\ h Klassische Deutsche Dichtung in 22 Bänden herausgegeben von Fritz Martini, oö. Professor an der Technischen Hochschule Stuttgart und Walter Müller-Seidel, oö. Professor an der Universität München Klassische Deutsche Dichtung Band 19 Balladen mit einem Nachwort von Walter Müller-Seidel unter Mitwirkung von Benno von Wiese, oö. Professor an der Universität Bonn Erste bis dritte Auflage Herder Freiburg • Basel • Wien v - - '^"a*«? Im ÜS Die Zeit des Realismus Ein Kind der Sünde, ein Stuartkind, Es blitzt wie Beil von weiten: Den Weg, den alle geschritten sind, Ich werd ihn auch beschreiten. Das Leben geliebt und die Krone geküßt Und den Frauen das Herz gegeben, Und den letzten Kuß auf das schwarze Gerüst — Das ist ein Stuart-Leben. Erster Druck: Argo. Belletristisches Jahrbuch für 1854, hg. v. Th. Fontane u. F. Kugler, 1854. — Werke, hg. v. E. Groß, 1959ff., Bd. XX Theodor Fontane Archibald Douglas ,,Ich hab' es getragen sieben Jahr Und ich kann es nicht tragen mehr! Wo immer die Welt am schönsten war, Da war sie öd' und leer. Ich will hintreten vor sein Gesicht In dieser Knechtsgestalt, Er kann meine Bitte versagen nicht, Ich bin ja worden alt. Und trüg' er noch den alten Groll, Frisch wie am ersten Tag, So komme, was da kommen soll, Und komme, was da mag." Graf Douglas spricht's. Am Weg ein Stein Lud ihn zu harter Ruh, Er sah in Wald und Feld hinein, Die Augen fielen ihm zu. 503 Die Zeit des Realismus Er trug einen Harnisch rostig und schwer, Darüber ein Pilgerkleid. -Da horch, vom Waldrand scholl es her. Wie von Hörnern und Jagdgeleit. Und Kies und Staub aufwirbelte dicht, Her jagte Meut' und Mann, Und ehe der Graf sich aufgericht', Waren Roß und Reiter heran. König Jakob saß auf hohem Roß, Graf Douglas grüßte tief, Dem König das Blut in die Wange schoß, Der Douglas aber rief: „König Jakob, schaue mich gnädig an Und höre mich in Geduld, Was meine Brüder dir angetan, Es war nicht meine Schuld. Denk nicht an den alten Douglas-Neid, Der trotzig dich bekriegt, Denk lieber an deine Kinderzeit, Wo ich dich auf den Knien gewiegt. Denk lieber zurück an Stirling-Schloß, Wo ich Spielzeug dir geschnitzt, Dich gehoben auf deines Vaters Roß Und Pfeile dir zugespitzt. Denk lieber zurück an Linlithgow, An den See und den Vogelherd, Wo ich dich fischen und jagen froh Und schwimmen und springen gelehrt. O denk an alles, was einsten war, Und sänftige deinen Sinn, Ich hab' es gebüßet sieben Jahr, Daß ich ein Douglas bin." Die Zeit des Realismus „Ich seh' dich nicht, Graf Archibald, Ich hör' deine Stimme nicht, Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald Von alten Zeiten spricht. Mir klingt das Rauschen süß und traut, Ich lausch' ihm immer noch, Dazwischen aber klingt es laut: Er ist ein Douglas doch. Ich seh' dich nicht, ich höre dich nicht, Das ist alles, was ich kann, Ein Douglas vor meinem Angesicht War' ein verlorener Mann." König Jakob gab seinem Roß den Sporn, Bergan ging jetzt sein Ritt, Graf Douglas faßte den Zügel vorn Und hielt mit dem Könige Schritt. Der Weg war steil, und die Sonne stach, Und sein Panzerhemd war schwer, Doch ob er schier zusammenbrach, Er lief doch nebenher. „König Jakob, ich war dein Seneschall, Ich will es nicht fürder sein, Ich will nur warten dein Roß im Stall Und ihm schütten die Körner ein. Ich will ihm selber machen die Streu Und es tränken mit eigner Hand, Nur laß mich atmen wieder aufs neu Die Luft im Vaterland. Und willst du nicht, so hab' einen Mut, Und ich will es danken dir, Und zieh dein Schwert und triff mich gut Und laß mich sterben hier." 1 I Die Zeit des Realismus König Jakob sprang herab vom Pferd Hell leuchtete sein Gesicht, Aus der Scheide zog er sein breites Schwert, Aber fallen ließ er es nicht. „Nimm's hin, nimm's hin und trag es neu Und bewache mir meine Ruh', Der ist in tiefster Seele treu, Wer die Heimat liebt wie du. Zu Roß, wir reiten nach Linlithgow, Und du reitest an meiner Seit', Da wollen wir fischen und jagen froh, Als wie in alter Zeit." Entstanden 1854, vorgelesen im „Tunnel" am 3. XII. 1854. Erster Druck: Argo. Album für Kunst und Dichtung, hg. v. Fr. Eggers, Th. Hosemann, B. v. Lepel, 1857. — Werke, hg. v. E. Groß, 1959fr., Bd. XX. Theodor Fontane Gorm Grymme König Gorm herrscht über Dänemark, Er herrscht die dreißig Jahr, Sein Sinn ist fest, seine Hand ist stark, Weiß worden ist nur sein Haar, Weiß worden sind nur seine buschigen Braun, Die machten manchen stumm, Im Grimme liebt er drein zu schaun, - Gorm Grymme heißt er drum. Und die Jarls kamen zum Fest des Jul, Gorm Grymme sitzt im Saal, Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl, Thyra Danebod, sein Gemahl; Die Zeit des Realismus Sie reichen einander still die Hand Und blicken sich an zugleich, Ein Lächeln in beider Augen stand - Gorm Grymme, was macht dich so weich? Den Saal hinunter, in offner Hall', Da fliegt es wie Locken im Wind, Jung-Harald spielt mit dem Federball, Jung-Harald, ihr einziges Kind, Sein Wuchs ist schlank, blond ist sein Haar, Blau-golden ist sein Kleid, Jung-Harald ist heut fünfzehn Jahr, Und sie lieben ihn allbeid'. Sie lieben ihn beid'; eine Ahnung bang Kommt über die Königin, Gorm Grymme aber den Saal entlang Auf Jung-Harald deutet er hin, Und er hebt sich zum Sprechen - sein Mantel rot Gleitet nieder auf den Grund: „Wer je mir spräche ,Er ist tot', Der müßte sterben zur Stund'!" Und Monde gehn. Es schmolz der Schnee, Der Sommer kam zu Gast, Dreihundert Schiffe fahren in See, Jung-Harald steht am Mast, Er steht am Mast, er singt ein Lied, Bis sich's im Winde brach, Das letzte Segel, es schwand, es schied - Gorm Grymme schaut ihm nach. Und wieder Monde. Grau-Herbstestag Liegt über Sund und Meer, Drei Schiffe mit mattem Ruderschlag Rudern heimwärts drüber her; Schwarz hängen die Wimpel; auf Brömsebro-Moor Jung-Harald liegt im Blut -Wer bringt die Kunde vor Königs Ohr? Keiner hat den Mut. Ii