DIE GESELLSCHAFTLICHE ORDNUNG DER ALAMANNEN l95 Grab 3 von Niederstotzingen: ln der Mitte ein 50 bis 60 Jahre alter Mann, zu beiden Seiten je ein Krieger vo n lO bis 30 Jahren. Alle drei waren schwer mit Spatha, Sax und Schild bewaffnet. HEIKO STEUER Kriegertum1 und bäuerliches Wirtschaften prägten das Leben der Alamannen. Waffen zu tragen war das Grundrecht der freien Männer, die das Schwert oder den Sax im Auftrage des Königs oder Herzogs führten, es aber auch bei Fehde und Blutrache einsetzten. Die Waffen, die der Mehrzahl der Männer ins Grab gelegt wurden, spiegeln die kriegerische Seite des Lebens, während der Alltag mit Landwirtschaft und Handwerk nur äußerst selten durch Beigaben wie Werkzeug oder Ackergerät berücksichtigt wird. Die Frauen wurden mit ihrer Tracht und den zugehörenden Schmuckgarnituren beerdigt, selten kamen auch Attribute weiblicher Tätigkeiten wie Webschwerter, Webstühle oder Spinnwirtel mit ins Grab. Dagegen wurden Männern wie Frauen vielfach Ess- und Trinkgeschirr, Gläser und Bronzegefäße, Zubehör zum festlichen Gelage in das Grab gestellt. I, ,' .t' ' \ j l ,' ! I .: ~ ,' ' ,, , I ,· llt l i'j ! ' ' ' Stände und Ränge Die schriftliche Überlieferung beleuchtet andere Aspekte der gesellschaftlichen Ordnung,2 denn die Rechtsaufzeichnungen, der Pactus Alamannorum aus der Zeit des Merowingerkönigs Chlothar li. (584-629) oder die Lex Alamannorum des Herzogs Lantfrid (709-730), haben ihre besondere Zielsetzung: die Herrschaft über die Alamannia zu sichern und eine Ordnung, nicht zuletzt im Fehdewesen, zu erzwingen. Die Gesetze sprechen von Mord- und Totschlag, auch von Krieg und Raub. Dabei erfahren wir, allerdings erst für das frühe 7. und das 8. Jh., dass die Gesellschaft dem Range nach gestaffelt war: Es gabAbhängige,Hörige und Sklaven (servi), Halbfreie oder Freigelassene (liten oder laten) und Freie (liberi oder ingenui) . Die Gruppe der Freien war wiederum nach dem Range gestaffelt: Es gab den schlichten freien Ala- 275 276 Königsnähe Standesbezeichnungen medianus I I baro L____A_Ia_m_. __~ L _____ n_li_no_f_lid_is____~ Bestttab- stufungen Qualit.its- gruppcn r Reichtum ,---, I D I I König Königshof Amtsträger Frau(en) Krieger- gefolge ~ mir .c 'Y.""' spektrurn auch der Heilige zwischen gehört.22 Adelsqualität und europaweite schreiben weiterhin die Bildbleche auf lerae einiger Pferdezaumzeuge, die den Mittelmeerraum weisen, andererseits höfe der Alamannia mit England und schweden verbinden. In einem Frauengr frühen 7. Jh. von Pliezhausen wurde blechscheibe gefunden, eine nachträglich Scheibenfibel umgearbeitete Phalera von einem Pferdezaumzeug (vgl. Abb. 500).23 Das Pressblech zeigt einen siegreichen Reiter, der vom überwundenen Gegner noch zu Fall gebracht wird, indem er das Pferd mit dem Schwert ersticht - ein heidnisches Motiv. Zu den aus dem Mittelmeeraurn angeregten oder importierten Phalerae gehören auch zwei Zierscheiben aus dem Reitergrab von Hüfingen24 (vgl. Abb. 211) im Schwarzwald-Baar-Kreis aus dem frühen 7. Jh. Eine Zierscheibe zeigt Maria mit dem Christuskind, die andere einen Reiterheiligen, der eine Schlange tötet, ebenfalls christliches Symbolgut, wie der Reiterheilige auf der jüngst entdeckten Phalera von Nendingen25 (vgl. Abb. 470) bei Tuttlingen aus der Mitte des 7. Jh. In einem reichen grab von Esch derhone, bei Kassel im fränkischen Gebiet gelegen, wurde ein Zaumzeug mit drei Phalerae gefunden, das aus einer alamannischen Werkstatt stammt. Die mittlere Zierscheibe zeigt eine thronende »Göttin« vielleicht Maria - zwischen zwei Löwen, die beiden seitlichen bilden 303 Scheibenfibeln aus Grab 278 von Fridingen. Die vornehme Frau wurde um 700 bestattet. Ihr Grab, obwohl von einem mächtigen Hügel bedeckt, wurde beraubt. Teile der Schmuckausstattung blieben zurück, darunter diese prächtigen Goldscheibenfibeln. Die eine ist stern· förmig gestaltet, während die andere aus schon vorhande· nen Schmuckteilen zusam mengesetzt zu sein scheint. 304 Goldene Bommelohrringe, hier ein Fund aus Ciroßgartach bei Heilbronn, sind charakteristisch für reiche Frauengräber der Spätzeit. 305 Der silberne Sporn mit Perldrahtnieten aus der Zeit um 700 wurde in Göppingen gefunden. ln dieser späten Epoche scheint Silber einen hohen Rang zu bedeuten. 306 Dürbheim Grab 7: Beschläge eines vielteiligen Gürtels mit Wabenzellentauschierung und Almandinen und Sporn mit Silbertauschie- rung. 305 304 einen Menschen zwischen zwei Bären ab, vielleicht »Daniel in der Löwengrube«. Das Motiv des siegreichen Helden auf der Reiterscheibe von Pliezhausen, der imAugenblick des Triumphes fällt und nach Walhall einzieht, erscheint in ähnlicher Ausführung auf rechteckigen Schmuckblechen des Helmes im Fürstengrab von SuttonHoo in England sowie auf Helmen in den Gräbern Valsgärde 7 und 8 in Mittelschweden.26 Die Zierscheiben vom Pferdezaumzeug aus dem Reitergrab von Ittenheim27 im Elsass bringen demgegenüber Jagdmotive, wie die Bilder von Tierhatzszenen im Spiegel der Bronzepfanne aus Grab 38 von Güttingen,Z8 die von jenseits der Alpen herzuleiten sind. Das unterstützen auch die Bilder auf den beiden Scheibenfibeln in diesem Grab, ein Reiterheiliger, der ein langes Kreuz über der Schulter trägt, oder ein Kaiserporträt mit Lorbeerkranz. Die Waffen des freien Alamannen Schwert und Sax oder die vollständige, schwere Bewaffnung aus Schwert, Sax, Lanze und Schild - ergänzt durch Reitzeug, Zaumzeug und Sporen- wurden dem alamannischen Bauern und Krieger mit ins Grab gegeben. Das Schwert hatte neben seiner Funktion im Kampf symbolischen Wert als Zeichen des unabhängigen Kriegers, eine Rolle, 306 die also über den Tod hinaus bestehen blieb. Mehr als bei den anderen germanischen Stämmen war die Waffenbeigabe und vor allem das zweischneidige Langschwert typisch für die Alamannia. Im Gräberfeld von Schretzheim hatten beispielsweise 55 Prozent aller erwachsenen Männer eine Spatha bei sich, meist zusammen mit anderen Waffen. Mit Waffen, einem Saxodereiner Lanze waren auch die meisten anderen Männer ausgestattet.29 Während bei den Franken die Waffenbeigaben im 6. Jh. zu 11 Prozent aus Spathen und 22 Prozent aus Saxen, im 7. Jh.zu 12 Prozent aus Spathen und 37 Prozent Saxen bestanden, erreichten in der Alamannia im 6. Jh. Spathen sogar 37 und Saxe 30 Prozent, im 7. Jh. Spathen 29 und Saxe 54 Prozent, also fast immer das Doppelte:30 Zeichen eines unabhängigen, selbstbewussten Kriegertums, vielleicht in gewollter Abgrenzung gegenüber den Franken. Auch die vielgestaltigen Gürtelgarnituren der Krieger des 6./7. Jh. scheinen Rangzeichen gewesen zu sein, auch wenn sie im Laufe der Zeit ganz unterschiedlich aussahen. Wie die Waffen wurden sie wahrscheinlich in zentralen Werkstätten an den Königs-, Herzogs- oder Adelshöfen hergestellt. Die vielteiligen Gürtelgarnituren mit Wabenzellentauschierung, z.B. im Grab 7 von Dürbheim aus der zweiten Hälfte des 7. Jh. mit einem ebenfalls silbertauschierten Sporn, gehören zu den jüngsten Formen, die noch archäologisch als Beigaben überliefert sind. Sie kommen überwiegend in der Alamannia vor.31 Doch wird es sich um Rangzeichen im gesamten Merowingerreich gehandelt haben, da die zurückgehende Beigabensitte die Begrenzung auf die Alamannia vorspiegeln könnte. Aber auch für die vorausgehende Zeit um die Mitte des 7. Jh. sind bestimmte Gürteltypen wie die langobardischen Gürtelgarnituren im wesentlichen auf 283 308 Grab eines mit Schwe rt, Lanze und Schild bewaffneten Reiters aus Haldenegg. Die Nieten des Schildbuckels sind mit Silber verziert. 308 285 284 307 a das alamannische Gebiet begrenzt.32 Auch Waffengürtel mit überlangen Riemenzungen, wie aus dem Reitergrab 2 von Dürbheim mit Spatha, Schild, Sporn und Kettenpanzer vom Ende des 7. Jh., drücken derartige Rangpositionen aus, ebenso wie schließlich am Ende der Epoche die Sporen aus massivem Silber, wie der aus einem kleinen Separatfriedhof von Göppingen. Die vollständige Bewaffnung eines Reiters von Haldenegg aus dem frühen 8. Jh. zeigt, dass jetzt Silber den Rang markiert; so sind die Nieten am Schildbuckel versilbert und mit silbernem Perldraht eingefasst. Der Rang der Frauen wird durch alle Generationen lunweg über den Wert der beigegeben Schmucksachen erfahrbar, von den Fibeln im Grab von Schwenningenüber die Fibeln im Grab 278 vonFridingen bis zu den für die Spätzeit kennzeichnenden goldenen Bornrnelohrringen, wie die wohl aus einem Kirchengrab stammenden von Großgartach. Gesellschaftlicher Umbruch Das Ende der Beigabensitte und der Reihengräberzeit gegen 700 folgt nicht nur aus einem veränderten Totenbrauchturn nach der Durchsetzung des Christentums, sondern ist auch verbunden mit der Auflösung der alten Sozialstrukturen und der Enstehung eines Adels als Geburtsstand und der Grundherrschaft als Herrschaftsbasis.33 Der im späten 7. Jh. verstärkt einsetzende Grabraub ist eine archäologisch fassbare Erscheinung parallel zu dieser gesellscha.ftlichen Veränderung. Im Laufe des 7. Jh. löste sich das trotz aller Rangunterschiede gerneinsame Neben- und Miteinander der Familien auf. Das zeigt die Tendenz mancher Familien, sich von der Gemeinschaft abzusetzen. Die Ausplünderung, d.h. die »Zerstörung« großer Teile der Reihengräberfelder der alten Solidargerneinschaft, führt zur »Beseitigung« der nach Rang bestatteten Krieger. Was bedeutete es, wenn dem toten Krieger das Schwert aus dem Grab genommen wurde? Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Wenn eine Gerneinschaft ihre Gräber nicht mehr schützte oder schützen konnte, dann waren die sozialen Bande zerrissen. Die Gräber wurden geöffnet und die wertvollen Beigaben entnommen von Leuten, die Bescheid wussten und die Friedhöfe kannten, also vielleicht Leute der jetzt am Ort über Einfluss verfügenden Grundherren. Diese beraubten bzw. ließen die Gräber der Familien berauben, von denen keine Angehörigen mehr am Ort wohnten oder die noch arn Ort lebten, aber nicht ein- 307 Kennzeichen dieses Mannes, der um 700 in Grab 2 von Dürbheim bestattet wurde, war eine schlichte Gürtelgarnitur mit Schnalle und besonders langer Riemenzunge, die hier sogar aus Silber gefertigt sind. Er besaß auch einen Kettenpanzer mit Goldschließe. Das Grab gehört zu einer kleinen Adelsnel>Auf der Lehr«. Almanach, Heimatjahrb. Schwarzwald-Baar-Kreis 11, 1987. 16 G. Fingerlin, Hüfingen, ein zentraler Ort der Baar im frühen Mittelalter. In: Der Keltenfürst von Hochdorf (Stuttgart 1985) 426 ff. 17 D. Quast, Merowingerzeitliche Grabfunde aus Gülttingen (Stadt Wildenberg, Kreis Calw). Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 52 (Stuttgart 1993) 59. 18 W. Groebbels, Der Reihengräberfund von Gammertingen (1905); F. Stein, Alamannische Siedlung und Kultur. Das Reihengräberfeld in Gammerti..ngen (Sigmaringen 1991). 19 Zur Verbreitungskarte der Helme K. Böhner, Die frühmittelalterlichen Spangenhelme und die nordischen Helme der Vendelzeit. jahrb. RGZM 41, 1994, 511 Karte 1; H. Steuer, Helm und Ringschwert. Prunkbewaffnung und Rangabzeichen germanischer Krieger. Stud. Sachse.nforsch. 6, 1987, 192 Abb. 1. Ergänzung: S. Felgcnhauer-Schmiedt, Das Kappeie (>>die Kapilc«) ob Jadersdorf. Eine spätantik-frühmittelalterliche Höhensiedlung in Oberkärnten (Klagenfurt 1993) 39 f. Taf. 40,5; 63,1 (Fragment eines Helmes). 20 P. Paulsen, Alamannische Adelsgräber von Niederstotzingen. Veröff. Staatl. Amt Denkmalpflege Stuttgart A 12 (Stuttgart 1967). 21 Steuer (Anm. 19) 189 ff. 22 K. Böhner, Die frühmittelalterlichen Silberphaleren aus Eschwege (Hessen) und die nordischen Pressblechbilder. Jahrb. RGZM 38, 1991 (1995), 681 ff. 23 K. Bölmer/D. Quast, Die merowingerzeitlichen Grabfunde von Pliezhausen, Kr. Rcutlingen. Fundber. Baden-Württemberg 19,1, 1994,383 ff. 24 C. Fingerlin, Ein alamannisches Reitergrab aus Hüfingen. Tn: Studien zur vor- und frühgeschichtlichen Archäologie. Festschrift für Joachim Werner zum 65. Geburtstag. Teil 2 (München 1974) 591 ff. 25 G. Fingerlin, Ein frührnittelalterliches Reiterbild aus Nendingen, Stadt Tuttlingen. Arch.Ausgr. Baden-Württemberg 1992, 222 ff. 26 Böhner (Anm. 19) 471 ff. 27 J. Werner, Der Fund von Ittenheirn (Straßburg 1943). 28 G. Fingerlin, Grab einer adligen Frau aus Gütti.ngen. Bad. Fundber. Sonderh. 4 (1964); ders., Die alarnannischen Gräberfelder von Güttingen und Merdingen in Südbaden. Germ. Denkmäler Völkerwanderungszeit A 12 (Berlin 1971). 29 H.-P. Wotzka, Die Männergräber von Schretzheim. Eine quantitative Studie. Harrunaburg N.F. 9, 1989, 119 ff. [Festschriftfür Wolfgang Hübener]. 30 F. Siegmund, Kleidung tund Bewaffnung der Männer im östlichen Frankenreich. In: Die Franken. Wegbereiter Europas (Mainz 1996) 705 Abb. 577 (Schaubild). 31 R. Marti, Das Grab eines wohlhabenden Alamannen in Altdorf UR, Pfarrkirche St. Martin. Jahrb. SGU 78, 1995, 83 ff.; Fingerlin (Anm. 14) 72 f. 32 R. Christlein, Eine langobardische Gürtelgarnitur von Bieringen, Kreis Horb. Der Sülchgau. Jahresgabe 1971, 55 ff. 33 L. Kuchenbuch, Grund.herrschaft im früheren Mittelalter. Hist. Seminar N.F. 1 (Idstein 1991) 45 ff. 34 M. Knaut, Die alamannischen Gräberfelder von Neresheirn und Kösingen, Ostalbkreis. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 48 (Stuttgart 1993) 37. 35 F. Stein, Adelsgräber des achten Jahrhunderts in Deutschland. Germ. Denkmäler Völkerwanderungszeit A 9 (Bcrlin 1967). 287 HERAUSGEGEBEN vom Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg Theiss