellerfabrik kleideten sich dagegen bereits vor Jahrzehnten die meisten Trachtenträge- Pfarrer Nuzinger hat gegen Ende des 19. Jahrhunderts zum Ablegen der Tracht noch folgende Überlegungen in Erwägung gezogen: „Sie (die Bauern) kommen mit anderen Menschen in Berührung, lassen sich über manches Neue belehren, lesen ihre Zeitung, der Handel führt sie dahin und dorthin, kurz, sie haben einen viel weiteren Gesichtskreis bekommen und sind beweglicher geworden als früher, sie führen nicht mehr in der Weise wie früher ein in sich abgeschlossenes und abgerundetes Sonderleben. Der Geist ist ein anderer geworden, und die natürliche Folge davon ist, dass man auch das Interesse an der alten Tracht verloren hat. In der Tat haben heute die Stadtleute ein viel größeres Interesse daran, die Volkstrachten zu erhalten als die Bauern selbst." (8) „Die Bauern fühlen es selbst: die Tracht passt nicht mehr recht für uns, denn die Zeit hat sich geändert und wir uns mit ihr; der Städter aber sagt: wir möchten gern, daß ihr in der Tracht stecken bleibt, auch wenn ihr innerlich schon lange aus ihr herausgewachsen seid." (9) Der so genannte Zeitgeist ist eigentlich überregional, wie dieser jedoch aufgenommen und umgesetzt wurde, war allerdings regional verschieden, je nachdem ob eine konservativere oder eine progressivere Haltung trendbestimmend war. Der Sittenkodex konnte regional verschieden sein, und dieser wurde von Individuen geprägt. Mit wachsender Emanzipation ging auch eine zunehmende Lösung aus dem alten Normenkodex einher, so dass das Ablegen der Tracht auch als Anzeichen von gestiegener Emanzipation betrachtet werden kann. Pfarrer Hansjakob verkannte am Ende des 19. Jahrhunderts allerdings offensichtlich Ursache und Wirkung. „Ferner sollten die Dienstherrschaften in den Städten, bei denen Mädchen vom Land in ihrer Volkstracht eintreten, nicht dulden, daß diese Mädchen nach und nach zur Modetracht übergehen. Es liegt dieses Nichtdulden auch im Interesse der Herrschaften selbst; denn die Mädchen werden, sobald sie die alte Tracht abgelegt haben, anspruchsvoller, unfolgsamer und nichtsnutziger." (10) Weiter gab Hansjakob zu Bedenken: „Der neumodisch gekleidete Bauer ist revolutionären Ideen weit geneigter als der alte Trachtenbauer..." Schließlich hielt Hansjakob die Tracht ebenso für ein Stück eines konservativen Charakter als „sein Respekt vor ,den Thronen'." (11) „Und darum hat auch der Staat ein wichtiges Interesse an der Erhaltung der alten Trachten, die mit eines der Vorwerke sind für den Bestand eines geordneten, erhaltenden (con-servativen) Staatslebens." (12) Soweit einige Überlegungen von Pfarrer Hansjakob zu den sozialen und demokratischen Bewegungen am Ende des 19. Jahrhunderts und dem einhergehenden Kleidungsverhalten. Dass die Männer die Tracht wesentlich früher als die Frauen abgelegt haben, mag jedenfalls nicht zuletzt in ihrer stärkeren Emanzipation begründet sein. Schließlich galt insbesondere für Frauen die Devise, nicht aufzufallen und sich „der Tapete anzupassen", sich in das soziale Gefüge mit seinen speziellen Normen und Kleidungsgepflogenheiten einzufügen. Sich dem Normenkodex des Milieus unterzuordnen, sich zurücknehmen, sich einfügen, sich fügen, wurde zu den erstrebenswertesten Tugenden von Frauen gezählt. Nur auf dem Hintergrund des starken Anpassungsdruckes lässt sich nachvollziehen, dass sich Frauen so stark zurück- nahmen und in das ortsübliche Normenkorsett pressen ließen. Dieses Sich-Einfügen-Müssen in das heimische Milieu forderte, ja erforderte schließlich ein relativ gleichförmiges Kleidungsverhalten, und dieses bedingte letztlich wiederum die Entstehung und Entwicklung der stark nivellierten bäuerlichen Kleidungsformen. Solange auf dem Lande noch die alte Sozialstruktur mit Großbauern an der Hierarchiespitze etabliert und ein gewisser Bauernstolz vorhanden war, wurde auch die Kleidung als zeichenhafter Ausdruck des Sozialgefüges weiterhin gestaltet und beibehalten, allerdings auch nur in den Regionen, in denen ein insgesamt konservativer Sittenkodex herrschte. Die „Burekleider" wurden von zahlreichen Frauen jedoch auch noch beibehalten, als sich die alte Standesordnung auflöste und der alte Sittenkodex reformiert wurde. Als sich der soziale Wandel zunehmend anbahnte, spielten in der Endphase schließlich insbesondere subjektive Motive beim Kleidungsverhalten eine Rolle. So sind trotz der gewandelten Lebensverhältnisse und trotz der veränderten sozialen Struktur bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Schwarzwald noch einige hundert Frauen bei Tracht geblieben. Betrachtet man das Sich-außerhalb-der-Norm-Kleiden der derzeitigen Trachtenträgerinnen, dann stellt sich natürlich auch die Frage, aus welchem Grund man überhaupt noch in Tracht eingekleidet wurde. In der Kindheit der gegenwärtigen Trachtenträgerinnen war die Tracht in den meisten Gemeinden als selbstverständliche Kleidungsweise der Landbevölkerung bereits immer mehr in Frage gestellt worden, so dass die Alterskameradinnen der derzeitigen Trachtenträgerinnen nicht mehr alle in Tracht eingekleidet wurden. Trotz des zunehmenden Trends zu städtischer Kleidung hielt man in einigen Familien noch am Alten fest und kleidete die Töchter, zumindest die älteren, im Gegensatz zu den Alterskameradinnen in Tracht ein. Bis in die dreißiger Jahre war die regionale bäuerliche Kleidungsform in bestimmten Schwarzwald Gebieten wie auch in zahlreichen anderen deutschen Landschaften noch eine allgemeine gesellschaftliche Gegebenheit und die majorisierte Norm, die von den Müttern der gegenwärtigen Trachtenträgerinnen noch ohne Hinterfragen aufgenommen worden war. Für die Mütter war die Tracht somit im Allgemeinen noch die gegebene Kleidung, die nur von den progressiveren bereits vor dem Einkleiden der Kinder als solche in Frage gestellt wurde. Und diese Meinungsbildung zur Kleidung war wiederum durch vielfältige Erwägungen geprägt worden. Vorrangig spielten damals noch ständische Überlegungen eine Rolle - „für ein Bauernmädchen schickte es sich nicht, sich städtisch zu kleiden...". Darüber hinaus waren dies die gleichen Gründe, die auch noch das Kleidungsverhalten der gegenwärtigen Trachtenträgerinnen bestimmten und bestimmen. Die meisten der gegenwärtigen Trachtenträgerinnen trugen die in der Kindheit aufgenommene Kleidung mit den speziellen Kleidungsgepflogenheiten als eine wenig reflektierte 212 213 gesellschaftliche Gegebenheit schließlich auch im Erwachsenenalter weiter. Das Kleidungsverhalten blieb bei vielen auch dann noch wenig hinterfragt, als man sich zunehmend außerhalb der Norm bewegte. Auch eine erweiterte Mobilität - einige arbeiteten sogar mehrere Jahre in Städten -trug nicht immer zum Infragestellen des Kleidungsverhalten bei. Ein vorrübergehendes Nachdenken über die Kleidung, das durch das jeweilige verstärkte Bewusstwerden des Andersseins hervorgerufen wurde, ging jedoch meist bald wieder im Alltag unter bzw. wurde schnell von anderen Problemen verdrängt, so dass die Kleidungsart quasi als nebensächliche Angelegenheit des Lebens bei vielen Frauen in den Hintergrund und nicht wirklich in Frage gestellt wurde. Dass man sich um die Kleidung meist wenig Gedanken machte, erwies sich gerade in der Endphase als Vorteil, da dadurch das Abweichen von der Norm der überwiegenden Mehrzahl der Mitbürger weniger bewusst und dadurch auch weniger zur Problemstellung wurde. Aus welchen Gründen die derzeitigen Trachtenträgerinnen im Gegensatz zu den meisten ihrer Alterskameradinnen bis zur Gegenwart bei Tracht geblieben sind, ist nicht pauschal zu beantworten, sondern bedarf individueller Betrachtung. Es gibt zwar gewisse Grundmotive, die das Kleidungsverhalten bestimmten und bestimmen, die Art der Schlussfolgerung war jedoch oft individuell verschieden. Fakten, die einige Frauen durchaus zum Umkleiden bewegen konnten, haben andere eher zum Beibehalten der Tracht ermuntert, so dass z. T. geradezu entgegengesetzte Schlussfolgerungen aus dem gleichen Sachverhalt gezogen werden konnten. Insofern lässt sich das Kleidungsverhalten weniger auf objektive Gegebenheiten als auf deren subjektive Verarbeitung zurückführen. Während viele Frauen, die sich umgekleidet haben, dies u. a. damit begründeten, dass sie von den Touristen und bei Reisen usw. nicht immer als „Museumsstück" betrachtet, angesprochen und fotografiert werden wollten, gingen die Frauen, die bei Tracht blieben, durchaus selbstsicher damit um - „man gewöhnt sich daran". Einige freuten sich sogar darüber, wenn sie im Alter noch Beachtung fanden und aufgrund ihrer Kleidung gewürdigt und zum Teil auch respektabler behandelt wurden. Inbesondere in den fünfziger und sechziger Jahren mussten viele allerdings öfters auch kritische oder gar negative Bemerkungen hinnehmen. Seit den siebziger Jahren bekamen die Trachtenträgerinnen jedoch im Allgemeinen eine positive Resonanz auf ihre Kleidungsweise. Im Zuge der aufkommenden Nostalgiewelle und Folklorebewegung wurde den Trachtenträgerinnen verstärkte Beachtung, ja Bewunderung zuteil. Diese Wertschätzung hatte durchaus einen positiven Einfluß auf das Selbstwertgefühl der Trachtenträgerinnen und mag einige wankelmütige ermuntert haben, doch bei Tracht zu bleiben. Dem Urteil der Familienangehörigen, insbesondere des Mannes, kam dabei natürlich die größte Bedeutung zu. Als ausschlaggebende Motive für das Festhalten an der Trachtenkleidung wurden von vielen Gewährspersonen -mehr oder weniger direkt - materielle und finanzielle Er- wägungen genannt. Einerseits wollte man aus Sparsamkeit die vorhandene Ausstattung nicht verfallen lassen, andererseits wollte man für die Einkleidung in städtische Kleidung nicht einige tausend Mark ausgeben. Die Kostenerwägungen sind allerdings nicht darin begründet, dass die betreffenden Personen das Geld für das Umkleiden nicht hätten aufbringen können, sondern sie sind in dem subjektiven Verhältnis zur Wertschätzung der Kleidung zu sehen. Das finanzielle Motiv ist so mit der jeweiligen Einstellung gekoppelt und kann nicht isoliert betrachtet werden - wenn dies auch einige Gewährspersonen so vorgeben. Bis in die fünfziger Jahre, insbesondere in den wirtschaftlich schlechteren Jahren, wurde mit dem Geld allgemein sehr pfleglich gewirtschaftet - viele mussten .jeden Pfennig umdrehen", so dass man vorhandene Kleidungsstücke wenn irgend möglich aufgetragen hat. Da viele Trachtenträgerinnen „das Sparen" in den schlechten Zeiten stark verinnerlicht hatten, konnten sie sich später von den alten Normen nur schwer trennen und ließen gute Kleidungsstücke nur ungern verfallen. Finanzielle Erwägungen standen bei vielen auch bei der Einkleidung im Vordergrund. Die Kostenfrage war hier jedoch auch mit der allgemeinen subjektiven Einstellung gekoppelt und stand auch mit den jeweiligen Gegebenheiten in Beziehung. Insofern haben sich einige aus finanziellen Erwägungen für städtische Kleidung entschieden, andere führten dagegen finanzielle Erwägungen zur Aufnahme der Tracht an. Eine Trachtenausstattung war bei Neuanschaffung zwar teurer als städtische Kleidung, blieb jedoch im Rahmen der ländlichen Kleidungsgepflogenheiten länger in Mode und konnte so länger getragen werden. Viele übernahmen zudem zahlreiche geerbte Kleidungsstücke und glichen damit den Kostenunterschied zur städtischen Kleidung weitgehend aus. Hatte man jedoch mehrere Schwestern, die bereits Kleidungsstücke der Mutter usw. übernommen hatten, dann bedeutete die Trachtenausstattung tatsächlich eine große finanzielle Ausgabe, zumal die Aussteuer bis zur Hochzeit komplett vorhanden sein musste, so dass einige aus diesem Grund zu städtischer Kleidung übergingen. Ästhetische Motive bestimmten das Kleidungsverhalten bei zahlreichen Gewährspersonen auch mit. Ob man sich in Tracht gefällt oder diese an sich schön findet, ist durchaus ein Faktor, der bei der Kleidungswahl mitschwingt. Insbesondere spielt bei einer positiven Beurteilung der Kleidung auch mit, dass die Tracht als „richtige", d. h. gemäßeste Kleidung betrachtet wird - diesbezüglich sind auch Zweckmäßigkeit und andere Werte eingeschlossen. Insbesondere Frauen, die ihre Tracht selbst genäht haben, empfanden und empfinden auch eine besondere Wertschätzung gegenüber ihren hart erarbeiteten Kleidungsstücken und halten sie aus diesem Grund in Ehren. Das Motiv der Traditionserhaltung ist bei den authentischen Trachtenträgerinnen im Gegensatz zu den organisierten Vereinstrachtenträgerinnen nicht zu finden, vielmehr wollten und wollen diese eher „modern" sein, d. h. den aktuel- Urgroßmutter von Maria Wehrle, St. Märgen (Aufr. um 1880*): Hochgeschlossener Schöbe mit besticktem Stehbund. len Kleidungsgepflogenheiten, wie diese unter den Trachtenträgerinnen jeweils üblich waren oder sind, nicht hinterherhinken. Nicht zuletzt spielte und spielt beim Kleidungsverhalten „die Macht der Gewohnheit" eine bedeutende Rolle. Wer über Jahrzehnte mit einer Kleidungsweise vertraut war und deren Kleidungsnormen verinnerlicht hatte, empfand dadurch eine gewisse Sicherheit; sich vom Gewohnten zu lösen, wäre ein bedeutender Einschnitt im Leben gewesen, dessen Umsetzung viel Kraft benötigt hätte. Mit zunehmendem Alter wurde dieser Schritt im Allgemeinen schwerer, für viele zu beschwerlich, als dass sie diesen angehen konnten oder noch könnten. Auch in jüngeren Jahren fehlte vielen Trachtenträgerinnen einfach die benötigte Kraft zum Umkleiden; die Bewältigung ihres Alltags nahm sie so in Anspruch, dass sie keine Energie für diesen großen Schritt aufbrachten bzw. übrig hatten. Insofern ist das Beharren beim Gewohnten u. a. auch als eine Folge der persönlichen Verfassung und der Lebenssituation zu sehen. Generell lässt sich feststellen, dass die Frauen, die bei Tracht blieben, eher zu den Charakteren zählten, die sich gerne anpassen und fügen. (13) Wer sich ohne weiteres anpasste und unterordnete, für den war der Normenkodex des Milieus nicht zu eng und für den waren auch die mit dem Trachttragen verbundenen strikten Normen keine Belas- tung. Doch es gab auch Frauen, die unter den dörflichen Konventionen und der Zensur litten. Solange das Trachttragen noch die majorisierte Norm war, waren die Trachtenträgerinnen noch in den Normenkodex des Milieus eingebettet. Ausbrechen und sich vom Trachttragen lossagen konnte nur, wer sich mit wachsender Emanzipation von dem Druck des Normenkodexes befreite und sich von Abhängigkeiten und überkommenen Vorstellungen löste. Da die soziale Kontrolle im Milieu recht stark war und das Umkleiden zunächst mit großem Argwohn betrachtet wurde, musste man schon ein gewisses Selbstbewusstsein zu diesem Schritt haben. Wer aus dem Normenkorsett ausbrach, eckte an, kam ins Gerede. „Die Tracht ist ihr nicht mehr gut genug, sie will vornehm, will fortschrittlich sein, will etwas Besseres sein...", musste man sich nachsagen lassen. Eine außerhäusliche Erwerbstätigkeit, die eine gewisse finanzielle Unabhängigkeit gewährleistete, war zwar eine günstige Voraussetzung, um den Normenkodex aufzubrechen, sie führte jedoch nicht in jedem Falle zum Ablegen der Tracht. Nach dem Zweiten Weltkrieg war mit den geänderten Lebensverhältnissen ein starker Umbruch im Milieu und Aufbruch des alten Normenkodexes zu verzeichnen, so dass es nun leichter war, den alten Normenkodex zu durchbrechen. Als Folge wurde nun u. a. auch im Schwarzwald die Tracht verstärkt abgelegt. Dennoch mussten sich die Trachtenträgerinnen für diesen Schritt noch immer „rechtfertigen". Und so versuchte man wenn möglich einen „triftigen" Grund zum Umkleiden zum Anlass zu nehmen oder diesen zumindest „vor den Leuten" vorzugeben. Um die eigene Befindlichkeit zu verschleiern, gab man z. B. in den letzten Jahrzehnten vor, dass man zur Tracht nicht mehr passende Stoffe gefunden habe oder keine Schneiderin mehr habe oder aufgrund von Leibschmerzen keine Tracht mehr tragen könne. (14) Wenn noch andere Trachtenträgerinnen „mitzogen", dann fiel das Umkleiden leichter - viele sprachen sich zu diesem einschneidenden Schritt auch ab. Im Laufe der Jahre führte das verstärkte Ablegen der Tracht schließlich dazu, dass das Trachttragen nicht mehr die majorisierte Norm war. Die bei Tracht blieben, wurden nun immer mehr zu Außenseitern, die im Gegensatz zu ihren Mitbürgern noch den alten Normen treu geblieben waren. Demzufolge zeugt das Festhalten an der Tracht von einem konservativen Verhalten, an das auch ein konservatives Beibehalten des tradierten Normenkodexes gekoppelt war. Dieses zeigt sich u. a. beim Trauerverhalten und beim Hochzeitsbrauchtum - wer bis in die fünfziger Jahre in Tracht heiratete und schwanger war, durfte nicht die Brautinsignien tragen (vgl. die Studien zu Maria Wernet u. Maria Beha); wer zur gleichen Zeit städtisch heiratete, konnte dagegen durchaus mit Brautkranz und in Weiß vor den Traualtar gehen. Wenngleich der tradierte Normenkodex, in den die derzeitigen Trachtenträgerinnen noch hineingewachsen waren, im Prinzip noch richtungsweisend war und ist, so wurde er 214 215 doch wie auch die einhergehenden Kleidungsgepflogenheiten immer mehr modifiziert. seilschaftlichen Verhältnissen und die Trachtenträgerinnen sind ein Indikator derselben. In den letzten Jahrzehnten zeichnete sich ab, dass auch noch ältere Frauen einschneidenden Erneuerungen gegenüber offen waren. Überhaupt lässt sich eine größere Innovationsfreudigkeit als zu Beginn des 20. Jahrhunderts feststellen. Dies ist nicht allein auf die bessere finanzielle Lage, sondern u. a. auch auf ein verändertes Selbstverständnis zurückzuführen. Dazu kommt noch, dass die gegenwärtigen Trachtenträgerinnen in den letzten Jahrzehnten nicht mehr die Kleidungsnormen der Mehrheit verkörpern und gewissermaßen als Außenseiter automatisch einen größeren Freiraum haben. Vor Jahrzehnten war die Kontrolle durch die Dorfbewohner, insbesondere durch die anderen Trachtenträger, noch wesentlich ausgeprägter. Die ehemals offiziellen Normen wurden in zahlreichen Bereichen von individuellen Normen überlagert, so dass aus einem „Es-wird-getragen" meist ein „Ich-trage" wurde. Dementsprechend sind einige zuvor als ungeschriebene Gesetze streng eingehaltenen Kleidungssitten in den letzten Jahrzehnten liberaler gehandhabt worden. Das Ausloten eines größeren individuellen Spielraumes zeugt nicht zuletzt auch von größerer Mündigkeit und Emanzipation der Trachtenträgerinnen. Somit offenbart sich im Kleidungsverhalten der gegenwärtigen Trachtenträgerinnen ein gewachsenes Selbstbewusstsein und eine stärkere Lösung aus den Bindungen des Gruppenzwanges. Auch ein verändertes Lebensgefühl spiegelt sich im derzeitigen Trachttragen wider. Während die Großmütter der meisten gegenwärtigen Trachtenträgerinnen im Alter nur noch dunkle, ja schwarze Kleidungsstücke, wie z. B. nur noch dunkelblaue Seidenschürzen und ausschließlich schwarze Hüte, getragen haben, kleiden sich die derzeitigen Trachtenträgerinnen auch im Alter noch farbenfroh. Aufgrund des veränderten Lebensgeftihls wurden auch die passableren, die größtenteils „mit der Zeit gegangenen" Kleidungsformen lieber und im Allgemeinen auch länger getragen als konservativere Trachten, dies lässt sich zumindest beim Vergleich der Schwarzwälder Kleidungsformen feststellen. Aber auch dieser Sachverhalt lässt sich nicht verallgemeinern. Schließlich wurde z. B. die sehr konservative Kleidungsform der hessischen Schwalm bis zur Gegenwart noch von zahlreichen Frauen und bis vor wenigen Jahren auch noch von Männern getragen. Betrachtet man die Entwicklung, lässt sich abschließend unschwer Folgendes prognostizieren: Dass Tracht noch von Frauen getragen wird, die aufgrund der alten Standesordnung in Bauernkleider eingekleidet worden waren und das einhergehende Kleidungsverhalten dann lebenslang beibehalten haben bzw. noch beibehalten werden, wird in absehbarer Zeit auch im Schwarzwald, wie auch in einigen anderen deutschen Landschaften, der Vergangenheit angehören. Dieses Trachttragen ist demzufolge gewissermaßen eine Objektivation von auslaufenden ge- Inwieweit das regional geprägte Festtagsgewand, aus der ehemaligen bäuerlichen Standeskleidung hervorgegangen und nach dem sozialen Wandel auf dem Lande von Teilen aller Bevölkerungskreise getragen, noch in künftigen Generationen eine Zukunft hat, sei dahingestellt - dies wird man erst nach Jahrzehnten beurteilen können. An der Schwelle des 21. Jahrhunderts sei hiermit der Status quo des Trachttragens dokumentiert, und zwar in seiner subjektiven, zeitlichen und räumlichen Bedingtheit. Die Studien zum Trachttragen im Schwarzwald machen letztlich deutlich, dass die derzeitigen Trachtenträgerinnen die regionalen bäuerlichen Kleidungsformen nicht als Relikte vergangener Zeiten, gleichsam als Museumsstücke tragen, sondern dass die Tracht bis zur Gegenwart ihren soziokul-turellen Bezug behalten hat. Anmerkungen 1) Pfarrer Hansjakob: Unsere Volkstrachten. Ein Wort zu ihrer Erhaltung. Freiburg 1896 (4. Aufl.). S. 12. 2) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1, S. 11 u. 12. 3) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. I, S. 11. 4) Richard Nuzinger: Die Erhaltung der Volkstrachten. Eine Warnung. Heidelberg 1897 (2. Aufl.). S. 9. 5) Richard Nuzinger. S. Anm. 4. S. 9. 6) Heinz Schmitt: Volkstracht in Baden. Karlsruhe 1988. S. 50. 7) 1864 gründete Franz Krämer in Seelbach bei Lahr eine erste Zigarrenfabrik: 1884 in Schuttertal dann eine erste Filiale: 1889 in Haslach eine weitere Filiale: 1898 eine Filiale in Dörlinbach und eine Filiale in Schweighausen. Um 1912 beschäftigte man im Schuttertal Uber 600 Arbeiter/innen. Sohn Franz-Josef Krämer übernahm 1891 die Filiale in Haslach und erbaute Zweigbetriebe in Biberach. Hausach und zwei in Steinach. Neben der Fabrikantenfamilie Krämer hatte 1872 noch Christian Himmelsbach eine weitere Zigarrenfabrik in Seelbach eröffnet. Dieser beschäftigte in Seelbach und einigen Filialen im Schuttertal um 1914 über 800 Arbeiter/innen. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts war die Zigarrenmanufaktur im Schutter- und mittleren Kinzigtal eine bedeutende Erwerbsquelle, die vielen Familien das Auskommen sicherte. Seit den fünfziger Jahren hat man die Produktion stark mechanisiert, so dass immer weniger Arbeiter/innen benötigt wurden. 1976 hat man schließlich die Zigarrenherstellung eingestellt. Vgl. Erich Krämer: Die Geschichte der Familie Franz Krämer. Zigarren- und Stumpenfabriken in Seelbach bei Lahr. In: Geroldsecker Land. 2002. Nr. 44. > 8) Richard Nuzinger. s. Anm. 4. S. II. 9) Richard Nuzinger. s. Anm. 4, S. 12. 10) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1. S. 26 11) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1. S. 17 12) Pfarrer Hansjakob, s. Anm. 1. S. 17 13) Vgl. Fritz Riemann: Grundformen der Angst. München 1961 und 1997, S. 59 f. 14) Ebenso verschleierten die Frauen gerne die wahren Gründe, die sie zum Beibehalten der Tracht veranlassten. In den ersten Gesprächen äußerten die Frauen meist, dass man die Tracht schön fände und sich darin wohlfühlt. Erst mit zunehmender Vertrautheit legten sie dann die wahren Gründe offen - eine oberflächliche Befragung hätte so zu Fehlschlüssen geführt. Trachtenträgerin aus Oberprechtal in sommerlicher Sonntagskleidung (Aufn. 2005). 216 217 Statistik zum Trachttragen i In: Rudi Keller: Tracht am Oberrhein. Straßburg 1942 218 JJu jahUmo)%Drebratriut| Jts JjttrJ^tntrtiQcns od dmMkssAüUriTaim- (fiosrtil.cUrmit UJatirschrittUctikeit später tractit crtiQlt»ndfn-5diüleriat«n\ 90-100% 80-69 • 70-79 ■ 60-69 ■ 50-59 - 40-49% 30-39-20-29-10-19- CE3 o-9 ■ In: Rudi Keller: Tracht am Oberrhein. Straßburg 1942 219 Anzahl der Trachtenträgerinnen im Jahr 2006 In den jeweiligen Regionen wird im Jahr 2006 noch wie folgt Tracht getragen: Kleidungsform des Renchtales (vgl. Studien von Anna Huschle und Berta Huber): Ödsbach: 2 Frauen tragen zum Kirchgang und zu Festlichkeiten noch Tracht, 7 Frauen haben zwar noch Zöpfe, ziehen aber im Allgemeinen keine Tracht mehr an; Hesselbach: 2 Frauen; Sulzbach: 1; Op-penau: 2 Frauen tragen jeweils zum Kirchgang und zu Festlichkeiten noch Tracht: Griesbach: 1 Frau trägt zum Kirchgang und weitere 3 Frauen nur noch an Festtagen Tracht. Kleidungsform des Wolfach- und oberen Kinzigtales (vgl. Studien von Elisabeth Dieterle, Helene Armbruster u. Berta Dieterle) Bad Rippoldsau: 3 Frauen tragen zum Kirchgang und 10 Frauen nur zu Festlichkeiten Tracht; Schupbach: 5 Frauen ziehen zum Kirchgang und zu Festlichkeiten Tracht an und 15 weitere nur zu Prozessionen; Oberwolfuch: 1 Frau trägt nahezu immer Tracht; St. Romun: 3 Frauen kleiden sich nur noch zu Prozessionen in Tracht; Schenkenzell: 1 Frau trägt bei Prozessionen Tracht; Kalt-brunn: 2 Frauen kleiden sich bei Prozessionen in Tracht. Kleidungsform des Kirchspiels Hausach (vgl. Studie von Ernestine Schmid): Einbuch: 1 Frau trägt altersbedingt nur noch im häuslichen Bereich Tracht; Hausach: 1 Frau zieht zum Kirchgang usw. Tracht an. Kleidungsform des mittleren Kinzigtales (vgl. Studien von Maria Anna Grießbaum, Maria Beha, Luise Meliert und Maria Daviu): Mühlenbach: 36 Frauen tragen noch tagtäglich Tracht, die Festtagstracht mit Goldhaube nicht mehr alle; Fischerbach: 5 Frauen kleiden sich tagtäglich in Tracht; Hofstetten: 20 Frauen tragen tagtäglich Tracht; Welschen-steinuch: 22 Frauen haben zwar noch Zöpfe, aber nur noch wenige tragen auch noch die Festtagstracht mit Goldhaube; Prinzbuch: 2 Frauen ziehen tagtäglich Tracht an. Kleidungsform der Kirchspiele Oberharmersbach, Unterharmersbach, Zell, Nordrach, Gengenbach und Berghaupten (vgl. Studien von Cacilia Roth und Monika Zimmerer) Oberhannersbach: 15 Frauen tragen tagtäglich Tracht, zu Festlichkeiten ausschließlich die schwarze Spitzenkappe, die Festtagstracht ziehen jedoch nur noch etwa die Hälfte an; Unterharmersbach: 1 Frau trägt Tracht nur noch zu Prozessionen sowohl mit Spitzen- oder Goldkappe; Oberentersbach: 3 Frauen tragen Tracht nur noch zu Prozessionen, sowohl mit Spitzen- oder Goldkappe; Unterentersbach: 4 Frauen tragen nur noch zu Prozessionen Tracht, sowohl mit schwarzer Spitzenkappe als auch mit Goldhaube; Nordrach: 24 Frauen tragen meist noch tagtäglich Tracht, an Festtagen sowohl die schwarze Spitzenkappe als auch seit den fünfziger Jahren die Goldhaube; Fußbuch: 6 Frauen haben noch Zöpfe, die Festtagstracht mit Spitzenoder Goldkappe tragen sie allerdings nur noch selten; Reichenbach: 5 Frauen ziehen im Allgemeinen noch Tracht an, die Festtagstracht mit Spitzen- oder Goldkappe tragen sie allerdings nur noch selten; Strohbuch: 4 Frauen tragen noch meist Tracht; Wingerbuch: 3 Frauen tragen im Allgemeinen noch Tracht; in den anderen kleinen Ortsteilen des Kirchspiels Gengenbach sind auch noch jeweils wenige Frauen bei Tracht geblieben; Berghaupten: 2 Frauen tragen noch gelegentlich zu Festlichkeiten Tracht mit Spitzenkappe; Ohlsbach: 1 eingeheiratete Frau trägt noch Tracht mit Spitzenkappe. Kleidungsform des Schuttertales (vgl. Studien von Sophie und Rita Fehrenbacher) Schuttertal: 3 Frauen kleiden sich noch tagtäglich in Tracht. Kleidungsform des Elztales (vgl. Studien von Gisela Kaltenbach und Hedwig Fischer) Oberprechtul: 3 katholische und 3 evangelische Frauen tragen noch tagtäglich Tracht; Prechtul: 10 katholische Frauen kleiden sich tagtäglich in Tracht; Biederbuch: 20 Frauen tragen tagtäglich Tracht; Yuch: 5 Frauen tragen noch tagtäglich Tracht; Oberwinden: 16 Frauen ziehen tagtäglich Tracht an; Kutzenmoos: 1 Frau trägt tagtäglich Tracht; Oberspitzenbuch: 1 Frau kleidet sich noch tagtäglich in Tracht; Niederwinden: 20 Frauen tragen tagtäglich Tracht; Siegeluu: 20 Frauen ziehen tagtäglich Tracht an; Gutach-Riedern: 2 Frauen tragen tagtäglich noch Tracht; Bleibach: 1 Frauen ziehen tagtäglich Tracht an; Kollnau: 1 Frau kleidet sich an Festtagen in Tracht. Kleidungsform des Simonswäldertales (vgl. Studie von Klara Weiß) Simonswald: 4 Frauen tragen tagtäglich Tracht. Kleidungsform von Freiamt (vgl. Studie von Hilda Schneider) Freiamt: 10 Frauen tragen gelegentlich noch Tracht. Kleidungsform des Glottertales (vgl. Studien von Mathilde Blattmann und Maria Strecker) Glottertal: 30 Frauen tragen noch tagtäglich Tracht und weitere über 140 Frauen der Großgemeinde ziehen gelegentlich zum Kirchgang und/oder zu Festlichkeiten Tracht an. Kleidungsform von St. Peter (vgl. Studien von Hilda Heftig und Rosemarie Walter) St. Peter: 30 Frauen kleiden sich noch vorrangig in Tracht, 70 weitere Frauen ziehen zu Prozessionen und gelegentlich zu anderen festlichen Anlässen Tracht an. Eschbach: 12 Frauen tragen bei Prozessionen usw. noch Tracht, etwa die Hälfte kleiden sich meist auch noch zum Kirchgang in Tracht. Kleidungsform von St. Märgen (vgl. Studie von Maria Wehrle) St. Märgen: 4 Frauen kleiden sich noch tagtäglich meist in Tracht, etwa 30 Frauen tragen gelegentlich zum Kirchgang und vor allem zu Prozessionen Tracht; Breitnau: 15 Frauen kleiden sich zu Prozessionen in Tracht, 4 ebenso zum gewöhnlichen Kirchgang. Kleidungsform vom Kirchspiel Titisee-Neustadt (vgl. Studie von Rosa Löffler) Jostul: 5 Frauen, Waldau: 4 Frauen und Langenordnach: 3 Frauen tragen jeweils zum Kirchgang und zu Festlichkeiten noch Tracht. Kleidungsform des Kirchspiels Buchenbach und des Dreisamtales (vgl. Studie von Emilie Bung) Büchenbach: 2 Frauen kleiden sich zu Prozessionen noch in Tracht; Oberried: 3 Frauen tragen zu Prozessionen noch Tracht; Stegen: 1 Frau, gebürtig aus St. Märgen, kleidet sich noch an Feiertagen in Tracht. Kleidungsform des Kirchspiels Münstertal (vgl. Studie von Hildegard Eckerle) Münstertal: 15 Frauen kleiden sich zu Prozessionen in Tracht. Kleidungsform des Kirchspiels St. Georgen (vgl. Studie von Lina Kieninger) Lungenschiltuch: 1 Frau trägt gelegentlich zum Kirchgang noch Tracht. Kleidungsform des Gutachtales (vgl. Studien von Maria Wernet und Anna Wälde) Kirnbach: 1 Frau trägt aus Altersgründen und einhergehender Gebrechlichkeit nur noch zu besonderen Gelegenheiten Tracht; Gutach: 15 Frauen ziehen zum Erntedankfest und gelegentlich zu anderen Anlässen Tracht an. Kleidungsform von Lehengericht (vgl. Studien von Maria und Walburga Schillinger) Lehengericht: 20 Lehengerich-ter, 5 Paare mit ihren Kindern und 3 ältere Frauen, kleiden sich zum Erntedankfest usw. in Tracht. Kleidungsform von Schutterwald (vgl. Studie von Theresia Kempf) Schutterwald: 6 Frauen kleiden sich noch tagtäglich in Tracht. Insgesamt haben als tagtägliche oder zumindest als vorwiegende Kleidung etwa 300 ältere Frauen Tracht beibehalten. Zuweilen zum sommerlichen Kirchgang und / oder nur zu Festlichkeiten, vor allem zu Prozessionen, kleiden sich darüber hinaus noch etwa 400 Frauen in Tracht. Trachtenträgerinnen aus Mühlenbach in Festtagskleidung. I. mit Goldkappe, r. mit Rollenkranz (Aufn. um 1950*). 220 221 Übersichtskarte Oberkirch Schenkenzell Schiltach Lehengericht Freiburg Staufen Münstertal 222 Die Schwester von Lina Kieninger, Langenschiltach, mit Schäppel als Postkartenmotiv (Aufn. 1950*). 223 Zur Autorin - 1947 als Tochter eines Landwirts in Haunetal-Wehrda, Landkreis Hersfeld-Rotenburg (Hessen), geboren - Nach Pädagogik-Studium Lehrtätigkeit an Grundschulen Publikationen: - Unsere Lieder - Volkslieder aus Hessen. Kirchheim 1978 und 8. Auflage 2001. ISBN 3-9801197-0-X - Die Trachten des Kreises Hersfeld. In: Hessische Heimat 1984. - Die Tracht und ihre Träger als Objekt der Festgestaltung. In: Hess. Blätter für Volks- u. Kulturforschung 1997. -August Gandert / Brunhilde Miehe: Handwerk und Volkskunst in der Schwalm. Schwalmstadt 1983. - Der Tracht treu geblieben Bd. 1 Studien zum regionalen Kleidungsverhalten in Hessen. Haunetal 1994 und 1995. ISBN 3-9801197-7-7 - Der Tracht treu geblieben Bd. 2 Studien zum regionalen Kleidungsverhalten in der Lausitz. Bautzen 2003. ISBN 3-7420-1803-5 - Der Tracht treu geblieben Bd. 3 Studien zum regionalen Kleidungsverhalten in der Schwalm. Kirchheim 2004. ISBN 3-9801197-5-0 - Der Tracht treu geblieben Bd. 4 Studien zum regionalen Kleidungsverhalten im Schaumburger Land. Kirchheim 2005. ISBN 3-9801197-8-5 224 Der Tracht treu geblieben sind bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts im Scl^^^^r^^^^^ einige Hundert ältere Frauen. Vom Renehtal bis zum Hochschwarzwald werden jeweils von mehr oder weniger vielen Frauen noch tagtäglich oder nur zum Kirchgang und/oder zu Festlichkeiten noch nahezu 20 unterschiedliche regionale Kleidungsformen getragen. Das tradierte bäuerliche Kleidungsverhalten ist hier erstmals in einer Zusammenschau dokumentiert. Anhand von Fallstudien wird das derzeitige Kleidungsverhalten jeweils in seiner subjektiven, räumlichen und zeitlichen Bedingtheit beschrieben sowie mit über 400 Schwarzweißtbtos und zahlreichen Farbfotos in den vielfältigen brauchgebundenen Kleidlingsgepflogenheiten dargestellt. Darüber hinaus werden die Kleidungsformen in ihrer Entwicklung z. T. bis ins 19. Jahrhundert beleuchtet und auch einhergehende Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen aufgezeigt. Ergänzt wird die Dokumentation durch eine Darstellung des einschlägigen Handwerks und Handels sowie durch eine zahlenmäßige Erfassung der Trachtenträgerinnen. Der Tracht treu geblieben - Studien zum regionalen Kleidlingsverhalten im Schwarzwald ist eine Dokumentation sowohl für den Trachtenliebhaber als auch für den Ethnologen. ISBN 3-9801197-6-9 Sa KS» Am Inhaltsverzeichnis Vorwort............. Meiner lieben Oma Maria, die aus dem Schwarzwald stammte, posthum zugeeignet. Masarykova Univerzita Filozofická fakulta. Ústřední knihovna Přir.č Sign Syst.č 1. Auflage 2006 Verlag Brunhilde Miehe 36275 Kirchheim-Gershausen Alle Rechte vorbehalten Glockdruck Bad Hersfeld ISBN 3-9801197-6-9 Glottertal Mathilde Blattmann, Glottertal.....................7 Maria Strecker, Glottertal........................17 St. Peter Rosemarie Walter, St. Peter.......................20 Hilda Hettig, St. Peter...........................24 St. Märgen Maria Wehrle, St. Märgen........................29 Titisee-Neustadt Rosa Löffler, Titisee-Neustadt.....................35 Buchenbach Emilie Bung, Wagensteig........................44 Freiamt Hilda Schneider, Reichenbach....................49 Münstertal Hildegard Eckerle, Münstertal....................54 Elztal Gisela Kaltenbach, Siegelau......................56 Hedwig Fischer, Oberwinden.....................63 Simonswald Klara Weiß, Obersimonswald.....................68 St. Georgen Lina Kieninger, Langenschiltach..................72 Lehengericht Maria Schillinger, Lehengericht...................79 Walburga Schillinger, Lehengericht................84 Gutachtal Maria Wernet, Kirnbach.........................86 Anna Wälde, Gutach............................92 Wolfachtal Elisabeth Dieterle, Schapbach.....................95 Helene Armbruster, Oberwolfach.................103 Berta Dieterle, Schenkenzell.....................105 Hausach Ernestine Schmid, Einbach......................108 Mittleres Kinzigtal Maria Anna Grießbaum, Mühlenbach..............112 Maria Beha, Welschensteinach...................121 Luise Meliert, Welschensteinach..................126 Maria Daviu, Welschensteinach..................129 Schuttertal Sophie und Rita Fehrenbacher, Schuttertal..........130 Harmersbach- u. Nordrachtal Monika Zimmerer, Nordrach....................137 Cacilia Roth, Oberharmersbach..................141 Renchtal Anna Huschle, Ödsbach........................148 Berta Huber, Oppenau..........................154 Schutterwald Theresia Kempf, Langhurst......................158 Handwerk und Handel Theresia Beha, Glottertal.......................164 Werner Eugen Linder, Gottertal..................166 Berta Meder, Glottertal.........................167 Barbara Herbstritt. Breitnau.....................168 Strohhutmanufaktur............................170 Vergleichende Betrachtung.....................171 Die Schwarzwälder Trachten im Wandel der Generationen...................183 Die Rolle der Tracht und ihrer Trägerinnen im kirchlichen Leben.........................198 Kleidung als Spiegel der sozialen Verhältnisse.....203 Pflege- und Erhaltungsmaßnahmen zum Trachttragen............................204 Ursachen zum Rückgang des Trachttragens und Motive zum Beibehalten der Tracht..........210 Anhang Statistik zum Trachttragen.......................218 Übersichtskarte...............................222 Zur Autorin..................................224 3