Präteritum oder Perfekt? Heinrich Mann: Ein Priester ist eifersüchtig auf einen Seiler (Zeitverkürzer, 208) Sie hinderte es nicht, daß der Priester heraufkam, vielmehr, es scheint, sie hatte ihm sogar ein Zeichen aus dem Fenster gegeben. Als der Seiler sich seines Versäumnisses bewußt wurde, war schon das geschehen, was er verhüten wollte. Er hatte dies vorausgesehen und gleich ein Seil mitgebracht, mit dem er die beiden Beleidiger seiner Ehe so fest zusammenband, wie sie es in ihrer höchsten Leidenschaft nur hätten wünschen könen – worauf er fortging, um den Kommissar zu holen. /…/ Aber der Kahnführer Ribaldo Agostino, wohnhaft Via Lunga 34, rettete ihn noch. Er ward in das Hospital Santa Spirito gebracht, wo man feststellte, daß er in der Schulter eine Quetschung habe, verursacht durch einen Steinwurf und heilbar in fünf Tagen, unter Vorbehalt. *Schlußsatz: Die Filomena ist ohne Schaden davongekommen. Thomas Mann: Anekdote (Zeitverkürzer, 208) Ursprünglich Jurist und Staatsbeamter, war er mit dreißig Jahren ins Bankfach übergetreten, offenbar um dem Mädchen, das er heimzuführen wünschte, Wohlleben und reichen Hausstand bieten zu könen, denn gleich danach hatte er geheiratet. Als Mitdirektor der Hypothekenbank bezog er ein Einkommen von dreißig- oder fünfunddreißigtausend Mark, und Beckers, die übrigens kinderlos waren, nahmen lebhaften Anteil an dem gesellschaftlichen Leben der Stadt. Alte Herren umringten sie nach den Diners, um sich an ihrem holdseligen Geplauder, ihrem göttlich schalkhaften Mienenspiel zu erlaben; das Blut kehrte in die Wangen der Greise zurück, sie hingen am Leben, sie waren glücklich. Einmal hatte ein General – natürlich im Scherz, aber doch nicht ohne den vollen Ausdruck des Gefühls – im Salon vor ihr auf den Knien gelegen. Zwischen uns blieb immer eine schöne Entfernung, wozu der Umstand beitragen mochte, daß man ihrer außerhalb des Salons, des Ballsaales nur selten ansichtig wurde; ja, besann man sich recht, so fand man, daß man dies festliche Wesen kaum jemal bei nüchternem Tage /…/ erblickt hatte. Sie hatte uns alle zu Anbetern, aber weder Freund noch Freundin: und so war es recht, denn was wäre ein Ideal, mit dem man auf dem Duzfußsteht? Schlußsatz: : Später verzogen Beckers in eine andere Stadt. Egon Erwin Kisch: Anekdoten aus dem Nachtleben (Zeitverkürzer, 222) Rudolf Leschkowsky, ein junger Mann, war fast täglich Gast in der Familie eines Prager Fabrikanten, mit dessen Tochter er inoffiziell verlobt war, und auch der offiziellen Verlobung stand nichts im Wege, da der Freier anscheinend sehr verliebt und von makelfreiem Rufe war. Eines Abends hatte er der Tochter des Hauses besonders herzlich seine Liebe beteuert, und nichts war begreiflicher, als daß ihm am nächsten Nachmittag die Dame im Bureau – er hatte die Telephonnummer 1014 – anklingelte, um ein bißchen mit ihm zu plauschen und wieder zum Abendbrot einzuladen. /…/ „Ach, das ist ein Irrtum. Wir haben 1015 – Hotel Myschka.“ So ist wegen der verwechselten Nummer die Verlobung doch nicht zustande gekommen. B. Brecht: Freundschaftsdienste (Zeitverkürzer, 236) Als Beispiel für die richtige Art, Freunden einen Dienst zu erweisen, gab Herr K. folgende Geschichte zum besten. Zu einem alten Araber kamen drei junge Leute und sagten ihm: „Unser Vater ist gestorben. Er hat uns siebzehn Kamele hinterlassen und im Testament verfügt, daß der Älteste die Hälfte, der zweite ein Drittel und der Jüngste ein Neuntel der Kamele bekommen soll. Jetzt können wir uns über die Teilung nicht einigen; übernimm du die Entscheidung!“ Der Arber dachte nach und sagte: „Wie ich es sehe, habt ihr, um gut teilen zu können, ein Kamel zuwenig. Ich habe selbst nur ein einziges Kamel, aber es steht euch zur Verfügung. /…/ Herr K. nannte diesen Freundsachftsdienst richtig, weil er keine besinderen Opfer verlangte. F. C. Weißkopf: Der Kälberstrick (Zeitverkürzer, 246) Für jene Gefangenen, die wegen „Aufsässigkeit“ oder weil es der Kommandant so bestimmte, in die Arrestzellen, die sogenannten Bunker, geschafft wurden, stellte die Kanzlei des Konzentrationslagers Dachau /…/ gleich die gelben Dienstzettel aus, die an den Landjägerposten (Kopie an Staatsanwaltschaft zu München) jedesmal dann abgingen, wenn im Lager ein „Abgang durch Selbstmord“ zu verzeichnen war. Führer der Wachmannschaft zu dem Landtagsabgeordneten B.: Zeitlebens komme er ja doch nicht wieder aus dem Bunker hinaus, und es sei imer noch angenehmer, sich sozusagen gesund aufzuhängen, als mit zerbrochenen Gleidern oder abgetretenen Hoden. B… befolgte den Rat, die Schlinge zu benutzten, nicht. /…/ mit der dringenden Mahnung, den Strick nicht länger als bis zum Morgen unbenutzt zu lassen. Welcher Mahnung der Gefangene denn auch pünktlich, wiewohl auf eine ganz unvorhergesehene Weise, nachkam. Fand doch der inspizierende Truppführer, als er gegen Morgen die Zelle betrat, zwar wie erwartet den Strick an eine Stange des Fenstergitters geknüpft, doch hing er nach außen, nicht nach innen, und die Schlinge war leer. Der Gefangene war mit Hilfe des Kälberstricks geflohen. *nicht nur Vorvergangenheit, sondern auch eine „perfekte“ Abrundung? Saar, Herr Fridolin und sein Glück 525 Pf. vs. Prät. Vor allem dachte ich daran, den Förster Brodsky im Tiergarten-Revier zu besuchen. Der alte Mann , der inzwischen gestorben ist, sah es gerne und war sehr stolz darauf, wenn jemand aus dem Schlosse, der der Herrschaft näher stand, in seine Waldeinsamkeit kam. Duden, § 262: Verhältnis Präteritum – Perfekt Die gegenseitige Vertretung ist aber nicht gut oder überhaupt nicht möglich, wenn es auf die Mehrinformation des Perfekts entscheidend ankommt; wenn z. B. die im Perfekt genannte Tatsache zu einer anderen in Beziehung gesetzt wird wird: Da steht er nun, der kleine Hans, und weint, weil er vom Nikolaus nichts bekommen hat. Da das Perfekt in der Standardsprache nicht als Erzähltempus dient, darf es auch nicht reihend in längeren Texten gebraucht werden, dafür steht das Präteritum zur Verfügung. Bei einer Form wie: Ich war beim Bäcker gewesen. (Statt: Ich bin beim Bäcker gewesen.) handelt es sich um eine nicht korrekte Mischform aus oberdeutschem Perfekt und standardsprachlichem Präteritum. Sie ist besonders im Grenzgebiet zwischen Süd- und Norddeutschland zu hören. Gern werden mit dem Perfekt Erzählungen begonnen oder geschlossen; Die Sorge um das Schicksal seiner Völker hat Kaiser Karl V. in mancher Nacht des Schlafes beraubt. Er pflegte dann, in seine Pelze gehüllt, am Kamin zu sitzen Sowinski, Stilistik, 170 ff. Nachzeitigkeit: Ich wartete, bis er kam. Auch: Ich habe gewartet, bis er kam. Ich wartete, bis er eingeschlafen war. Ich werde warten, bis ich ihn gesehen habe. 177 nur gelegentlich als subjektive Feststellung des Erzählers oder als resultative Bemerkung in erzählenden Texten im Präteritum: Der Alte folgte der Leiche und die Söhne, Albert vermocht´s nicht. – Man fürchtete für Lottes Leben. Handwerker trugen ihn. Kein Geistlicher hat ihn begleitet. (Werther) Josef K: Hören Sie: Ich bin etwa vor zehn Tagen verhaftet worden, über die Tatsache der Verhaftung selbst lache ich, aber das gehört jetzt nicht hierher. Ich wurde früh im Bett überfallen, Wechsel zwischen „Erzählen“ und „Besprechen“ in der Geschichtsschreibung: Nach dem Umsturz von 1933 hat General von Blomberg sich gerühmt, das sei es nun, worauf die Reichswehr immer hinausgewollt und, in aller Verschwiegenheit, planmäßig hingearbeitet habe. Man hat es ihm damals wohl geglaubt, auch außerhalb Deutschlands. Es war aber hauptsächlichPrahlerei. Der Minister machte die Reichswehr viel böser /…/ als sie gewesen war. ( Golo Mann, 1956) 180 Soll das Momentane oder Abgeschlossene des Vorgangs bei gleichzeitiger Wahrung des Erzähltempus betont werden, so verwendet man entsprechende Zeitadverbien, die den perfektiven Aspekt vermitteln: Plötzlich zerbrach das Glas. In diesem Augenblick erkannte er die Zusammenhänge. Die Verwendung des Perfekts würde die Erzählperspektive verändern, indem sie das Geschehen stärker an die Sicht und gegenwart des konstatierenden Berichterstatters bände. Morgen war Weihnachten. Hans hatte noch keine Vorbereitungen für das Fest getroffen. (Bewußtseinssituation der handelnden Personen, erlebte Rede) Ersetzen Sie die Infinitivform in Klammer durch Präteritum oder Partizip /Perfekt/: Rudolf Leschkowsky, ein junger Mann, war fast täglich Gast in der Familie eines Prager Fabrikanten. Die Tochter des Hauses Irene war etwas ……………………..(verziehen), hätte sich nicht mit jedem Bewerber eingelassen, aber Rudolf ……………. (bewegen sich) so elegant, ……………..( kennen) so viele berühmte Menschen aus der guten Gesellschaft; er……….. (riechen) so schön nach Zigarren, sein Name …………………(klingen) so vornehm und so ………………. (halten) sie ihn auch für einen gediegenen Charakter. Tagsüber war Irene häufig ………………….(verdrießen) und erst am Abend, wenn Rudolf auftauchen sollte, ………… (weichen) von ihr aller Unmut. Wenn mich damals das Erscheinungsbild des Paares nicht ………….(trügen), waren sie inoffiziell verlobt . Eines Abends ………….. (heben) Irenes Vater sein Glas auf des Glück des jungen Paares und ……………… (empfehlen) sich mit der Bemerkung, Freunde am Kartentisch im nahen Café warteten schon. Das Paar …………(bleiben )allein im Zimmer, und Rudolf beteuerte der Tochter des Hauses besonders herzlich seine Liebe. Nichts war begreiflicher, als daß ihn am nächsten Nachmittag die Dame im Bureau – er hatte die Telephonnummer 1014 – ……………..(anrufen), um ein bißchen mit ihm zu plauschen. Wie ………….. (erschrecken) sie jedoch, als sich am Telefon eine alte Frauenstimme meldete: „Ach, das ist ein Irrtum. Wir haben 1015 – Hotel Myschka. Herr Rudolf war zwar die ganze Nacht bei uns, aber gegen neun habe ich ihn das Hotel verlassen ……………..“ . und gleich wieder ………………(aufhängen). Dieser Zufall, Irene hat sich verwählt, ………….. (verderben) ihr die Stimmung, und zwar nicht nur an dem Tag, als es ihr …………………. (gelingen), das wahre Gesicht ihres Rudolf, eines Prager Gigolos, zu enthüllen. Sie ………… (verzeihen) nie. Es dauerte mehrer Wochen, bis ihre vor Weinen …………….. (verschwellen) Augen wieder zu lachen ………………… (anfangen). So ist wegen der verwechselten Nummer die Verlobung nicht zustande gekommen. Präteritum, Perfekt oder Plusquamperfekt? Ergänzen Sie passende Verbformen in den Text; die Lücken ermöglichen immer auch zusammengesetzte Zeitformen zu verwenden, obwohl manchmal nur Präterit richtig ist: 1. Pensionsberechtigt sind die Männer, die das 65. Lebensjahr , bzw. die Frauen, die das 60. Lebensjahr ………………………….………. (vollenden). 2. Ich ……………………………. mein Portemonnaie auf dem Ladentisch ……………. (liegen lassen).Wenn da weniger ehrliche Kunden ……………… (kommen), …………………. (sein) mein Portemonnaie samt Personalausweis und Kreditkarten weg……………………… /Indikativ statt Konjunktiv II/ 3. Der Sohn ………………….. (pflegen) die Mutter zweimal wöchentlich zu besuchen……………… 4. Der Wecker ……………………..(rasseln), ………….(hören) ihn nicht …………..? Steh doch auf, sonst kommst du wieder spät in die Schule. 5. Nachdem der Verkäufer schon alle Sachen von meinem Einkaufszettel auf den Ladentisch ………………….………(bringen), ………………. (fragen) mich ………., ob ich noch etwas wünschste. Nein, das ………´ s ………………, …………………. (sagen, bezahlen, gehen) ich ………. ………….. 6. Ich …………….. mich so auf die Aufführung…………………. (/sich/ freuen); aber eine plötzliche Erkältung ……………………. mir einen Strich …………….(spielen) und ……….……..(zwingen) mich ……………, zu Hause zu bleiben. 7. Der Deich ……………………… (brechen)! Versucht euch zu retten! 8. Früher …….. hier nur die Linie 1…………. Heute gibt es mit den Linien 6 und 7 auch eine Verbindung zum hiesigen Bahnhof. 9. Alle Obstbäume, die gerade ……………(blühen) ………, ……………. (erfrieren)………………. Heuer werden Pfirsiche und Marillen sicher teurer sein als voriges Jahr. 10. Vorige Woche …………… (haben) Ulrich einen Autounfall………… Beim gefrierenden Regen …………… (kommen) sein Auto ins Rutschen ………………….und …………… (prallen) gegen einen Baum. Das Auto ……………………. (abschleppen, Passiv), aber der Fahrer ………………. (davonkommen) Gott sei dank nur mit einem Schrecken …………………