Franz Grillparzer (1791-1872) Bauernmarkt Habe ungefähr bis drei Uhr nachts nichts schlafen können. Las Grillparzers Selbstbiographie und habe mir einiges angestrichen / …/ Meisterhafte Schilderung einer alten Wohnung (Musils Tagebücher, 1905) Arno Dusini Darin mag man die Leistung der Autobiographie erkennen: daß sie Einzelnes, mitunter Heterogenstes in einen übergreifenden „Zusammenhang“ bringt, einen „Zusammenhang“ freilich, den das Leben selbst nicht vorgibt. Goethe: Denn dieses scheint die Hauptaufgabe der Biographie zu sein, den Menschen in seinen Zeitverhältnissen darzustellen, und zu zeigen, inwiefern ihm das Ganze widerstrebt, inwiefern es ihn begünstigt, wie er sich eine Welt- und Menschenansicht daraus gebildet, und wie er sie, wenn er Künstler, Dichter, Schriftsteller ist, wieder nach außen abgespiegelt. Grillparzer und Goethe „Wenn ich einmal tot bin, muss man mich im Zusammenhalte mit meiner Zeit schildern. Unter Kaiser Franz musste jeder Dichter oder Literator, wenn nicht vernichtet, so doch verkümmert werden.“ ● 1847 aufgefordert, 1853 abgeliefert, nur bis 1836 (der Misserfolg mit Weh dem, der lügt erst 1938) Fragment vom 6. Jäner 1814, drei Jahre vor der Ahnfrau so setzt er sich hin seinen unsterblichen Werken durch eine Beschreibung seines Lebens die Krone aufzusetzen, damit doch auch das Erdenpack einigermaßen begreife, wie man wie sie aussehen, und doch so unbegreiflich anders sein könne. So hieltens die berühmten Männer mit den Biographien vom Hl. Augustinus an bis auf Wolfgang von Goethe. So wahr das ist, so sonderbar mag es daher scheinen, daß ich, dessen Ruhm höchstens von den Lippen dreier Freunde und aus dem Munde einiger weniger weiblichen Verwandten tönt, nichts geringeres im Sinne habe, als – diese berühmten Männer nachzuahmen. 1809 sein Vater gestorben, 1819 beging seine Mutter Selbstmord „Während sie sich ankleiden wollte, traf sie ein Schlagfluß, wobei ihr Rücken gegen die Mauer lehnte, während ihre Kniee sich gegen den vor ihr stehenden Nachttisch stemmten, so daß sie aufrecht im Tode dastand.Das Entsetzen dieses Momentes läßt sich begreifen. Da aber vielleicht noch Hilfe möglich sein konnte, befahl ich den Mägden die Frau ins Bette zu bringen und eilte augenblicklich fort nach dem Arzte, der mir auch ebenso schnell folgte. Als wir kamen, hatten sich die dummen Weibsbilder nicht getraut die Tote anzufassen und sie stand noch immer neben ihrem Bette.“ Selbstmorde der Mutter [Die Magd] bat mich um Gotteswillen hinüber zu kommen, da die gnädige Frau durchaus nicht ins Bette zurückgehen wolle. Ich eilte ins Zimmer meiner Mutter und fand diese halb angekleidet an der Wand zu Häupten ihres Bettes stehend. Ich beschwor sie, sich keiner Verkältung auszusetzen und sich wieder niederzulegen, erhielt aber keine Antwort. Ich faßte sie an, um allenfalls ihrer Schwäche nachzuhelfen, da, bei dem Scheine des von der Magd gehaltenen Lichtes, sehe ich ihre Züge starr und leblos. Ich hielt meine Mutter tot in meinen Armen. Wahrscheinlich war ihr während der Nacht der Gedanke wiedergekommen in die Kirche zur Kommunion zu gehen. Selbstmord der Mutter Das offizielle Totenprotokoll nach erfolgter Obduktion im Wiener Allgemeinen Krankenhaus : N[ota] B[ene]. Hat sich erhängt. Wiener Verhälnisse unter Metternich Grillparzer: Nun war dem Grafen [Stadion] Baron Pillersdorff persönlich zuwider. Demungeachtet erklärte er jetzt, daß wenn man ihm diesen ausgezeichneten Hilfsarbeiter entziehe, er sein Amt niederlegen müsse, das er ohne ihn fortzuführen außerstande sei. Das ist groß, dünkt mich. Es hat aber keine Beziehung auf mich, aber ich schreibe meine Erinnerungen und da gehört meine Zeit ebenso gut hinein als ich. Oder vielmehr ich will mich amüsieren und es freut mich, Personen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die mir wohlgewollt haben, der Übelwollenden war ohnehin die größere Anzahl. Sedlnitzky Polizeichef Sedlnitzky wollte die Aufführung verhindern, wegen "des Kontrastes, in welchem die Österreicher gegenüber denen überall mit den ungünstigsten Farben geschilderten Böhmen" dargestellt sind. KOGuE ein Hofrat der Zensurstelle, der "mir bis auf diesen Augenblick immer zugetan geblieben ist. Er begann das Gespräch mit der damals in Wien stereotypen Frage: warum ich denn gar so wenig schriebe? Ich erwiderte ihm: er als Beamter der Zensur müsse den Grund wohl am besten wissen. Ja, versetzte er, so seid Ihr Herren! Ihr denkt euch immer die Zensur als gegen euch verschworen. Als Ihr Ottokar zwei Jahre liegen blieb, glaubten Sie wahrscheinlich, ein erbitterter Feind verhindere die Aufführung. Wissen Sie, wer es zurückgehalten hat? Ich, der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin. Aber, Herr Hofrat, versetzte ich, was haben Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefunden? Gar nichts, sagte er, aber ich dachte mir: man kann doch nicht wissen . . .!" Wiener Verhältnisse unter Metternich „Als der Tag der Aufführung kam, gab es ein Gedränge, desgleichen man im Hofburgtheater weder früher noch später erlebt hat. Leider konnte ich die Ehre dieses Zulaufs nicht bloß mir anrechnen, es war vielmehr das Gerücht, dass das Stück von der Zensurverboten gewesen sei, was dem Publikum die Aussicht auf einen allfälligen Skandal eröffnete.“ Grillparzers Leben als Beamter 1832 Grillparzer wird zum Direktor des Hofkammerarchivs ernannt ● 1838 Nach dem Misserfolg von Weh dem, der lügt zieht sich Grillparzer vom Theater zurück ● 1849 Heinrich Laube wird Leiter des Wiener Hofburgtheaters: Viele der bereits im Vormärz aufgeführten Stücke Grillparzers werden wieder gespielt. ● 1856 Pensionierung auf eigenen Wunsch. Grillparzer erhält den Titel eines k.k. Hofrats Arno Dusini Die Ordnung des Lebens: Zu Franz Grillparzers "Selbstbiographie". Walter de Gruyter, 1991. Jemand musste Franz Grillparzer verleumdet haben. Zu Franz Kafkas Grillparzer-Rezeption. ● Werner Welzig: »Grillparzers und Kafkas Schriften für eine Akademie«. Der arme Spielmann (1848) als poetologisches Programm auch für die Selbstbiographie? ● Benno von Wiese: Die böseste Selbstentzauberung Grillparzers »Geschichte?« wiederholte er. »Ich habe keine Geschichte. Heute wie gestern, und morgen wie heute. Übermorgen freilich und weiter hinaus, wer kann das wissen? Doch Gott wird sorgen, der weiß es.« »Ihr jetziges Leben mag wohl einförmig genug sein«, fahr ich fort; »aber Ihre früheren Schicksale - Wie es sich fügte« Der arme Spielmann (1848) als poetologisches Programm auch für die Selbstbiographie? Das also nennen Sie meine Geschichte? Wie es kam? - Ja so! da ist denn freilich allerlei geschehen; nichts Besonderes, aber doch allerlei. Möchte ich mirs doch selbst einmal wieder erzählen. Ob ichs noch gar nicht vergessen habe. Es ist noch früh am Morgen«, fuhr er fort, wobei er in die Uhrtasche griff, in der sich freilich keine Uhr befand. Der arme Spielmann (1848) als poetologisches Programm auch für die Selbstbiographie? »es gibt denn doch eine Art Geschichte. Erzählen wir die Geschichte! Um diese Zeit ereigneten sich zwei Begebenheiten: die traurigste und die freudigste meines Lebens. Meine Entfernung aus dem väterlichen Hause nämlich und das Wiederkehren zur holden Tonkunst, zu meiner Violine, die mir treu geblieben ist bis auf diesen Tag. Der arme Spielmann (1848) als poetologisches Programm auch für die Selbstbiographie? Dusini: Dieses Erstaunen ist ein Erstaunen darüber, daß der Akt des Erzählens einen „Zusammenhang“ herzustellen vermag, den das Leben verweigert. Das Interesse verschiebt sich vom Erzählten hin zum Erzählen. Schlusssatz Es fehlte nämlich, wie an Dichtern, so auch allgemach an Schauspielern und endlich sogar an einem Publikum. Ein Zitat aus Lesings Ein und achtzigstem Brief, die neueste Literatur betreffend: Das ist ohne Zweifel der Hauptpunkt! Wir haben kein Theater. Wir haben keine Schauspieler. Wir haben keine Zuhörer. (6. 2. 1760)