Frau Peachum: Na, ihr seht ja aus wie von der Stange gefallen. Ihr kommt wohl wegen dem Geld für euren Macheath? Also, ihr bekommt gar nichts, versteht ihr, gar nichts. Jenny : Wie dürfen wir das verstehen, gnädige Frau ? Frau Peachum: Mir auf die Bude zu rücken mitten in der Nacht! Drei Uhr früh in ein anständiges Haus zu kommen! Ihr solltet euch lieber ausschlafen von eurem Gewerbe. Aussehen tut ihr wie gespiene Milch. Jenny: So, wir können also unser kontraktliches Honorar dafür, daß wir Herrn Macheath dingfest gemacht haben, nicht bekommen, gnädige Frau ? Frau Peachum: Ganz richtig, einen Dreck bekommt ihr und keinen Judaslohn. Jenny: Und warum, gnädige Frau? Frau Peachum : Weil dieser saubere Herr Macheath wieder in alle Winde verstreut ist. Darum. Und jetzt marsch aus meiner guten Stube, meine Damen. Jenny: Also, das ist doch die Höhe. Machen Sie das nur nicht mit uns. Das möchte ich Ihnen gesagt haben. Mit uns nicht. Frau Peachum: Filch, die Damen wünschen hinausgeführt zu werden. Filch geht auf die Damen %u, Jenny stößt ihn fort. Jenny: Ich möchte Sie doch bitten, Ihre dreckige Fresse zu halten, sonst könnte es passieren, daß... Auftritt Peachum. Peachum: Was ist denn los, du hast ihnen doch hoffentlich kein Geld gegeben, na, wie ist's, meine Damen? Sitzt der Herr Macheath oder sitzt er nicht ? Jenny: Lassen Sie mich mit Ihrem Herrn Macheath in Ruhe. Dem können Sie nicht das Wasser reichen. Ich habe heute nacht einen Herrn weggehen lassen müssen, weil ich in die Kissen weinte, als ich daran denken 106 mußte, daß ich diesen Gentleman an Sie verkauft habe. Ja, meine Damen, und was glauben Sie, was heute morgen geschah? Vor noch nicht einer Stunde, ich hatte mich eben in den Schlaf geweint, pfiff es, und auf der Straße stand eben dieser Herr, um den ich geweint hatte, und wünschte, daß ich ihm den Schlüssel herunterwerfe. In meinen Armen wollte er mich die Unbill vergessen machen, die ich ihm zugefügt habe. Das ist der letzte Gentleman in London, meine Damen. Und wenn unsere Kollegin Suky Tawdry jetzt hier nicht mitgekommen ist, dann ist es, weil er von mir noch zu ihr ging, um auch sie zu trösten. Peachum vor sich hin: Suky Tawdry... Jenny: So, jetzt wissen Sie, daß Sie diesem Herrn nicht das Wasser reichen können. Sie niedriger Spitzel. Peachum: Filch, lauf schnell zum nächsten Polizeiposten, Herr Macheath weilen bei Fräulein Suky Tawdry. Filch ab. Aber, meine Damen, warum streiten wir? Das Geld wird gezahlt werden, selbstverständlich. Liebe Celia, du solltest lieber gehen und für die Damen Kaffee kochen, als daß du sie hier anpöbelst. Frau Peachum im Abgehen: Suky Tawdry! Sie singt die dritte Strophe der „Ballade von der sexuellen Hörigkeit": Da steht nun einer fast schon unterm Galgen Der Kalk ist schon gekauft, ihn einzukalken Sein Leben hängt an einem brüchigen Fädchen Und was hat er im Kopf, der Bursche ? Mädchen. Schon unterm Galgen, ist er noch bereit. Das ist die sexuelle Hörigkeit. Er ist schon sowieso verkauft mit Haut und Haar Er hat in ihrer Hand den Judaslohn gesehn Und sogar er beginnt nun zu verstehn Daß ihm des Weibes Loch das Grabloch war. Und er mag wüten gegen sich und toben — Bevor es Nacht wird, liegt er wieder droben. 107 Peachum: Vorwärts, vorwärts, ihr würdet einfach in den Kloaken von Turnbridge verkommen, wenn ich nicht in meinen schlaflosen Nächten herausgebracht hätte, wie man aus eurer Armut einen Penny herausziehen kann. Aber ich habe herausgebracht, daß die Besitzenden der Erde das Elend zwar anstiften können, aber sehen können sie das Elend nicht. Denn es sind Schwächlinge und Dummköpfe, genau wie ihr. Wenn sie gleich zu fressen haben bis zum Ende ihrer Tage und ihren Fußboden mit Butter einschmieren können, daß auch die Brosamen, die von den Tischen fallen, noch fett werden, so können sie doch nicht mit Gleichmut einen Mann sehen, der vor Hunger umfällt, freilich muß es vor ihrem Haus sein, daß er umfällt. Auftritt Frau Peachum mit einem Tablett voll Kaffeetassen. Frau Peachum : Sie können morgen am Geschäft vorbeikommen und sich Ihr Geld holen, aber nach der Krönung. Jenny: Frau Peachum, Sie sehen mich sprachlos. Peachum: Antreten, wir versammeln uns in einer Stunde vorm Buckingham-Palast. Marsch. Antreten der Bettler. Filch stürmt herein: Polente! Bis zur Wache bin ich gar nicht gekommen. Die Polizei ist schon da! Peachum: Versteckt euch! Zu Frau Peachum: Stell die Kapelle zusammen, vorwärts. Und wenn du mich sagen hörst harmlos, verstehst du mich: harmlos... Frau Peachum: Harmlos ? Ich verstehe gar nichts. Peachum: Selbstverständlich verstehst du gar nichts. Also,wenn ich sage harmlos... Es klopft an die Tür. Gott sei Dank, da ist ja das Schlüsselchen, harmlos, dann spielt ihr irgendeine Art von Musik. Los! Frau Peachum mit Bettlern ab. Die Bettler, bis auf das Mädchen mit der Tafel „Ein Opfer militärischer Willkür", verstecken sich mit ihren Sachen hinten rechts hinter der Kleiderstange. Auftreten Brown und Konstabier. 108 Brown: So, und jetzt wird durchgegriffen, Herr Bettlers Freund. Gleich mal in Ketten legen, Smith. Ach, da sind ja einige von den reizenden Tafeln. Zum Mädchen: „Ein Opfer militärischer Willkür" - sind Sie das ? Peachum: Guten Morgen, Brown, guten Morgen, gut geschlafen? Brown: He? Peachum: Morgen, Brown. Brown: Sagt er das zu mir ? Kennt er einen von euch? Ich glaube nicht, daß ich das Vergnügen habe, dich zu kennen. Peachum: So, nicht? Morgen, Brown. Brown: Hauen Sie ihm den Huf- vom Kopf. Smith tut es. Peachum: Sehen Sie, Brown, nun Sie mal Ihr Weg vorbeiführt, ich sage vorbei, Brown, da kann ich Sie ja gleich darum bitten, einen gewissen Macheath endlich hinter Schloß und Riegel zu bringen. Brown: Der Mann ist verrückt. Lachen Sie nicht, Smith. Sagen Sie mal, Smith, wie ist es möglich, daß dieser notorische Verbrecher in London frei herumläuft? Peachum: Weil er Ihr Freund ist, Brown. Brown : Wer ? Peachum: Mackie Messer. Ich doch nicht. Ich bin doch kein Verbrecher. Ich bin doch ein armer Mensch, Brown. Mich können Sie doch nicht schlecht behandeln. Brown, Sie stehen vor der schlimmsten Stunde Ihres Lebens, möchten Sie Kaffee ? Zu den Huren: Kinder, gebt doch mal dem Herrn Polizeichef einen Schluck ab, ist doch kein Benehmen. Vertragen wir uns doch alle. Wir halten uns doch alle an das Gesetz! Das Gesetz ist einzig und allein gemacht zur Ausbeutung derer, die es nicht verstehen oder die es aus nackter Not nicht befolgen können. Und wer von dieser Ausbeutung seinen Brocken abbekommen will, muß sich streng an das Gesetz halten. Brown: So, Sie halten also unsere Richter für bestechlich! Peachum: Im Gegenteil, Herr, im Gegenteil! Unsere 109 Richter sind ganz und gar unbestechlich: mit keiner Geldsumme können sie dazu bestochen werden, Recht zu sprechen! Zweites Trommel^eichen. Peachum: Abmarsch der Truppen zur Spalierbildung. Der Abmarsch der Ärmsten der Armen eine halbe Stunde später. Brown : Ja, ganz recht, Herr Peachum. Abmarsch der Ärmsten der Armen in einer halben Stunde nach Old Bailey ins Gefängnis, in die Winterquartiere. Zu den Konstablem: So, Jungens, nun sammelt mal da ein, was da ist. Alles einsammeln, was ihr an Patrioten hier vorfindet. Zu den Bettlern: Habt ihr schon mal was vom Tiger-Brown gehört? Diese Nacht, Peachum, habe ich nämlich die Lösung gefunden und, ich darf wohl sagen, einen Freund aus Todesnot errettet. Ich räuchere einfach Ihr ganzes Nest aus. Und sperre alles ein wegen — ja, wegen was wohl ? Wegen Straßenbettel. Sie schienen mir doch anzudeuten, daß Sie mir und der Königin an diesem Tage die Bettler auf den Hals schicken wollen. Und diese Bettler nehme ich mal fest. Da kannst du was lernen. Peachum: Sehr schön, nur - was für Bettler? Brown: Na, diese Krüppel hier. Smith, wir nehmen die Herren Patrioten gleich mit. Peachum: Brown, ich kann Sie da vor einer Übereilung bewahren; Gott sei Dank, Brown, daß Sie da zu mir gekommen sind. Sehen Sie, Brown, diese paar Leute können Sie natürlich verhaften, die sind harmlos, harmlos... Musik setzt ein, und zwar spielt sie einige Takte von dem „Lied von der Unzulänglichkeit" voraus. Brown : Was ist denn das ? Peachum: Musik. Sie spielen eben, so gut sie können. Das Lied von der Unzulänglichkeit. Kennen Sie nicht ? Da können Sie was lernen. HO Songbeleuchtung: goldenes Licht. Die Orgel wird illuminiert. An einer Stange kommen von oben drei Lampen herunter, und auf den Tafeln steht: Das Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens Der Mensch lebt durch den Kopf Der Kopf reicht ihm nicht aus Versuch es nur, von deinem Kopf Lebt höchstens eine Laus. Denn für dieses Leben Ist der Mensch nicht schlau genug. Niemals merkt er eben Allen Lug und Trug. Ja, mach nur einen Plan Sei nur ein großes Licht! Und mach dann noch 'nen zweiten Plan Gehn tun sie beide nicht. Denn für dieses Leben Ist der Mensch nicht schlecht genug. Doch sein höhres Streben Ist ein schöner Zug. 3 Ja, renn nur nach dem Glück Doch renne nicht zu sehr! Denn alle rennen nach dem Glück Das Glück rennt hinterher. Denn für dieses Leben Ist der Mensch nicht anspruchslos genug Drum ist all sein Streben Nur ein Selbstbetrug. Peachum: Ihr Plan, Brown, war genial, aber undurchführbar. Was Sie hier festnehmen können, sind ein paar junge Leute, die aus Freude über die Krönung ihrer Königin einen kleinen Maskenball veranstalten. Wenn die richtigen Elenden kommen — hier ist kein einziger —, sehen Sie, da kommen doch Tausende. Das ist es: Sie haben die ungeheure Zahl der Armen vergessen. Wenn die da nun vor der Kirche stehen, das ist doch kein festlicher Anblick. Die Leute sehen doch nicht gut aus. Wissen Sie, was eine Gesichtsrose ist, Brown ? Aber jetzt erst hundertzwanzig Gesichtsrosen ? Die junge Königin sollte auf Rosen gebettet sein und nicht auf Gesichtsrosen. Und dann diese Verstümmelten amKirchenportal. Das wollen wir doch vermeiden, Brown. Sie sagen wahrscheinlich, die Polizei wird mit uns armen Leuten fertig werden. Das glauben Sie ja selbst nicht. Aber wie wird es aussehen, wenn anläßlich der Krönung sechshundert arme Krüppel mit Knütteln niedergehauen werden müssen? Schlecht würde es aussehen. Ekelhaft sieht es aus. Zum Übelwerden ist es. Mir ist ganz schwach, Brown, wenn ich daran denke. Einen kleinen Stuhl, bitte. Brown %u Smith: Das ist eine Drohung. Sie, das ist eine Erpressung. Dem Mann kann man nichts anhaben, dem Mann kann man im Interesse der öffentlichen Ordnung gar nichts anhaben. Das ist noch nie vorgekommen. Peachum: Aber jetzt kommt es vor. Ich will Ihnen etwas sagen: der Königin von England gegenüber können Sie sich benehmen, wie Sie wollen. Aber dem ärmsten Mann Londons können Sie nicht auf die Zehen treten, sonst haben Sie ausgebrownt, Herr Brown. Brown : Ich soll also Mackie Messer verhaften ? Verhaften ? Sie haben gut reden. Erst muß man einen Mann haben, bevor man ihn verhaften kann. Peachum: Wenn Sie mir das sagen, da kann ich nicht widersprechen. Dann werde also ich Ihnen den Mann besorgen; wir wollen doch sehen, ob es noch Moral gibt. Jenny, wo halten sich der Herr Macheath auf? Jenny: Oxford Street 21, bei Suky Tawdry. Brown: Smith, geht sofort nach Oxford Street 21 zu Suky Tawdry, nehmt Macheath fest und bringt ihn nach Old Bailey. Ich muß inzwischen meine Galauniform anziehen. An diesem Tage muß ich mir meine Galauniform anziehen. Peachum : Brown, wenn er um sechs nicht hängt... Brown: Oh, Mac, es ging nicht. Ab mit Konstablern. Peachum nachrufend: Haben Sie was gelernt, Brown! Drittes Trommelzeichen. Drittes Trommelzeichen. Umorientierung des Aufmarschplanes. Neue Richtung: die Gefängnisse von Old Bailey. Marsch. Bettler ab. Peachum singt: Der Mensch ist gar nicht gut Drum hau ihn auf den Hut. Hast du ihn auf den Hut gehaut Dann wird er vielleicht gut. Denn für dieses Leben Ist der Mensch nicht gut genug Darum haut ihn eben Ruhig auf den Hut. Vorhang. Vor dem Vorhang erscheint Jenny mit einem Leierkasten und singt den Salomon-Song Ihr saht den weisen Salomon Ihr wißt, was aus ihm wurd! Dem Mann war alles sonnenklar. Er verfluchte die Stunde seiner Geburt Und sah, daß alles eitel war. 8 Brecht I 113 Wie groß und weis war Salomon! Und seht, da war es noch nicht Nacht Da sah die Welt die Folgen schon: Die Weisheit hatte ihn so weit gebracht -Beneidenswert, wer frei davon! Ihr saht die schöne Kleopatra Ihr wißt, was aus ihr wurd! Zwei Kaiser fielen ihr zum Raub Da hat sie sich zu Tod gehurt Und welkte hin und wurde Staub. Wie schön und groß war Babylon! Und seht, da war es noch nicht Nacht Da sah die Welt die Folgen schon: Die Schönheit hatte sie so weit gebracht - Beneidenswert, wer frei davon! 3 Ihr saht den kühnen Cäsar dann Ihr wißt, was aus ihm wurd! Der saß wie 'n Gott auf 'nem Altar Und wurde ermordet, wie ihr erfuhrt Und zwar, als er am größten war. Wie schrie der laut: „Auch du, mein Sohn!" Und seht, da war es noch nicht Nacht Da sah die Welt die Folgen schon: Die Kühnheit hatte ihn so weit gebracht -Beneidenswert, wer frei davon! Ihr kennt den wissensdurstigen Brecht Ihr sangt ihn allesamt! Dann hat er euch zu oft gefragt Woher der Reichen Reichtum stammt Da habt ihr ihn jäh aus dem Land gejagt. Wie wissensdurstig war doch meiner Mutter Sohn! Und seht, da war es noch nicht Nacht Da sah die Welt die Folgen schon: Sein Wissensdurst hat ihn so weit gebracht - Beneidenswert, wer frei davon! 5 Und jetzt seht ihr den Herrn Macheath Sein Kopf hängt an 'nem Haar! Solang er folgte der Vernunft Und raubte, was zu rauben war War er ein Großer seiner Zunft. Dann lief sein Herz mit ihm davon! Und seht, jetzt ist es noch nicht Nacht Da sieht die Welt die Folgen schon: Die Sinnlichkeit hat ihn so weit gebracht - Beneidenswert, wer frei davon ! Kampf um das Eigentum.^30 Ein Mädchenzimmer in Old Bailej Lucy. Smith herein: Gnädiges Fräulein, Frau Polly Macheath möchte Sie sprechen. Lucy : Frau Macheath ? Führ sie herein. Auftritt Polly. Polly: Guten Tag, gnädige Frau. Gnädige Frau, guten 114 "5 Lucy: Bitte, Sie wünschen? Polly: Erkennen Sie mich wieder? Lucy: Natürlich kenne ich Sie. Polly: Ich komme heute, um Sie um Entschuldigung zu bitten für mein gestriges Benehmen. Lucy: Sehr interessant. Polly: Ich habe eigentlich gar keine Entschuldigung für mein gestriges Benehmen, außer - mein eigenes Unglück. Lucy: Ja, ja. Polly: Gnädige Frau, Sie müssen mich entschuldigen. Ich war sehr gereizt gestern durch Herrn Macheaths Benehmen. Er hätte uns doch wirklich nicht in eine solche Lage bringen dürfen, nicht wahr, das können Sie ihm auch sagen, wenn Sie ihn sehen. Lucy: Ich - ich — sehe ihn nicht. Polly : Sie sehen ihn schon. Lucy: Ich sehe ihn nicht. Polly: Entschuldigen Sie. Lucy: Er hat Sie doch sehr gern. Polly: Ach nein, der liebt nur Sie, das weiß ich ganz genau. Lucy: Sehr liebenswürdig. Polly: Aber, gnädige Frau, ein Mann hat immer Angst vor einer Frau, die ihn zu sehr liebt. Natürlich kommt es dann so, daß er die Frau vernachlässigt und meidet. Ich sah es auf den ersten Blick, daß er Ihnen in einer Weise verpflichtet ist, die ich natürlich nicht ahnen konnte. Lucy: Meinen Sie das eigentlich aufrichtig? Polly: Natürlich, bestimmt, sehr aufrichtig, gnädige Frau. Ich bitte Sie. Lucy : Liebes Fräulein Polly, wir haben ihn beide zu sehr geliebt. Polly: Vielleicht das. Pause. Und jetzt, gnädige Frau, ich will Ihnen erklären, wie alles kam. Vor zehn Tagen habe ich Herrn Macheath zum ersten Male im Tintenfisch-Hotel gesehen. Meine Mutter war auch dabei. Fünf Tage 116 darauf, also ungefähr vorgestern, haben wir uns vermählt. Gestern habe ich erfahren, daß die Polizei ihn wegen mannigfacher Verbrechen sucht. Und heute weiß ich nicht, was kommen wird. Also noch vor zwölf Tagen, gnädige Frau, hätte ich mir nicht vorstellen können, daß ich überhaupt einem Manne verfallen könnte. Pause. Lucy : Ich verstehe Sie, Fräulein Peachum. Polly : Frau Macheath. Lucy: Frau Macheath. Polly : Ich habe übrigens in den letzten Stunden sehr viel über diesen Menschen nachgedacht. Es ist nicht so einfach. Denn sehen Sie, mein Fräulein, um sein Benehmen, das er neulich Ihnen gegenüber an den Tag legte, muß ich Sie geradezu beneiden. Als ich ihn verlassen mußte, allerdings durch meine Mama gezwungen, zeigte er nicht die geringste Spur von Bedauern. Vielleicht hat er gar kein Herz und anstatt dessen einen Stein in der Brust. Was meinen Sie, Lucy ? Lucy : Ja, liebes Fräulein - ich weiß allerdings nicht, ob die Schuld allein Herrn Macheath zuzumessen ist. Sie hätten in Ihren Kreisen bleiben sollen, liebes Fräulein. Polly: Frau Macheath. Lucy : Frau Macheath. Polly: Das ist ganz richtig - oder ich hätte wenigstens alles, wie mein Papa es immer schon wollte, auf eine geschäftliche Basis lenken sollen. Lucy: Sicher. Polly weint: Er ist doch mein einziges Eigentum. Lucy: Meine Liebe, das ist ein Unglück, das der klügsten Frau passieren kann. Aber Sie sind doch formell seine Frau, das kann Sie doch beruhigen. Ich kann es nicht mehr mit ansehen, Kind, wie deprimiert Sie sind. Wollen Sie eine Kleinigkeit zu sich nehmen ? Polly: Was? "7 Lucy: Etwas essen! Polly: O ja, bitte, eine Kleinigkeit essen. Lucy geht ab. Polly für sich: Ein großes Aas! Lucy kommt zurück mit Kaffee und Kuchen: So, das wird genügen. Polly: Sie machen sich zu viel Mühe, gnädige Frau. Pause. Essen. Ein schönes Bild haben Sie da von ihm. Wann hat er denn das gebracht ? Lucy: Wieso gebracht? Polly harmlos: Ich meine, wann er es Ihnen da heraufgebracht hat. Lucy: Das hat er nie gebracht. Polly: Hat er es Ihnen gleich direkt hier im Zimmer gegeben ? Lucy: Hier war er nicht im Zimmer. Polly: Ach so. Aber da wäre doch gar nichts dabei gewesen, nicht? Die Pfade des Schicksals sind schon furchtbar verschlungen. Lucy: Aber reden Sie doch nicht solchen Blödsinn andauernd. Sie wollen doch nur hier herumspionieren. Polly : Nicht wahr, Sie wissen, wo er ist ? Lucy : Ich ? Wissen Sie es denn nicht ? Polly: Jetzt sagen Sie sofort, wo er ist. Lucy: Ich habe keine Ahnung. Polly: Ah, Sie wissen also nicht, wo er ist. Ehrenwort? Lucy: Nein, ich weiß es nicht. Ja, wissen denn Sie's auch nicht ? Polly: Nein, das ist ungeheuer. Polly lacht und Lucy weint. Jetzt hat er zwei Verpflichtungen, und er ist weg. Lucy: Ich ertrage das nicht länger. Ach, Polly, es ist so schrecklich. Voisuz fröhlich: Ich freue mich ja so, daß ich zum Ende dieser Tragödie eine solche Freundin gefunden habe. Immerhin. Willst du noch was essen, noch etwas Kuchen ? Lucy: Noch etwas! Ach, Polly, sei nicht so nett zu mir. Wirklich, ich verdiene es nicht, Ach, Polly, die Männer sind es nicht wert. 118 Polly: Natürlich sind es die Männer nicht wert, aber was soll man machen? Lucy: Nein! Jetzt mache ich reinen Tisch. Polly, wirst du's mir sehr übelnehmen ? Polly: Was? Lucy: Er ist nicht echt. Polly: Wer? Lucy: Das da! Sie deutet auf ihren Bauch. Und alles wegen dieses Verbrechers. Polly lacht: Ach, das ist ja großartig! Ein Muff war das ? Oh, du bist doch ein großes Aas! Du - willst du den Mackie ? Ich schenk ihn dir. Nimm ihn dir, wenn du ihn findest! Man hört Stimmen und Tritte im Flur. Was ist das ? Lucy am Fenster: Mackie! Sie haben ihn wieder gefangen. Polly sinkt zusammen: Jetzt ist alles aus. Auftritt Frau Peachum. Frau Peachum: Ach, Polly, hier find ich dich. Zieh dich um, dein Mann wird gehängt. Das Witwenkleid hab ich mitgebracht. Polly zieht sich aus und zieht das Witwenkleid an. Du wirst bildschön aussehen als Witwe. Nun sei aber auch ein bißchen fröhlich. Freitag morgen, 5 Uhr: Mackie Messer, der abermals zu den Huren gegangen ist, ist abermals von Huren VERRATEN WORDEN. Er WIRD NUNMEHR GEHÄNGT. Todes^elk Die Westminsterglocken läuten. Konstabier bringen Macheath gefesselt in den Kerker. 119 Smith: Hier herein mit ihm. Die Westminsterglocken läuten schon das erste Mal. Stellen Sie sich anständig hin, ich will nicht wissen, wovon Sie so einen kaputten Eindruck machen. Ich denke, Sie schämen sich. Zu den Kon-stablern: Wenn die Glocken von Westminster zum dritten Mal läuten, und das wird um sechs Uhr sein, müssen wir ihn gehängt haben. Bereitet alles vor. Ein Konstabler: Sämtliche Straßen von Newgate sind schon seit einer Viertelstunde so voll von allen Schichten der Bevölkerung, daß man überhaupt nicht mehr durchkommen kann. Smith : Merkwürdig, wußten sie es denn schon ? Konstabler: Wenn es so weitergeht, weiß es in einer Viertelstunde ganz London. Dann werden die Leute, die sonst zum Krönungszug gingen, alle hierher kommen; Und die Königin wird durch die leeren Straßen fahren müssen. Smith: Darum müssen wir eben Dampf daruntersetzen. Wenn wir um sechs Uhr fertig sind, können die Leute noch bis sieben Uhr zurechtkommen zum Krönungszug. Marsch jetzt. Mac : Hallo, Smith, wieviel Uhr ist es ? Smith : Haben Sie keine Augen ? Fünf Uhr vier, Mac : Fünf Uhr vier. Als Smith eben die Zellentür von außen zuschließt, kommt Brown. Brown Smith fragend, den Rücken %ur Zelle: Ist er drin ? Smith : Wollen Sie ihn sehen ? Brown: Nein, nein, nein, um Gottes willen, machen Sie nur alles allein. Ab. Mac plötzlich in unaufhaltsam leisem Redestrom: Also, Smith, ich will gar nichts sagen, nichts von Bestechung, fürchten Sie nichts. Ich weiß alles. Wenn Sie sich bestechen ließen, müßten Sie zumindest außer Landes. Ja, das müßten Sie. Dazu müßten Sie so viel haben, daß Sie zeit ihres Lebens ausgesorgt hätten. Tausend Pfund, was ? Sagen Sie nichts! 120 In zwanzig Minuten werde ich Ihnen sagen, ob Sie diese tausend Pfund heute mittag noch haben können. Ich rede nicht von Gefühlen. Gehen Sie raus und denken Sie scharf nach. Das Leben ist kurz und das Geld ist knapp. Und ich weiß überhaupt noch nicht, ob ich welches auftreibe. Aber lassen Sie herein zu mir, wer herein will. Smith langsam: Das ist ja Unsinn, Herr Macheath. Ab. Mac singt, leise und im schnellsten Tempo den „Ruf aus der Gruft": Nun hört die Stimme, die um Mitleid ruft. Macheath liegt hier nicht unterm Hagedorn Nicht unter Buchen, nein, in einer Gruft! Hierher verschlug ihn des Geschickes Zorn. Gott geb, daß ihr sein letztes Wort noch hört! Die dicksten Mauern schließen ihn jetzt ein! Fragt ihr denn gar nicht, Freunde, wo er sei ? Ist er gestorben, kocht euch Eierwein Solang er aber lebt, steht ihm doch bei! Wollt ihr, daß seine Marter ewig währt?^11 Matthias und Jakob erscheinen im Gang. Sie wollen %u Macheath und werden von Smith angesprochen. Smith: Nanu, Junge, du siehst ja aus wie ein ausgenommener Hering. Matthias : Seit der Captn weg ist, muß ich unsere Damen schwängern, damit sie den Unzurechnungsfähigkeitsparagraphen bekommen! Man muß schon eine Roßnatur haben, um in diesem Geschäft durchzuhalten. Ich muß den Captn sprechen. Beide gehen auf Mac %u. Mac: Fünf Uhr fünfundzwanzig. Ihr habt euch Zeit gelassen. Jakob: Na, schließlich mußten wir.. ,^12 Mac: Schließlich, schließlich, ich werde aufgehängt, Mensch! Aber ich habe ja gar keine Zeit, mich mit euch herumzugiften. Fünf Uhr achtundzwanzig. Also: wieviel könnt ihr sofort aus eurem Privatdepot ziehen ? 121 Matthias : Aus unserem, früh um fünf ? Jakob: Ist es wirklich soweit? Mac : Vierhundert Pfund, ginge das ? Jakob : Ja, und wir ? Das ist doch alles, was da ist. Mac : Werdet ihr gehängt oder ich ? Matthias erregt: Liegen wir bei Suky Tawdry, anstatt uns dünnezumachen ? Liegen wir bei Suky Tawdry oder du ? Mac: Halt die Schnauze. Ich liege bald woanders als bei dieser Schlampe. Fünf Uhr dreißig. Jakob: Na, da müssen wir es eben machen, Matthias. Smith: Herr Brown läßt fragen, was Sie als----------- mahlzeit haben wollen. Mac: Lassen Sie mich in Ruhe. Zu Matthias: Na, willst du oder willst du nicht ? Zu Smith: Spargel. Matthias: Anbrüllen lasse ich mich überhaupt nicht. Mac : Aber ich brülle dich doch gar nicht an. Das ist doch nur, weil... Also, Matthias, wirst du mich hängen lassen? Matthias: Natürlich werde ich dich nicht hängen lassen. Wer sagt denn das ? Aber es ist eben alles. Vierhundert Pfund ist eben alles, was da ist. Das wird man doch noch sagen dürfen. Mac: Fünf Uhr achtunddreißig. Jakob: Na, dann aber Tempo, Matthias, sonst nützt es überhaupt nichts mehr. Matthias: Wenn wir nur durchkommen, da ist ja alles voll. Dieses Gesindel. Beide ah. Mac : Wenn ihr fünf Minuten vor sechs nicht da seid, dann seht ihr mich nicht mehr. Schreit: Dann seht ihr mich nicht mehr... Smith: Sind ja schon weg. Na, wie steht's? Macht Gebärde des Geldmaklern. Mac: Vierhundert. Smith geht achsel^uckend ab. Mac, nachrufend: Ich muß Brown sprechen. Smith kommt mit Konstablern: Die Seife habt ihr ? Konstabler: Aber nicht die richtige. izz Smith: Ihr werdet doch in zehn Minuten das Ding aufstellen können. Konstabler: Aber die Fußklappe funktioniert doch nicht. Smith : Es muß gehen, es hat doch schon zum zweiten Mal geläutet. Konstabler: Das ist ein Saustall. Mac singt: Jetzt kommt und seht, wie es ihm dreckig geht! Jetzt ist er wirklich, was man pleite nennt. Die ihr als oberste Autorität Nur eure schmierigen Gelder anerkennt Seht, daß er euch nicht in die Grube fährt! Ihr müßtet gleich zur Königin und in Haufen Und müßtet über ihn mit ihr jetzt sprechen Wie Schweine eines hinterm andern laufen: Ach, seine Zähne sind schon lang wie Rechen! Wollt ihr, daß seine Marter ewig währt ? Smith: Ich kann Sie doch nicht hereinlassen. Sie haben erst Nummer sechzehn. Sie sind ja noch gar nicht dran. Polly: Ach, was heißt das, Nummer sechzehn. Sind Sie doch kein Bürokrat. Ich bin die Frau, ich muß ihn sprechen. Smith : Aber höchstens fünf Minuten. Polly: Was heißt das, fünf Minuten! Das ist ja ganz unsinnig. Fünf Minuten! Das kann man doch nicht so sagen. Das ist doch nicht so einfach. Das ist doch ein Abschied für ewig. Da gibt es doch eminent viel zu sprechen zwischen Mann und Frau... Wo ist er denn ? Smith: Na, sehen Sie ihn denn nicht? Polly: Ja natürlich. Ich danke schön. Mac: Polly! Polly: Ja, Mackie, ich bin da. Mac : Ja natürlich! Polly: Wie geht es dir denn? Bist du sehr kaputt?,Es ist schwer! 123 Mac: Ja, was wirst du denn jetzt überhaupt machen? Was wird denn aus dir ? Polly : Weißt du, unser Geschäft geht sehr gut. Das wäre das wenigste. Mackie, bist du sehr nervös?... Was war denn eigentlich dein Vater ? Du hast mir soviel noch gar nicht erzählt. Ich verstehe das gar nicht. Du warst doch immer ganz gesund eigentlich. Mac : Du, Polly, kannst du mir nicht heraushelfen ? Polly: Ja natürlich. Mac : Mit Geld natürlich. Ich habe da mit dem Aufseher... Polly langsam: Das Geld ist nach Manchester abgegangen. Mac : Und da hast du keins ? Polly: Nein, da habe ich nichts. Aber weißt du, Mackie, ich könnte zum Beispiel mit jemand reden ... ich könnte sogar die Königin persönlich vielleicht fragen. Sie bricht Zusammen. Oh, Mackie! Smith Polly wegziehend: Na, haben Sie jetzt Ihre tausend Pfund zusammen ? Polly: Alles Gute, Mackie, laß es dir gut gehen und vergiß mich nicht! Ab. Smith und Konstabier bringen einen Tisch mit Spargel. Smith : Sind die Spargel weich ? Konstabler: Jawohl. Ab. Brown erscheint und tritt zu Smith: Smith, was will er von mir ? Das ist gut, daß Sie mit dem Tisch auf mich gewartet haben. Wir wollen ihn gleich mit hineinnehmen, wenn wir zu ihm gehen, damit er sieht, was für eine Gesinnung wir gegen ihn haben. Sie treten beide mit dem Tisch in die Zelle. Smith ab. Pause. Hallo, Mac. Da sind die Spargel. Willst du nicht ein wenig zu dir nehmen ? Mac : Bemühen Sie sich nicht, Herr Brown, es gibt andere Leute, die mir die letzten Ehren erweisen.^13 Brown : Ach, Mackie! Mac : Ich bitte um die Abrechnung! Sie erlauben, daß ich währenddessen esse. Es ist schließlich mein letztes Essen. ///. 124 Brown: Mahlzeit. Ach, Mac, du triffst mich wie mit einem glühenden Eisen. Mac : Die Abrechnung, Herr, bitte, die Abrechnung. Keine Sentimentalitäten. Brown zieht seufzend ein kleines Büchlein aus der Tasche: Ich habe sie mitgebracht, Mac. Hier ist die Abrechnung vom letzten Halbjahr. Mac schneidend: Ach, Sie sind nur gekommen, um Ihr Geld hier noch herauszuholen. Brown : Aber du weißt doch, daß das nicht so ist... Mac : Bitte, Sie sollen nicht zu kurz kommen. Was schulde ich Ihnen ? Aber bitte, legen Sie spezifizierte Rechnung ab. Das Leben hat mich mißtrauisch gemacht... Gerade Sie werden das am besten verstehen können. Brown: Mac, wenn du so sprichst, kann ich gar nichts denken. Man hört hinten schweres Klopfen. Smith (Stimme): So, das hält. Mac: Die Abrechnung, Brown. Brown: Also bitte - wenn du durchaus willst, da sind also erstens die Summen für die Ergreifung von Mördern, die du oder deine Leute ermöglicht haben. Du hast von der Regierung ausbezahlt bekommen im ganzen... Mac : Für drei Fälle ä vierzig Pfund, macht hundertzwanzig Pfund. Ein Viertel für Sie würde also dreißig Pfund betragen, welche wir Ihnen also schulden. Brown : Ja - ja - aber ich weiß wirklich nicht, Mac, ob wir die letzten Minuten... Mac: Bitte, lassen Sie doch dieses Gewäsch, ja? Dreißig Pfund. Und für den in Dover acht Pfund. Brown: Wieso nur acht Pfund, da war doch... Mac: Glauben Sie mir oder glauben Sie mir nicht? Sie bekommen also aus den Abschlüssen des letzten halben Jahres achtunddreißig Pfund. Brown laut aufweinend: Ein ganzes Leben... habe ich dir... 125 Beide: Alles von den Augen abgelesen. Mac : Drei Jahre in Indien - John war darunter und Jim war dabei -, fünf Jahre in London, und das ist der Dank. Indem er andeutet, wie er als Gehängter aussehen wird: Hier hängt Macheath, der keine Laus gekränkt. Ein falscher Freund hat ihn am Bein gekriegt. An einen klafterlangen Strick gehängt Spürt er am Hals, wie schwer sein Hintern wiegt. Brown: Mac, wenn du mir so kommst... wer meine Ehre angreift, greift mich an. Läuft wütend aus dem Käfig. Mac : Deine Ehre... Brown : Ja, meine Ehre. Smith, anfangen! Leute hereinlassen! Zu Mac: Entschuldige mich, bitte. Smith rasch zu Macheath: Jetzt kann ich Sie noch wegbringen, aber in einer Minute nicht mehr. Haben Sie das Geld zusammen ? Mac: Ja, wenn die Jungens zurück sind. Smith: Die sind nicht zu sehen. Also: erledigt. Leute werden hereingelassen. Peachum, Frau Peachum, Polly, Lucy, die Huren, der Pfarrer, Matthias und fakob. Jenny noch hinten: Man hat uns nicht hereinlassen wollen. Aber ich habe ihnen gesagt: wenn ihr eure Dreckkübel von Köpfen nicht wegtut, dann werdet ihr die Spelunken-Jenny schon kennenlernen. Peachum: Ich bin sein Schwiegervater. Bitte um Verzeihung, welcher von den Anwesenden ist Herr Macheath ? Mac stellt sich vor: Macheath. Peachum vorbei am Käfig, stellt sich wie alle Nachfolgenden rechts auf: Das Geschick, Herr Macheath, hat es gefügt, daß Sie, ohne daß ich Sie kenne, mein Schwiegersohn sind. Der Umstand, der mich Sie zum ersten Mal sehen läßt, ist ein sehr trauriger. Herr Macheath, Sie hatten einst weiße Glacehandschuhe, einen Stock mit einem Elfenbeingriff 126 und eine Narbe am Hals und verkehrten im Tintenfisch-Hotel. Übriggeblieben ist Ihre Narbe, welche wohl den geringsten Wert unter Ihren Kennzeichen besaß, und Sie verkehren nur mehr in Käfigen und absehbar bald nirgends mehr... Polly geht weinend am Käfig vorbei, stellt sich rechts auf. Mac: Was für ein hübsches Kleid du anhast. Matthias und fakob kommen am Käfig vorbei, stellen sich rechts auf. Matthias: Wir konnten nicht durchkommen, wegen des großen Andrangs. Wir sind so gelaufen, daß ich für Jakob einen Schlaganfall befürchten mußte. Wenn du uns nicht glaubst... Mac : Was sagen meine Leute ? Haben sie gute Plätze ? Matthias: Sehen Sie, Captn, wir dachten, Sie verstehen uns. Sehen Sie, eine Krönung, das ist ja auch nicht alle Tage. Die Leute müssen verdienen, wenn sie können. Sie lassen grüßen. Jakob : Herzlichst! Frau Peachum tritt an den Käfig heran, stellt sich rechts auf: Herr Macheath, wer hätte das gedacht, als wir damals vor einer Woche im Tintenfisch-Hotel einen kleinen Step tanzten. Mac : Ja, einen kleinen Step. Frau Peachum : Aber die Geschicke hienieden sind grausam. Brown hinten ^um Pfarrer: Und mit diesem Menschen habe ich in Aserbaidshan Schulter an Schulter im heftigsten Feuerkampf gestanden. Jenny kommt an den Käfig: Wir in Drury Lane sind ganz außer uns. Kein Mensch ist zur Krönung gegangen. Alle wollen dich sehen. Stellt sich rechts auf. Mac : Mich sehen. Smith: Na, also los. Sechs Uhr. Läßt ihn aus dem Käfig. Mac: Wir wollen die Leute nicht warten lassen. Meine 127 Damen und Herren. Sie sehen den untergehenden Vertreter eines untergehenden Standes. Wir kleinen bürgerlichen Handwerker, die wir mit dem biederen Brecheisen an den Nickelkassen der kleinen Ladenbesitzer arbeiten, werden von den Großunternehmern verschlungen, hinter denen die Banken stehen. Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie ? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank? Was ist die Ermordung eines Mannes gegen die Anstellung eines Mannes ? Mitbürger, hiermit verabschiede ich mich von euch. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind. Einige von Ihnen sind mir sehr nahegestanden. Daß Jenny mich angegeben haben soll, erstaunt mich sehr. Es ist ein deutlicher Beweis dafür, daß die Welt sich gleichbleibt. Das Zusammentreffen einiger unglücklicher Umstände hat mich zu Fall gebracht. Gut - ich falle. Songbeleuchtung: goldenes Licht. Die Orgel wird illuminiert. An einer Stange kommen von obeh drei Lampen herunter, und auf den Tafeln steht: Ballade, in der Macheath jedermann Abbitte LEISTET Ihr Menschenbrüder, die ihr nach uns lebt Laßt euer Herz nicht gegen uns verhärten Und lacht nicht, wenn man uns zum Galgen hebt Ein dummes Lachen hinter euren Barten. Und flucht auch nicht, und sind wir auch gefallen Seid nicht auf uns erbost wie das Gericht: Gesetzten Sinnes sind wir alle nicht — Ihr Menschen, lasset allen Leichtsinn fallen Ihr Menschen, laßt euch uns zur Lehre sein Und bittet Gott, er möge mir verzeihn. Der Regen wäscht uns ab und wäscht uns rein Und wäscht das Fleisch, das wir zu gut genährt 128 Und die zuviel gesehn und mehr begehrt: Die Augen hacken uns die Raben ein. Wir haben wahrlich uns zu hoch verstiegen Jetzt hängen wir hier wie aus Übermut Zerpickt von einer gierigen Vögelbrut Wie Pferdeäpfel, die am Wege liegen. Ach Brüder, laßt euch uns zur Warnung sein Und bittet Gott, er möge uns verzeihn. Die Mädchen, die die Brüste zeigen Um leichter Männer zu erwischen Die Burschen, die nach ihnen äugen Um ihren Sündenlohn zu fischen Die Lumpen, Huren, Hurentreiber Die Tagediebe, Vogelf rein ,; Die Mordgesellen, Abtrittsweiber Ich bitte sie, mir zu verzeihn. Nicht so die Polizistenhunde Die jeden Abend, jeden Morgen Nur Rinde gaben meinem Munde Auch sonst verursacht Müh'n und Sorgen Ich könnte sie ja jetzt verfluchen Doch will ich heute nicht so sein: Um weitere Händel nicht zu suchen Bitt ich auch sie, mir zu verzeihn. Man schlage ihnen ihre Fressen Mit schweren Eisenhämmern ein. Im übrigen will ich vergessen Und bitte sie, mir zu verzeihn. Smith: Bitte, Herr Macheath. Frau Peachum : Polly und Lucy, steht eurem Manne bei in seiner letzten Stunde. Mac: Meine Damen, was auch immer zwischen uns... Smith führt ihn ab: Vorwärts! 9 Brecht i J 2Q Gang %um Galgen. Alle ab durch Türe links. Diese Türen sind in den Projektionsflächen. Dann kommen auf der anderen Seite von der Bühne alle mit Windlichtern • herein. Wenn Macheath oben auf dem Galgen steht, spricht Peachum: Verehrtes Publikum, wir sind so weit Und Herr Macheath wird aufgehängt Denn in der ganzen Christenheit Da wird dem Menschen nichts geschenkt. Damit ihr aber nun nicht denkt Das wird von uns auch mitgemacht Wird Herr Macheath nicht aufgehängt Sondern wir haben uns einen anderen Schluß ausgedacht. Damit ihr wenigstens in der Oper seht Wie einmal Gnade vor Recht ergeht. Und darum wird, weil wir's gut mit euch meinen Jetzt der reitende Bote des Königs erscheinen. Auf den Tafeln steht: Drittes Dreigroschen-Finale n. Gleichzeitig wird er hiermit in den erblichen Adelsstand erhoben — Jubel — und ihm das Schloß Mar-marel sowie eine Rente von zehntausend Pfund bis zu seinem Lebensende überreicht. Den anwesenden Brautpaaren läßt die Königin ihre königlichen Glückwünsche übersenden. Mac: Gerettet, gerettet! Ja, ich fühle es, wo die Not am größten, ist die Hilfe am nächsten. Polly : Gerettet, mein lieber Mackie ist gerettet. Ich bin sehr glücklich. Frau Peachum: So wendet alles sich am End zum Glück. So leicht und friedlich wäre unser Leben, wenn die reitenden Boten des Königs immer kämen. Peachum : Darum bleibt alle stehen, wo ihr steht, und singt den Choral der Ärmsten der Armen, deren schwieriges Leben ihr heute dargestellt habt, denn in Wirklichkeit ist gerade ihr Ende schlimm. Die reitenden Boten des Königs kommen sehr selten, wenn die Getretenen wiedergetreten haben. Darum sollte man das Unrecht nicht zu sehr verfolgen. Alle singen zur Orgel, nach vorn gehend: Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde Erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt. Bedenkt das Dunkel und die große Kälte In diesem Tale, das von Jammer schallt. Auftauchen des reitenden Boten Chor: Horch, wer kommt! Des Königs reitender Bote kommt! Hoch zu Roß erscheint Brown als reitender Bote. Brown: Anläßlich ihrerKrönung befiehlt dieKönigin, daß der Captain Macheath sofort freigelassen wird. Alle 130