4.ElisabethKlar:WieimWald.. 1 Und dann beginnt sie damit: Die Küche ist voller Blumen. Sie sagt es: »Die Küche ist voller Blumen.« Ich sage: »Ja? Möchtest du Blumen in der Küche?« Aber sie sagt nur weiter: »Die Küche ist voller Blumen.« Dann lacht sie. Dann sagt sie es wieder. Dann lacht sie lange. Sie beugt sich weit zurück und lacht und kriegt kaum Luft dabei, ihr Mund ist weit aufgerissen und verkrampft. Ichlache mit. Ist es wie damals, frage ich mich, als wir Lachkrämpfe bekommen haben, bis wir uns am Boden gewälzt haben, und niemand verstanden hat, was wir so lustig fanden? Wir warenaberdreizehndamals. »DieKücheistvollerBlumen«, sagt sie undlacht auchjetzt noch und sinkt aufden Boden, weil sie keine Luft mehr kriegt, und sie schnappt fast nur noch, und ich weiß nicht, ob das überhaupt noch Lachen ist. Ihr Mundist aufgerissen, ich sage: »Beruhig dich doch«, aber sie lacht weiter und schnappt nach Luft. »Voller Blumen«, lacht sie, »voller Blumen.« Während Lisa die Karten mischt, denke ich über das Schlafwandeln nach. Wir sitzen in meinem Arbeitszimmer, und Lisa hat unbedingt mit den Karten spielen wollen, aber sie gibt sie nicht ausder Hand, sie mischt sie immer und immer wieder. Es gibt doch solcheGeschichten über Schlafwandler, denke ich. Ich kenneeinevoneinem Bekanntenvon mir. Wieer nochein Kind war, hat er mir erzählt, ist er einmal mitten in der Nacht aufgestanden. Er hat geträumt, ganz dringend aufs Klo zu müssen, und ist aufgestanden, in die Küche gegangen, hat die Küchenschubladegeöffnet und hineingemacht Lisa legt den Stapel auf den Boden. Sie nimmt die oberste Karteunddecktsieauf. Ichglaube,esisteineKarteausSchwarzer Peter, aber macht das einen Unterschied für sie? Ist sie vielleicht schon früherSchlafwandlerin gewesen? Ichbin mir nicht sicher. AberdaistdieseErinnerung, dassichinderNachtaufwacheund Lisas Bettistleer undLisa ist nicht imZimmer. Da istzumindest diese Erinnerung. Aber dass sie im Schlaf immer ausgerechnet aufAlexanders Sachen pinkeln muss. 53 Lisa lacht. Sie hat aufdem Boden eine ganze Reihe aufgelegt. »Was bedeutet das?«, frage ich. »Nichts«, lacht sie. »Gar nichts.« Wer weiß schon, warum sie was macht. Und ja, genau hier sindsieamSchreibtischgesessenbisspät indieNacht, undmein Vater hat mit Lisa geübt und ihr alleserklärt, mehrmals, weil sie solangsamerstverstanden hat. Das fällt mirplötzlichein, alsich dort aufdemTeppichsitze, ichsehe meinen Schreibtisch an und denkedaran, wiemeinVaterdortalleinegesessenist,vorderZeit mit Lisa, lange ist er dort gesessen, und was hat er da gearbeitet, allein die ganzeNacht, ichweißes nicht. Ichweißes nicht. Hinaus, hinein, hinein, hinaus. Ich habe es der Leerstelle längst erklärt. SieheißtAlexander, istgroßundsteht schiefvormir,weil ichaufdemBoden sitze. Soviel RaumnimmtAlexandereinund findet doch ineinemSeitenfenster Platz. »Willst du mir das Kartenspiel zeigen, Lisa?« Alexander wartet, bis ich nicke, erst dann setzt er sich hin. Er setzt sich in einen Schneidersitz, stemmt die Ellbogen auf seine Knie, lässt seine Hände in der Mitte hängen, als hätte er keine Angst vor mir. »Willst du mir die Regeln erklären, Lisa?« DieRegelnsindeinfach. WirmischendieKarten, wirmischen sie lange. So werden die Ränder der Karten weich unter den Fingern, mit jedem Mischen ein wenig mehr. Dann heben wir ab. Zuerst diese Karte, die bedeutet, ich gehe hinaus. Dann die nächsteKarte, dieistgutfürdich,schau,diebedeutet,dukommst herein. »Die ist gut für mich?« Er hält die Karteinder Hand, siehtsie an, als könnte er aufsie tatsächlich all seineHoffnung setzen. »Hast du dieses Kartenspiel erfunden?«, fragt er. Ich nicke. »Ich habe noch nie ein Kartenspiel erfunden«, sagt er. »Ich wollte mal ein Rollenspiel erfinden.« Alexander weiß schon, welche Rolle ich hier habe. Er weiß schon, wie er mit mir zu reden hat. Hat Karin sie ihmerklären müssen? Schau, Alexander, das ist Lisa, die Handpuppe, hat sie 54 Mfcr-1 gesagt. Die Lisa-Puppe ist schon etwas beschädigt, du musst auf besondere Weise mit ihr umgehen. Am besten, nur ich stecke meine Hand insie. »Weißtdu, was ein Rollenspiel ist?«, fragt er. Ichnicke. Vater-Mutter-KindkannmanmitLisaspielen. Man steckt dieHand insie undbewegt ihreArme undmanspricht für sie, das geht ganz leicht Nur ein bisschen die Stimme verstellen muss man. »Wirklich?«, fragt er. »Nicht viele Leute wissen das.« Ichweißesganz genau. »Das Spiel istgleichvorbei. Das da ist die nächste Karte.« Die bedeutet, ichkomme herein. »Ach so?«, fragt er. »Aber das ist doch eine Uno-Karte, oder? Meine Herein-Karte war eineTierquartett-Karte.« Er nimmt beide Karten indie Hand und sieht sie an. Versucht er. ein Muster zu erkennen? »Und dieda, das ist dieletzte, die bedeutet, du gehst hinaus.« »Achso? Das ist schonwiedereine Uno-Karte.« »Das heißt, ich habegewonnen.« »Ach so?«, sagt Alexander noch einmal. »Und das war es schon? Nur vier Züge? Kannst du mir die Regeln noch einmal erklären?« »Ichhabe gewonnen. Dugehst hinaus«, sage ich. Er versteht nicht sofort. Er sieht immer noch die Karten an und sucht das Muster immer noch inden Karten. »Dugehst hinaus.« Er blickt auf. »Achso«, sagt er dann, zögert, faltetdannerst seineBeineauseinander undstehtauf. An derTürdreht er sichnocheinmal um. »Ichwolltedich nicht stören, weißt du?« Karin hat ihmbereits gesagt, welche Rolle ich hier spiele. Für ein Kind binich zwar einbisschen groß, aber wir haben uns das mit Tannenzapfen schließlich auch vorstellen können, warum also nicht mit mir. Niemand muss mir über ihn Bescheid sagen. Siehatihnhergeholtundschiebtihnvorsich,steckt ihreHandin ihn und sagt, Lisa, du bist das Kind, ichbin die Mutter, Alexander ist der Vater, und dabei kann man schnell die Hand aus ihm herausziehen, ihn zurücklegen, zurückaufden Haufen. 55 Wenn du die Puppen vermisst, dann brauchst du es nur zu sagen. Wir haben die ja alle schon, als du noch da warst, in Kisten gepackt und in den Keller geräumt, aber dort sind sie noch, alle. Ich frage mich, ob das Kasperltheater auch noch dort unten ist. Kannst du dich erinnern, August hat uns manchmal etwas vorgespielt, als wir noch klein waren. Er hat den alten König mit einer tiefen Stimme sprechen lassen und die Prinzessin mit einerganzhohen, undder Drache Dagobert hat gelispelt. Ich bin mit Lisa in der Küche, als Lisa sich plötzlich wieder anmacht. Ich stehe am Küchentisch und sehe aus dem Fenster und beschmiere Brote und rede, nachher weiß ich gar nicht mehr, worüber. Lisa sagt ja kaum einmal etwas, so wenig redet sie, und so fange ich selbst an, zu reden, ganz ohne es zu merken, rede über unsere Höhle im Wald, über unseren Bach, über den Schuppen, in den wir einmal eingebrochen sind, über die Handpuppen. Ich drehe mich um, weil ich etwas höre, und da rinnt es schon wieder den Sessel hinunter zu Boden. Lisa sitzt dort amTisch undsieht mir direkt insGesicht, die Händeliegen flach auf der Tischplatte und es rinnt und unter ihr bildet sich eine Lacke. Einen Moment langbleibe ich einfach so stehen. Ichverstehe nicht,wie Lisadas machenkann, unddasssiejetztwieder damit beginnt, undwie Julianjemals glauben konnte, dass Lisa alleine leben kann, wenn sie nicht einmal ... Er hat mir doch gesagt, dass Lisa eigentlich allein leben könnte, und dann kommt sie zu mir, und spricht nichts, und läuft imSchlafherumund kann nicht alleinbaden und macht sichan. Und gleichzeitigistda - esistetwasinderArt undWeise,wie Lisa mich ansieht, das mich an den Wald erinnert Ja, es ist so wie imWald. Als wir gerauft haben, und ich sie niedergestemmt habe, und sie mich genau soangesehenhat. Und. »Wir haben uns ja schon wieder angemacht«, stelle ich endlich fest. Lisa antwortetnicht Ichzögerekurz, danngeheichzuihrhin und ziehe sie hoch. Ich hole einen Fetzen und wascheden Stuhl ab. Ichführe Lisa ins Bad. 56 »Komm, ziehen wir dich aus«, sage ich. »Wir müssen dich waschen. Immer müssen wir dichwaschengehen.« Und wie das alles zusammenpasst, das weißich nicht. Als siedamalszuUnsgekommen ist,dasindLisaauchsolcheSachenpassiert. Das hat man zuerst gar nicht bemerkt, erst anden dunklen Flecken aufder Hose oder wenn es angefangen hat, zu stinken. Mama hat Lisadann ins Bad begleitet und Papahat uns erklärt, dass das ganz normal sei, weil sich früher niemand um Lisa gekümmert habe, und das sei eben ihre Art, das zu bewältigen, und ich habe überhaupt nichtverstanden, was das heißen, soll, bewältigen, ehrlich gesagt Papa hat aber gesagt, dass man jedenfallsganzgeduldigmit ihrseinmüsse. Dashaterauseinem Bilderbuch gewusst, daser auchuns gezeigt hat. Das Anmachen hat dann aber aufgehört, und warum esjetzt wieder da ist, verstehe ich auch nicht, nachdem ich Lisa gewaschen und ihr frischeUnterwäscheundfrische Hosenangezogenhabe, undmich daranerinnere, wieichnochganzkleinwarundIngemirebenso frische Unterwäscheundfrische Hosenangezogen hat,wenn ich mich angemacht hatte, genau so. Und geschämt habe ich mich deswegenschondamals, ichhabschondamalsgewusst, dasssich das nicht gehört. Dass Lisa sich denn gar nicht schämt? Lisa aber sieht bloß zur Seite, während ich ihr die Jeans zuknöpfe, und dann löst sie sich von mir und läuft aus dem Bad. Man muss geduldig mit ihr sein, es ist nicht leicht mit ihr. Sie hatte, das weiß ich noch, seit sie bei uns angekommen war, Schwierigkeiten in der Schule, meine Eltern haben darüber abends in der Küche gesprochen, sie dachten, wir wären schon im Bett. Lisa und ich sind aber auf der anderen Seite der geschlossenen Tür gestanden, unsere Hände ineinandergeklammert, und habenzugehört. »Nein, es ist nicht ganz leicht«, sagte Papa. »Es ist nicht leicht mit ihr.« 2. 57