Enzensbergers Tumult im Kontext, Tendenzen der dtschp. Literatur nach 2000, SS 2015. H. M. Enzensberger (1929): Tumult (2014) H. M. Enzensberger: Hammerstein oder der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte (2008) R. Baumart (1929): Damals. Ein Leben in Deutschland (2003) G. Grass (1927): Beim Häuten der Zwiebel (2006) M. Walser (1927): Ein springender Brunnen (1998) P. Schneider (1940): Rebellion und Wahn. Mein 68´. Eine autobiographische Erzählung (2008) Andenken (1978)Also was die siebziger Jahre betrifft,/kann ich mich kurz fassen./Die Auskunft war immer besetzt…..Wiederstandslos, im grossen und ganzen/ haben sie sich selber verschluckt,/ die siebziger Jahre,/ ohne Gewähr für Nachgeborene,/ Türken und Arbeitslose./Dass irgendwer ihrer mit Nachsicht gedächte,/wäre zuviel verlangt. • Enzensbergers andere Texte • ----Tumult • -----Genre: Autobiographie --- • Enzensbergers Generationsgenossen versus die 68er. • Thema versus Schreibweise • E. ist im Spannungsfeld: zwischen den seinigen und den 68ern. • Seine Generation? 1926–1930 Sehr differenziert (ideologische Unvereinbarkeit von J. Habermas, T. Nipperdey, R. Dahrendorf, J. Fest, M. Walser, G. Grass, H.M. Enzensberger): daher viele Bezeichnungen (Hitlerjugendgeneration, Aufbaugeneration, suchende G., verratene G., G. des Jahres 45, Skeptische G. H. Schelsky: Die skeptische Generation. Eine Soziologie der deutschen Jugend. Düsseldorf 1957 Grass: „zu jung, als dass sie Nazis hätten sein können, doch alt genug, um vom System mitgeprägt worden zu sein, das 1933–1945 zunächst Staunen und dann Schrecken hervorrief.“. Nicht unschuldig, doch ohne direkte Verantwortung, was jedoch nicht ihr Verdienst war, sondern ein glücklicher Zufall. Ch. von Krockow: alt genug, „um den Krieg, und das Dritte Reich wahrzunehmen, zugleich jung genug, um nochmals von vorne beginnen zu können.“ Schelsky: Weil tief misstrauisch, deshalb höchst unpathetisch. Je mehr Bedürfnis, sich der realen Nachkriegswelt anzupassen, desto weniger Verständnis für revolutionäre Losungen und begeisterten Idealismus, der nicht danach zu fragen braucht, ob seine Ideale überhaupt realisierbar sind. Je weniger Sinn für allesumwerfende Programme, desto skeptischer und toleranter, wenn wir „unter Toleranz die Fähigkeit verstehen, mit den eigenen Schwächen wie auch mit den Schwächen der anderen zu leben“. A. kritisch-nonkonformistische Phase eines jungen Linken. B. desillusionerter Systembefürworter, der in den 80er Jahren mit der Bundesrepublik seinen Freiden geschlossen, ja zum Teil sogar die konservative Tendenzwende mitgemacht habe. • 1. Ich damals. Was habe ich gemacht, warum habe ich es gemacht, was habe ich dabei gedacht? Welches Selsbtbild von meinem Damals wird produziert? • 2. Wie kann ich von von heute aus über Damals sprechen? Wie kann sich der Erinnernde auf den Erinnerten beziehen? Ihn bewerten? Mit welchen Konsequenzen? Lässt sich über Damals glaubwürdig erzählen? Worauf kann man sich stützen; Ist die damalige Zeit festzuhalten? Ist man imstande, ihr beizukommen, sie auf den Begriff zu bringen? • 3. Gibt es Analogien zwischen der autobiografischen Aussage über die 1930-40er und über die 1960er Jahre innerhalb einer Generation, also bei Grass, Walser, Baumgart und Enzensberger. • 4. Wie nimmt sich Enzensbergers Aussage über die 60er Jahre neben der Version von Schneider aus, also neben den Erinnerungen eines dezidierten 68ers an diese Zeit. Analogien und Unterschiede jenseit der Generationsschemata „Denn über die eigene Vergangenheit könne keiner souverän verfügen. Man rekonstruiere sie nur aus großem Abstand und mit Rücksicht auf die jeweiligen Anforderungen der Gegenwart.“ Abgeschlossen und unzugänglich wie in einem Traum erscheint dem 1927 Geborenen /s/eine Kindheit, in der persönliche Erinnerungen so wenig mit dem übereinstimmen, was inzwischen im kollektiven Gedächtnis der Deutschen verankert ist. Die traditionelle Form des Ich-Berichtes ist auszuschließen, würde sie doch nahelegen, daß er, der Erzähler, über seine Kindheit schreibe, um sich zu rechtfertigen, um zu erklären, wieso aus einem Gastwirtjungen ein linker Schriftsteller wurde. "Es empfiehlt sich, vorübergehend in der dritten Person zu bleiben. Eben weil Weitergehendes in der ersten Person leicht unglaubwürdig wirkt. Also: Einer kann die Meinungen, die er öffentlich geäußert hat, nicht zurücknehmen, aber er kann sie auch nicht mehr so vortragen wie etwa zehn Jahre vorher. Seine Meinungen und er sind einander ein bißchen fremder geworden." „Ich müsste sprechen, wie man heute über diese Zeit spricht. Es bliebe nichts als ein Mensch, der von heute aus spricht. Der nächste also, der über Vergangenheit spricht, als wäre er schon damals, was er heute ist.“ (Über Deutschland reden, 1988) Die Vergangenheit mag es nicht, wenn ich ihrer habhaft werden will. Je direkter ich mich ihr nähere, desto deutlicher begegne ich statt der Vergangenheit dem Motiv, dass mich gerade jetzt heißt, die Vergangenheit aufzusuchen. Öfter ist es ein Mangel an Rechtfertigung, der einen ins Vergangene weist. Man sieht Gründe, die es rechtfertigen könnten, dass man ist, wie man ist. • Anita zuliebe setzte sich Johann über mütterliche Verbote hinweg, blieb über Nacht weg und schwänzte die Schule. Es war eine schöne und schreckliche Zeit. Meinen Kindern sage ich: Es ist nötig … , gegen selbsternannte Herren der Welt und eine feige oder übergeschnappte Obrigkeit zu rebellieren. Aber noch mehr Mut gehört dazu, gegen die Führer in der eigenen Gruppe auszustehen und zu sagen: „Ihr spinnt! Ihr seid verrückt geworden!“ - wenn ebendies der Fall ist. • (P. Schneider: Rebellion und Wahn.., S. 362.)