Leseverstehen Bildung Das ABC der Armut Die UN beklagen Bildungsmissstände-auch in Deutschland Im Jahre 2000 fand in Dakar, der Hauptstadt Senegals, das Weltbildungsforum statt. Bis 2015, so erklärten die 164 teilnehmenden Staaten, werde man „Bildung für alle" (Educationfor all, kurz EFA) errei-05 chen. Sechs Maßnahmen wurden dafür definiert, darunter eine bessere Vorschulerziehung, kostenfreie Grundschulen und ein Ende der Benachteiligung von Mädchen. Auch Deutschland war in Dakar vertreten. Zwar 10 dürfen hierzulande Mädchen in die Schule gehen, und auch sonst gilt Deutschland im globalen Vergleich kaum als bildungsrückständig. Doch die Experten der UN-Kulturorganisation UNESCO wollen dem deutschen Bildungssystem keine guten Noten 15 geben: Vier der sechs Ziele erfülle die Bundesrepublik laut eines EFA-Berichtes nur unzureichend. So gehen nur 53 Prozent der Dreijährigen und 78 Prozent der Vierjährigen in einen Kindergarten. Das wirkt sich besonders nachteilig auf Kinder aus sozial 20 schwächeren Familien oder auf Einwandererkinder aus. Mit mehr als zehn Prozent an Schulkindern, die nie eine Vorschule besucht haben, hinkt Deutschland im internationalen Vergleich hinterher. Ein Viertel der 15jährigen gilt als Risikogruppe, 25 weil sie Texte nur rudimentär verstehen. Laut einer Studie sind bis zu sieben Millionen Erwachsene funktionale Analphabeten, die kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Auch beim sechsten „Dakar-Ziel" (Qualität der Bildung) schneidet Deutschland 30 schlecht ab: Schulbücher und Lehrmethoden sind veraltet, die Lehrpläne zu starr und der Einfluss der Bürokratie zu groß. Verglichen mit der Bildungsmisere in ärmeren Regionen der Welt sind allerdings die deutschen 35 Schulverhältnisse geradezu paradiesisch. Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF teilt mit, dass jedes sechste Kind auf der Welt noch immer keine Chance hat, überhaupt lesen und schreiben zu lernen. 121 Millionen Kinder können weltweit nicht einmal eine 40 Grundschule besuchen. Besonders bedenklich ist der Trend in Afrika südlich der Sahara, wo die Zahl der nicht eingeschulten Jungen und Mädchen seit 1990 gestiegen ist: von 41 auf 45 Millionen. UNICEF beklagt die Benachteiligung von Mädchen, die meist auf den Besuch einer Schule verzichten müssten, wenn das Geld der Familie nicht langt oder wenn Ar- 45 beitskräfte gebraucht werden. Was Kinder in der Dritten Welt lernen, orientiert sich häufig nur an einer Frage: Wie kann die Familie den morgigen Tag noch überleben? Für einen geregelten Schulalltag, der den Weg zu einer Berufsausbildung oder 50 gar zu einem Studium ebnet, fehlen in vielen Regionen Afrikas, Asiens oder Lateinamerikas noch immer wichtige Voraussetzungen. Der Bildungsnotstand ist dabei nicht nur ein Symptom der Armut; er ist zugleich ihre Ursache. 55 Die internationale Gemeinschaft hat bislang kein Mittel gefunden, diesen fatalen Zyklus zu durchbrechen. Zwar ist die Einschulungsrate weltweit seit den sechziger Jahren deutlich gestiegen, von unter 50 auf über 80 Prozent; doch reicht dies 60 allein bei weitem nicht aus, um die Bildungsmisere zu überwinden. Dazu müssen drei Hürden beseitigt werden: Das erste Hindernis ergibt sich aus der anhaltenden Krise postkolonialer Staaten, die auch jähr- 65 zehnte nach der Unabhängigkeit oft Gebilde sind, in denen sich die politische Führung nicht dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt. Eine breite Bildung der Massen wäre eine Bedrohung für das Herr-schaftsmonopol der politischen Führungen. 70 Auch Kriege behindern die Entwicklung eines Bildungssystems in vielen Ländern Afrikas und Asiens. Kinder in Kriegsgebieten lernen, wie man sich versteckt oder flüchtet, wie man Minen vergräbt oder das Magazin einer Kalaschnikow wech- 75 seit. Das ist das ABC, das dort das Überleben sichert. Schulen dagegen sind Fehlanzeige. Geldmangel schließlich ist die dritte, für viele Staaten nicht zu überwindende Hürde. Nach Angaben von UNICEF fehlen jährlich fünf bis sieben 80 Milliarden Dollar, um die Ausbildung in armen Staaten zu verbessern; eine Lücke, die Entwicklungsländer allein nicht füllen können, mahnen die UN. Das deutsche Entwicklungshilfe-Ministerium will immerhin die Hilfe für die Grundbildung von 85 derzeit 72 Millionen Euro auf 120 Millionen Euro 2007 anheben, was freilich nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Quelle: Arne Perras, Jeanne Rubner, ABC der Armut, Süddeutsche Zeitung, 12. Dezember 2003 (Nr. 286) [592 Wörter/4151 Zeichen inkl. Leerzeichen] ©Bensch&Stetter http://www.mein-deutschbuch.de Leseverstehen Fragen und Aufgaben zum Text Bildung [Die Aufgaben folgen dem Textverlauf.] Stimmen die folgenden Aussagen mit dem Text überein? - Kreuzen Sie an! R F 01 Für die Umsetzung der Maßnahmen zur Bildung setzte das Weltbildungsforum 15 Jahre an. \^\ 02 In der UNESCO ist man mit dem deutschen Bildungssystem nicht zufrieden. \^\ 03 Nur 53 Prozent der Dreijährigen aus sozial schwachen Familien gehen in einen Kindergarten. \^\ 04 Trotz aller Missstände ist das deutsche Bildungssystem viel besser als das ärmerer Staaten. Q Q 05 In vielen Ländern südlich der Sahara gibt es für Mädchen keine geeignete Schulform. \^\ \^\ 06 In vielen Regionen der Welt kann man ohne Voraussetzung einen Beruf ergreifen oder studieren. \^\ | | In ehemaligen Kolonien kümmern sich die Regierungen kaum um die Bevölkerung. \^\ \^\ 08 In Kriegsgebbieten ist es für Kinder viel zu gefährlich, zur Schule zu gehen. \^\ | | Entwicklungsländer sind nicht imstande, das Geld zur Verbesserung der Bildung aufzubringen. \^\ \^\ 10 Die deutsche Entwicklungshilfe ist ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung der Bildungssysteme in ärmeren Ländern. \^\ \^\ Welche der folgenden Aussagen stimmt mit dem Text überein? - Es ist immer nur eine Aussage richtig. 11 A \^\ Das deutsche Bildungssystem ist in vielen Punkten kaum besser als das der Entwicklungsländer. B \^\ Nur zwei der sechs Bildungsziele erreicht Deutschland ohne Einschränkung. C Q Deutschland verfolgt andere Bildungsziele als die UNESCO. A \^\ Einwandererkinder haben es in Deutschland besonders schwer, wenn sie keinen Kindergarten besuchen. B \^\ Knapp 90 Prozent der Einwandererkinder besuchen in Deutschland keinen Kindergarten. C \^\ Sozial schwache Familien können es sich finanziell nicht leisten, ihre Kinder in einen Kindergarten zu schicken. 13 A \^\ Bis zu 7 Millionen Arbeitslose in Deutschland sind funktionale Analphabeten. B \^\ Für 25 Prozent aller 15-Jährigen in der Bundesrepublik ist Lesen ein großes Problem. C \^\ Rund 7 Millionen Erwachsene können nicht richtig lesen, obwohl sie eine Schule besucht haben. 14 A \^\ Laut UNICEF haben 6 Prozent aller Kinder weltweit keine Möglichkeit, lesen und schreiben zu lernen. B \^\ Dass ein Kind keine Schule besucht, hängt im Allgemeinen nicht davon ab, ob es ein Mädchen oder ein Junge ist. C \^\ Im südlichen Afrika ist der Bildungsnotstand am größten. 15 A \^\ Es gibt kein Mittel, um den Teufelskreis aus Armut und Bildungsnotstand zu durchbrechen. B \^\ Der internationalen Gemeinschaft ist es bislang noch nicht gelungen, die eigentlichen Ursachen für Armut zu ermitteln. C \^\ Armut zeigt sich nicht nur in fehlender Bildung, sondern sie verursacht sie auch. ©Bensch&Stetter http://www.mein-deutschbuch.de Leseverstehen Bildung Textfragen und -aufgaben 16 Welche drei Bildungsziele nennt der Text? (Ergänzen Sie!) Die Teilnehmer des Weltbildungsforums wollten unter anderem erreichen, dass die_ _, dass Grundschulen kein_ und dass Mädchen_ 17 Welche Kritik gibt es am deutschen Bildungssystem in Bezug auf das sechste Bildungsziel? (Stichworte) a) b) c) Welchem Prinzip folgt es oft, was Kinder in Entwicklungslernen lernen? (Satzform) Nennen Sie in Stichworten drei Gründe für den Bildungsnotstand in Dritte-Welt-Ländern! a) b) c) 20 Ergänzen Sie die fehlenden Daten in der Tabelle! (Stichpunkte) Etwas Licht, viel Schatten Zur Entwicklung der Bildung weltweit Schulbesuch In Zahlen Positiv: Seit den 1960er Jahren: Negativ: Einschulungsrate im südlichen Afrika Seit 1990: Negativ: Weltweit keine Einschulung: Jedes Zahl der nicht eingeschulten Kinder in Mio.: ©Bensch&Stetter http://www.mein-deutschbuch.de