Klopstock Frühlingsfeier Hymne (gr. hymnos) - von der Verehrung des Gottes (Dionysos; Dithyrambos) oder eines Helden (homerischer Epen) ausgehende (anfangs auch gesungene) lyrische Form, die formal strophisch gegliedert, thematisch jedoch nicht festgelegt ist auf religiöse Verherrlichung, (in der Aufklärung) auch auf eine Belehrung des Lesers abzielt und in der Empfindsamkeit deutlich das individuelle Gefühl gewichtet (Klopstock). Welche Stimmungen beherrschen den Sprecher dieses Gedichts? Stützen Sie Ihre Vermutungen mit Textbeispielen. Die Nähe der Hymne Klopstocks zu Gebet und Predigt ist unüberhörbar. Markieren Sie im Text die auf die Natur und die auf Gott bezogenen Passagen. Prüfen Sie anhand ihrer Ergebnisse, was in der damaligen Zeit das Naturerlebnis und die religiösen Empfindungen miteinander verbindet. Versuchen Sie den Text in Verse und Strophen zu gliedern: Nun schweben sie, rauschen sie, wirbeln die Winde! Wie beugt sich der Wald! wie hebt sich der Strom! Sichtbar, wie du es Sterblichen seyn kanst, Ja, das bist du, sichtbar, Unendlicher! Der Wald neigt sich, der Strom fliehet, und ich Falle nicht auf mein Angesicht? Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnädig! Du Naher! erbarme dich meiner! Zürnest du, Herr, Weil Nacht dein Gewand ist? Diese Nacht ist Segen der Erde. Vater, du zürnest nicht! Sie komt, Erfrischung auszuschütten, Über den stärkenden Halm! Über die herzerfreuende Traube! Vater, du zürnest nicht! Alles ist still vor dir, du Naher! Rings umher ist Alles still! Auch das Würmchen mit Golde bedeckt, merkt auf! Ist es vielleicht nicht seelenlos? ist es unsterblich? Ach, vermöcht' ich dich, Herr, wie ich dürste, zu preisen! Immer herlicher offenbarest du dich! Immer dunkler wird die Nacht um dich, Und voller von Segen! Seht ihr den Zeugen des Nahen den zückenden Strahl? Hört ihr Jehova's Donner? Hört ihr ihn? hört ihr ihn, Den erschütternden Donner des Herrn? Herr! Herr! Gott! Barmherzig, und gnädig! Angebetet, gepriesen Sey dein herlicher Name! Und die Gewitterwinde? sie tragen den Donner! Wie sie rauschen! wie sie mit lauter Woge den Wald durchströ- men! Und nun schweigen sie. Langsam wandelt Die schwarze Wolke. Seht ihr den neuen Zeugen des Nahen, den fliegenden Strahl? Höret ihr hoch in der Wolke den Donner des Herrn? Er ruft: Jehova! Jehova! Und der geschmetterte Wald dampft! Aber nicht unsre Hütte! Unser Vater gebot Seinem Verderber, Vor unsrer Hütte vorüberzugehn! Ach, schon rauscht, schon rauscht Himmel, und Erde vom gnädigen Regen! Nun ist, wie dürstete sie! die Erd' erquickt, Und der Himmel der Segensfüll' entlastet! Siehe, nun komt Jehova nicht mehr im Wetter, In stillem, sanftem Säuseln Komt Jehova, Und unter ihm neigt sich der Bogen des Friedens! : Hört ihr den Donner des Herrn? Der Empfindsame: Friedrich Gottlieb Klopstock verhalf in der Dichtung dem modernen Subjekt zu seinem Gefühlsleben. Von [1]Ijoma Mangold 22. Januar 2015 DIE ZEIT Nr. 2/2015, 8. Januar 2015 Den Höhepunkt seiner Berühmtheit erreichte Friedrich Gottlieb Klopstock ausgerechnet in einem Buch des Mannes, in dessen Schatten sein eigener Ruhm sehr bald mit gespenstischer Lautlosigkeit zerging: in Goethes Werther. Während des Balls, auf dem sich Lotte und Werther kennen lernen und der erste Funke überspringt, kommt es zu einem kräftigen Sommergewitter. Der Regen prasselt in die Wiesen. Die beiden jungen Leute stehen am Fenster und schauen auf die dampfende Natur. Lottens Augen sind "tränenvoll". Als der letzte Donner in der Ferne verweht, legt sie ihre Hand in die Werthers und sagt: "Klopstock." Say no more! Dieser Name ist eine Losung, über die sich Liebende blind verständigen konnten – so wie das heute mit Band-Namen als Chiffren gemeinsamer Weltrepräsentation funktioniert. Wenn man damals, in der Mitte des 18. Jahrhunderts, "Klopstock" sagte, sagte man dreierlei. Erstens: Ich bin ein empfindendes Gemüt, empfänglich für die erhabene Schönheit von Gottes Schöpfung. Zweitens: Ich sage mit Emphase "ich", weil meine Seele der subjektive Spiegel der göttlichen Natur ist. Und drittens: Dieses Ich möchte seine Gefühle teilen – entweder in der Liebe oder in der Freundschaft, jedenfalls in einer kommunikativen Intimbeziehung. FRIEDRICH GOTTLIEB KLOPSTOCK (1724 - 1803) Klopstock war der Miterfinder schwärmerischer Subjektivität. Die Epoche, der er zugerechnet wird, heißt nicht ohne Grund Empfindsamkeit. Die Dichter des Göttinger Hainbunds gehörten dazu, mit denen Klopstock, als ihre Vaterfigur, in enger Verbindung stand. Sie zelebrierten die Freundschaft und die Gefühle, und es war wichtig, möglichst oft in Tränen der Rührung auszubrechen, um sich als Mensch zu zeigen. Wenn Lotte beim Anblick eines Sommergewitters "Klopstock" sagt, dann denkt sie an dessen berühmte Ode Die Frühlingsfeier, die in ekstatischem Hymnenton in Blitz und Donner die Gegenwart Gottes preist: "Und die Gewitterwinde? Sie tragen den Donner! / Wie sie rauschen! Wie sie die Wälder durchrauschen! (…) Hört ihr, hoch in den Wolken, den Donner des Herrn?" Klopstocks Hymnen haben etwas von der Halleluja-Seligkeit einer Pfingstgemeinde. Klopstock war Pietist. Der Pietismus entinstitutionalisierte den Glauben und verlegte die Frömmigkeit auf dem Weg der Selbstbeobachtung in die eigene Seele. Er war der Geburtshelfer des modernen Subjekts. In diesem Kontext waren Klopstocks Oden mehr als nur Gedichte – sie waren das Sprachrohr einer neuen Form, Mensch zu sein: Die Dämme des steifen Hofzeremoniells waren gebrochen, die Jugend weinte gemeinsam und schwelgte in ihren Gefühlen. Klopstocks Gedicht Der Eislauf begeisterte eine ganze Generation für das Schlittschuhlaufen – auch der junge Goethe war vom Eislauffieber gepackt. So gesehen, hat Klopstock eigentlich alles richtig gemacht: Er hat die deutsche Lyrik aus dem regelpoetischen Korsett befreit, er hat das Erlebnis in die Mitte des Gedichts gestellt, er war der Erweckungspriester einer ganzen Generation. Doch dann kam Goethe. Goethe schritt auf Klopstocks Pfaden – nur ging er so viel weiter, dass er das Klopstock-Terrain hinter sich ließ. Auch Goethe schuf seine berühmtesten Sturm-und-Drang-Gedichte aus dem Erlebnis heraus, auch er sagte beispiellos selbstbewusst "ich", aber er tat es in einer Weise, mit der verglichen Klopstock plötzlich hölzern, posenhaft und frömmelnd wirkte. Verglichen mit Goethes sprachlicher Spontan-Individualität, klang Klopstock wie Rollenprosa. Und anders als Klopstock brauchte Goethe kein religiöses Dekor mehr, um die Regungen eines leidenden und liebenden Subjekts vor Sturmkulisse zu feiern. Klopstocks Stern sank dann schneller als eine Sternschnuppe. Schon 1753 dichtete Lessing spöttisch über Klopstocks gewaltiges VerseposMessias: "Wer wird nicht einen Klopstock loben? / Doch wird ihn jeder lesen? – Nein! / Wir wollen weniger erhoben / und fleißiger gelesen sein." Und in Grabbes Theaterstück Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutungbenutzt der Teufel Klopstock als "altes, unfehlbares Schlafmittelchen". Wenn es eine Wasserscheide der Zeitgenossenschaft gibt, dann verläuft sie zwischen Klopstock und Goethe: Wir sind noch immer Goethes Zeitgenossen, aber für Klopstock sind wir taub.