Michel Foucault Die Ordnung des Diskurses http://archive.org/stream/FoucaultDieOrdnungDesDiskurses#page/n0/mode/2up L‘ordre du discours (Paris 1971) česky Petr Horák, Svoboda 1994. Michel Foucault •* 15. Oktober 1926 in Poitiers, die zweitälteste Universität in Frankreich, an der François Rabelais, René Descartes und Francis Bacon studierten. Die Stadt hat mehr Studenten pro Einwohner als jede andere französische Universitätsstadt. •studierte Psychologie und Philosophie in Paris •Autor der Theorie über diskursiv generierte Zwangs- und Ausschließungsdiskurse •Begründer der Diskursanalyse •† 25. Juni 1984 in Paris > Foucaults Durchbruch und Foucaults Gesamtwerk „Die Tiere lassen sich wie folgt gruppieren: a) Tiere, die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) herrenlose Hunde, h) in diese Gruppe gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, Jorge Luis Borges: Die analytische Sprache John Wilkins´ j) unzählbare, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, i) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von Weitem wie Fliegen aussehen.“ (Borges 1982: 112) 18, Die Monstrosität, die Borges in seiner Aufzählung zirkulieren lässt, besteht darin, dass der gemeinsame Raum des Zusammentreffens darin selbst zerstört wird. Foucaults Werk Histoire de la folie à l’âge classique, 1961 Naissance de la clinique: Une archéologie du regard médical. 1963. Surveiller et punir: Naissance de la prison. L’archéologie du savoir. 1969. L’ordre du discours: Leçon inaugurale au Collège de France L’usage des plaisirs. 1984. Wahnsinn und Gesellschaft. Eine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft. Die Geburt der Klinik: Eine Archäologie des ärztlichen Blicks. 1973. Überwachen und Strafen: Die Geburt des Gefängnisses. 1976 Archäologie des Wissens. 1973. Die Ordnung des Diskurses: Inauguralvorlesung … Der Gebrauch der Lüste. 1986 Diskurs als kulturelle Macht Der Diskurs wird vom Tod, vom Kampf und Herrschaft und von der materiellen Wirklichkeit immer weider eingeholt und in Bewegung gehalten. Die Ordnung des Diskurses 2. Dezember 1970 – Antrittsvorlesung/Inauguralvorlesung am Collège de France als Nachfolger von Jean Hippolyte, dem berühmten Übersetzer von Hegels Phänomenologie des Geistes (La Phénoménologie de l’Esprit, Paris, Bd. I, 1939, Bd. II, 1941), Foucault wurde dem Vertreter der Hermeneutik des Dialogischen Paul Ricœur vorgezogen, der dann nach Chicago ging. Nur ein Captatio benevolentiae/ Erheischen des Wohlwollens oder ein Programm? Anstatt das Wort zu ergreifen, wäre ich lieber von ihm umgarnt worden, um jedes Anfangens enthoben zu sein. Ich hätte gewünscht, während meines Sprechens eine Stimme ohne Namen zu vernehmen. (č. 7: Raději než se ujmout slova bych si přál být jím zahalen a nesen za jakýkoli možná začátek. Přál bych si pozorovat, jak v okamžiku, kdy mluvím, mě už dlouho předchází nějaký bezejmenný hlas;) Der Diskurs geht dem Sprechen voraus Das Ich ist ein Effekt des Sprechens, nicht seine Ursache. Müller-Funk, 194: „Die Sprache wird nicht so sehr als ein Mittel der Kommunikation, der Intersubjektivität oder der freien Äußerung angesehen. Vielmehr ist in ihr die Macht, die in und durch Kultur ausgeübt wird, kristallisiert. Diskurs bedeutet verfestigtes und geregeltes Sprechen. Müller-Funk,194 Die Sprache ist nicht einfach ein Medium, das Macht und Herrschaft übermittelt oder überbringt, sondern sie ist selbst eine, wenn nicht DIE zentrale Macht der Kultur. 195 Offensichtlich ist der Diskurs keineswegs jenes transparente und neutrale Ort, indem die Sexualität sich entwaffnet und die Politik sich befriedet, vielmehr ist er ein bevorzugter Ort, ihre bedrohlichsten Kräfte zu entfalten. (8) Begriff Diskurs •seit den 70er Jahren gebrauchter Begriff, mit dem ganz allgemein bestimmte Sprachmuster bezeichnet werden •vom lateinischen "discursus (" das Sich-Ergehen über etwas" , discurrere: auseinanderlaufen, sich zerstreuen) •Foucault hat keinen konsistenten, klar gefassten Begriff vom Diskurs •„Den Diskurs charakterisiert die Fähigkeit, Beziehungen zwischen Institutionen, ökonomischen und gesellschaftlichen Prozessen, Verhaltensformen, Normsystemen, Techniken, Klassifikationstypen und Charakterisierungsweisen herzustellen.“ Diskursanalyse •Foucault untersucht den Zusammenhang von sprachlichem Handeln und sprachlicher Form, sowie den Zusammenhang zwischen sprachlichem Handeln und gesellschaftlichen, insbesondere institutionellen, Strukturen. •č. 19, dt. 24: Mendel sprach von Gegenständen seiner Forschgung, ... die der Biologie seiner Zeit völlig fremd waren. Mendel ist es, der das Erbmerkmal als absolut neuen biologischen Gegenstand konstituiert, indem er eine bis dahin unbekannte Filterung vornimmt: er löst das Erb- Gregor Mendel bei Foucault merkmal von der Art ab, er löst es vom Geschlecht ab, das es weiter gibt; und der Bereich, in dem er es beobachtet, ist die unendlich offene Serie von Generationen, in der es nach statistischen Regelhaftigkeiten auftaucht und verschwindet. ...Mendel sagte die Wahrheit, aber er war nicht „im Wahren“ des biologischen Exkurses seiner Epoche: biologische Gegenstände und Begriffe wurden nach ganz neuen Regeln gebildet. Hingegen hatte Schleiden, 30 Jahre früher, indem er, mitten im 19. Jahrhundert, aber gemäß den Gregor Mendel bei Foucault Regeln des biologischen Diskurses, die pflanzliche Sexualität leugnete, lediglich einen disziplinierten Irrtum formuliert. Es ist immer möglich, dass man im Raum eines wilden Außen die Wahrheit sagt; aber im Wahren ist nur, wenn man den Regeln einer diskursiven Polizei gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muss. Die Disziplin ist das Kontrollprinzip der Produktion eines Diskurses. Diskursanalyse •Foucault interessieren die Grenzen und in weiterer Folge die Institutionen und Praktiken, durch die Diskurse gegenüber anderen abgegrenzt werden. •Er präzisiert, wie Diskursregeln festgestellt werden können •„…der Diskurs wird konstituiert durch die Differenz zwischen dem, was man korrekt in einer Epoche sagen könnte (nach den Regeln der Grammatik und denen der Logik) und dem, was tatsächlich gesagt wird.“ Diskursanalyse •„Ich setze voraus, dass in jeder Gesellschaft die Produktion des Diskurses zugleich kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird – und zwar durch gewisse Prozeduren, deren Aufgabe es ist, die Kräfte und die Gefahren des Diskurses zu bändigen, sein unberechenbar Ereignishaftes zu bannen, seine schwere und bedrohliche Materialität zu umgehen.“ •Foucault teilt die Prozeduren, durch die das geschieht, in drei Klassen ein: 1. Externe Ausschließungssysteme : Verknappung der zulässigen Aussagen 2. interne Prozeduren: Verknappung der Ereignisse 3. Regulierung: Verknappung der sprechenden Subjekte Externe Ausschließungssysteme •dienen der Kontrolle des Diskurses von außen •Verbot - „Man weiß, dass man nicht das Recht hat, alles zu sagen, dass man nicht bei jeder Gelegenheit von allem sprechen kann, dass schließlich nicht jeder Beliebige über alles Beliebige reden kann“. - drei Arten von Verboten – Tabu des Gegenstandes, Ritual der Umstände, ausschließliches Recht des sprechenden Subjekts. Die Ausschließungssysteme •Grenzziehung – die Unterscheidung zwischen Wahnsinn und Vernunft - Teile des Diskurses werden verworfen und können nicht zirkulieren - entweder gilt das Wort des Wahnsinnigen „für null und nichtig “ oder man traut ihm „eigenartige Kräfte“ zu. •Der Gegensatz von Wahrem und Falschem –am Anfang war ein wahrer Diskurs (Platon) –Wille nach Wahrheit –Träger des Wahrheitsanspruches nicht mehr der Diskurs selbst, sondern die einzelne Aussage Interne Prozeduren •Kommentar - ermöglicht das immer neue Konstituieren von neuen Diskursen - erhebt den Anspruch das zu sagen, was immer implizit gesagt war •Autor - kein empirischer Autor, durch Autor wird eine Referenz auf den Sinngehalt bestimmter Diskursbeiträge beigefügt, Texte ohne Autor ausgeschlossen •Disziplin - Konstruktionsanleitung zur Teilnahme an einem bestimmten Teil des Diskurses Die Verknappung der sprechenden Subjekte •Ritual - beschränkt den Zugang zu Diskursen über die Qualifikation, das Zeichensystem, und die Grenzen der Bedeutung •Doktrin - arbeitet mit dem Ziel - lässt nur bestimmte Aussagetypen zu •Diskursgesellschaften - hier werden Diskurse nach bestimmten Regeln organisiert und verteilt •Aneignung des Wissen - bedeutet eine Form der Verknappung Wolfgang Müller-Funk über Caspar Hauser Caspar Hauser tauchte 1828 in Nürnberg als etwa 16-jähriger, geistig anscheinend zurückgebliebener Jugendlicher auf. Es wurde behauptet, er wurde sein Leben lang nur bei Brot und Wasser in einem Versteck gefangen gehalten. Wolfgang Müller-Funk über Caspar Hauser Bearbeitungen seines Schicksals: Jakob Wassermann: Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens. Roman 1908, Peter Handke: Kaspar [Ein Stück]. Suhrkamp, Frankfurt/M. 1967 Kaspar Hauser – Verbrechen am Seelenleben eines Menschen. Film des Regisseurs Peter Sehr. Müller-Funk, Kulturtheorie, 196: Foucault würde nicht davon ausgehen, dass es unterhalb der kulturellen Repression einen unverstellten natürlichen Menschen gibt. Das Subjekt ist der/ die durch den Diskurs Unterworfene. Zusammenfassung •keine Methode, sondern Grundsteine für eine neue Art des Denkens •ein erkenntnistheoretisches Modell, das in den letzten Jahrzehnten methodisch in der Literaturwissenschaft, der Soziologie, Geschichtswissenschaft angewendet und reflektiert wird •Foucault unterschätzt die Unterschiede zwischen totalitärer, autoritärer und demokratischer Gesellschaft. Müller-Funk 210, Hegel, Herr und Knecht Der Knecht, der für ihn arbeiten muss, behält einen realen Zugang zur Welt, während der Herr diesen nicht nur verliert, sondern in Abhängigkeit von diesem gerät. Er ist abhängig davon, dass der Knecht für ihn arbeitet. Ohne den Knecht ist er nichts. Foucaul versucht Hegel zu entkommen, unsicher, ob unser Anrennen gegen ihn nicht seine List ist, hinter der er uns auflauert: unbeweglich und anderswo. 211 Foucaults Werk tendiert dazu, Macht vornehmlich diskursiv zu verorten und die „realen“, ökonomischen und politischen Aspekte hintanzustellen. Episteme „Episteme“ ist ein a priori gegebenes Erkenntnis-feld, das Erfahrung erst möglich macht. Foucault: Der Mensch hat sich gebildet, als die Sprache zur Verstreuung bestimmt war, und wird sich deshalb wohl auflösen, wenn die Sprache sich wieder sammelt. Die Ordnung der Dinge – Les mots et les choses, 1966 Das Vorwort zitiert Jorge Luis Borges (Die analytische Sprache John Wilkins / “El idioma analítico de John Wilkins) ,wo die chinesische Enzyklopädie Himmlischer Warenschatz wohltätiger Ergebnisse zitiert wird: a) dem Kaiser gehörige Tiere, b) einbalsamierte, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g) streunende Hunde, h) in diese Einteilung aufgenommene, i) die sich wie toll gebärden, j) unzählbare, k) mit feinstem Kamelhaarpinsel gezeichnete, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben und n) die von weitem wie Fliegen aussehen. Die Monstrosität der Anordnung Nicht die Fabeltiere sind unmöglich – sie werden als solche bezeichnet – sondern der geringe Abstand, in dem sie neben den Hunden, die herrenlos sind, oder den Tieren, die vom weiten wie Fliegen aussehen, angeordnet sind. Was jede Vorstellungskraft überschreitet ... ist einfach die alphabetische Serie (A, B, C, D), die jede dieser Kategorien mit allen anderen verbindet. Meninas, 1656 https://de.wikipedia.org/wiki/Las_Meninas#/media/File:Las_Meninas_%281656%29,_by_Velazquez.jpg 8: Hofmarschall José Nieto 9: Diego Velázquez; 10&11: Das spanische Königspaar Die Hoffräulein, 31 nur die Rückseite des Bildes sichtbar, 32: er fixiert einen unsichtbaren Punkt ... wir selber sind dieser Punkt: unser Körper, unser Gesicht, unsere Augen. Der Maler lenkt seine Augen nur in dem Maße auf uns, indem wir uns an der Stelle seines Motivs befinden. 33, eine Falle am Rande: das Fenster, ein Gegengewicht zu der unsichtbaren Leinwand. Meninas, 1640 36, der Spiegel zeigt nichts von dem, was an dem Bild zu sehen ist. Was in ihm reflektiert ist, ist gerade das, was alle Personen auf der Leinwand gerade fixieren: Das Bild muss aus dem Rahmen heraustreten. Funes, der sich alles merkt (Orig: Funes el memorioso) von Jorge Luis Borges. Die Geschichte wurde zuerst 1942 in der Zeitung La Nación veröffentlicht und dann 1944 in den Band Fiktionen (Ficciones) aufgenommen: Frankfurt: Fischer, 1993. Übers. von Karl August Horst. Der Erzähler kehrt 1887 von seinen Studien in Argentina nach Uruguay zurück und hört über den Sturz seines Altersgenossen Funes vom Pferd und seiner Lähmung. Funes bittet ihn um einige lateinische Bücher und lernt davon scheinbar perfekt Lateinisch. Seit dem Sturz hat er ein unvorstellbares Gedächtnis. Funes entwirft seine eigene Sprache, in der er nicht mit einem klassishen Denotat arbeitet, sondern für jeden einzelnen Erinnerungsfetzen eine eigene Bezeichung entwirft. Schlusssatz von Borges: „Denken heißt die Unterschiede vergessen, also generalisieren, abstrahieren, aber in der überfüllten Welt von Funes bestanden lediglich Details, und jedes verdränte das andere. Ireneo Funes starb 1889 als ein greiser Mann von 21 Jahren.“ Der Archäologe und sein Archiv - die Grenzen und Formen der Aufbewahrung der Äußerungen definieren, - die Grenzen und Formen des Gedächtnisses definieren, welche Äußerungen sind diskussionswürdig? - die Grenzen und Formen der Aneignung der Äußerungen definieren, wer bekommt Zugang zum Diskurs? Die Archäologie des Wissens, 1969 Grundlegende Differenzen zur Ideengeschichte: keine Operationen, die eine Kontinuität der Geschichte herbeizwingt. Der Archäologe arbeitet mit verstreuten Aussagen, aus denen sich erst Einheiten bilden lassen. Später wird die Fragestellung der Archäologie durch die Genealogie und die Macht erweitert.