Hans-G. Winter (vgl. Zmegac-GddL Bd. I/1, S. 250 ff.) In Kabale und Liebe (1784), ursprünglich Luise Millerin, zeichnet Schiller ein Bild der ideologischen und sozialen Beziehungen zwischen Adel, bürgerlicher Intelligenz und Kleinbürgertum, wie er sie in Württemberg selbst erfahren hatte. Einstellung und Herrschaftsmethoden des Hofadels offenbaren sich in den Intrigen des Präsidenten und seines Sekretärs Wurm, in den Kommentaren der Mätresse Lady Milford über höfische Verschwendung und Ausbeutung der Untertanen, in der Kammerdienerszene mit ihrer Kritik am Soldatenverkauf nach Amerika (2.2). Der adlige Präsidentensohn Ferdinand, der Luise, die Tochter des Stadtmusikanten Miller, liebt, ist eine Gestalt im Geist der liberalen Aufklärung und des Sturm und Drang. Ferdinands Beharren auf einer Liebe über die Standesgrenzen hinweg ist von Luise aus gesehen abstrakt; denn es berücksichtigt nicht ihre selbstverständliche Einbindung in die besondere Denkweise ihres Standes. Für Luises zeitbedingt religiöses Bewußtsein ist die Achtung des väterlichen Willens (sowohl ihr wie auch Ferdinands Vater lehnen die Bindung scharf ab) eine unbedingte Verpflichtung; gilt der Vater doch als Repräsentant der göttlichen Ordnung. Auch der durch eine Intrige Wurms erpreßte Eid ist für sie, da bei Gott geschworen, unbedingt gültig, obwohl sie sich gerade durch ihre ethische Unbedingtheit zum Werkzeug der ohne Gewissen Herrschenden macht. Ihre Hilflosigkeit gegenüber dem Unrecht, das ihr angetan wird, ist zugleich geprägt von einer eschatologischen Hoffnung auf Sühne beim Jüngsten Gericht: »und wenn ihm jetzt über die Beschreibung die Haare zu Berge fliegen, will ich ihm noch zum Schluß in die Ohren schreien, daß in der Sterbestunde auch die Lungen der Erdengötter zu röcheln anfangen und das Jüngste Gericht Majestäten und Bettler in dem nämlichen Siebe rüttle«. Luises ethische Unbedingtheit und religiös gebundene Innerlichkeit wirken am Ende der von ihr ersehnten Utopie entgegen, daß »die Schranken des Unterschieds einstürzen ..., Menschen nur Menschen sind«. Schillers »bürgerliches Trauerspiel« übertrifft Lessings Emilia Galotti an gesellschaftskritischer Zuspitzung. Während dieses die im privaten Familienbereich entwickelte Tugend mit der höfischen Unmoral konfrontiert, stoßen bei Schiller Angehörige von Adel und Bürgertum direkt aufeinander. In der Kammerdienerszene ist mit dem Verweis auf den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auch eine Perspektive zur Überwindung der gegenwärtigen Zustände gesetzt. Stellt Schiller in den Räubern und Kabale und Liebe Helden als ›Selbsthelfer‹ gegen ihre Väter und die von ihnen getragene gesellschaftliche Ordnung, so macht er zunächst in der Gestalt des spanischen Erbprinzen Don Carlos wieder einen Sohn zum Vorkämpfer bürgerlich-aufklärerischer Ideen im Kampf gegen väterliche Despotie und kirchliche Inquisition. Dies gilt allerdings nur für die in der »Rheinischen Thalia« bis Mai 1786 veröffentlichten Teile. Danach und in der Buchfassung von 1787 wird Marquis Posa die Mittelpunktfigur und »Sprachröhre des Zeitgeistes« (Marx), obwohl der Titel Don Carlos bleibt. Das »Familiengemälde aus einem fürstlichen Hause« verändert sich zu einem politischen Ideendrama. Zwieter Akt, Zweite Szene Ein alter Kammerdiener des Fürsten, der ein Schmuckkästchen trägt. Die Vorigen. KAMMERDIENER. Seine Durchlaucht der Herzog empfehlen sich Mylady zu Gnaden, und schicken Ihnen diese Brillanten zur Hochzeit. Sie kommen soeben erst aus Venedig. LADY hat das Kästchen geöffnet und fährt erschrocken zurück. Mensch! was bezahlt dein Herzog für diese Steine? KAMMERDIENER mit finsterm Gesicht. Sie kosten ihn keinen Heller. LADY. Was? Bist du rasend? Nichts? – und Indem sie einen Schritt von ihm wegtritt. du wirfst mir ja einen Blick zu, als wenn du mich durchbohren wolltest – Nichts kosten ihn diese unermeßlich kostbaren Steine? KAMMERDIENER. Gestern sind siebentausend Landskinder nach Amerika fort – Die zahlen alles. LADY setzt den Schmuck plötzlich nieder und geht rasch durch den Saal, nach einer Pause zum Kammerdiener. Mann, was ist dir? Ich glaube, du weinst? KAMMERDIENER wischt sich die Augen, mit schrecklicher Stimm, alle Glieder zitternd. Edelsteine wie diese da – Ich hab auch ein paar Söhne drunter. LADY wendet sich bebend weg, seine Hand fassend. Doch keinen Gezwungenen? KAMMERDIENER lacht fürchterlich. O Gott – Nein – lauter Freiwillige. Es traten wohl so etliche vorlaute Bursch vor die Front heraus und fragten den Obersten, wie teuer der Fürst das Joch[1] Menschen verkaufe? – aber unser gnädigster Landesherr ließ alle Regimenter auf dem Paradeplatz aufmarschieren und die Maulaffen niederschießen. Wir hörten die Büchsen knallen, sahen ihr Gehirn auf das Pflaster sprützen, und die ganze Armee schrie: Juchhe nach Amerika! – LADY fällt mit Entsetzen in den Sofa. Gott! Gott! – Und ich hörte nichts? Und ich merkte nichts? KAMMERDIENER. Ja, gnädige Frau – warum mußtet Ihr denn mit unserm Herrn gerad auf die Bärenhatz reiten, als man den Lärmen zum Aufbruch schlug? – Die Herrlichkeit hättet Ihr doch nicht versäumen sollen, wie uns die gellenden Trommeln verkündigten, es ist Zeit, und heulende Waisen dort einen lebendigen Vater verfolgten, und hier eine wütende Mutter lief, ihr saugendes Kind an Bajonetten zu spießen, und wie man Bräutigam und Braut mit Säbelhieben auseinanderriß, und wir [Schiller: Kabale und Liebe. Deutsche Dramen von Hans Sachs bis Arthur Schnitzler, S. 54546 (vgl. Schiller-SW Bd. 1, S. 780 ff.) http://www.digitale-bibliothek.de/band95.htm ] ________________________________ [1] Das Joch ist ein seit langem gebräuchliches Flächenmaß, das in Süddeutschland und Österreich in Gebrauch war. Es entspricht nach den Festlegungen des 19. Jahrhunderts: * in Österreich 0,5755 Hektar (1600 Quadratklafter, 5754,64 m²) * in Württemberg 0,3309 ha Der Name "Joch" und sein genähertes Ausmaß kommen von der Fläche, die ein erfahrener Bauer oder Knecht mit einem Ochsengespann an einem Tag umpflügen kann. In etwa entspricht es auch dem so genannten Tagewerk oder Tagwerk, während der "Morgen" im allgemeinen etwas kleiner ist und der Pflügeleistung am kühleren Vormittag entspricht. Jitro - uvádá Siebenschein, ale asi chybně, MĚŘICE - 0.19 ha. Lán - mnoho hektarů