(DftbairiTcfye (Btmzmatfan Passauer Jahrbuch für Geschichte, KunsT: und Volkskunde Herausgegeben von Benno Hubensteiner und August Leidl in Verbindung mit Josef Oswald 1971 VERLAG DES VEREINS FÜR OSTBAIRISCHE HEIMATFORSCHUNG PASSAU H £$00 /SO WILHELM HANISCH ßom'g Wentel oon Sofjmen (geb. 1361, geft. 1419) Studien zur Geschichte seiner Regierung Teil I im Jahrbuch XI (196g) 197-217 Teil II im Jahrbuch XII (1970) 5 - )2 Teil III im Jahrbuch XII (197°) 33 ~6' IV. Seine Persönlichkeit. Versuch einer Beschreibung Die langjährige Beschäftigung mit den Urkunden und Briefen König Wenzels und die Absicht, einmal auch die Geschichte des Deutschen Reiches unter ihm zu schreiben, haben den Wunsch entstehen lassen, einzelne Fragen zur Geschichte seiner Regierung in Studien zu klären. Sie konnten in diesem Jahrbuch abgedruckt werden. Hinter den Urkunden und Briefen steht der Mensch Wenzel. Ihm ist die letzte Studie zugedacht, die in der Aufarbeitung einer sich auf viele Gebiete erstreckenden Literatur und der Erschließung ungenutzter Quellen versucht, wissenschaftlich gültige Aussagen über diesen Menschen Wenzel zu machen. Auch auf die Gefahr hin, daß sie nur einige Sätze ausmachen könnten. Die Studie über die Persönlichkeit König Wenzels ist unter die allgemeinere Frage gestellt, was man wissenschaftlich exakt nach sechshundert Jahren über einen Mann der Geschichte auszusagen in der Lage ist. Exakt im Sinne der exakten Wissenschaften bedeutet bei einem solchen Vorhaben die deutliche Vcrgegenwärtigung der Tatsache, daß kein Mensch es vermag, über sich selbst und die ihm am nächsten stehenden allgemein verbindliche, also wissenschaftliche Aussagen zu machen. Wie der allgemeinen Erkenntnismöglichkeit Schranken und Grenzen gesetzt sind, so im besonderen auch der Intuition des Historikers. Die oftmals vielen Bilder einer historischen Persönlichkeit werden in neuen Betrachtungsweisen vielfältiger und bunter und nicht umgekehrt einfacher und konkreter und somit schwankt die Persönlichkeit in der Betrachtung der Geschichte. Unsere Überlegungen sind nicht davon ausgegangen, daß Wenzel Römischer und böhmischer König gewesen ist, sondern von der sich aus dem Studium seiner Tätigkeiten und Taten als König ergebenden Hypothese, daß der Mensch Wenze| einen Wandel durchgemacht hat. Und zwar einen Wandel zum Schlechten hin. Es muß einen Bruch in seinem Leben gegeben haben. Seine ins Negative gewandelte Humanstruktur der anderen Lebenshälfte ist mit den Worten Trunksucht und Gift kennzeichnend umrissen, gein Alkoholismus und die Tatsache, daß ihm wiederholt tödlich wirkende Gifte verabreicht, worden sind, sind zweifelsfrei belegbar. Alkoholmißbrauch führt im Sinne der Neurosenlehre und Psychotherapie zu süchtigen Fehlhaltungen.1) Die Frage, ob Alkoholismus und die Einwirkung von Giften in einem ursächlichen Zusammenhang stehen, dergestalt, wie Wenzel selbst seine Trunksucht darauf zurückgeführt hat, ist vielleicht so zu beantworten: Stoffe, die Trunksucht zur Folge haben, sind nicht bekannt.J) Man muß aber hinzufügen, daß z. B. Morphinisten sich sehr selten nur mit diesem einen Gift begnügen und bei den zusätzlichen Alkohol geradezu in jedem Fall dabei ist. Im strengen Sinne der erstgenannten Tatsache kann die rechtfertigende Erklärung Wenzels als faule Ausrede gewertet werden,2) im anderen Fall wird man unter Fortfall der Vorstellung von Ursache und Wirkung die Annahme setzen können, daß GifUsüchtige« auch an Alkoholabusus »leiden«. Damit ist der weitere Schritt getan: bei Wenzel mit_einer Geisteskrajikheit: j-echnen zu müssen. M. W. hat Fürst Lichnowsky als erster ausgesprochen, Wenzel sei wahnsinnig gewesen.3) Er belegt das nicht und seine Behauptung ist un- KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN *99 spezifisch, weil es sehr verschiedene Arten von Wahn gibt. Für den Laien liegt die Gedankenverbindung Alkohol - Sauf erwähn nahe und dabei an den Mord an Johannes von Nepomuk zu denken und zu sagen, er sei die Tat eines durch Alkohol enthemmten »Wahnsinnigen« gewesen, m dessen Macht als König e5 durchaus lag,Todesurteile zu fällen, Die psychische Abnormität sei daran zu erkennen, daß er, der König, die Exekution persönlich vornahm. Die vorsichtige Formulierung dieser letzten Sätze möchte zu erkennen geben, mit welchen Schwierigkeiten der Historiker rechnen muß, wenn er nicht gleichzeitig auch Mediziner und Anthropologe ist und nur davon ausgehen kann, daß sein Ansatz grundsätzlich richtig ist. *) Denn bei der Fragestellung, die hier aufgeworfen ist, handelt es sich um ein anthropologisches und um ein medizinisches Problem. Ich verfüge nicht ausreichend über die anthropologischen und genetischen Kenntnisse, um die dem Historiker geläufigen, nämlich die schriftlichen Quellen naturwissenschaftlich kritisch auswerten zu können. Geschweige die ebenso legitim zu den historischen Quellen zählenden Bildnisse und Überreste. Daher bin ich auf Aussagen anderer angewiesen, und das erschwert natürlich die Arbeit. Meine Behauptungen und Folgerungen müssen behutsam in Worte gefaßt werden, auch wenn meine Fachkollegen die Vorbehalte der Naturwissenschaftler kaum hegen werden. Ich habe an namhafte Fachleute *) mit der Mitteilung der Aussagen der schriftlichen Quellen und des überkommenen Bildes die Frage gestellt, was sie über die Persönlichkeit Wenzels aus seinem Skelett aussagen können, besonders seinem Schädel. Geht doch von ihm eine eigenartige Faszination auf den Laien aus, der leicht dazu neigt, mehr in den Schädel hineinzudeuten, *) als er ohnehin tut: er umschließt und schützt das menschliche Gehirn, das größte Wunder der Schöpfung. Der Schädel des Menschen ist der menschlichste Ted seines Skeletts.7) Im Jahre 1928 sind die Särge in der Kön igsgruft i m Veitsdom au f der Prager Burg geöffnet und die Körperüberreste gemessen worden. ■) Die anthropologischen Daten standen den Befragten zusammen mit den Fotoaufnabmen der Schädel zur Verfügung. *) Die Antworten haben keine sicheren Aussagen gebracht. Im_be-sonderen ist es heute mit wissenschaftlicher Exakt- heit nicht mehr möglich, aus der Schädelform etwas über Charakter oder Persönlichkeit auszusagen. Das könnte man höchstens dann tun, wenn im Bereich des Schädels offensichtlich pathologische Befunde erkennbar wären. Dies ist hier aber nicht der Fall. Das Material ist genau untersucht worden, ohne einen wesentlichen Anhalt für irgend etwas in dieser Richtung zu gewinnen. Und es sei zu befürchten, daß auch keine wesentlichen Gesichtspunkte von einer psychopatbologischen Deutung zu erfahren seien. Bei Wenzels krankhafter Trinksucht könne unter Umständen an eine chronisch protahierte Vergiftung mit Atropin-Belladonna gedacht werden, wodurch unter Umständen auch die unbeherrschten Wutausbrüche und die Charakterveränderungen erklärt werden könnten. Aber bei welchem chronischen Alkoholiker findet man das nicht? Welcher Süchtige befriedigt sein Kausalitätsbedürfnis nicht gern mit Vergiftungsideen paranoider Art, um sich zu exkulpieren?I0) Wenn bei Wenzel Alkohol und Gift eine Rolle spielen, dann sollte man davon ausgehen, daß sidi die Auswirkungen des chronischen Alkoholmißbrauchs nicht am Skelett finden, sondern an den großen parenchymatösen Organen wie Leber, Nieren und Herz; ferner am Gehirn, je nach der Art der alkoholischen Getränke. *) Durch Alkoholmißbrauch wird die Abwehrkraft des Körpers geschwächt, so daß die Anfälligkeit gegen Infektionen, auch gegen Tuberkulose, steigt.2) Sexuelle Impotenz ist typisch für notorische Säufer. *) Ein notorischer Säufer wird stets nur ein Psychopath sein, also ein primär degenerierter Mensch. Beim Morphinismus ist das anders. Hier kann auch ein primär gesunder Mensch zum Sklaven des Giftes werden. *) Über Wenzel hat der Mediziner Levin das folgende gesagt: ") Wenzel IV., der 1378 zur Herrschaft kam, weil sein Vater viel Geld dafür bei den Kurfürsten angewandt hatte, war ein gerecht denkender und versöhnlicher Mann. Seinem üblen, ihm nachstellenden Bruder Sigmund hatte er eine gegen ihn verübte Schandtat - Sigmund hatte ihn zusammen mit Albert von Österreich und Jobst von Mähren 1395 gefangennehmen und wegführen lassen - verziehen. Als Dank ließ dieser Mann, dessen Moral keineswegs geeignet 200 WILHELM HANISCH war, ihm ein gutes Relief zu geben, ihn wieder festnehmen und in ein Gefängnis werfen, aus dem er angeblich nur durch seinen Neffen, den Herzog Albert IV. von Österreich, dem er als Gefangener übergeben worden war, entweichen konnte. Dieser Albert, ein bigotter Ketzer-verfolger, der viele Steiermärker als Ketzer verbrennen und mit glühenden Eisen zeichnen ließ, nahm überdies auch kein gutes Ende. Wenzel, frei geworden, suchte mit Hilfe des Königs von Polen seinem Bruder für seine Verräterei den Lohn zu geben. Er richtete nichts aus, wurde 1400 von den rheinischen Kurfürsten der deutschen Königswürde entsetzt und mußte erleben, daß Sigmund Kaiser wurde. Seine in Geschichtsbüchern breitgetretene angebliche Grausamkeit - seine Feinde nannten ihn den anderen Nero - wird vor allem von der Tötung des Vikars Johann von Nepomuk, eines dauernd Unruhen erregenden Geistlichen, abgeleitet. Dieser wurde jedoch in einem regelrechten Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt. Wahr ist, daß Wenzel, weil er dauernd an Durst litt, viel trank und in der Trunkenheit gefährlich wurde. Man sagte, daß er erst nach seiner Gefangenschaft in Wildberg seinen unstillbaren - vielleicht diabetischen - Durst bekommen habe. Es sei ihm dort Gift beigebracht worden. Bei so viel tückischen Feinden, die Kaiser Wenzel, der jahrelang auch Hus beschützte, besessen hat, könnte man wohl daran glauben, daß ihm, was Chronisten berichten, mehrfach mit Gift nachgestellt wurde. Seinem Bruder Sigmund ist dies jedenfalls zuzutrauen gewesen. Sollen die aufgezählten Vorzüge Wenzels bzw. die negativen Eigenschaften seines Vaters ") denn den Hintergrund der Giftanschläge aufhellen? Von den Toxikologen haben wir die Nennung der damals in Frage kommenden Gifte und die an uns gestellte Anforderung auf naturwissenschaftliche Interpretation der von diesen Anschlägen berichtenden »Chroniken« erwartet. Den Laien verwirrt die Tatsache, daß es harmlose Stoffe gibt, die vergiftend wirken, und schwere Gifte, die sich unter Umständen als harmlos erweisen und damit recht deutlich wird, daß man nicht einfach von Gift sprechen kann oder von einer Giftsubstanz, die nun so unter allen Umständen eine genau zu erwartende Wirkung ausübt.1J) Aus der Formulierung Levins u) ergibt sich doch wohl ein Zusammenhang zwischen dem unstillbaren - vielleicht diabetischen - Durst und der Verabreichung von Gift. Von anderer Seite1) ist dieser Zusammenhang verworfen worden. Genügt es und ist es gerechtfertigt, von dem verruchten Geschlecht der Luxemburger zu sprechen, das wie ein Komet am historischen Horizont auftauchte und wieder verschwand und im ganzen ein Geschlecht von Psychopathen, von geistig, seelisch und körperlich Degenerierten war? ') Ist es richtig, auch an König Johann den Blinden von Böhmen zu denken, der in der Schlacht von Crecy gefallen ist. Wjejunn ein Blinder in die Schlacht ziehen und sich niedermetzeln lassen. Das kann nur ein Psychopath. Sicherlich nicht. Vielleicht lag es an der Art meiner eben laienhaften Fragen, daß die Antworten Möglichkeiten aufgezeigt haben und ich mehr erhofft hatte, als gegeben werden konnte. Ich habe wissenschaftliche Aussagen zu meinem Thema gesammelt und zur Verfügung gestellt, die dem Kenntnisstand ihrer Zeit entsprechen und heute nur mit Vorbehalt verwendet werden können.4) So hat der Anthropologe Matiegka, der im Jahre 1928 die Skelette vermessen hat,*) mit den damals bekannten Methoden gearbeitet, die Identität seiner Beurteilungen aber keineswegs ausreichend gesichert. 4) Mit den Abbildungen nach Skulpturen, Fresken usw. kann man nur wenig anfangen, da ihre mögliche Porträtsähnlichkeit sehr begrenzt ist.4) Bei den Genealogen wird gleichfalls zu berücksichtigen sein, daß diese kaum naturwissenschaftlich belastet sind. Entsprechend ist ihre Auswertung eingeschränkt, soweit sie genetische Aussagen über Krankheiten usw. machen. *) Sicherlich kann man aus Knochen allein kein Menschenleben rekonstruieren. Zumal wir hinsichtlich der Knochen König Wenzels keineswegs sicher wissen, daß die von Matiegka ihm zugeschriebenen tatsächlich die seinen sind.") Ebenso sicherlich ist die Warnung ernst zu nehmen vor naturwissenschaftlichen Spekulationen. Soll das aber bedeuten, von dem Versuch abzulassen, das Bild einer historischen Persönlichkeit, mit der man sich lange genug beschäftigt hat und von der man sein eigenes Bild hat, durch genauere Konturen und scharf erfaßte Einzelheiten wahrhafter zu gestalten? Man kann über Wenzel viel sagen, 12 KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 201 was in den Quellen steht. Kann man über ihn mehr sagen, was in den Quellen nicht steht, aber als Bild sich aus der Beschäftigung mit ihm ergibt und wo es nicht darauf ankommt, ob der eine und der andere Zug seines Wesens stimmt oder nicht stimmt? In Worte übertragen, löst sich das Bild in Bewiesenes und Unbewiesenes auf. So lange man sich bewußt bleibt, was unbewiesen ist und unbeweisbar bleibt, so lang kann man hoffen, daß Hypothesen als Hypothesen erkannt und anerkannt werden und beim kritischen Leser und beim Fachmann für die speziellen Fragen ebendeswegen ankommen. Um Meinungen kann man streiten. Das macht das Bild bunter. Als Säugling soll Wenzel ein stattliches Körperchen gehabt haben. Seine Eltern wollten aus Dankbarkeit über die Geburt des Thronfolgers eine Pilgerfahrt nach Aachen machen. Als das nicht ging, ließ Karl IV. ihn abwiegen und schickte sein Gewicht, 16 Unzen reinen Goldes, der Karl dem Großen in Prag erbauten Kirche.1S) Im Alter von 58 Jahren erlag Wenzel im Angesicht des Ausbruchs der hussitischen Revolution einem Schlaganfall. ") Aus dem stattlichen Säugling war ein stattlicher Mann von überdurchschnittlicher Körpergröße geworden.,4) Dieser Mann Wenzel und dieser König Wenzel ist mehrfach gebrochen worden. Einer seiner besten Kenner ") hält ihn .für eine starke, wenn auch tragische Persönlichkeit. Audwch habe eine positive Meinung über ihn als König. In den revolutionären Umwälzungen seiner Zeit hat er seinen Mann gestanden in der Verteidigung des Staates als einer moralischen Anstalt. ") Ich habe es als wesentlich angesehen, I daß er sich im Zentrum geistiger wie macht-/ politischer Kämpfe als König gehalten und damit als Vollstrecker des Testaments seines Vaters bewahrt hat und sein Leben in den Wogen des Ausbruchs der sein Land Böhmen erschütternden und auf Deutschland übergreifenden Revolution zu Ende ging, als sein Herz brach. Nur in einem möchte ich dem Bild eines modernenHistorikers1*) folgen: daß zur Durchsetzung solcher Ideale die Tyrannis als Regierungsform notwendig gewesen wäre und er also in Böhmen und in Deutschland gegen seine Zeit gestanden hatte. Das folgende ist dem größeren Zusammenhang entnommen, der sich mit Hus beschäftigt. Es füllt nur ein uraltes Bild mit anderen Worten auf und liest sich gut. Der Fachhistoriker wird sich damit aber nicht identifizieren: Der Landesherr von Jan Hus, Wenzel, war Geist vom Geist des Hussitentums, und doch fehlte ihm die Größe, die auch das Böse braucht, um in der Welt zu wirken. Karl IV. war ein Tscheche deutscher Bildung gewesen. Wenzel kam aus den tieferen Schichten des Slawentums. Er gehörte zu den Hussiten, die allzuoft die deutsche Geschichte gemacht haben und deren letzter Adolf Hitler war. Wenzel gehört zu den modernen Herrschern, die Menschen aus der Tiefe benutzen, Kreaturen, die völlig von ihnen abhängig sind und die sie beim leisesten Hauch des Ungehorsams in die Gosse hin abschleudern können. Er hatte Günstlinge der vulgärsten Art und umgab sich mit Stallknechten, Kneipwirten und Händlern. Er gehörte zu den Revolutionären auf dem Königsthron, die bereit waren, mit dem niedersten Volk zu gehen, um die Adeligen zwischen Volk und Macht zu zermalmen. Er wußte, daß Menschen, die eines Verbrechens schuldig sind, am sichersten gehorchen und daß nicht nur die Revolution Verbrechen erzeugt, sondern auch das Verbrechen Revolutionen. Er hätte ein großer Tyrann werden können, wenn er sich nicht niederen Leidenschaften, der Jagd und dem Trunk ergeben hätte. Kein Herrscher ist der Welt gefährlich, der nur Wild, Alkohol und Huren sucht. Seine Frau haßte er, weil sie nicht willfährig an seinen Ausschreitungen teilnahm. Ihr Widerstand erfüllte ihn mit Mißtrauen, so daß er ihren Beichtvater und geistlichen Beistand, Johann von Nepomuk, den Generalvikar von Prag, mit eigener Hand folterte und schließlich mit an die Hände gebundenen Beinen in die Moldau werfen ließ. Wenzel trieb sich nachts durch die Straßen und suchte wie Hus durch seine Predigt die Schande seiner Mitmenschen aufzuspüren. Wenn er irgendeinen hohen Kleriker mit einer Frau zusammen fand, ließ er beiden die Kleider vom Leibe reissen und sie nackt durch die Straßen von Prag treiben. Wenzel war nur noch nicht unmenschlich genug, um einTyrann großen Stils werden zu können. Er besaß kein größeres über sich hin aus reichendes Ziel. Er liebte die Jagd und den Wein mehr als 202 WILHELM HANISCH die Macht. Dadurch blieb er menschlich und wurde kein großer Herrscher. All diejenigen Herrscher werden keine vollkommenen Tyrannen, die für sich selbst die kleine Freude im kleinen menschlichen Dasein nichtmissen wollen. Aber geradevon diesem allgemein verbreiteten Bild, dessen Form hier vollendet entgegentritt, wollen wir zurückfinden zu gemäßigteren Aussagen. Die Günstlinge spuken auch in der modernen wissenschaftlichen Literatur und können ad absurdum geführt werden.1 •) Johannes von Nepomuk als Wahrer des Beichtgeheimnisses ist Legende. Er war das Opfer der scharfen Kontroverse zwischen Kirche und Staat um die von Wenzel geplante Errichtung eines Bistums in Westböhmen. Das Verhältnis zu seiner ersten Gemahlin wird uns von anderer Seite als sehr herzlich erschlossen. Wenzel war vor Schmerz außerstande, an der Grablegung teilzunehmen. Wir kommen darauf zurück. Seine hier als Prüderie hingestellte Willkür wird sich als die auf den alter Nero passende Umformung der Biographie Neros I. von Sueton erweisen lassen. In den medizinisch-anthropologischen Gutachten sind weitere Momente angesprochen worden, die unsere Fragen erweitern und ergänzen und die wir im Auge behalten wollen: sexuelle Impotenz, Eifersuchtswahn, Blindheit. Es empfiehlt sich, wie ein Arzt mit Fragen nach Krankheiten in der Familie zu beginnen, sie aber nicht auf die Eltern zu beschränken. Denn nach landläufiger Auffassung vererben sich bekanntlich »Eigenschaften« von den Großeltern auf die Enkel. Und da ergibt sich die erste Schwierigkeit: je weiter sich die Voreltern verfolgen lassen, umso mehr fallen die Frauen aus. Ihre Namen werden zusehends unbekannt. Da dem so ist und also die Männer im Vordergrund stehen, wird man mit »Diagnosen« sehr vorsichtig sein müssen. Ebenso vorsichtig in der Wahl der Worte, wenn es sich nicht vermeiden läßt, Begriffe wie »deutsches Blut«, »französisches Blut« anwenden zu müssen, um sprachlich die »nationale« Herkunft eines Betreffenden zu markieren. Je umfangreicher der Stammbaum wird, umso mehr Länder und Ländchen in Europa von den Pyrenäen bis zum Ural. I So ist z. B. der Ahnensatz des Vaters unseres Wenzel, Kaiser Karls TV., errechnet wordehT*0) 42,4 % deutsch, 41,1% französisch-germanisch, 0,8 % schwedisch, 0,2 % tschechisch, 6,3 % slawisch (außer tschechisch), 0,3 % madjarisch, 7,8 % griechisch, 1,2 % sonstig. Eine beachtenswert korrigierende Feststellung in Anbetracht eines früher geführten Streites um seine Nationalität.J1) Eine ähnliche Berichtigung dürfte die Nationalität der Mutter Wenzels, Anna von Sdiweidnitz, erfahren. Verfolgt man die Vaterlinien, enden sie bei Piast, dem ersten Herzog von Polen (842 - 861) und also wäre Anna eine Polin eventuell nordgermanischer Herkunft. Sie ist aber auch die Enkelin König Karl II. Robert von Ungarn, also eines Mitglieds des französischen Königshauses, dessen Aszendenz sich bis ins 8. Jahrhundert zurück verfolgen läßt. Sieht man von den Frauen ab, deren Vorfahren sich in den Weiten Rußlands verlieren, so entstammen sie dem mitteleuropäischen Raum. Im besonderen sind es Habsburgerinnen, deren Ahnen sich schwerlich über den Vater König Rudolfs von Habsburg zurück verfolgen lassen. Kann bei Königskindern, in deren Adern Blut aus »ganz Europa« floß, von Nationalität in unserem heutigen, eingeengten Sprachgebraudi überhaupt die Rede sein? Was war dann Wenzel? Kann man diese Frage überhaupt stellen? Was sagt der Ahnensatz über Karl IV. aus? Kann man ihn in Relation bringen zur äußeren Erscheinung des Kaisers, die Matteo Villani M) so gesehen hat: er war von mittlerer Größe, jedoch klein nach deutschem Maß, buckelig, drückte Hals und Gesicht nach vorn, doch nicht aus Nachlässigkeit. Sein Teint war dunkel, das Gesicht ziemlich breit, die Augen groß, die Wangen aufgedunsen, der Bart schwarz und das Haupt vorn kahl. Am Beispiel der Eindrücke des Florentiners läßt sich unser Versuch deutlich machen: seine Aussagen am Skelett und an den Bilddarstellungen zu überprüfen. Hinsichtlich der letzteren ist zu sagen, daß die Künstler um 1360 lediglich generelle Eindrücke festgehalten haben. Die Arbeit am Modell war allgemein nicht üblich und setzt erst etwa 50 Jahre später ein. Der Eindruck, Karl IV. sei von mittlerer Größe gewesen, stimmt insofern, als er mit 174 cm nach den Gliedmaßenknochen als mittelgroß zu bezeichnen ist. Andererseits war er für die damalige Zeit bestimmt weit über Durchschnitt groß.4) Gleich groß waren seine Söhne Wenzel und Johann von Görlitz. Matiegka KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN spricht von Hoch wuchs (173-176 cm) und sagt, er sei in "Wirklichkeit kleiner und gebeugt gewesen. Die Figur des jungen Markgrafen von Mähren läßt ihn gerade gewachsen und groß erscheinen. Von Hochwuchs könnte man bei den Bildern in der Marienkapelle auf der Burg Karlstein sprechen. Dieser Eindruck entsteht vielleicht durch den lang herabfallenden Kaiserornat. Und gerade hier ließe sich der hoch angesetzte, durch die Bänder der Kaiserkrone pietätvoll verdeckte Buckel erkennen, der so gar nicht zu der schlanken und hochgewachsenen Figur paßt. Ebenso könnte es sich in der Figur des Kaisers auf dem Votivbild Jan Očkos von Wlaschim verhalten, wo eine Hand den Buckel verdeckt und wo das Gesicht eigentümlich schief aufgesetzt und nach vorne gedrückt gemalt erscheint, so wie es Villani auch gesehen hatte. Da Karl nach oben blickt, konnte diese Haltung gar nichts anders gemalt werden und könnte es auch heute nicht. Dürer hat im Dresdener Skizzenbuch seine Proportionsfigur eines Mannes ") auch nicht anders gezeichnet als der Künstler in der Marienkapelle des Karlsteins die besagte Haltung zum Ausdruck gebracht hatte. Der Eindruck täuscht und man sieht den Buckel in das Bild hinein. Ein Buckel ist ein versteifter Rundrücken infolge Deform ierung von Wirbelkörpern. Eine groß-bogige Verkrümmung kann beim Jugendlichen entstehen durch Uberbelastung der wachsenden Wirbelkörper, im Alter durch Verschmälerung der Bandscheiben. Spitzbogige Verkrümmung kann auftreten bei Wirbelbruch durch Unfall oder spontan durch Entkalkung und bei Zerstörung des Wirbelkörpers durch Tuberkulose oder Geschwülste. Vom versteiften Buckel zu unterscheiden ist der lockere Rundrücken, eine Haltungsschwäche in Folge ungenügend entwickelter Rückenmuskulatur. M) Wäre Karl IV. in Folge einer Krankheit buckelig gewesen, müßten sich ausreichend Veränderungen an der Wirbelsäule nachweisen lassen.*) Das ist aber nicht der Fall.") Der Buckel ist also nicht nachzuweisen*) und man wird richtiger von schlechter Altershaltung sprechen.4) Damit scheint auch Levin bestätigt, der es für unwahrscheinlich gehalten hat, ") daß der Lähmungszustand, der im Jahre 13^0 offenbar zu Kontrakturen an Händen und Füßen geführt und ein Jahr angedauert hatte, von einer Vergiftung mit Arsenik stammte. Die Büste im Triforium von St, Veit in Prag und die sitzende Gestalt auf dem Altstädter Brückenturm zeigen ihn mit einem verhältnismäßig breiten Gesicht mit einer niedrigen, breiten und stumpfen Nase und einem starken Unterkiefer. Auf dem Votivbild von etwa 1370 ist er abgebildet mit dunkelbraunen, fast schwarzen Haaren, braunem Bart, braunen Augen, mit einem breiten Gesicht und einer geraden, verhältnismäßig langen und im unteren Teil breiten Nase. ") Auch dabei zeigt sich, daß der Sicherheitsgrad für die Identität nicht eben hoch ist und wir uns im Urteil zurückhalten müssen. *) Die Abbildungen könnten auf eine breite Nase verweisen, aber niedrig? Nach dem Schädel keinesfalls.*) Dieser ist kurz an der Grenze zu sehr kurz, im Verhältnis zur Höhe mittel, zur Breite niedrig. Das Gesamtgesicht ist nach dem Index schmal/hoch, das Obergesicht hoch, die Augenhöhlen niedrig bis mittelhoch. Die Nase laut Index breit. Ihr Rücken ist relativ hoch angesetzt, etwas vorspringend. *) Vom breiten Gesicht, hervorgerufen durch die Jochbeine, kann demnach nicht die Rede sein. Die Jochbeine verleihen auch dem Jugendgesicht Wenzels den Eindruck einer deutlich ovalen Breite. Es ist dem Karls auf dem Altstädter Brückenturm ähnlich und unterscheidet sich von dem Bildnis des reifen Mannes ebendort mit einer gewissen Langstreckung, die dann im Altersbild auf der Teynkirche zutage tritt und doch wohl mit dem Schädel identisch ist. Dieser ist") gemäßigt kurz und niedrig zur Höhe wie zur Breite. Nach dem Schädel ist eine niedrige, gerundet/fliehende Stirn anzunehmen. Die Nasenwurzel ist wenig eingesattelt. Das Gesicht ist mittelbreit, die Augenhöhlen sind sehr hoch, die Nase schmal. Karls äußeres Erscheinungsbild könnte von der Gicht ") geprägt worden sein, die auf Störung des Harnsäurestoffwechsels beruht. Für Wenzel ist Gicht nicht mit Sicherheit auszumachen, weil die im Sarg II durcheinander gekommenen Knochen nicht mit Sicherheit zuzuordnen gewesen sind und daher die feststellbaren sicheren Spuren fehlen. Auf seine möglichen anderen späteren Krankheiten kommen wir später zu sprechen. WILHELM HANISCH Es gibt keine Beschreibung seines Äußeren. Der Schädel als solcher sagt dem Laien nichts. Sehr wohl ist aber die Wahrscheinlichkeit in Betracht zu ziehen, daß nach dem Schädel etwa 20 - 30 Jahre nach dem Tode die Skulptur auf der Teynkirche modelliert worden ist. Ende der Siebzigerjahre hat Heinrich Parier aus Freiburg die Figur des hl.Wenzel (t9*9) den Gebeinen geschaffen,1') die heute noch vorhanden sind.30) Die Steinbüste unseres Wenzel ist wohl in den Jahren 1461 bis 1466 beim Bau des Westteils und des Nordturmes der Teynkirche entstanden.J1) Denn die Krone ist weder die des Römischen Reichs noch die Böhmens. Sie ist stilisiert in der Mode der Zeit, der sich in spielerische Formen auflösenden Gotik. Im Wladislawschen Saal der Prager Burg, begonnen 1487, tritt sie vollendet entgegen. Was wollte der Künstler in diesem ausdrucksstarken Gesicht, das er vielleicht noch selbst des öfteren gesehen hatte, aussprechen? Es ist ein versorgtes, vom Leben gekennzeichnetes Gesicht, nicht vom Alter. Und doch mit den Dingen fertig werdend. Im Gesichtsschnitt immer von einer gewissen Vornehmheit, wirkt er andererseits sinnenhaft, von einer Besinnlichkeit, mit Beziehung zur Natur, aber reflektiert. Unverkennbar ist Willensstärke da. Da ist aber auch die andere Seite: überfordert, hemmungslos, weichlich, verschlagen-rational denkend, als König, der seinen Willen anderen aufdrängt, ohne Durchsetzungskraft. Ein eigentümliches Merkmal ist der Knick über der Nasenwurzel. Die Achse zwischen Mund und Stirn - der Stirnbogen liegt nicht parallel zum Mund, der Mund ist nach links verschoben, der Mund ist geöffnet, Ober- und Unterlippe liegen nicht übereinander - ist verschoben, ein typisches Zeichen von Nervosität. Wenzel wäre für einen Mann seiner Zeit ungemein nervös gewesen: es gibt Menschen, die unter einer lässigen und ungesammelten Physiognomie eine konzentrierte Intelligenz gleichsam verbergen, uninteressiert an der äußeren Erscheinung, weil sie innerlich andere Interessen verfolgen. Vielleicht sagt man besser Sensibilität, die in Ambivalenz zum gleichzeit vorhandenen Willen steht und zu Konflikten führt. Solche entstehen vornehmlich bei Entscheidungen, wo die gefühlsmäßige Einstellung störend-negativ wirkt. Zur ausgeprägten Intelligenz mit künstlerischen, wenn auch nur passiven Ambitionen kommt ein gewisser Hang zur Grausamkeit, die bei sensiblen Menschen nicht ausgespart ist und Kompensation einer stark ausgeprägten Sexualität ist. Sein Sadismus lebte sich auf der Ebene aus, die er im Besitz von Macht beherrschen konnte. Er könnte ein Eiferer für seine Vorstellungen gewesen sein, die er dann ebenfalls mit seiner Macht durchgesetzt haben würde. Am Ende ein Gesicht, die Mischung aus Askese und Wollust. Solcher Poligkeiten war sich Wenzel in gewisser Weise wohl selbst bewußt, denn er hat sie zu seinem Wahlspruch gemacht: Ich pyn milde unde czam, den guten gut, den posen gram. ") Sie besagen aber längst noch keine direkte Spaltung der Persönlichkeit, wohl aber eine Präschizophrenie. Legt man neben das Bild des alten Wenzel von der Prager Teynkirche die I Fotografie eines Schizophrenen, so ist man er-schütten von der Ähnlichkeit und ahnt, daß zum Endstadium der Erkrankung nicht viel gefehlt haben mag. Damit sind wir an den Anfang unserer Ausführungen zurückgekehrt: zur angenommenen Geisteskrankheit. Auf die Frage, bis zu welchem Grade Bildwerke historische Quellen sind, die naturwissenschaftlich gelesen werden sollen, ist später einzugehen, wenn wir die Fülle des Bildmaterials übersehen und ihre Zuordnung in ihre Zeit zu bewerten vermocht haben. Einerseits verblüffen die genannten Steinbüsten durch ihren . Naturalismus, der uns geradezu zwingt, von der Tatsache zu sprechen, Wenzel habe mit 17, mit etwa 3 5 Jahren und am Ende seines Lebens wirklich so ausgesehen, wie er dargestellt worden ist. Andererseits handelt es sich hier und in der Malerei um Kunstwerke. Zur historisch getreuen Darstellung tritt das schwerer zu bewertende Moment sowohl der persönlichen Fähigkeit des Künstlers, etwa auf Bestellung des Auftraggebers etwas naturalistisch wiederzugeben, wie auch der Beachtung der Stilelemente eben jener Zeit, die es gleichsam dem Künstler nicht gestatteten, aus seiner Zeit herauszutreten und anders zu malen und zu meißeln als die anderen und sich nur um den Auftrag der naturgetreuen Abbildung zu kümmern. Wir wollten von den Krankheiten in der Familie ausgegangen sein. Es dürfte aus dem Vorausgegangenen erkennbar geworden sein, daß unsere KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN Fragen sehr komplex sind und nirgendwo klare und unwiderlegbare Antworten erwartet werden können. Audi strenge Wissenschaften wie die historische Genealogie können für diese verhältnismäßig frühen Jahrhunderte nur relative Antworten geben. Wir nannten oben das Fehlen der Frauenlinien. Immerhin ist die Ahnentafel bis zu den Urgroßeltern Wenzels einigermaßen vollständig. Sie ist eines unserer hauptsächlichsten Hilfsmittel. Ihr Wert liegt im erweiterten Blickfeld auf die verwandtschaftlichen Beziehungen. Wie sich zeigen wird, nicht nur in dynastischer Hinsicht, sondern auch für unsere spezielleren Fragen, wozu auch die Krankheiten in der Familie gehören. König Wenzel ist der erste am Leben gebliebene Sohn Karls IV., das zweite Kind seiner Ehe mit Anna von Schweidnitz. Karl war viermal verheiratet und hatte von seinen Gemahlinnen folgende Kinder: Karl * 14. 5. 1316, t *9- 11. 1378 1 00 j. 1329 Blanka, Tochter der Herzogs Karl von Anjou * 1317, f 1. 8. 1348 Kinder: 1. Margarethe * 24. y. 1335, f T349 2. Kartharina * 1342, f 26. 4. 1395 2 00 4. 3. 1349 Anna, Tochter des Rheinpfalzgrafen Rudolf II. * 26. 9. 1329, f 2. 2. 1352 Kinder: Wenzel * 27. 1. 1350, f 30. 12. 1351 3 00 27. j. 13 j3 Anna, Tochter des Herzogs Heinrich II. von Schweidnitz * um 1339, t H> 7< 1362 Kinder: 1. Elisabeth * 19.3.1358, f 4.9.1373 2. Wenzel * 26. 2. 1361,7 4. 9. 1419 3. Totgeburt ir. 7. 1362 4 00 5. 1363 Elisabeth, Tochter des Herzogs Bogislav V. von Pommern * 134J, f 14. 1. 1393 Kinder: i. Anna * 11. j. 1366, t 7- 6. 1394 2. Sigismund * 14.2.1368,79.12.143 7 3. Johann * 26. 6. 1370, 7 %• }• U96 4. Karl*2j. 3. 1372, t 24. 7- 1373 5. Margarethe*29-9.1373,14-6.1410 Von den Frauen (31:23:23:58) erreichte nur Elisabeth von Pommern ein verhältnismäßig hohes Alter. Es entsprach ihrer Vitalität, heißt es von ihr, sie habe Eisen zerbrechen können. Bei der Mutter Wenzels kann man von Frauenschicksal sprechen. Sie starb im Kindbett an der zu raschen Folge der Geburten, denn Wenzel war erst 15 Monate alt. Bei Blanka von Valois und Anna von der Pfalz befriedigt der Hinweis auf die allgemein frühe Sterblichkeit nicht recht. Und sie tut es auch nicht bei den Kindern. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts starb etwa in Süd-niedersachsen bis über 50 % aller Neugeborenen vor Erreichen des 20. Lebensjahres. Die mittlere Lebenserwartung lag noch unter oder um 30. Ähnliche bzw. noch niedrigere Werte - wenig über 20 — gelten für das gesamte Mittelalter. *) Von den 10 Kindern Karls IV. hat die Hälfte nicht das 15. Lebensjahr erreicht und selbst der letzte Sohn der riesenstarken Elisabeth von Pommern ist nicht älter als ein Jahr geworden. Nur ihre Söhne Sigismund und Johann von Görlitz haben ihrerseits nur je eine Tochter gehabt und nur die Tochter Sigismunds hatte wiederum Kinder. Die anderen Zeugungs- und Gebärfähigen: Anna, die Gattin König Richards II. von England, Katharina, verheiratet mit Herzog Rudolf IV. von Österreich und mit Markgraf Otto V. von Brandenburg, Margarethe, die Frau des Burggrafen Johann III. von Nürnberg, und unser Wenzel, der zweimal verheiratet gewesen war, blieben kinderlos. Böse Zungen haben dem gerissenen Hausmachtspolitiker Karl IV. nachgesagt, er habe seine unfruchtbaren Töchter seinen nächsten Nachbarn angedreht, die er beerben wollte. Beim Brandenburger ist das tatsächlich gelungen. Der Kinderreichtum der anderen hat ihn aber überlistet und sein Erbe traten die Habsburger an. Aufs Ganze gesehen haben aber die bösen Zungen den Kern getroffen: in der großen Politik kam es auf viele und gesunde Kinder an und die vielen Kinder der Österreicher haben dann schließlich bis zum Ende des alten Reiches {1806) die große Politik der Dynastien für sich entschieden. Nur in diesem Sinn wird man von gesunden bzw. kranken Familien und Individuen sprechen und eheliche Fruchtbarkeit als Kriterium für »Gesundheit« in Ermangelung der korrekten medizinischen Bezeichnung anwenden. Als spezifisches Kriterium kommt hinzu, daß Katharina, die 54 Jahre alt geworden ist, unser Wenzel und die 37 Jahre alt gewordene Margarethe von Nürnberg sehr wahrscheinlich geisteskrank gewesen sind und daß ihre Geisteskrankheit mit der impotentia generandi gekoppelt erscheint. Katharina stammt aus der i., Wenzel aus der 3. WILHELM HANISCH und Margarethe aus der 4. Ehe des Kaisers mit Gattinnen, die aus sehr verschiedenen Himmelsrichtungen stammten. Bedeutungsvoll dürfte dabei sein, daß selbst die lebensstärkste Frau nach der unfruchtbaren Anna von England und ihren vitalen Söhnen Sigismund und Johann dann nur noch einen Sohn, der mit einem Jahr gestorben ist, und eine geisteskranke Tochter geboren hat. Man ist als Laie geneigt, das so auszudeuten, daß sie ihren Kindern zwar ihre physische Kraft hinterlassen hat, die sich bei den Uberlebenden in den verhältnismäßig höheren Lebensaltern ausdrückt, nicht aber mit ihren anderen Erbanlagen den Anteil ihres Mannes am Auftreten der Geisteskrankheiten hatte unschädlich machen können, der nach allem Anschein doch wohl von Karl IV. vererbt worden ist. So gesehen Tcönnte Karl wohl nach einer Neigungsehe und nach zwei politischen Heiraten sehr bewußt die starke Pommerin geheiratet haben. Es ist dem Rationalisten und mit den "Wissenschaften vertrauten Karl zuzutrauen, daß er spätestens nach der schweren Erkrankung im Jahre 1350") bei sich selbst das Phänomen Krankheit erkannt und zu bewerten gewußt hat. Vielleicht sagt aber seine uns ebenfalls bekannte andere, die uns rational nicht faßbare Seite seines Wesens und Handelns mehr aus: daß er erkannt hatte, wie ernst es um ihn und seine Familie bestellt war, und daß er dem biologischen Schicksal seiner Familie durch Beschwörung des Himmels zu steuern suchte. »Daß Karl sich nicht im höfischen Leben, in den ritterlichen, abenteuerfrohen Formen des spätmittelalterlichen Lebensstils erschöpfte, denen sein Vater mit Leidenschaft gehuldigt hatte, daß er eine enge Bindung zum Geistigen, zur Wissenschaft, d. h. vor allem zur Theologie, gewann und sein Streben über das Endliche und Irdische hinausgriff, glaubte er, jenem Traumgesicht zu verdanken, das ihn am 15. August 1333 in Terenzo heimsuchte und ihm die Kraft gab, sich aufzuraffen und den Lockungen des Bösen zu entziehen. Karl hat der Lebenswende von Terenzo einen entscheidenden Platz eingeräumt und die Erinnerung an das Ereignis durch die Jahrhunderte nicht nur in seiner Selbstbiographie zu bewahren gesucht. Die Stiftung eines Kollegiums an der königlichen Kapelle in Prag und ähnliche Stiftungen in Terenzo und Nürnberg sollten das Andenken wach halten. Oft beschäftigte sich Karl sinnend mit jenem Traum, und noch nach Jahren erzählte er dem Papst in der Beichte von dem inneren Erlebnis. Dabei war er dessen gewiß, daß die innere Erfahrung jener Augustnacht in Terenzo göttlichem Ursprung entquollen war, daß eine himmlische Macht, seinen Weg berichtigend und seine Selbsterkenntnis weckend, in sein Dasein eingegriffen hatte. Das innere Erleben gab dem noch jugendlichen Prinzen den Anstoß zur Selbsterkenntnis und bereicherte durch die Beschäftigung mit sich selbst das Selbstverstehen.« M) Selbstverstehen, Selbsterkenntnis, »Conversio« M) kann auch im obigen Sinn begriffen werden und ich interpretiere das Wort des Engels: M) »Wisse, dies ist der Dauphin von Vienne, den Gott wegen seiner Ausschweifungen so gestraft hat« - ein anderer Engel hatte ihm das Glied mit dem Schwerte abgeschlagen -• »Jetzt also seid auf der Hut und auch eurem Vater mögt ihr sagen, er solle sich vor solcher Sünde hüten, sonst widerfährt euch noch Schlimmeres« bewußt dahingehend, daß das »noch Schlimmere« den Tod der ganzen Familie meint und er vom Vater (König Johann dem Blinden von Böhmen) herkommt und im Sohn (Karl IV.) rezent bleibt. '*) Auch zeitlich paßt meine Auslegung: die Selbstbiographie ist etwa im Jahre 1355 unvollendet abgebrochen; **) Karl war damals etwa 40 Jahre alt. Der Thronfolger war mit einem Jahr gestorben, zwei Monate später folgte die Pfälzerin. Die dritte Ehe war fünf Jahre unfruchtbar. Man kann die eingangs erwähnte Freude des damals 4j-Jährigen über die glückliche Geburt des Sohnes und Thronfolgers, unseres Wenzel, verstehen. Bei der Geburt Sigismunds war er p, bei der Geburt Johanns 54 Jahre alt. Diese Zahlen geben zu denken. Wir haben zusätzlich zwei konkrete Aussagen vorliegen: Unfruchtbarkeit und Geisteskrankheiten. Die erste kann als unzweifelhaft gesichert angesehen werden, weil der Bestand des Herrscherhauses davon abhing. Früh-Ehen - Karl hat mit 19 Jahren geheiratet und ist mit 19 zum ersten Mal Vater geworden - und rasche Kinderfolge, der Zwang, Kinder haben zu müssen, sind der dynastischen Politik untergeordnet. Anzeichen von Geisteskrankheiten bei drei Familienmitgliedern machen es in hohem Grade wahrscheinlich, daß diese spezifische Erscheinung für die KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN Familie symptomatisch gewesen ist. Dazu kommt das gemeinsame Auftreten in mehreren Fällen. Bei dem wahrscheinlichen Anlagenträger Karl kann von beiden Krankheiten nicht die Rede sein. Er war Vater von mindestens ro Kindern und eine außerordentliche Persönlichkeit, einer der großen Herrschergestalten der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, ein Kaiser, von dem mit Recht gesagt worden ist,") daß die "Welt einen solchen noch nie gesehen hat. Im besonderen steht sein Intellekt hoch über dem Durchschnitt. Die erwähnte schwere Erkrankung des Jahres 1350 scheint seine schöpferischen Kräfte weder nach der einen noch nach der anderen Seite hin gelähmt zu haben. Man wird im Gegenteil mit einer bewußten Steigerung derselben bis zur Ausschöpfung rechnen können. Es ist außerordentlich schwer zu beurteilen, ob die Frauen am Aussterben der Luxemburger auch »schuld« gewesen sind. Wenn wir glauben, auf der richtigen Spur zu sein, müssen wir also in der Aszendenz Karls zurückgehen. Da bieten sich seine Eltern an. Seine Mutter war die letzte gebärfähige Pfemyslidin. Der Mannesstamm war mit ihrem Vater, König Wenzel IL, ausgestorben. Ihre Schwester blieb in der Ehe mit Herzog Heinrich von Kärnten kinderlos und starb mit 23 Jahren. Nach einem sehr ausgewogenen Urteil17) hatte Karl bis Ende des Jahres 1350 einen guten Teil des Charakters seines Vaters, König Johanns von Böhmen. Der junge Karl unterschied sich sehr von dem Karl des Zeiten Lebensabschnittes. Bei Johann dürfte die Zäsur bei seiner völligen Erblindung liegen. M) Aber beide, er und sein Sohn Karl, scheinen äußerst Willensstärke Persönlichkeiten gewesen zu sein, die mit ihrem Schicksal gerungen haben. Als es für ihn Zeit war, scheint Johann der Blinde den einem »letzten« Ritter gemäßen Tod auf dem Schlachtfeld gesucht zu haben. i5) Seinem gichtigen und darum unritterlichen Sohne scheint nur die Möglichkeit verblieben zu sein, mit dem Himmel zu kämpfen. Johann war nicht der einzige blinde Luxemburger.40) Abgesehen davon, daß auch Karl nachweisbar eine offenbar günstig verlaufene Augenoperation hinter sich gebracht hatte,i1) ist bei den älteren Luxemburgern Blindheit öfters vorgekommen. 4i) Zur Blindheit scheint bei ihnen auch beschränkte Zeugungsfähigkeit hinzugekommen zu sein. Die männliche Deszendenz erscheint zweimal unterbrochen durch Erbfolge in der Frauenlinie. *3) Sehen wir uns die Geschwister Karls IV. an: Johann * 10. 8. 1296, f 26. 8. 1346 (jo Jahre) 1 00 31. 8. 1310 Elisabeth, Tochter König Wenzels II. von Böhmen * 20. 1. 1292, t 28. 9. 1330 (38 Jahre) Kinder: 1. Margarethe * 8. 7. 1313, t ir. 7. 1341 (28 Jahre) 2. Jutta-Bonna * 20. 5. 1315, tri. 9. 1349 (34 Jahre) 3. Karl * 14. j. 1316, t 29. ii. 1378 (fojahre) 4. Ottokar * 22. ir. 1318, f 10. 4. 1320 ( 2 Jahre) 5. Johann Heinrich * 12. 2. 1322 t 12. Ii. 137J (53 Jahre) 6. Anna * 27. 3. 1319, t 3- 9- 1338 (19 Jahre) 7. Elisabeth * 27. 3. 1319, t 8. 1324 (5 Jahre) 2 00 12. 1334 Beatrix, Tochter des Herzogs Ludwig I. von Bourbon * 25, 12. 1383 Kinder: Wenzel * 2$. 2. 1337, f 7. 12. 1383 (46 Jahre) Von diesen acht Kindern erreichten nur zwei nicht das zeugungsfähige Alter und nur zwei weitere, der überlebende Zwilling Anna, verheiratet mit Herzog Otto von Österreich und der mit Johanna, der Tochter des Herzogs Johann III. von Brabant verheiratete Herzog Wenzel von Luxemburg waren kinderlos. Wie in der besprochenen folgenden Generation erreichen die Männer mit 62 und 53 ein verhältnismäßig hohes Alter. Die älteste Schwester Karls IV., Margarethe, hatte aus der Ehe mit Herzog Heinrich XV. von Niederbayern nur einen Sohn, der mit 11 Jahren starb. Jutta-Bonna hatte aus der Ehe mit König Johann II. von Frankreich vier Söhne und die Tochter Isabella, Karl IV. hatte aus vier Ehen 10 Kinder und Johann Heinrich von Mähren hatte aus der zweiten von drei Ehen drei Söhne und zwei Tochter. Der zweite Sohn war Geistlicher, die beiden anderen, die Markgrafen Jost (der spätere deutsche König) und Prokop starben in verhältnismäßig hohem Alter {60:45) kinderlos. WILHELM HANISCH Die Tochter heirateten nach Frankenberg und Meißen, so daß auch von dieser Seite her die Luxemburger ausgestorben sind. Eine für unsere Zusammenhänge wichtige Aussage bringt die Deszendenz Jutta-Bonnas insofern, als ihre Enkel Karl VI. von Frankreich und Herzog Ludwig von Orleans dadurch weltgeschichtliche Berühmtheit erlangt haben, daß Karl völlig irrsinnig gewesen und Ludwig ermordet worden ist. Die geistige Debilität Karls ist, da ihre Erscheinungsformen beschrieben worden sind,u) wohl als Verfolgungswahn zu diagnostizieren und könnte mit der angenommenen, aber nicht diagnostizierten Geisteskrankheit Wenzels und seiner Schwestern Katharina und Margarethe in Verbindung gebracht werden. Reizvoller wäre allerdings gewesen, ihre Kinder hier vorzustellen und so manche Parallele mit den deutschen Vettern zu ziehen. Der Umfang eines Aufsatzes verbietet das. Die französischen Vettern heiraten im engsten Familienkreis. Ihre Entartung könnte auf Inzucht zurückzuführen sein. Die wissenschaftliche Genealogie spricht von Ahnenverlust. Als Erklärung der Verhaltensweisen einer bestimmten historischen Persönlichkeit ist er untauglich. Denn Königskinder heiraten unter sich und Heiraten unter Blutsverwandten sind darum selbstverständlich. Wenn nicht genug Königskinder vorhanden sind, kommen als nächste die Töchter der Herzöge in Frage. Gräfinnen sind die absolute Ausnahme; meist folgt dann auch Standeserhöhung ihrer Familie. Die Grafen von Luxemburg holten sich ihre Frauen aus einem sehr engen geographischen Umkreis, aus rechtlich, landschaftlich, gesellschaftlich und seelisch begrenzten bzw. gebundenen Geschlechtskreisen. **) Als ganz wesentlich ist dabei zu beachten, daß Ahnenverlust (Ahnengleichheit) nichts Negatives über die physische und psydiische Beschaffenheit eines betreffenden Ahnenträgers aussagen. Man kann nicht jede Eigentümlichkeit auf Vererbung zurückführen und muß mit dem vorschnellen Gebrauch des Wortes Degeneration äußerst vorsichtig sein. Die krassesten Fälle von Inzucht, die Geschwisterehen der Pharaonen und Inkas, haben keine schädlichen Folgen gehabt, **) Das Wort von der Degeneration im Hause Habsburg, vom Abgleiten mit dem Ergebnis immer neu wiederkehrender Geistesschwäche, ist nicht viel mehr als ein Schlagwort, auf vereinzelte Erscheinungen gestützt, die aber überwiegend ihr Gegenstück in den gesunden Angehörigen des Hauses fanden. Der oben genannte Karl VI. »der Wahnsinnige« von Frankreich hatte acht lebensfähige Kinder. Unter den im Wahnsinn gezeugten befand sich Karl VII. »der Siegreiche«, der, nachdem er mit Hilfe der Jungfrau von Orleans Frankreich befreit hatte, so charakterlos, tückisch und grausam er auch war, nach außen und innen ein bedeutender Regent gewesen ist. Er hatte fünf lebensfähige Kinder. Sein Sohn war Ludwig XL, wieder einer der erfolgreichsten französischen Könige. 4t) Die Nachkommen Geisteskranker können also ebensogut mit voller geistiger und körperlicher Gesundheit gesegnet, wie neuerlich dem Schwach-oder Irrsinn verfallen sein. **) Die Erbanlagen der Ekern kombinieren sich in den Kindern immer wieder neu. Inzucht kann wohl zur Kummulierung bestimmter Erbanlagen führen, aber selbst das nur vorübergehend, d. h. bis zu dem Augenblick, wo eine Verbindung mit einer Frau bzw. einem Mann anderer Erbanlagenkombination eingegangen wird. Meist genügt eine einzige solche Verbindung, um den »Fehler« auszumerzen oder zu überdecken, und, wenn kein Rückfall in die Inzucht erfolgt, ja unter Umständen selbst dann der Entwicklung eine andere Richtung zu geben.4*) Eine Tendenz, Abnormitäten abzubauen und verschwinden zu lassen, ist vorhanden. Die Vererbung bestimmter körperlicher Eigenschaften und seltsamer Weise der Physiognomie mehr als des übrigen somatischen Habitus findet in der Manneslinie statt; vielfach nach der von der weiblichen Seite ausgegebenen »Parole«. Die Vererbung charakteristischer Einzelheiten der Physiognomie erfolgt meist unmittelbar von einer Generation zur anderen. Doch kann, von außen zugetragen, ein Typus den anderen eine Zeit lang überdecken.10) Ganz unabhängig von der Vererbung der Körperlichkeit und innerhalb derselben der Physiognomie, vollzieht sich die Vererbung der geistigen Persönlichkeit, die sich aus vielerlei Elementen des Intellekts, des Charakters, des Temperaments zusammensetzt. Ihr ein »Gesetzt« unterstellen zu wollen, geht nicht an; die Erfahrung steht jedem derartigen Versuch entgegen. Das Phänomen des Habsburger Familientypus ist zu aufdringlich, als daß es übersehen werden KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN könnte. Die prominente Ausprägung fällt mit stärkster Inzucht zusammen.S1) Ihr Kennzeichen ist ausgesprochene Progenie (Überragen der unteren Zahnreihe über die obere in frontaler Richtung), die in zahlreichen Fällen mit einer dicken oder gar hängenden Unterlippe vergesellschaftet erscheint. Dieser Typus hat sich als Erbstück auffallend vererbt. ") Bei den Luxemburgern ist ein ähnlidier Famiiicntypus nicht auszumachen. Er ist auch nicht zu erwarten, wed die Ansätze dazu infolge des sehr weiten Streuungsfeldes zwischen Atlantik und Ural einmal weniger wahrscheinlich waren, und Inzucht in dem Umfang, wie wir ihn bei den Habsburgern der Neuzeit kennenlernen, gar nicht in Frage gekommen ist. Die Luxemburger waren etwa zur gleichen Zeit ausgestorben, als die Lippigkeit der Österreicher zum ersten Male auftrat und sich dann vererbte. Die Zeitgenossen Karls IV. und Wenzels hatten höchstens andeutungsweise dicke Lippen, und, wie der Schwiegersohn Karls IV., Herzog Rudolf IV., der Stifter, einen offenstehenden Mund, der dann bei Kaiser Karl V. so offensichtlich in Erscheinung tritt. Von Maximilian I. an steht ein ungemein reiches Bildmaterial zur Verfügung und ermöglicht sehr konkrete Aussagen über die Vererbung des Habsburger Familientypus. Wir haben es da ungleich schwerer, da wir zurückgehen müssen und in ungleich stärkerem Maße auf literarische Quellen angewiesen sind, die uns Bilder ersetzen sollen. Wir haben öfters vom Aussterben der Luxemburger gesprochen. Sicher sind die Männer und damit die Könige ausgestorben. Sicherlich ist richtig, daß man mit der Behauptung des Aussterbens vorsichtig sein muß. Biologisch zählen zunächst auch die unehelichen Nachkommen. Von ihnen sind nur selten genaue Nachrichten erhalten. Vom Erlöschen darf man dort nicht sprechen, wo kontrollierbare weibliche Nachfahrenschaft vorhanden gewesen ist. Das ist aber fast immer bei den angeblich verschwundenen Deszendenzen der Fall. Es ist kein einziges Beispiel dafür bekannt, daß die Nachkommenschaft eines Individuums, die sechs oder sieben Generationen überdauert hat, wirklich ausstirbt. Während der ersten fünf Generationen kann sich das ereignen, später ist das so gut wie ausgeschlossen.") Eine Deszendenz erlischt nur dann und »Degeneration« als Ursache 209 des Aussterbens der »Privilegierten«, zumal angesichts der Inzucht, die in den schmalen Schichten der Verwandten-Ehen herrscht, liegt also nur vor, wenn auch die Nachkommen des Frauenstammes fehlen. Man darf nicht einen biologischen Vorgang, das echte Erlöschen der Zeugungskraft, mit dem juristischen Sachverhalt, dem Nichtmehrvorhandensein einer legitimen Nachkommenschaft im Manncsstamm gleichsetzen. M) In der Praxis unserer Frage aber stehen wir im späten Mittelalter vor der schon genannten Tatsache des Fehlens mancher Frauenstämme. Dieser Mangel ist nicht wettzumachen. Umso mehr ist das der Fall, je weiter wir über die Mutter Wenzels in den Osten kommen. In der Vaterlinie ist das politisch bedeutsame zweimalige »Aussterben« der älteren Luxemburger zu notieren, die in beiden Fällen durch eine Ermesind überlebten, und das Aussterben der männlichen Pf emysliden mit König Wenzel II. und ihr Fortleben in den Töchtern. Da, wie gesagt, keine andere, d. h. die biologische Deszendenz bekannt ist, müssen wir in diesen Fällen das von der Geschichte registrierte Aussterben vorerst mit ihrem biologischen Tode gleichsetzen. Zur Zeit unserer Luxemburger ist nur ein einziger Unehelicher in Erwägung zu ziehen, von dem wir noch nicht einmal wissen, wer sein Vater und seine Mutter waren. Als Königssproß hatte er unter unserem Wenzel eine große politische Karriere. Da er Geistlicher gewesen ist, ist die Weitergabe des luxemburgischen Blutes durch ihn unwahrscheinlich. ") Das Aussterben der männlichen Luxemburger in der Generation Wenzels, das uns besonders stark in der mährischen Linie des Hauses entgegentritt, dann die nachgewiesene, geradezu berüchtigte Unfruchtbarkeit der Töchter Karls IV. und dann schließlich die Unfruchtbarkeit der Elisabeth von Görlitz, deren Erbanlage von Vaterseite als positiv anzunehmen ist, ist doch wohl zu evident, als daß man hier nicht von einem Aussterben sprechen müßte. Daß dann die Familie in dem einzigen Kinde Kaiser Sigismunds weitergelebt hat, erscheint fast als die Ausnahme. Angesichts der vielen Kreuze in unseren genealogischen Tafeln ist der Eindruck des Aussterbens jedenfalls stärker als der des Wciterlebens im Hause Habsburg. Eines der schwierigsten Probleme der wissenschaftlichen Genealogie enthält die Frage, welche Völker, 2 10 WILHELM HANISCH welche Familien, welche Individuen in der Geschichte eine überragende Rolle als ordnende, herrschende und Kulturwerte schaffende Elemente gespielt haben. Mit anderen Worten: die Frage, ob es einen Zusammenhang zwischen der genealogischen Struktur der Gemeinschaften, der Individuen und ihrer geschichtlichen Leistung gibt. Die Antwort zeigt wiederum nur .Wahrscheinlichkeiten auf, nicht aber naturwissenschaftlich zwingende »Gesetze«. So verstanden, übernehmen wir wörtlich von dem des Rassismus gewiß unverdächtigen Genealogen Forst-de Bataglia, ") was für unsere Zusammenhänge bedeutsam erscheint: Die europäische Herrenklasse, d. h. die Fürsten und die führenden Aristokratengeschlechter, ist bis an die Schwelle der Neuzeit rein, einer Vor-fahrenschaft entsprossen, innerhalb deren das Germanisch-Nordische stark überwiegt. Belege für diese Tatsache sind nicht nur die Ahnentafeln der deutschen Kaiser und Könige und der deutschen Dynasten, sondern auch die der englischen, französischen, spanischen und polnischen Könige. In der Ahnentafel Ludwig d. Hl. von Frankreich ist z. B. nur ein Vorfahre der 128, Ahnenreihe nicht-germanischer Abkunft und noch der wahnsinnige Karl VI. zählte unter seinen 1024 Ahnen keinen Unebenbürtigen. Sein Sohn, der klägliche Schützer der Jungfrau von Orleans, erhält durch seine Mutter als erster Nachkomme Hugo Capets »minderwertiges« Blut. Abgesehen von einem geringen Prozentsatz keltischer Vorfahren ist die gesamte Fürsten- und Herrenschicht bis ins it. Jahrhundert in allen Linien germanischnordisch. Durch die Heirat Kaiser Ottos II. mit der Griechin Theophanu strömt hellenisches und kleinasiattsches Blut in die europäische Elite. Dazu kommen die ersten mongolisch-palaioasiatischen Einflüsse über die polnischen Piasten und die russischen Rjurykiden, die ihrerseits Verbindungen mit Töchtern asiatischer Chane eingegangen waren Es folgt ein direkter, doch immer nur schmaler Blutscrom aus dem ursprünglich mongolisch-ugro-altaischen Geschlecht der magyarischen Arpaden. Die Kreuzzüge bringen Familien Verbindungen zwischen den in die Levante ziehenden Fürsten und Dynasten einerseits, byzantinischen und armenischen Standesgenossen anderseits. In Spanien ereignen sich Ehen zwischen maurischen, muselmanischen Prinzessinnen und christlichen Herr- schern. Nur in den Grenzgebieten erfolgt eine deutliche »Entnordung«: z. B. haben die Babenberger zuletzt mehr asiatisches und griechisches als deutsches, europäisches Blut. Trotz dieser Blutströme bleibt der genealogische Charakter der europäischen Herrenklasse im allgemeinen unberührt. Seit dem Hochmittelalter erfährt die genealogische Struktur der Oberschicht durch zunehmende Aufnahme nichtadeligen Blutes eine Umschichtung. Im 12. Jahrhundert wird in Frankreich und in Italien das alte Blutprinzip überwunden, im 14. in England und in Spanien. Nur Deutschland beharrte beim früheren Recht. Die Ebenburt wird weiter gehütet und erkennt nur den Nachkommen des germanischen Blutadels an. Das unerbittliche Gesetz der Abkunft gilt als Voraussetzung jeder politischer Macht bis ins iy. Jahrhundert. Erst dann, nach der Rezeption des römischen Rechts, überträgt man die Regeln der Ebenburt, ohne sie aufzuheben, auf einen Kreis, den nicht mehr die bloße Abstammung, sondern genau festgelegte Bestimmungen des formalen Staatsrechtes umhegen. An die Stelle des edlen Ursprungs tritt die Zugehörigkeit zu einer reichsständischen Familie bzw. der Nachweis von Ahnen, des niederen Adels. Hochadelig, ebenbürtig war der, dem das eine Eintragung in die Reichsmatrikel bestätigte. Heinrich VII., Karl IV. und Sigismund haben die Kaiserkrone getragen. Voraussetzung des Thronerwerbs in Deutschland war die Abstammung von Karl d. Gr. Nur die Nachfahren dieses »primus acquirens« harten das Recht, zu kandidieren. Unter ihnen hatten die Großen die Auswahl. Die Regel wollte, daß man dem Mannesstamm den Vorzug gab. Diese Anschauung über die Thronfolge, ein Gemisch aus Erbrecht kraft des Blutes und aus Wahlfreiheit der Herrenklasse, war allen germanischen Völkern eigen. Auch die angeblichen Emporkömmlinge sind ausnahmslos »eius-dem farinae«, aus dem Samen Karls d. Gr. Sie sind Mitglieder derselben einheitlichen Dynastenschicht, innerhalb derer volle Rechtsgleichheit zwisdien dem König und dem kleinsten Edelherrn obwaltet. Nicht nur in Deutschland. In Frankreich erklärt sich das Königtum der Capetinger aus deren Abkunft von den Karolingern. Die auf den ersten Blick oft unerkennbaren Verwandtschaftsbeziehungen der Herrscher und der sonstigen KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 211 Machthaber sind oft entscheidend für historische Entwicklungen. So erklärt sich die Einordnung der westslawischen Staaten und Ungarns in den Westen fast allein durch genealogische Verknüpfungen der Regentenhäuser und die ältere russische und polnische Geschichte wäre ohne einen genealogischen Kommentar unverständlich. Das Bewußtsein der Verwandtschaft und der Zugehörigkeit dieser europäischen Herrenschicht ist stark und lebendig. Man weiß von einem Ende Europas zum anderen Bescheid über die ver-wickeltsten Konsanguinitäten. Wir hätten unrecht, diese Solidarität einzig auf die souveränen Regenten beschränkt zu glauben. Sie erstreckt sich auch auf die Grundherren, die aus fürstlichem Blut stammen und die seit Generationen nicht mehr über Macht und Land verfügen. Den Geringeren erscheint der Blutadel, die Herrenklasse, in einer Aureole, als Menschen besonderer Art, als Göttersöhne, als Sprossen der Heroengeschlechter. Durch diese Einheitlichkeit einer viele Jahrhunderte lang hinaufgezüchteten, in den gleichen Traditionen aufgewachsenen, in beständigem Wechselkontakt verharrenden Klasse der Regenten und Herren bildete Europa eine genealogische, politische, soziale und geistige Realität. Nicht nur die Erinnerung an die Antike hat die Einheit des Kontinents fortdauern lassen, sondern das Römische Reich lebte in der Vorstellung der Maßgebenden und der Beherrschten weiter, über die Grenzen der Staatsgebilde hinweg: kraft des Ringes, den die germanische Herrenschicht um Europa gelegt hatte. Der Glaube an das Götterblut wird sich bei Karl IV. und Wenzel bezeugen. Zuvor ist zu fragen, was die wissenschaftliche Genealogie kann und was sie nicht kann. Sie leitet aus ZusammenhängenRegelnab.Diesesind nur statistische, nicht unentrinnbare der Naturwissenschaft. Die Genealogie deutet Geschehenes und Seiendes, rückt jedoch zugleich dessen Unvor-hersehbarkeit ins helle Licht.") Sic kann einerseits sagen, daß sich Eigenschaften umso eher an die Nachfahren vererben, als der Weg vom Erbanlagenspender zum -empfänger über lauter Angehörige des gleichen Geschlechts verläuft, und andererseits, daß Inzucht weder gut noch böse ist. Sie wird zum Verderben, wenn die überkommenen Erbanlagen biologisch, sittlich oder leiblich schlecht sind. Sie wird zum Segen, wenn sie Schätzbares an die Deszendenz weiterleitet. Die Vererbung der Habsburgerlippe oder der Bourbonennase ist gleichgültig. Ein Verhängnis dagegen ist die Erb-behaftung mit der Disposition zu Lungenkrankheiten, zur Homosexualität und zur manischen Depression. Ein weltgeschichtlich denkwürdiges Exempel liefert die seelische Bresthaftigkeit, die aus unbekannten Quellen an die Lancaster gekommen und von dort auf zwei Wegen, über die spanischen Habsburger und über die Braunschweiger Weifen in die europäische Fürstenfamilie eindringt und die dort Verheerungen anrichtet, von Johanna der Wahnsinnigen und Don Carlos bis zu Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, bis zu Kronprinz Rudolf und den schwermütigen Wittelsbachern Ludwig II. und Otto. Als solche schon interessant, sind alle diese Dinge hier gebracht worden, weil sie unmittelbare Bezüge zu den uns beschäftigenden Fragen haben. Unsere Beobachtung, daß es im Hause Luxemburg keine ausgeprägte Inzucht wie bei den späteren Habs-burgern gegeben hat, wird durch die Auszählung der Ahnen Kaiser Karls IV. bestätigt. Mit nur jo verlorenen Ahnen in der IX. Generation steht er mit 206 wirklichen Ahnen gegenüber der theoretischen Ahnenzahl von 256 vergleichsweise weitaus an bester Stelle. ") Was Inzucht zahlenmäßig tatsächlich bedeutet, zeigen König An-tiochos I. Eusebes von Syrien mit 24, König Alfons XIII. von Spanien mit $ 1 und König August der Starke von Polen mit 74 wirklichen Ahnen in der gleichen Generation. ") Nach den, gemessen an den seit Maximilian I. bei den Habsburgern zahlreicher werdenden Porträtdarstellungen, aus dem Zeitunterschied erklärbaren wenigen Bildern der Luxemburger konnten wir weiter feststellen, daß Eigentümlichkeiten der Physiognomie wie die Habsburgerlippe oder die Bourbonennase als erblicher Typus nicht nachweisbar ist. Was die eben angesprochenen Krankheiten: Erb-bchaftung mit der Disposition zu Lungenkrankheiten, zur manischen Depression und zu einer Neigung zu Homosexualität angeht, so wird man kaum erwarten dürfen, daß diese Begriffe schon im Mittelalter bekannt gewesen sind. Denn die Wirklichkeit des kranken Menschen ist zu allen Zeiten nur annähernd klassifiziert worden und 212 WILHELM HANISCH die moderne Wissenschaft begegnet auf diesem Gebiet größten Schwierigkeiten. Das gilt für alle somatischen Krankheitsbenennungen und besonders in den Bereichen der »seelischen* Störungen oder auch der »Geistes«krankheiten. Der Blick in ältere Texte von seelischen Krankheitsbeschreibungen aus dem 19. und 20. Jahrhundert (!) zeigt die Reichhaltigkeit der beobachteten Phänomene und die Armseligkeit des definitorischen Instrumentariums. ") Wenn ich recht sehe, ist man sich heute noch nicht darüber einig, wie Wahn einzuordnen ist. Einerseits behauptet sich die Auffassung, daß wir es bei den Erscheinungen mit keiner Krankheitseinheit zu tun haben, da die Phänomene sowohl im schizophrenen Formenkreis als auch bei Epi-leptikern,bei organischen Psychosen,bei abnormen Persönlichkeiten wie audi den Zyklotheymien auftreten, sondern lediglich Wahnkranke vor uns sehen, die je nach psychoanalytischer, anthropologischer oder daseinsanalytischer Einstellung weniger als Krankheit, denn als Existenzform interpretiert werden. Im scharfen Gegensatz hierzu stehen Bemühungen, den Wahn als Krankheitseinheit wie früher der Paranoia zuzuordnen und Wahn-Wahrnehmungen eindeutig zu definieren und ihn als ein organisch-zelebral bedingtes Symptom schizophrener Art einzuordnen. Begriffsgeschichtlich geht Wahn auf mhd. »wan« = leer, fehlend (vgl. lat. vanus) zurück und wird seit dem ij. Jahrhundert im Sinne von »des Verstandes ermangelnd« gebraucht, später auch mit »wahnsinnig« in Verbindung gebracht. Der mittelalterliche Sammelbegriff für Wahnvorstellungen ist Melancholia. Er ist weiter und enger als der moderne Begriff. Vieles wird bei dieser Melancholia mit erfaßt, was wir heute als Psychopathie ansehen würden oder unter die Schizophrenie rechnen müssen, besonders die Wahnvorstellungen, der markante Verlust des Rechtsgefühls, ferner Verschlagenheit, Verschrobenheit, Verstimmung, die Unnahbarkeit oder jene »melancolia leonina«, bei der die Patienten »sich wie Löwen gebärden« und, in einer Art Bewegungssturm »mutvoll wie Löwen sind«. Das die Psychiatrie bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts prägende Lehrbuch des Constantinus Africanus aus dem Jahre 1080 unterscheidet zwei Hauptgruppen der Melancholie: eine Hypochon- dria und eine Art Kephalose, eine Erkrankung der Hirnsubstanz. Wie der Name schon andeutet, stellten sich die Alten bei der ersteren vor, daß ein Uberschuß der schwarzen Galle zum Magenmund und zum Herzen aufsteige, dort Niedergeschlagenheit, Furcht, Todesangst und Mißtrauen erzeuge. Schließlich fängt das Gehirn den über den Magen hochsteigenden schwarzen Dunst auf. Die vom Herzen gelieferten trüben »spiritus spirituales« andererseits werden in den Ventrikeln gespeichert. Uber dieses eminent wichtige Ventrikelsystem wirkt die schwarze Galle auf die Vorstellungsweit ein. Eine solche Hypochondrie muß wegen der unvermeidlichen Schädigung der »virtus digestiva« zu einem chronischen Leiden werden und bedarf zur Heilung sehr langer Zeit. Die zweite Form, die Erkrankung der Hirnsubstanz, äußert sich vorzugsweise in Schlaflosigkeit, Kopfschmerz, Flimmern vor den Augen mit unstetem Blick und Druck auf die Augenhöhlen. Diese »Geistes« krankheit wurde als ein im Gehirn lokalisiertes Körperleiden aufgefaßt. Zwei Punkte sind dabei besonders zu beachten: die im Vordergrund stehende Nahrungsverweigerung und die soziale Entfremdung. Im ersteren Fall kann Diät therapeutisch wirksam werden. Die soziale Entfremdung oder Entgleisung macht das Leiden noch heute so unheimlich. »Der Kranke sieht das Verhältnis zu Brüdern und Eltern, das ihm lieb sein müßte, als etwas Schreckliches an, und er meidet die Familie, weil schon ihr Anblick lästig ist.« Auch diese Störung der zwischenmenschlichen Beziehungen wird nicht psychologisch oder gar daseinsanalytisch aufgefaßt, sondern ganz und gar somatisch interpretiert. Mit dieser Systematik sind recht wesentliche Phänomene des Leidens erfaßt: die in den Vordergrund rückende Affektstörung (Trauer oder Angst), das Grübeln über unwichtige Dinge (das als Verrücktheit imponiert), die hinzutretenden depressiven Wahnbildungen und Imaginationen (die wir heute dem schizophrenen Kreis zuordnen würden), Trugwahrnehmungen (die ausgesprochen paranoisch zu deuten wären), andeutungsweise auch noch eine erbbiologische Komponente. Die Therapie richtet sich konsequent auf die Diagnose aus: auch die wahnhaften Vorstellungen sind Ausdruck einer melancolia, die ihren Sitz im Gehirn, im Magen oder im Hypochondrium KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 213 haben kann. Die krankhaften Säfte müssen daher ausgetrieben werden. Hierzu wird das antik-mittelalterliche Therapiesehema in voller Breite eingesetzt: die Diätik, die Pharmazie und angedeutet auch die Chirurgie. Im Vordergrund steht die »diaita« als eine Kunst der Lebensführung und L«bénsstilisierung im weitesten Sinn. Falscher Argwohn und verstörte Vorstellungen erfordern sanftes und vernünftiges Zureden und Behandlung durch Bäder und Musik. Der Wein tut ein übriges. Besonders die (nachmal igen Knei pp 'sehen) Wechsel -bäder haben gute Wirkung. Dieser Blick in die Geschichte der Medizin kann uns in zweifacher Weise weiterführen. Sehr grob übertrieben könnte es scheinen, daß manche überlieferte Eigentümlichkeit Wenzels wie sein wildes Jagen und die häufigen Badeszenen in der Wiener Wenzelsbibel ebenso wie sein Bedürfnis nach Erheiterung der Seele durch Wein, und da ihm dieser nach einem Studentenliede zu wenig war, mit Bier sehr gut in die Therapie eines Melancholikers oder gar eines Hypochonders paßt. Bekanntlich besaß Wenzel die größte Bibliothek Europas der damaligen Zeit *°) und nichts ist wahrscheinlicher, als daß er auch medizinische Werke besaß. Jedenfalls besaß er astronomische und astrologische Handschriften, im weiteren Sinn naturwissenschaftliche Werke wie u. a. die illustrierte Enzyklopaedie História planetarum, die ihm Gian Galeazzo Visconti wahrscheinlich aus Anlaß seiner Erhebung zum Herzog von Mailand geschenkt hatte. Die erhaltenen astrologischen Werke seiner Bibliothek summieren in genau derselben Art wie die Me-lancolia des Constantinus Africanus die arabischjüdische Gedankenwelt, die über Spanien und Süditalien in Mitteleuropa fruchtbar wurde. Das Interesse an den Naturwissenschaften fand schon unter König Přemysl Ottokar IL, der sich um die Kaiserkrone bemüht hatte, realen Ausdruck in der Sammlung von Instrumenten und Handschriften. Es blühte unter Karl IV. am Prager Hofe, wo besonders die Astronomie fest verankert war. Es erreichte unter Wenzel, in diesem Klima, das die Sterne befragte, einen Höhepunkt. Seine astrologischen Leidenschaften und die Nekromantie, die Geisterbeschwörung mit Befragung der Toten nach der Zukunft, haben ihm den Angriff der Kirche eingebracht, obzwar das zu Ende des 14. Jahrhunderts an allen Höfen Mode war. Wenzel ist der consulator demonum. Es ist möglich, daß Konrad von Vechta ihm die Geheimnisse der Magie beigebracht hat.") Wenzel hat seinen Leibarzt Albik zu medizinischen Publikationen inspiriert. Nimmt man Wenzels Judenfreundschaft hinzu, die ihm so ungemein geschadet hat, **) so ist es durchaus möglich und wahrscheinlich, daß aus der protohumanistischen Atmosphäre des Prager Hofes und dem Umgang des Königs mit »Naturwissenschaftlern«, die er zu seinen intimen Räten und der Reihe nach zu Erzbischöfen von Prag befördert hat, und endlich aus der Förderung des gefährlichsten Angriffes auf die Kirche, aus der Förderung des Hus und seiner Lehren, die zur Exkommunikation Wenzels und des Erzbischofs Konrad von Vechta geführt haben und in der Folgezeit zur Trennung der Hussiten von der allgemeinen Kirche, daß von kirchlich gesinnten konservativen Zeitgenossen auf den Charakter des Königs analog zurückgeschlossen worden ist und daß sich dieses negative Bild mehrminder bis heute erhalten hat. Es ist notwendig, hinzuzufügen, daß es auch durchaus positive zeitgenössische Berichte über ihn gibt. Die häufigen Badeszenen in den Bildhandschriften müssen nicht medizinische Bäder zur Behandlung seiner Melancholia gewesen sein. Zumal er durchaus nicht unnahbar und familienfeindlich ist und sich die schöne Bademagd nicht als das Mädchen Susanne, sondern als seine erste Ehefrau entpuppt. ") Sie können sich auch als Ritual bei der Aufnahme in bestimmte Ritterorden herausstellen. Die Analyse der überaus reichen Symbolik in den sichergestellten Werken der Bibliothek König Wenzels läßt uns die Atmosphäre eines Königshofes erahnen, an dem Kultur zu Hause war und der sich ritterlich-höfisch gab in der ganz spezifischen Art des Mittelalters. **) König Wenzel II. von Böhmen, der Urgroßvater unseres Wenzel, war immerhin ein deutscher Minnesänger. ") Auch die Gattin unseres Wenzel, Johanna, kommt aus einem berühmten Mittelpunkt der ritterlichen Kultur, vom herrlichen Hofe im Haag. Ihr Vater Albrecht unterstützte holländische, französische und deutsche Dichter und feierte den Historiker und Dichter Froissart als ersten Ritter seiner Zeit. Zu dieser Ritterkultur gehört auch die Mode der Ritterorden. Sehr wahrscheinlich unter Einfluß Johannas gründet Wenzel einen Orden. Auf diesen 214 WILHELM HANISCH Orden bezieht sich die Symbolik der Handschriften in der Bibliothek Wenzels und in der Bibliothek Konrads von Vechta. Ähnlich unzweifelhaft bezieht sich die Rennefart-Handschrift auf die Königin Johanna. Wenzel hat dieses Heldenepos aus dem Sagenkreis um Karl d. Gr. und seiner Recken im Kampf gegen die Araber direkt in Auftrag gegeben. Der Sinn ist die treue Gattenliebe, die Gefahren überwindet und schließlich obsiegt. Gerade dieses Epos wirft Licht auf die erste Ehe Wenzels und seine Privatsphäre überhaupt. Es bestätigt die Zeitgenossen, daß das Ableben der Königin Johanna ihren Gemahl so erschüttert habe, daß er außerstande war, an der Grablegung teilzunehmen. Es kann daher kaum ein Zweifel bestehen, daß ihre Ehe glücklich gewesen ist. Offensichtlich war Johanna Wenzel auch richtig zugetan und hatte nach allem eine glückliche, lichtvolle Art, die in der Ehe mit dem jungen König auch notwendig war, der in den acht Ehejahren durch manchen jähen Sturm gegangen war. Es war heiter und fröhlich am Prager Hofe unter Königin Johanna, in dieser Atmosphäre von Kunst und Wissenschaft und dem Kult des Heldentums und der Liebe, in der Atmosphäre des ausgelassenen Spiels und der Karnevalslaune. Der Tod der Königin riß den Vorhang entzwei und beendete für immer jene glücklichen Jahre im Leben Wenzels vor allem als geistiger Persönlichkeit. Vielleicht war der letzte Tag des Jahres 1386 der letzte Tag eines gesunden, lebensfrischen König Wenzel an der Seite einer lebenslustigen Gemahlin, ein liebenswürdiges Bild angesichts der Klischees, mit denen seine Feinde gegen ihn wirksam wurden und ihn uns überliefert haben. Die einzigartige Symbolik der Handschriften, dieses anziehende künstlerische und historische Vermächtnis einer Zeit, zeigt eine wechselseitige Durchdringung der einzelnen Bestandteile derselben. **) So war das Bad ein Symbol einer allseitigen geistigen Widergeburt zu einer neuen, höheren und idealeren Lebensform. Die Astronomie, die erste in der mittelalterlichen Hierarchie der Wissenschaften, durchdrang die damalige Medizin, Akhemie, Botanik und die übrigen Wissenschaften, die ihren Gegenstand aus der Natur schöpften. Die Astronomie antwortete auf die grundlegenden Fragen nach der Zusammen- setzung und nach dem Gang des Weltalls und erklärte die Abhängigkeit des Menschenschicksals von den Kräften der Natur. Es hing mit ihrem Pantheismus zusammen, daß sie den Gedanken der Einheit jedwedes Seins bekräftigte und alle Seiten des menschlidien Lebens durchdrang. *') Es bedürfte einer näheren Untersuchung, was in der Genealogie der Luxemburger, auf die wir gleich zu sprechen kommen, der Astrologe Ninus und sein Sohn Saturn und Jupiter zu bedeuten haben und ob etwa daraus, daß Saturn das Gestirn der Melancholie ist, *•) Schlüsse auf eine entsprechende Geistesverfassung zu ziehen wären. Sicher ist, daß Wenzel die astrologische Literatur seiner Bibliothek zu dem sehr realen Zwecke der Zukunftsdeutung benutzt hat, *») und daß die Gestirne Jupiter und Saturn eine besondere Bedeutung hatten, so daß sie Karl IV. in seine Ahnenreihe aufnehmen und abbilden Heß. Unsere, die schriftlichen Quellen, führen eine uns verständliche Sprache. Sie ist naturgemäß einleuchtender als die Sprache der Symbole, die doch sehr mannigfach gedeutet werden können. So bedeutet bei Johann von Posilge70) das Wort »narheyt«, das auf »närrisch« im Sinne von »wahnsinnig« hindeuten könnte, nichts weiter als die heutige Narrheit, Torheit ohne medizinischen Aspekt und das Wort »bosheit« gleichfalls Bosheit im heutigen Sinn, dann Wertlosigkeit, Nichtigkeit, schlechte Eigenschaften, böses Denken und Handeln, Böses allgemein.11) Perversus bedeutet nicht sexuell pervers im heutigen Sinne, sondern ist in der Verbindung mit dem Alkoholmißbrauch die Umdrehung von gut zu böse als terminierte Folgeerscheinung: nur wenn Wenzel zu viel getrunken hatte, veränderte sich sein Charakter dergestalt, daß er gefährlich wurde. ") Und das läßt noch keinen Schluß auf Geisteskrankheit zu. Von Lungenkrankheiten, die doch wohl kaum die Familie ausgelassen und manches junge Leben dahingerafft haben dürften, ist in direkter Form oder in Wortandeutungen nirgendwo die Rede. Wohl aber könnte inherbium, non mulierum pre-cator mit »er verlangte nicht nach (Ehe-) Frauen, sondern nach den »Bartlosen« übersetzt und ab Homosexualität gedeutet werden, wozu Wenzels mädchenhafte Zartheit und seine eheliche Unfruchtbarkeit passen würden. Wir hätten nun endlich, nachdem wir bislang im Dunkeln tapp- KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN ten, etwas Greifbares an der Hand. Noch dazu von einem Zeitgenossen. Am Ende der Regierung Wenzels, 1416, hat ein unbekannter Geistlicher, der der Kathedralkirche St.Veit nahestand, seinem Unwillen über den König Luft gemacht. Wenn man das liest, möchte man meinen, daß die Homosexualität kaum fehlen konnte:") Hie molestus Dco et homimbus, Johannis diece-sani iusti expulsor, doctoris submersor, prela-torum tortor, terrigenarum occisor, impius predo, tocius plebis oppressor, monetc sophisti-cator, consultor demonum, fractor fidei et cuiusvis promissi,efrenatecupiditatis acquisitor, comenta f raudum dissensionum incitator, litium sator, tocius ordinis perversor, divine legis et humanae conculcator, peior sibi, pessimus in-colis, communis scole non auetor, sed destruetor, potator indecens et human! sanguinis cupitor. Hic, quos natura abiedt, errexit, consilia pro-cerum miro modo illusit, officia regni nobilibus abstulit, in locis abditis more animalium, que lucem odiunt, habitavit: Canum, non hominum amator, inherbium non mulierum procator, bilinguium aeeeptor, directorum repudiator, amasiorum suorum trux ultor, donaciones auferendo more porcorum aliis mortem pro-curando, toxicis inficiendo; et ita gressu nature raro vitam oeeaverunt Das ist ungefähr das härteste Urteil, das man sich vorstellen kann. Und dennoch genießt diese und andere zu Lebzeiten Wenzels entstandenen Quellen trotz ihrer durchwegs negativen Einstellung insofern mehr Vertrauen gegenüber späteren, als sie keine Märchen auftischen. Man wird unterscheiden müssen, ob es sich um Aussagen aus erster oder um solche aus zweiter Hand handelt, und zu beobachten haben, inwieweit Klischees zum Tragen kommen und wie sie zu erklären sind. Ein beredtes Beispiel dafür ist die Darstellung Edmund Dynters (f I44&)» dessen Charakteristik Wenzels umso wertvoller ist, als sie von einem Diplomaten stammt, welcher sie aber leider 35 Jahre später niedergeschrieben hat. Hier die Übersetzung: w) Er hat lange gelebt und in seinem Leben auch nicht das geringste Gute getan und nichts, was des Lobes und der Erwähnung Wert wäre .. . Er ist zweimal nacheinander vergiftet worden. Niemand weiß, von wem. Durch die Gnade Gottes und das Bemühen der Ärzte ist er aber bald wieder gesund geworden. Dennoch verlangte es ihn infolge der Glut, der Hitze und Trockenheit, die er infolge des Giftes dauernd im Körper verspürte, zu trinken und er trank tatsächlich. Manchmal nüchtern zur Freude, manchmal exzessiv über das Maß hinaus. Immer dann, wenn er nüchtern nur zur Freude trank, da war er vortrefflich im Gespräch, ein weiser und diskreter Fürst. Er empfing Grafen und Barone, Bittsteller und Gesandte der Könige und Fürsten ehrerbietig, so wie sie sich der königlichen Hoheit geziemt, hörte sie gnädig an und verhandelte großzügig. Ich habe das beim Empfang des erlauchten Herzogs Ernst von Österreich im Oktober 1413 gesehen, den er auf sein Schloß Karlstein feierlich zum Festmahle eingeladen hatte. Nach dem Mahle ließ er ihn mit der Königin lustwandeln und sich vergnügen. Ich habe auch gesehen, wie er auf seiner Burg Tochik bei Bettlern die Abgesandten des Königs von Polen und des Großfürsten Witold von Litauen und Rußland und des Großmeisters des Deutschen Ordens und auf seiner Burg Neuenhaus in gleicher Weise die Abgesandten Breslaus und einiger mährischer Städte empfing. Auf gleiche Weise empfing er die Gesandten des Herzogs Anton, mit denen ich selbst zu Seiner Majestät gesandt worden war, gnädiglich auf seinen Burgen Karlstein, Tocnik und Neuenhaus und wie er sie huldvoll anhörte und verabschiedete. Die lateinisch geschriebenen Briefe König Karls und anderer Fürsten Frankreichs, die ich ihm zu überreichen die Ehre hatte, hat er selbst geöffnet, gelesen und uns ihren Inhalt auseinandergesetzt und uns geneigt nach ihrem Befinden befragt. Gleichfalls nach dem der Barone der Herzogtümer Brabant und Luxemburg. Er versicherte, daß er über sie ebenfalls Nachrichten hätte. Er war hochgebildet und sprach ein gutes Latein. Nachher nahm er mich bei der Hand und führte mich in einen Saal mit den kostbarsten Bildern aller Herzöge von Brabant bis auf Johann III., die Kaiser Karl hier hatte malen lassen. Er sagte zu mir: Dies ist meine Ahnenreihe. Ich stamme von den Trojanern und im besonderen von Karl d. Gr. ab und dem hehren Hause Brabant. Mein Urgroßvater, Kaiser Heinrich, hatte eine Tochter des Herzogs Johann I. von Brabant WILHELM HANISCH zur Frau. Er zeugte mit ihr meinen Großvater Johann, König von Böhmen und Polen. Trank er aber exzessiv, fuhr die Furie in ihn. Dann wurde er sehr pervers und gefährlich. Man erzählt, er habe seinen Koch am Spieß gebraten, weil dieser die Speisen entweder nicht nach dem Willen oder nach dem Appetit des Königs zubereitet hatte. Man erzählt, er habe seinem Gevatter Henker befohlen, ihn an den Beinen zu fesseln und die Augen zu verbinden und ihn dann zu enthaupten. Er wollte herausfinden, was die zu Köpfenden im Augenblick der Exekution denken. Der Henker tat so, als habe er das Richtschwert vergessen und simulierte das Halsabschlagen. Der König erhob sich und gebot dem Henker, sich seinerseits auf die Knie fallen und die Augen verbinden zu lassen. Dann köpfte er ihn tatsächlich. Eines Tages kam der König auf der Jagd in einen Wald und fand einen Mönch. Sofort ließ er sich von seinem Waffenmeister den Bogen geben, zog aus dem Köcher, mit dem er immer umgürter war, einen Pfeil und pfeilte den Mönch auf, daß dieser starb. Dem Umstand sagte er, er habe ein eigenartiges Tier mit dem Pfeil erlegt. Als diese antworteten, er habe kein wildes Tier, sondern einen Mönch getötet, gab er zur Antwort: ein Mönch ist in seiner Zelle und soll darin bleiben. Und nicht im Wald, wo die wilden Tiere wohnen und leben. Ich habe auch von ihm sagen gehört, daß er einmal, als er auf einer Wand die Worte: Wenzel ist der zweite Nero, geschrieben fand, sofort Kreide nahm und eigenhändig hinzufügte: Wenn ich es bislang nicht gewesen bin, so werde ich es erst recht in Zukunft sein. Auch erzählt man von ihm, er habe zu seinen großen und sehr großen Hunden noch größere und die größten zu haben verlangt und deshalb Boten in alle Welt gesandt. Den größten Hund ließ er in seinem Schlafzimmer und in seinem Bett zu seinen Füßen schlafen. Eines Nachts geschah es dann, daß die Königin, die Tochter Herzog Albrechts, als sie nach dem Nachttopf griff, am Halse angefallen und zu Tode gebissen worden ist. Andere sagen, einer der großen Hunde, in den die Furie gefahren war, habe die Königin gemordet. Angefangen hat mit diesen dicitur, alli dicunt, audivi de eo der Augustiner Andreas von Regens- burg (um 1380 - 1438), und zwar unter ausdrücklichem Bezug auf antike Autoren. Kurz nach dem Tode Wenzels, 1420 - 1422, hat er in seiner Weltchronik das folgende Bild gegeben:74) Es war ein wilder Mann von schrecklichem Aussehen. So lange er nüchtern war, war er einfach, einfach im Geiste und doch mit dem Kopf durch die Wand, d. h. faul und nachlässig in den Geschäften der Regierung. Wenn er getrunken hatte, kümmerte er sich überhaupt nicht um sie. Ihn hat das Gerede, nicht die öffentliche Meinung berühmt gemacht. Ich habe mich bemüht, aus dem Vielen weniges aus seinen Taten nach Art der Alten hier einzuschieben. Er hatte einen Hund, der jeden anfiel und tot biß, den der König ihm wies. Niemand durfte es wagen, sich des Hundes zu erwehren. Daran hatte er am meisten sein Ergötzen. Immer hatte er den Henker zur Seite, um anderen Furcht einzujagen und sie zu terrorisieren. Er nannte ihn Gevatter, weil er ihn aus der Taufe gehoben hatte. Er hatte auch zur Gewohnheit, den Seinen die (Fell-) Kleider abreißen zu lassen und den, den er bezeichnete, auf dem Fell in die Luft zu prellen. Als er einmal zu unrechter Zeit vom Koch Essen verlangte und dieser nicht wollte, befahl er, ihn in den Spieß zu stecken und zu schmoren. Er war es, der den ausgezeichneten Doktor der Theologie Johannes ertränkte, weil dieser gesagt hatte, nur der sei des Namens König würdig, der gut regiert. Ein anderer mit Namen Puchnik kam noch gerade davon. Der Schinder hatte mit ihm Erbarmen. Auf Befehl des Königs sollte er mit einer brennenden Fackel verbrennen. Später machte ihn der König zum Erzbischof von Prag. Er hat aber nur kurze Zeit überlebt. Ein späterer Zusatz bringt die Geschichte vom Löwen, den Wenzel mit Vorliebe mit Menschen fütterte, die er durch eine besonders konstruierte Drehtür in den Zwinger treiben ließ. Als der berühmte bayerische Ritter Wilhelm Frauenberger in Ungnade gefallen war, war ihm dieses Los bestimmt. Aber dieser schreckte den Löwen mit einem Seil, so daß ihm der Löwe die rechte Pfote gab und ihn gehen ließ. Worauf ihn Wenzel wieder in Gnade aufnahm, Frauenberger es aber vorzog, den Hof zu verlassen und in seine Heimat zurückzukehren. KÖNIG WENZEL VON EÖHMEN 217 Es soll hier nicht untersucht werden, wer von wem abgeschrieben hat, die späteren negativen Charakteristiken scheinen aber insgesamt auf die Pamphlete des Abtes Ludolf von Sagan zurückzugehen, die ihre, insbesondere kirchenpolitische Wirkung vor der Jahrhundertwende nicht verfehlt haben. Schon hier findet sich die außerordentlich scharfe Sprache: '*) Außer dem Wort crudelis rex enthält sie aber nichts, was für unsere Frage relevant wäre und was mit den Augen des Naturwissenschaftlers hätte gelesen werden müssen. Schon damals (1398) waren also die tollsten Gerüchte über Wenzel im Umlauf und es scheint, daß nicht zuletzt solche Vermischungen von Wahrheiten und absoluten Unwahrheiten mit starken Uber-treibungen in dem pseudojuristischen Verharren der Entsetzung Wenzels vom deutschen Throne im Jahre 1400 eine Rolle gespielt haben. '*) Mag auch der ganze Vorgang von Oberlahnstein wider Recht gewesen sein, so bleibt doch die Frage offen, ob es nicht doch konkrete, ausschließlich in der Person Wenzels liegende und nicht etwa in der politischen Konstellation beruhende Umstände gewesen sind, die zunächst zur negativen Beurteilung seines Charakters und später zu politischen Konsequenzen geführt haben. Immerhin erscheinen die Vorgänge in Böhmen und insbesondere die Ermordung Johanns von Nepomuk als schriftlich fixierte Punkte der Anklage, Und immerhin hat auch der bedeutende tschechische religiöse Schriftsteller Thomas Štítný zur gleichen Zeit (1400) dem König vorgeworfen, der Böhmische Staat stehe einzig und allein durch das Verdienst seines Vaters hinter ihm.") Abt Ludolf von Sagan aber scheint mir mit dem Stichwort Nero und daß Wenzel schlimmer als die Tyrannen zur Zeit der Urkirche ist, selbst als erster in das Denkschema verfallen gewesen zu sein, daß Wenzel die gleichen bzw. abgewandelt ähnliche negative Eigenschaften wie Nero gehabt haben muß. Wenn man bedenkt, daß sich in den Augen des Menschenkenners jeder Mensch auf drei oder vier Hauptzüge reduzieren läßt, die durch fünf oder sechs bezeichnende Handlungen vollständig zum Ausdruck kommen, und sich so ein Schema ausbildet, das die Seiten, auf die hin ein Mensch anzusehen ist, als stehende Rubriken für die Einordnung des Stoffes in variabler Disposition ent- hielt, so liegt der gelehrte (analytische) Typus in Suetons Kaiserviten vor, der in den Biographien des Mittelalters herrschend geblieben ist. '•) Stichworte sind: öffentliche und private Existenz, Verhalten in Amtsgeschäften, im Kriege, in der Familie, zu den Freunden, zur vornehmen Gesellschaft, zum weiblichen Geschlecht, Arbeitsweise, Studien, Schriften, denkwürdige Aussprüche, moralische Vorzüge oder Mängel nach den einzelnen Tugendbegriffen spezialisiert, äußere Erscheinung, physischer Habitus, Sichgeben im täglichen Leben und dergl.7*) Es liegt also nahe, die Biographie Neros heranzuziehen und zu vergleichen, was vergleichbar ist. Noch bei Edmund Dynter möchte man annehmen, daß er sich die äußere Einteilung Suetons zu eigen gemacht hat: »Alle diese zum Teil keinen Tadel unterliegenden, zum Teil sogar nicht geringen Lobes würdigen Handlungen habe ich hier zusammengestellt, um sie von seinen Fehlern und Lastern zu sondern, von denen ich im folgenden reden will«. ") Neros Pferdeliebhaberei *c) paßt zu Wenzels Hundeliebhabcrei. Nero rief sich meist selbst als Sieger aus und gab den Befehl, die Statuen und Porträtbildnisse jener samt und sonders umzustürzen und mit Haken in die Latrinen zu schleifen, um das Andenken und die Spur jedes anderen Siegers zu vernichten. ") In etwa könnte man dem an die Seite stellen, was Johann von Posilge zum Jahre 139$ geschrieben hat:") Item der koning von Behemen lys nicht abe von syner narheyt; her qwam czu Präge by nachte zu den steynmetzen und was her von bylden vant, den hip her dy houpte ab und czuslug sy. Vielleicht gibt es sogar eine Parallele darin, daß Nero bei allem, was er im Ernst oder im Scherz tat, stets seinen Stimm lehrer neben sich hatte und Wenzel immer seinen Gevatter den Henker. ") Proben von Ubermut, Wollust, Schwelgerei, Habsucht und Grausamkeit gab Nero anfangs zwar nur sehr vereinzelt und verborgen und als Erzeugnisse jugendlichen Leichtsinns, doch von der Art, daß selbst damals schon niemand darüber im Zweifel sein konnte, daß diese Laster seinem Naturell, nicht seiner Jugend angehörten. So pflegte er gleich nach Eintritt der Dämmerung rasch einen Schifferhut oder eine Kutschermütze aufzusetzen und die Schenken zu besuchen oder 2iS WILHELM HANISCH unter allerlei Mutwillen in den Gassen umherzuschweifen, wobei es nicht ohne bösartige Streiche abging, indem es sein Vergnügen war, die von einer Tischgesellschaft Heimkehrenden zu prügeln und, wenn sie sich wehrten, zu verwunden und in die Kloaken zu werfen. Mit fast den gleichen Worten bringt um 1440 sogar ein Wenzel wohlgesinnter Tscheche u) diese Geschichte, die so gar nicht mit dem übereinstimmt, was er Positives vorher über Wenzel gesagt hatte. Ein besonderes Kapitel ist die Sexualität. Es ist durchaus naheliegend, auch hierbei an Sueton zu denken, bei dem Nero bi- und homosexuell gewesen ist. **) Während bei weniger prekären Dingen wörtliche Übereinstimmungen vorhanden sind, findet sich die Andeutung, daß Wenzel homosexuell gewesen ist, nur am genannten Ort und in Gegenüberstellungen (Hunde- und nicht Menschenliebhaber, Bevorzuger der Doppelzüngigen und Zurückstoßer der Direktredenden usw.), die es nicht zulassen, hier unzweifelhaft von Homosexualität zu sprechen. Genug der Beispiele. Die angeführten Quellenstellen zeigen, womit wir nun wirklich rechnen müssen: nämlich, daß wir keine ungeschminkten Bilder überliefert bekommen haben und daß auch nicht der Wohlgesonnene von 1440 nun das richtige Bild gegeben hat, wenn er erzählt, u) daß noch zu seiner Zeit überall gesagt wurde, daß unter König Wenzel das Land sehr befriedet gewesen war, so sehr, daß jedermann ungeschoren Gold auf dem Kopfe tragen konnte, wo immer er fuhr oder ging. Wenzel habe Gerechtigkeit gewollt und darauf geachtet, daß sie auch den Armen zuteil wurde. Er habe sich verkleidet unter die Käufer gemischt, die Waren nach Güte und Preis geprüft und Preistreiber hart bestraft. Einmal habe er einen ganzen Tag in einem Weinberg gearbeitet, um die Arbeitsbedingungen am eigenen Leibe zu erfahren. Auf Grund dieser Erfahrungen habe er eine Mittagspause von einer Stunde angeordnet. Immerhin: hier wäre Wenzel ganz im Sinne der Grundgedanken der von seinem Vater konzipierten Landesordnung Böhmens praktisch tätig geworden, die auf Gerechtigkeit für alle begründet war. Der hohe Adel hat zu verhindern gewußt, daß die Majestas Carolina Gesetz geworden ist. Mit diesem hohen Adel hatte es Wenzel zeit seines Lebens und Regierens in un- liebsamster Weise zu tun. Er war es, der den König kaltstellen wollte. Wenn wir auch nicht erwarten durften, daß uns die zeitgenössischen Schriftsteller wissenschaftlich überprüfbare Krankheitsdiagnosen geben würden, so sagen sie doch wohl zweifelsfrei den Alkoholis-mus und die Wandlung des Charakters in seiner Folge aus. Sie erscheinen aber nicht als Dauerzustand. Dynter unterscheidet da sehr genau. Damit stehen wir wieder am Anfang unseres Bemühens. Unzweifelhaft haben Krankheiten, manchmal in heiklen politischen Situationen, eine Rolle gespielt. Bei der ersten schweren Erkrankung im Jahre 1388 wissen wir nur, daß Wenzel in der Nacht zum 12. September mit den Sterbesakramenten versehen worden ist. Aus Prag sind alle Ärzte herbeigerufen worden. Bittprozessionen wurden veranstaltet. Wenzel hat sich schnell erholt. *s) Zu Anfang Dezember 1394 erfolgte ein Giftattentat. Wenzel kam mit einer Erkrankung davon. Opfer des Anschlags war Herzog Friedrich von Bayern, der am 4. Dezember 1394 in Budweis erlag. **) Zum Jahre 1408 vermeldet Dietrich von Niem eine Erkrankung Wenzels, die sehr an die Karl IV. vom Jahre 1350 erinnert: Noviter contractus factus est ita, quod nequi-vit pedibus propriis sistere neque manus movere, sed ut lignum de loco ad locum cum vehiculo aut aliorum manibus baiilaretur. Quid nunc ei suff ragantur argentifodinac ac thesauri maximi, sed caduci, quos ipse pater eius praeeepit avarissime congregare ipseque filius postea omni sollicitudine augmentavit et hactenus conservavit intactos? Sein Leibarzt Albik hat diese Krankheit zur besten Zufriedenheit Wenzels geheilt. Aber er mußte erst einmal dem König von Mitteln abraten, die aus Alchimistenküchen kamen: Et idem rex quaesivit a me, nonne valeret, ut traheretur per alembicum, sicut fit aqua ro-searum aut oleum balsami artificiale. ") Da Albik sagt, Wenzel habe sich wieder bewegen können, dürfte es sich bei den Kontrakturen um einen Gichtanfall gehandelt haben. Darauf deuten auch die von Wenzel verlangten Heilmittel hin. Für uns erheblich ist das Giftattentat im Dezember 1393. Die Koinzidenz mit dem Tode des Herzogs Friedrich von Bayern macht den eingangs KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 119 erwähnten Brief Wenzels an den Papst und seine Versicherung, die Wahrheit berichtet zu haben, unzweifelhaft. Er paßt auch aus anderen, hier unerheblichen Gründen,") in den Anfang des Jahres 1394. Als gesichert kann auch gelten, daß C5 sich dabei um einen politischen Anschlag auf das Leben des Königs gehandelt hat. Die betreffende Stelle des Briefes lautet: *») Ut autem Sanctitas Vestra casus nostri debili-tatis, qua corpus nostrum hactcnus laborabat, non lateat, ipsam presenti pagina stilo descri-bimus certiori, Ecce enim, qui alias debilitatc corporis premebamur, nam veneni fuimus iaculis faucitati, iam Altissimi, qui percutit et medetur, dementia plene convaluimus corpore nostro pristine per omnia reddito sanitati. Nec velit Sanctitas Vestra querulosis relatibus hiis adversa referentibus quomodolibet aures credu-las adhibere, cum hec que scribimus veritatis illustratione lucescant. Zieht man die Summe aus diesen Quellenbelegen, reduziert sich das unzweifelhafte »Krankheitsbild« Wenzels auf die Trunksucht und den Giftanschlag von 1393, wobei nicht ausgeschlossen ist, daß vorher und nachher solche Attentate stattgefunden haben. w) Den Zusammenhang beider als Ursache und Wirkung scheint Wenzel selbst hergestellt und dem Diplomaten Dynter mitgeteilt zu haben. Der Gichtanfall des Jahres 1408 ist gut vorbeigegangen. Ob aus seinen schlechten Zähnen Rückschlüsse gezogen werden können, ist recht fraglich.") Der doch wahrscheinlich kranke Karl IV. hatte ein fabelhaftes Gebiß. Wir sind besonders der Frage nachgegangen, ob Wenzel wahnsinnig gewesen ist. Ich glaube nicht, daß selbst die ärgsten Abnormitäten, die ihm die übelwollenden Zeitgenossen angelastet haben, als Wahnsinn interpretiert werden können. Im besonderen lassen das auch die Trunkenheitsexzessc nicht zu. Denn dem steht entgegen, daß Wenzel bei mäßigem Alkoholgenuß aufgeräumt war und durchaus liebenswürdige Eigenschaften gezeigt hat. Angesichts der methodischen Schwierigkeiten ist hier äußerste Vorsicht geboten. ") Weit positiver als die gefärbten und die doch nicht mehr zeitgenössischen Quellen läßt den König die Symbolik der Handschriften seiner berühmten Bibliothek erscheinen. Vielleicht sollte man sagen, daß sie das genau gegenteilige Bild, und zwar das liebenswürdige Bild eines geistigen Menschen zeigt. Und das braucht nicht Schmeichelei von Hofschreibern und -malern zu sein. Wir wollten gemeint haben, daß sich der Mensch Wenzel seit dem Tode seiner ersten Gemahlin, die sehr zu diesem liebenswerten Bilde beigetragen hatte, zu dem Wenzel gewandelt hat, wie ihn die Quellen um die Jahrhundertwende oft verzerrt einseitig gesehen haben. Das lebendige Bild aus diesen Zeiten hat sich als untauglich erwiesen, auf unsere Fragen zuverlässige Antworten zu geben. Kein wesentlich neuer Aspekt konnte gewonnen werden. Hödistcns Andeutungen, die nicht abwegig waren. Dafür ist aber vielleicht das wenige, das schon früher bekannt war, hier zusammengetragen, klarer und eindeutiger geworden. Das soll uns nidit entmutigen, das Bild mit einigen Seitenblicken abzurunden und abzuschließen. Die raffiniert verweichlichte Kultur des Präger Hofes in den glücklichen Tagen des Königs Wenzel IV. und vorher die nicht hoch genug zu veranschlagende Wirkung seines Vaters auf das geistige Leben seiner Zeit **) leiten über zur Genealogie. Es ist typisch für Karl IV. und paßt gut zu unserem Bilde von ihm als einer Persönlichkeit, deren starker Intellekt mit wissenschaftlichen wie mit übernatürlichen Mitteln versuchte, mit dem für sich und der Zukunft seines Hauses bedrohlichen Phänomen des Krankseins fertig zu werden, und es weitet das Bild aus, daß er den Künstlern aus aller Herren Ländern den Auftrag gegeben hat, im großen Saal der mit den Anschauungen französischer Gotik zur Aufnahme der Kleinodien des Heiligen Reiches, zu deren Schaustellung er eigens eine Messe geschrieben hat, erbauten Burg Karlstein seinen Vorfahren aus dem Hause Luxemburg, im Treppenhaus Szenen aus der böhmischen Wenzels- und Ludmilla-Legende in Bildern vor Augen zu führen. Joseph Ncuwirth, der den Bilderzyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein rekonstruiert hat, **) sagt sehr richtig, der Bilderschatz gebe auch höchst wichtige Aufschlüsse über die Ideen, welche die Ausführung der Gemälde bestimmten. Die Persönlichkeit an sich und in Zusammenhang mit einer Ahnenreihe, deren Zurückführung bis in die von Sagen verklärten Tage einer grauen Vorzeit das Ansehen jener bei Mit- und Nachwelt erhöhen 220 WILHELM HANISCH soll, macht bereits ihre Anrechte auf eine auch das Individuum berücksichtigende künstlerische Behandlung geltend, die sich nunmehr selbst der Darstellung von Zeitereignissen zuwendet und nicht ausschließlich auf die Beziehung zur theologischen Spekulation und zu einer überaus stark angewachsenen Heiligen- und Reliquien Verehrung beschränkt bleibt. *s) Vorweg ist als sehr auffallende Tatsache zu vermerken, daß nicht im gleichen Sinne auch die Ahnenreihe mütterlicherseits, also die Pŕemysliden, einen ebenso ehrenvollen Platz in Karlstein gefunden haben, wo Karl doch, wenn schon wahrscheinlich aus politischen Gründen, sich sehr bewußt als rechter Erbe dieses Hauses betrachtet hat. Vielleicht spielt hier der tatsächliche Qualitätsunterschied zwischen Kaiser- und Königtum und der Zusammenhang mit den Reichskleinodien die entscheidende Rolle und kaum wohl dürfte der Zufall des Vorhandenseins und Nichtvorhandenseins auf der einen bzw. auf der anderen Seite von Bildvorlagen in Erwägung gezogen werden müssen. Das Vorhandensein der bildlichen Darstellung des Stammbaumes der Luxemburger in Karlstein ist durch zwei zeitlich weit auseinanderliegende Nachrichten nach eigener Wahrnehmung ganz verschiedener, aber gut unterrichteter Gewährsmänner verbürgt. Die erste stammt aus der Zeit, da die Gemälde noch die "Wände eines Karlsteiner Saalraumes zierten, die zweite aus der Feder eines Augenzeugen ihrer Vernichtung. Die erste Angabe stammt von Edmund Dynter, dessen Bericht wir oben übersetzt haben. Er charakterisiert eine von Wenzel als sua genealógia bezeichnete, im Auftrag Karls IV. ausgeführte Bildfolge der Herzöge von Brabant, welche auf die sagenverklärte Herkunft von den Trojanern zurückgreift und einerseits mit namentlicher Berücksichtigung Karls d. Gr. bis zu Johann III., heraufreicht, andererseits durch die Beziehungen der an Heinrich VII. verheirateten Tochter Johanns I. von Brabant den ersten Kaiser aus dem Hause Luxemburg und seinen Sohn König Johann den Brabanter Herzögen anreiht. Der Wenzel in den Mund gelegte Ausdruck genealógia, welcher in dem genuit bei Heinrich VII. seine Bestätigung findet, stellt das inhaltlich so genau abgegrenzte Werk als eine Art Stammbaum, als eine bis zu den Trojanern zurückgeführte Ahnenreihe dar, deren Ausführung Karl IV. mit Hervorkehrung eines gewissen Familienstolzes angeordnet hatte. '*) Im Sinne der vorstehenden Ausführungen von Forst-de Battaglia ist hier hinzuzufügen, daß die ausdrückliche Anführung Karls d. Gr. in dieser genealogia als Voraussetzung des Thronerwerbs in Deutschland von Karl IV. sehr bewußt angeordnet worden ist und er im übrigen damit gar nicht unrecht hatte, denn tatsächlich läßt sich die Abkunft der Luxemburger von ihm beweisend nachweisen, was auch geschehen ist.") Diese Gemälde sind bei der Restaurierung der Burg Karlstein unter dem sonst kunstsinnigen Kaiser Rudolf IL zwischen 1587 und ty88 vernichtet worden. Ein Viertel Jahrhundert zuvor ist die Handschrift Nr. 8330 der früheren Hofbibliothek in Wien entstanden, die auf den Blättern 6-59 eine Reihe von Darstellungen verschiedener Persönlichkeiten bringt und mit Karl IV. und seiner Gemahlin Bianca von Valois schließen. Trotz des Verlustes der Originale in Karlstein kann also die Genealogie der Luxemburger nach ihren vortrefflichen Kopien in vollem Umfang nachgewiesen werden, denn es ist unzweifelhaft, daß die von König Wenzel dem Brabanter Gesandten Edmund de Dynter erläuterte Genealogie in den Genealogiedarstellungen der Wiener Handschrift Nr. 8330 erhalten ist.*1) Sie umfassen folgende Namen: 1. Noe, 2. Cham, 3. Chus, 4. Nembrot, 5. Belus, 6. Ninus, 7. Saturnus, 8. Jupiter, 9. Dardanus, ro. Henc-tonius, 11. Ylus, iz. Priamus, der erste König der Trojaner, 13. Marcomirus, 14. Pharamundus, iy. Clodio, 16. Merovingus, 17. Hildencus, 18. Clodoweus alias Ludowicus, 19. Lothanus, 20. Cylpericus, 21. Lotharius Magnus, 22. Blio-thilda, 23. Ansubertus, ihren Gemahl, 24. Arnol-dus, 2$. Arnolphus, Bischof von Metz, 26. die hl. Doda, 27. Anchysus Francigcna, den Sohn beider, und 28. als seine Gemahlin die hl. Begga, Herzogin von Lothringen und Brabant, 29. Pypj-nus d. Jüngeren, 30. Carolus Martellus, 31. PyP1' nus, 32. Carolus Magnus, 33. Ludwig d. Frommen, 34. Karl d. Kahlen, 35. Ludwig d. Stammler, 36. König Ludwig von Frankreich, 37. Herzog Karl von Lothringen und Brabant, 38. seine Tochter Gerberga und 39. ihren Gemahl Lambert mit dem Barte, 40. Heinrich d. Alteren, Grafen von Brüssel, 41, den Grafen Lambert, 42. den KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 221 Grafen Heinrich, 43. Herzog Gottfried mit dem Barte von Lothringen, 44. Herzog Gottfried d. Jüngeren von Lothringen, 45. Heinrich d. Älteren und 46. seine Gemahlin Mechtilde, 47. Herzog Heinrich II. und 48. Herzog Heinrich III. von Lothringen, 49. Herzog Johann I. von Lothringen und Brabant, Vater der Gemahlin Kaiser Heinrichs VII,, 50. einen Herzog mit fehlender Inschrift, wohl Johann III., 51. Kaiser Heinrich VII. und $2. seine ohne Inschrift gebliebene Gemahlin, 53. König Johann von Böhmen, 54. seine Gemahlin, die Tochter König Wenzels II, von Böhmen, 55. Kaiser Karl IV. und j6. seine erste Gemahlin Bianca von Valois. Welche Ansichten und Absichten stehen hinter dieser Bildreihe, die vor Augen führt, was der von Karl IV. beauftragte Hofchronist Johann Marignola mit den Worten Karolus ex deorum gentilium Saturni et Jovis recta linea perTroyanus noscitur descendisse *s) ausgedrückt hatte? Nach der sehr sorgfältigen Analyse Neuwirths wollte Karl du rch diese seine Ahnen sein Anrecht auf die Kaiserwürde beweisen und das konnte in keiner eindringlicheren Weise geschehen, als wenn der ununterbrochene Zusammenhang durch das gewiß außerordentlich freudig begrüßte Mittelglied der Brabanter Herrscher mit dem eigentlichen Neubegründer des römischen Kaisertums Karl d. Gr., und mit Fürsten jener Volker betont wird, von welchen auch die Römer ihren Ursprung herleiten. Die Karlsteiner Genealogie der Luxemburger gibt aber außerdem über die Denkweise Karls IV. noch andere, und wie wir nach der obigen Andeutung hinzufügen möchten, für ihn sehr charakteristische Aufschlüsse: Der prächtigste Raum der Burg war zur Aufbewahrung der Kleinodien des deutschen Reiches bestimmt. Einer solchen Bestimmung des wichtigsten gottesdienstlichen Raumes der Burg entspricht es, daß in dem anderen Hauptgebäude, das vorwiegend weltlichen Zwecken und als Wohnung des Kaisers diente, auf die Betonung der Berechtigung des Bauherrn auf die Kaiserwürde Bedacht genommen wurde. Bei der Betrachtung der Ausschmückung einer in Böhmen gelegenen Burg Karls IV. wäre man vielleicht zur Annahme geneigt, daß der Landesherr bei Anordnung der Genealogie seines Hauses als Wandbildschmuck zunächst an die Herrscher aus der alten nationalen Dynastie Böhmens und an die Anreihung der Luxemburger an dieselben gedacht haben müßte, wie er ja auf der Prager Burg den Cyklus der Wandbilder der böhmischen Landesfürsten ausführen ließ. Für Karlstein suchte der Kaiser nicht diesen Anschluß an das scheinbar auch für eine Genealogie der Luxemburger nächste, das speziell böhmischen Anforderungen gerecht wurde, sondern stellte Beziehungen zu einem ausländischen Herrscherhause, auf die er offenbar noch stolzer war als auf jene zu den Přemysliden und aus welchen er noch weit Wichtigeres für das Ansehen seiner Person ableitete, in den Vordergrund. Während er in der Reihe böhmischer Herren auf der Prager Burg einfach als Landesfürst Böhmens begegnet, dessen Vorgänger weit, aber nicht über den vom Pflug weg geholten Přemysl zurück verfolgt werden, tritt er im Karlsteiner Cyklus als Angehöriger eines ausländischen Fürstengeschlechtes, als ein Nachkomme Karls des Großen, ja sogar des Saturn, Jupiter und Noah auf. Ein viel wetterer, durchaus nicht auf die Grenzpfähle Böhmens und auf die Interessen des Landes beschränkter Anschauungskreis zieht Fernliegendes heran, das dem Hause Luxemburg besonderen Glanz verleiht und seinen Anspruch auf die deutsche Kaiserkrone überzeugend ersichtlich zu machen vermag. Nicht der König von Böhmen, sondern der deutsche Kaiser, der in Karlstein seine wertvollsten Schätze bewahrte und in der Kreuzkapclle die Heiligen seiner Reliquien, unten im Palas seine den Anspruch auf die Kaiserkrone begründeten Ahnen wenigstens im Bilde um sich versammein wollte, hat die Bilderfolge angeordnet, deren Zusammenstellung und Tendenz den weit über Böhmen hinausgehenden Ideenkreis deutlich erkennen läßt.") Ob dieser Ehren würdig oder nicht, bei König Wenzel standen solche genealogischen Anschauungen durchaus noch im Vordergrund. Mit einem gewissen Stolz betrachtet er die Reihe seiner erlauchten Vorfahren und fachsimpelt mit dem Brabanter Gesandten Dynter in der Pose des Wissenden. Er wußte, daß er ein Göttersohn ist. Nach dem eben gesagten befremdet, daß Kar! IV. just dort, wo seinem Hause zum ersten Male der Glanz des römischen Kaisertums zuteil geworden war, bei seinem Großvater Kaiser Heinrich VII., die Brabanter hineinbringt und sie bis Karl d. Gr. führt, statt der Männerlinie der Luxemburger den 222 WILHELM HANISCH Vorzug zu geben, der gleichfalls dorthin führt. Zudem erscheint dem heutigen Genealogen '*) die Brabanter Frauenlinie insofern etwas verdächtig, weil für ihre Mitglieder der Herzogtitel von Lothringen fast durchwegs gebraucht wird, was nicht stimmt, weil das Haus Brabant mit dem offiziellen Hause Lothringen nichts zu tun hat, und darauf beruht, daß Gottfried I. der Bärtige (* um 1060, t 25. i. 1139) im Jahre 109s Graf von Brabant und 1106 Herzog von Niederlothringen gewesen ist und er sich nach der Absetzung im Jahre 1128 Herzog von Brabant nannte. Die über ihn führende Linie ist bis auf zwei Auslassungen mit der Karlsteiner Genealogie identisch. **) Die Abkunft der Luxemburger von Karl d. Gr. erweist das Geschlecht im Sinne von Fort-de Battaglia als germanisch und in der Stammtafel von Schoos **) erscheint unter den Vorfahren der deutschen Könige und Kaiser des Mittelalters nur ein »Ausländer«, Azzo d'Este, also ein »Italiener«. Bei ihm möchten wir ansetzen bei der Behandlung und Wertung des Findringens nichteuropäischen und nichtgermanischen Blutes in die germanisch bestimmte (west) europäische Herrenklasse, also um hellenisch-kleinasiatisches, um das mongolisch-palaioasiatische Blut der Piasten und Rjurikiden und das mongolisch-ugroaltaische der Arpaden und das asiatische der Chane. In der Vorfahrenreihe Karls IV. ist griechisches Blut durch Maria, die Tochter Theodor Laskaris, und Anna, Tochter Angelos III. von Byzanz, und durch Irene von Byzanz, Tochter Isaak II. Angelos und Gattin König Philipps von Schwaben gelangt. Arpaden-blut kommt durch Konstanze, die Frau Přemysl Otakers I. in die böhmische Linie und durch Anna, die Mutter der Kunigunde von Halič, Gattin Přemysl Ottokars IL Sie ist die Tochter des Fürsten Rostislav von Halič, Ban von Slavonien und König der Bulgaren. Er ist der Sohn des Fürsten Michael von Tschernigow und Großfürst von Kiew aus der Ehe mit einer Tochter des Fürsten Roman von Galizien. Mit der Genannten kommen zu den nur noch 0,2 % tschechischen Přemysliden die 6,3 % slawischen Blutes in der Ahnenreihe Karls IV. Demgegenüber stehen 83,5 % germanischen Blutes. Setzen wir an Stelle dieses, in einem in der Schweiz nach 194J erschienenen genealogischen WerkM) sinnvoll ge- brauchten Ausdruckes »Blut« in Anbetracht seiner Verwendung vor 194c das Wort Westeuropa, dann erweist sich das Geschlecht der Luxemburger als westeuropäisch unter Ausschluß von Süd- und Südwesteuropa. Und im engeren Sinne als ein bis zu Kaiser Heinrich VII. im luxemburgisch-belgisch-niederländischen Raum beheimatet gebliebener Zweig der Karolinger. Erst durch die letzte Premyslidin, die Mutter Karls IV., erhalten die Luxemburger die genannten nichtgermanischen Blutelemente. Es wird zu prüfen sein, wie sie sich ausgewirkt haben. Abgesehen davon, daß es politische Ehen waren, könnten die ersten beiden Ehen Karls IV. mit Bianca von Valois und Anna von der Pfalz als Ehen bezeichnet werden, die ganz im Rahmen der luxemburgischen Heiratstradition lagen, daß nämlich die Frauen nicht allzu weit weg und sicher ebenfalls von Karl. d. Gr. abstammten. Mit den Ehen mit Anna von Schweidnitz und Elisabeth von Pommern tut sich dann der europäische Osten auf: von Böhmen zum Ural und von Schweden zum Balkan mit Byzanz. Angesichts dieser Weiträumigkeit ist man versucht, im Gegensatz zu dem bis in das zweite Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts dem Westen verhafteten Geschlecht der Luxemburger seit der Mutter unseres Königs Wenzel von einem jetzt einsetzenden Übergewicht des Ostens zu sprechen, auch dann, wenn man ihren Großvater mütterlicherseits, König Karl II. Robert von Ungarn nicht vergißt. Seine Ahnenreihe führt zu Hugo Capet und über diesen hinaus zu einer Grafenfamilie am Oberrhein und im Wormsgau. Seine Mutter dementia war eine Tochter Rudolfs von Habsburg. In vielleicht dem gleichen Umfang wie die böhmi-sdien Premysliden sind die schlesischen Piasten »eingedeutscht« worden und die Auszählung des Ahnensatzes der Anna von Schweidnitz würde vermutlich einen beträchtlichen Anteil des germanischen Blutes aufzeigen, rekrutiert wie in der der Aszendenz Karls IV. aus den vielen süddeutschen Dynastien so hier aus den Brandenburgern, Anhaltern, Andechsern, Österreichern und einer Reihe mitteldeutscher Dynastien. Das Bild vom Osten wird geprägt von den polnischen Piasten und den mit diesen verschwägerten Arpaden und Griechen und besonders durch die Rjurikiden, die sich ihrerseits mit tartarischen KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN Chanen verschwägert hatten. Im Blute der Anna von Schweidnitz findet sich der Satz von Forst-de Battaglia bestätigt, daß sich die Einordnung der westslawischen Staaten und Ungarns in den Westen fast allein durch die genealogische Verknüpfung der Regentenhäuser erklärt und die alte russische und polnische Geschichte ohne genealogischen Kommentar unverständlich ist. Auf Karl IV. und Wenzel bezogen, wird man Michael Freund dahin korrigieren müssen, daß der erstere ein Westeuropäer germanischen Geblütes mit französischer Bildung gewesen ist, und von Wenzel vielleicht richtiger sagen, daß er von seiner Mutter her in einem viel größeren Ausmaße als sein Vater Anteile der verschiedensten im Osten vorhandenen Rassen in sich vereint und man in gewisser Hinsicht mit Freund von tieferen Schichten des Slawentums sprechen kann. Ob das, was Freund dann weiter über Wenzel sagt, nun ausschließlich auf sein so geartetes »Blut« zurückzuführen ist, Wenzel im weiteren Gedankengang als Produkt seiner Rasse zu erklären und das Aussterben des ganzen Geschlechts in den Söhnen der »Slawinnen« Anna und Elisabeth von Pommern hinzustellen sei als sichtbares Zeugnis der negativen Auswirkungen von Rassen-mischungen, läßt sich ebenso wenig »beweisen«, wie daraus seinen Hussitismus erklären. Was damit gemeint ist und inwieweit das Wort ein Terminus für vernichtende Gewalttätigkeit sein soll, entzieht sich der Kenntnis. Mit Sicherheit aber läßt sich sagen, daß Wenzel insofern kein Hussit gewesen ist, als er nicht Anhänger der Hussiten war, im Gegensatz zu seiner zweiten Gemahlin, der bayerischen Sophie, von der wiederum nicht bekannt ist, ob sie Hussitin im Freund'schen Sinne gewesen sei. Man wird da ganz im Sinne von Forst-de Battaglia mit Wertungen sehr vorsichtig sein müssen. Andererseits soll aber nicht die Beobachtung unterdrückt werden, daß »Rasse« gesehen worden ist. Im Codex picturatus aus Ungarn ,0°) werden 2- B. die Könige von Frankreich und Böhmen und der deutsche Kaiser im deutlichen Unterschied zu den dunkelhäutigen Arpaden als groß, aufrecht und von hellem Teint abgebildet. Der Arzt Kyeser10') läßt sich zu Äußerungen über die Nichtswürdigkeit der ungarischen Nation und über ihre Feigheit vor dem Feinde und Verrat in "3 der Schlacht von Nikopolis hinreißen, die auf einer gleichen Linie liegen wie die Plänkeleien zwischen Deutschen und Böhmen in der Frage, wer in einem Reichskriege das Reichsbanner tragen müsse.,M) Zwar ist die Zimmer'sche Chronik erst zwischen 1564 und r $66 entstanden und das Wort vom deutschen Vaterland und den kitzeligen Böhmen paßt besser in diese Zeit und nicht zum Jahr der Schlacht von Nikopolis. Die auch nicht frei von einem persönlichen Ressentiment getanen Worte des Conrad Kyeser über die nationalen Disqualitäten der Ungarn zeigen doch das Bewußtsein der Andersartigkeit der Böhmen und der Ungarn auf. Da diese gleichsam mit deutschem Maß gemessen werden, erhalten die unkommentierten Bilder der ungarischen Chronik einen umso größeren Aussagewert. Hier werden Rassenunterschiede als Tatsachen hingestellt. Ich möchte hier auf Conrad Kyeser aus Eichstätt zu sprechen kommen, weil er ein interessanter Mann ist. Sein Lebensschicksal ist mit dem unseres Wenzel auf eine seltsame Art verquickt und wir erfahren von ihm etliches, was zum Bilde Wenzels beiträgt. Kyeser ist ein universal gebildeter Mann, der das Unglück hatte, als Feldarzt in einem bayerischen Kontingent in die Schlacht bei Nikopolis zu geraten und als mittlerer Offizier die Niederlage büßen zu müssen. Der selbst feige Sigismund steckt Kyeser wegen Feigheit in ein Lager jenseits der Böhmischen Berge. Zuvor hatte Sigismund nach der abenteuerlichen Flucht über Konstantinopel und Ragusa seinen Bruder Wenzel gefangen genommen, ihn für einige Wochen in den Turm geworfen und dann gefesselt in mildere Verwahrung nach Wien bringen lassen. Die Anhänger Wenzels, bei denen Kyeser eine höhere Kommandostelle eingenommen zu haben scheint, verbannte er nach Böhmen. Kyeser schob seine Parteinahme für Wenzel als Ursache des Freiheitsentzugs in den Vordergrund und wollte sich als politischer Schutzhäftling hinstellen. Da trafen im Lager die Buchmaler der Prager Wenzel-Werkstatt ein. Die Gefangensetzung Wenzels im April 1402 hatte neben vielen anderen Veränderungen auch das Ende der Werkstatt nach sich gezogen. Die deutschen Buchmaler sahen sich durch Verlust ihrer Arbeitsplätze zur Auswanderung gezwungen und tauchen nach einigen Jahren in Klöstern an der Donau auf. Im Gefangenenlager im Egertal 224 WILHELM HANISCH bei Kaaden entsteht nun der Bellifortis, abgeschlossen am 23. Juni 1405. Kyeser beschreibt im wesentlichen die Kriegskunst der Zeit um die Jahrhundertwende. Trotz seiner Neigung zu allem Phantastischen und Zauberischen ist sein Bellifortis eine wertvolle Quelle zur Geschichte der Technik, Seine Zeit kannte weder eine exakte Naturwissenschaft, noch hat es eine exakte Ingenieurwissenschaft gegeben. Daher konnte es auch keine exakte Berichterstattung geben.10S) Ein bestimmter Teil des Buches bringt umfangreiche Auszüge aus mystischen und alchemistischen Schriften und am Ende des Bellifortis tritt Kyesers Liebe zur Arzeney deutlich hervor. Gegenüber der Naturwissenschaft steckt Kyeser noch fest im Mittelalter, das zwar die Lehren des Altertums wieder aufgenommen hatte, aber beim Glauben am Uberlieferten stehen geblieben oder gewaltsam festgehalten worden war, weil die Menschen aus lähmender Angst vor dem verborgenen Wimmeln der Dämonen die Scheu vor einem ungehemmten Befragen der Natur, die uns heute unbegreifliche Scheu vor dem Experiment nicht zu überwinden vermochten. Kyeser führt in der Wertreihe der »Künste«, d. h. der damaligen Wissenschaften, die Geisterbeschwörung ausdrücklich als die subtilste der mechanischen Künste (wir würden heute sagen: der praktischen Wissenschaften) an und empfiehlt allen Ernstes das Einwickeln in eine Eselshaut aus Schutz gegen das nächtliche Eindringen von Dämonen in den Körper. Der rein körperliche, der ganz »materielle« Glaube an Zauberer und Hexen, an Teufel und Dämonen stand erst noch im Aufschwung und hatte den Höhepunkt seiner Herrschaft und seiner Greuel noch nicht erreicht. Kyeser ist auch noch völlig Kind der vorgalileischen Zeit. Er lebt in der Mitte der Jahrhunderte des 12. bis 15., in denen sich das »naturwissenschaftliche Denken« erst langsam und gegen harte Widerstände von den festgefügten Denkformen der »Geisteswissenschaften« löste und die technischen Fortschritte mehr aus »Prophetischen Phantasien« als aus planmäßigen Überlegungen entstanden. Aber Kyeser spürt sehr wohl schon etwas von den Möglichkeiten, die einem freien Denken geboten waren, und aus der Spannung dieser Zwischenlage kommt seinem Ehrgeiz in der quälenden Untätigkeit der Verbannung der befreiende Gedanke, sich durch eine groß angelegte, von der Sittenlehre ausgehende Bestandaufnahme mit der Feder den Nachruhm zu sichern. Nun wäre es vonnöten, auf die Symbolik im Bellifortis näher einzugehen und sie in Zusammenhang zu bringen mit der Symbolik der überlieferten Werke der Bibliothek König Wenzels. Die vertriebenen Hofmaler stellen eine Kontinuität her. Die Alexander-Symbolik des Bellifortis könnte weiter in Verbindung gebracht werden mit der alttschechischen Alexandreis1M) und unser Bild vom Geistesleben am Hofe König Wenzels vervollständigen und abrunden. Dafür ist hier leider kein Raum. Bedeutsam erschien uns die Analyse derselben von Quarg,M) darum, weil sie den naturwissenschaftlichen Interessen dieses Hofes Grenzen zuweist, innerhalb deren diese zu verstehen sind. Abschließend sei noch darauf hingewiesen, was Kyeser aus tiefer Feindschaft über Sigismund sagt. Er nennt ihn im Zusammenhang mit der Schlacht von Nikopolis einen treulosen Verführer vieler Edelleute und einen Hermaphroditen und berichtet, er habe die feige Flucht Sigismunds und seines Gefolges aus der Schlacht mit eigenen Augen gesehen. Sigismund ist dann auch dank seiner unverwüstlichen Kraft und Gesundheit wieder Herr der ungarischen Revolte geworden. Von den Königlichen Eigenschaften seien wohl alle anderen besser ausgeprägt gewesen als Milde und Mitleid. Wir kommen zurück auf die Tatsache, daß Kaiser Karl auf der Burg Karlstein seinen Vorfahren mütterlicherseits einen ungleich geringeren Rang als den Brabantern eingeräumt hat. Wir wissen, warum er das getan hat. Wir kommen auf »Blut« und »Rasse« der Premysliden zu sprechen. Die heute anrüchigen Worte und ihr Gebrauch sind dadurch gerechtfertigt, daß sie der tschechische Anthropologe Matiegka auch gebraucht, und zwar in dem repräsentativen Werk Idea československého státu (Die Idee des tschechoslowakischen Staates).10S) Die folgenden Ausführungen stammen wörtlich in der Übersetzung von ihm: Das Geschlecht der Premysliden gehörte ursprünglich augenscheinlich zum nordischen Typus, obzwar, nach der Sage durch die Heirat der Libusa mit Přemysl von Staditz, Berührungen des dunkelhäutigen Volkes in Innerböhmen mit KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN Menschen des hellen Typus angedeutet sind. Der Hochwuchs, der wiederholt bei den Přemysliden, besonders bei Břetislav und seinen fünf Söhnen, gelobt wird, kann allerdings sowohl dem nordi-schen wie dem dinarischen Typ zugerechnet werden. Die schwarzen Haare des Spitihněv, die Kosmas offensichtlich als Unterscheidung vom üblichen Typus der Přemysliden anführt, sind wahrscheinlich das Erbe seiner Großmutter Božena, die aus dem Volke kam. Durch die Mischung mit deutschem, polnischem, ungarischem und griechischem Blut tritt eine Vermischung der Rassenmerkmale ein und ähnlich bunt zeigt sich die seelische Veranlagung der Přemysliden. Bei den meisten zeigt sich ein kämpferisches Bemühen um Vergrößerung der Macht, Herrschsucht bis zur Grausamkeit, also Eigenschaften, die für die nordische Rasse reklamiert werden. Daneben auch ruhige Überlegung, Sinn für den wirtschaftlichen Aufschwung des Landes, für Wissenschaft und Kunst. Das gilt vor allem auch für den heldenhaften Přemysl Ottokar IL, der nach der Colmarer Chronik schön war, von heller Farbe, nicht allzu großer Gestalt, von mächtiger Brust und großem Mund; also mehr alpin-dinarisch. Dabei soll er ansehnlich, weise und von einer Beredsamkeit gewesen sein, die über die der Gelehrten hin ausreichte. Nicht immer entschieden Rasseneigenschaften. Manchmal wirkten störend vererbte oder erworbene Krankheiten, wie bei Wenzel IL, einem sonst hervorragenden Herrscher. Er war angeblich von einer bewunderungswürdigen und zarten Schönheit, aber schon als kleines Kind von schwacher Gesundheit und krankhafter Disposition der Nerven, die sich in seiner krankhaften Abneigung vor Katzen, seiner Furcht vor Gewittern ebenso äußerte wie darin, daß er selbst als Erwachsener haufenweise unreife Früchte verklang. Hjer kann man an Vererbung von Wenzel I. denken, der ebenfalls an der unüberwindlichen Idiosynkrasie gegen Glockenläuten litt und der in der Nähe von Gold nicht schlafen konnte. Im Alter war er ein Eigenbrödler. Die Zeitgenossen verstanden einen Herrscher nicht, der schwere Kriege geführt hatte und unkriegerisch war, der den Glanz des Hofes liebte und gleichzeitig von einer mönchischen Frömmigkeit war, der sich in gelehrte Gedanken versenken konnte "5 und einer sitzenden Lebensweise huldigte, dabei sein Reich aber riesenhaft mehrte. Mit den Přemysliden haben sich Heinz Zatschek und Kar! Valentin Müller eingehend beschäftigtM) und Ergebnisse gezeitigt, die wir beachten sollten, weil der Historiker Zatschek etwas sehr Richtiges gesagt hat:'«) »Der Geschichtsschreiber fühlt sich nicht berufen, aus den Nachweisen, die er vorlegen durfte, noch weitergehende Schlüsse abzuleiten. Er möchte über die Tragfähigkeit seiner Ergebnisse selbst noch kein Urteil abgeben. Verallgemeinern darf man sie nicht. Sie bieten gewiß keine Möglichkeit, von hier aus auf die Bedeutung des deutschen Blutes auf den tschechischen Volkskörper allgemein gültige Regeln abzuleiten. Denn eine Familie, in die seit etwa iooj, also durch volle drei Jahrhunderte, kein tschechisches Blut mehr eingeströmt ist, kann blutmäßig gar nicht mehr als tschechische Sippe gewertet werden. Überdies fällt für die Entwicklung der breiten Massen des tschechischen Volkes die Einkreuzung ungarischen Blutes weg.« Als Hauptergebnisse sollen festgehalten werden: Mit Ausnahme von Přemysl Otaker I. hatte jeder Leistungträger - ein Wort, das durchaus im Sinne von Forst-de Battaglia bestehen bleiben kann - eine deutsche Mutter und Großmutter. Die Einkreuzung des frühzeitig mit deutschem vermischten polnischen Blutes hat sich nicht nachteilig geäußert. Dagegen waren die Blutmischungen mit Ungarinnen und Griechinnen nicht »glücklich«. In den Arpaden haben sich höchst verschiedenartige Blutkreise gekreuzt und es ist in diesem Zusammenhang recht bemerkenswert, daß sie verhältnismäßig bald ausgestorben sind. Dasselbe trifft für die Přemysliden zu. In Wenzel IL und Guta von Habsburg trafen zwei Menschen aufeinander, denen aus vermutlich doch erbbiologischen Ursachen die Eltern keine große Lebenskraft mitgegeben haben. Die Habsburger haben sich durch erbbiologisch günstige Ehen wieder erholt. Es sieht nicht so aus, als ob Wenzel III. wesentlich älter geworden wäre, wenn ihn das Schicksal vor einem gewaltsamen Tode bewahrt hätte. Denn das Schicksal der kinderreichen beiden Ehen Wenzels II. mit Guta und mit der Polin Elisabeth war unsagbar traurig: Přemysl wurde nur 6 Monate und 13 Tage alt, Wenzel III. bald nach Vollendung des 17. Lebens- n6 WILHELM HANTSCH jahrs ermordet, Agnes wurde etwa 4, Anna 23 Jahre, Elisabeth starb im 39. Jahr, Guta wurde 1 Jahr und c Monate, ein Sohn Johannes lebte nur drei Tage, ein zweiter kaum eindreiviertel Jahr, Margarethe 26, die Tochter aus zweiter Ehe 32 Jahre. Nichts wesentlich Neues erfahren wir über die schon von Matiegka behandelten Krankheiten der letzten Premysliden, im besonderen "Wenzels I, und II. Für den Hof Přemysl Otakers I. bringt Zatschek den Nachweis einer Anzahl von Ärzten. Interessant ist, daß Boleslav IL (967- 999) Para-lysis hatte, bei der es sich um Arteriosklerose und Schlagfluß gehandelt haben wird. Der in Corvey als Arzt geschulte und im Jahre 997 zum Bischof von Prag erhobene Thiddag war zunächst an den Hof gerufen worden und es ist ihm gelungen, den Gesundheitszustand des Herzogs zu heben. Auch für Zatschek waren Kinderzaht und Lebensdauer Kriterien für Erbgesundheit, Seine Quellenkenntnis hat mit Bestimmtheit keine Aussage über Krankheiten bei den einzelnen Herzögen und Königen übersehen. Und diese sind so wenige, daß man nicht anders weiterkommt als mit der Auszählung. Die Bilddarstellungen ergeben, wie bei den Luxemburgern, keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer sich vererbenden Sonderheit wie der Habsburgerlippe oder der Bour-bonnennase. Wenzel I. und II. waren psychisch abnormal und das Aussterben des Hauses läßt sich mit Zatschek einleuchtend in ungünstigen Erbanlagenkombinationen begründet erklären. Die psychisch und wahrscheinlich auch physisch nicht feste Elisabeth hätte nun das so vielerlei vermischte Blut der Premysliden an ihren Sohn Karl IV. weitergegeben. Von seinen Vorfahren väterlicherseits ist diesbezüglich ungleich weniger bekannt und wäre durch ähnliche methodische Untersuchungen erst zu erschließen. Als Erbkrankheit der Luxemburger kann Blindheit als äußerster Fall von Augenleiden angenommen werden. Wir haben auf das zweimalige Aussterben des Mannesstammes hingewiesen, wo beide Male eine Ermensinde die gleiche Rolle spielte wie Elisabeth. Durch die Untersuchungen von Matiegka und Müller-Zatschek ist die Bresthaftigkeit der Premysliden nur eben besser erfaßt als der Gesundheitszustand der Luxemburger. Wir können also nicht sagen, der mißgestaltete Karl sei das Produkt erbkranker Voreltern mütterlicherseits gewesen. Im besonderen werden wir uns im Sinne von Forst-de Battaglia hinsichtlich der Wirkungen psychischer Kranker auf ihre Nachwelt äußerster Zurückhaltung befleißigen. Und im Sinne von Zatschek den Quellennachweisen keinen wirklich fundierten Kommentar geben. Elisabeth von Böhmen wird als leidenschaftliche und launische Frau geschildert. Es ist unmöglich, sie nach der Büste im Triforium von St. Veit einem Rassentypus zuzuordnen. Bislang fehlen uns auch genaue Kenntnisse über die Physis ihres Gemahls Johann, dessen Rittertum und Kriegsunternehmungen bereits angesprochen worden sind. Nach der Büste könnte er zum nordischen Typ gehören. Seine Söhne Karl IV. und Johann Heinrich von Mähren waren ihm nicht ähnlich. Sie haben ein breiteres Gesicht, eine breite Nase und einen großen Mund. Matiegka hat Karl IV. dem alpin-dinarischen Typ zugewiesen. Also den von Mutterseite ererbten Habitus ohne besondere Kennzeichen des Nordischen. Damit könnte vielleicht die seelische Veranlagung des Kaisers übereinstimmen: politische Weitsicht, Sinn für das Wirtschaftliche, Liebe zu Kunst und Wissenschaft. Wo es not tat, kam Entschiedenheit und Standfestigkeit hinzu, nicht aber unüberlegtes Draufgängertum. Karl IV. hat sich in vielem wie sein Großvater Wenzel II. verhalten. Wie dieser griff er nur dann zu den Waffen, wenn das unausweichlich war. Dadurch unterschied er sich von seinem Vater, der in Feldzügen und Krieg in seinem Element war. Die körperlichen und seelischen Unterschiede zwischen den Brüdern Wenzel IV. und Sigismund erklären sich wohl aus ihren Müttern. Während Sigismund mehr von seiner Mutter hatte, hatte Wenzel mehr physische Eigenschaften seines Vaters. Was sagt das aber konkret? Der tote Punkt ist nicht überwunden. Er ist nicht zu überwinden und das Resultat unseres Versuches sind tatsächlich nur einige wenige Sätze. Die Anthropologie gibt uns sehr genau Auskünfte über den physischen Habitus. Nicht aus dem Schädel, wohl aber aus dem Gesicht konnten Züge herausgelesen werden, die von der historischen Wahrheit bestätigt werden. Aber auch hier liest jeder nach seinem Vermögen und es wäre vermessen, von naturwissenschaftlich exakt zu sprechen. Interessant war die Frage, ob KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN 227 Wenzel als Beispiel der Degeneration infolge der Rassenmischung hingestellt werden könnte. Sie würde seine Brüder Sigismund und Johann von Görlitz und seine mährischen Vettern ebenso betreffen. Denn vor uns steht die Tatsache des Aussterbens der Familie. Sie ist nicht allein in den Söhnen der »Slawinnen«, sondern ebenso in den Söhnen Johann Heinrichs von Mähren aus seinen Ehen mit Mitteleuropäerinnen ausgestorben. Die meisten von ihnen sind alt geworden. Es ist unwahrscheinlich, daß sie lungenkrank gewesen sind. Als »wahnsinnig« kommt von ihnen nur Wenzel in Frage. Das Beispiel des französischen Vetters Karl VI. zeigt aber, daß eine Geisteskrankheit nicht Ursache der Zeugungsunfähigkeit gewesen ist. Bleibt der Alkoholismus. Auch da hätten alle luxemburgischen Männer impotente Säufer gewesen sein müssen. Dezidiert ist Alkoholmißbrauch aber nur bei Wenzel bekannt. Bleibt schließlich die Homosexualität. Sie wäre die am nächsten liegende Erklärung für das Phänomen des Aussterbens des Hauses Luxemburg in der auf Karl IV. folgenden Generation. Beweisen läßt sich die Homosexualität Wenzels nicht. Schwerer wiegt da schon, daß der Arzt Kyeser Kaiser Sigismund einen Zwitter genannt hat. Bei seiner feindseligen Einstellung dürfte er aber keine medizinische Diagnose gestellt haben. Wir können also über Wenzel im Sinne des Vorhabens nichts Sicheres sagen. Das liegt nicht an der Untauglichkeit unserer Fragestellung, sondern aus der Unmöglichkeit, aus den angeführten, von Bartos' sorgfältig zusammengestellten Quellen naturwissenschaftlich exakte Feststellungen zu treffen. Ich meine, daß der Versuch dennoch gelohnt hat. Außer der Anthropologie sind es eigentümlicherweise die uns fernerliegenden historischen Quellen, die Werke der bildenden Kunst und die in ihnen liegende Symbolik, die zwar auch nur gedeutet werden können, aber die eigentlichen Aussagen dieses Versuches erbracht haben. Wir schließen mit ihnen. Die beiden Schlußbilder des Karlsteiner Zyklus zeigen das Bestreben nach Erzielung bildnisgetreuer Darstellung. Das Bild Johanns von Böhmen ist dagegen nicht bildgetreu, da es die Blindheit nicht einmal andeutet. Die Andeutung der Blindheit in der Malerei dieser Zeit nicht mehr fremd und ist bei einer fast gleichzeitigen Dar- stellung Johanns gehandhabt worden. Nicht besser steht es um das Bild Kaiser Heinrichs VII.,0') Schlankheit bleibt Bedingung der Schönheit. Wo nicht die Gestalt von einem Mantel umwallt wird, treten die Körperformen hervor. Überall gilt gerundete Fülle der Büste, der Arme und Beine und das Weiß der Haut als schön.107) Die Werke der bildenden Kunst sind besonders wertvolle Quellen, weil den Mitlebenden von einst, denen das Unsicherheitsgefühl in der Seele brannte, die nach dem Verlust einer wie immer bedingten »Mitte« im heftigen Widerstreit der Extreme den Untergang ihrer Welt befürchteten, weil sie eine andere Deutung nicht sahen und sehen konnten, ist ruhige Betrachtung nicht zuzumuten. Aus ihren schriftlichen Äußerungen kennt man ihre Gedanken und Nöte, aus der Konfrontation der Haupttatsachen gewinnt man die Argumente zur richtigen Einschätzung dieser überaus kritischen Epoche des ausgehenden Mittelalters. Doch erst den glücklicherweise in reicher Fülle und hoher Qualität überkommenen Denkmalen der bildenden Kunst verdankt man nicht nur die vollgültige Illustration dieses ganzen Geschehens, sondern auch die tiefsten Auskünfte über das, was der schriftlichen Tradition allein niemals zu entnehmen sein würde: den unmittelbaren Wesensausdruck.,M) In Böhmen hatte man nach der Mitte des 14. Jahrhunderts in jugendlichem Enthusiasmus versucht, die Schätze von Weisheit und Schönheit aus den lateinischen Ländern zu übernehmen. Die reichen Versprechungen sind nicht in Erfüllung gegangen. Mit seinem degenerierten König Wenzel10*) steht nach dem Tode Karls IV. der Prager Hof in einer ungesunden aristokratischen Isolierung, ohne Uberzeugung, ohne Begeisterung, nicht imstande, Leistung zu geben, an keinerlei geistigen Strömungen interessiert da. Karl war noch eine respektable und auch respektierte Herrschergestalt gewesen. Als aber nach seinem Tode sein Sohn Wenzel eine Nachlässigkeit an den Tag legte, derentwegen man ihm das Gericht Gottes androhte, da war seine Entsetzung vom deutschen Thron leicht. Heute denkt man gerechter über Wenzel, weil man die Bedingtheit seiner Entschlüsse kennengelernt hat. Steht es in der Kunst auch zu recht so schlecht mit ihm? Sicherlich hat er als Auftraggeber großer Werke der Architektur und der 228 bildenden Kunst im Schatten seines Vaters gestanden. Auf ihn gehen aber eine ganze Reihe zum Teil sehr prächtig ausgestatteter Codices zurück und die Miniaturkunst hat ihre eigentliche Bedeutung erst unter ihm erhalten. ,10) Sie deuten eine große Kultur an und lassen in ihr den sonst so schlecht weggekommenen König in angenehmeren Farben erscheinen. Wir erinnern uns des Wenzel wohlgesinnten Tschechen, der ihm vorwarf, er lebe von dem, was sein Vater auf die Beine gestellt hatte, wenn wir lesen:111) Nicht nur den Trägern der beiden höchsten Gewalten der Christenheit fehlte damals jede höhere Bedeutsamkeit, auch in der Welt der Staaten ist ein Mangel an politischer Gestaltungskraft festzustellen, der nicht »zufällig« sein kann. Es ist, als seien um 1370 bis 1380 allenthalben die starken Individuen weggestorben, um einer Generation zu weichen, die im günstigsten Falle gerade noch imstande war, das Ererbte über Wasser zu halten, aber nicht mehr. Doch kann* was einer Epoche an Großtaten der Diplomatie und des Schwertes versagt blieb, sehr wohl durch solche des Geistes auf anderen Gebieten ausge-giidien werden. Ich glaube, daß das gereduerweise von den Bestrebungen Wenzels gesagt werden müßte. Ich möchte meinen, Wenzel habe nichts Besseres tun können, als die Früchte des Friedens in Befolgung der Mahnung seines Vaters, nur im äußersten Notfall zum Schwert zu greifen, auf die Weise eines hochkultivierten Vetters der französischen Fürsten zu genießen. Von 1394 an bis zu seinem Tode kann dann von »dolce vita« keine Rede sein. ') Paul Marussek, Süchtige Fehlhalrungen. In: Handbuch der Neurosenlehre und Psychotherapie unter Einschluß wichtiger Grenzgebiete. Hrsg. von Viktor E. Frank!, Viktor E. Frhr. v. Gebsattel, J. H. Schultz. II Spezielle Neurosen-lehre. München - Berlin i, S. 163 bis 173 analysiert den Traum selbst nicht. ») Menzel a. a. O. S. 20. ") Kaiser Karls IV. Jugendleben und St. Wenzels-Legende. Ubersetzt von Anton Blaschka, Köln-Graz 1956 »Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit«, hrsg. von Karl Langosch, Bd. 83, Einleitung. **) Der Hergang der partiellen und schließlich völligen Erblindung ist ausführlich dargestellt bei Joseph Meyers, Geschichte Luxemburgs, Luxembourg 1951 und bei Joh. Schotter, Johann, Graf von Luxemburg und König von Böhmen, Luxemburg [86;. n) Vgl. Emil Ficken, Johann von Böhmen. Eine Studie zum romantischen Rittertum des 14. Jahrhunderts. Phil. Diss. Göttingen 193 a. *•) Vgl. Meyers, Geschichte Luxemburgs a. a. O., S. 64. 41) Am 2j. Februar 1364 beauftragte Karl IV. die Prioren und den Gonfalonicre von Florenz, von der durch den Tod des Kardinals Peter von Ostia frei gewordenen Pension dem Edelmann Magister Vencticus von Modena und seinen Söhnen und Erben 200 Gulden zu zahlen zur Belohnung für die glüdtlidie Behandlung seines Augenleidens. J. Fr. Böhmer, Rcgesta Imperü VIII. Die Regesten des Kaiserreichs unter Karl IV. 1346-1378, hrsg. von Alfons Huber, Innsbruck 1877, Nr. 4014. 41) Vgl. Fcjlix Rousseau, Henri I'Aveugle. Liege-Paris 1921 = Bibliothcque de la faculti de philosophie et lettre de l'universitc: de Liege, fasc. 17. a) Jean Schoos, Le developpemem politique et territorial du pays de Luxembourg dans la premiere moitie du XIIIe siede. Publications de la section historique de ['Institut G. - D. de Luxembourg LXXI, I9J0, Stammtafel. M) Der leutselige, ritterliche, gutmütige, willensschwache Karl VI. veranstaltete unter Einfluß seines Bruders Ludwig von Orleans wahre Verschwendungsorgien. Beim ersten derartigen Fest im Jahre 1389 nahm Karl das Sonnenkönigtum Ludwigs XIV. voraus: le roi portait pour embleme un soleil d'or. Auf dem Kriegszug gegen den Herzog der Bretagne zog das Heer am 5. August 1392, einem drückend heißen Tage, in der Nähe von Mans an einem Wald vorbei. Ein halbnackter Mann von schredeenerregendem Aussehen stürzte hinter einem Baum hervor und fiel mit dem Aufruf; »Kehr um, denn du bist verraten!« dem König in die Zügel. Darauf verfiel Karl dem Wahnsinn. Er schrie »Verrat, Verrat!« und hieb blindlings um sich. Es gelang, ihn in ein nahes Schloß zu bringen, wo er zwei Tage wie leblos dalag. Als er wieder zu sich kam, schien er das Geschehene zu bereuen. Doch blieb sein Geist umnachtet. Zwar trat zeitweise Besserung ein. Aber der Wahnsinn war unheilbar und verließ ihn 30 Jahre nicht. Besonders verhängnisvoll wurde ihm ein zu seiner Zerstreuung veranstaltete) Maskenfest. Verkleidet als Häuptling, führte er vier Wilde in Ketten vor sich her. Durch einen Unglücksfall verbrannten diese. Der König wurde gerettet. In seinem durch diesen Schock wieder erweckten Wahnsinn, der sieben Monate anhielt, erkannte er sich und seine Umgebung nicht und geriet in Wut, wenn man ihn König nannte. Ausgelöst durch ein einmaliges starkes seelisches Erlebnis mit folgender Schreckreaktion ist der Wahnsinn Karls VI. wohl als Verfolgungswahn zu diagnostizieren, der sich auch im Falle des gänzlichen Persönlichkeitsverlustes als latent erweist: Le roi ne retrouvait ta sanri et sa raison etait souvent troublec. II croyait s'appeller Georges et disait, que ses armoiries etaient un lion traversee d'une ipee. Ii poussait des cris et des gemissements, comme s'il eut ete poursuivi par des ennenus, on perce de mitle pointes de fcr. Der zeitgenössische Chronist sagt abschließend: sexcies proeul dubio in anno, indifferenter nunc noviluno nunc pleniluno, mente captus. Propter hoc mota questio utrum ista infirmitas naturaliter procedat aut ex extrinseco aliquo accidenti, inter litteratos et circumspccios homines adhuc mansit indiscussa (Chroni-que du Religieux de Saint-Denys contenant le regne de Charles VI de 1380 ä 1422, hrsg. von M. L. Bellaguet und M. de Barante, Histoire des ducs de Bourgogne de la maison Valois 1364- 1477, I (Bruxelies - Leipzig 1839, S. 27 1(84). 4S) Wilhelm Karl Prinz zu Isenburg, Historische Genealogie. München - Berlin 1940, S. 10. KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN ") Julius Wolf, Blut und Rasse des Hauses Habsburg -Lothringen. Probleme der Physiognomiengeschichte und Vererbungslehre. Zürich - Leipzig - Wien 1940, S. 11g, 23 j. ") Ebda. S- 224. Leider belegt Wolf seine Feststellung nicht, daß Karl VI., »der Wahnsinnige«, von seiner Mutter her belastet gewesen ist. ") Ebda. S. 128. ") Ebda. S. 23j. ") Ebda. S. zjz f. ") Wilhelm Stromeyor, Die Vererbung des Habsburger Familienrypus. Eine erbphysiognomisehe Betrachtung auf genealogischer Grundlage. Nova Acta Leopoldina. Abhandlungen der Kaiserlich Leopoldinisch - Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher, hrsg. von Emil Abderhalden, N. F. 5, Nr. 29, Halle 1937, S. 2ÍJ. ") Ebda. S. 219, ") Otto Forst de Battaglia, Wissenschaftliche Genealogie. Etnc Einführung in ihre wichtigsten Grundprobleme. Bern 194S, S. 38. ") Ebda. S. 120 ff. ") F. M. Bartoš (Anm. 17) S. 469. ") Forst de Battaglia a. a. O. S. 123 ff. °) Ebda. S. 183, 167, 171. M) Ebda. Tafel TV. ") Zum folgenden Heinrich Sdiipperges, Melancolia als ein mittelalterlicher Sammelbegriff für Wahnvorstellungen. In: Studium generale 20, 1967, S. 723 ff. M) F. M. Bartoi (Anm. 17) S, 485, Vgl. auch Ivan Hlaviček, * Mittelalterliche Bücher- und Bibliotheksverzeichnisse in den Böhmischen Ländern. Ein Beitrag zur böhmischen Kulturgeschichte. Prag 1965. *') So Bartoš (Anm. 17) S. 470 und 486. Über die Bibliothek Konrads von Vechta vgl. Josef Krása, * Die astrologischen Handschriften Wenzels IV. In: Umřní 12, 1964, S. 478. Zur Persönlichkeit Konrads von Vechta vgl. auch Wilhelm Hanisch, Heinrich Totting aus Oythe und Konrad von Vechta. Zwei Oldenburger in der Geschichte Böhmens. Dortmund 19S7 = Veröffentlichungen der Ostdeutschen I'orschuiigsstelle im Lande Nordrhcin-Westfalen, Reihe A Nr. it. ") So Bartoš (Anm. 17) S. 232. ") Bartoš, S. 498. ") Ebda. S. 486 ff. Zum Minnesang vgl. auch besonders Hugo Kuhn, Zur Deutung der künstlerischen Form des Mittelalters. In: Studium generale 2, 1949, S. 114-121. ") Vgl. Karl Bartsch, Deutsche Liederdichter des zwölften bis vierzehnten Jahrhunderts. Eine Auswahl. Darmstadt 1966 als unveränderter reprografischer Nachdruck der 4., von Wolfgang Golther besorgten Auflage Berlin 190*. ") Krisa (Anm. íi) S. 482. *') Ebda. S. 474. **) Raymond Klibansky - Erwin Panofsky - Fritz Saxl, Saturn and Mclancholy. Studies in the History of Natural Philosophy, Religion and Art. London 1964. *') Krisa (Anm. 61) S. 482. ,0) Scriptores rerum Prussicarum 3, S. 187 und 200, hier zit. nach F. Mr. Bartoš (Anm. 17) S. 477: •• tJ93 täte der Römische koning czu Pragow grosse grymmekeit, wend her den erezbischof von Pragow wolde han lasen vortrenken, das her kume entphlog. Ouch vor-trenkte her synen grossen doc torem utri usque iuris mit synis selbis hant, und magister Mathcus qwam kume dovon. Ouch lys her den techant von Pragow binden uf eynen tisch und lys yn schropen obir alle synen lip und beging vil ander bosheit, als hirnoch wirt gesaget. ") Matthias Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch II (Leipzig 187Í), Sp. 3J - 3Í und I (Leipzig 1872), Sp. jai. ") »Wenn er aber exzessiv trank, fuhr eine Furie in ihn und dann war er sehr pervers und gefahrlich«. ") F. M. Bartoi (Anm. 17) S. 478. ") F. M. Bartoš (Anm. 17) S. 478 ff. 7i) Ebda. S. 474 ff.: Hic Romanorum et Bohemorum non tarn rex quam carnifex in Bohemorum regno clcro non denilit, sed prelatos et cleri-cos in bonis eorum dampnificans in personis eorum nunc percussit, nunc captivavir, nunc occidit. Non pepercit doctoribus aut magistris, non religiosis aut monasteriis, omnibus violenciam fecit. Multa bona ecelesiarum abstulit, quibus alique earum inpresenciarum carenc. Crudelis iste et rex iniquus nil regale ostendit in opere, sed magis tortoris et carnficis exercicium habuit quam regis. Nec enim de tyrannis prioribus eciam in primordio nascentis ecclesic auditům est, ut manu propria sevirent in Dei famulos tan-tum sicut ille. Ipse spiculatorum adiutor et socius nunc flammas camibus urendis adhibuit, nunc vulnera ineulit, nunc manu immiti sua propria aliqua lanicionis applieuit instrumenta, Inter cetera autem honorabilem ilium virum Deo aeeeptum et hominibus Teutonicis et Bohcmis amabilem d. Johannen) presbiterum d. archiepsicopi Pragensis in spiritualibus vicarium, decretorum doctorem, crudeliter tortum, combustum et evisceratum in aqua submersít. D. Nicolaum Botnig, licenciátům in decretis et mag. in artibus, officialem Pragensem presbiterum flammis et igni-bus manu sua, ut ita dicam, regia et manibus aliquorum aHorum miserabiliter eciam in membris pudendis attrectatum vix semivivum dimisit. D. Boleslaum, lectorem Präge ordi-narium, doctorem decr. et Pragensem decanum captum et percussum, d. insuper prepostium Misnensem vcnerabilem virum dictum Knobeloch tentum, nudatum et iam tormentis presentatum vix tandem liberos esse pass us est. Non fuit temporibus Ulis, qui vice regia iusticiam faceret pupillis et viduis, immo nec baronibus, militibus et vasallis, quorum pars non inodica querelas emisit de illata sibi regali violence. Exosus igitur erat clero et populo, nobilibus, civibus et rusticis, solis erat aeeeptus Iudcis. Hos quippe Romanis voluit efferrc privilcgiis et iuxta scelesti morem Antiochi Atheniensibus equarc, dum ipsos christians studuit in pluri-bus anteferre. Quibus licenciam muris et turribus se circum-ducendi et muniendi tribuit et domos christianorum in platea Iudeorum et presertim domum magistrorum christianis va-cuavit. Dadurch sind die Juden übermütig geworden und haben das Progrom von 1389 provoziert. Hic Wenceslaus metropolím civitatem illam Pragensem famosam et plenam populo et divieiis vel iocando vel ftultisando nitebatur incendere, ut forte secundum Neronis desiderium ignem copiosum possei inspicere. Hic preclarum et ifluminatum virum, potentem in opere et sermone mag. Matheum [von Krakau], sacre theologie magistrům, presbiterum plebanum protunc ecclesie b. M. Virg. ante Letam curiam manu armata sepius queri fecit, ut occideret eum. Wri.HF.LM HANISCH ipse vcro a Domino et fratribus adiutus evasit manus eius in nomine Domini. Ante faciem tyrannidis regis huius d. Johannes, archiepiscopus Pragensis fugam iniit et postmodum propter motestias, quas in officio suo ab co sustinuit, archi-episcopatui ccssit. Wenzel schaute ruhig zu, wie die Kirche infolge des Schismas zerfiel: Duas contribuciones a clero quasi pro arripienda via Romana reeeperat, sed in Bühemia venacioni deditus ad unionem ecclesie nichil faciebat. Gloriabatur apostolicum se habere in pera, quasi diceret in sua fore potestate, quis eorum deberet trumphare, sed permisit eos usque nunc de presulatu certarc. Tanta superbivit elacione mentis in sua potestate, ut estimans se quasi terre et mari, immo et celo imperarc, contra quendam prineipem Polonorum Deum blasphemans diceret se marchionem Procopium contra Deum et homines velle adiuvare. Reverendissimi virorum, quorum nonnulli eius familiäres fuerunt, et domestici de eo loquebantur enormia ... Sorti-legos enim fovisse dicitur, iniustum diversis personis in-tullissc, literas suas proprias de conduetu et securitate datas violasse, prcsbueris et clericis dari suos census et redditus prohibuisse narratur et cocum proprium in crati-culla vcl in veru assas.se in Vratislavia perhibetur. '*) Vgl. meine Wenzel-Studie in diesem Jahrbuch. ") Bartoi (Anm. 17) S. 477. ") Georg Misch, Geschichte der Autobiographie I, 1. Frankfurt 11949, S. 306. ") Sueton, Kaiserbiographien (de vita Caesarum) II. Obersetzt von Adolf Stahr, bearbeitet von Martin Vosseier, München 1961, S. 49 (Sueton cap. 19 Ende). *°) Sueton cap. 11, ebda. S. Ji. ,1) Sueton cap. 24, ebda. S. J3 ff. ") Sueton cap. jj, ebda. S. jj. ") BartoS (Anm. 17) S. 481 ff, *4) Sueton cap. 28, 29, ebda. S. 56 ff. ") Bartos a. a. O., S. 77. Am 17. August 1388 hat der Rat zu Nürnberg an den Rat der Stadt Ulm geschrieben: heut qwam Conrat Stieber(s) sun, ein Student, von Prag her gen Nuremberg und der am pfintztag zu vesperzeit dannoch zu Prag gewesen und der sagt uns für die warheit, daz unser herre der kunig an der mitwochen naht gar krank scy worden und man hab in geölt und bericht und lig zu dem Pergleins Und am pfintztag fru do musztten alle die ertzt, die zu Prag weren, hin ausz zu ihm und ez gingen auch alle pfaffen zu Prag am pfintztag mit den creutzen für unsern herren den kunig. •*) Bartos a. a. O., S. 109. ") Bartos a. a. O., S. 484. **) Bartos a. 3. O., S. 109 Anm. 1. •*) Franz Martin Pclzel, Lebensgeschichte des römischen und böhmischen Königs Wenzeslaus II (Prag 1790) UB S. 49 Nr. „. ") Als Parallel beispiel, daß nämlich der Rat der Zehn von Venedig mehrmals (1415, 1419 u. m.) beschlossen und bedeutende Summen bewilligt hatte, um Sigismund zu vergiften, vgl, die Anzeigen im Deutschen Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde 8, [883, S. 223. *') Die Untersuchung von Hermann Euler, Die Karies-Atiologie. München 1948 = Zahnheilkunde in Einzeldarstellungen, hrsg. von H. H. Rebel und P. Jaeger, Folge 1 hat keine Anhaltspunkte ergeben. ") Auch die Arbeiten von Werner Leibband - Annemarie Wettley, Der Wahnsinn. Geschichte der abendländischen Psychopathologie, Freiburg - München 19Ä1; Kurt Kolle, Der Wahnkranke im Lichte alter und neuer Pyschopatho-logie, Stuttgart 1957; Gunter Hofer, Zum Terminus Wahn. In: Fortschritte der Neurologie, Psychiatrie und ihre Grenzgebiete ar, 195}, S. 93-100; Heinrich Kranz, Das Thema des Wahns im Wandel der Zeit. ebda. 23, 19J5, S. J8-71; Heinrich Schipperges, Arzt im Purpur. Leben und Werk des Petrus Hispanus. In: Matcria Medica Nordmark 13, 196t, S. jjt-ßoo und ders., Arabische Einflüsse in der mittelalterlichen Badehygiene. In: Zeitschrift für angewandte Bäder- und Klimaheilkunde 4, 1957, S. 200-210 haben keine Hinweise ergeben. M) Heinrich Friedjung, Kaiser Karl IV. und sein Anteil am geistigen Leben seiner Zeit. Wien 1876. •*) Joseph Neuwirth, Der Bilderzyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein. Prag 1897 — Forschungen zur Kunstgeschichte Böhmens 2. ") Ebda. S. 1 ff. ") Jean Schoos, Le developpment politique et territorial du pays de Luxembourg dans la premierc moitie du XIII' siecle. In: Publications de la Section Historique de l'Institut Grandducale de Luxembourg LXXI (Luxembourg 1950), Tafel: Lcs comtes de Luxembourg et les Souvcrains du Saint Empire. *') Neuwirth a. a. O., S. 26. ••) Wilhelm Karl Prinz von Isenburg, Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten. Band I: Die deutschen Staaten, Band II: Die außerdeutschen Staaten. Berichtigter und ergänzter Abdruck der i. verbesserten Auflage von 1953, hrsg. von Frank Baron Frey tag von Loringhoven, Marburg i960. ") Erich Brandenburg, Die Nachkommen Karls des Großen I.-XIV. Generation. Leipzig 1935 = Stamm- und Ahnentafelwerk für Deutsche Personen- und Familiengeschichte, Schriftlcitung Johannes Hohlfeld, Band XI. "*) Kcpes kronika. Chronicon Pictum ed. Helicon Hun-garicus. Budapest 1964. i01) Konrad Kyescr aus Eichstätt,Bellifortis.Düsseldorf 1967. ,n) Aus der Zimmerschen Chronik zit. Leopold Frhr. von Bodman, Geschichte der Freiherren von Bodman (Lindau 1894) S. 114 ff. Nr. 367 zum Jahre 1392 den folgenden Bericht: Kaiser Sigmundt hat a. d. [392 ain statlichen Türkenzug gethon, in dem doch nit vil auss gericht, ja auch der kaiser selbs schier war gefangen worden. Allerlei Unordnungen haben sich in diser expedition begeben, sonderlich st. Jörgen fanen halb, do ist ain grosse zank umb gewesen, welcher den fueren solle. Aber herr Hanns von Bodman, ritter, hat den in Ungern als ain Deutscher erhalten und gefiert, gleich wol nichts fruchtbarliches uss gericht worden. Es haben auch die Deutschen, so zugegen gewest, bezeugt, das, so das reich wider die ungleubigen und haiden zu veldt ziehe, so solle ain Deutscher s. Jörgen panner zu der handt haben und fueren. Darauf sie zogen für den kaiser Sigmundt, auch die churfürsten. Aber etliche ansehnlich Behcm haben herr Hannsen von Bodman siner furgebens gescholten, uf mainung, als ob er die unwarhait anzaigt. Darauf herr Hanns von Bodman gemaine grafen herren und von der rittersdiaft des lands zu Schwaben zusamen beschriben und erbetten. Die sein zu rettung der ehr ires vatterlandtj guet- \ KÖNIG WENZEL VON BÖHMEN *3J willigelidien erschinen und haben herr Hannsen von Bodman seines furgebens in Ungern, wie oblaut, Zeugnus geben, das sie von iren voreitern auch nie anders vernomen und das solchs also herkommen, darbei sie auch bleiben wollen. Darum sein auch brief ufgerichc, die auch ohne zweifei den kitzligen Behcm einesteils sein zukommen und überantwurt worden. ,M) Das Kapitel Kyeser ist wörtlich übernommen aus der Umschrift und Übersetzung von Götz Quarg, '**) Die Alexandreis ist die einzige alttschechische Erzähldichtung höheren Stils, wiewohl sie nicht eigentlich originell Ist, sondern die Übertragung der Alexandreis des Gualtcrus de Castillione, eines französischen Humanisten des Ii. Jahrhunderts, der seinerseits unter den deutschen Sängern des Pfemyslidcnhofcs einen freien Übersetzer gefunden hatte. So Arne Noväk, Die tschechische Literatur. Potsdam 1931 = Handbuch der Literaturwissenschaft, hrsg. von Oskar Walzel, S. 7 f. *•*) J. Mniegka, * Die Bedeutung der physischen Beschaffenheit der tschechoslowakischen Nation für die Idee des Staates. In: Idea československého štítu, Volksausgabe Prag 1936, S. 275-281. '«) A. a. O., S. ist. '•') Neuwirth (Anm. 94) S. 31 ff. '**) Wortlich von Alphons Lhotský in: Europäische Kunst um 1400 (Wien 1961) S. 16 übernommen. 1") So ebda. S. 45. Julius von Schlosser, Die Bildhandsehriften König Wenzels I. In: Jahrbuch der kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses 14, 189}, S.214-317, hier S.215. "') Lhotský a. a. O., S. 6 ff.