Duden, § 262: Verhältnis Präteritum – Perfekt Weinrich (2007: 224): Gegensatz vom Präteritum als Tempus von einem „eher gemächlichen Erzählfluß“ und Präsensperfekt mit seinen „häufig raffende Eigenschaften.“ Das Perfekt häufig als Tempus des Übergangs an den Gelenkstellen zwischen besprechender und erzählender Rede, und zwar sowohl als Einleitung wie als Ausleitung einer Erzählung. (Weinrich 2007: 22) Die gegenseitige Vertretung ist aber nicht gut oder überhaupt nicht möglich, wenn es auf die Mehrinformation des Perfekts entscheidend ankommt; wenn z. B. die im Perfekt genannte Tatsache zu einer anderen in Beziehung gesetzt wird wird: Da steht er nun, der kleine Hans, und weint, weil er vom Nikolaus nichts bekommen hat. Da das Perfekt in der Standardsprache nicht als Erzähltempus dient, darf es auch nicht reihend in längeren Texten gebraucht werden, dafür steht das Präteritum zur Verfügung. Bei einer Form wie: Ich war beim Bäcker gewesen. (Statt: Ich bin beim Bäcker gewesen.) handelt es sich um eine nicht korrekte Mischform aus oberdeutschem Perfekt und standardsprachlichem Präteritum. Sie ist besonders im Grenzgebiet zwischen Süd- und Norddeutschland zu hören. Gern werden mit dem Perfekt Erzählungen begonnen oder geschlossen; Die Sorge um das Schicksal seiner Völker hat Kaiser Karl V. in mancher Nacht des Schlafes beraubt. Er pflegte dann, in seine Pelze gehüllt, am Kamin zu sitzen. Sowinski, Stilistik, 170 ff. Nachzeitigkeit: Ich wartete, bis er kam. Auch: Ich habe gewartet, bis er kam. Ich wartete, bis er eingeschlafen war. Ich werde warten, bis ich ihn gesehen habe. 177 nur gelegentlich als subjektive Feststellung des Erzählers oder als resultative Bemerkung in erzählenden Texten im Präteritum: Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht´s nicht. – Man fürchtete für Lottes Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet. (Werther) Josef K: Hören Sie: Ich bin etwa vor zehn Tagen verhaftet worden, über die Tatsache der Verhaftung selbst lache ich, aber das gehört jetzt nicht hierher. Ich wurde früh im Bett überfallen, Wechsel zwischen „Erzählen“ und „Besprechen“ in der Geschichtsschreibung: Nach dem Umsturz von 1933 hat General von Blomberg sich gerühmt, das sei es nun, worauf die Reichswehr immer hinausgewollt und, in aller Verschwiegenheit, planmäßig hingearbeitet habe. Man hat es ihm damals wohl geglaubt, auch außerhalb Deutschlands. Es war aber hauptsächlich Prahlerei. Der Minister machte die Reichswehr viel böser /…/ als sie gewesen war. ( Golo Mann, 1956) 180 Soll das Momentane oder Abgeschlossene des Vorgangs bei gleichzeitiger Wahrung des Erzähltempus betont werden, so verwendet man entsprechende Zeitadverbien, die den perfektiven Aspekt vermitteln: Plötzlich zerbrach das Glas. In diesem Augenblick erkannte er die Zusammenhänge. Die Verwendung des Perfekts würde die Erzählperspektive verändern, indem sie das Geschehen stärker an die Sicht und Gegenwart des konstatierenden Berichterstatters bände. Morgen war Weihnachten. Hans hatte noch keine Vorbereitungen für das Fest getroffen. (Bewußtseinssituation der handelnden Personen, erlebte Rede) Sigbert Latzel: Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum, München: Hueber, 1977. http://d-nb.info/911393714/04 Tempus: Präteritum-Perfekt-Verwendungen in Zeitungen/Zeitschriften (Latzel 1983) Rubriken Prät. % Perf. % Belege Zeitung allgemein 81,27 18,73 17.036 einzelne Bereiche (A) Kommentierende Texte (Leitartikel, Kommentare) 61,17 32,83 466 (B) Meldungen (Neuigkeiten): Kurzmeldungen (allgemein), 2 -5 Sätze 59,56 40,44 5.299 Kurzmeldungen (nur 1 Satz) 34,84 65,16 1.857 Einzelne Bereiche: Sportmeldungen (1 - 4 Sätze) 93,32 06,48 216 "Personalien" 54,47 45,53 235 Schlagzeilen 85,57 14,43 97 (C) Anzeigen: Heirats-, Geburtsanzeigen 01,52 98,48 66 Todesanzeigen 55,97 44,03 2.971 Urheberschaftshinweise 96,20 03,80 184 (D) Berichte: wissenschaftl. Art 75,01 24,99 2.361 (E) Reportagen: (allgemein) 55,50 44,50 618 (F) Interviews: (allgemein) 47,10 52,90 4.592 Latzel, Sigbert (1983) Handout. Belgrad: Goethe Institut/KIZ (s. a.: Latzel, Sigbert (1977) Die deutschen Tempora Perfekt und Präteritum. München: Hueber) © W. Grießhaber 2003-2004 Arbeitshypothese: Existenz von 2 Tempusgruppen: Tempusgruppe 1: Tempora der besprochenen Welt Tempusgruppe 2: Tempora der erzählten Welt ñ Präsens ñ Perfekt ñ Futur 1 ñ Futur 2 ñ Präteritum ñ Plusquamperfekt ñ Konditional 1 ñ Konditional 2 Sprecher wirkt auf Hörer ein das, worauf sich das Tempus bezieht, ist für Sprecher & Hörer aktuell Distanz zu dem, worauf man sich bezieht zwischen der Sprechsituatio und dem Ereignis besteht kein unmittelbarer Zusammenhang Tempusformen werden hinsichtlich ihrer Funktion im Kommunikationsprozeß betrachtet; Präsens steht also z.B. nicht für Gegenwart. Tempusformen sind Signale zur Steuerung der Rezeptionshaltung des Hörers im Kommunikationsprozeß. Sie drücken die Sprechhaltung aus, d.h. wie der Sprecher zum Text (zur Information) steht, entwder besprechend oder erzählend. Sprecherperspektive: bezogen auf den Text als lineare Aneinanderreihung von (Tempus-)Zeichen. Entscheidend ist das Verhältnis von Textzeit zu Aktzeit: Aktzeit = Textzeit: performative Rede - Ich taufe dich Aktzeit vor Textzeit: Informationen werden nachgeholt Aktzeit nach Textzeit: Informationen werden vorweggenommen Weinrich, Harald (1964) Tempus - Besprochene und erzählte Welt. Stuttgart: Kohlhammer W. Grießhaber 2003 Komplexe Prädikate stehen typischerwesie im Präteritum: (Welke, http://homepage.univie.ac.at/thomas.brooks/pr%E4perf.PDF) Die Vorbereitungen für den Besuch des amerikanischen Präsidenten haben begonnen. An vielen Stellen wurden Straßensperren vorbereitet. Eine zusätzliche Perfektbildung (* sind vorbereitet worden) würde die Struktur unnötig komplizieren. Die EU-Kommission hat mit der Kodifizierung zahlreicher Verordnungen begonnen und jedes Mal, wenn eine deutliche Vereinfachung ohne Gefährdung der anderen Ziele möglich ist, eine Änderung der gegenwärtigen Mechanismen vorgeschlagen. Diesem Ziel der Vereinfachung wurde bei der Erarbeitung der Vorschläge Rechnung getragen. Nebensätze ohne Wahrheitswert: Ich habe dich neulich angerufen, damit du rechtzeitig zum Zug kamst. Obligarorischer Präteritumgebrauch, Latzel, 48. Der Großvater pflegte täglich spazieren zu gehen. Katt stand am Fester. Morgen war also alles vorbei. Ich befürchtete, dass sie im nöchsten Augenblick umkippte. Ich hob einen Graben aus, damit das Wasser abloss. So, das war´s. Doppeltes Perfekt (ich habe es vergessen gehabt) : Aber um vier Uhr früh, wie sie schon längst beim Schnaps aus Rocca di Papa angelangt waren, hat der junge Regens es dem Brenner alles gebeichtet gehabt. Präsensperfekt ist in den letzten beiden Bedeutungen dann kein Ausdruck für Tempus, es wird eher zu einer Aspektform. http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/sysgram.ansicht?v_typ=v&v_id=1442 Jetzt hat er die Frage verstanden. (Bisher hat er die Frage nicht verstanden, jetzt ist das Verstehen abgeschlossen.) Das Buch habe ich morgen durchgelesen. Wird in den Beispielsätzen das Präsensperfekt durch das Präteritum ausgetauscht, verändert sich im ersten Beispiel die Bedeutung des Satzes. Der zweite Beispielsatz fällt durch seine semantische Inkongruenz auf: Jetzt verstand er die Frage. (Er hat sie bisher noch nie verstanden, künftig wird er sie immer verstehen.) *Das Buch las ich morgen durch. In diesem Fall sind die Sätze im Präsensperfekt und im Präteritum tatsächlich (nahezu) bedeutungsgleich verwendbar: Maria pflückte eine Gänseblume. Maria hat eine Gänseblume gepflückt. Der noch vorhandene geringe Bedeutungsunterschied ist erklärbar durch die Betrachtperspektive des Sprechers. Der Satz im Präteritum lässt den Sprecher den auch nur punktuellen Vorgang des Pflückens miterleben (Binnenperspektive). Er ist beobachtender Teilnehmer der sich vollziehenden Handlung Marias. Hiermit ist auch schon ein weiterer Gesichtspunkt angesprochen der bei der Unterscheidung Präteritum versus Präsensperfekt berücksichtigt werden kann. phonetische Gründe Phonetische Gründe sind verantwortlich für die Vermeidung von Präteritumformen einiger Verben in der 2. Person Singular und Plural. Die Aussprachschwierigkeiten führen dazu, dass Präsensperfektformen bevorzugt werden: rasten du rastetest vs. du hast gerastet ihr rastetet vs. ihr habt gerastet arbeiten du arbeitetest vs. du hast gearbeitet ihr arbeitetet vs. ihr habt gearbeitet Verwendungsunsicherheit besteht bei heute ungewöhnlich gewordenen Formen starker Verben, welche sich teilweise im Übergang zu schwachen Verben befinden. Die Präteritumsform wird vermieden bzw. umgangen: backen Karlo buk/backte einen Kuchen. vs. Karlo hat einen Kuchen gebacken.