Rokokodichtung Ursprungsland des Rokoko ist Frankreich, wo mit dem Stil der Régence[1] Größe und Pathos des Barock dem Gefälligen, Eleganten wichen; nach dem Tod Ludwigs XIV, verließ der Adel Versailles und zog sich in die Stadtschlösser von Paris zurück und hat die lockeren Festlichkeiten in der Parklandschaft genossen. Das Höfisch-Repräsentative wandelte sich zum Intim-Persönlichen, das v. a. in einer verfeinerten Wohnkultur zum Ausdruck kam. Ein anmutiger, verspielter Dekorationsstil (Louis-quinze) löste die dynam. Formensprache des Barock ab. Die künstler. Akzente verlagerten sich vom Außenbau auf den Innenraum, der von einem lockeren Schmuckwerk übersponnen und durch Spiegel verfremdet wurde. Die Rocaille wurde zum Grundmotiv der Dekoration. Durch die Stichwerke v.a. von J. A. Meissonier und F. de Cuvilliés d. Ä. wurde der Stil in ganz Europa verbreitet. Größere Gesamtanlagen der Rokokoarchitektur entstanden in der frz. Provinz (Nancy: Place Stanislas; Straßburg: Palais Rohan). In Deutschland, wo sich seit etwa 1750 der Klassizismus parallel zum R. entwickelte,sind u. a. das Münchner Residenztheater und Schloss Sanssouci in Potsdam Zeugnisse der Rokokokunst. Dem intimen Charakter entspricht eine Blüte des Kunstgewerbes und der Kleinkunst, als dessen neue Gattung die Porzellanplastik entstand, die im Rokoko gleichzeitig ihren Höhepunkt erlebte (J. J. Kändler für die Manufaktur Meißen, F. A. Bustelli für die Manufaktur Nymphenburg). Galante Themen, mytholog. und Schäferszenen bestimmten auch die Malerei (A. Watteau[2], J. H. Fragonard[3], F. Boucher[4]), Stillleben (J.-B. S. Chardin) und Porträtkunst wurden gepflegt; die Pastellmalerei kam in Mode. Watteau gilt als Schöpfer einer neuen Bildgattung, der »Fętes galantes«, intimer Gesellschaftsstücke, die eine verfeinerte, von Erotik, mytholog. Anspielungen und gesellschaftl. Umgangsformen geprägte höf. Kultur vorstellen. Daneben malte er auch Szenen aus der italien. Komödie Dominante Stilzüge der vorklassischen Literatur in Deutschland (zwischen etwa 1740 und 1780): in witzigem, scherzhaftem oder graziösem Ton das (auch amouröse) Sinnenspiel und der gesellige Umgang mit Freunden oder Geliebten beschrieben, die Natur meistens zum›locus amoenus‹ stilisiert. Genres: - das volkstümliche (häufig vertonte) ›Lied‹, - das Epigramm, die Idylle oder das Epyllion[5] Neuübersetzungen Anakreons (vor allem von Johann Peter Uz u. Johann Nikolaus Götz) - Vom weltoffenen (u. republikanisch regierten) Hamburg aus, wo Friedrich von Hagedorn mit seinem Versuch in poetischen Fabeln und Erzählungen (Hbg. 1738) u. seiner Sammlung Neue Oden und Lieder (ebd. 1742-52) den Weg für einen leichteren Sprachton gebahnt hatte, erfaßte dieser Zeitstil alle Regionen Deutschlands u. setzte ein ungeahntes Maß poetischer Kreativität frei. Vorliebe für Kleingattungen zeigt sich auch am Gehalt seiner Dichtung, die überall das Scherzhafte dem Erhabenen, das Intimere dem Repräsentativen vorzieht. Als revolutionär erfahrener Formgestus wird er v. a. an den Universitäten (Leipzig, Halle) aufgegriffen u. etabliert einen literarischen Markt mit Publikationsorganen, die bereits in ihrem Titel das neue Programm anzeigen: so Johann Joachim Schwabes »Belustigungen des Verstandes und des Witzes« (Lpz. 1741 bis 1745), Carl Christian Gärtners »Neue Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes« (Bremen/Lpz. 1744-48) oder Christlob Mylius' »Ermunterungen zum Vergnügen des Gemüths« (Hbg. 1747/48). Den Ton stimmt in der Nachfolge Hagedorns etwa Johann Wilhelm Ludwig Gleim an (Versuch in Scherzhaften Liedern. Bln. 1744-58), er wird seit den 50er Jahren zum vielstimmigen Chor, in den sich Lessing (Kleinigkeiten. Ffm./Lpz., recte: Stgt. 1751) ebenso mischte wie Christian Felix Weiße (Scherzhafte Lieder. Lpz. 1758), Heinrich Wilhelm von Gerstenberg (Tändeleyen. Ebd. 1759) oder Johann Georg Jacobi (Poetische Versuche. Düsseld. 1764), u. er entwickelt sich zu einer verfeinerten, empfindsame Elemente mit einbeziehenden, Sinnen- u. Verstandeswelt versöhnenden Harmonie bei Wieland (Don Sylvio von Rosalva. Ulm 1764. Comische Erzählungen. o. O. 1765) u. dem frühen Goethe (Annette. Lieder mit Melodien von 1767). der Begriff war seit Ende des 18. Jh. negativ belastet (Kulturverfall des Ancien régime) Aufwertung dieses Zeitstils bei Hans Heckel (Zu Begriff und Wesen des literararischen Rokoko in Deutschland. In: Festschrift für Theodor Siebs. Breslau 1933, S. 213-250. und (Alfred Anger: Literarisches Rokoko. Stuttgart 1962. + Deutsche Rokokodichtung. Stuttgart 1963) Goethe: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, 6. Buch Wie manche seiner glänzenden Produktionen fallen in die Zeit meiner akademischen Jahre. »Musarion« wirkte am meisten auf mich, und ich kann mich noch des Ortes und der Stelle erinnern, wo ich den ersten Aushängebogen zu Gesicht bekam, welchen mir Oeser mitteilte. Hier war es, wo ich das Antike lebendig und neu wieder zu sehen glaubte. Alles, was in Wielands Genie plastisch ist, zeigte sich hier aufs vollkommenste, und da jener zur unglücklichen Nüchternheit verdammte Phanias-Timon sich zuletzt wieder mit seinem Mädchen und der Welt versöhnt, so mag man die menschenfeindliche Epoche wohl auch mit ihm durchleben. Übrigens gab man diesen Werken sehr gern einen heiteren Widerwillen gegen erhöhte Gesinnungen zu, welche, bei leicht verfehlter Anwendung aufs Leben, öfters der Schwärmerei verdächtig werden. Friedrich von Hagedorn Friedrich Hagedorn: Anakreon In Tejos[6] und in Samos[7] Und in der Stadt Minervens Sang ich von Wein und Liebe, Von Rosen und vom Frühling, Von Freundschaft und von Tänzen; Doch höhnt ich nicht die Götter, Auch nicht der Götter Diener, Auch nicht der Götter Tempel; Wie hieß ich sonst der Weise? Ihr Dichter voller Jugend, Wollt ihr bei froher Muße Anakreontisch singen, So singt von milden Reben, Von rosenreichen Hecken, Vom Frühling und von Tänzen, Von Freundschaft und von Liebe; Doch höhnet nicht die Gottheit, Auch nicht der Gottheit Diener, Auch nicht der Gottheit Tempel. Verdienet, selbst im Scherzen, Den Namen echter Weisen. ________________________________ [1] z.ÿZ. der Regentschaft Philipps von Orléans (1715þ23); sie bildet den Übergang vom Louis-quatorze (Barock) zum Louis-quinze (Rokoko). [2] Gartenfest, 1719, in Gomrichs Story of the Art. [3] Laszive Themen wie Das Mädchen mit einem Hund oder Die Schaukel. [4] Francois Boucher malte 1756 Mätresse Ludwig XV. Marquise de Pompadour. Einfluss des "Style Pompadour" auf einige deutsche Fürstenhöfe wie Karlsruhe, Zweibrücken (Residenz des wittelsbach. Fürstentums Pfalz-Zweibrücken) [5] ein kleines Epos, in Hexametern geschrieben, meistens über ein mythologisches Thema, Theocritus, Euphorion, Ovids Metamorfosen, die Geschichte von Erpheus und Euridica aus dem 4. Buch Georgica von Vergil. [6] Geburtsort, [7] Hof des Polykrates, Polykrates förderte Kunst und Wissenschaft, er holte Anakreon aus dem ionischen Teos und an seinen Hof. Pythagoras verließ angewidert von Polykrates' Herrschaftsstil die Insel Samos. Schjillers Ballade: Er stand auf seines Daches Zinnen, Er schaute mit vergnügten Sinnen Auf das beherrschte Samos hin. „Dies alles ist mir untertänig,“ Begann er zu Ägyptens König, „Gestehe, daß ich glücklich bin.“ Polykrates, bedenklich geworden, wirft seinen Lieblingsring in die Fluten. Andern Tags erscheint der Koch: Der Ring des Polykrates hat sich in einem gefangenen Fisch gefunden. Amasis – „Die Götter wollen dein Verderben, | fort eil ich, nicht mit dir zu sterben“ – verlässt den Polykrates auf der Stelle.