Barock als Stil- u. Epochenbegriff setzte sich erst seit etwa 1860 im Zusammenhang mit der methodolog. Entwicklung der Kunstgeschichte – Ausbildung einer Konzeption von Stil u. histor. Epoche – durch: negativ bei Jacob Burckhardt (Der Cicerone. Basel 1855), mit positiver Tendenz u. a. bei Cornelius Gurlitt (Geschichte des Barockstiles in Italien. Stgt. 1887), Heinrich Wölfflin (Renaissance und Barock. Mchn. 1888) u. Alois Riegl (Die Entstehung der Barockkunst in Rom. Wien 1908). Zu den frühesten Anwendungen des Barockbegriffs auf die Literatur zählt Nietzsches Aufsatz Vom Barockstile (1879), doch eine breite Wirkung auf die Literaturwissenschaft erzielten erst Wölfflins Kunstgeschichtliche Grundbegriffe (Mchn. 1915). Sie postulieren eine zwischen klass. u. unklass. (›barocken‹) Kunststilen sich bewegende Stilentwicklung, für die Renaissance u. Barock nur das Paradigma darstellen (»Es gibt eine Klassik und einen Barock nicht nur in der neueren Zeit [...]«), u. bringen den Gegensatz auf fünf Begriffspaare: linear - malerisch, Fläche - Tiefe, geschlossene - offene Form (tektonisch - atektonisch), Vielheit - Einheit, Klarheit - Unklarheit. B. als rauschhaft-myst., leidenschaftlich-expressive Sprachkunst in einer spezifisch ›deutschen‹, d. h. irrationalen Traditionsreihe (Gotik, Barock, Romantik, Expressionismus), B. als »Gestaltung antithetischen Lebensgefühls« (Arthur Hübscher), als Spannung zwischen Diesseitslust u. Weltentsagung (Emil Ermatinger u. v.a.), als Kunst der Gegenreformation (Werner Weisbach) »Nur das Unspezifische und Vage, wozu der Barock dem gegenwärtigen Bewußtsein sich verdünnte, erlaubt den universalen Gebrauch des Namens« (Adorno 1977). Ernst Robert Curtius regte an, den durch seine Geschichte kompromittierten unpräzisen doppelten Barockbegriff - B. als ahistor. typolog. Stilbegriff wie als Epochenbegriff - durch den ebenfalls der Kunstgeschichte entlehnten Begriff des Manierismus zu ersetzen: Dieser sollte, von allen histor. Assoziationen befreit, als »Generalnenner für alle literarischen Tendenzen« dienen, »die der Klassik entgegengesetzt sind«, als »Komplementär-Erscheinung zur Klassik aller Epochen«.René Hocke ein vielfach der Tradition der geistl. Bukolik verpflichtetes Liedschaffen mit Friedrich Spees Trutz Nachtigal (Köln 1649) als einem der Höhepunkte der dt. Lyrik des 17. Jh. . Flemings Liebeslyrik vor dem Hintergrund des Petrarkismus u. seine neostoizistisch inspirierten weltanschaulich-philosophischen Sonette, die krit. Epigrammatik Logaus, die Vergänglichkeitsdichtung von Gryphius mit ihrem expressiven rhetorischen Pathos oder die virtuose, klangmalende Verskunst Zesens u. der Nürnberger Dichter (Harsdörffer, Johann Klaj, Sigmund von Birken) stehen für diesen Vorgang in der ersten Jahrhunderthälfte, der auch durch die Weiterentwicklung der opitzianischen Poetik durch Buchner, Zesen, Schottelius, Harsdörffer u. andere gefördert wurde. Verstärkt wurde die Abkehr vom opitzian. Klassizismus durch die Rezeption der manieristischen Dichtung Italiens u. Spaniens vor allem im Werk ChristianHoffmann von Hoffmannswaldaus, Daniel Casper von Lohensteins u. anderer ›Schlesier‹; theoretischer Wegbereiter arguter Poesie in Deutschland war der Jesuit Jacob Masen, dessen Ars Nova Argutiarum(Köln 1649) mit den entsprechenden Schriften Baltasar Graciáns (Agudeza y arte de ingenio. 1648) u. Emanuele Tesauros (Il Cannocchiale Aristotelico. 1654) konkurriert. Die - nie versiegte - klassizistische Gegenströmung wiederum, die durch die Poetik Nicolas Boileaus (L'Art poétique. 1674) u. die Gedichte von Friedrich Ludwig Rudolph von Canitz (1700) bestärkt wurde, setzte sich gegen die sensualistische, witzig-iron. Kunst mit ihrer als exzessiv u. unnatürlich empfundenen Bildersprache erst nach einer langen, nicht zuletzt von der galanten Dichtung geprägten Übergangsperiode mit dem Wirken Gottscheds durch. Brockes, Barthold Heinrich, * 22. 9. 1680 Hamburg, † 16. 1. 1747 Hamburg. - Lyriker u. Übersetzer. 1698 unternahm er der Vervollkommnung seiner Lateinkenntnisse wegen mit einem früheren Geschäftsfreund seines Vaters eine Reise nach Dresden, die er mit einem jungen Adeligen u. dessen Hofmeister nach Prag fortsetzte. Wieder nach Hamburg zurückgekehrt, erlernte er die damals höf. Fertigkeiten des Tanzens, Fechtens, Voltigierens u. Reitens, beschäftigte sich mit Französisch u. Musik u. bereitete sich auf die Universität vor. 1700 studierte B. Jura u. Philosophie in Halle u. besuchte Vorlesungen von Christian Thomasius. Gleichzeitig pflegte er einen aristokrat. Lebensstil. Im Winter 1703/04 hielt B. sich in Genf u. Lausanne auf u. reiste dann nach Paris, darauf über Brüssel u. Antwerpen in die Niederlande, wo er 1704 in Leiden über das Wechselrecht zum Licentiaten promovierte. B. zeigte selbst aber keine Neigung, sich an der bürgerl. Selbstverwaltung der Stadtrepublik zu beteiligen, was ihm seiner Herkunft nach sehr wohl zugestanden hätte. Er strebte vielmehr mit Widmungen u. Gelegenheitsgedichten an hochgestellte Persönlichkeiten des Reichs die Erhebung in den Adelsstand an. Erst gegen 1716 gab er diesen Ehrgeiz auf u. näherte sich allmählich den bürgerl. Wertvorstellungen der Frühaufklärung. 1714 heiratete B. Anna Ilsabe Lehmann. Aus der Ehe gingen zwölf Kinder hervor, sieben überlebten ihn. 1720 wurde B. zum Ratsherrn gewählt u. gleich 1721 mit einer Bürgermeister Garlieb Sillem unterstellten Verhandlungsdelegation nach Wien geschickt, welche die damals bedrohlich schlechten Beziehungen zwischen Hamburg u. seinem kaiserl. Stadtherrn wieder normalisieren sollte. Zum Zustandekommen der relativ glimpfl. Bedingungen, zu denen die Stadt ihre Eigenstaatlichkeit behaupten konnte, hatten offensichtlich auch B.-Gedichte an den Kaiser u. den Prinzen Eugen beigetragen. Er beteiligte sich mit 23 nachgewiesenen Beiträgen an der von der Patriotischen Gesellschaft veröffentlichten Moralischen Wochenschrift »Der Patriot« (Hbg. 1724-26), die im Sinne der Frühaufklärung für weltbürgerlich-vorurteilsloses Denken u. freiwillig-praktische Betätigung zum Wohl des Gemeinwesens eintrat. Ziel der Patriotischen Gesellschaft war es, die seit Ende der »Bürgerlichen Unruhen« politisch desinteressierte hamburgische Bürgerschaft zur Wahrnehmung der eigenen Angelegenheiten zu bewegen. Der für die Sünde der Welt gemarterte und Sterbende JESUS [...] (Hbg. 1712. 21713. 31716. Ffm. 41716. 51716. Hbg. 61721. 7o. J. Neudr. Darmst. 1965), eine freie Evangelien-Nachdichtung, weit überHamburg hinaus bekannt. Das Werk erregte so großes Aufsehen, daß eine Anzahl von Komponisten, darunter Reinhard Keiser, Georg Friedrich Händel, Johann Mattheson u. Georg Philipp Telemann, es vertonten. Bereits zur Zeit der Teutsch-übenden Gesellschaft erschien B.' Übersetzung der Strage degli Innocenti (Paris 1620) von Giambattista Marino, ein vom Bethlehemitischen Kindermord handelndes Epos (Verteutschter Bethlehemitischer Kinder-Mord des Ritters MARINO. Köln/Hbg. 1715. Hbg. 21725. 31727. 41734. 51742. Tüb. 61763). B. erwies sich hier wie in seinem Passionsoratorium noch als Anhänger eines europ. Manierismus, der als Gongorismus, Marinismus, Euphuismus, preziöse Literatur u. zweite schles. Dichterschule in die nationalen Literaturgeschichten eingegangen ist. Als der erste Band des Irdischen Vergnügens in GOTT (9 Bde., Hbg. 1721-48. 1739-48. 1737-49. Neudr. Bern 1970) erschien, hatte sich B.' Geschmack gründlich geändert. Diese Sammlung von Gedichten - sein Hauptwerk - ist in ihrer Diesseitigkeit keine Barockdichtung mehr u. doch noch keine reine Naturpoesie, vielmehr Dichtung explizit zur Ehre des Dankbarkeit bestimmt diese Poesie, deren Themen große Erscheinungen wie Licht, Sonne u. Himmel, Meer, Watt, windbewegte Kornfelder - dann wieder die Welt der Blumen, der Tabakrauch u. das mikroskopisch Kleine sind. B. wollte mit seinen Gedichten den Menschen aus seiner Enge herausführen. Er sah wie Joseph Addison in der Naturwissenschaft ein Thema der Dichtkunst u. stimmte darin mit seinen Zeitgenossen überein. Literarische Vorbilder dieser naturwissenschaftl. Ästhetik des Erhabenen waren Lukrez u. Vergil. Den Topoi des »lieblichen Ortes« u. der »Natura« als Mittlerin zwischen Gott u. Welt verpflichtet, entspricht B.' Poesie einer damals unter dem Namen Physikotheologie verbreiteten Tendenz, naturwissenschaftl. Entdeckungen in christl. Sinne zu deuten. Aus dem Engl. übers. Versuch vom Menchen des Herrn Alexander Pope, Esq. Hbg. 1740. - Aus dem Engl. übers. Jahreszeiten des Herrn Thomson. Hbg. 1744.