Andreas Gryphius : Tränen des Vaterlands Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret! Der frechen^1 Völker Schar, die rasende Posaun Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun^2 Hat aller Schweiß, und Fleiß, und Vorrat aufgezehret. Die Türme stehn in Glut, die Kirch' ist umgekehret. 5 Das Rathaus liegt im Graus^3 , die Starken sind zerhaun, Die Jungfern sind geschänd't, und wo wir hin nur schaun Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret. Hier durch die Schanz und Stadt rinnt allzeit frisches Blut. 10 Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut Von Leichen fast verstopft, sich langsam fort gedrungen^4 . Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod, Was grimmer^5 denn die Pest, und Glut und Hungersnot, Dass auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.^6 15 Christian Hofmann von Hofmannswaldau: Die Welt Was ist die Welt / und ihr berühmtes gläntzen? Was ist die Welt und ihre gantze Pracht? Ein schnöder Schein in kurtzgefasten Gräntzen / Ein schneller Blitz bey schwartzgewölckter Nacht. Ein bundtes Feld / da Kummerdisteln grünen; Ein schön Spital / so voller Kranckheit steckt. Ein Sclavenhauß / da alle Menschen dienen / Ein faules Grab / so Alabaster deckt. Das ist der Grund / darauff wir Menschen bauen / Und was das Fleisch für einen Abgott hält. Komm Seele / komm / und lerne weiter schauen / Als sich erstreckt der Zirckel dieser Welt. Streich ab von dir derselben kurtzes Prangen / Halt ihre Lust vor eine schwere Last. So wirstu leicht in diesen Port gelangen / Da Ewigkeit und Schönheit sich umbfast. Brockes, Barthold Heinrich : Kirschblüte bei Nacht Ich sahe mit betrachtendem Gemüte Jüngst einen Kirschbaum, welcher blühte, In kühler Nacht beim Mondenschein; Ich glaubt´, es könne nichts von größrer Weiße sein. Es schien, als wär ein Schnee gefallen Ein jeder, auch der kleinste Ast Trug gleichsam eine rechte Last Von zierlich weißen, runden Ballen. Es ist kein Schwan so weiß, da nämlich jedes Blatt, Indem daselbst des Mondes sanftes Licht Selbst durch die zarten Blätter bricht Sogar den Schatten weiß und sonder Schwärze hat. Unmöglich, dacht ich, kann auf Erden Was weißers angetroffen werden. Indem ich nun bald hin, bald her Im Schatten dieses Baumes gehe, Sah ich von ungefähr Durch alle Blumen in die Höhe Und ward noch einen weißern Schein, Der tausendmal so weiß, der tausendmal so klar, Fast halb darob erstaunt, gewahr. Der Blüte Schnee schien schwarz zu sein Bei diesem weißen Glanz. Es fiel mir ins Gesicht Von einem hellen Stern ein weißes Licht, Das mir recht in die Seele strahlte. Wie sehr ich mich an Gott im Irdischen ergetze, Dacht ich, hat Er dennoch weit größre Schätze. Die größte Schönheit dieser Erden Kann mit der himmlischen doch nicht verglichen werden.