Fritz Mauthner: Prager Jugendjahre. Fischer Verlag 1969 17 die jüngste Kusine von Mauthner war Auguste Hauschner, geb. Sobotka Die Klippschule – abwertend: schlechte Schule (hier: nur von jüdischen Knaben besucht, Direktor – ein völlig unkultivierter ungarischer Jude) 18 Ich war reif fürs Gymnasium und mußte noch drie Jahre auf einer widerwärtigen Klippshcule wiederkäuen was ich bei Herrn Fröhlich gelernt hatte. So z. B. waren meine Kenntnissse in der tschechischen Sprache wahrscheinlich sehr mangelhaft. Ich mochte bis etwa zum 4. Lebensjahre tschechisch und deutsch gleich gut oder gleich schlecht geplaudert haben; tschechisch gar noch etwas früher, weil in Böhmen (d.h. in den gemischten Bezirken des Landes) Tschechisch als die gottgewollte Ammensprache angesehen wurde. Seitdem ich aber am Elterntisch essen durfte, ging die Übung im Tschechischsprechen verloren. 30 Erste Sprachstudien drei Sprachen zugleich: Deutsch als die Sprache der Beamten, der Bildung, der Dichtung und seines umgangs; Tschechsich als die Sprache der Bauern und der Dienstmädchen, als die historische Sprache des glorreichen Königreiches Böhmen; ein bißchen Hebräisch als die heilige Sprache des Alten Testaments und als die Grundlage das Mauscheldeutsch, welches er von den Trödeljuden, aber gelegentlich auch von ganz gut gekleideten jüdischen Kaufleuten seines umgangs oder gar seiner Verwandtschaft sprechen hörte. Entlehnung und Kontamination (Wortkreuzung, Vermengung von Wörtern, Wendungen, die zu einer Kontaminations führt: z. B. Profittiche, Medizyniker, Meisterstückwerk R. Wagners) vgl. S. 119: Kuchelböhmisch, 35 Das Piaristengymnasium (1861-1866) Aber wir erfuhren von diesen Ministranten auch - /.../daß unser Gymnasium allgemein für das weitaus schlechteste der drein Prager Gymnasien galt. Das Gymnasium der Altstadt war vollkommen tschechisch geworden, und das Gymnasium der Kleinseite, jenseits der alten Nepomuk-Brücke am Fuße des Laurenziberges war für einen Piaristen zu weit entfernt. Der Unterricht war schon ziemlich verweltlicht. 65 Schüler der Parva (parvus – malý, skromný, nepatrný) und die Hälfte davon waren Juden, an einigen Protestanten fehlte es auch nicht. 42 Nachhilfestunden – 2 Gulden für jedes Semester: Ich war meines Erinnerns der einzige inn der Klasse, der daran nicht teilnahm. In den beiden untersten Klassen gabParallelklassen, später saßen Deutsche und Tschechen in derselben Klasse beisammen., ungefähr in gleicher Stärke /XEROX/ 50 es fiel mir niemals ein, Wienerisch zu reden. Es gehört dazu wie zu jeder vollkommenen Beherrschung einer fremden Sprache etwas Komödienspielerei, etwas Snobismus, wofür ich keine Begabung habe. Mir blieb die Sehnsucht, die sich mit Verstehen und Nicht-Sprechen-Können süddeutscher Mundarten begnügen mußte. Die oberbayrische Mundart und einige allemanische Mundarten haben mich beim ersten Anhören bis zu Tränen ergriffen 62 Wechsel zum Kleinseitner Gymnasium: Ein bißchen Deutschtümelei mag mitgesprochen haben. 1866 Alle öffentlichen Gebäude Prags waren zu Hospiptälern umgewandelt und alle Schulen, auch das Piaristengymnasium – viele von den Piaristen starben (an Cholera). 76 Für meinen kleinen Kreis wurde der Klang von Trommlen und Pfeifen der preußischen Infanterie zum symbole eines deutschen Nationalgefühles. 80 Ich habe erst viel später einige Vorzüge der österreichischen raunzenden (bair. österr.: dauernd unzufrieden nörgeln) Schlmaperei und einige Nachteile der preußischen schneidigen Staatsfreundlichkeit gegeneinandere abwägen gelernt. 81 Das Kleinseitner Gymnasium Unser preußischer Ordinarius 82 hat uns einzig und allein in Bosheit unterrichtet, er kannte kein größeres Vergnügen, als seinen unbeträchtlichen Witz auf Kosten einiger Sündenböcke leuchtn zu lassen. Diese Sündenböclke waren einige Tschechen, meistens tüchtige Burschen. die auf dem Kser Gymnasium deutsche lernen wollten und vorläufig noch allerlei Sprachfehler begingen. (ab der Septima haben sie untereinder abgemacht, daß niemand über seine Witze lacht) Aus Dankbarkeit und Liebe lernten wir Gindely (Geschichtslehrbuch) ganz ordentlich. 108 Ich bin erst als Mann aus der jüdischen Religionsgemeinschaft ausgetreten, ohne mich zu einer anderen Religion zu bekennen /.../ Mein Vater war, um es kurz und schroff auszudrücken,buchstäblich areligiös, meine Mutter antireligiös. 109 Nach 1866 wurde die allgemeine Wehrpflich auch in Österreich eingeführt (das Institut der Einjährig Freiwilligen; Mauthner hinkte, wurde also untauglich erklärt) 110 Ich bedauere sehr, daß ich diese allzu rasch erworbene Kenntnisse ebenso rasch wieder eingebüßt habe; was ich vom Baue der semitischen Sprachen später für meine rbeiten brauchte, habe ich ganz neu lernen müssen. 110 DER NEUE AHASVER autobiographische Darstellung des Jungen, der aus einer religiös gleichgültigen Familie entstammen in seinem Tagebuch Zeugnis von seinem vorübergehenden rel. Eifer ablegt. 113 mit meinem dilletantischen Katholizismus erhob sich aber in mir ein Haß gegen das Alte Testament und gegen die hebräische Sprache. 114 zwei Jahre den Religionsunterricht geschwänzt, und doch eine Eins beim Abitur (gar nicht geprüft) 117 Wir hörten von ihnenn /den katholiscjhen Mitschülern/ besonders von der Maturitätsprüfung bittere Worte über unsere Ausnahmestellung: denn Religion war ihnen neben Weltgeschichte der eigentliche Prüfstoff 119 Kuchelböhmisch, welches in seinem Grundbau slawisch war, aber eine Unmenge deutscher Worte barbarisch mit slawischen Endungen versah. 112 In Böhmen denkt auch der verwegenste Fanatiker nicht so bald an eine Trennung von Österreich; nur daß nach seiner Meinung der Kaiserstaat slawisch werden soll, wo möglich tschechisch. /.../ die tschechische Treibhauswissenschaft soll die Universitäten beherrschen. /.../ die slawen, die ohne deutsche Kultursprache nicht auskommen können, sind von Haus aus zweisprachig und würden es am ende zu ihrem Monopol machen, dem Reiche Beamte und Offfiziere, Ärzte, Richter, Lehrer und Geistliche zu liefern. 121 Lösung des Problem mit Fragezeichen, aber keine andere Alternative erwähnt: Sozialdemokratischer Internationalismus oder „eine Liebe zu dem österreichischen Staatsgedanken,“ die ich aber höchstens etwa bei Wienern angetroffen habe, niemals in genügender Stärke in den Kronländern. 123 Die Tschechen hatten weit klügere, nämlich energischerer Führer als die Deutschen; sie drängten die früheren Herren des Landes stätig und fets in die Defensive. /... Wir ärgerten uns darüber, daß wir eine so schwierige Sprache erlernen sollten, deren Kenntnis uns nicht wertvoll schien; eine bodenständige tschechische Literatur gab es damals nocht nicht; weder eine poetische noch eine wissenschaftliche Literatur. 125 /Er schreibt uber die ungenügende Tschechischkenntnisse bei den deutschsprachigen Studentnen/ Diese jungen Leute aus gemischten Sprachbezirken waren zumeist Juden; der Vater hatte sie, oft in Rücksicht auf seinen Handel, als Kinder in tschechische Schulen gesteckt, und dort war ihnen eine unklare Schwärmerei für das tschechische Herz angeflogen, daß jeder Böhme haben müßte. /.../ Als wir nach Septima oder Oktava /.../ kamen, wurde eine neues Landesgesetz erlassen, wonach nur eine der beiden Landessprachen obligatorisch war. um den drolligen Kauz, der damals in Tschechishc unterrichtete, nicht zu kränken, hileten wir alle in seiner Stunde aus, 125 die Lehrer der tschechischen Sprache – überall philologisch geschulte Männer, die Lehrer der dt. Sprache dageggen bestenfalls Dilletanten, 128 Ich habe in meiner Novelle Die böhmische Handschrift /1897/ darzustellen gesucht (zu übermütig vielleicht, aber gar nict ungerecht), wie alles, was ihn /den Fälscher/ dazu trieb, ach so gut war und lieb; ich habe schon damals einige chauvinistische Jugendsünden bereut und zum Frieden gemahnt. /../ Wir waren aber damamls noch weit davon entfernt, solche Fälscherleidenschaft zu begreifen; /.../ 129 Wir mußten uns die Königinhofer Handschrift in einer streng philologischen Ausgabe ansschaffen und den heiligen Text auswendig lernen und so pedantisch analysieren, wie man etwa auf dem Gymnasium den Homer terarbeitet; so mußten wir uns mit iener tschechishcen Fälschung beschäftigen, während uns die Nibelungen, Walter und Wolfram unbekannt blieben, .. /nachträglich erkennt er an, doch auf diese Weise etwas vom Kirchenslvischen und der Sprachvergleichung etwas mitzubekommen, was ihm in Griechisch, Latein und Deutsch vorenthalten wurde/ In den nationalen Reibereien wurdei ch ungerecht gene die Tschechen, weil ich sie alle für die Fälschung der KHH veranntwortlich machte. 135 nachdem er den Protest der dt. Studenten beim Direktor des Gymnasiums beschrieben hatte, daß Tschechen nicht ihre Institution „korporativ“ bei dre Grundsteinlegeung des Nationaltheaters vertreten dürfen. Der nationale Zwist verdarb schon aufdem Gymnasium, was zu verderben war; auf der Universität hörten ndie Katzbalgereien nicht mehr auf. /.../ 136 nur mehr des Morgens und des Nachts viel gelesen, den Tag und den Abend jedoch mitpolitischen Kannegiesereine und gelegentlich mit der Beteilligung an nationalen „Ereignissen“ ausgefüllt 151: Universitätsjahre 161 Er studierte Jura an der damals noch einheitlichen Universität in Prag: 800 Deutsche und 1.500 Tschen, die meisten Dozenten Deutsche. Er studierte auch Musikgeschichte bei A. W. Ambros, dem späteren Musikerzieher des Kronprinzen Rudolf; eine der 5 Hörerinnen war Fräulein Susanna Rbunistein aus Tschernowitz, die erste Hörerin der Prager Universität. 162 r Komment: Studentsprache: Brauch, Sitte Da zweischen Tschechen und Deutschen der sogenannte „Komment“ nicht bestand, so existierte zwischen den beiden feindlichen Parteien Parteien nicht ienmal die alte Institution der Mensur auf dem „Graben“ – ofiziell Koloratstraße 163 Ich wurde nur für kurze Zeit Konkneipant /../ Ich muß aber eingestehen, daß mein Fernbleiben von einem flotten Studentenleben vielleicht übersdies eine kläglichere Ursache hatte: ich hatte nicht Taschengeld genug. 164 die Lesehalle der deutschen Studenten 165 –Defenestration des Altphilologen Linker durchg die tschechischen Studenten (lateinische Ode an Kaiser Wilhelm); der Eingriff der Polizei, als sich die Tschechen und Deutsche auf dem Klamentinumhof gegenüberstanden, wurde gemeinsam abgewehrt (mit Hinweis auf die akademische Freiheit) Frühjahr 1871 – Fall Krainc, eine Slowene, der den pensionierten Zivilrechtslehrer ersetzten sollte – der pennälerhafte Schluß seiner antrittsvorlesung: also schreiben Sie nur fleißig mit, meine Herren! – Jiretschek Unterrichtsminister (Hohenwart- Habietinek, Justizminister, früher Prager, dann Wiener Jusprofessor, tschechisch-föderlistisch gesinnt), sie ztelegraphierten gleich nach Wien und verlangten die Rehabilietierung des alten Professors: da Ihr Schützling Krainc unsere Wissenschaft und unsere deutsche Muttersprache in Gefahr bringt 171 Ich durfte das Gefühl haben, den deutschen Profesoren eine diebische Freude bereitet zu haben (eine Relegation würde die wärmste Empfehlung nach Jena, Heidleberg oder Mnarburg bedeuten; nach dem Fall des Kabinnetts blieb es bei einer Rüge). 205 Sprache – das edelste Kunstmittel und gleichzeitig ein elendes Werkzeug der Erkenntnis