Hartz IV hat mich wachgerüttelt * * * * * Feedback Anzeige 2004 gab es ein Revival von Klimbim auf der Bühne. Doch es währte nicht lange, dann starben Horst Jüssen sowie Elisabeth Volkmann und Peer Augustinski erlitt einen Schlaganfall. Wichart von Roëll ist heute neben mir der Einzige, der von der Truppe noch lebt. Jedenfalls wurde das Tournee-Aus für mich zur Katastrophe: Ich hatte Geldnot, meine Beziehung ging kaputt, ich musste umziehen. Ich schlitterte in eine handfeste Depression, war innerlich wie äußerlich eingefroren. Lebte nicht, sondern überlebte nur. Ich ging vier Monate in eine Klinik, habe aber im Grunde keine Therapie gemacht. Ich wusste ja, was in meiner Kindheit passiert war und was ich als junge Frau erlebt hatte. Das musste mir keiner mehr erzählen. Deshalb habe ich eher den Arzt therapiert als der mich. All das kostete abermals viel Geld. Meine Einnahmen wurden zu dieser Zeit umgehend vom Finanzamt gepfändet. Ich schob alles beiseite, auch die Post. Ich bin ein Mensch, der grundsätzlich nichts mit Papieren zu tun haben will. Das wurde mir zum Verhängnis, da ich auch keine Rechnungen mehr bezahlte, die Räumungsklage übersah und aus meiner Wohnung flog. Ich musste meine Lebensversicherung auflösen und hatte nichts mehr. Die Abwärtsspirale begann sich immer schneller zu drehen und riss mich mit. Dass Ingrid Steeger Kult war, davon konnte ich nicht leben. Außerdem befand sich meine Seele unverändert in einer Art Wachkoma. 2010 bezog ich für vier Monate Unterstützung vom Amt. Das war ein Schock. Aber es war auch ein Segen, weil ich in der Zeitung lesen musste: "Ingrid Steeger verarmt, lebt von Hartz IV". Das hat mich wachgerüttelt und mir gezeigt, dass ich mein Leben endlich selbst in die Hand nehmen musste. Bereits vier Monate später konnte ich wieder voll für mich bezahlen und brauchte die Stütze nicht mehr. Anzeige Als ich 65 Jahre alt war, hatte ich in dem sehr erfolgreichen Theaterstück Gatte gegrillt erstmals in meinem Leben eine Rolle, die mich befriedigte. Eine rabenschwarze, makabre Komödie mit ernstem Kern, die ich zu gerne nochmals spielen würde, wenn denn ein Angebot dazu käme. Heute bekomme ich eine kleine Rente und manage mich nach einigen Enttäuschungen inzwischen selbst. Auf die Bühne könnte ich nicht verzichten. Ich stehe da, weil ich es finanziell noch muss und dem Publikum Spaß bringen möchte. Mit jeder erfolgreichen Vorstellung habe ich das Gefühl, stärker und selbstbewusster zu werden. In den vergangenen vier Jahren habe ich 570 Mal den Kurschatten in München, Berlin, Düsseldorf, Köln, Frankfurt, Hamburg und sonst wo gespielt. Jeweils für zwei Monate in einer anderen Stadt. Dann wieder Sei lieb zu meiner Frau in Kassel. Ich spiele da, wo man mich will. Im Grunde bin ich ein Stehaufmännchen Ich bin immer den Männern gefolgt, zog nach Hamburg, München, Zürich, wohnte fünf Jahre bei Paris und in Kenia. München war immer mein Zufluchtsort. Aber jetzt will ich wieder weg: nach Kassel, Bremen - oder was weiß ich wohin. Weil ich etwas Neues brauche. Ich bin zwar 70, aber ein kleiner Floh. Ich würde es heute niemandem mehr empfehlen, Schauspieler zu werden, weil es einfach zu viele davon gibt. Ich würde es ja selbst nicht mehr wollen. Auch möchte ich nicht mehr jung sein, dazu war mir mein Leben zu anstrengend. Und ich mag Männer, aber auch die können mir heute alle gestohlen bleiben. Seit fast neun Jahren bin ich absoluter Single, weil ich Angst davor habe, wieder Dinge zu machen, die ich eigentlich nicht machen möchte. Ich denke, ich bin erstmals in meinem Leben selbstbestimmt. Mit 70 glaube ich einfach nicht mehr an die große Liebe. Na ja, vielleicht wenn ich einen Schwulen kennenlerne, der mich heiratet, dann nehme ich den. Ich habe fast alles gehabt, fast alles verloren und war in einem relativ hohen Alter gezwungen, noch einmal ganz von vorn anzufangen. "Wenn" und "hätte" habe ich weitgehend aus meinem Wortschatz gestrichen, sie stehen für eine unerfüllte Vergangenheit, die ich nicht mehr ändern kann. Bei Google habe ich einen Satz gefunden: "Wer nie am Abgrund steht, dem wachsen keine Flügel." Er passt zu mir. Hinfallen kann man öfters, aber Aufstehen ist Pflicht. Im Grunde bin ich ein Stehaufmännchen. Muss ja. Was soll ich auch da unten liegen bleiben?