2 H- 30 FRÜHMITTELALTERLICHE STUDIEN Jahrbuch des Instituts für Früh mittel alter Forschung der Universität Münster in Zusammenarbeit mit Arnold Angenendt, Volker I lonemann, Albrecht Jockcnhövel, Christel Meier, Friedrich ühly (f) und Ruth Schmidt-Wiegand unter Mitwirkung von Karl Ilauck Herrn isgegeben von HAÜKN KELLER und JOACHIM WOLLASCH 30. Band w DE G_ 1996 WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK MARITA BLATT MANN ,Ein Unglück für sein Volk' Der Zusammenhang zwischen Fehlverhaltcn des Königs und Volkswohl in Quellen des 7.—12. Jahrhunderts* Wir sind es gewohnt, daß Könige in mittelalterlichen Quellen positiv gezeichnet werden. Das resultiert zum einen aus der Stellung des Herrschers im Bewußtsein der Allgemeinheit wie in der Überzeugung oder im Kalkül der meisten Autoren, denen es um die Gunst der Mächtigen zu tun war. Es ist zum anderen eine Folge der Quellenlage: J Ierrscherkritik1 oder gar königsfeindliche Auslassungen wurden seltener schriftlich fixiert als Elogen — und wenn, dann hatten sie eine geringere Überüeferungs-chance als diese. Die Forschung schließlich hat dem germanischen Königsheil2 und dem 'Sakralkönigtum als Faktum der Hcilsgeschichte'3 weit mehr Aufmerksamkeit geschenkt als den miseriae regum*. Noch gar nicht beachtet hat sie das Motiv, das im folgenden vorgestellt werden soll: den unheilbringenden König. Dabei taucht er in den Quellen immer wieder auf. So behandelt etwa um 873 Erzbischof Hinkmar von Reims in einem Fürsten Spiegel für Karl den Kahlen die Tatsache, ,daß ein guter König das Glück seines Volkes bedinge, ein schlechter (aber) dessen Unglück'5. Diese weitgefaßte Grundaussage können wir auch heute im Prinzip * Das Thema hätte sicher eine gründlichere Darstellung verdient. Ich biete hier im Haupttext nur die knappe Skizze, die ich im Rahmen meines Ha Ulita don sverfahrens am 5. Februar 1996 im Fachbereich 7 Geschichte/Philosophie der Westfälischen WÜhelms-Univcrsität, Münster, als Probevortrag zur Diskussion gestellt habe. Reflexionen und Weiterungen, die den Duktus des mündlich Vorgetragenen gestore hätten, finden sich in den Anmerkungen. Den Mitgliedern des Habiii tanonsaus Schuss es danke ich für das anregende Gespräch nach dem Vortrag. Ein ganz besonderer Dank für weiterführende Hinweise und die Ubersendung von in Münster gegenwärtig nicht greifbarer Literatur gilt Dr. Nora Gädeke (Hannover) und PD Dr. Jörg W. Busch (Wiesbaden). 1 Dazu der weitgespannte, auch in die Frühzeit ausgreifende Beitrag von Klaus Seiirlinku, 'Correctio prineipis'. Gedankliche Begründung und geschiehdiche Praxis spätmittelaltetrlicher IIerrscherkritik, in: František. Graus (Hg.), Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme (Vorträge und Forschungen 35) Sigmaringen 1987, S. 203-256. 2 Dazu unten Anm. 11. ? Dazu zuletzt Stefan Weinfurter, Idee und Funktion des 'Sakralkünigtums* bei den ottonischen und salischen Herrschern (10. und 11. Jahrhundeit), in: Rolf Gundlach-Hermann Weber (Hgg.), Legitimation und Funktion des Herrschers. Vom ägyptischen Pharao zum neuzeitlichen Diktator (Schriften der Mainzer Philosophischen Fakultarseessilschaf: 13) StntreaT 199?, S. 99-127; vgl. auch die bei Egon Bokhof, Königtum und Königsherrschaft im lü. und 11. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 27) München 1993, S. 14.5 f., aufgelisteten Titel. 4 Lothar Bornschkui-k, Miseriae regum. Untersuchungen zum Krisen- und Todesgedanken in den heri-schattstheojngiscr.en Vorstellungen der uttunisch-salischen Zelt (Arbeiten zur Frühmiitelalterfor schung4) Berlin 1968. s Hinkmar von Reims, De regis persona et regio midstürio ad Carolum Calvuni regem, in: Mignf. PL 125, Sp. 833-856, hier Rubrik von Kap. 2, Sp. 835: Quodpopulifelkitas s/t rex bonus, mjelicitas rex malus. Der Zusammenhang zwischen Fehlverhaltcn des Königs und Volkswohl Sl noch nachvollziehcn. Die näheren Ausführungen Ihnkmars zum Charakter des Unglücks jedoch, das ein rex iniquus über sein Volk bringt, werden uns mit Sicherheit befremden: Ein schlechter König, so der Erzbischof, ,muß viele Mißstände im Land hinnehmen. Der Friede im Volk wird nämlich oft gebrochen, und auch die Herrschaft selber erregt Anstoß. Die Ernteerträge gehen zurück, und die Bevölkerung kann keine Abgaben mehr leisten. Viele verschiedene Leiden vergiften das Wohl des Tandes. Der Tod von geliebten Menschen und von Kindern verbreitet Trauer. Von allen Seiten fallen Feinde ein und verwüsten das Land. Wilde Tiere zerfleischen die Herden. Frühjahrsstürme und Unwetter vermindern die Fruchtbarkeit der Erde und die Nutzung des Meeres. Blitzschlag und Hagel zerstören die Saaten und die blühenden Bäume. Vor allem aber verdunkelt die Ungerechtigkeit des Königs nicht nur das gegenwärtige Aussehen der Erde, sondern sie liegt wie ein Schatten über seinen Söhnen und Enkeln, so daß sie das Land nicht von ihm erben können.'6 Krieg, in erster Linie aber Schicksalsschlägc und Naturkatastrophen bedrücken also das ganze Land eines 'unrechten' Königs. Erst nach weiteren Einschüben fügt Hinkmar ganz zum Schluß diesem Leid der Umgebung eines rex imqttus auch einen Schaden für diesen selbst hinzu: ,Er soll wissen, daß er auch bezüglich der Strafen unter allen Menschen der erste ist. Denn alle Sünder, die im irdischen Leben ihm unterstellt sind, werden im künftigen Leben über ihn gesetzt und ihm zur unversöhnlichen Qual werden.'7 Erzbischof Hinkmar hat dieses archaisch anmutende Szenario nicht selbst ersonnen. Er zidert — wie er meint - den heiligen Kirchenvater Cyprian, in Wirklichkeit aber eine Passage aus dem irischen Traktat 'De duodeeim abusivis sacculf, der zwischen 630 und 700 entstanden ist6. G Qui wo regimm non secundum banc legem dispensat, midtas nimimni advmilates imperii tokrabit. Idcirro enim pax sxpe popukmm rumpilur, et offendicula st/am de regno susettantur, terrarum quoque jruetus diminmmtur et servitia popuhrum prxpediuntur, multi et i/arii dolores prosperitatm regni hfhiunt, cbarortim et Überorum mortes tristltlam cottferunt, hostium ineursns prorincias mulique vastant, bextisc armentorum et peconim greges dilacerant, tempestates veris et hiemis turbantur, terrarum quoque fecunditatem et mans ministeria probibent, et aliquando fulminum ictus segetes et arborum jlores et pampinos exNrunt. Super omnia vera regis inhisütia non solum prxswtis imperii fadem fuscat, sed eiiam fiiios sues et nepotes, ne post sc regni bscreditatem leneani, obscurat; Hinkmar (wie Anm. 5) Sp. 835 f. Zu anderen Zitationen der Passage bei Hinkmar vgl. unten Anm, 35- 7 Attamen sciat rex quad, shut in tbrono bomimm primus constilutus est, sie ei in pienis, si Justitium non jecerit, primatum habitants est Omnes namque quoscumque peccatores sub st in prxsenti habuit, supra se madtt Implacabiii ill lila pima futura bahebit; Hinkmar (wie Anm. 5) Sp. 836. i Pseudo-Cyprianus, De XII abusivis saeeuli, hg. von Sikgmund Hellmann (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 34,1) Leipzig 1909, S. 1-62. Die Passage, auf die die oben in Anm. 6 und 7 wieriergegebenen, nur unwesendich vom ältesten Wordaut abweichenden Zitate Hinkmars zurückgehen, behandelt den neunten der tn diesem Traktat abgehandelten ,2wölf Mißstände in der Welt': den rex iniquus (hier S. 52 Z. 10-S. 53 Z. 2). Zur Quelle Hellmann, S. 1-31; Hans Hubert Anton, Pseudo-Cyprian. De duodeeim abusivis xaecttli und sein F.influß auf den Kontinent, insbesondere auf die karolingischen Fürstenspicgel, in: Hkinz Lowe (Hg), Die Iren und Europa im früheren Mittelalter, 2 (Veröffentlichungen des Europa-Zentrums Tübingen, Kulturwissenschaftliche Reihe) Stuttgart 1982, S. 568-617; Ders., Fürsrenspiegel und Ilemchercthos in der Karolingerzeit (Bonner Historische Forschungen 32) Bonn 1968, S. 67 ff, und 3Ü5 ff; Michael Howard Moore, La monarchie carolin-giennc et les antiens modeles irlandais, in: Annales .51,2, 1996, S. 307-324, bes. S. 311 f. und 321 f. Zu dem in Irland verbreiteten Glauben, „daß der König Unfruchtbarkeit bewirkt, wenn er die Treue oder die Wahrheit schändet", Jan de Vkies, Altgcrmanische Religionsgeschichte, 1-2 (Grundriß der germanischen Philologie 12,1-2) 2., völlig neu bearb. Auflage Berlin 1956, 1, S. 394 Anm. 1. 82 Marita Blattmann Das Unglück des T.andes in einen Zusammenhang mit dem König zu bringen ist jedoch keineswegs eine Besonderheit des 'dunklen siebten Jahrhunderts'. Noch kurz vor 1200 - um ganz ans Ende jenes Zeitraums zu gehen, der hier ausgeleuchtet werden soll - bemerkt die 'Kölner Königschronik1 über den 1152 verstorbenen Staufer Konrad III.: ,Die Zeiten dieses Königs waren ziemlich traurig. Unter ihm herrschten schwankendes Wetter, dauernde Hungersnot, wechselnder Kriegslärm. Et war ja ein Mann von hohen militärischen Tugenden und sehr eifrig in allem, was einem König obliegt, aber durch eine Art von Glücklosigkeit kam unter ihm das Gemeinwesen ins Wanken."; Das Phänomen ist dasselbe wie im irischen Traktat: eine Mischung von Krieg, Naturkatastrophen und allgemeinem Leid, die mit der Person des Königs zusammenhängt. Unterschiedlich gesehen wird allerdings die 'Schuldfrage': Im älteren 'Iraktat resultiert das Unglück des Volkes direkt aus des Herrschers persönlichem Versagen; die jüngere Chronik hingegen zeichnet das Bild eines redlich bemühten Königs ohne Fortune. Gerade in diesem Unterschied drückt sich ein Wandel aus von der früh- zur hochmirtelalterlichen Auffassung von der Qualität des Herrschers und vom Verhältnis zwischen König und Volk10. Um diese Entwicklung näher zu erklären, werde ich im folgenden skizzieren, welche Vorstellungen vom Zusammenhang zwischen König und Volkswohl in der Zeit vom 7. bis zum 12. Jahrhundert überhaupt kursierten. Diese Frage ist bisher nur für die Frühzeit mit Blick auf das 'germanische Königsheil'11, J Huius regis tempora admodum tridia fitenmt. Namque inequalitas aeris, faniis et inedie perxeverantia, lielhrn/n uarius tunmltus sab eo vigebant. Brat tarnen vir militari mrtute. drenuux et, quod regem dscuit, mide animosus; sed quodam iitßrtunin res publica sub e.u lakfaäari ceprrat; Chronica regia Coloniensis (Annales maximi Coloniensis), hg. von Gkokg Waitz (MGFI Scriprores rerum Germanicarum [18J) Hannover 1880, a. 1152, S. 88. 1 Dazu etwa Hans Kurt Schützt-, Königsherrschaft und Königsmythos. Herrscher und Volk im politischen Denken des IIochrnittelalters, in: Helmut Maurer-Hans Patze (Hgg.), Festschrift für Bereut Schwineköper. Zu seinem siebzigsten Geburtstag, Sigmaringen 1982, S. 177-186; František Graus, Volk, Herrscher und Heiliger im Reich der Merowinger. Studien zur Hagiographie der Merowingerzeit, Prag 196.S; Df-.Rs., T.:ner:mi:T er menfal're medievale?: \t ro: et !e pe/jple, r_: 1' s\.:n\-. 16, 1969, S. ^-79 mit tafeln 1-22; Buschmann (wie Anm. 70); für das Spätmittelalter Schreiner (wie Anm. 1). Zum Sonderaspekt des Königs als 'Wunderheiler' erkrankter Untertanen Marc Bloch, Les rois thaumaturges. Etüde sut le caractěre surnaturel attribué ä la puissance royale particuliěrement en France et en Angleterre, Straßburg 1924, Nachdruck Paris 1983; Percy Ernst Schramm, Der König von Frankreich. Das Wesen der Monarchie vom 9. bis 16. Jahrhundert. Ein Kapitel aus der Geschichte des abendländischen Staates, 1-2, 2. verbesserte Autlage Darmstadt 1960, 1, & 151 f£; Davh> J. Sturdy, The Royal Touch in England, in: Heinz Duciiardt-Kici iard A. Jackson-David J. Sturdy (Hgg.), European Monarchy. Its Evolution and Practice frorn Roman Antiquity co Modern Times, Stuttgart 1992, S. 171-184. Zu Königsdarstdlun-gen in der Dichtung, die auch Vorstellungen, Wünsche und Kritik zumindest der Oberschicht reflektiert, neben Graus, Littérature, nun auch Peter Wunderli, Zwischen Ideal und Anti-Ideal. Variadonen Karlsbildes in der altfranzösischcn Epik, in: Hans Hecker (Hg.), Der Herrscher. Leitbild und Abbild in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora 13) Düsseldorf 1990, S. 59-79. Die besonders seit den 1930er bis in die 1960er Jahre hinein vehement geführte Forschungsdiskussion zu diesem Komplex krankte vor allem daran, daß die einzelnen Stellungnahmen 'Königsheil' uder 'Sakralkönigtum' unterschiedlich definiert und Termini wie „sakral, heilig, magisch, kultisch, religiös, mythisch, göttlich, transzendent, charismatisch und übermenschlich ... sehr verschieden - oder gar nicht - gegeneinander abgegrenzt" haben; Kvi: Picard, Germanisches Sakralkönigtum? Quellenkritische Studien zur Germania des Taritus und zur altnordischen Überlieferung (Skandinavistische Arbeiten 12) Heidelberg 1991, S. 31, vgl. zu Terminologiefragen ebd. S. 31 ff. Folglich wurde zunächst durch (Üher)lnterpretation und Kombination nicht vergleichbarer Nachrichten ein für Religion und Gesellschaftsaufbau zentrales 'Heilsdenken' der Germanen konstruiert, dieses schließlich als selbstvcrständli- 1 Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl 83 also in Hinsicht auf einen positiven Zusammenhang, untersucht worden - mit sehr umstrittenem Ertrag übrigens. Viel anschaulicher ist das Ergebnis, wenn man die Geschichte der 'negativen Beziehungen' zwischen König und Volk untersucht: Eine aJl- che Tatsache gehandhabt - maßgeblich durch Wilhelm Grünhkch, Kultur und Religion der Germanen, 1-2, Darmstadt 91980 (dänisch: Vor Iblkezt i Oldüdcn, 4 Bde., 1909-1912, deutsche Übersetzung 1937), S. 135 ff., und Otto IIöfi.er, vgl, erwa: Der Sakralcharakter des germanischen Königtums, in: Das Königtum. Seine geistigen und rechtlichen Grundlagen. Mainauvorträge 1954 (Vorträge und Forschungen 3) Sigmaringen 1956, S. 5-104; zusammenfassend de Vries (wie Anm. 8) S. 393-396 - und sodann der Glaube an ein 'Königsheil' auch zur Erklärung mittelalterlicher Quellenpassagen herangezogen, in denen man einen Widerschein germanisch-heidnischen Denkens ausmachte; vgl. als Beispiel einer Anwendung auf die Geschichtsschreibung IIkimut Beumann, Widukiiid von Kurve!. Untersuchungen zur Geschichtsschreibung und Ideengeschichte des 10. Jahrhunderts (Abhandlungen über Corveyer Geschichtsschreibung 3 = Veröffendichungen der Historischen Kommission des Frovinzialinsti-tuts für westfälische Landes- und Volkskunde 10,3) Weimar 1950, S. 236 ff., oder die bei Walter KihNAST, Germanische Treue und 'Königsheil', in: Historische Zeitschrift 227, 1978, S. 265-324, S. 279 ff., zusammengestellten Arbeiten; zum „Einzug der Sakraltheorie in die Verfassungsgeschichte" (Mitteis, Bosl, Brunner, Wcnskus, Schlesinger) kurz Picard, S. 26 ff. Es ist eine Spätfolge dieses Unlcr-suchungsvcrlaufes, daß sich nun die Forschung primär damit befaßt, die Literatur zu diskutieren, Entwicklung bzw. Verzweigung von Deutungsansätzen und gegen sie vorgebrachten Einwänden zu erörtern, Argumentationsstränge zu entzerren und die einst akzeptierte Lehre grundsätzlich oder in Einzel-punkten zu relativieren bzw. zu widerlegen. Einen Überblick über Hauptquellen und Argumenta tions-gang bieten die l'orschungsberichte bei Picard, S. 15-31; Piroska Reka Mathe, Studien zum friih-und hoch mittelalterlichen Königtum. Eine problemgeschichdiche Untersuchung über Königtum, Adel und Hftrsdhercthik, Basel 1978, S. 42-95, und Kienast (wie oben), der zwar selbst noch die 'Sakraitheorie' vertritt, in seinem Forschungsüberblick S. 278-305 aber auch zahlreiche kriüsche Einwände und dankenswerterweise fast alle für die Diskussion des 'Königshaus" herangezogenen Quellen (mit Ausnahme der noidger manischen) zusammenstellt Zu den Kritikern der Sakraitheorie ist Picard zu rechnen, die jüngst mit überzeugenden Argumenten die 'Germania' des Tacitus aus der Reihe jener Texte ausschloß, mit denen die Existenz eines 'germanischen Sakralkönigtums' belegt werden kann. Walter Baki-ke, Yngvi und die Ynglinger. Eine quellenkritische Untersuchung über das nordische 'Sakralkönigtum' (Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 109,3) Berlin 1964, stellte die Existenz eines vorchristlichen germanischen Sakralkönigtums ganz in Abrede. Graus, Volk (wie Anm. 10) S. 313 ff. verneinte schon 1965, daß man in der Zeit der Merowinger ein 'Sakralkönigtum' kannte; vielmehr hätten allgemein magische Vorstellungen und Übertragungen aus christlichen Heiügenkgcnden die Vorstellungen von besonderen übernatürlichen Kräften der Herrscher gespeist; vgl. für die spätere Zeit Dens., Litteraturc (wie Anm. 10) sowie zuletzt Dens., Mittelalterliche Vorbehalte gegen die Sakralisicrung der Königsmacht, in: Haktmut Atsma-Andre Burgujert: (Hgg), Marc Bloch aujourd'hui. IJibtoirc comparee et sriences $oci;iles, ConrributiO".= au Colloque international organise ;i Paris du 16 au LS juin 1986 par l'I'.cole a;s haures etudes en scienecs sociales et lTnstimt historique atlemand (Recherches d'histoire et de sciences sociales - Studies in hiatoiy and the social scienecs 41) Paris 1990, S. 115-122. Hagen Kellfr, Macha-baeorum pugnae. Zum Stellenwert eines hiblischen Vorbilds in Widukinds Deutung der ottonisehen Königsherrschaft, in: Dkrs -Nikolaus Staubach (Hgg), Icanohgia sacra. Mythos, Bildkunst und Dichtung in der Rcligions- und Sozialgeschichte Alteuropas. Festschrift für Karl Hauck zum 75. Geburtstag (Arbeiten zur Früh mit telalterforschung 23) Berlin-New York 1994, S. 417-437, betonte gegenüber der Sicht Widukinds als Verfechters des alten Königshcilgedankens die Anlehnung des Corveyer Mönches an biblische Vorbilder. Unter 'Königsheil' sei in der vorliegenden Skizze verstanden die aus einer besonderen Verbindung der Herrscher zu numinosen Mächten resultierende Fähigkeit, dem Volk Wohlergehen, Schlachten- und Ernteglück zu garantieren. Entsprechende, schon bei den Germanen vorhandene Vorstellungen wurden im Frühmittelalter mit biblisch-christlichen Elementen teils verwoben, teils von ihnen überlagert, ohne daß sich eine einheitliche, scharf umrissene oder gar widerspruchslose 'Ideologie' herausbildete. Die in unserem Kontext eine Rolle spielenden Facetten werden am jeweiligen Ort angesprochen. 84 Marita Blaumatm mähliche Veränderung des Königsbildes am Übergang zum I lochmittelalter und ein abrupter Bruch im späten 11. Jahrhundert treten dann ganz deutlich hervor. Drei Grundfragen werden die Skizze durchziehen: — Wo und wie wird ein (metaphysischer) Zusammenhang zwischen Herrscher und Befindlichkeit des Volkes in den Quellen angesprochen? — In welchen Situationen wird der Herrscher zum 'Unglück für sein Volk'? — Sind diese Situationen bzw die Wirkungen des Herrschers auf sein Volk steuerbar, etwa durch ein bestimmtes Verhalten? Und wenn ja: Wird die daraus resultierende Verantwortung des Herrschers für das Volkswohl auch als politisches Argument eingesetzt? Die Herrscher, denen in den Quellenaus sagen explizit eine negative Wirkung auf 'alle' im Reich zugeschrieben wird, lassen sich m. E. in vier Typen einteilen, und diese Typen will ich der Einfachheit halber der Reihe nach vorstellen. Es sind dies 1) der 'König ohne Heil'. 2) der punktuell falsch handelnde, 3) der moralisch verwerfliche und 4) der unfähige König. Am weitesten entfernt von heutigen Auffassungen ist sicher der erste Typus, der 'König ohne Heil'. Könige ohne Heil verbindet ihr Schicksal: sie werden nämlich abgesetzt. In der Spätantikc und bei den Germanen geschieht dies noch aufgrund erweisbaren Unglücks, das sie dem Volk bringen. Die Burgunder etwa berauben laut Ammianus Marcellinus im späten 4. Jahrhundert nach altem Brauch ihren König der Herrschaft, ,wenn unter ihm das Kriegsglück schwankt oder die Erde nicht genügend Frucht hervorbringe'12; die Schweden sollen König Dömaldi wegen mehrfacher Mißernten gar getötet haben13. Die 'heil-losen Könige" des christlichen Frühmittelalters 12 Ammiani Marcellini Remm gesrarum libti qui supersunt, 1—2,1, hg. von Cafi. U. Clark, Berlin 1915, Nachdruck Berlin 1963, 2,1, XXVTII,5,14 (zum Jahr 370), S. 479 Z. 14—S. 480 Z. hApudhos [ßurgmidios] generali nomine rex appellatur Ilenditws, d ritu ueteri potestate deposita ra?mmtur, si sah a> fortuna titubamrit belli, mlsegetam enpia negattmt terra, utsokni Aagyptii casus eins modi suis adsigmm. rectorihus; dazu Herwig Wolfram, Methodische Fragen zur Kritik am 'sakralen' Königtum germanischer Stämme, in: Helmut Birkhan-Otto Gschwantlep. (Hgg.), Festschrift für Otto Höfler zum 65. Geburtstag, 1-2, Wien 1968, 1, S. 473-490, S. 476 ff,; Mathe (wie Anm. 11) S. 60-62. 13 Snorris Königsbuch (Heimskringla), 1-3, hg. und übersetzt von Felix Niedner (Thüle. Altnordische Dichtung und Prnsa 14,1-3) Düsseldorf-Köln 1922, Nachdruck 1965, 1, Kap. 15, S. 41: Während der großen Hungersnot zu Domaldis Regierungszeit — er lebt bei Snorri in der achten Generation vor König Aun (f ca. 500) - opferte man im ersr.cn Jahr Ochsen, um eine Besserung zu erreichen, im zweiten Menschen, im drillen schließlich den König, denn die Häuptlinge ,waren sich einig darüber, daß an diesem bösen Jahr ihr König Domaldi die Schuld trüge. Sie meinten alle, man müsse ihn opfern, um ein gutes Jahr zu erlangen, man solle ihn ergreifen und töten und den Opferaltar mit seinem Rlute besprengen. Und das taten sie auch.1 Für seines Sohnes und Nachfolgers lange Ilerrschaftszeit vermeldet Snorris Königshuch, Kap. 16, S. 42, denn auch .fruchtbare Jahre und Frieden'. Snorri Stur-luson (j-1241) selbst distanziert sich von der Unglücksdeutung in seinem Abschnitt über den während einer Hungersnot Odin als Brandopfer dargebrachten König Olaf den Baumfällen ,Die aber klüger waren unter den Schweden, sahen da wohl, daß der Grund des bösen Jahres war, daß mehr Menschen da waren, als das Land ernähren konnte, und daß der König daran keine Schuld trug', ebd. Kap. 43, S. 71 - wie es überhaupt Snorris Absicht ist, von christlicher Warte aus die verderblichen heidnischen Praktiken der Frühzeit zu brandmarken. Zur mehrfachen Umarbeitung der als einer der Hauptbelege für das 'nordgermanische Sakralkönigtum' gewerteten Dömaldi-Erzählung im Laufe der Tradition und zu ihrer Funktion in der 'Heimskringla.' Lars Lonnroth, Domaldi's Death and the Mytl) of Sacral Der Zusammenhang zwischen Fehlverhalten des Königs und Volkswohl 85 stiften hingegen gar keinen erkennbaren Schaden für die Allgemeinheit mehr. Ks zeigt sich lediglich, daß andere tüchtiger sind als sie. Das ist schon beim letzten Merowingcr so, den der Hausmeier Pippin mit Hinverständnis des Papstes 751 absetzt, ,weil es besser sei, den als König 'zu bezeichnen, der die Macht habe'14. Dieselbe Konstelladon skizziert Widukind von Corvey beim Wechsel der Herrschaft von Konrad I. auf Heinrich I.: Der Franke Konrad gibt 918 auf dem Sterbebett seinem Bruder zu bedenken, sein Haus habe zwar alle äußeren Mittel, um zu herrschen, aber es fehlten eben fortuna atque mores (,Glück und Eignung4). Diese Kigenschaften, gekennzeichnet durch Erfolg im Krieg und in der Politik, lagen bei dem Sachsenherzog Heinrich, dem er deshalb die Herrschaftszeichen überbringen laßt15. Durch seine späte Einsicht bewahrt Konrad die Franken vor dem sicheren Kingship, in: John Linhow-Lars IjÖnnrotii-Gebi'i Wolfcang Wkbkh (Hgg.), Structure and Mcaning in Olcl Morse Litcratufc. New Approaches in Textual Analysis and Literary Orilicism (The Viking Cnlteciion. Studics in Northern Civilizatinn 3) Odense 1986, S. 73-93; zum Wen der 'Heimskringla' als historische Quelle zuletzt Alexandra Pesch, Brnnaold, haugsold, kitkjugld. Untersuchungen zu den archäologisch überprüfbaren Aussagen in der Heimslcringla des Snorri Sturluson (Texte und Untersuchungen zur Germanistik und Skandinavistik 35) l-'mnknirt a. M. u. a. 1996 (S. 178: „daher ist äußerste Vorsicht geboten, wenn dieser Text als ErklärLingsgerüst für Epochen, Ereignisse oder Bräuche der skandinavischen Vorgeschichte henutzt wird ... Als Grundlage für die historische Forschung ist die Heimskringla schlichtweg ungeeignet."). 1 Bttifthardtts \Y''ir^tlmrgfnsis tpistuptis et iblradiis taprflitrltts misst fueruni nAZachariaspapam, iiiterragando de regilws in Feanria, qui iftif temporihut ttoti haben/es regalcm potestufem, si bene fidart an neu. Lit Zacharias papa nmiidaril Pippiun, »t melius esset illum regem muri, qui pottsfatem habetxt, quam illum, qui sine regt/fi postestate manehat; ut non amtiirbartlur ordo, per atictoritatem apostoikam mss'tt Pippimtm regt»! fieri; Annales regni l;rancorum inde ab a. 741 usque ad a. 329, qui dicunmr Annales Laurisseuses maiores et Einhard!, hg. von Friedrich Kurze (MGH Scriptores rerum Germanicärum [6]) Hannover 1895, Nachdruck ebd. 1950, a. 749, S. 8. Vgl. Einhardi Vita Karoli Magni, hg. von Oswald Holüer-Egger (MGH Scriptores rerum Germanica-tum [251) Hannover 1911, Nachdruck ebd. 1965, Kap, 1, S. 3 Z. 2-5: Quae \gtns Memngpmm] tuet itt Hin [i. c. König Childerich] finitapotsit eideti, tarnen MW dtrdurii nnilim vigpris erat, Mt quiequam in st darumpnuttr inmie rtgis wdiw/tw pratferehat, sowie die Schilderung der Machtlosigkeit der letzten Mcrowinger ebd. S. 2-4. - Die beiden Stellen markieren nach gängiger Ansicht eine Wende, in der Legitimation des Königtums: Der alte merowingische König hat keine Macht und kein 'Heil' mehr, der neue, karolingi-sche wird König 'von Gottes Gnaden". Vgl. aber das vorsichtigere Urteil bei Wernkk Affeldt, Untersuchungen zur Künigserhehung Pippins. Das Papsttum und die Begründung des karolingisehen Königtums im |abre 751, in: Frühmittidalicdichc Studien 14, 1980, S. 95-187, hier S. 125 f., und zu den oben zitierten Quellenpassagcn S. 129 ff.-, RtJiXJLi' ScHiHri-nit, Die Karolinger, Stuttgart u. a. 1992, S. 58-60; Johann i;s Fried, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands. Bis 1024 (Propyläen Geschichte Deutschlands 1) Berlin 1994, S, 234-238. - Zum Charakter der Argumentation an dieser Stelle unten nach Anm. 62. * Cumqm se mnrbo sensissei laborarepariter cum defeclioneprimae fortunae, vncatfratrem ... qtiemqm ita alloquilur: ,.. Sunt nobis, frater, eopiae exercitus congregandi atque duccndi, sunt urbes /•! arma cum regalibus insigii/is et omiu qmddum rrginm drposcit prttrr j'ortimam alqilt mftrts. Fortuna, frater, cum nobiltssimis MOriblts lleittrtco cedit, rerum pnblitartm sftus Sflxonrs summa est; Die Sachsengeschichte des Widukind von Korvci, llg. von Paui. HrK.scH~HANS-RB£tuiAiu^ I-Ohmann (MGH Scriptores rcrum Germanicärum (60|) Hannover s1935, 1,25, S. 37 Z. 14-16 und S. 38 Z. 3-7. - Die 'Sterbebettszene' mit der Konrad in den Mund gelegten Zuschrcibung der herrscherlichen Qualiläten fortma alqiie mores an die Liudolfinger gehört zu den umstrittensten Stellen über die Genese eines 'Königsgeschlechtes' und der deutschen Königswahl, vgl. zuletzt Johannes Friei>, Die Königserhebung Heinrichs I. Erinnerung, Mündlichkeit und Traditionsbil-dung im 10. Jahrhundert, in: Michas Borgolte (Hg.), Miuclakcrfnrschung nach der Wende 1989 (Historische Zeitschrift, Beihefte, Neue FnEgt: 2D) München 1995, und Hackn Keixkr, Widultinds Bericht über die Aachener Wahl und Krönung Ottos I., in: Frühmittelalterliche Siudien 29, 1995, S-390-453, S. 406 ff. (beide mit Verweisen auf die vorangegangenen l'orschungsdiskussionen). Zur Marita Blattmann Untergang, den der Kampf um den Königsthron unter einem Führer ohne fortuna sonst unweigerlich mit sich gebracht hätte10. Auch in der Konstruktion Widukinds ist allerdings die Abwesenheit von Heil" nur noch potentiell, nicht mehr zwangsläufig mit nachteiligen Folgen für alle verknüpft: denn in seiner siebenjährigen Regierungszeit hat Konrads Mangel an fortuna dem Land offenbar noch keinen Schaden gestiftet17. Ebenso beschranken sich die Schäden auf den Kaiser selbst, als Karl III. nach erfolgreichem Aufstieg 887 - wie Rcgino formuliert - plötzlich durch ein widriges Geschick ,aller Zierden des Glückes beraubt'18 wird: Krank an Körper und Geist, j /wwr-Passage selbst zuletzt Giro Aithoi-i-, Widukind von Corvey. Kronzeuge und Herausforderung, in: Frühmittelalterliche Studien 27, 1993, S. 253-272, S. 253 f. DaR Widukinds Formulierung fortuna atqm mores sich an Sallust anlehnt, ist mittlerweile unumstritten, nicht jedoch ihre genaue Bedeutung. Für Walter Schlesinger, Die Anfänge, der deutschen Königswahl, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung 66, 1948, S. 381—440, S. 401; Heinrich Mitteis (vgl. unten Anm, 65); Beumann (wie Anm. 11) S. 237 f. sowie Dkns., Die sakrale Legitimierung des Herrschers im Denken der ottonischen Zeit — zuersr ebd. S. 1-44, hier zitiert nach dem 1970 mit einem Nachtrag versehenen Wiederabdruck in: Eduard Hlawitsci ika (Hg.), Königswahl und Thronfolge in ottonisch-fiühdeutscher Zeit (Wege der Forschung 178) Darmstadt 1971, S. 148-198, S, 158 ff. - ist an dieser Stelle vom 'Heil' des Herrschers die. Rede. (Beumann allerdings, der 1948 im Glauben an eine originelle Formulierung Widukinds noch befand, daß „eine treffendere lateinische Umschreibung des begrifflich so schwer faßbaren Königsheils ... kaum gelingen" konnte |Ders., Legitimierung, S. 159], sah nach seiner 1962 mitgeteilten Entdeckung des Sallust-Zitates [vgl. ebd. den Nachtrag zu Anm. 44 und Anm. 45 auf S. 195 f. sowie zuerst Dens., Das Kaisertum Ottos d. Gr. Ein Rückblick nach tausend Jahren, in: Historische Zeitschrift 195, 1962, S. 529-573, Anm. 4 auf S. 544J den Königsheil-Bezug dieser Passage relativiert; am 14. September 1994 erklärte er in einem Brief an Hagen Keller unter Verweis auf die zuletzt angegebene Anmerkung, er habe sich „damit vom 'Königsheil' verabschiedet" [freundliehe Mitteilung des Adressaten].) Baetke (wie Anm. 11) S. 179 sieht in dieser Stelle eine Anspielung auf die antike Glücksgöttin Fortuna. Zu vermittelnden Positionen Kienast (wie Anm. 11) S. 298 f. Die Bezugsstelle bei Sallust steht in den einleitenden Reflexionen des 'Calilina*: mm Imperium faeile iit artibus retinetur, quibm inttio partum est. verum tibi pro labore desidia, pro torrtinentia et acqttitate lubidö atqut suhrhia invasere, jnriuna simut cum muribus inmulalur. üa uupmum Semper ad nptumum quemqm ad minus bona transßrtur. ,Denn Macht läßt sich leicht mit denselben Mitteln erhalten, mit denen sie einst gewonnen wurde. Wo aber statt Arbeitsfreude Müßiggang, statt Selbstbeherrschung und Gerechtigkeit Willkür und Anmaßung einreißen, da wandelt sich mit den Sitten auch das Schicksal. So geht die Macht immer von dem minder Tüchtigen auf den Tüchtigeren über'; De Catilmae coniura-tione / Die Verschwörung des Catihna, in: Sallust, Werke und Schriften. Lateinisch-Deutsch, hg. und übers, von Wilhelm Schöne unter Mitwirkung von Wi:rni:r Kisknitut, Stuttgart ''1969, Kap. 2, S. 8/9. Trotz des gemeinsamen Themas - des Übergangs der Macht an einen Tüchtigeren - sind Rolle und Wortbedeutung von fortuna und mores bei Sallust und Widukind ganz verschieden. Ks fragt sich, ob Widukind - der mit dem Begriffspaar zweifellos auf die Erwähltheit der Liudolfinger hinweisen will -hier nicht einfach aus dem Gedächtnis 'zitiert', ohne selbst eine exakte inhaltliche Füllung der beiden Einzelwörter zu entwerfen. ' Widukind (wie Anm. 15) 1,25, S. 38 Z. 11 t.: Quid mim necesse est, iit eudat popttlus Francorum tuum coram eo? Widukind (wie Ann). 15) 1,25, S. 37 Z. 15, spricht von einer defeetio primaejörtunae Konrads erst am Ende seiner Rcgicrungszcit und rühmt ihn im Nachruf ebd. S. 38 Z. 15 f. als vir fortis etpokns, domi militiaque oplimus, largilate sere/ws et omritum virMmn insigniis cianis. Vgl. ebenso die lobenden Worte Liudprands von Crcmona in der Antapodosis 11,20: Verum m'si paliida mors ... Chuonmdum regem tarn citissime raperet, h esset, mws nomen multis muridi naliombtts imperarei; Die Werke Liudprands von Crcmona, hg. von Joseph Becker (MGH Scriptores rerum Germankarutn [411) Hannover-Leipzig 1915, S. 47 Z. 7-10, und bereits zuvor den Preis der Weisheit und Tapferkeit, mit der Konrad die Empörer gegen seine Herrschaft - darunter den -späteren König Heinrich I. - 913 unterwarf, ebd. 11,19, S. 46 Z. 3-7. 1 Reginonis ahharis Prumiensis Chrontcon cum continuatione Trcvcrcnsi, hg. von Friedrich Kurze (MGH Scriptores rerum Germanicarum [50]) Hannover 1890, a. 887, S. 128: . ..fortunm ornamtutis destitu- Der Zusammenhang zwischen Fehl verhalten des Königs und Volkswohl >S7 verlassen von seiner Frau und seinen Leuten, wird er schließlich von seinem Neffen Arnulf abgesetzt19 - eine irgend geartete metaphysische Auswirkung dieses Niedergangs auf die Allgemeinheit wird jedoch nicht vermeldet. Die 'Könige ohne Heil' sind also schon im frühmittelalterlichen Denken keine 'unheÜbringendcrT Könige mehr, Ihre T leil-losigkeit bedroht nicht mehr das Volk, sondern gefährdet lediglich die Weiterherrschaft der Könige selbst. Daß diese heidnisch-magische Verbindung zwischen König und Volk schwindet, bedeutet aber nicht das Ende jeder metaphysischen Beziehung zwischen Herrscher und Land. An die Stelle des 'Königs ohne Heil' tritt als neue Gefahrenquelle der zweite Typus: der König, der durch falsche Entscheidungen ein Strafgericht des Christen-Gottes herausfordert. So zog etwa Ott« der Große Gottes Zorn auf die Seinen, als er 964 den Gegenpapst Benedikt V in Rom absetzte und nach Hamburg vertrieb, ,Es suchte', so berichtet Thtetmar von Merseburg, ,ein schreckliches Sterben das Heer des Kaisers heim infolge der erwähnten Absetzung Papst Benedikts und seiner Verban- tum. Übersetzung hier und im folgenden aus: Regino (von Prüm), Chronik, neu bearb. von Reinholii Rau, in: Quellen zur karolingischen Rdchsgcschichte. Dritter Teil (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 7) Darmstadt 1964, S. 179-319, S. 277. Zu Regino vgl, Wati enbach-Levt-son, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, 6: Die Karolinger vom Vertrag von Vcrdiin bis zum Herrsc ha ftsan tritt der Herrscher aus dem sächsischen I lause. Das ustfrän-kische Reich, bearb. von Heinz Löwe, Weimar 1990, S. 898-904; zuletzt Hans Hhnntno Kortüm, Weltgeschichte am Ausgang der Karolingerzcil: Regino von Prüm, in: Anton Schareu-Gi.org Schei-be lr eher (Hgg.), M isturingraphie im frühen Mittelalter (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 32) Wien-München 1994, S. 499-513, mit einem Plädoyer für eine säkular-innerweltliche ^rfHffrf-Konzeption Reginos (S. 506 f.): der Mensch könne dem 'Geschick' gesraltend gegenübertreten, für einen göttlichen Eingriff in die Geschichte hestünde nur geringer Spielraum. Anders akzentuierend Heinz Löwe, Regino von Prüm und das historische Weltbild der Karolingerzeit, in: Ders., Von Cassiodor zu Dante. Ausgewählte Aufsätze zur Geschichtsschreibung und politischen Ideenwelt des Mittelalters, Berlin-Ncw York 1973, S. 149-179 (ergänzter Neudruck eines in den Rheinischen Vierteljahrs blättern 17, 1952, S. 151-179, erschienenen Aufsatzes; der Neudruck ist auch greifbar in; Walter Lammers [flg.], Geschichtsdenken und Geschichtsbild im Mittelalter [Wege der Forschung 21] Darmstadt 1961, S. 91-134): Für ihn ist bei Regino die fori mm - im von Jusrin abgeleiteten Sinne von 'launisches Schicksal* - der Providentia Der untergeordnet; Schicksalsschläge sendet Gott, gerade auch im Falk Karls III., zur Prüfung und Bewährung des Gläubigen (S. 166). 15 Annalium Fuldcnsium pars tertia (Mogontiacensis), a. 864-887, in: Annales Fuldenses sive Annales regni Francorum orientalis, hg. von Friedrich Kukzh (MGH Scriptores rerum Germanicarum [7]) Hannover 1891, S. 62-107, fl, 887, S. 106; Annalium Fuldcnsium conti iMiatio Ratisbonensis, a. 882-897, a. 887, ebd. S. 115 f.; Regino (wie Anm. 18) a. 887, S. 127 f. Dazu Hagen Keller, Zum Sturz Karls III. Über Hie Rolle Liutwards von Vercelli und Liutberts von Mainz, Arnulfs von Kärnten und der oslfränkl-schen Großen bei der Absetzung des Kaisers, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 22, 1966, S. 333-384 (wiederabgedruckt in: Eduabd Hlawjtschka [Hg.], Königswahl und Thronfolge in fränkisch-karolingischer Zeit [Wege der Forschung 247[ Darmstadt 1975, S. 432-494); Eduard Hla-wiTSCiiKA, Lotharingicn und das Reich an der Sehwelle der deutschen Geschichte (Schriften der Monu-menta Germaniae Historica 21) Stuttgart 1968, S. 26-64; eine neue Interpretation - Absage an einen 'programmatischen Hintergrund' der Aktionen - bei Rudolf Schili-trk, Kirl III. und Arnolf, in: Karl Rudolf Scunith-Roianü Pauler (Hgg.), Festschrift für Eduard Hlawitschka zum 65. Geburtstag (Münchener I Iistorische Studie::, Alr.eiiung Mittek'teilichc Geschichte 5'! Kaiin.'luv. Opf. 1993, .f. 133-149; zum Umschwung von Karl zu Atnolf ehd. S. 140 f. - Vgl. zu Karl TTT. als frühem Typus des 'unfähigen Königs' unten Anm. 57. 8H nung.'2ü Ottos Übergriff auf den Papst war ein Angriff auf die 'rechte Ordnung1 in der Welt, diese Sünde wurde folglich durch Zeichen des Himmels angeprangert und gestraft. Daß die Strafe nicht den Kaiser selbst traf, ist bezeichnend für die gerade bei Thietmar21 deutlich hervortretende Auffassung von der Sündhaftigkeit aller — der Könige und des Volkes —, die allen, entweder direkt oder auch wechselseitig, zum Verhängnis werden kann: Ottos iL wachsendes Unglück führt Thietmar einerseits auf eine konkrete falsche Maßnahme des Herrschers, nämlich auf die Aufhebung des Bistums Merseburg, zurück22, Ottos frühen Tod aber auf die schweren Sünden des ganzen Volkes23. Von Heinrich Tl. heißt es an anderer Stelle, dieser König habe seinen 20 Anno domlnkae itiearnaäoms DCCCC.LXTTT ob depmil'wuw stipra memomtam domni Benedict/papae et exiüum, quo moritur, ,m7. .■,,-/,,-;■.;/ lucidim indkaba. Zum historischen Hintergrund Harald Zimmkümann, Parteiungen und Fapstwahlen in Rom zur Zeit Kaiser Ottos cks Großen, in: Dt us. (Ilg.), Otto der Große (Wege der Forschung 45(7] Darmstadt 1976, S. 325-413, S. 379 ff., bes. Anm. 203 auf S. 380 (zuerst in: Romische Historische Mitteilungen 8/9, 1964/65 und 1965/66, S. 29-88); Ders., Papstabscizungcn des Mittelalters, Graz-Wicn-Köhi 1968, S. 94 f. und 235 ff; zu Thielmars Urteil Annerose Schneider, Thietmar von Merseburg über kirchliche, politische und ständische 1'ragen seiner Zeit, in: Archiv für Kulturgeschichte 44, 1962, S. 34-71, S. 44 f. 21 Zu ihm unter dem uns hier interessierenden Aspekt vor allem Boknscheuer (wie Anm. 4) S. 103 ff., bes. S. 109-112. Zu Autor und Werk Helmut Lippelt, Thietmar von Merseburg. Reich sbischof und Chronist (Mitteldeutsche Forschungen 72) Köln-Wien 1973; mit einer Zusammenstellung wichtiger einschlägiger Beiträge jüngst Klaus Guth, Kulturkontakte zwischen Deutschen und Slawen nach Thietmar von Merseburg, in: Dieter Rkkg—Hans-Werner Goetz (Hgg.), iiisturiographia mcdiacvalis. Studien zur Geschichtsschreibung und Quellenkunde des Mittelalters. Festschrift für Franz-Josef Schmale 7um 65. Geburtstag, Darmstadt 19R8, S. 88-102, S. 88 ff.; zuletzt knapp zusammenfassend Ernst Schurert, Die Chronik Thietmars von Merseburg, in: Michael Brandt-Akni-. Eggebrecht (Hgg.), Hernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottoncn. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, 1—2, IJildesheim 1993, 2, S. 239-242, sowie I Ikl.vuit Beumann, Thietmar, Bischof von Merseburg, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 9, Bcrlin-New York 21995, Sp. 795-801. 22 Thietmar (wie Anm. 20) III, Prolog, S. 94 '/.. 34 f. (deutsch S. 85 Z. 6 f.): Cuneth est nimm, Mmbkrgißebile danmum ex quo sustni/kt, quodpaxpia lotige recessit. ,Seir Merseburg kläglich Einbuße leiden mußte, da wich der heilige IViede'; dazu Bornscheuer (wie Anm, 4) S. 117. Zum historischen Hintergrund Robert Holtzmann, Die Aufhebung und Wiederherstellung des Bistums Merseburg. Ein Beitrag zur Kritik Thietmars, in: Dlks., Aufsätze zur deutschen Geschichte im Mittelelberaum, hg. von Albri'cmt Timm, Darrnstadt 1962, S. 86-126 (zuerst in: Sachsen und Anhalt 2, 1926, S. 35-75); Dietrich Claude, Geschichte des Erzbistums Magdeburg bis in das 12. Jahrhundert, 1-2 (Mitteldeutsche Forschungen 67,1-2) Köln-Wien 1972, 1, S, 136 ff., 186 ff, 227 ff.; Hartmut Hoffmann, Mönchskönig und rsx idiaia. Studien zur Kirchenpnlitik Heinrichs II. und Konrads II. (Studien und Texte 8) Hannover 1993, S. 102 f. 21 Thiermar (wie Anm. 20) III, Prolog, S. 94 Z. 29 f. (deutsch S. 85 Z. 1 f.): huim prima bonis iaelantur, triste supremk adimit, nostris crimimbus nndiivu- magnk. ,Glücklich war seine Jugend, jedoch am Ende des Lebens sucht ihn Unglück heim, da schwer wir alle gesündigt'; dazu Bornscheuer (wie Anm. 4) S. 117 f. Vgl. Thietmar IV,53, S. 192 Z. 20-22, zum Tod Ottos III.: Die Trauernden empfinden ihn als verdiente Strafe für ihre Sünden. Der Zusammenhang zwischen Filii verhalten des Königs und Volkswohl 89 Sünden das Mißgeschick zugeschrieben, das zu seiner Zeit im Reich herrschte24. Bischof Thietmar, der seine Chronik zu Beginn des 11. Jahrhunderts schrieb, ist aher nicht der einzige, der bezeugt, daß Vorstellungen von einem wechselseitigen Zusammenhang zwischen Verhalten und Wohlergehen von Volk und Herrscher in gewandeltem, christlichem Gewände damals tatsächlich verbreitet, waren: Wegen der Sünden des Volkes, so melden zum Jahr 1056 beispielsweise die 'Annales Altahenses', habe Gott den Kaiser Heinrich III. mit einer schweren Krankheit geschlagen25. Die Vorbilder für diese Erklärungsmuster lieferte die Bibel an vielen Stellen: Christus, der König, leidet für die Sünden aller26. Umgekehrt treffen die ägyptischen Plagen das Land nuvr wegen der Verstocktheit des Herrschers, des Pharaos27. Ganz Israel gerät in babylonische Gefangenschaft, weil seine letzten Könige taten, ,\vas in den Augen Jahwes böse war'28. Die Beispiele ließen sich vermehren. Wie in biblischer Zeit können auch im Mittelalter bereits einzelne 'verkehrte' Maßnahmen des Herrschers Gott veranlassen, durch ein allgemeines Unglück zu mahnen oder zu richten. Hast zwangsläufig aber löst — und damit kommen wir zum dritten unheilbringenden Königstypus — chronisches Fehl verhalten des Herrschers schließlich Gottes Strafgericht aus. Wer chronisch falsch handelt, ist unmoralisch. Der 'unmoralische' Herrscher25 tritt unter den 'unheilbringenden Königen" am weitaus häufigsten und mit der breitesten chronologischen Streuung auf, und er ruft auch die heftigsten Reaktionen hervor, 24 Thietmar (wie Anm. 20) V,.3l, S. 255 Z. 33-35 (mit Bezug auf die Wirren in Böhmen): tiec owiiin rex dktailte fcwia compmms, honr.stn gmvitate ar.imi pnaentis Ulli/, suis äumtaxat imputans pi-aatk, qmiqilhl hl reg/10 siks twipuribus incommoditatis accidit. Vgl. zu der von den Zeitgenossen betonten Demut und Frömmigkeit Heinrichs IL nun Hoffmann (wie Anm. 22) S. 110-124. 2-~ Annales Altahenses majores, hg. von Edmund L. B. von Oefele (MGII Scriptores revum Germanica-rum [4]) Hannover 21891. a. 1056, S. 5.3: Cum enim Rsmanonuu 't»ipmttm vigeret tranquilla pace, offenstis pwatk nostris Dens se dignitm imperatortm grari pemissit »toivo. 26 Joh. 18,33-40 und 19,1-22; Apok. 1,5. 21 Ux. 7,3 f.; 7,13 f.; 7,22 f.; 8,11; 8,15; 8,28; 9,7; 9,34; 10,20; 10,27; 11,10. 25 Vgl. die stereotypen Charakteristiken der letzten Könige Israels in 2 Kg. und 2 Chron.; zusammenfassend 2 Kg. 17,8 und 17,21-23. 29 Schon der rex imquns des eingangs zitierten irischen 'Pseudo-Cyprian' gebort zu diesem Typus. Er ist unbeherrscht und ungerecht, versäumt seine Aufgaben der Friedenswahrung und der Zügelung der Übeltäter. Sein Grundfehler ist letztlich mangelnde Selbstdisziplin; deshalb nimmt er seine Pflichten nicht getreu wahr und kann anderen weder als Beispiel noch als ernstzunehmender Mahner dienen. Reges a rede agendo voeati sunt, idevqtte reck facienda regis nmmn tenetar, pecca/tdo amittitur (Sancti Isidori Ilispn-lensis episcopi Sententiarum libri tres, in: Migne, PL 83, Sp. 537-738, 111,48,7, Sp. 719) und Reges a regetido voeati ... Non autem regit, qtu aoti corrigk (Isidori Hispaniensis episcopi Etymologiamm sive origi-num libti XX, 1-2, hg. von W M. LindSaY, Oxford 1911, Nachdruck 1962, 1, 1X3,4, Z. 21 f.; vgl. fast gleichlautend schon Sancri Auretii Augusüni Ennararationes in Psalmos T—L, hg. von Eligius Dekkers— Johannes Hraipont [Corpus Ohristianoruni, Series Latina 38J Turnhout 1956, in psalmum XL1V.17, S. 505 Z. 30 f.) - so lauten die beiden grundsätzlichen, breit rezipierten Definitionen Isidors von Sevilla; vgl. xu seinen Vorgängern und Nachfolgern in der Deutung des iwwen regis Anton, Fürstcnspiegel (wie Anm. 8) S. 384—404; zu Isidors IIerrscherethik ebd. S. 55-61 mit Anm. 58; zu deren Rezeption ebd. passim, speziell üur Rezeption und Weirerverbreitung durch lJseudo-Cyprian Di-.u.s.p Pseudo-Cyprian (wie Anm. 8) S. 574 f., und Moore (wie Anm. 8). Der rex in'tqtius hingegen muß sich die Frage gefallen lassen: ,Wie kann einer andere beherrschen, der nicht einmal sich selbst beherrscht?'; vgl. beispielsweise Pseudo-Cyprian (wie Antil. 8) S. 51 Z. 3-8 oder Nieoki I. papac cpistolae (wie Anm. 36) Nr. 18, S. 284 Z. 19-22. Zur Tradition dieser Auffassung Anton, Fürstenspiegel, S. 269 f., 386-388, und Nikolaus •■!, I Marita Blattmann Der Zusammenhang zwischen l'e Iii verhalten des Königs und Volkswohl "1 Als Paradebeispiel des 'Unmoralischen' hat sich aufgrund seiner jahrelangen Eheaffäre König Lothar II. (855—869) profiliert30. Aus seinem Scheidungsbegehren erwuchs, wie etwa Rcgino von Prüm betont, ,nicht nur dem König selbst, sondern seinem ganzen Reich der allergrößte Schaden01. ,Daß Gott sich nicht allein gegen Lothar wandte wegen seiner Verstocktheit und Un Büßfertigkeit, sondern vielmehr gegen sein gan2es Reich', illustrierte schon die Seuche, die beim Italicnfcldzug 867 viele dahinraffte32. Zwei Jahre später, 869, starben dann Lothar und ein großer Teil des Adels auf dem Rückweg von Rom, nachdem der König sich nicht gescheut hatte, dort eine Falschaussage in Sachen Ehescheidung durch den Empfang der Kommunion zu bekräftigen, die Feinde des Reiches aber gediehen wie nie zuvor33. Als 'Strafgericht Gottes' wertet auch Hinkmar von Reims das große Sterben nach Lothars römischem Meineid34, halt sich aber ansonsten in seinem historiographischen Werk mit Kommentaren zur Sache erstaunlich zurück. Um so deutlicher wird er in seinem umfangreichen ablehnenden Gutachten zu Lothars Scheidungsbegehren, das, nach vielen kanonischen Argumenten, in einem Vollzitat der fatalen Folgewirkung eines rex iniquus aus dem iriseben 'Pseudo-Cyprian' gipfelt35. Gutachten und Mahnbriefe — weniger historiographischc Werke - sind jene Zeugnisse, in denen die unheilvolle Wirkung des 'unmoralischen Königs' in immer neuen Varianten thematisiert wird. Hier tritt nun ein in der Historiographie kaum Staubacii, Rex chrisrianus. Hufkultur und Herrschaftspropaganda im Reich Karls des Kahlen, 2: Die Grundlegung der 'religinn royale' (Pictura et poesis 2) Köln-Weimar—Wien 1993, S. 123, 150 ff. 30 Hierzu zuletzt, mit Verweisen auf die frühere Literatur, die Einleitung zur Neuedition: Hinkmar von Reims, De divortio Lotharii regis et Thcutbcrgae reginae, hg. von Letlia Böiiringhr (MGII Concilia 4, Suppl. 1) Hannaver 1992, S. 4 ff. ;it Regino (wie Anm. 18) a. 856 - korrekt wäre 854 - S. 77 (deutsch S. 189 Z. 24 f.): ... ex qua commictiom maxima ru'ma tw/r Uli solum, sed etiam omni regna eins aeädit. Rcginos Chronik wurde 908 abgeschlossen; die kommentierten Ereignisse hegen also 39 Jahre und länger zurück. yL Rcgino (wie Anm. 18) a. 867, S. 94 (deutsch S. 219 Z. 14-16): ... nt iam tum darstur inteihgi, quodpropter duriciam el cor inpoenitens Dens mn solum Lvtmrio. w.m etiam omni regr.o eins adversaretnr; vgl. zu den fatalen Folgen der duritia cordis des Pharaos, auf die hier zweifellos angespielt wird, die oben in Anm. 27 angegebenen Stellen. - Auch Kortüm (wie Anm. 1 8) S. 507 mit Anm. 51 ordnet den Bericht von der Seuche jenen wenigen Stellen bei Regino zu, wo eine providcntiell-meraphysischc Deutung die übliche rationale Erklärung eines Ereignisses überlagert. 33 Regino (wie Anm. 18) a. 869, S. 98. 34 H/otharius vtro Roma tae/us prommens usque Lamm ümtatem ueu/t, um febre corripitur, et grassante gtade in snos quas in nadus süss toacematim ?}.w', The King's Two H< «lies. A Study in Medi:-]cv;-il l'olitical Theologv, Princclon, New Jersey 1957 (deutsch: Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990), bes. S. 87 ff.; Bernhard Töpfer, Tendenzen zur Entsakralisierung der Herrscherwürde in der Zeit des Investiturstreits, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 6, 1982, S. 163-171; jüngst Wkini-uKJ'iiR (wie Anm. 3) S. 121 ff.; Struve (wie Anm. 53). 1,0 Manegoldi ad Gebehardum Über, hg. von Kuno Franckl (MGH Libelli de lire 1) Hannover 1891, S. 308-430, Kap. 30, S. 365 Z. 16-25. Horst Fuhrmann, ' Volks souverän i rät' und 'Herrschaftsvertrag' bei Manegold von Eautenbaeh, in: Sten Gagner-Hans Schlüsser—Woli'Gang Wteoand (Hgg.), Festschrift für Hermann Krause, Köln-Wien 1975, S. 21-42; Stürner (wie Anm. 51) S. 138-141; entgegen dem Titel weniger zu Manegolds Auffassung des Königtums als officium Start mentum denn zu dem geistigen Umfeld des Autors Wilhelm Kölmel, Judiüo talionis. Manegolds Theorie der Königstnaeht. in: Schkith-Paulek (wie Anm. 19) S. 267—282; zum Wandel der Ansichten über das Widerstandsrecht gegen den Herrscher unter den letzten Saliern Reuter (wie Anm. 51) S. 314 ff. ~7 Vor der Mitte des 11. Jahrhunderts tritt hingegen jener Zusammenhang zwischen Herrscherverhalten und Volkswohl, der uns heute am selbstverständlichsten erscheint - daß nämlich aus mangelnder F.ig nuug des Herrschers resultierende politische Fehlentscheidungen das Volk gefährden in den Quellen kaum auf; dazu Edward Peters, The Shadow King. Rex inutilis in medieval law and literature 751—1327. New Häven-London 1970. Ein schlichtweg 'unfähiger' König begegnet nur in Gestalt Karls III. -bezeichnenderweise ein Herrscher, der zu f.ebzeiten abgesetzt wurde. Die Mainzer Redaktion der 'An nales Fuldenscs — vgl. zu ihrer Position unter den verschiedenen Verzweigungen der sogenannten 'Annales Fuldenscs' Wattenrach-Levison (wie Anm, 18) S. 681-683 - bescheinigt ihm im späten neunten Jahrhundert unverhohlen Feigheit und politische Unfähigkeit. Karl habe 882 mit den Normannen Frieden geschlossen, er habe in der Person des Normannenführers Godafridus den größten Feind und Verräter seines Landes zum Mitherrscher eingesetzt (Annalium Fuldensium pars tertia [Mogontia-censisj [wie Anm. 19] a. 882, S. 99) und damit seinem eigenen Heer, viri innumembiks et omnibus hostibns forniidandi, si ducern habuissent idoneum sibique consentientem (ebd. S. 98), den Sieg über die Feinde entzogen: Undc cxcratits eald« contrisUtus dolebat super se talem rsnisse principe/», qm hostibns fault et eis viüoriüin de hostibns subtraxit (ebd. S. 99). Schkißendlich fallen deshalb die Normannen ins Land ein und toten zahlreiche Franken, ebd. und a. 883 f., S. 100 f. Das ist diesmal kein göttliches Sirritgericht, sondern ein Fall von persönlicher Schuld. Karl III. trifft hier nicht, wie der bei Thietrnar von Merseburg prinzipiell positiv gezeichnete Otto der Große, eine falsche Einzelentscheidung, für die seine I .eure büßen müssen (dazu oben Anm. 20); er macht militärisch-taktische Fehler, weil er es nicht besser kann. Ks sind sehr irdische Fehler, die sich sehr irdisch rächen: Karl wird von seinen Leuten verlassen und von seinem Neffen, dem spateren Kaiser Arnolf, 887 abgesetzt (vgl, oben bei Anm. 19). Zu Reginos Schilderung Karls III. als eines Erfolglosen Kortüm (wie Anm. 18) Auen. 41 S. 505 f. - Vgl, unten Anm. 72. 98 Marita Blaltmann sisches mehr an, selbst wenn es die Bevölkerung in Mitleidenschaft zieht. Einen unfähigen König oder einen Tyrannen mag man erdulden müssen, aber man muß nicht mehr unabänderlich in fataler Verknüpfung mit ihm dulden, Versuchen wir eine zusammenfassende Wertung! Das Motiv vom 'unglückbrin-genden' König ist — wie das Motiv eines Königs, dessen rechter Wandel den Wohlstand des Landes bedingt38 — ein kulturübergreifendes; es hat verschiedene Wurzeln und kann deshalb auch in verschiedene Weltbilder eingebaut werden — in unserem Fall ebenso in das archaisch-heidnische wie in das christliche. Gemeinsam ist diesen Motiven die zugrundeliegende Ursache: Ob die Verbindungen des Königs mit dem Numinosen abreißen und er damit schlicht unwirksam wird, ob sich die Elemente gegen König und Volk verschworen haben^9 oder ob Gott durch ein Strafgericht mit dem sündigen Herrscher zugleich das verführte Volk züchtigt: immer gerät die Welt aus den Fugen, weil mit dem König etwas 'nicht in Ordnung' ist60, Die Katastrophen >ö Graus, Volk (wie Anni. 10) S. 328 mit Anm, 139 stellt ans verschiedenen Kulturen Belege zusammen für den Glauben, daß Ernte und Wohlstand des Landes irgendwie mit dem Verhalten des Königs verbunden sind. Zu den Germanen vgl. de Vries (wie Anm. 8) S. 394-396, Speziell zu den Tren Moore (wie Anm. R). Der wohl um 960 redigierte und fortan maßgebliche Mainzer Krönungsordo (Hinweise dazu bei Keller [wie Anm. 15] S. 417} billci in Anlehnung an ältere Gebete für die Ilerrschaftszeif des neugekrönten Königs um das Wohlergehen des Volkes und jenen Segen auch in der Natur, den Gott Abraham, Isaak und Jakob verliehen hat: Tribut ei de /vre cae/i et de pingnedine terrae hatmndantiam frumenti, mni et o/ei et otmuum frugnm vpitkniiam, ex targitate diviffi tmtneris longa per tempora, ut, illo regneinte, sit sanitas corporum in patria, et pax imiolata sit in ntgno ...; Cyrille Vogel—Reinhard Ei.zr., l,e pnntifical romano-germanique du dixieme siecle, 1-3 (Studi c testi 226, 227, 269) Gttä del Vaticano 1963-1972. 1, Nr. 72 S. 246-259, S, 253 Z. 10-15. Vgl. als iilttcsiamentarisches Vorbild besonders den Segen Isaaks über Jakob (hier Gen. 27,28) und jenen Segen, den Gott dem Volk Israel für den Fall seines Gehorsams versprochen hart Benedictas tu in anitak et bentdictm in agro. Benedictas fmctns mitris tili, et jmctiis terrae tmt fruetusque mmentorum tuorum, greges armentarum et cattiai avium tuaram. Benedicta Iwrea Ina et benedictae reliquiae. tue--;. Bi>i?d;cin; eris ■■!