Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 1 3.4. Allegorische Redeweise: Mehrfache Bedeutungsebenen (Allegorie, Parabel, Gleichnis) Sind Metaphern und Metonymien einzelne Redefiguren und Wendungen, sind andererseits auch längere Textstücke, Erzählungen oder Diskurse, die in ihrem Gesamtduktus ein metaphorisches Verhältnis aufrecht erhalten, bekannt. Unter diesen kann man etwa die Allegorie, die Parabel oder das Gleichnis nennen. Gerade in religiöser Rede wird oft mit solchen Textarten gearbeitet, die sich erst auf einer zusätzlichen Sinnebene dem Verständnis erschließen, die über den „buchstäblichen“ Sinn, die erzählte Geschichte als Darstellung eines Ereignisses hinausgeht: Es sind „Metaphern“ oder „Zeichen“ für psychische, geistige oder spirituelle Bedeutungen, die nicht direkt angesprochen werden, sondern über einen Vergleich (metaphorischer oder metonymischer Art) erläutert werden. 3.4.1. Allegorische Mythenexegese und die lehre vom vierfachen Schriftsinn in der mittelalterlichen Bibelinterpretation. So ist etwa das literarische Genus der Allegorie zunächst im Zusammenhang mit der Mytheninterpretation eingeführt worden. Die antiken Interpreten Homers unterschieden bereits zwischen zwei Ebenen der Bedeutung, dem buchstäblichen Sinn und der versteckten Bedeutung, dem allegorischen Sinn. Allegoria meint soviel wie „anders“ sprechen, also den Worten einen anderen Sinn unterlegen, insofern kann man eine Allegorie auch als eine durchgehaltene Metapher auffassen. Die allegorische Deutung des Mythos folgte unmittelbar der Homerkritik der Vorsokratiker und wurde im 6. Jahrhundert bereits häufig angewandt. Während Plato diese Form der Deutung eher vermeidet, wird sie von der Stoa formell ausgebaut, wobei vor allem kosmologische und ethische Begriffe leitend sind. Der methodologische Ort der Allegorie ist dabei in der Rhetorik zu suchen. Bei der allegorischen Mythendeutung tritt der ‚Oberflächencharakter’ solcher Auslegung sehr deutlich zutage, insofern immer neue allegorische Identifikationen vorgenommen wurden, es also nicht zur Ausbildung eines festen Schemas kommt. Für die Vermittlung allegorischer Mythendeutung in die biblische Auslegungsgeschichte war Philo von Alexandrien (um 45/60 n. Ch.) entscheidend. Philo wurde zum Vorbild der christlichen Allegorese sowohl in Hinsicht auf das Alte Testament als auch in Hinsicht auf die griechischen Mythen, so besonders für Clemens von Alexandrien und Origenes, aber auch für die lateinische Tradition. Über Origenes entwickelte sich in der kirchlichen Interpretation die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn, die insbesondere in der mittelalterlichen Bibelexegese ausgearbeitet worden ist. Man unterscheidet demnach zwischen der Oberflächen- und der Tiefenstruktur des biblischen Textes (im Mittelalter Cortex und Nucleus genannt). Die Oberflächenstruktur umfaßt Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 2 die littera (die Buchstaben, also die Grammatik) und den sensus, den Sinn, der als sensus litteralis oder sensus historicus, wörtlicher oder historischer Sinn die erste von vier Ebenen des Sinns darstellt. Die anderen drei Ebenen des Sinnes sind spiritueller Natur und im nucleus (wörtlich: Kern), der Tiefenstruktur des Textes zu finden. Diese wird nach grammatikalischer und semantischer Analyse auf einer dritten Stufe, derjenigen der Interpretation, erhoben, der sententia: als sensus tropologicus (oder senus moralis), sensus allegoricus und sensus anagogicus. • Der moralische/ tropologische Sinn ist die Bedeutung, die die heilige Schrift für das Leben des Einzelnen hat. • Der sensus allegoricus bezieht sich auf jene Ebene des Textes, die auf Christus und die Kirche verweist • Der anagogische Sinn schließlich bezieht sich auf das Eschaton, auf die letzten Dinge, auf die Mysterien des Himmels, an denen der Mensch in der Zukunft im Jenseits teilhaben kann. Biblische Texte können nun über den historischen Sinn hinaus (der nicht in Frage gestellt wurde) einen oder mehrere dieser Bedeutungsebenen haben. So hat etwa „Jerusalem“ die historische Bedeutung der Stadt der Juden, die moralisch/tropologische der Seele des Menschen, meint allegorisch die Kirche Jesu Christi und anagogisch das himmlische Jeruslaem, die Stadt Gottes. Littera Sensus litteralis / sensus historicus buchstäblicher / historischer Sinn Sensus tropologicus / sensus moralis tropologischer / moralischer Sinn Sensus allegoricus allegorischer SinnNucleus Sensus anagogicus anagogischer Sinn Erläuterung: tropologisch < mittellat. tropologia, bildliche Redeweise < gr. trope allegorisch < gr. allegorein, etwas anders sagen, bildlich reden anagogisch < gr. anagein, emporführen, zur Höhe leiten: der höhere symbolische Sinn Der mehrfach Schriftsinn wird bei Thomas v. Aquin (Summa theologiae I, qu. 1, a. 10) damit begründet, dass Gott (der für Thomas der Autor der Heiligen Schrift ist) auch Ereignisse mit Bedeutung versehen kann (sie also zu Zeichen machen, die für etwas anderes stehen!), nicht nur sprachliche Äußerungen wie die Menschen. Die drei Stufen des übertragenen Sinnes beschreibt er folgendermaßen: Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 3 Secundum ergo quod ea quae sunt veteris legis, significant ea que sunt novae legis, est sensus allegoricus: secundum vero quod ea quae in Christo sunt facta, vel in his quae Christum significant, sunt signa eorum quae nos agere debemus, est sensus moralis: prout vero significant ea quae sunt in aeterna gloria, est sensus anagogicus. Der Sinn ist allegorisch in Hinsicht darauf, dass, was zum Alten Bund gehört, das anzeigt, was zum Neuen Bund gehört; der Sinn ist moralisch in Hinsicht darauf, dass, was in Christus geschehen ist oder in dem Christus bezeichnet wird, Zeichen dessen ist, was wir zu tun haben; der Sinn ist anagogisch, auf dass es bezeichnet, was in der ewigen Herrlichkeit ist. Ein Merksatz aus dem 13. Jhdt sagt folgendes: Littera gesta docet, quid credas allegoria; moralis quid agas, quo tendas anagogia. (Der Buchstabe lehrt das Geschehene, was man glauben soll, die Allegorie, wie man handeln soll, der moralische (Sinn), wohin du streben sollst, die Anagogie) 3.4.2. Heutiges Verständnis von „Allegorie“ Unter einer Allegorie (gr. allegorein = etwas anders sagen, bildlich reden) versteht man heute die bildhafte Veranschaulichung eines Begriffes, eines abstrakten Gedankens oder Begriffsfeldes durch eine Bild- und/oder Handlungsfolge; oftmals in Form der Personifikation, die quasi flächendeckend über einen ganzen Text oder mindestens einen Textabschnitt ausgedehnt wird. Man neigt dazu, der Allegorie im Vergleich zur Metapher, die auf Ähnlichkeit beruht, also ein indizierendes Zeichen ist, eine willkürliche Beziehung zwischen Bild und Bedeutung zuzuschreiben. Allegorie wird als eine rational zu erklärende Beziehung angesehen, im Gegensatz zu intuitiv zu erfassenden Zeichenprozessen. Man sieht sie als im Unterschied zum Symbol ad hoc konstruiert an. Beispiele wären die Justitia als Frau mit verbundenen Augen, die zeigt, dass die staatliche Gerechtigkeit nicht auf das Ansehen der Person blickt oder das Bild vom „Hafen der Ehe“, das den Gedanken ausdrückt, dass mit der Eheschliessung und Familiengründung die wilden Jahre (hier wird das Bild der gefahrvollen Seefahrt implizit angesprochen) vorbei sind und man wieder im Begriffe ist, festes Land (geordnete Verhältnisse) zu betreten. Dass man auch in der Ehe Schiffbruch erleiden kann, ist Angelegenheit anderer allegorischer Bezüge. Man muss aber feststellen, dass die Abgrenzung zwischen Allegorie und Symbol in der Geschichte sehr unterschiedlich durchgeführt worden ist. Für die heutige Bestimmung dieses Verhältnisses wird meist Goethes Aufwertung des Symbolischen als einem real präsentierenden Verhältnis auf Kosten des Allegorischen verantwortlich gemacht (s. dazu u. zur Geschichte des Symbolbegriffes). Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 4 3.4.3. Die Parabel und Gleichnis Die Parabel (< gr. parabole, Nebeneinanderstellung) bezeichnet eine metaphorische Erzählung, also eine ganze Geschichte, die darauf zielt, einen Gedanken, eine Lehre, eine Moralvorstellung, eine Ideologie oder eine Idee der zu veranschaulichen. Während die Fabel dieses Ziel durch eine Erzählung aus dem Tierreich verfolgt, sind die Akteure der Parabel Menschen. Mitunter gibt der Autor am Beginn oder am Schluss der Geschichte eine Interpretation, die den Sinn – „die Moral der Geschichte“ – erläutert. Die „Gleichnisse“ des Neuen Testaments in der Bibel sind eigentlich Parabeln. Berühmt ist die Ring-Parabel aus Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“. Darin werden die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam durch drei ununterscheidbare Ringe symbolisiert, die an drei Söhne vererbt werden; keiner weiß, wer das Original hat. Die Geschichte zielt vor allem auf die Toleranz zwischen den Religionen, deren gemeinsame ethische Grundsätze das eigentlich tragende Fundament darstellten. Im Gegensatz dazu sind Gleichnisse kürzer und beziehen sich nur auf einen einzelnen Aspekt. Gleichnisse sind kürzere, anekdotische Geschichten, die zwei unterschiedliche Sachverhalte vergleichen, die nur an einem Punkt übereinstimmen. Diesen Punkt des Vergleichs gilt es zu finden, um ein Gleichnis angemessen zu verstehen. Witze oder Komödien führen gerne dumme menschen ein, die unfähig sind, den Vergleichspunkt zu verstehen und ihre Auslegung von Gleichnissen an Nebensächlichkeiten aufhängen. Insofern findet sich hier das Element des Vergleichs wieder, unter dem man eine Gegenüberstellung mindestens zweier Sachverhalte, um Parallelen oder Unterschiede aufzuzeigen. 3.5. Symbol 3.5.1. Etymologie Das griechische Wort „to symbolon“ leitet sich von dem Zeitwort symballein resp. symballesthai ab. Symballein bedeutet vereinigen, verbinden, das Getrennte zusammenbringen. Symballesthai meint: mit jemanden zusammentreffen, mit ihm verhandeln, eine Verbindung schließen. Im ursprünglichen Sprachgebrauch war der Sinn des griechischen Wortes symbolon der eines Erkennungszeichens. Wenn zwei Freunde für längere Zeit oder für immer voneinander schieden, so zerbrachen sie eine Münze, ein Tontäfelchen oder einen Ring; kam nach Jahren jemand von der befreundeten Familie zurück, so konnten die zusammengefügten Teile (symbállein = zusammenwerfen, zusammenfügen) bestätigen, dass der Träger des einen Bruchstückes wirklich Anspruch auf die Gastfreundschaft besaß. An diese Bedeutung schließt Manfred Lurker seine Interpretation des Symbols als etwas „Zusammengefügtes“, in dem ein sonst nicht wahrnehmbarer Sinninhalt manifestiert wird. Zunächst ist das Zusammengesetzte das „Symbol“, Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 5 also aus den beiden Teilen entsteht das eine Symbol, das als ein Erkennungszeichen dient. Daraus entsteht der Gebrauch des Wortes als „Symbol für etwas“, das Symbol ist also das Ding, das für ein anderes steht, es steht stellvertretend für eine geistige Realität (etwa die Freundschaft der Besitzer der Bruchstücke), die an ihm wahrnehmbar wird. Somit wird das Symbol, im allgemeinen Sinn, zu einem sichtbaren Zeichen einer unsichtbaren Wirklichkeit. 3.5.2. Bedeutungsvielfalt des Wortes „Symbol“ in der Antike Daraus ergibt sich die Vielfalt der Bedeutungen des Wortes „Symbol“ bereits in der Antike. Die Stoiker erblickten im Symbol einen verhüllenden Hinweis auf eine philosophische oder theologische Wahrheit; hier wird Symbol noch gleichbedeutend mit „Allegorie“ gebraucht, die „symbolische“ Auslegung eines Textes, die die darin erzählten Handlungen und die auftretenden Gestalten nicht auf ihren historischen Sinn hin auslegt, sondern auf darin enthaltende „geistige“ Bedeutungen, entspricht der allegorischen Bibelinterpretation bei Philon von Alexandrien, die in der christlichen Antike und im Mittelalter zur Lehre vom vierfachen Schriftsinn ausgebaut wird. Symbola wurden in der Antike z.B. bereits Verträge in der Rechtskunde, Losungsworte oder auch der zur Weissagung dienende Vogelflug genannt. In den antiken Mysterienkulten waren die „symbola“ die Erklennungszeichen, an denen die Eingeweihten sich erkennen konnten. Einerseits sind diese etwa Losungsworte, andererseits auch materielle Dinge, Zeichen, die dem Uneingeweihten nicht verständlich sind, von den Eingeweihten aber verstanden werden und dem Einzelnen als Erinnerung an die Weihe dienten. Die „religiöse Identität“ des Eingeweihten wurde einerseits über diese symbola, andererseits über das sogenannte synthema vermittelt. Synthema heißt soviel wie das Zusammengesetzte, die Fügung, dann das Verabredete, auch die Losung. Im späteren Sprachgebrauch ist damit dann alles gemeint, was auf Verabredung beruht. Für den in antike Mysterienkulte Eingeweihten bezeichnete „synthema“ die Erinnerung an die rituelle Weihe im Sinne einer Zusammenfassung der Stufen der Einweihung, wiederum so, dass dem Uneingeweihten nichts verraten wird. Ein Beispiel dafür aus dem Isis-Kult gibt Walter Burkert, Antike Mysterien, 79: „Das synthema seinerseits faßt offenbar die Stufen der Einweihung zusammen, freilich in einer Weise, die dem eingeweihten so gut wie nichts verrät: ‚Ich fastete, ich trank den kykeon, ich nahm aus der kiste, ich werkte und legte dann zurück in den kalathos und aus dem kalathos in die kiste.‘ Ein Hantieren also mit zwei geflochtenen Körben, dem Deckelkorb kiste und dem offenen Korb kalathos, wie er bei Wollarbeit, aber auch bei Persephones Blumenpflücken Verwendung findet, nach dem Trinken des Gerstengetränkes kykeon, womit schon im homerischen Demeterhymnus die Göttin ihr Fasten beendet.“ Es wird also eine einmal vollzogene Handlungsfolge erinnert, die in Zusammenhang mit dem Demeter-Isis-Kult steht (Bereitung des kykeon), zu der viele symbolische Bedeutungen denkbar Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 6 sind (lt. Burkert fehlt aber die Bestätigung). Für den Aussenstehenden ist gerade die kultische Bedeutung nicht erkennbar. Dem synthema als Erinnern einer Handlungsfolge steht gegenüber das Bekenntnis, wie es im Christentum üblich geworden ist: es werden Glaubenssätze formuliert, zu denen sich der Christ bekennt. Dafür hat die frühe Christenheit bald das Wort „symbolon“ übernommen: Bischof Cyprianus von Carthago (Mitte des 3. Jh.) gebraucht das Wort Symbol erstmals in der Bedeutung von Glaubensbekenntnis (Symbolum). Entsprechend unterscheiden sich die christlichen Kirchen auch nach ihren Symbola. Wer z.B. ein theologisches Lehrbuch mit dem Titel „Symbolik“ zur Hand nimmt, findet in der Regel nicht etwa eine Erklärung der christlichen Symbole wir Kreuz, Fisch, Heiligenattribute usw., sondern eine Darstellung der dogmatischen Unterschiede der einzelnen christlichen Kirchen und ihrer Denominationen. Es wird auf die öffentlichen Bekenntnisschriften Bezug genommen, die den Glauben symbolisieren. 3.5.3. Der moderne geisteswissenschaftliche Symbolbegriff Die Geschichte des modernen geisteswissenschaftlichen Symbolbegriffes kann man in der Aufklärungszeit beginnen lassen. Die heute oft gebrauchte Abgrenzung zwischen der Bedeutung von Symbol und Allegorie scheint sich bereits im 18. Jahrhundert herauszubilden. Man kann zwei Hauptströmungen der Symbolauffassung im 18. Jahrhundert unterscheiden: • Die rationale Symbolauffassung, die das Symbol als arbiträr ansieht Baumgarten, Mendelssohn, Winckelmann, Lessing (Kant, Schiller) • Die Auffassung des Symbols im Sinne eines expressiven, natürlichen Zeichens, etwa bei Vico, Herder und Moritz 3.5.3.1. Rationale Symbolauffassung Diese Symbolauffassung drückt S. Lanwerd mit den Worten aus: „Bis zum Ende des 18. Jhdts. unterschied man Allegorie und Symbol dahingehend, dass die Allegorie als bildhafter Ausdruck den Gebieten Kunst und Bildung zugeordnet wurde und das Symbol als abstraktes, eindeutiges Zeichen fungierte“ (Lanwerd, 32) Diese Unterscheidung wurde auch in der Einteilung der Künste befolgt. So vertrat 1719 der Abbé du Bos in seinen kritischen Reflexionen über die Poesie und die Malerei die Ansicht, dass letztere mit natürlichen und erstere mit künstlichen Zeichen arbeite. Die natürlichen Zeichen sieht er als sinnliche, intuitiv faßbare an, die künstlichen seien symbolischer Ausdruck einer abstrakten Erkenntnis und demnach nur rational nachvollziehbar. Eine ähnliche Unterscheidung wird in der Ästhetik des späten 18. Jahrhunderts, etwa bei Baumgarten, Winckelmann und Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 7 Mendelssohn, durchgeführt, und zwar in dem Sinne, dass die Allegorie mit natürlichen, imitativen Zeichen arbeite. Diese würden intuitiv erfaßt und nachträglich vom Verstand geordnet. Das Symbol dagegen sei ein abstraktes, künstliches Zeichen, das dem diskursiven Verstand zum Ausdruck der Begriffe diene. Entsprechend dient das intuitive Erkenntnisvermögen des Menschen dazu, mittels allegorischer Figuren und deren typisch-exemplarischen Charakter das Allgemeine zu veranschaulichen. So fordert es Lessing in der Hamburger Dramaturgie, der einen deutlichen Unterschied zwischen der imitativ vorgehenden bildenden Kunst und der dramatischen Dichtung macht. Diese Hauptrichtung der Ästhetik des 18. Jahrhunderts hat also das Symbol im Sinne eines abstrakten und konventionellen Zeichens verstanden, das dem diskursiven Verstand als Kommunikationsmittel diene, während die Allegorie als Zusammenstellung natürlicher Zeichen und Bilder mit nachahmendem Charakter angesehen wurde, die somit intuitiv aufgefaßt werden konnten. In der Sprache der Semiotik wurde also die Allegorie als ikonisch oder indizierend, das Symbol als symbolisch angesehen. In der Regel gilt Kants Kritik der Urteilskraft (1790) als die Schrift, in der eine Abwendung von dieser Konzeption stattfindet. Man zitiert gerne den § 59: „Es ist ein von den neueren Logikern zwar angenommener, aber sinnverkehrender, unrechter Gebrauch des Worts symbolisch, wenn man es der intuitiven Vorstellungsart entgegen setzt; denn die symbolische ist nur eine Art der intuitiven. Die letztere kann nämlich in die schematische und in die symbolische Vorstellungsart eingeteilt werden.“ Kant setzt in der Folge das Intuitive dem Diskursiven entgegen. Das Intuitive bezieht sich auf diejenigen Gegenstände, die der Anschauung nicht direkt gegeben werden können, während das Diskursive eine Auseinanderlegung derjenigen Begriffe, die der Anschauung gegeben werden können, bedeutet. Kant unterscheidet zwischen • empirischen Begriffen: diese werden durch Beispiele erfaßt • Verstandesbegriffe: die Kategorien, werden durch Schemata erfaßt und • Ideen: zu deren Auffassung wird ein „Symbol“ gebraucht Nur die erste Beziehung (zwischen empirischen Begriffen und Verstandesbegriffen) ist eine direkte, die beiden anderen sind indirekt. Damit hat Kant, vermittelt über Schiller, einer Umkehr in der Auffassung des Symbols von einem arbiträren zu einem quasi „natürlichen“ Zeichen die Bahn gebrochen. Es ist jedoch zu beachten, dass Kant und in seiner Nachfolge Schiller zwar die frühere Definition des Symbols umkehren. Für beide ist, im Rahmen einer Rezeptionsästhetik, die vor allem nach dem Erlebnis der Welt und des Kunstwerkes fragt, also vom Wahrnehmenden her ihren Ausgangspunkt nimmt, das Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 8 Symbol ein dem sinnlichen Bereich angehörendes, analog wirksames und intuitiv aufgefaßtes Zeichen. Somit hat dieser Begriff des Symbols mehr Gemeinsamkeit mit dem Begriff der Allegorie innerhalb der Tradition der rationalen Symbolauffassung als mit deren Symbolbegriff, der sich gerade durch die Arbitrarität auszeichnet. Doch muss der rezeptionsästhetische Charakter von Kants Kunstphilosophie in Betracht gezogen werden: Kant und Schiller vertreten zwar den sogenannten „ästhetischen Obejktivismus“, der den ganzheitlichen und autonomen Charakter des Kunstwerkes hervorhebt. Das Symbolische wird aber als eine Form der Anschauung verstanden, d.h. diesen objektiven Charakter erhält das Kunstwerk durch das ästhetische Erlebnis des Künstlers resp. des Betrachters. Das Symbolische wäre demnach gerade nicht als eine im Objekt selbst befindliche Dimension an diesem anzusehen, wie in der objektiven Deutung des Symbols bei Karl Philipp Moritz und J.W. Goethe. 3.5.3.2. Die Auffassung des Symbols im Sinne eines expressiven, natürlichen Zeichens (objektive Symboldeutung) Diese objektive Symboldeutung kann man in die Tradition der „expressiven“ Deutung des Symbols stellen, die wir etwa bei Gianbattista Vico und J.G. Herder finden: • Gianbattista Vico Der neapolitanische Philosoph Gianbattista Vico (1668-1774), ein lange Zeit eher vernachlässigter Denker, der erst im 20. Jahrhundert u.a. von Ernst Cassirer wieder entdeckt worden ist, lässt sich weder dem Rationalismus noch dem Empirismus in der Zeit der Aufklärungsphilosophie zuordnen. Zusätzlich zur Prägung des menschlichen Denkens und der Erkenntnis der Welt durch Vernunft oder Erfahrung besteht er auf der Rolle der menschlichen Imagination, Poesie und Mythologie für die menschliche Erkenntnis. Er hat eine Drei-StadienTheorie der menschlichen Entwicklung entworfen, wonach auf das Zeitalter der Götter dasjenige der Heroen und auf dieses das humanistische Zeitalter gefolgt sei. Es gibt aber eher einen zyklischen Verlauf zu konstatieren, so daß sich eine Rückkehr zu früheren Epochen ereignen kann. • Seiner Ansicht nach glaubten die Menschen im Zeitalter der Götter, dass das ganze Geschehen von diesen abhängig sei. Alle Erscheinungen in der Welt wurden als Ergebnisse göttlichen Tuns interpretiert. Diese erste Epoche war eine rituell strukturierte Zeit, in der eine geistige, göttliche Sprache durch religiöse Handlungen, namentlich göttliche Zeremonien, ausgedrückt worden sei. Gesten und Gegenstände, die in einer natürlichen Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 9 Beziehung zu den damit ausgedrückten Ideen stünden, hätten als Ausdrucksmittel gedient. Abstrakte Ideen wurden durch konkrete Dinge repräsentiert, aus Interjektionen und Lautmalereien entstanden die ersten Worte einer natürlich-symbolischen Sprache. Ebenso sei die erste Schrift eine hierogylphisch-ikonische gewesen. • Im Zeitalter der Heroen bestand die Sprache aus Metaphern, Bildern und Gleichnissen. In dieser Zeit entstand die Poesie als eine bildlich-metaphorische Sprache, ebenso wie bildliche und plastische Symbole, etwa Wappen, Embleme und abzeichen zur kennzeichnung verwendet worden seien. Abstrakte Ideen wurden in der Form mythischer Helden ausgedrückt, etwa die „Tapferkeit“ durch die Schilderung des mythischen Helden Achill. Diese beiden ersten Zeitalter waren Epochen der poetischen Weisheit, in der die Menschen genuine Dichter waren. Poesie, Metaphorik und Mythologie der modernen Zeit haben lt. Vico also diese archaischen Formen bewahrt. • Im dritten Zeitalter, der rationalen Epoche der Vernunft und der Zivilisation, das Vico als das Zeitalter der Menschen bezeichnet, sind die Zeichen arbiträr, abstrakt und wörtlich zu verstehen. Mit der Vorherrschaft dieser Art des Zeichengebrauches gehe aber auch ein Niedergang der Poesie und der Imagination einher. Vico bezieht nun nicht Stellung für ein rein rationales Weltverhältnis, das in der antiken Mythologie nur Fiktionen und Realitätsverzerrungen entdecken kann, sondern spricht sich dafür aus, in der Mythologie einen frühen poetischen Ausdruck menschlicher Weisheit zu erblicken. Demnach sei die erste Wissenschaft, die es auszubilden gelte, auch diejenige der Mythologie. • Johann Gottfried Herder (1744-1803) Bei Herder wird der Gedanke des Organischen für den Symbolbegriff bedeutend. Er vergleicht bereits in seinen frühen Schriften das menschliche Schaffen mit dem organischen Wachstum etwa einer Pflanze; man findet Parallelen dazu bei Goethe, der das freie, aber regelgeleitete Wachstum mit der künstlerischen Freiheit, die sich innerhalb bestimmter Regeln bewege, vergleicht. Herder sieht Umwelt, Künstler und Werk in einer Einheit, das Verständnis eines Kunstwerkes ist nur über Einfühlung und Empfindung zu erreichen. Die Gestalt des Kunstwerkes ist lt. Herder nicht Ergebnis eines imitativen Prozesses, sondern eines Ausdrucksgeschehens, in dem sich Natur und Weltweisheit offenbare, letztendlich sei es als Ausdruck des Göttlichen zu verstehen. Während er in seiner Schrift „Über Denkmale der Vorwelt“ das symbolische Verhältnis in der Kunst noch als eines des Dienstes auffaßt, der Symbolismus die Kunst also als Mittel zum Zweck gebrauche, hat er später den Symbolbegriff ausgedehnt. Er unterscheidet zwischen dem Symbol als der sinnlich-intuitiv zu erfassenden organischen Einheit und der Allegorie, die mit den von der Rationalität bestimmten Zeichen Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 10 arbeite. Während Kant und Schiller den Weg vom Kunstwerk als Symbol zur symbolisierten Idee auf dem Weg eines Analogieschlusses bewerkstelligen, ist für Herder das Symbol eine organische, lebendige Einheit, in dem Dasein und Bedeutung in eins fallen. Diese organische, expressive Auffassung des Symbols führt zur Fragestellung des Verhältnisses von Inhalt und Form, Äußerem und Innerem, von Repräsentiertem und Repräsentierendem. Wie kann die plastische, poetische oder malerische Form, das starre Kunstwerk, wenn man so will, den lebendigen Inhalt, die hervorquellende Natur resp. den sich entfaltenden Geist fassen? • Karl Philipp Moritz (1756-1793) und Johann Wolfgang v. Goethe (1749-1832) Dieser Frage geht auch die sogenannte „objektive Symbolik“ nach, die den Charakter der Ganzheitlichkeit des Kunstwerkes in einer weniger dynamischen Form nachgeht. In diesem Sinne unterscheidet Karl Philipp Moritz 1788 zwischen dem Kunstwerk als einem äußerlich sichtbaren Zeichen und dessen Charakter als Ganzheit. Moritz, Vertreter einer quietistischen Spiritualität, in der besonderer Wert auf das Gefühlsleben gelegt wird, sieht im Kunsterleben eine mystischintuitive Erfahrungsweise. Das begrenzte Kunstwerk, die einzelne Form, drückt als Ganzheit somit einen unendlichen Inhalt aus, im Kunstwerk begegnet man einer Synthese des Unendlichen mit dem Sinnlichen. In diesem Sinne sieht er, in neuplatonischer Art und Weise, im einzelnen Kunstwerk eine mikrokosmische Repräsentation des Makrokosmos. Das symbolische Kunstwerk kann also das göttliche Universum widerspiegeln. Die Allegorie wertet er dagegen zu einem bloß schmückenden Beiwerk ab. Diese mystische Interpretation des künstlerischen Schaffens durch Moritz sieht die Grundlagen dieser Tätigkeit im unbewußten Seelenleben des Menschen liegen, das sich in den symbolischen Formen der Kunst ausdrücke. Ähnlich wie Herder sieht er den künstlerischen Prozess als einen Vorgang organischen Wachstums an. Bei aller Differenzierung, die man im Symbolbegriff Goethes ausmachen kann, teilt er mit Moritz diesen Ausgangspunkt von der repräsentativen Funktion des Symbols. Er folgt zwar Kants Erkenntnistheorie, nach der Wirklichkeit an sich, das Ding an sich, wie es unabhängig von unserem Erkenntnisvermögen gegeben sein mag, unerkennbar ist, meint aber, dass das Allgemeine, die Idee, sich im symbolischen Kunstwerk ausdrücke. Das Kunstwerk, das Symbol und die Metapher haben laut Goethe eine immanent gegebene Bedeutung, erfüllen aber eine repräsentative Funktion. Das Symbol ist intuitiv zu erfassende Vergegenwärtigung unausschöpflichen Sinnes, während für Goethe die Allegorie gerade der ratio zugeordnet ist: die Zeichen der Allegorie sind als rationale Darstellung einer allgemeinen Idee zu sehen. Drei Zitate mögen dies verdeutlichen: Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 11 „Ein ächtes Kunstwerk bleibt wie ein Naturwerk für unsern Verstand immer unendlich; es wird angeschaut, empfunden. Es wirkt, es kann aber nicht eigentlich erkannt, viel weniger sein Wesen, sein verdienst mit Worten ausgesprochen werden“ (Über Laokoon) „Das ist die wahre Symbolik, wo das Besondere das Allgemeine repräsentiert, nicht als Traum und Schatten, sondern als lebendig-augenblicklihe Offenbarung des Unerforschlichen“ (Kunst und Alterthum, 1826, Refl. 752) „Das Wahre, mit dem Göttlichen identisch, läßt sich niemals von uns direkt erkennen: Wir schauen es nur im Abglanz, im Beispiel, Symbol, in einzelnen und verwandelnden Erscheinungen. Wir werden es gewahr als unbegreifliches Leben und können dem Wunsch nicht entsagen, es dennoch zu begreifen.“ (1825, Witterungslehre) Goethe betont also die objektive Funktion des Symbols, die Vergegenwärtigung einer Idee und wahrt dennoch den Abstand zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden, das, wenn es auch von sich her Symbol ist, nicht einfach nur Präsenz des dadurch Ausgedrückten ist. Somit unterscheidet sich seine Idee der repräsentativen Funktion der symbolischen Kunst von dem mehr mystischen Symbolbegriff der Romantiker, etwa der Gebrüder Schlegel oder Schellings. Ohne auf diese jetzt näher einzugehen, sei festgehalten, dass sie mit Moritz und Goethe, bei aller Differenz, die sie im Einzelnen ihres Symbolverständnisses aufweisen, die symbolische Funktion des Kunstwerkes (bzw. des Naturschönen) als Verschmelzung des Allgemeinen mit dem Besonderen, des Geistigen mit dem Sinnlichen betrachten, Ein neuplatonischer Grundzug liegt in diesem Denken, für das der Mensch das Wesen ist, das imstande ist, im Endlichen das Unendliche zu erkennen, in der künstlerischen Form die ewige Idee durchscheinen zu lassen. So faßt Schelling das Kunstwerk in der Polarität von Geist und Materie, irdischem und transzendentem Sein: als Objekt Teil der natürlichen Welt, scheint in ihm das Übernatürliche, an dem es Anteil hat, auf. Schellings sog. Identitätsphilosophie geht es gerade um die Einheit von Geist und Natur. • Friedrich Creuzer (1771-1858) Wichtig für die Geschichte des Symbolbegriffes wird der von der romantischen Philosophie beeinflußte Friedrich Creuzer (1771-1858). In seinem Werk „Symbolik und Mythologie der alten Griechen“ (1810-12, zweite, völlig überarbeitete 1819-22) geht er vom symbolon der Griechen aus, im Sinne der Zusammenfügung. Eine solche Fügung bestehe, wenn die Wahrheit sich in einem Bild oder in einem Augenblick ausdrücke. • In der Frühzeit der Menschheit Ausdruck der mystischen Beziehung zur Welt; Gefühl und Moral des Menschen werden in die Außenwelt projiziert • In den orphischen und dionysischen Mysterien ekstatische Verbindung mit dem Göttlichen Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 12 • Sichtbare Symbole dienen der Bannung und Beschwörung der Kräfte der Natur und der Ereignisse des Daseins • Ursprung dieser magisch-mystischen Symbolsprache ist das Morgenland (ähnlich sieht das Fr. Schlegel): Asien/Ägypten Die Symboltheorie Creuzers vereint eine interpretative Bemühung um Religionen und Kulte in historischer Sichtweise mit einer Theorie des traumhaft-unbewußten Schaffensprozesses, einer Analyse menschlicher Weltinterpretation als projektivem Vorgang und dem Verständnis des Symbols als Ausdrucksgeschehen auf der einen Seite und Repräsentation einer umfassenden Wirklichkeit auf der anderen Seite. Die im 19. Jhdt. gängige Auffassung der Polarität von symbolisch-mystischer morgenländischer und begrifflich-abstrakter abendländischer Kultur liegt dieser Theorie zugrunde. Besonders die dunkle Seite an Creuzers Theorie, das geheimnisvoll-Gärende des Symbols, die Diskrepanz von Inhalt und Form hat auf die Nachwelt gewirkt. Bei Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) werden in der Geschichte des Zu-SichKommen des absoluten Geistes Kunst, Religion und Vernunft zu einander ablösenden Formen des Bei-Sich-Seins des absoluten Geistes. Der Mensch bringt diese Formen der Weltaneignung hervor, indem er das An-sich-Seiende der Natur in das Für-Sich des Geistes anverwandelt: der Mensch ist Geist insofern, als er das blosse An-Sich als ein Bedeutendes auffaßt. Das Sinnliche; Materielle soll von der Idee durchdrungen werden: die geglückte Einheit von Idee und Gestalt nennt Hegel das Ideal. In der geschichte des Zu-Sich-Kommen des geistes, innerhalb von hegels System, hat die Kunst also eine bestimmte Stellung inne. In der Entwicklung der Kunst selbst sieht Hegel geschichtlich einen Weg zu dieser vollkommenen Einheit und von dieser weg. Dort, wo diese Einheit geglückt ist, ist die Kunst der Ausdruck des absoluten Geistes, ist der Geist in der künstlerischen Gestalt bei sich, indem diese die Idee vollkommen ausdrückt. Für Hegel ist die erste Stufe in der Entwicklung der Mensch als die Zeit der Vorkunst zu bestimmen, in der Geist und Sinnlichkeit noch nicht auseinandergetreten sind; die nächste Stufe stellt die symbolische Kunst dar (vor allem in der vorchristlichen Kunst des klassischen Orients verwirklicht), in der der Geist nach seinem Ausdruck in der sinnlichen Gestalt sucht: „[...] das symbolische Kunstwerk weist sogleich aus sich heraus und auf ein anderes hin, das jedoch eine innerlich begründete Verwandtschaft mit den vorgeführten Gebilden und eine wesentliche Bezüglichkeit auf sie haben muss“ (Hegel, Ästhetik, Berlin 1955, 354) Hegel betrachtet also das Symbolische als ein indizierendes Zeichen. Für ihn kann zwar das Zeichen willkürlich gewählt werden, das Eigentümliche des symbols besteht aber in einer teilweisen Übereinstimmung von Gestalt und Bedeutung (etwa: Kreis für Ewigkeit). Allerdings verhindert die ebenso teilweise Nichtübereinstimmung, dass der Geist sich im Symbol vollständig Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 13 durchsichtig wird. In der Kunstenwicklung, aus der symbolischen Kunst folgend, nicht ihr als ein absolut Neues entgegengesetzt, hat für Hegel die die klassische (griechische) Kunst, die er als den vollkommenen Ausdruck der Idee in der Einheit von Inhalt und Form betrachtet, mithin als die vollkommene Möglichkeit des bei-Sich-seins des geistes im Kunstwerk: dies sieht er in den griechischen Göttergestalten gegeben, er nennt deshalb die griechiesche Religion auch eine Kunstreligion. Beriets im verlauf der antike löst sich diese Einheit auf, durch eine Verinnerlichung, die das Subjektive von seinem obejktiven Gegenüber trennt. Mit dem Christentum sieht Hegel das „Ende der Kunst“ gekommen, da hier die Offenbarung im Wort gegeben ist, die Kunst zur Illustration wird. Die dritte Stufe der Kunst, in der das Innerliche dem Äußerlichen gegenüber Überhand gewinnt, nennt Hegel die romantische Kunst. Im Kontext der romantischen Suche nach der Versöhnung von Geist und Natur ist noch der Symbolbegriff von Friedrich Theodor Vischer (bedeutender Ästhetiker des 19. Jhdts.) zu erwähnen, der aber eine Versöhnung nur mehr im Schein zuließ (ähnlich wie Schopenhauer). Vischer war bedeutend für die Vermittlung des romantischen Symbolbegriffes. Wichtig wird dieser einerseits für Aby Warburgs Entwurf einer Kulturwissenschaft, andererseits führen die Theorien des unbewußten Schaffens und der Projektion zu den psychoanalytischen Theorien von Kunst und Symbol. 3.5.3.3. Symbol als Grundbegriff der Kulturwissenschaften: Cassirer, Langer, Geertz 3.5.3.3.1. Ernst Cassirers Projekt einer „Philosophie der symbolischen Formen“ Eine wirkliche Erweiterung des Begriffes des Symbols über die hier dargestellten Verwendungen des Symbolbegriffes im Rahmen von ästhetischer Theorie, Kunst- und Relgionsphilosophie findet sich im Neukantianismus, bei Ernst Cassirer (1874-1945). Sowohl die badische als auch die Marburger Schule des Neunkantianismus hat sich intensiv mit dem Kulturbegriff auseinandergesetzt. Heinrich Rickert (badische Schule) gehört zu denjenigen, die sehr früh den Begriff der Kulturwissenschaft geprägt haben, Ernts Cassirer hat eine „Philosophie der symbolischen Formen“ vorgelegt. Cassirer findet in der Tatsache, dass es alle Leistungen der menschlichen Kultur mit Symbolisierungen zu tun haben, seien es Mathematische Symbole, Sprache, Kunst usw, den gemeinsamen Schlüssel zur Kultur. In gewisser Weise hat er unabhängig von der Tradition der Semiotik im engeren Sinn ein Modell entworfen, das es erlaubt, Kulturen oder Teilbereiche von Kulturen als Symbolsysteme zu lesen, obwohl es freilich umstritten ist, ob seine Behandlung der „symbolischen Formen“ als Beitrag zur Semiotik angesehen werden kann. In die Religionswissenschaft hat dieser Ansatz vor allem durch die Kultur- und Religionstheorie des US-amerikanischen Anthropologen Clifford Geertz gewirkt, er hat aber auch Einfluß auf die Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 14 sogenannte symbolische Anthropologie, Viktor Turner oder auch Mary Douglas, gehabt. Mit diesen Autoren beschäftige ich mich in der Vorlesung zu Ritualtheorien des langen und breiten. In diesem Rahmen will ich auf Geertz (via Langer) eingehen. Für Cassirer sind Zeichen Mittel zur Erkenntnis der Welt. Er geht dabei von der Sprachphilosophie W. v. Humboldts aus. Humboldt hatte Sprache als Arbeit des menschlichen Geistes und damit als weltkonstitutiv betrachtet. Für ihn ist die Erkenntnis durch die Kategorien der Sprache geleitet. Nun ist, wie Cassirer ausführt, sinnliche Erfahrung stets an Zeichen gebunden, denn nur durch Zeichen wird in der Unendlichkeit und Varianz der Sinneseindrücke eine Kontinuität der Ideen möglich. Zeichen sind also Vereinfachungen, Abkürzungen und Festlegungen dessen, was in der sinnlichen Erfahrung gegeben ist und dienen dem Aufbau einer konstanten Welt resp. konstanten Welterfahrung. In der Nachfolge der Erkenntnistheorie Kants sieht Cassirer keine Möglichkeit, das „Ding an sich“, die Welt, wie sie unabhängig von der Konstruktion durch unsere Erfahrung gegeben sein mag , in der Erkenntnis zu erreichen: Cassirer, 18f: „Für [alle ... Grundformen geistigen Schaffens] gilt, dass die in ihnen gemäße und eigentümliche Auffassungs- und Gestaltungsweise nur dadurch zur Geltung bringen können, daß für sie gleichsam ein bestimmtes sinnliches Substrat erschaffen. So wesentlich ist hier dieses Substrat, daß es bisweilen den gesamten Bedeutungsgehalt, den eigentlichen ‚Sinn‘ dieser Formen zu umschließen scheint. Die Sprache scheint sich vollkommen als ein System von Lautzeichen definieren und denken zu lassen – die Welt der Kunst und die des Mythos scheint sich in der Welt der besonderen, sinnlich-faßbaren Gestalten, die sie beide vor uns hinstellen, zu erschöpfen. Und damit ist in der Tat ein allumfassendes Medium gegeben, in welchem alle noch so verschiedenen geistigen Bildungen sich begegnen. Der Gehalt des Geistes erschließt sich nur in seiner Äußerung; die ideelle Form wird erkannt nur an und in dem Inbegriff der sinnlichen Zeichen, deren sie sich zu ihrem Ausdruck bedient. Gelänge es, einen systematischen Überblick über die verschiedenen Richtungen dieser Art zu gewinnen – gelänge es, ihre typischen und durchgängigen Züge, sowie deren besondere Abstufungen und innere Unterschiede aufzuweisen, so wäre damit das Ideal der ‚allgemeinen Charakteristik‘, wie Leibniz es für die Erkenntnis aufstellte, für das ganze des geistigen Schaffens erfüllt. Wir besäßen alsdann eine Art Grammatik der symbolischen Formen als solcher, durch welche deren besondere Ausdrücke und Idiome, wie wir sie in der Sprache und in der Kunst, im Mythos und in der Religion vor uns sehen, umfaßt und generell mitbestimmt würden.“ (Cassirer, Philosophie der symbolischen Formen, bd.1., Darmstadt 1994 (Nachdruck), 18f.) Wir sehen, dass für Cassirer die Welt der symbolischen Formen alles umfasst, was Bedeutung hat. Die symbolischen Formen finden wir in Sprache, Mythos, Kunst, Religion und Wissenschaft. Cassirer geht nun daran, zu erläutern, wie jedes dieser Gebiete auf eigenen symbolischen Formen und deren Regelung beruht. Diese sind, wie betont werden muss, freilich nicht „von außen“ als natürliche Gesetze vorgegeben: „Die symbolischen Zeichen, die uns in der Sprache, im Mythos, in der Kunst entgegentreten. „sind“ nicht erst, um dann, über dieses Sein hinaus, noch eine bestimmte Bedeutung zu erlangen, sondern bei ihnen entspringt alles Sein erst aus der Bedeutung [...] Hier erschafft sich das Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 15 Bewußtsein selbst bestimmte konkrete sinnliche Inhalte als Ausdruck für bestimmte Bedeutungskomplexe.“ (ebd., 42f) Innerhalb dieser Ausdruckssphären unterscheidet Cassirer weiters drei Dimensionen der symbolischen Gestaltung, die er – in evolutionistischer Sichtweise - als drei verschiedene Stadien der Entwicklung des menschlichen Zeichengebrauchs oder symbolischen Konstitution bedeutender Welt begreift: • Die Sphäre des Ausdrucks • Die Sphäre der Darstellung • Die Sphäre der reinen Bedeutung Ausdruck: damit meint Cassirer soviel wie semantische Unmittelbarkeit, etwas, was man als reine Präsenz bezeichnen könnte: hier ist ihm zufolge noch keine wirkliche Scheidung zwischen dem Symbol und dem durch ihn Repräsentierten getroffen worden, Symbol und Bedeutung werden noch als Einheit angesehen. Cassirer zufolge ist diese die hauptsächliche Art der Symbolisierung in Kunst, Mythos und Religion. Darstellung: die Sphäre der Darstellung sieht Cassirer in der Sprache gegeben, die mit arbiträren Zeichen arbeitet. Allerdings haben sich diese auch wieder in drei Stufen entwickelt: von der mimischen über die analogische zur symbolischen Sprache (vgl. Cassirer, a.a.O., 143f) Reine Bedeutung: damit meint Cassirer den abstrakten Zeichengebrauch, der in abstrakten Symbolen vorliegt, bei denen auch der Schein einer Ähnlichkeit zwischen Symbol und Symbolisiertem aufgehoben ist. In dieser Arbitrarität kommt nach Cassirer die Sprache erst zu sich selbst. Wir sehen den Gegensatz zum romantischen Symbolbegriff, in dem an eine Repräsentation von etwas, das anders nicht erfasst wird, gedacht wird. Wir haben bei Cassirer also den Bereich der „Ontologisierung“ der Zeichen verlassen und uns sozusagen wieder an die semiotische Idee der Arbitrarität der symbolischen Codes abgenähert. 3.5.3.3.2. Susanne Langers „Philosophy in a New Key“ Wie gesagt, knüpft Susanne K. Langer hier an. Sie nimmt auch die Unterscheidung, die Cassirer zwischen den reinen Symbolen und den Sphären des Ausdrucks und der Darstellung trifft, wieder auf, allerdings in abgewandelter Form. Langer unterscheidet zwischen Zeichen (signs) im Sinne von Symptomen (symptoms), die innerhalb einer dreistelligen Relation von Subjekt-Zeichen-Objekt funktionieren und Symbolen (symbols), deren basale denotative Funktion einer vierstelligen Relation von Subjekt- Symbol- VorstellungObjekt entspricht. Unter einem Symptom ist demnach ein Anzeichen zu verstehen, durch das für ein gegebenes Subjekt S ein bestimmtes Objekt O, sei es ein Ding, eine Sachlage, ein Ereignis angezeigt wird (signified), während ein Symbol mittels einer Vorstellung (conception) ein Objekt Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 16 denotiert (denotes). Langer verwendet dazu u.a. das Beispiel des Eigennamens, der nicht einfach einen damit bezeichneten Gegenstand anzeigt, sondern eine Vorstellung vermittelt, die auf die angezeigte Person passt. Bekanntlicherweise kann dieselbe Person je nach den Kontexten, in denen wir ihr begegnen, durch höchst unterschiedliche Vorstellungen konnotiert sein, mittels derer sie denotiert wird. Ein Symptom ist also etwas, was einen zum handeln bewegt, ein Anzeichen, das handlungsauslösend wirkt. Ein Symbole hingegen ist Langer zufolge ein „Vehikel für die Vorstellung von Gegenständen“. Ein Symbol vermittelt den Begriff der Sache mit der durch die Einbildungskraft geformten persönlichen Vorstellung. Das Verhältnis des Namens/Symbols zum bezeichneten Objekt nennt sie Denotation, dasjenige zur damit einhergehenden Vorstellung Konnotation. Art des Zeichens Konnotiert Denotiert Symptom Subjekt → Zeichen → Objekt Diskursives Symbol Subjekt → Zeichen → Vorstellung → Objekt Präsentatives Symbol Subjekt → Zeichen → Vorstellung Die Tabelle zeigt drei Arten von Zeichens, die mit dieser Beschreibung unterschieden werden Können: •ein rein denotatives Zeichen: das Symptom • ein rein konnotatives Zeichen: das präsentative Symbol •ein sowohl konnatatives als auch denotatives Zeichen: das diskursive Symbol Sie fürht also mittels der Unterscheidung von konnotativer und denotativer Funktion die Trennun der Symbole in diskursive und präsentative ein. Erstere besitzen eine denotative Funktion, also einen lexikalisch angebbaren Gegenstandsbezug, letztere besitzen nur eine „konnotative Semantik“. Musik z.B. verweist auf keinen allgemeinen Sinngehalt, sondern wird je und nur individuell bestimmt. Präsentative Symbole können aber auch semantisch aufgeladen sein, das heißt, über einen vielschichtigen Bedeutungskomplex verfügen, z.B. die Melodie der österreichischen Kaiserhymne, die auch die der deutschen Hymne ist. Auf der Unterscheidung zwischen diskursiven und präsentativen Symbolen baut Langer den Unterschied zwischen verschiedenen Bereichen der symbolischen Vermittlung auf, indem sie den diskursiven Symbolismus mit Betonung der intellektuellen Seite der Wissenschaft und Mathematik, der theoretischen Intelligenz, den präsentativen der praktischen Intelligenz, der Kunst, Phantasie, Traum, Mythos, Religion, Ritus usw. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 17 zuordnet. Die Konnotation wird dabei als eine Art „Hof“ um die denotativre Bedeutung angesehen. Nehmen wir das Bild einer Taube: es denotiert den damit gemeinten Vogel, also einen Gattungsbegriff, resp. den Vertreter dieser Gattung. Aufgrund der Erzählung in Gen. 8, 6-12 wird die Taube zu einem Symbol des Friedens, in weiterer Folge zu einem Symbol der Friedensbewegung usw. Auf der anderen Seite wird aufgrund einer anderen Bibelstelle, Lk, 3, 21-24 par., der heilige Geist mit einer Taube konnotiert. Offensichtlich fluktuiert also die konnotative Funktion von Symbolen sehr stark. Für den heutigen mitteleuropäischen Großstädter etwa ist die Taube das Symbol für durch ätzende Ausscheidungen hervorgerufene Korrosion an Kulturdenkmälern Häusern usw. Oder für die Einsamkeit des Alters in unseren Städten usw. Roland Barthes hat (in Anschluß an Hjelmselv) eine Beschreibung der Konnotation vorgeschlagen, die eine genauere Bestimmung aufgrund der Unterscheidung von Signifkant und Signifikat zuläßt: Signifikant Signifikat Signifikant Signifikat Friedenstaube Friedensgruppe Schleißheim Zeichen: Taube Friede Bild einer Taube Taube Das heißt, eine Konnotation liegt dann vor, wenn ein aus „Signifikant“ und „Signifikat“ gebildetes Zeichen (also das eine taube darstellende Bild derselben) selbst wiederum zu einem Signifikanten eines neuen Signifikates: Taube für „Frieden“ wird. Wird dieses Symbol allgemein verstanden, eigent es sich wiederum als Signifikante eines neuen Signifikates: die „Friedenstaube“ dient als logo der Friedensgruppe Schleißheim (Bsp. nicht von Barthes, sondern von mir). 3.5.3.3.3. Clifford Geertz Wie immer man das nun auch theoretisch darstellen mag, jedenfalls faßt Geertz, ausgehend vom Symbolbegriff von Susanne K. Langer Kultur als Netzwerk symbolischer Repräsentationen auf und in der Folge Religion als ein mögliches solches Symbolsystem, das sich durch bestimmte Charakteristiken von anderen solchen Symbolsystemen unterscheidet. Seine grundlegende Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 18 Überlegung besteht darin, daß man kulturelle Abläufe als Reihen bedeutsamer Zeichen anzusehen hat, die durch eine reine Deskription im positivistischen oder behavioristischen Sinn nicht adäquat beschrieben werden. Ihm zufolge hat man es, wenn man eine Kultur oder eine Bereich innerhalb einer Kultur beschreibt, mit einer geschichteten Hierarchie bedeutungsvoller Strukturen zu tun, in denen die gleiche Handlung oder das gleiche Symbol in verschiedenen Zusammenhängen anderes bedeutet. Offensichtlich muß man solche Strukturen interpretieren, man muss zu einem Verständnis der damit gemeinten Bezüge gelangen. Wir erinnern uns an das Konzept des Interpretanten. Das heißt andererseits, dass man Kulturen nicht mit einer am naturwissenschaftlichen Paradigma des Experiments orientierten Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, untersuchen kann. Hier findet sich die bereits von Heinrich Rickert in Anschluss an Wilhelm Windelband getroffene Unterscheidung zwischen der nomothetischen und der ideographischen Vorgangsweise wieder. Dieser hatte sich in seiner Schrift „Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft“ (Tübingen 1910) der Klärung des besonderen Gegenstandsbereichs der Kulturwissenschaft(en) gewidmet. Von dem nomothetischen Vorgehen der Naturwissenschaft, die Gesetzmäßigkeiten im Gesamtzusammenhang der Erscheinungen aufdecken will, hebt er das ideographische Verfahren der Kulturwissenschaft ab, die eine Typologie ideeller resp. symbolischer Formen gibt, die einerseits als Grundlage, andererseits als Sinnzusammenhang der historischen Objektwelt angesehen werden können. Rickert hat als die besonderen Objekte dieses Verfahrens die „Werte“ angesehen. Diese Fundierung der Kulturphilosophie im Begriff des Wertes ist von verschiedenen Seiten der Kritik unterzogen worden, denn von Werten sei immer erst nach ihrer Realisierung zu wissen. Die Fixierung auf den Wert mache aus einem historischen Prozess der Wertbildung ein quasi-ontologisches Prinzip; Sinngebilde würden von Einzelnen nicht um der Werte willen geschaffen und die Wertbindung könne nicht die Vielfalt der kulturellen Formen erklären. In Rickerts Schrift „Naturwissenschaft und Kulturwissenschaft“ wird jedoch die Wertbindung in der Gegenstandskonstitution der Kulturwissenschaften anhand der Frage nach deren Auswahlprinzip entwickelt. Für die Darstellung des Einzelnen, Kontingenten, Individuellen muss demnach aus der Vielzahl des Vorfindbaren eine Auswahl getroffen werden. Unabhängig davon, ob sie mit dem „Wertbegriff“ angemessen beantwortet wird, ist damit in der Tat eine Letztbegründungsfrage der Kulturwissenschaft(en) angesprochen: Was bringt uns dazu, bestimmte Bereiche der Wirklichkeit mit bestimmten Methoden zu untersuchen? Darin liegt auch, dass einzelne wissenschaftliche Disziplinen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen und politischen Funktion, sowie ihrer Beweggründe zum Gegenstand kulturwissenschaftlicher Analyse werden können. Wissenschaft selbst ist eine Kulturleistung, die als kulturelles System analysiert werden kann. Geertz, der Rickerts Schrift wohl nicht zur lkenntnis genommen hat, ist mit seiner Unterscheidung kultureller Systeme und der damit einher gehenden Auffassung, dass die moderne Wissenschaft auch Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 19 nur eines von mehreren kulturellen Systemen darstellt, nicht weit von Rickerts Ansatz entfernt. Er argumentiert nicht, wie Rickert, mit der Wertbindung kulturwissenschaftlicher Analyse, sondern mit der Bindung der Naturwissenschaft an die experimentelle Methode. Kulturen lassen sich nicht experimentell untersuchen, weil sie nicht als nachstellbares setting konstruiert werden können. Geertz stellt, gegen das naturwissenschaftliche Paradigma gerichtet, die treffende Frage, was denn das für ein Labor sein soll, wo der Forscher keine einzige Variable manipulieren kann. Welche Kriterien lassen sich nun aber für die Angemessenheit der Interpretation von Kuluren aufstellen? Bei der Beantwortung dieser Frage geht Geertz von der Unterscheidung verschiedener Bereiche der symbolischen Repräsentation aus, die nach dem Schema von Nähe und Ferne grundlegend in solche erster, zweiter, dritter Ordnung usw. eingeteilt werden. Mit „first order“ ist das Wissen, das eine Kultur über sich selbst hat, gemeint, das heißt die sozusagen unmittelbaren symbolischen Systeme, der erfahrungsnahe Bereich. Eine Beschreibung wird demgemäß dann dem beschriebenen Gegenstand adäquat sein, wenn sie in einer Begrifflichkeit gearbeitet ist, die nahe an diesem Bereich angesiedelt ist. Geertz ist sich allerdings der Tatsache bewußt, daß auch seine, von ihm als „Dichte Beschreibungen“ bezeichneten Repräsentationen fremder Kulturen von einer Außenperspektive geschrieben sind und nicht aus der internen Perspektive des beschriebenen Systems oder dessen, der als Handelnder innerhalb dieses Systems dessen Symbolik adaptiert. Das heißt, wir müssen, um das Symbolsystem einer gegebenen Kultur angemessen zu interpretieren, Aufschlüsse über die Interpretantengemeinschaft innerhalb dieser Kultur gewinnen. Sie erinnern sich an die entsprechenden Überlegungen, die wir bei der Behandlung des semiotischen Dreieckes angestellt haben. Wir können nun, ausgehend von der Anaylse von Geertz, besser verstehen, was unter einer solchen Interpretantengemeinschaft gemeint ist: es sind diejenigen, die die basalen Codes in einer Kultur verstehen. • Beispiel: Die Erzählung von Shango und Obatala und ihre Deutung Um dies zu erläutern, bringe ich ein Beispiel, das nicht von Geertz stammt, eine Erzählung, die von Ulli Beier in seinem Buch „Yoruba Myths“ überliefert worden ist: “Obatala decided one day to visit his friend Shango, whom he had not seen for many years. Before undertaking the journey, he went to consult the babalawo (priest of the Ifá-oracle). The babalawo consulted the Ifa oracle and declared that the journey should not be undertaken, for it would result in Obatala’s death. But Obatala longed to see his friend and he asked whether there were not any sacrifices he could bring to make the journey possible. The babalawo finally agreed that Obatala could undertake the journey without risking death, but that in any case it would turn out a disastrous journey, in which much suffering would come to Obatala’s way. The only way to avoid death would be never to complain about anything, never to Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 20 refuse a service, never to retaliate. He would have to carry three white garments, black soap and shea butter. Obatala set out. He walked slowly, because he was old and he supported himself on his pewter staff. After some time. He met Eshu, sitting by the road. He had at his side a large pot of palm oil. Eshu asked Obatala to help him lift on his head. Obatala did so, and Eshu poured the red oil over Obatalas head. But Obatala remembered the babalawo’s advice. He did not complain, went to the river, had a bath, rubbed his body with shea butter and put on a clean gown. He resumed his journey, but Eshu played the same trick on him twice more. First he poured charcoal over him, and then palm-nut oil. Again Obatala tolerated Eshu’s mocking laughter without complaint, took his bath, donned his new robe and walked on. Finally he arrived in Shango’s kingdom. Shango’s horse had run away on that day. Obatala recognised the royal horse-strap and he caught the horse. Just as he was feeding it some ears of corn, Shango’s servants appeared and they accused him of stealing the horse. They dragged Obatala into the city and threw him into prison. Seven years of misfortune followed in Oyo. Drought was ruining the crops. Epidemics killed off the domestic animals. The women were barren. Shango finally consulted Ifa and was told that the cause of all this was that an old man had been wrongly imprisoned. He investigated and finally Obatala was brought before him. Shango immediately recognised his friend. There was a joyful reconciliation. Shango ordered his servants to go and wash Obatala, observing absolute silence as a sign of respect. He dressed him in white robes and sent him home with rich gifts.” • Interpretation der Erzählung • Zunächst, ohne zusätzliches Wissen, haben wir eine Erzählung mit drei Hauptakteuren vor uns: Obatala, Shango und Eshu. Die beiden ersten sind offensichtlich Freunde, der eine beschließt den anderen zu besuchen. Von dem letzteren wissen wir, dass er ein König ist, den es wird von seinem Königreich und seinem königlichen Pferd gesprochen. Also können wir annehmen, dass auch der erstere, sein Freund, ein König ist, weil, als seine Identität schlußendlich aufgedeckt wird, Shango von seinen Dienern Respektsbezeugungen Obatala gegenüber verlangt (und weil wir aus Erfahrung annehmen, dass solche Erzählungen zwischen Gleichgestellten handeln). Das Grundgerüst der handlung ist einfach: Obatala will Shango besuchen, ein Orakel warnt ihn, dass die Reise für ihn tödlich sein kann, er will sie aber trotzdem unternehmen und bekommt vom Orakel Anweisungen, die er zu befolgen hat, um einen guten Ausgang der Reise herbei zu führen. Auf dem Weg spielt der dritte der Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 21 Akteure, Eshu, Obatala einige Streiche. Schlußendlich wird dieser irrtümlich für den Dieb des Pferdes seines Freundes gehalten und ins Gefängnis geworden. Es folgt eine schlechte Zeit: Dürre, Epidemien, Unfruchtbarkeit. Erst als sich – wieder über das Orakel – der Grund dafür in der ungerechten Gefangenschaft eines Unschuldigen heruasstellt, löst sich die Situation. • Wenn wir wissen, dass Obatala, Eshu und Shango Orisha der Yorùbá sind, können wir die Akteure und ihre Handlungen besser verstehen: Obatala ist der Hauptorisha von Ifè, der mythischen Gründungsstadt der Yorùbá-Kultur und Shango der Hauptorisha von Oyo, dem zweiten wichtigen Machtzentrum im Yorubaland. Oyo war die führende militärische Macht zur Zeit der Dominanz der Yorùbá über ihre Heimatregion in Westafrika. Es kann sich also um eine Geschichte handeln, die die Beziehungen von Oyo und Ifè thematisiert: Oyo (durch Shango repräsentiert) mag zwar die militärische Macht haben, muss aber die spirituelle Führungsrolle von Ifè akzeptieren. • Shàngó und Obàtálá stellen, als Orisha, auch unterschiedliche, ja entgegengesetzte Aspekte der Wirklichkeit dar: Shángó, der Blitz- und Donnergott, aufbrausend, kämpferisch, aber auch bereit, einen Fehler einzusehen, Obàtálá, der weißgewandete König, ruhig und demütig, der die Streiche, die ihm Eshu spielt, über sich ergehen lässt, wie es das Orakel empfohlen hat und auch nicht aufbegehrt, als er irrtümlich verhaftet wird. • Diese Gegensätze ziehen sich an, ihr Aufeinandertreffen ist aber auch gefährlich, wie die Geschichte lehrt: sie sollten ihren weg allein gehen. • Andererseits ist für die Wirklichkeit beides grundlegend: mit der Herrschaft von Shàngó allein (während Obàtálá im Gefängnis ist), ist die Welt in einem unausgeglichenen Zustand. Zugleich lehrt die Geschichte, dass Demut allein auch nicht zielführend ist: hätte Obàtálá sich gleich zu erkennen gegeben, wäre die letzte Komplikation erspart geblieben. • Eshu, die Yorùbá-Trickster-Gottheit, verantwortlich für die Kommunikation zwischen den Bereichen der Wirklichkeit (ironischerweise auch in bezug auf das Ifá-Orakel), wird in dieser Geschichte auch porträtiert. • Ebenso wird die zentrale Rolle des Ifá-Orakels hervorgehoben. Diese Dimensionen der Erzählung werden wir besser verstehen, je mehr Information wird über die Akteure, über das Orakel, über die Geschichte der Yorùbá insgesamt haben. Wir müssen also, mit Geertz zu sprechen, den first-order-Bereich der Kultur kennen lernen. Haben wir uns nun der Mühe einer solchen Interpretation unterzogen, resp. die Ergebnisse der Interpretationen von Leuten, die dies getan haben, zur Kenntnis genommen, können wir zur nächsten, allgemeineren Stufe in der kulturwissenschaftlichen Theoriebildung vordringen. Deshalb bleibt Geertz auch nicht einfach bei der Beschreibung von Kulturen im dargelegten Sinne stehen, sondern behauptet, daß die Ethnographie darüber hinaus auch noch allgemeine Bedeutung habe. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 22 Dazu müsse man die aus der dichten Beschreibung geschöpften Erkenntnisse über das Wissen einer Kultur über sich selbst in Beziehungen zu den allgemeinen Kategorien ethnographischer Forschung bringen. Ein Repertoire von sehr allgemeinen Begriffen, wie z.B. „Ritual“ wird in den Korpus dichter ethnographischer Beschreibung eingewoben, ein Verfahren, das dazu dienen soll, bloße Ereignisse wissenschaftlich aussagekräftig zu machen, womit man einen Beitrag dazu leiste, aus der präzisen Beschreibung von Einzelnem zur generellen Einschätzung der Rolle von Kultur im Gefüge des kollektiven Lebens zu gelangen. Damit führen uns die methodologischen Überlegungen von Geertz zu dem grundlegenden Problem der Begriffsbildung innerhalb einer kulturvergleichenden Perspektive. Die Grundfrage des vergleichenden Blickes besteht meines Erachtens darin, wie Kategorien ausgebildet werden können, die in einem erweiterten Kontext aussagekräftig bleiben, und gleichzeitig der kulturellen Vielfalt und Differenzierung gerecht werden, die mittels dieser Kategorien beschrieben werden sollen. Es geht mithin um das Verhältnis von Erfassungsbreite und Trennschärfe der angewandten Kategorien und theoretischen Deutungsmuster. Geertz schlägt vor, die allgemeinen Begriffe der Ethnographen analog zu diagnostischen Begriffen aufzufassen. In der Diagnose wird der Verlauf nicht vorausgesagt, sondern ein Symptom wird interpretiert, um eine Therapie herbeizuführen; allenfalls antizipiert der Diagnostiker, daß jemand an einer gewissen Krankheit erkranken wird. Es handelt sich also um einen Indizienbeweis. Während es aber der Diagnostiker mit Anzeichen – Symptomen - zu tun hat, hat es der Ethnograph mit Symbolen oder Bündeln von Symbolen zu tun. Hier könnte man wiederum eine von Geertz leider nicht beachtete Unterscheidung, die Charles S. Peirce eingeführt hat, anwenden, nämlich zwischen Deduktion, Induktion und Abduktion. Peirce erläutert dies mit seinem berühmten „Bohnenbeispiel“: Die deduktive Methode schließt vom Allgemeinen auf das Besondere, sie beweist, dass aus dem Allgemeinen notwendigerweise der vorliegende besondere Fall folgt. Ein deduktives Urteil würde etwa lauten: (1) „Alle Menschen sind sterblich“ (allgemeine Regel); (2) „Sokrates ist ein Mensch“ (Sonderfall); (3) Also ist Sokrates sterblich (Anwendung der Regel auf den Sonderfall); ähnlich gehen wir vor, wenn wir etwa, wie Peirce erläutert, einen Sack vor uns haben, auf dem steht: „Weiße Bohnen“ und wir davon ausgehen, dass diese Aufschrift richtig ist (etwa, wenn wir selbst den sack gefüllt haben und deshalb wissen, was darin ist). Dann können wir sicher sein, dass, wenn diese Bohnen aus diesem Sack sind, es sich um weisse Bohnen handelt. Die Induktion dagegen kehrt die Deduktion um, sie könnte als Schluss vom Besonderen auf das Allgemeine betrachtet werden: wir nehmen etwa aus einem Sack Bohnen, und diese sind weiß, wir führen den Vorgang beliebige Male mit demselben Ergebnis durch. Aus diesen Fällen bilden wir die allgemeine Regel, dass alle Bohnen aus diesem Sack weiß sind. Das gilt offensichtlich so lange, bis Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 23 ein Gegenfall eintritt. Vollständig wäre die Induktion nur dann, wenn wir alle Bohnen aus dem Sack geprüft hätten, resp. den Sack selbst gefüllt hätten: unsere Regel der Deduktion von oben entspränge dann einer vollständigen Induktion. Beim Beispiel „Sokrates ist sterblich“, wo die Regel ja nur darauf beruht, dass bislang alle Menschen gestorben sind, beruht unsere Deduktion auf einer unvollständigen Induktion. Nebenanmerkung: Anders verhält es sich allerdings bei einer Deduktion wie: „dies ist ein Dreieck, also ist seine Winkelsumme 180 Grad“, denn dieser Schluss folgt aus der Definition des Dreiecks. In bestimmter Hinsicht also daraus, dass wir (die Definierenden), die Bohnen in den Sack getan haben. Die Abduktion schließlich bildet aus einem erklärungsbedürftigen Umstand eine (hypothetische) Regel. In Peirce’s Beispiel: wir finden in einen Raum weiße Bohnen neben einem Sack vor und führen, da sich sonst nichts im Raum befindet, das als Herkunft der Bohnen in Frage kommt, die Regel ein, dass die Bohnen in diesem Sack weiß sind und dann darauf, dass diese Bohnen aus diesem Sack stammen. Dies können wir durch Untersuchung des Sackes zu stützen suchen. So gehen wir vor, wenn wir versuchen, aus Wahrnehmungsurteilen eine allgemeine Regel zu bilden: wir entwerfen eine hypothetische Regel und versuchen, sie durch Induktion abzustützen Wir sehen, jemand, der allgemeine vergleichende Theorien in der Religionswissenschaft einführt, geht nach der Regel der Abduktion, die er durch Induktionen stützt, vor. Der Kulturwissenschaftler im allgemeinen geht ebensowenig wie der Religionswissenschaftler in der Interpretation der Zeichensysteme, die ihm gegeben sind, deduktiv vor. •Die Abgrenzung von präsentativen und diskursiven Symbolen bei Langer und Geertz Anders als Langer das sieht, kann man für Geertz allerdings keine klare Grenze zwischen den einzelnen kulturellen Bereichen ziehen und sie fein säuberlich in präsentative und diskursive Systeme aufteilen: Er sieht die verschiedenen Arten der Symbolisierung eher als Punkte in einem Kontinuum an: er betont, daß Mathematik auch ihren emotionalen Wert habe und Poesie z.B. ihren diskursiven, und der Unterschied zwischen diskursiven und präsentativen Symbolen eher funktionaler als substantieller Natur sei. Er hebt also zwar den emotionalen Anteil der kulturellen Symbolik hervor, unterscheidet aber nicht im strikten Sinn zwischen intellektuell–kognitiven und emotional–intuitiven Symbolen. Weiters unterscheidet er nicht wie Langer zwischen dem Charakter allgemeiner Gültigkeit der diskursiven und Privatheit der präsentativen Symbolik, sondern betont gerade den öffentlichen Charakter und die Kommunizierbarkeit aller kulturellen Symbole. Drittens nimmt er nicht nur die spezifischen Kunstformen in den Blick, sondern auch soziale Ereignisse und alltägliche Formen der Interaktion, wie das berühmte Beispiel seiner Analyse des Hahnenkampfes auf Bali als kulturellem Symbolsystem zeigt. Bei Langer werden Kriterien angegeben, wann in den symbolischen Rahmen eingetreten wird. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 24 Dieser Rahmen gibt die kulturelle Bedeutsamkeit, den Bereich der präsentativen Symbole an, etwa bei dem Besuch eines Theaterstücks oder Films (das Theater, das Kino). Dadurch wird angezeigt, dass es sich um eine kulturell bedeutsame Symbolik handelt. Nun werden aber auch Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs zu kulturellen Symbolen, indem sie als Statussymbol gebraucht werden, als Gegenstand, über den sich der Besitzer in gewisser Weise definiert und mit dessen Gebrauch und Ausgestaltung etc. ein Mehr an Bedeutung verbunden ist, das ihn zu einem kulturellen Symbol macht, das über seinen reinen Gebrauchswert hinausgeht, wie sich schon an der Bedeutung des Designs bei Gebrauchsgegenständen zeigt. Hier ist aber kein Rahmen gegeben, der, wie der Rahmen der Theateraufführung, anzeigt, daß es jetzt primär um die Bedeutung geht, obwohl sich auch hier solche Rahmen bilden: etwa Treffen von Harley–Davidson–Fahrern oder Oldtimer– Automobilklubs. Roland Barthes hat in seinen semiotischen Analysen dessen, was er Mythen des Alltags genannt hat, solche Formen der Mythologisierung untersucht. Er ist allerdings, von einer zweistelligen Relation von Signifikant und Signifikat ausgehend, in diesen Untersuchungen noch von der Idee geleitet gewesen, dass es eine eigentliche Bedeutung im Sinne eines Letztsignifikates gebe, auf der der mythische Sinn parasitär aufsitze. Davon hat er sich später distanziert. Jedenfalls scheint Geertz hier tendenziell richtig zu liegen, da man ja einen fließenden Übergang zwischen Privatbedeutung und öffentlicher Bedeutung konstatieren muß und eine reine Privatbedeutung keinen Anspruch auf kulturelle Signifikanz erheben kann. Geertz macht also auf den fließenden Charakter aufmerksam, der dem Prozess der kulturellen Bedeutsamkeit zugrundeliegt, also der Etablierung eines besonderen Bereiches nach der Analogie des Bebauens und Pflegens. Die Frage nach dem Kriterium für eine solche hatte ja bereits Heinrich Rickert mit dem Wertbegriff zu beantworten versucht. In semiotischer Sichtweise geht die ideographische Beschreibung also darauf hin, die Semiosen in einer Gesellschaft zu beschreiben. Semiose ist, wie ausgeführt, der Prozess der Zeichenentwicklung und des Gebrauches derselben. Es entstehen also innerhalb einer Gesellschaft sozusagen basale Codes, die wiederum von den einzelnen Mitgliedern mehr oder weniger virtuos angewandt werden, die dadurch den Code bereichern. Zunächst etwa haben wir den sprachlichen Code, der aus Zuordnungen von Bedeutungseinheiten zu Bedeutetem besteht, die nach den geschilderten Grundprinzipien der semiotischen Analyse geordnet sind. Darauf ruhen weitere Verwendungen der so hergestellten Zeichen auf, die man als Metaphern, Metonymien, Synekdochen, Allegorien, Gleichnisse, Symbole usw, ansehen kann, die wiederum zu neuem Zeichenvorrat in einer Kultur werden können. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 25 • Die kulturellen Teilbereiche lt. Geertz Zu Geertz zurückkehrend, wollen wir noch auf dessen Beschreibung von verschiedenen, unterschiedlich ausdifferenzierten Bereichen von Symbolsystemen innerhalb einer Kultur eingehen, die ihrerseits selbst als ein Gesamt von Symbolsystemen interpretiert werden kann, wobei er von einem „komplexen System“ spricht, das heterogen und doch zusammenhängend ist. Der Mensch als Kulturwesen kann somit als einer betrachtet werden, der an einem Prozess des Austausches von Symbolen beteiligt ist, Zeichensystemen, die er mit Bedeutung versehen hat. Die grundsätzliche Öffentlichkeit dieses Vorganges führt zur Ausbildung gesellschaftlich anerkannter und verwendeter Symbolsysteme, die zwar prinzipiell ins Unendliche gehen, aufgrund ihres Bezugs auf allgemein menschliche Anliegen jedoch auch gemeinsame Strukturen haben. Die so verfaßten kulturellen Symbolsysteme sind der Gegenstand der Kulturwissenschaft. Bei Clifford Geertz liegt also in semiotischer, kontextueller und interpretativr Ansatz der Erforschung von Kulturen vor: • Semiotisch insofern, als er Kultur als ein System bedeutsamer Zeichen auffaßt • Kontextuell insofern, als die kulturellen Einzelsysteme als auf andere bezogen interprtiert werden • Interpretativ ist Geertz‘ Ansatz insofern, als er der Interpretation zentralen Stellenwert beilegt. • Weiters betont Geertz den wirklichkeitsprägenden Aspekt kultureller Systeme, ihren konstruktiven Charakter, was vor allem in den Arbeiten deutlich wird, in denen einzelne kulturelle Subsysteme in vergleichender Hinsicht untersucht werden, so etwa in „Religion als kulturelles System“ oder „common sense als kulturelles System“. Die denotative Funktion von kulturellen Symbolen beschränkt sich demnach nicht darauf, ein Modell von etwas zu liefern, eine Abbildung von Prozessen in einem anderen Medium, also Zeichen, die etwas bedeuten (linguistische, mechanische, graphische Darstellungen), sondern muß auch als ein Modell für etwas verstanden werden, als ein Verhalten, das eine Information übermittelt, die neues Verhalten prägt. Ein solches Modell ist etwa die beim Lernen durch Prägung angewandte Vorführung einer Verhaltensweise. Kulturelle Systeme wie „Religion“ sind demnach sowohl Modelle von etwas: dem sozialen und kulturellen Kontext, der symbolisiert wird, als auch Modelle für etwas, indem sie diesen Kontext prägen. Die Feststellung eines solchen kulturellen Eigenbereichs, der quer durch verschiedene „Kulturen“ als vergleichbar identifiziert wird, wird dabei eher nicht aufgrund eines zuvor definierten und ontologisch verankerten Wesensbegriffes deduktiv etabliert. Das hervorragende Merkmal über das die Gemeinsamkeit festgestellt wird, liegt lt. Geertz in einer Übereinstimmung des Stils, der Bereich wird von der Haltung her verstanden, die darin eingenommen und tradiert wird und nicht nur eine denotativ abbildende, sondern eine Konnotationen prägende, wirklichkeitskonstitutive Funktion hat. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 26 Den geschichteten Bereich der einzelnen Kultursysteme beschreibt er mit dem Wittgenstein entlehntem Bild einer alten Stadt, an die Vororte angebaut werden. Dieses Bild dient auch dazu, die unterschiedlichen Strukturen verschiedener Kulturräume zu illustrieren. Unter solchen öffentlichen Symbolsystemen finden sich in seinen Schriften unter anderem die Common-sense-perspektive, die sozusagen das enthält, was in einer jeweiligen Kultur als die gmeinsame Grundlage der Geeissheiten angesehen wird. Geertz, der einen eher kulturrelativistischen Standpunkt vertritt und auch verteidigt, geht aber davon aus, dass „common sense“ eher durch die Einstellung, als durch den Inhalt geprägt ist, sich somit auch von Gesellschaft zu Gesellschaft unterscheidet. In diesem Sinne werden in der common-sense-Perspektive die Gegenstände und Prozesse der alltäglichen Welt als das genommen, was sie zu sein scheinen, und die Haltung dieser Welt gegenüber ist die pragmatische, in ihr seine Ziele zu verfolgen. Die Alltagswelt besteht aber auch als und durch von Generation zu Generation weitergegebenen symbolischen Vorstellungen darüber, was die Wirklichkeit ist. Geertz zeigt, wie in verschiedenen kulturellen Kontexten inhaltlich sehr unterschiedlich geprägte Versionen des common-sense zu finden sind, deren Vergleichbarkeit auf den genannten stilistisch-haltungsmäßigen Übereinstimmungen aufruht (etwa Zwitter!). Die übrigen kulturellen Systeme haben nach Geertz die Gemeinsamkeit, dass sie alle eine Suspendierung dieser alltäglichen Haltung bedeuten. Die wissenschaftliche Einstellung ist nach Geertz geprägt durch wohlerwogenen Zweifel und systematische Überprüfung, Verzicht auf das pragmatische Motiv zugunsten objektiver Beobachtung, Die wissenschaftliche Einstellung zweckt darauf ab, die Welt methodisch zu analysieren. Was Geertz hingegen als die ästhetische Einstellung beschreibt, sieht von den Dingen in der Bedeutung, die sie in der Alltagswelt haben, ab und beschäftigt sich mit den Dingen als solche, abgesehen von ihrer praktischen Bedeutung: natürlich ist ein Theater ein Wirtschaftsbetrieb, ein Ort, wo man Karriere macht, vollgestopft mit praktischen Bedeutungen (Sessel, um zu sitzen, etc.) dennoch ist der Sinn des Theaterbesuchs der Eintritt in eine eigene Sphäre symbolischer Bedeutung, in der von der alltäglich–pragmatischen Bedeutung abgesehen wird. Die ideologische Einstellung Die religiöse Einstellung: ist von der common-sense Perspektive dadurch unterschieden, daß sie die Alltagswelt nicht für die ganze Wirklichkeit nimmt, sondern zu umfassenderen Realitäten vordringen will, die die Alltagswelt korrigieren und ergänzen. Es geht ihr lt. Geertz nicht darum, auf die umfassenderen Realitäten einzuwirken, sondern um den Glauben an sie. Sie hat also mit den wissenschaftlicher und ästhetischer Perspektive das Heraustreten aus der common-sense Perspektive gemein. Von der wissenschaftlichen Perspektive unterscheidet sie sich dadurch, daß nicht der institutionalisierte Zweifel der wissenschaftlichen Weltbetrachtung an der Realität der Alltagswelt, wie sie in der common-sense Perspektive erfahren wird, grundlegend ist, sondern die alleinige Gültigkeit der Common–Sense–Perspektive aufgrund umfassenderer Wahrheiten, die Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 27 nichthypothetisch sind, in Frage gestellt wird. „Hingabe, nicht Distanz, Begegnung, nicht Analyse“. Von der ästhetischen Perspektive unterscheidet sich die religiöse schließlich durch die „Aura der Faktizität“, die sie erzeugt. Der Glaube an die autoritative Instanz, der in der Religion wirksam ist, verleiht den religiösen Handlungen also die Aura von Faktizität, ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit - für den Gläubigen - begründet, und dies geschieht lt. Geertz in symbolischen Handlungen, nämlich Ritualen. An der ideologischen Perspektive hebt er den moralischen eifer hervor. 3.5.3.4. Zum psychoanalytischen Symbolbegriff bei Freud und Jung in Bezug auf die Interpretation von künstlerischen und religiösen Symbolsystemen In gewisser Weise ist mit Cassirer, Langer und Geertz eine durchgängige Systematisierung des Symbolbegriffs erreicht, der es erlaubt – unter Einbezug der Ergebnisse der semiotischen Forschung und der laufenden semiotischen Diskussion – in einem präzisen Sinn davon zu sprechen, dass Religionen Systeme von Symbolen sind. Offensichtlich tendieren Symbolsysteme entweder stärker auf die präsentative oder stärker auf die diskursive Seite hin. Kunst ist deutlich stärker präsentativ, der wissenschaftliche Diskurs deutlich stärker diskursiv im Sinne Langers ausgeprägt. Die Systeme Kunst, Religion und Wissenschaft haben eine Distanzierung des unmittelbar zur Orientierung im Dasein dienlichen Bezuges an sich. Gerade in der Religion wird man aber ein Ineinander von diskursiver und präsentativer Symbolisierung finden, haben Religionen doch auf der einen Seite den Sinn, letzte Antworten über das Wesen der Welt und unsere Bestimmung darin zu geben und haben entsprechend auch diskursive Systeme wie Lehrschriften u. Ä. ausgebildet, sind aber andererseits stark von präsentativer Symbolik geprägt, die deutlich emotionale Besetzung aufweist. Offensichtlich ist unabhängig von einer universalen zeichentheoretischen Interpretation der Religionen, die man einfach als semiotischen Ansatz in der Religionswissenschaft bezeichnen könnte, der eigentliche Bereich der Religionsästhetik als der Beschäftigung mit der sinnlichen Seite der Religion die Welt der präsentativen Symbole. Man wird sich nun die Frage stellen können, was denn den Grund unseres Vergnügens an einer Welt präsentativer Symbolik, die zur Bewältigung der unmitelbaren Probleme des Daseins nicht notwendig scheint, abgibt. Mit anderern Worten: warum der Mensch solche präsentativen Zeichensysteme ausbildet. Sehen wir auf die Geschichte des Zeichen- und Symbolbegriffes, die ich sehr gerafft vorgetragen habe, zurück, so erkennen wir eine Spannung zwischen der Favorisierung der diskursiven Seite des menschlichen Weltverhältnisses und der Thematisierung der präsentativen Seite. Erstere neigt zu einer Abwertung von Mythos, Metaphorik, Poesie und Kunst zur Vorstufe der eigentlichen Vollkommenheit des Menschen im theoretischen Weltverhältnis, letztere umgekehrt zu einer Abwertung des bloß diskursiven, bis hin zu dem, was man als „Irrationalismus“ bezeichnen könnte. Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 28 Dies kann man sehr schön an der Bewertung der präsentativen Seite in der Frage nach dem Verhältnis von allegorischer und symbolischer Darstellung sehen. Unabhängig davon, wie im einzelnen diese Termini verwendet werden, geht es um die Frage, ob die künstlerisch-präsentative Seite bloß eine Art ist, das auf diskursivem Weg zu Erhebende anders zu sagen, oder ob die präsentative Symbolik Ausdruck einer übergreifenden Wirklichkeit ist, die auf diskursivem Wege nie eingeholt werden kann. Die romantische Aufwertung des Symbolischen nimmt offensichtlich Stellung für die letztere Option. Wie in der letzten Vorlesung hervorgehoben, finden wir in diesem Kontext auch die Einführung des Unbewußten (etwa über das Symbol des Dionysischen) als der eigentlichen schöpferischen Dimension im Menschen. Dieser Ausdruck deutet bereits das etwa von Götz Pochat konstatierte Fortleben des romantischen Symbolbegriffes in der Psychoanalyse an, die eine Erklärung für die präsentativen Symbolisierungsleistungen des Menschen aus dem Verhältnis des Unbewußten zum Bewußten gibt. Hat Sigmund Freud das Programm einer Entmythologisierung des Unbewußten betrieben, kann man, grob gesprochen, bei seinem Schüler und Apostaten Jung, der von einigen Autoren in die Geschichte der Religionswissenschaft gerechnet wird, von einer „Remythologisierung“ durch die Archetypenlehre sprechen. •Freud Sigmund Freud hat sich mit den Symbolisierungsleistungen des Menschen in seiner Analyse von psychischen Fehlfunktionen im klinischen Sinn wie im Alltag, im Traumleben, in Kunst, Kleinskunts (der Witz) und Religion beschäftigt. Es kann hier nicht um eine Diskussion der Einzelheiten von Freuds Analysen auf den jeweiligen Gebieten gehen. Die grundlegende Idee Freuds bei allen diesen Analysen liegt darin, dass der Mensch sich als Kulturwesen in einem Konflikt zwischen seinen primären Triebregungen und der gesellschaftlichen Zensur befindet, als seelische Instanz im sogenannten „Über-Ich“ symbolisiert. Diejenigen Gedanken und Wünsche, die sich nicht direkt Ausdruck verschaffen können, suchen unter Umgehung oder Überlistung der Zensur einen indirekten Ausdruck zu finden. Freud geht dabei vom Begriff des Symptoms aus, eines indizierenden Zeichens also. Im medizinischen Sinn ist das Symptom Indikator einer Krankheit. Nicht die Ursache der Krankheit selbst zeigt sich in den Krankheitssymptomen, sondern aus diesen kann das Vorliegen einer Krankheit erschlossen werden, etwa aus den steifen, kurzen, zappeligen Bewegungen und dem starren Mienenspiel des älteren Herrn Morbus Parkinson. Wir unterscheiden ja in der Therapie auch zwischen Maßnahmen, die bloß die Symptome abschwächen und solchen, die die Krankheit selbst bekämpfen. Freud interpretiert nun bekanntlicher Weise Fehlleistungen, unerklärliches Verhalten wie etwa Waschzwang oder Phobien als Symptome eine psychischen Konfliktes, der sich auf einer Ebene des Seelenlebens abspielt, den er „Unbewußtes“ nennt. Diese Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 29 Betrachtung dehnt er in seinem Bekannten Werk „Die Traumdeutung“ (1900, eigentlich 1899) auf die Analyse des Traumlebens aus. In seiner Selbstdarstellung (GW XIV) bezeichnet er die Befassung mit dem Traumleben als den bedeutenden Schritt der Psychoanalyse, mit dem sie von einer Hilfswissenschaft der Psychopathologie zu einer Methode umfassender Seelenkunde geworden sei: „Der überragende Wert der Traumdeutung [...] liegt aber nicht in der Unterstützung, die sie der analytischen Arbeit leihen, sondern in einer anderen Eigenschaft derselben. Bisher hatte die Psychoanalyse sich nur mit der Auflösung pathologischer Phänomene beschäftigt [...] Der Traum aber, den sie dann in Angriff nahm, war kein krankhaftes Symptom, er war ein Phänomen des natürlichen Seelenlebens, konnte sich bei jedem gesunden Menschen ereignen. Wenn der Traum so gebaut ist wie ein Symptom, wenn seine Erklärung die nämlichen Annahmen erfordert, die der Verdrängung von Triebregungen, der Ersatz- und Kompromißbildung, der verschiedenen psychischen Systeme zur Unterbringung des Bewußten und Unbewußten, dann ist die Psychoanalyse nicht mehr eine Hilfswissenschaft der Psychopathologie, dann ist sie vielmehr der Ansatz zu einer neuen und gründlicheren Seelenkunde, die auch für das Verständnis des Normalen unentbehrlich wird. Man darf ihre Voraussetzungen und Ergebnisse auf andere Gebiete des seelischen und geistigen Geschehens übertragen; der Weg ins Weite, zum Weltinteresse, ist ihr eröffnet.“ (GW XIV, 73) Diese Bedeutung des Symptoms hebt Freud auch in der neuen Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse (1933) hervor, in der 31. Vorlesung, die den Aufbau der psychischen Struktur des Menschen behandelt. Denn die Psychoanalyse hat am Symptom ihre Arbeit begonnen. Lt. Freud kann man eine topische Auffassung des Seelenlebens von einer dynamischen unterscheiden. In der topischen Betrachtungsweise wird das Seelenleben in „Orte“ eingeteilt, die bekannten Instanzen Ich, Es und Über-Ich. In diesem Modell steht das Ich, die bewußte autonom handelnde Persönlichkeit des Menschen, zwischen den Ansprüchen des Trieblebens, „Es“ genannt und den Ansprüchen der Realität und der sozialen Außenwelt, die im Laufe der seelischen Entwicklung interiorisiert worden sind und als zensierende psychische Instanz gewisse Regungen unterbinden, die deshalb nicht zum Bewußtsein kommen können. Sie werden also verdrängt. Das Symptom im psychoanalytischen Sinn stellt nun die Art der Präsenz des Verdrängten im Bereich des Ich, des Bewußten dar. Somit reicht das Ich ins Es, ist nicht gleichzusetzen mit dem Bewußten. Ebenso ist das Über-Ich nicht einfachhin mit einer Instanz des Bewußtseins zu identifizieren. Das Unbewußte selbst kann nun entweder bloß latent unbewußt sein, dann spricht Freud vom Vorbewußten im deskriptiven Sinn, oder aber dauerhaft Unbewußtes, etwas, was von der Zensur vom Bewußtwerden ausgeschlossen ist. Hier spricht Freud vom Unbewußten im dynamischen Sinn. Zum topischen System der Psyche kommt ein dynamisches System, das die Art und Weise, wie Inhalte der psychischen Tiefendimension, des Unbewußten, zum Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 30 Bewußtsein gelangen können, behandelt. Der als „Es“ bezeichnete Anteil am seelischen Leben des Menschen, der dunkle, unzugängliche Teil des Seelenlebens, der nur aus der Symptombildung erschlossen werden kann, ist an seinem Ende sozusagen offen zum somatischen hin: es ist Ausdruck der Triebwelt, von der her es sich mit Energie erfüllt. Es steht unter der Herrschaft des Lustprinzips. Das Ich kann demgegenüber als eine Art Oberflächenfunktion des Es angesehen werden, dem die Aufgabe zufällt, die Ansprüche der Triebbefriedigung von seiten des Lustprinzips so einzudämmen, dass es in seinem Bestreben nach Befriedigung nicht der Vernichtung anheimfällt. Es vertritt sozusagen im Auftrag des Es diesem gegenüber das Realitätsprinzip, es hat „zwischen Bedürfnis und Handlung die Denkarbeit eingeschaltet“. Das Ich befindet sich nun in ein einer bedauernswerten Lage, dass es nämlich von drei Herren zugleich regiert wird, deren Ansprüche es erfüllen muss: vom Realitäts- und vom Lustprinzip und zugleich auch von der verinnerlichten Autoritäsbeziehung (der introjizierten Elternimago), als die das Über-Ich aufgefaßt werden kann. Zu beachten ist, dass Freud den Modellcharakter dieser Beschreibung hervorhebt. Das Ziel der Psychoanalyse liegt lt. Freud nun darin, die Position des Ich in diesem Kräftespiel zu stärken; ich zitiere: „Ihr Absicht ist es ja, das ich zu stärken, es vom Über-Ich unabhängiger zu machen, sein wahrnehmungsfeld zu erweitern und seine Organisation auszubauen, sodaß es sich neue Stücke des es aneignen kann. Wo Es war, soll ich werden.“ Der Präsenz des Verdrängten im Bewußtsein des Neurotikers in der Form von symptomatischen Handlungen, Befürchtungen und Ähnlichem entspricht nun die Symbolisierungsleistung auch im gesunden Seelenleben, etwa im Traum oder in der Kunst. Dies Bildungen repräsentieren also das unbewußte Seelenleben, indem sie einen Weg finden, den Lustanspruch der Triebebene so zu erfüllen, dass es dabei zu keinem Konflikt mit dem Über-Ich kommt, in verkleideter, illusorischer Gestalt. Dieser Vorgang wird Sublimierung geheissen. Deshalb ist bei der Analyse dieser Bildungen auch ein Widerstand von seiten der verdrängenden Instanzen zu überwinden. Wichtig ist, dass Freud in der Analyse der Träume immer die Privatsprache des Träumenden einbezieht. D.h., unabhängig davon, ob ihm dies stets gelungen sein mag, geht er von einer dreistelligen Relation zwischen Traumbild, Codierungsmöglichkeiten qua Sprache und Symbolisiertem aus und nicht von einer zweistelligen realtion von symptom und angezeigtem Inhalt. Dadurch unterschiedet sich etwa die Traumdeutung der Psychoanalyse vom „ägyptischen Traumbuch“. Ein Hahn etwa bedeutet nicht immer „Geld“, sondern die Bedeutung des Bildes ist in gewisser Weise von der Sprache des Träumenden abhängig. Stekel!: „Die Sprache des Traumes“: transkulturelle Traumbilder. Freud vergleicht dies in der Traumdeutung mit einem Rebus. In der Religionstheorie Freuds, auf die ich hier nicht umfassend eingehen kann, denn dazu müsste man das Verhältnis zu den Theorien über den Animismus von E. Burnett Tylor und den totemistischen Theorien von W. Robertson Smith Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 31 und James G. Frazer heranziehen, in der Religionstheorie Freuds spielt jedenfalls diese Art der Symptombildung auch eine bedeutende Rolle, Freud führt in seiner Schrift „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“ den Ausdruck der „Metapsychologie“ ein, um damit „die Projektion innerpsychischer Vorgänge in die Aussenwelt“ zu bezeichnen. Die religiöse Weltanschuung ist nun nach ihm gerade ein solcher Projektionsvorgang: ein innerer Konflikt, resp. dessen illusorische Lösung via Sublimierung werden in die Außenwelt projiziert. Das heißt, die religiöse Symbolwelt ist ebenso wie die künstlerische letztlich dechiffrierbar auf psychische Konflikte hin, die sich aus der Notwendigkeit der Anpassung der eigenen Ansprüche (Lustprinzip) an die von der Aussenwelt erfahrenen Widerstände gegen dieselben (Raelitätsprinzip) ergeben. Freud nimmt im Zusammenhang mit seinen Spekulationen über die Entstehung der Religion und ihrer Rolle in der kulturellen Entwicklung der Menschheit auch die von der Evolutionstheorie getroffene Unterscheidung zwischen Phylogenese und Ontogenese auf und ordnet Religion einem frühen Stadium der Phylogenese zu, wobei er auch die von Tylor eingeführte Rede von den „Überlebseln“, der Präsenz von Vorstellungen früherer kultureller Entwicklunsgstufen etwa im Aberglauben, aufnimmt. Freilich scheint eine solche Konstruktion im Gegensatz zu dem an der Methode der Traumdeutung hervorgehobenen Verfahren, wieder einige transkulturelle Gemeinsamkeiten, auf phylogenetischer Ebene, einzuführen. • Jung Freuds Schüler Carl Gustav Jung hat sich nun gegen die bei Freud wohl anzutreffende Identifizierung von Symbol und Symptom gewandt. Er knüpft in gewisser Weise an die ästhetische Tradition der Romantik wieder an, die die Ausdrucksdimension des Kunstwerkes in den Mittelpunkt gestellt hatte. Für die Romantiker erhielt das künstlerische Symbol seine Bedeutung aus den unbewußten, dunklen Persönlichkeitsschichten und der Natur. Auch für Jung stammt das künstlerische Symbol aus diesen psychischen Tiefendimensionen, doch hilft es zugleich, durch seine rationale Deutung, Ausgleich zwischen den Seelenkräften zu schaffen. Wie Freud geht er somit davon aus, dass das Bewußtsein in gewissem Sinne ein Oberflächenphänomen über einer tieferen Schicht seelischer Kräfte ist. In der Geschichte der Menschheit seien aber Formen entworfen worden, wie die Religionen, die kulturellen Systeme usw., die zur Bändigung dieser Kräfte, die Jung auch mit einem Vulkan vergleicht, dienten. Jung kritisiert an Freud dessen zu starke Fixierung der seelischen Kräfte auf den Sexualtrieb, auf die Fortpflanzung. Er bezieht sich, wie Freud, auch auf die phylogenetische Ebene, allerdings in deutlich anderer Sichtweise. Er will das Symbol nicht als bloßes Symptom eines psychischen Konfliktes verstanden wissen, sondern als Ausdruck eines „psychisch komplexen Verhältnisses, das zunächst vom Bewußtsein noch nicht klar erfaßt worden ist“. Er sieht in diesen psychischen Kräften eine Energie, die über die rein biologische Funktion hinausgehe („Exzeß-libido“), und Hödl. Religionsaesthetik (WS 04/05), Teil IV 32 die besondere Formen dieser Symbolisierungsleistung ausgebildet hätte. Durch Vergleich von Träumen, Visionen. Mythen und religiösen Symbolisierungen kommt er zu dem Schluß, dass es Grundformen oder Grundmuster dieser besonderen menschlichen Art des Fühlens und Formens gäbe, die er als Archetypen bezeichnet. Etwa die Persona, der Schatten, das Selbst. Diese ursprünglichen Bilder, oder Urbilder, gehören einer allgemein verbindlichen psychischen Dimension an, die Jung auf phylogenetischer Ebene ansiedelt und das kollektive Unbewußte nennt. So kann man die Vielfalt der historisch vorfindbaren mythischen, religiösen, bildlichen und anderer Symbolsysteme auf Grundformen zurückführen, in denen sich der Drang des Individuums nach symbolischer Repräsentation der unbewußten Kräfte ausdrückt. Somit wird eine umfassende Funktion des Symbols im Jungschen Sinn für die Orientierung des Menschen im Dasein behauptet. Es hebt unbewußte Schichten ins Bewußtsein, ohne dass diese erschöpfend in diskursive Symbolsysteme umgesetzt werden könnten. Jung selbst hat sich intensiv mit Vertretern der Religionswissenschaft, insb. mit Autoren wie van der Leeuw. Mircea Eliade, oder Karl Kerényi, auseinandergesetzt und Interpretationen von Mythen, religiösen Schriften und Symbolen gegeben, wobei ein besonderes Interesse an Themen wie Gnosis und Alchemie zu konstatieren ist.