DIE MACHT DES KÖNIGS Herrschaft in Europa vom Frühmittelalter bis in die Neuzeit Herausgegeben von Bernhard Jussen Verlag C.H.Beck München 2005 24° David Nirenberg Um 1500 waren die Juden fast aus ganz Westeuropa vertrieben. Doch der Sieg ]„,Uw*A/iiV-| der Verfol gung über den Schutz darf, es sei wiederholt, nicht als Niederlage^des Aj Vtjj tt Königtums ausgelegt werden. Im Gegenteil, die machtigsten Staaten des frühneu-_zeitlichen.Europa waren ebendie, deren Herrscher den Anti-Judaismus tatsächlich zu_ihrer; Sache gemacht hatten. Wobei sie mit der Ausbeutung der besonderen Privilegien, die sie über die Juden beanspruchten, den Anti-Judaismus selbst geschaffen hatten. Die Juden verblieben nur in den Ländern mit einem schwachen Königtum, in Mittel- und Osteuropa, wo manche Fürsten noch immer auf Protektion setzten. Der Anti-Judaismus behielt seine revolutionäre Kraft, eine Kraft, die in der Moderne zum Ausbruch kommen sollte. Um 1399 Wie man einen König absetzte von Frank Rexroth Der walisische Chronist Adam von Usk hatte Haft und Absetzung König Richards II. von England persönlich miterlebt und als Jurist mitgestaltet. Später erinnerte er sich:1 Eine Gruppe von Doktoren, Bischöfen und anderen Leuten - der Schreiber dieser Zeilen war auch dabei - diskutierte über die Absetzung König Richards, über die Erhebung Herzog Heinrichs von Lancaster sowie darüber, wie man dies juristisch begründen könne. Sie beschlossen, daß die Meineide, die Frevel, die widernatürlichen Akte, die Tatsache, daß er Untertanen enteignet und das Volk geknechtet hat, sein Schwachsinn und seine Regierungsunfähigkeit, mit der König Richard bekanntermaßen geschlagen ist, gemäß dem Kapitel «Ad apostolice» aus «Re iudicata» des Liber Sextus (samt anderen Dingen, die dort niedergeschrieben sind) hinreichende Gründe für Richards Absetzung waren. Und wenn er auch zum Rücktritt bereit war, so entschied man doch, ihn aus besagten Gründen und durch Ratschluß von Klerus und Volk abzusetzen. Aus diesen Gründen hatte man sie, der erhöhten Sicherheit halber, zusammengerufen. Am Tag des heiligen Matthäus [21. September], am zweiten jahrtag der Enthauptung des Grafen [von, s.u.] Arundel, war der Schreiber dieser Zeilen auf besondere Veranlassung von Sir William Beauchamp im Tower zugegen, als der inhaftierte König Richard dort gerade speiste. Es ging darum, seinen Zustand und sein Betragen herauszufinden. In trübseliger Stimmung sprach Richard bei Tisch: «Ach, Gott, dies ist schon ein wundersames und wankelmütiges Land, das so viele Könige, so viele Herrscher, so viele Magnaten außer Landes getrieben, getötet, vernichtet und ausgeplündert hat. Stets ist es von Streit und Zwietracht befallen, ständig ist man auf allen Seiten auf Hinterhalte bedacht.» Und er erzählte die Geschichten und nannte die Hamen derer, die seit der frühsten Besiedlung des Königreichs solches Ungemach herbeigeführt hatten. Da ich seine seelische Not bemerkte und sah, daß man ihm nicht von seinen Vertrauten aufwarten ließ, sondern daß er ausschließlich von fremden Leuten belauert wurde, ging ich tief bewegt wieder weg, sinnend über seine früheren Ehren und darüber, wie trügerisch irdisches Geschick doch ist. [...] Zu Michaelis /251. September 1399] schickte man die folgenden Personen zum König in den Tower, damit sie König Richards Abdankung entgegennahmen: von selten des Klerus den Erzbischof von York und den Bischof von Hereford, von Seiten der höchsten weltlichen Magnaten die Grafen von Northumberland 24 2 Frank Rexroth und Westmorland, für die minderen Prälaten den Abt von Westminster und den Prior von Canterbury, für die Barone Lord Berkeley und Lord Burneil, für den niederen Klerus Magister Thomas Stow und Magister John Burbach, für die Gemeinde des Königreichs die Ritter Thomas Grey und Thomas Erpingham. Da sie dies getan hatten, widerriefen jene Herren tags darauf im Namen des gesamten Parlaments, des Klerus und der Reichsbewohner jeglichen Eid, sei es ein Lehns-, Treu-, Unterwerfungs-, Dienst- oder anderweitiger Gehorsamseid sowie überhaupt jegliche Treueverpflichtung. Sie widersagten ihm [und erklärten], sie würden ihn fürderhin nicht mehr als König, sondern als Privatperson ansehen - lediglich als «Sir Richard von Bordeaux». Zum Zeichen der Absetzung und des Amtsverlustes nahmen sie ihm seinen Ring und überbrachten ihn dem Herzog von Lancaster. Diesem übergaben sie den Ring vor dem gesamten Parlament, das an jenem Tag zusammentrat. Am selben Tag hielt der Erzbi-schof von York zuerst eine Predigt über das Bibelwort «Ich habe mein Wort in deinen Mund gelegt» [Is 51,16]. König Richard hatte ihn zu seinem Stellvertreter gemacht, und so verlas er öffentlich vor dem gesamten Parlament in der ersten Person, so als ob der König persönlich spräche, dessen Verzicht auf die Königswürde und die Freisprechung eines jeden Getreuen und Untertans von jeglicher Unterwerfung, Treuepflicht und Lehnsbindung, so, wie sie schriftlich festgehalten worden waren. Zu dem Rücktritt holte man zunächst die Zustimmung eines jeden Angehörigen des Parlaments ein, dann wurde ihm öffentlich und ausdrücklich stattgegeben. Daraufhin hielt mein Herr, der Erzbischof von Canterbury, eine Predigt über das Bibelwort «Ein Mann wird über das Volk herrschen» [nach 1 Sm <), iy]. Er empfahl dabei aufs Höchste den Herzog von Lancaster - seinen Mut, seine Intelligenz, seine Vorzüge - und ermutigte diesen verdientermaßen zum Herrschen. Neben anderen Dingen sprach er auch von den Missetaten König Richards, und vor allem davon, wie er seinen Onkel, den Herzog von Gloucester, arglistig und ohne Gerichtsverfahren auf die ungerechteste Weise im Kerker ersticken ließ und wie er danach trachtete, die ganze Rechtsordnung des Reiches, die er ja beschworen hatte, umzustürzen. Genug davon! So wurde dort, obgleich er [Richard, V.R.] sich ja evidentermaßen selbst abgesetzt hatte, das Absetzungsurteil über ihn verschriftet und mit Zustimmung und kraft der Autorität des gesamten Parlaments gut hörbar, öffentlich und feierlich von Magister ]ohn Trevaur, dem Bischof von St. Asaph, verlesen. Von allen Plantagenet-Königen, die das englische Königreich seit 1154 regierten, hatte Richard II. die höchste Meinung von der königlichen Würde gehabt, hatte gerade er an die Herausgehobenheit von Königen aus dem weltlichen Geschäft geglaubt. Der König war ihm Quelle von Recht und Frieden und nicht nur deren oberster Hüter gewesen. Das Hofzeremoniell, das in der letzten Phase seiner Herrschaft seit 1390 eingeführt worden war, betonte auf eine geradezu byzantinische Weise die Distanz zu allen Anwesenden. Richard, so stellten die Zeitgenossen besorgt fest, ließ sich dies gerne gefallen. Wollte man illustrieren, was es mit dem Prinzip der tragischen Fallhöhe auf sich hat - dieser König gäbe das beste Beispiel.1 243 Um x399 Das war freilich nicht immer so gewesen. Richard war 1377 als Zehnjähriger König geworden. Obgleich man nicht sogleich eine Regentschaft für ihn eingerichtet hatte und obgleich er sich als Vierzehnjähriger während des Bauernaufstandes von 1381 durch sein beherztes Auftreten viel Respekt verschafft hatte, mußte er sich doch ab 1386 gefallen lassen, daß ein zwölfköpfiger Kontrollrat sein Königtum überwachte und korrigierte. Als er sich dagegen sträubte, erinnerte man ihn mit deutlichen Worten daran, daß sich die Engländer in der Vergangenheit mit Richards Urgroßvater Edward II. schon einmal eines Königs durch Absetzung entledigt hatten. Offenbar war Richard seither besessen gewesen von der Vorstellung, daß ihm dieses Schicksal selbst widerfahren konnte. Ungeschickt hatte er zu verhindern versucht, daß die Geschichte sich an ihm wiederhole - doch gerade sein autokratischer und intriganter Gestus verschuldete schließlich die Einlösung dieser Drohung.3 Auf dem Gipfelpunkt seiner Macht ließ er 1397 drei Magnaten aus seinem engsten Umfeld verurteilen, darunter auch seinen Cousin Heinrich, den Herzog von Lancaster. Heinrich wurde für zehn Jahre des Landes verwiesen. Der Fauxpas, der Richards Schicksal besiegeln sollte, bestand in der widergesetzlichen Konfiskation des Herzogtums Lancaster während Heinrichs Abwesenheit. Kein Vierteljahr nach seiner Landung in England war jener Heinrich König, wiederum dreieinhalb Monate später war Richard tot - weil man ihn ermordet hatte oder weil ihm selbst der Antrieb fehlte, Nahrung zu sich zu nehmen.4 Die obige Schilderung von Richards Absetzung ist bei weitem nicht die einzige, die wir besitzen, aber sie ist doch eine der lebendigsten. Ihr Wert besteht im dreifachen Sachverstand ihres Autors Adam von Usk als politisch interessierter Augenzeuge, als Chronist und Jurist. Er wußte von der Bedeutung der symbolischen H^KV., ■■ (Akte für die Machtübertragung zumal in einer so heiklen Situation, und er ver- ^"tP'-J schwieg daher nicht das vordergründig Nebensächliche - den Vortrag des Absetzungsdokuments in der ersten Person, gleichsam als ob der scheidende König gegenwärtig sei; die Predigtmotti, die Resignation wie Königserhebung in große, transzendente Sinnzusammenhänge einordneten und die die Entscheidungen des Parlaments als Inspirationshandeln erscheinen ließen. Adam der Chronist dagegen spiegelte in dieser Schilderung Richards eigene Missetaten der Vergangenheit: das fragwürdige Todesurteil von 1397, das über den Grafen von Arundel gesprochen wurde, den heimlichen Mord an seinem Onkel, dem Herzog von Gloucester. Das Vorgehen des Parlamentes zu verstehen hieß, es als die Konsequenz aus dem Handeln eines Monarchen zu begreifen, der früh auf die schiefe Bahn geraten war; schon die Anfänge von Richards Herrschaft hatte der Chronist auf eine Weise geschildert, die ein schlimmes Ende in Aussicht stellte. Letztlich war Adam auch Jurist und vermochte daher die gelehrten Beratungen treffend zu charakterisieren, die der Königsabsetzung vorangegangen waren. Er und seine Kollegen waren im Bild darüber, daß es nicht nur Präzedenzfälle für ihf^ ^ |^xr Handeln gab, sondern daß das Kirchenrecht überdies eine normative Grundlage^r^^^. _für den Akt der Königsabsetzung bereithielt. Hierauf wird noch zurückzukommen sein. So bezichtigte die Versammlung vom September 1399 den König auch jener Vierzahl von Hauptvergehen, die die Deposition nach kanonistischer Lehre legitimierten: periuria, sacrilegia, sodomitica, subditorum exinnanitio. 244 Frank Rexrotb Doch obgleich Adams Schilderung mit so hoher Kompetenz verfaßt wurde, gäbe sie doch dem Leser ein Rätsel auf, der sie kurz und bündig zusammenfassen wollte. Das Verfahren von 1399 erweist sich in ihr vielmehr als höchst ambivalenter Vorgang. Einerseits stand den beteiligten Experten ganz offenbar die Möglichkeit der Herrscherabsetzung und das Know-how zu deren Durchführung deutlich vor Augen. Daß ein Rechtsverfahren gegen Richard keineswegs ergebnisoffen sein würde, war schon daran zu erkennen, daß dessen unmittelbarer Widersacher Bo-lingbroke von vornherein als Nachfolger in den Blick genommen wurde; ihm händigte man den königlichen Siegelring aus, noch bevor seine Akklamation und Thronsetzung herbeigeführt worden waren. Zugleich war den Beteiligten jedoch evidentermaßen daran gelegen, eine alternative Lesart des Verfahrens als freiwillig vollzogene Abdankung des Königs nahezulegen. Dies mag erstaunen, konnte man im Europa des Jahres 1399 doch bereits auf eine ganze Reihe von Königsabsetzungen zurückblicken: zumindest auf die Edwards II. von 1326/27, sicher aber auch auf die demütigende Entmachtung John Balliols in Schottland 1296, auf den römisch-deutschen Adolf von Nassau zwei Jahre darauf sowie auf Magnus Eriksson von Schweden (1363/64). Und noch im Jahr von Richards II. Tod wurde in Deutschland mit Wenzel erneut ein gekrönter König deponiert. Ihm folgten weitere - der König der Kalmarer Union, Erik von Pommern (1439), sowie der Versuch zur Absetzung Heinrich IV. von Kastilien (1465) seien hervorgehoben. So heikel das Vorgehen von 1399 also den Beteiligten auch erschienen sein mag - im Rückblick muß man doch feststellen, daß die Deposition von Königen im späten Mittelalter zu einer gar nicht so selten praktizierten Option für die geworden war, die sich eines Herrschers entledigen wollten. Und doch glaubte man, den Vorgang von 1399 zugleich zum freiwilligen Thronverzicht stilisieren zu müssen. Wieso? Will man diese Frage beantworten, dann liegt es nahe, die anderen Absetzungsverfahren in einer komparatistischen Perspektive heranzuziehen. Sie sind mehr oder weniger gut erforscht, wurden jedoch fast ausschließlich im Kontext der großen reichsgeschichtlichen Meistererzählungen englischer, deutscher, skandinavischer oder spanischer Geschichte betrachtet, indem man sie auf ihre historische Relevanz hin interpretierte. Ein weitergehendes Interesse, das die Deutungsmuster der jeweiligen Reichsgeschichten transzendierte, nahm seinen Ausgangpunkt von der Erforschung des päpstlichen Depositionsrechts und betonte in im einzelnen stark abweichender Gewichtung die Bedeutung, die das Kirchenrecht und seine Experten, die spätmittelalterlichen Juristen, bei den Absetzungshandlungen spielten. Dabei wurde deutlich, daß das juristisch geschulte Personal auch in den spätmittelalterlichen, Verfahren Schlüsselpositionen einnahm.5 Eine vergleichende Betrachtung der mittelalterlichen Königsabsetzungen darf also die Genese rechtlicher Vorstellungen und ihrer praktischen Umsetzung ebensowenig ignorieren, wie sie sich andererseits gänzlich dem reichs-immanent-verfassungsgeschichtlichen Blick auf den Sachverhalt verschreiben ?«ln^lJ^ dürfte. Im folgenden wird daher zunächst von der Genese von Deposition als einer I ^tstfi—p rechtlichen Option die Rede sein. Im Anschluß daran soll unter dem Primat der | Synchronie ein vergleichender Blick auf die Verfahren des späten Mittelalters 245 Um ^99 geworfen werden. Es wird zu zeigen sein, daß die Königsabsetzungen in der Tat f nicht nur Bestandteile Traditionen sind, sondern auch für einen ge-W*g*4 gamteuropäischen mentalen Wandel stehen: für die zunehmende Komplexität von- tu UA t Deutungsangeboten und Handlungsoprionen auf, dem Feld des Politischen und-K*-flw zugleich für die steigende Bedeutung des wichtigsten Instruments, solche Kom-plffvitäf zu reduzieren - den Ritualismus der politischen Praxis.^- Im diachronen Vergleich: Vom verlassenen zum abgesetzten Herrscher In den regna des frühen Mittelalters kannte man keine Königsabsetzungen.7 Wollten Magnaten das regnum eines Herrschers beenden, dann handelten sie gewaltsam und suchten keine Legitimation in rechtlichen Verfahren, die das unerwünschte Königtum null und nichtig gemacht hätten.8 Sie erhoben einen anderen zum König und stützten dessen Aktionen gegen den Vorgänger dort, wo es nötig war'^;iMji.JÄ„ Imilitärisch. Ein derartiger Königssturz durch bzw. Neuerhebung wur- ^i>i^. ilde häufig praktiziert. Für das lateinische Europa des frühen Mittelalters hat man |„lfl^ über 400 solcher Vorgänge ermittelt.5. Die Denkformen, die diesen Praktiken zugrunde lagen, stellten zwar keine objektivierbaren Kriterien zur Verfügung, an denen man herrscherliches Scheitern im Verfahren meßbar hätte machen können. Sie enthoben den König aber auch keineswegs der kritischen Beurteilung durch die Großen seines regnum. Mochten die Könige (wie dies etwa unter den Ottonen lange Zeit der Fall war) in Bild, Schrift und Ritus über den Adel erhöht und als eine dritte Art von Mensch neben den ordines der Laien und der Kleriker etabliert worden sein, so blieben sie doch zugleich stets ein Teil derjenigen Adelswelt, der sie entstammten.10 Ihre realen Machtmittel und Erzwingungschancen waren bisweilen so klein, daß sie das Handeln konkurrierender Magnaten gar nicht hätten bessern oder gar bestrafen können. Entsprechend anfechtbar blieb ihre Herrschaft.11 Auch die ideologische Grundlegung von Königsherrschaft in der christlichantiken Tradition hielt die Frage nach der Unantastbarkeit von Königsherrschaft in der Schwebe: Dem Duldungsgebot gegenüber jeglicher irdischen Obrigkeit steuerte die Verpflichtung entgegen, ein christliches Gemeinwesen aufrechtzuerhalten auch für den Fall, daß ein König sich als unfähig, moralisch anrüchig oder poli- I tisch unklug erweise - eine correctio prineipis war also auch nach christlichen %\jy,^ \'Vc^tdhmgen nicln:^ur_möghch,_s^ es um die \h -jj Herrschaft eines Mannes bestellt sei, der sich nicht im Zustand der göttlichen Gnade befindet - diese Frage sollte letztlich entscheidend für die Ausprägung der Denkform sein, derzufolge Könige absetzbar sind, das bedeutet: daß König-Werdung als reversibler Prozeß gedacht werden kann. Denkformen wie diese entstehen freilich nicht über Nacht. Ihre Genese steht im Gegenteil in Wechselwirkung mit dem allmählichen Umbau ganzer Sinnhorizonte und, damit verbunden, tragender sozialer Institutionen. Daher muß man seinen Blick auf das 11. bis 14. Jahrhundert weiten, wenn man die Konzeptualisierung 246 frank Rexroth 247 Um 1399 von als einer pojitis£hen_j^non verstehen will. Ein ereignishafter Einschnitt in die europäische Geschichte löste diese komplexe Veränderung aus: nämlich das Vorgehen Papst Gregors VII. gegen den römisch-deutschen König Heinrich IV. während der Fastensynode vom Februar 1076. Gregor untersagte Heinrich in jener Versammlung zu herrschen, befreite seine Anhänger von ihren Gehorsamspflichten und exkommunizierte den Salier schließlich sogar.'-' Die Einschätzung, derzufolge das Geschehene eine Königsabsetzung gewesen war, wuchs erst allmählich heran - ein halbes Jahr nach der Fastensynode begann der streitbare Papst, Heinrichs Königsherrschaft zur Gänze in Zweifel zu ziehen. Der Akt vom Februar wurde jetzt auf seine grundsätzliche Bedeutung hin befragt, und diese Umdeutung des Ereignishaften ins Prinzipielle hinein weckte das C v Tw^v1 Interesse der Zeitgenossen an den Möglichketo^ J munikation, sondern auch der Deposition. Hatte Gregor Heinrichs Königtum in der Tat beendet? Und wenn ja: mit welcher Berechtigung? Erstmals gewann die Rede von der päpstlichen depositio eines selbständig herrschenden14 rex an Bedeutung. Der deutsche Episkopat interessierte sich brennend hierfür, und der polemische Pontifex belehrte die Ratsuchenden gerne und in schroffen Worten.'1 Nördlich der Alpen (etwa in Konstanz) suchten Gregorianer nach historischen Präzedenzien und ekklesiologischen Verortungen."5 So mündete die Polemik um den Akt von 1076 in eine Neuvergewisserung darüber, welcher Stellenwert dem Königtum im Heilsganzen zukommen solle. 9 U /' ' C"6Se ^•e^'ex'onen gerade durch einen Konflikt zwischen Papst und römisch-"li5—kZ\^ deutschem König ausgelöst worden waren, wurde Königsherrschaft hier (und zu-S* mal gemessen an der Situation vor ca. 1050) besonders jeutlich «entsakralisiert». (nVu>*>- letzt verschwanden die Herrscherdarstellungen aus den liturgischen Handschrif-*4>J* ten'7. und mit ihnen schwanden aucji Verstellungen wie diejenige, nach der das_ Handeln des Königs unmittelbar für Heu und UnhejUemesJ/o^es verantwortlich sei.18 Auch in Frankreich, wo in den 1040er Jahren erstmals die Anschauung von einer besonderen göttlichen Begnadung des Königs geäußert worden war, wirkte Gregors Polemik wie ein Dämpfer. Es sollte noch lange dauern, bis die französischen Herrscher zu rois thaumaturges wurden.'3 Steuernd für den Diskurs über die irdische Herrschaft, der mit dem Akt von 1076 angestoßen wurde, blieb auch in der Folgezeit die dynamische Spannung zwischen einer päpstlich-hierokratischen Position, die den König zum in jeder Hinsicht inferioren Repräsentanten irdischer Defizienz machte, und dem Bemühen der Partei, die päpstlichen Eingriffsmöglichkeiten in Fragen irdischer Herrschaft weitestgehend zu beschränken. Immerhin: Die Deposition eines Herrschers war von jetzt an grundsätzlich möglich geworden, was schon manche gelehrte Zeitgenossen als deutlichen Bruch mit der Tradition ansahen; einer von ihnen schrieb 1092/93, daß die Bischöfe von Rom früher ungerechte Herrscher erlitten und lediglich Gott inständig um Frieden gebeten hätten. Sie hätten nicht danach gestrebt, derlei Herrscher abzusetzen - ja einen solchen Gedanken hätten sie gar nicht fassen können.10 Dies war nun ganz anders geworden. Das Erbe jener Kontroverse um die Beendbarkeit irdischer Herrschaft traten die Gelehrten des Kirchenrechts an. Sie entwickelten bis zu den 1230er Jahren den Rechtsgrundsatz, daß ein Papst einen weltlichen Herrscher nicht nur exkommunizieren, sondern auch unvermittelt absetzen und sein Reich anderen katholischen Fürsten als nullius res anbieten dürfe.1' Die Kurie hatte mittlerweile auch durchaus Herrscher mit dem Bannfluch belegt, doch eine förmliche Absetzung hatte nach Gregors Akt lange Zeit niemand mehr gewagt." Erst Innozenz rV. ging auf der Schlußsitzung des ersten Konzils von Lyon r 245 erneut diesen Schritt, als er den Stauferkaiser Friedrich 11^ cLerxinierte. Der Pontifex wußte sich dabei im völligen Einklang mit der kanonistischen Lehrmeinung - mehr als anderthalb Jahrhunderte lang war nach der unerhörten Begebenheit von 1076 die Theorie der Praxis vorausmarschiert. Doch als man die Deposition als kanonisches Verfahren im 13. Jahrhundert erneut praktizieren wollte, war es eigentlich schon zu spät dazu.23 Mittlerweile waren nicht nur die europäischen Monarchien erstarkt, sondern - davon war schon ausführlich die Rede (S. i9off.) - mit ihnen auch der Gedanke, daß Königreiche souveräne politische Gebilde seien. Das Papsttum erachtete man dabei vielerörtert nur als eine Monarchie unter anderen, ja die Zeitzeugen verstanden den Vorgang von Lyon schlicht als Auseinandersetzung zweier Monarchen. Kein europäischer König reagierte so, wie der konfliktfreudige Papst sich dies erhofft haben mochte. Die Frage nach der Legitimität von Herrscherabsetzungen konnte dort, wo man über irdische Herrschaft nachdachte, schließlich auch gegen das monarchische Papsttum selbst gerichtet werden. Selbst eingefleischteste dominikanische Konzilsgegner des 15. Jahrhunderts sollten die Möglichkeit, einen Papst seinerseits einer depositio zu unterwerfen, nicht leugnen können.14 Ein taugliches Instrument zur Durchsetzung hierokratischer Ambitionen hatten die Kurie und ihre Helfer mit der Konzeptualisierung der Herrscherabsetzung nicht geschaffen. Der letzte Versuch kAlt^WA-^ eines Papstes, einen europäischen_Mjmarcltej^abzusetzen, wurde 1570 mit Königin Elisabeth von England unternommen. Die Welt der Laien war von der Entwicklung der kanonistischen Theorie zunächst kaum berührt worden. Mochten führende Glossatoren (Huguccio) im Zusammenhang mit dem päpstlichen Depositionsrecht auch über die Absetzungen, die von Fürsten vorzunehmen seien, nachdenken - in der Welt entledigte sich der Adel seiner Herrscher noch auf altbewährte Weise, wie ein Blick auf das römisch-deutsche Reich zeigt. Ganz wie früher erhoben unzufriedene Fürsten gegen ihre reges schlicht Konkurrenten zu Königen (so etwa 1081 Hermann von Salm oder 1127 den Staufer Konrad gegen Lothar III.). Sie glaubten offenbar wie früher, daß damit alles Notwendige getan sei. Niemals scheint man geglaubt zu haben, den Herrscher mittels eines eigenverantwortlich praktizierten Verfahrens seiner königlichen Qualitäten entledigen zu müssen. Im äußersten Fall stellte man <<^,JO fest, die Herrschaft werde vom einen auf den anderen «transferiert» (so 1098 vom Salier Konrad auf seinen jüngeren Bruder Heinrich), oder man zwang den gefangenen König mit brutalen Mitteln wie der Verweigerung der Sakramente zum Thronverzicht (so Heinrich IV. no5/o6i5). 248 Frank Rexroth Im synchronen Vergleich - Sinn und Funktion der Absetzungsrituale Die kanonistische Theorie der Herrscherabsetzung überformte aber schließlich doch die politische Praxis. Zugrunde lag ein Wandel in der Konzeption von Königsherrschaft, wie er seit dem frühen 12. Jahrhundert vollzogen worden war. Ein Jä"4^ regnum konnte man zunehmend als das Gegenüber seines Königs^verstehen, jx-1 präsentiert von einer Gruppe von Fürsten,,, die aus dieser jgrivilegierten Aufgabe auch besojid^eRedite ableiteten. «Herrschaft» ließ sich deutlicher als zuvor lehensrechtlich verstehen, das heißt als Bestandteil eines auf Reziprozität gegründeten und damit mit Pflichten wie Rechten belasteten Verhältnisses zur com-munitas des Reichs. Das Recht, das dieses Verhältnis des Herrschers zu den Beherrschten festschrieb, wurde objektiviert und damit vom König losgelöst. In KjU* /4ml- zunehmendem Maß^galtenJ<^ge„ds_T^ Eid, Krönung und Salbung definiert worden war. Folglich konnte man einen Herrscher auch an dessen Ausübung messen; daz riebe aast des keisers niht, er ist sin phleger unt sin vogt, dichtete der gebildete Reinmar von Zweter im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts/6 Der Vorstellungswelt der Europäer wurden in dieser Zeit negative Königs-Typen fest einverleibt: der Tyrann, der nicht nach der Maßgabe des gemeinen Nutzens handelt und Recht und Eigentum der ihm Anbefohlenen mindert, sowie, gleichsam als die harmlosere Variante, der Taugenichts: der rex inutilis.2'7 Geschichten von unfähigen, pflichtvergessenen und daher verjagten Königen erfreuten sich seit dem 13. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit. Einer habe etwa seinen Untergebenen angefahren: leb betrachte dich von jetzt an nicht mehr als meinen Senator!, worauf dieser souverän erwiderte: Dann sollst du auch nicht mehr mein Fürst sein.1''' Man sprach davon, daß der Fürst von heute ja morgen ein Niemand sein könne, und dichtete wie Freidank entsprechend: Maneger durch sin missetät I sins knehtes kneht ze herren hat.*9 Aus Geoffreys of Monmouth fabu-löser Britengeschichte lernte man jetzt ebenso wie aus der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine von der (vorgeblichen) Historizität von Königsabsetzungen,30 und Rechtsbücher wie der Sachsenspiegel thematisierten die Wehr gegen den Herrscher.31 Die allmählich zum Klischee werdende Figur vom König Taugenichts hielt sogar Einzug in die Sagas des königlosen Island.32 Menschen, die so dachten, verfügten über andere Handlungsoptionen als nur Verlassung und Gegenkönigtum. Das kanonistische Verfahren von t245 fungierte dabei als ein Muster, und sei es eines, das man kontrafaktisch um säkulare Lesarten bereicherte. Es lieferte einschlägige Stichwörter (Begriffe wie inutilis, insuffi-^ ciens, haeresis etc.) und einigeJKriterien, vor allem das Quartett der Hauptverge- | A^sJe---) henjyfejseidj^ Praktisch überall, wo man im || späten Mittelalter Könige absetzte, erstellte man in der Art der Papstbulle Ad apostolice dignitatis möglichst umfangreiche offizielle Kataloge der königlichen Verfehlungen. Ebenso wurde die Entbindung der Vasallen vom Treueid zu einem Muß - nur daß man zu seiner Ausführung keines Petrusnachfolgers mehr bedurfte. 249 Um 1399 Rechtsförmlichkeit des Verfahrens trug man ostentativ zur Schau, wobei die kanonistische Lehre als Ideenarsenal fungierte. Die Absetzungsverfahren des späten Mittelalters warfen dabei freilich genauso viele Probleme auf, wie sie eigentlich lösen sollten. Abzusehen war, daß der amtierende König das Verfahren durch Fernbleiben schädigen würde. Nur dort, wo man seiner tatsächlich habhaft geworden war, konnte man erheblichen physischen und psychischen Druck auf ihn ausüben. Zu befürchten stand andernfalls, daß ein König seine Abwahl nicht akzeptieren würde - Adolf von Nassau etwa zog 1298 genauso wie sein Nachfolger unter dem Reichsadler in die Schlacht bei Göllheim!33 Die Stilisierung des Vorganges als Abdankung galt auch Jahrhunderte nach dem Ende von Kaiser Heinrichs IV. Herrschaft (1105/06) noch als probates Mittel, dem skandalösen goüt des Absetzungshandelns die Spitze zu nehmen. König John Balliol von Schottland wurde 1z96 von seinen englischen Widersachern einem Verfahren unterworfen, das zumindest zu Teilen wie eine freiwillige Abdankung Iwirken sollte und das lediglich seinen Höhepunkt fand in einer Inszenierung seiner IDegradierung durch den englischen König Edward I.: die Entfernung der heraldischen Elemente von seinem Rock.34 Im englischen Nachbarreich ging man 1317 mit erheblichem Raffinement vor: Die Handelnden betrieben und vollzogen eine Absetzung, stellten ihren gefangenen König dann vor vollendete Tatsachen und zwangen ihn anschließend zu einem Akt der Resignation. Dann aber erstellten sie ein offiziöses Dokument, das den Kausalnexus zwischen Deposition und Verzicht platterdings umkehrte und somit der Abdankung statt der Absetzung konstitutive Bedeutung zusprach.35 Edwards Urenkel sollte man 70 Jahre später dazu nötigen, eine vorfabrizierte Verzichtsurkunde, in der er seine eigene Unfähigkeit eingestehen mußte, mit eigener Stimme zu verlesen. Auch damit waren freilich nicht alle Unklarheiten des Verfahrens beseitigt. Richard selbst scheint diesen Schritt nur bedingt als Beeinträchtigung seines Königtums erachtet zu haben, denn er war überzeugt von der besonderen metaphysischen Qualität seines Amtes. Konnte ein Gesalbter des Herrn tatsächlich abdanken? Weder die spirituellen Würden, die ihm als König zukämen, noch seine Salbung könne er revozieren, so gab er einem Vertrauten während seiner Haft zu bedenken - lediglich seine Herrschaft (gubernatio) sei vom Volk nicht angenommen worden. Als ihn sein Gegenüber an die unumstößliche Tatsache seiner vollzogenen Abdankung erinnerte, lächelte Richard wie jemand, der ohnehin nicht damit gerechnet hatte, verstanden zu werden. Er wechselte das Gesprächsthema.36 Deutlicher noch wurden den Akteuren der römisch-deutschen Absetzung 1298 die Tücken des Verfahrens vor Augen geführt. Als Adolf von Nassau in der Göllheimer Schlacht gefallen war, stand sein Nachfolger Albrecht sogleich (und zumal in den Augen Papst Bonifaz' VIII.) als Königsmörder da.37 Der Habsburger zog es vor, seine eigene Wahl zum König im Gefolge der Deposition Adolfs sofort zu ignorieren und sich erneut auf einen Thron erheben zu lassen, von dem man jetzt behauptete, er sei durch Adolfs Tod vakant geworden! Sobald sich die attraktivere Lesart auftat: , wurde die erste deutsche 25° Frank Rexrotb Königsabsetzung demnach von ihren eigenen Betreibern negiert. Dies war eine | P eigenwillige Lesart des jüngst Erlebten. Viele hatten den entblößten Leichnam von ,j iKönig Adolf (wie man den Grafen von Nassau jetzt schleunigst wieder nannte) auf dem Göllheimer Schlachtfeld liegen sehen, und es stand zu befürchten, daß man ihn so auch in Erinnerung behalten würde. Es ist bezeichnend, daß ausgerechnet Albrechts Anhänger gleichsam noch auf dem Schlachtfeld für das Seelenheil des Getöteten beteten. Seinen Sohn hielt man noch monatelang gefangen - sicher war sicher.'8 Auch Engländer sollten erfahren, daß es allenfalls kurzfristig von Vorteil sein konnte, wenn der Deponend im Zusammenhang der Deposition sein Leben ließ. Sowohl um Edward II. als auch um Richard II. rankte sich schon bald ein Kult, und in beiden Fällen traten Leute auf den Plan, die von sich behaupteten, die Totgeglaubten zu sein." Heinrich IV. hatte ganz besonders unter solchen Bewegungen zu leiden. Letztlich krankte aber die gesamte Lancaster-Dynastie an ihrem Legitimationsdefizit: denn ein Usurpator und Verbündeter von Königsmördern hatte ihre Herrschaft begründet! Über die Berechtigung zur Deposition einen belastbaren Konsens herbeizuführen, war also ein schier aussichtsloses Unterfangen. Die Anleihen beim kanoni-stischen Depositionsverfahren reichten hierzu schon gar nicht aus. Seit dem 14. Jahrhundert waren die Verfahren ganz im Gegenteil vom Bemühen ihrer Akteure gekennzeichnet, durch bricollage aus ganz verschiedenen symbolischen Arsenalen, durch den Appell an gleich diverse Deutungshorizonte akzeptable Lesarten ihres Tuns zu erreichen. Man suchte einen massiven Überschuß an Sinn zu produzieren und das Geschehen aus so vielen Blickwinkeln wie möglich als vernünftig und geboten erscheinen zu lassen. Nebenbei gesagt sind heutige Kontroversen darüber, ob ein König vom Parlament oder einer Magnatenversammlung abgesetzt bzw. ob Deposition oder Abdankung ausschlaggebend gewesen sei, Langzeitfolgen solcher zeitgenössischen Sinnökonomie. Der Ort, an dem diese Vielzahl von Anleihen korreliert werden konnte, war das Absetzungsritual. Deutlich rituellen Charakter erhielten die Verfahren spätestens seit 1317. Von der Absetzung Edwards II. von England an suchte man durch spektakuläre Inszenierungen Gewißheit darüber herzustellen, daß das vorzeitige Ende einer Herrschaft mit Prinzipien der Plausibilität und der Rechtmäßigkeit übereinstimmte. Dabei stützte man sich auf den Umstand, daß ja schon die König-Werdung im Wahl- wie im Krönungsakt rituell legitimiert worden war. Die Absetzungsvorgänge nahmen daher von jetzt an Bezug auf die Anfänge des ent- 1 ?£I?£k?5.iei} Königtums. Als Ort für die Deposition des Schweden Magnus Eriks- ' son wählte man mit der Morawiese bei Uppsala am t8. Februar 1364 jenen Ort, an dem der Monarch 1319 als Dreijähriger zum König erhoben worden war. Wenzels Deposition 1400 wurde nicht erst von ihren jüngsten Interpreten als Akt einer «umgekehrten Wahl» verstanden.4" In England orchestrierte man gleich zweimal die Akklamation zu den Absetzungen derart, daß sie zwingend an die Zurufe der Wahlakte erinnern mußten. Beide Male bekam der Deponend in einem Vorgang der Inversion jenen Namen wieder zugeschrieben, den er bei seiner Krönung abgelegt hatte: ersterer, so wurde verlautbart, solle wieder Edward von Car-navan, letzterer Richard von Bordeaux heißen. Selbst die Auflösung des königli- 151 Vm 1399 chen Haushalts visualisierte man, indem man dessen Vorsteher seinen Amtsstab zerbrechen ließ.41 Die vasallitische Bindung des Mannes an den König gab Gelegenheit, das Aufhören der sozialen Beziehung zwischen dem Herrscher und seinem zu visualisieren. Das Ende der Mannschaft, die diffidatio, wurde in die Depositionsrituale eingebunden. Absetzungen rituell auszugestalten, bedeutete auch, ihre Prozeßhaftigkeit zu unterstreichen, sie mithin durch Streckung in Zeit und Raum sinnlich erfahrbar zu machen. Das Ende von John Balliols schottischer Königsherrschaft zog sich in einem offenbar mit dem englischen König vereinbarten Akt über ganze vier Tage hin; an einem Sonntag mündete der Vorgang in die öffentliche Niederlegung der Königsgewalt und die letztgültige Degradation.41 Wert legte man auf die Situierung bei Schwellenzeiten und -räumen, etwa auf die Trennung von Absetzung und Er-hebung durch eine Nacht (was Zeitgenossen wie der steirische Chronist Otacher * deutlich hervorhoben43) oder auf die Einbeziehung signifikanter Wege (von West-minster nach London und zurück, über den Rhein auf dem Weg von Oberlahnstein nach Rhense). Die (deutschem Vorgänge in der dritten Augustwoche 1400 lassen erahnen, wie man ein Verfahren durch zeitlich-räumliche Auffächerung mit l'.idcut .im; autl.uien konnte.44 Daß ein Urteil über Wenzel bevorstehe, ja wahrscheinlich die Erhebung eines anderen Königs, haben wohl viele geahnt.45 Tagelang berieten sich die Fürsten und ließen die übrigen Angereisten im unklaren darüber, was geschehen würde. Schriftliche Anfragen gingen in Lahnstein ein: Was gehe dort eigentlich vor? Doch noch am Tag der Deposition selbst konnte niemand genau sagen, wieso sich die Herren aldage bi einander vergaderen ind samen to raide gheen.*6 Ob jemand dem Klang der Hammerschläge von Braubach her Aufmerksamkeit geschenkt hat, ob jemand, der sich der Stadt von Süden genähert hatte, vom Bau eines Podests am Weg nach Braubach erzählte? Man hat wohl spätestens dann aufgemerkt, als sich die Fürstenversammlung anschickte, die Stadt zu verlassen; man zog mit vor die Tore und wohnte der Verlesung einer von den Fürsten aus der Stadt mitgebrachten Absetzungs-SOTferatw bei. Obgleich sich dies alles noch in den Morgenstunden zutrug, ließ man das Verfahren anschließend über Nacht ruhen - erst am nächsten Morgen ruderten die vier Fürsten über den Rhein, machten auf freiem Feld Station, um Kapitulationen auszufertigen, näherten sich dem Rhenser Königsstuhl, feierten eine Heiliggeistmesse, leisteten Eide, ratifizierten die dispositiven Wahlakte, verlasen diese mit lauter Stimme vor großer Zuhörerschaft und erklommen den Königsstuhl. Dort kürten die drei geistlichen Fürsten den einen weltlichen zu ihrem König. Wenn der Deponend bei solchem Verfahren nicht persönlich anwesend war, tat dies der Sache doch keinen Abbruch. Auch vor den Mauern von Avila errichtete man im Juni t465 ein Podest, um die Absetzung König Heinrichs IV. von Kastilien zu inszenieren. Auf einem Thron postierte man eine Holzpuppe, die mit den kö- ^ niglichen Insignien versehen war. Die Trennung von Deposition und Erhebung des " erwünschten Nachfolgers machte man dadurch sinnfällig, daß man letzteren ver-anlaßte, sich vom Geschehen zu entfernen. Dann traten die Granden in Aktion: Sie bestiegen das Podest, konfrontierten die Puppe mit den vier Hauptverfehlungen 252 Frank Rexroth des Königs - ein deutlicher Rekurs auf das kanonistische Absetzungsverfahren. Jeden dieser Klagepunkte begleitete man mit der Wegnahme eines königlichen Emblems. Die Verkündung des Urteils begleitete der Erzbischof von Toledo anschließend mit der Entfernung der Krone, der Graf von Plasencia mit der Wegnahme des Schwertes, ein weiterer nahm das Szepter an sich. Jemand warf die Puppe vom Thron, schließlich trat man sie unter Beschimpfungen vom Podest herunter. Die Umstehenden weinten «wegen des bösen Todes des entthronten Königs» laut. Buchstäblich mit Pauken und Trompeten holte man dann Alonso, den Nachfolger, ein.47 Die göttliche Inspiriertheit seines Tuns anzuzeigen, war den Akteuren in England ein wichtiges Anliegen. Heiliggeistmessen und Predigten über einschlägige Motti (Vox populi, vox Dei), versetzt mit den Anklagen gegen den König, leiteten das Geschehen ein. Wie ein moderner Animateur heizte ein gewisser Thomas Wake die Stimmung an: Mit ausgebreiteten Armen (also in Orantenhaltung) und mit schlotternden Händen mischte er sich in das Procedere ein und provozierte die lauten Zurufe der Versammlung.48 Deren Reaktion auf das Ansinnen der Edward-feindlichen Partei war nun nämlich das Entscheidende. Man wollte zeigen, daß man mit der Deposition, immerhin einer an Radikalität kaum zu überbietenden politischen Tat, Gottes Willen einlöste. Das Verfahren endete in einer Akklamation des (abermals mit ausgestreckten Armen): Fiat, fiat, fiat, Amen. Wohl nahm man dabei auch die stille Opposition vornehmlich einiger Bischöfe wahr -Skeptiker, die beisammenstanden und nicht mitsingen wollten, als das Ave Rex und das Gloria angestimmt wurden.49 Auch als man Jahre später dem Urenkel König Edwards den Prozeß machte, war man darauf bedacht, daß die Versammelten jeden Verfahrensschritt unisono mit einem dreifachen oy-oy-oy beantworteten, das durch die Halle (parmy tout la sale) schallen sollte. Doch auch hier glückte das Verfahren nicht gänzlich: Als die Nomination eines Nachfolgers anstand und die Versammelten mit den Ansprüchen Heinrich Bolingbrokes konfrontiert wurden, gaben die Anwesenden ihre Zustimmung einzeln und damit nicht auf eine Weise, die man als Emanation des göttlichen Willens hätte auslegen können. Der Prätendent Bolingbroke mußte die versammelten Magnaten daran erinnern, daß Lippenbekenntnisse in einer solchen Angelegenheit nicht ausreichten, daß sie vielmehr mit Herz und Mund zugleich zu antworten hätten. Sollten einige unter den Anwesenden nicht mit dem Herzen dabeisein, sollte ihn dies nicht wundern ... Das war sicher Drohung genug, um die Stimme des heiligen Geistes im Herzen zu entdecken. Nun erst erklang das vierte Oy; oy; oy (von lauten Stimmen und dem Widerhall des Raums war diesmal bezeichnenderweise nicht die Rede).50 In Stockholm versicherte man sich im November 1363 des göttlichen Beistands, indem man die Klagen gegen den König auf Äußerungen der heiligmäßigen Visionärin Birgitta stützte, die bereits zwei Jahre zuvor von Rom aus ihren gefürchteten Tadel über Magnus Eriksson ergossen hatte.51 Es war dabei keineswegs ausschließlich die Adaptation des kanonistischen Verfahrens, die dem Handeln im Moment der Absetzung Gestalt und Legitimität verleihen sollte. Als rechtens konnten die Verfahren auch durch den Rekurs auf ganz andere Sinnsysteme erscheinen, sofern diese nur Modi der Inversion sozialer 253 Um 1399 Bindungen zuließen. Man mochte sich auf das kanonische ebenso wie auf das Lehensrecht, allmählich auch auf das Wissen um Präzedentien sowie auf die allgemein akzeptierten Zeremonien von Königwerdung und Liturgie stützen. D'e | historiographischen Traditionen, die^rinm^BaB3jlälStJffiStd^den europäischen ^\i^s(z * Mythologien von Geoffrey von Monmouth über die Goldene liegende bis zu den ^fi^Ju-^. isländischen Sagas gaben mittlerweile Hinweise genug, um Tyrannen zu erkennen und wasjnmi_gegen sie^tunkpnnte. Man vermochte nun, wie etwa nach 1364 in Schweden, die Laufbahn des Deponenden als Negativkarriere zu schildern. Dieses Narrativ wurde aus Topoi verfertigt, die den Werdegang von den vielversprechenden Anfängen des Königs hin zu seinem letztendlichen Scheitern darzulegen halfen.'1 Seit der Mitte des 14. Jahrhunderts fing man etwa die unerträglichen Züge schlechter Herrschaft im Bild vom Sodomiter ein: Der rex habe sich auf Günstlinge gestützt, die das Land ausplünderten. In seiner Bevorzugung dieser Parvenüs sei er sogar so weit gegangen, daß er schließlich seine Ehe vernachlässigt und mit diesen Unzucht getrieben habe. Entwickelt wurde dieses Narrativ bekanntlich zunächst an Edward IL, dann allerdings sogleich und nach der Regie der heiligen Birgitta auf Magnus Eriksson angewandt." Im Hinblick auf Richard IL, vielleicht auch auf Erik von Pommern, spielte man darauf an. In Avila zog man dieses Register wieder ganz entschieden: «In den Staub, Sodomiter», herrschte man 1465 die Puppe Heinrichs IV. an.54 Ein letzter Deutungshorizont wird sichtbar, wenn man Ausschau nach der ersten offenen Titulierung eines solchen Verfahrens als depositio hält, also als Absetzung ohne Wenn und Aber. Noch 1245 zu Lyon und sogar noch 1298 zu Mainz scheint man den von der kanonistischen Theorie längst elaborierten Terminus in der Praxis geflissentlich vermieden zu haben. Dies wird im 14. Jahrhundert ganz anders. Depositio war von nun an kein Begriff mehr, den man mied, sondern einer, der im Gegenteil unbedingt geboten war, um das Geschehen zu qualifizieren. Verantwortlich hierfür war das Engagement der Kommune von London. Sie grollte Edward II. nicht zuletzt deshalb, weil dieser ihre städtischen Privilegien kassiert und so unter anderem für die Entfernung der städtischen Magistrate gesorgt hatte. 55_Mit allerDreistigkeitJiaben zuerst die Londoner gefordert, man solle den König absetzen - und dies genau zudem Zeitpunkt, als die Partei der Königin im , Parlament mit dem Vorhaben gescheitert war, die ^ebjmgjhj^Jobj^g«^«c-^;ctowf»«e»^durchzusetzen.56 Es ist bezeichnend, daß der provozierende Begriff zuerst in der innerstädtischen Überlieferung auftaucht - in einem Ambiente, in dem man seit langem an Amtswechsel sowie freiwilligen und erzwungenen Amtsverzicht gewohnt war und in dem Amtsträger ständig an der Einlösung ihrer Eidespflichten gemessen wurden. Hat M. V. Clarke richtig vermutet, dann hatte man in der Metropole schon länger auf die Absetzung hingearbeitet, ja für die Parlamentssitzung vom 7. Januar ist überliefert, daß die Londoner sie in großer Zahl aufsuchten und die Versammelten einschüchterten.57 Massiv übten sie auch Druck auf diejenigen Mitglieder der politischen Klasse aus, die sich in ihre Stadt wagten: Sie zwangen sie zum Ablegen eines einschlägigen Eides.58 Nicht gänzlich aus freien Stücken gingen der Erzbischof von Canterbury und andere Prälaten eine amicitia mit ihnen ein, sprach man von pace et bona voluntate, die das gemeinsame Hart- 254 Frank Rexroth dein leiten sollte. In großen Mengen wurde Wein für den Abschluß dieses Bündnisses herbeigeschafft. VwAu»'-""; Bis in die Diktion hinein erinnern diese Berichte vom Zustandekommen des j *lj U>rbtJi-">-j "^J^S^^SSlS^SSjASLS^i djejjeridite,der revolutionären kommunalen^"- | iurationes. Städte blieben für die Zukunft mehr als nur wichtige Bündnispartner I für die zur Depositen bereiten Magnatengruppeii: Rat und Bürgerschaft von 1 Stockholm scheinen sich schon früh für Magnus' Absetzung engagiert zu haben5', 1 1399 schicken die Londoner frühzeitig eine Delegation zu Bolingbroke, um sich diesem sub sigillo communi durch Kommendation zu unterstellen, regt Ricardo diffidenciam mittendo\6° Die wichtigsten Verbündeten des abtrünnigen dänischen Reichsrats von 1439 waren die Hansestädte Lübeck, Hamburg, Wismar und Lüneburg.61 Wenn das Kirchenrecht also dazu beitragen mochte, ein als Amt aufgefaßtes Königtum als einen aufhebbaren Sachverhalt zu verstehen, dann galt das für den Erfahrungsbereich der Kommunen nicht minder. Sind die Sinnhorizonte hinter den einzelnen Vorgängen also vielfältiger, als man bisher angenommen hat, so hielt die Performanzkultur des späten Mittelalters doch die Möglichkeit parat, diese Deutungsangebote in rituellen Handlungen zu kondensieren und damit jenen Überschuß an möglichen Lesarten zu produzieren, von dem oben die Rede war. In der Tat war hierfür der Bedeutungsaufschwung des juristisch geschulten Denkens in besonderer Weise prägend - dies jedoch nicht, weil Juristen Garanten des Fortschritts gewesen wären, sondern weil sie zuerst die Mentalitäten der Europäer um nützliche Überzeugungen bereichert hatten. Es waren die Lehren der Rechtskundigen, die vormals für irreversibel gehaltene Prozesse als umkehrbar erscheinen ließen. Man kann einen Menschen zum König machen? V iHw Um 1473 Warum nicht einmal die Herzöge von Burgund das Königtum erlangen wollten und konnten von Heribert Müller Feierlich hat Kaiser Friedrich III. am 6. November 1473 auf dem Marktplatz von Trier Karl den Kühnen von Burgund (tI477) mit dem Herzogtum Geldern belehnt: Ebendieser neue Herzog von Geldern war damit nicht zufrieden, sondern bestand bei dem vorgenannten Kaiser und in dessen Umgebung mit großer Hartnäckigkeit darauf, daß er auch zum König der Burgunder erhoben werde, und daß jenes alte Königreich Burgund, das über viele Fürstengenerationen hin unterdrückt und beinahe ausgelöscht und vergessen worden sei, wiedererrichtet und er nicht mehr nur Herzog, sondern König von Burgund genannt werde. Mit seinen inständigen Bitten und seiner Freigiebigkeit, womit er fast ohne Unterlaß dem Kaiser die Ehre erwies, bewirkte und erreichte er bei ihm so viel, daß allgemein und öffentlich verbreitet wurde, der Kaiser stimme seinen Wünschen zu, und daß man ohne jedes Zögern davon ausging, er werde ihn zum König erheben und mit den königlichen Insignien auszeichnen. Denn der Kaiser selbst hatte ja versprochen, er werde dies vornehmen, und die Sache war so weit fortgeschritten, daß man sich bereits auf den Termin für die Durchführung solch großer Feierlichkeit verständigt und ihn festgelegt hatte [...]. In der Trierer Kathedrale, wo der Festakt angesetzt war, hatte der Kaiser selbst Throne und Tribünen anfertigen und errichten lassen; persönlich war er zugegen, um Vorsorge und Anordnung zu treffen, wo und wie die Throne und Sitze der kaiserlichen und königlichen Majestät aufgestellt werden sollten. Auch war der Bischof von Metz gebeten worden - und dieser hatte sich auch ganz und gar darauf vorbereitet -, die Messe und den Akt der heiligen Salbung zu feiern und durchzuführen. Doch, o weh, wie leicht und von einem Augenblick zum anderen wankelmütig und wandelbar sind die Absichten der Menschen, wie zerbrechlich sind Bündnisse und Freundschaften unter Menschen und vor allem unter Fürsten, die nicht durch Christi Bindekraft verknüpft und bestärkt sind; fünvahr häufig und im besonderen damals hat sich als wahr offenbart, was der heilige Psalm sang: Nertraut weder auf Fürsten noch auf Menschensöhne, in ihnen liegt kein Heil.> Unvermutet jedenfalls, als man doch amiahm, sie seien einander durch soviel gegenseitige Liebe, Zuneigung und Freundschaft verbunden, als sie sooft auf glänzendsten, mit größter Sorgfalt und königlichem Aufwand zubereiteten Gastmählern freundschaftlich zusammen gespeist hatten, als man alles, wie