14 - Das Wachs ... Ganz mit Wachs gefüllt sollen die Ohren des Judas gewesen sein, sagst du? - So sagt es die Geschichte. War sie vom Vater zuende erzählt worden. - Aber warum hätten sie ihm die Ohren mit Wachs verschlossen? - Das sagt die Geschichte, die dir dein Vater erzählt hat, schon gar nicht. Nicht einmal, ob es die Könige waren, die sie ihm verschlossen. Denn vielleicht fanden sie ihn schon so. - Mit wachsverschlossenen Ohren? - So. Und wars ihnen gerade recht gekommen, daß er nicht hören konnte, wie er auch sie nicht hören konnte, als sie kamen und sich ihn für die Grube schnappten. - Wenn sie es nicht waren, die ihm die Ohren verschlossen, wer dann? - »Er selbst«, so müßte man die Geschichte ehrlicherweise weitererzählen. - Aber warum hätte er sich ... - ... Wachs in die Ohren getan? -Ja... - Um zu hören. Glaubst du nicht? - Zu hören? Was hört man denn mit verschlossenen Ohren? - Fragst du mich, oder weißt dus schon? - Ich frage dich. - Das soll der Junge beantworten, von dem ich dir erzählen muß. Der hat seinen Vater, einen Pfarrer, der Gott oft im Mund führte, gefragt, wie man Gott sehen könne. Sehen könne man IHN nicht, hat der Vater gesagt. Die IHN gesehen hätten, wie Moses und Johannes, die sahen heiligblendendes Feuer, die Sche-china, Zeichen einbrennendes oder Worte zweischneidendes Feuer, so hell, daß man IHM nicht länger ins Angesicht sehen konnte - vielmehr nahm man das Sehen von IHM, ER gabs -, so brennend, daß man wie tot vor IHM niederfiel. »Sehen wirst du IHN also nicht«, sagte der Vater. Ob man Gott hören könne, fragte der Junge, hören könne, was Gott sagt. »Wenn du betest, Sohn«, hat der Vater geantwortet, »dann wirst du IHN hören.« Als aber der Sohn abends betete, hörte er nichts als den Wüstenwind, der durch die 114 "5 Straßen wehte, spielend Spuren verwischte pder leere. icecream Kartons befreite, deren plattgefahrene Pappflügel unterm Rad eines Wagens eingeklemmt lagen. Und wenn der Wind, das Schlittern und Scharren seiner Windgetragenen, flaute: das Tschirpen der Zikaden. Er versuchte, genauer zu hören, hörte an manchen Abenden den Pickup Wagen Nat McCluskys vom Drive-In aus dem Wind sich nähern, am Haus vorbeifahren und, hinter ihm her, denselben Wind: geduldig Reifenspuren tilgen. Dann Scharren, Schlittern ab und zu, ein Rütteln an der Fliegentür, und in der Flaute: das Tschirpen der Zikaden. Manchmal, wenn er früher zu Bett gehen mußte, war windgebauscht das Lachen der Honeymooners auf Martha Venezias 7er Kanal aus dem Nachbarhaus noch zu hören, oder Teddy Noonans verkratzte Schallplatte, die immer beim letzten »Can't buy me -« hängenblieb. Bis auch solche vom angestrengten Hören gefundenen Spuren allmählich im Tschirpen der Zikaden, Rütteln an der Fliegentür, in Wind oder Schlaf untergegangen waren. Nur die Stimme Gottes, die er mit seinem Gebet hatte beschwören wollen, war nie zu hören, schien unerlauschbar. Und wenn sie, wie sein Vater behauptete, im Wind ging, diese Stimme Gottes, dann war ihr Reden unentschlüsselbar, nicht aufzuschlüsseln ihr Rütteln und Zertreten aller Spur. Dann hatte er bereits gehört und hätte nicht die Stimme, vielmehr den Schlüssel hinter dieser Stimme beschwören sollen, um mit Verstand dann einzubrechen in ihr Scharren und das Verscharrte Gottes. »Du mußt dich stille machen«, sagte ihm der Vater. »Wenn du IHN nicht f i hörst, ist es, weil du dich von anderen Dingen ablen-1 ken läßt. Schalte alles aus und mach dich still, auch deine Gedanken, mach sie still. Dann wirst du IHN hören und verstehn.« i i - Du erzählst von mir. Das alles war in meiner Kindheit. Woher weißt du auch davon ? - Ich habe ein Talent: ich kann mich an alles erinnern, : und schaff auch alles aus dem Erinnern. Nur eines be- \ darf ich, der hören soll. Denn zum Lebendigmachen j brauch ich einen wie dich; und zum Innern des Erin- j nerns brauch ich einen Ort wie dich. Erinnerst du • dich, was du getan hast, als dein Vater zu dir gespro- I chen hatte? Du warst dreizehn damals, in jener Nacht, t so alt wie der Jesus der Grube. 1 f 1 "7 J5 - Eines Nachts, im Sommer, als der Vater schon schlief, ging ich hinaus. Gibsom Street, durch die der Wind rauh blies, hab ich überquert, die Tür zur Kirche aufgemacht. Die Hintertür zur Sakristei, die er nie abschloß. Da lag sein Kalender auf dem Stehpult, aufgeschlagen, daneben ein kleiner Stapel Tücher und eine große Streichholzschachtel, mit der er die Kerzen im Innern der Kirche anzuzünden pflegte. Hier strich ich eins der Hölzer an der rauhen Außenseite und sah es flammen. Im Licht, das die Kalenderseite traf, sah ich auch noch den Tag, der morgen käme, so dacht ich, der aber schon gekommen war, so stellte sich später heraus. Das Buch lag nämlich auf den Tag des Täufers aufgeschlagen, »Johannes« unterstrichen, weil er für diesen Tag tatsächlich eine Taufe vorsah, das Neugeborene vielleicht Johannes hieß. Dann stieg ich durch die Tür ins Innere der kleinen Kirche selbst. Doch der brennende Span, obwohl ich mich reckte, mochte nicht bis zur Spitze der großen Altarkerze reichen, die ich entzünden wollte. So kletterte ich hinauf und kniete still und hielt die Flamme an den Docht. Die Kerze brannte hell, und ich wartete gar nicht lange, da war das Wachs rund um den Docht schon flüssigweich geworden. Mit dem gelöschten Streichholz strich ich davon in meine Hände, wo es abkühlte, rasch, und ich es mit den Fingern formte, wie Lehm, rundend den gewordenen Ball wieder wärmte, dann 118 von neuem herabstrich auf ihn, bis ich glaubte, genug davon zu haben, und mir die knetbar-warme, kleine Weltenkugel brach, sie auf die linke und rechte Ohrmuschel streichend verteilte. Ich konnte nicht mehr von außen, nur noch den eigenen Atem hören, darunter aber: ein Raunen, das kaum merklich zu beben schien. Gott wollt ich hören, jedem äußeren Geräusch entkommen. Jetzt sah ich aber, daß auch alles Sehen Lärm schaffte, das Sehen selbst der Kerze: den Stichton des sie entzündenden Holzes mich erinnern machte; die Leere dieser dunklen Kirche Erinnerung an Schritt und Stimmen der Kirchgänger, an deren Gesänge brachte; die aufgeschlagene große Bibel mich an im raschen Winde frei hin- und hergeschlagne Seiten erinnerte und somit lärmte und in der Stille den Ton des Lärms, so scharf gezeichnet wie er selbst, in mir erregte. Ich blickte auf zum Kreuz, dem großen Kruzifix, an dem in Holz geschnitten der Körper Jesu hing. Wo das gemalte Blut zu sehen war, zu sehen war, wies über die aufgenagelten Füße hintroff, da bildete ich mir ein: die Tropfen Bluts nicht nur zu sehen: sondern sie auch auftreffen und im Altartuch versiegen zu hören. Ich schloß die Augen, schloß die Bilder, von denen alles Sehen kam, aus mir. Da war es stiller. Mit geschlossenen Augen stand ich auf, um Ihm ganz nah zu sein. Da lärmten die Gedanken. Und die Erinnerung schuf sich die Welt hinter der Welt, die sonst das Sehen und das Hören gab, und sah und hörte unabhängig, lärmte los. Ich hielt den Atem an, wie um dem Lärmen der Erinnerung die Zufuhr abzuschneiden - da strich, da, schien mir, hauchte, leckte, heiß- 119 fahrend rasch, Seine Hand: an meine Hand. Vorbei. Das Sich-Berühren zweier Hände. Wie ausgelöscht: mit einem Schlag ... bin ich, kaum daß ich atme. Jetzt müßte sich die Stille füllen: mit Seiner Stimme. Das hab ich nicht gedacht, gerade weil ich durch den Schrecken gar nicht zum Denken fähig war. Atemnah-heiß, leckend mit der Zunge des Tiers, hat Er gesengt, hätte mich beinah gepackt. Und wieder! Jetzt! spürt ichs: daß sich Sein Angesicht zu meinem nieder, näherbeugen wollte, daß es ganz heiß vor meinem Paar geschlossner Augen wurde. Unter der Hitz Seines Antlitzes war auch ein Hissen, ein Kratzen und Schlängeln zu hören, ein Beißen und Zischen, das sich von außen durchs Wachs in meine Ohren schmolz, als wollt Er zu mir flüstern. Da fuhr Seine Hand nochmals an mich, brennend heiß, daß ich vor Furcht erstarrte: im Feuer Seiner Worte, die jetzt kämen, ganz ausgelöscht zu werden. Die Augen aufschlug und Ihn brennend sah! Ich stürzte vom Altar. Das Kruzifix über mir, die Wandtäfelung hinterm Altar standen in Flammen. Vor dem brennenden Türpfosten zur Sakristei lag vergossen die große Kerze, die ich beim Aufstehen, ohne zu hören, vom Altar gestoßen haben mußte. Ich rannte zwischen den Kirchbankreihen hinab zum Haupteingang. Verschlossen. Als ich mich wandte, zurückzugehen, es bei der Tür zur Sakristei doch zu versuchen, sah ich den Leichnam in Flammen vom Kreuz brechen, auf dem Altar darunter zerschellen und, so zerstückt, das Feuer in die Kirchenmitte wer- 120 ■VT -f^" "WT "W **" TT rT~ fen. Mir war der Weg verstellt. Auch so: als wolle ihn hier wer verstellen. Will Er sich rächen, dacht ich: jetzt, an mir? Weil ich Ihn, den Verscharrten, in Seine Stimme zwingen wollte - in meine: daß auch ich verstünde? Oder spricht Er hier hell und klar in dem erzwungenen Glanz, und ich versteh nur wieder nicht? Was spricht Dessen Flamme, die das Bild von Ihm auslöscht? Ich wurde von einem Feuer, das Seine split-ternd-reißende Hand gelegt hatte, in die Enge gedrängt, zur Wand. Hochklettern könnt ich hier nicht, und das einzige Fenster lag zu weit oben, um es ohne Seil oder Leiter erreichen zu können. Was spricht Dessen Flamme, die herab in die Kirchgrube bricht, über den Raum herfällt, der Ihm gerichtet wurde? Die auf die ersten Bänke schlägt, wo ich mit anderen vor Ihm gekniet, dem Feuerstifter, der hier - so kams mir in der Angst - im Hinterhalt gehangen und nur auf diese eine Nacht gewartet hatte, um mein Vertrauen, das sich Ihm kindlich-hinterlistig in Sein Geheimnis schleichen, es mit Ihm teilen wollte, zu bestrafen. Die Tür zur Sakristei war schon ein Teil der Flammenwand, die sich hier großgeredet hatte. Ich wollte drüber-schreien, nach Hilfe rufen, mich verraten, um hier noch zu entkommen. Und rief nach meinem Vater, meiner Mutter, die, wie ich später einsah, doch nichts hören konnten, so laut war schon der Wind geworden, der um die Kirche ging. Da sah ich, daß an der vom Feuer angefallenen Tür zur Sakristei ein Ruck geschah, nach innen, als sei jetzt jemand eingetreten und wolle öffnen, und rüttelte und zog, bis sie nach innen wich, die Tür - und sich ihm öffnete. Es war nur 121 Wind, der frei von draußen kam, sich durch den Späh der äußeren Tür, die ich nur angelehnt: hindurchgespielt, hindurchgesogen hatte. Sein Blasen bog, nur ab und zu, die Flammenzungen aus der Mitte der aufgestoßenen Tür und so weit gegen die Wand hin, daß ich glaubte, durch die feurig-zitternde, mandelförmig-gezahnte Bresche noch springen zu können. Ich ging auf sie zu, bis dorthin, wo die Hitze mich tasten machte, mir die Augen wieder schloß und ich vor Schmerz aufschrie, als ich das Feuer sich von unten um meine Füße legen fühlte. Ich fiel zurück und sah, daß es das Feuer im abgespaltenen Haupte des Gekreuzigten war, das hier den Weg versperrte, um meine Füße fassen wollte, als sprach es eine Bitte. Ich sah den Kopf: die aufgemalte Färb und Firnis von sich ziehen, die Augen bis nach innen brennen, die Maserung der Gedanken, die Dornenkronenwunden überbrannt: sich auslöschen, vom Wind gefacht-befohlen. Jetzt wollt ich mit Ihm sterben, der Mund, auf dem jetzt Flammen standen, der schien mich so zu bitten: nur nicht allein zu sein, »Bleib hier, bleib bei mir«, mehr noch, mir Sein Geheimnis zu verraten: die Menschenschmerzen und die Menschenangst, mit der Er vor mir brannte und die Er all die Jahre lang verschwiegen hatte, und die Er teilen wollte. Da stob der Wind bis zur Unkenntlichkeit ins holzgeschnittne Haupt, das eben noch gesprochen hatte. Ich wurde wach an diesem Nichtmehrsehen, Nichtmehrerkennenkönnen, sprang auf und übers Haupt hinweg, durch jene Bresche. Entkam so durch den Hinterausgang, stand wieder in der Nacht, im Wind, der schon am Löschen auch meiner Spuren war. Mein Kopf dröhnte. Ich zog und krallte mir das Wachs aus den Ohren: hörte das Prasseln jetzt aufblasen hinter mir. Die Flammen fraßen schon am First. Ich eilte über die Straße zurück zum Haus und sah doch noch, bevor ich unters Dach der Veranda trat, nach oben, wo hinterm Fenster unseres Zimmers, das diesen Brand schon spiegelte, die stand, die alles hier gesehen haben mußte: die Schwester. 122 I23 20 - Wenn du begegnend mich verstehst. Von mir bist, was ich bin. Das Deine siehst durch mich. Und über mich den Weg nach unten findest. - In jene Grube? - Und einig wirst. - Mit wem? - Mit mir, Begleiterin. - Und was befiehlst du? - Wie Er befehl ich. Wie Ihm befohlen war. - Bist du wie Er? - Du sagst es. - Dann sags mir doch. - Du, brich mein Brot und iß. So sag ich dir. - Dein Brot? - Das ist mein Leib. 158 ; _ - Und wenn ich esse? 1 - Erkennen wirst du mich, verstehen. 1 - Was ist das? - Auferstehen.. 1' - Und die ich auferwecken sollte, nach dir, und lan vor dir getötet hab? i - Wird auferstehen. I - Der Mörder ... - Der Erlöser sein. I - Verloren, sagst du, wie am Kreuz? - Geborgen. - Und du? - In dir. - Verborgen? - Offen, ganz offen, dir erkannt. - Und ich? Sag mir: wer werd ich sein? I I 159 - Du sagst es. 21 - Was denn? - Komm her, zerbrich! Da kam er vorwärts auf sie zu. In Wiederholung, sieben Mal. Und als er sie gebrochen hatte, siebenmalig, fiel hin und hielt ihr Herz. Erhob es, trank aus ihm und aß. Da spliß das Zeltdach, fiel der Regen, der im Stoffkelch drüber sich gedrängt, und wusch ihn, der im Blut da auf der Erde lag. Und doch im letzten, es war schon alles getan, alles still, wie »still« in jener Kindesstille, die er sich, Gott zu hören, immer bauen wollte, da fuhrs ihn an und eine Stimme sprach: »Wahnsinniger! Was hast du getan? Wo ist deine Schwester?« Da war der verlassen, der sich bergen wollte, und schrie und fand sie nicht. Und niemand kam. Und wußte nicht, wie Judas aus der Grube steigend, was ihm geschehen war, und rannte aus dem Zelt. Und kam dieselbe Nacht nach Blade, die Stadt seiner Geburt. Am folgenden Tag, dem 22. Dezember, wurde Shines aus der Zelle in Blade entlassen. Der Deputy hatte seine schwarzrote Plaidjacke in einer Zeltruine am Nordende des Panamint Valley gefunden: sonst nichts. Auch keine Spuren von Gewalt. Aus Shinbone wurde bestätigt, daß Shines, tags zuvor, während einer Beerdigung auf dem Friedhof aufgetaucht war und den Sarg beschädigt hatte. Es sei allerdings seitens der Hinterbliebenen keine Anzeige erstattet worden. Eine »Hallie Doniphan« habe sich gewiß nicht unter den Trauernden befunden, auch lebe niemand dieses Namens in Shinbone. Man empfahl Blade zu tun, was Shinbone getan hatte: sich Arger zu ersparen, den Verrückten vor die Stadt zu setzen und ihn zu warnen, je wiederzukommen. So geschah es. Man gab Shines seine Jacke zurück und entließ ihn. Der Sergeant sah ihn die Main Street hinab zur Furt zurückgehen. Aber Shines bog, kurz vor der Furt, Ecke Gibsom Street ab, schritt rasch an Sam's Hardware, einer Eisenwarenhandlung, wo früher die Kirche seines Vaters gestanden hatte, vorbei und betrat den alten Friedhof dahinter. Er besuchte die Gräber seiner Eltern und das Grab Sharons, seiner Schwester. 161 Als er eine Zeitlang vor Sharons Grab gesessen hatte, hörte er Menschen, die, wenige Reihen entfernt, einen Sarg zu Grabe trugen. Shines blickte, was ihm vorher nie möglich gewesen wäre, ruhig auf die Trauernden, ohne sich berufen zu fühlen, hinzugehen, aus der Gruppe der Menschen an den Sarg vorzutreten, den Toten zu wecken. Er blieb bei Sharons Grab sitzen. Als das Trauergefolge den Friedhof verlassen hatte und es still geworden war, ging auch Johnny Shines. Er verließ Blade und wurde dort nie mehr gesehen. Die Legende um Johnny, mit dem ich mein Gespräch in jener Nacht abgebrochen hatte, als es der Wahrheit nahegekommen war, er mir alles gestanden, alles verstanden und Tag gemacht hatte, entstand aber erst später, sieben Jahre nach seiner Ankunft in Blade, am Tag der Jahrtausendwende. Zu einer Zeit also, da viele, in Erwartung des Weltendes, aus den großen kalifornischen Städten in die Mojave gezogen waren, um dort in Zelten zu warten, manche: erhoben zu werden, diese Welt zu verlassen, andere: der Zerstörung zu entkommen, deren noch ausstehenden Höhepunkt sie in einer Serie von Erdbeben, die über Teile Kaliforniens hingezogen waren, angekündigt sehen wollten. Eines davon betraf auch Blade. Dort war, fünf Tage vor Jahresende, die Erde querhin durch eine Grabreihe des Friedhofs aufgerissen und eine mannstiefe Kluft entstanden, so daß die hier begrabenen Särge zu sehen waren. Manche hatte die Wucht des Bebens wie Halme zerrissen, andere obenhin mitgezerrt, so daß sie quer übereinandergeschichtet oder, wie große Schriftzeichen, im Winkel aneinander lagen. Tags darauf entschied man, daß Särge und Überreste, sobald die Aufräumarbeiten in der Stadt erledigt wären, aus dem Graben gehoben, identifiziert und an anderer Stelle wieder beigesetzt werden sollten. Mit dieser Arbeit wurde am Morgen vor der Neujahrsnacht noch begonnen. Auf dem Grund des Grabens, aus dem schon einige Särge, auch zertrümmerte, gehoben worden waren, hörte man plötzlich Rufe der Arbeiter. Der Friedhofsverwalter wurde herbeigeholt, später auch die Polizei. Denn einer der Särge - einer der wenigen, die der Erdriß weder beschädigt noch in zwei gebrochen hatte - war leer. Außer dem Totenkleid befand sich nichts darin, was hätte schließen lassen, daß er je benutzt worden war. Allerdings: ein Bündel fand man, am Fußende des Sargs. Eine größere Summe Geldnoten und altes Silberbesteck, darunter ein kleiner Löffel, in den ein Name und Geburtsdatum graviert waren: »Sharon - Dec. 22, 1956«. Einige in Blade vermuteten, jemand habe die Überreste der Toten, nachdem das Erdbeben den Sarg offengelegt hatte, entwendet. Andere: die Leiche des Mädchens sei weder geraubt noch je ausgegraben worden. Dafür spräche das Geld. Denn welcher Räuber, so hieß es, hätte das Wertvollste liegengelassen? Manche sprachen von einem Wunder. Die schrieben es meinem Bruder zu. 162