Werther Was war für Goethes Zeitgenossen im Jahre 1774 an der Darstellung des Selbstmordes so empörend? Werther Als der Medikus zu dem Unglücklichen kam, fand er ihn an der Erde ohne Rettung, der Puls schlug, die Glieder waren alle gelähmt. Über dem rechten Auge hatte er sich durch den Kopf geschossen, das Gehirn war herausgetrieben. Man ließ ihm zum Überfluß eine Ader am Arme, das Blut lief, er holte noch immer Atem. Aus dem Blut auf der Lehne des Sessels konnte man schließen, er habe sitzend vor dem Schreibtische die Tat vollbracht, dann ist er heruntergesunken, hat sich konvulsivisch um den Stuhl herumgewälzt. Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, war in völliger Kleidung, gestiefelt, im blauen Frack mit gelber Weste. 133 Wird die Tat bejaht? zugleich als moralisch notwendig und als illegitim 1812 an Zelter, Wenn das taedium vitae den Menschen ergreift, so ist er nur zu bedauern, nicht zu schelten. Daß alle Symptome dieser wunderlichen, so natürlichen als unnatürlichen Krankheit auch einmal mein Innerstes durchrast haben, daran läßt Werther wohl niemand zweifeln. Lebensüberdruss, Lebensekel nicht einstimmig Unterscheiden sollte man 1. zwischenWerthers grundsätzlicher Auffassung zur Selbsttötung, wie er sie Albert gegenüber vertritt, und der Begründung seiner eigenen Selbsttötungshandlung; 2. zwischen Werthers eigener Perspektive und der Perspektive des fiktiven Herausgebers seiner Briefe. Werther gegen Albert, gegen die Besserwisser und Morlisten ›Die menschliche Natur‹, fuhr ich fort, ›hat ihre Grenzen: sie kann Freude, Leid, Schmerzen bis auf einen gewissen Grad ertragen und geht zugrunde, sobald der überstiegen ist. Hier ist also nicht die Frage, ob einer schwach oder stark ist, sondern ob er das Maß seines Leidens ausdauern kann, es mag nun moralisch oder körperlich sein. Und ich finde es ebenso wunderbar zu sagen, der Mensch ist feige, der sich das Leben nimmt, als es ungehörig wäre, den einen Feigen zu nennen, der an einem bösartigen Fieber stirbt. Eine Krankheit zum Tode »Du gibst mir zu, wir nennen das eine Krankheit zum Tode, wodurch die Natur so angegriffen wird, daß teils ihre Kräfte verzehrt, teils so außer Wirkung gesetzt werden, daß sie sich nicht wieder aufzuhelfen, durch keine glückliche Revolution den gewöhnlichen Umlauf des Lebens wieder herzustellen fähig ist.“ Jesus über Lazarus, Joh. 11,4 Die kranckheit ist nicht zum tode / sondern zur ehre Gottes / das der Son Gottes da durch geehret werde. Werthers Wissen um die Unbezähmbarkeit seiner Gefühle für Lotte »Ich habe dir übel gelohnt, Albert, und du vergibst mir. Ich habe den Frieden deines Hauses gestört, ich habe Mißtrauen zwischen euch gebracht. Lebe wohl! ich will es enden. O daß ihr glücklich wäret durch meinen Tod!« l»Ja Lotte! warum sollte ich es verschweigen? Eins von uns dreien muß hinweg, und das will ich sein! O meine Beste! in diesem zerrissenen Herzen ist es wütend herumgeschlichen, oft deinen Mann zu ermorden! - dich! -mich! - So sei es denn!« Werther über sich selbst Albert: Denn freilich ist es leichter zu sterben, als ein qualvolles Leben standhaft zu ertragen.« »Mein Freund,« rief ich aus, »der Mensch ist Mensch, und das bißchen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen. Vielmehr – Ein andermal davon...« Der Herausgeber: Unmut und Unlust hatten in Werthers Seele immer tiefer Wurzel geschlagen, sich fester untereinander verschlungen und sein ganzes Wesen nach und nach eingenommen. Die Harmonie seines Geistes war völlig zerstört, eine innerliche Hitze und Heftigkeit, die alle Kräfte seiner Natur durcheinanderarbeitete, brachte die widrigsten Wirkungen hervor und ließ ihm zuletzt nur eine Ermattung übrig, aus der er noch ängstlicher empor strebte, als er mit allen Übeln bisher gekämpft hatte. Die Beängstigung seines Herzens zehrte die übrigen Kräfte seines Geistes, seine Lebhaftigkeit seinen Scharfsinn auf, er ward ein trauriger Gesellschafter, Nicolai auf Werthers Grabe. »Freuden des jungen Werthers« Ein junger Mensch, ich weiß nicht wie, lStarb einst an der Hypochondrie lUnd ward denn auch begraben. lDa kam ein schöner Geist herbei, lDer hatte seinen Stuhlgang frei, lWie's denn so Leute haben. lDer setzt' notdürftig sich aufs Grab lUnd legte da sein Häuflein ab, l»Der gute Mensch, wie hat er sich verdorben! lHätt er geschissen so wie ich, lEr wäre nicht gestorben!«