Friedrich Gottlieb Klopstock: V o n d e r h e i l i g e n P o e s i e .[1] 1 7 5 4 / 5 5 __________________________________________ Das Publicum ist sehr berechtigt, von dem, der etwas den Aussprüchen desselben unterwirft, zu fordern, daß er, wenn er das Gemälde aufgestellt hat, weggehe, und schweige. Ich darf sagen, daß ich diesem Gesetze beynahe mit einer Art Gewissenhaftigkeit nachgelebt habe. Ich habe mich gleich von Anfange unter die Zuschauer gemischt, geschwiegen, und von einigen gelernt. Ich werde auch itzt nichts anders thun. Ich werde nur einige von den Zuschauern, die mich hören wollen, auf die Seite nehmen, und sie auf eine Stelle führen, von welcher, wie ich glaube, Gedichte von dieser Art, in ihrem wahren Gesichtspunkte, angesehn werden. Meine Absicht ist also nicht, vom Messias; sondern von derjenigen Poesie, die ich die heilige nenne, überhaupt zu reden. Ich weis sehr wohl, daß ich mich hier doppelter Gefahr aussetze. Die erste ist, daß ich von einer Sache nur etwas sage, von der man ein Buch schreiben müste, sie ganz zu sagen. Und es ist schwer, von einer wichtigen Sache genung zu sagen, wenn man sie nicht erschöpft. Die zweite Gefahr ist, daß ich meine Richter an die strengen Forderungen erinnre, die sie, so sehr berechtigt, an denjenigen thun, der es unternimmt, sie, durch diesen Weg, auf den erhabnen Schauplatz der Religion zu führen. Allein so wohl diese Vorstellung, als auch meine Abneigung, etwas, das zur Kritik gehört, zu schreiben, hat bey mir der Gedanke überwunden, daß ich dadurch vielleicht etwas thäte, das einigen nützen, und andern angenehm seyn könnte. Eh ich von der Sache selbst rede, kann ich die Frage nicht ganz unberührt lassen: Ob es erlaubt sey, den Inhalt zu Gedichten aus der Religion zu nehmen? Es können sie einige, aus wirklicher Frömmigkeit, thun. Diesen antworte ich mit der Ehrerbietung, die ich gegen jedes rechtschafne Herz habe. Der Theil der Offenbarung, der uns Begebenheiten meldet, besteht meistentheils nur aus Grundrissen, da doch diese Begebenheiten, wie sie wirklich geschahn, ein grosses ausgebildetes Gemälde waren. Ein Dichter studirt diesen reichen Grundriß, und mahlt ihn nach den Hauptzügen aus, die er in demselben gefunden zu haben glaubt. Zugleich weis man von ihm, daß er dieß für nichts mehr, als Erdichtungen ausgiebt. Er thut, in seiner Art, nichts weiter, als was ein anderer thut, der, aus den nicht historischen Wahrheiten der Religion, Folgen herleitet. Sie dachten, auf verschiedne Weise, über die Religion nach. Wenn aber ein andrer aus noch zärterer Sorgfalt, nichts Fremdes in die Religion einmischen zu lassen, einwendet: Der Dichter bringt mich, durch seine mächtigen Künste dahin, daß ich zu der Zeit, da ich ihn lese, oder auch noch länger, vergesse, daß es ein Gedicht ist. Ist es erlaubt, daß Jemand mich und viele zu einer solchen Art zu denken verleite, daß wir unvermerkt Geschichte, von denen wir nicht gewiß wissen, daß sie geschehen sind, für Geschichte von so grosser Bedeutung, von solchen Endzwecken, für Geschichte der Religion, ansehn? Wenn Jemand diesen Einwurf im Ernste machen könnte, würde ich sagen: Die Folgen, die er aus den Geschichten zieht, welche er, in diesem Feuer des Herzens oder der Einbildungskraft, für wahr hält, sind seinem moralischen Charakter nicht schädlich. So bald die Geschichte von einer Art wären, daß sie dieses seyn könnten, so wird er gewiß, eh er danach handelt, sich erinnern, daß es Erdichtungen sind. Da ich also, wie ich glaube, die Erlaubniß, in der Religion zu dichten, annehmen darf; oder mit andern Worten, da ich für erlaubt halte, auch nach poetischer Denkungsart, dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, weiter zu entwickeln: so gehe ich zu dieser viel wesentlicheren Frage fort: Unter welchen Bedingungen man von Materien der Religion dichten dürfe? Diese Bedingungen werden von nichts Geringern, als von dem innern Plane der Religion bestimmt. Ein Theil des Entwurfs und der Ausbildung eines heiligen Gedichts hängt zwar von dem Genie und dem Geschmacke des Poeten ab; ein anderer Theil aber, und vielleicht der größte, gehört vor den Richterstul der Religion. Es ist hier sogar nicht genung, daß der Verfasser des heiligen Gedichts den Riß der Religion tiefsinnig studirt habe, ihren grossen Umfang, nebst allen ihren Verhältnissen genau kenne; sie muß auch sein Herz, mit derjenigen starken Hand gebildet haben, die an dem rechtschaffnen Manne, der sie versteht, so kennbar ist. Eh ich diese Gedanken weiter aus einander setze, und sie in einigen ihrer beynahe unzählbaren und fast immer moralischen Aussichten zeige, muß ich mich in wenigen Anmerkungen auf das beziehn, was in dem heiligen Gedichte von dem Genie und Geschmack allein abhängt. Einige meiner Leser bitte ich, dieß zu überblättern. Sie wissen, von welchem grossen Umfange des Schönen und des Nützlichen die Poesie ist; welche würdige und mannichfaltige moralische Absichten sie haben kann, immer haben sollte, und selten hat. Sie wissen, was die Welt, von dem aufgeklärtesten Richter an, bis auf den lezten Nachsager, von der höhern Poesie fordert. Sie haben gelesen, und selbst gedacht. Sie halten nur das durch die Zeit reifgewordne Urtheil des Publici, und nicht den Kritikus, für unfehlbar. Dieser hatte sie oft überzeugt, daß, was er Geschmack nenne, nicht selten Kurzsichtigkeit, Eigensinn, Einseitigkeit, oder gar nur Mode sey. Sie haben festgesetzt, daß in Einem kleinen Stücke des Virgils, und derer, die mit ihm genannt zu werden verdienen, mehr eigentliche, und wahre Regel, als in vielen Lehrbüchern sey. Es sind aber noch andre, und eben so verehrungswürdige Leser, die wenig von diesem allen wissen, es zu wissen verdienen, eine unverdorbne natürliche Empfindung, und ein gutes Herz haben. Sie sind ein sehr würdiger, so schätzbarer, und der größte Theil des Publici, wenn man nicht alle, die sich ins Urtheilen mischen, zum Publico rechnet. Der Verfasser eines heiligen Gedichts muß besonders auch für sie schreiben. Und für sie mache ich folgende wenige Anmerkungen über die höhere Poesie, welche ich voraussetzen muß, um die Frage zu erklären: Auf welche Art man von Materien der Religion dichten dürfe? Ich will jenes in kurzen Sätzen thun. Die höhere Poesie ist ein Werk des Genie; und sie soll nur selten einige Züge des Witzes, zum Ausmalen, anwenden. Es giebt Werke des Witzes, die Meisterstücke sind, ohne daß das Herz etwas dazu beygetragen hatte. Allein, das Genie ohne Herz, wäre nur halbes Genie. Die lezten und höchsten Wirkungen der Werke des Genie sind, daß sie die ganze Seele bewegen. Wir können hier einige Stufen der starken und der stärkern Empfindung hinaufsteigen. Dieß ist der Schauplatz des Erhabnen. Wer es für einen geringen Unterschied hält, die Seele leicht rühren; oder sie ganz in allen ihren mächtigen Kräften, bewegen: der denkt nicht würdig genung von ihr. Man fordert von demjenigen, der unsre Seele so zu bewegen unternimmt, daß er jede Saite derselben, auf ihre Art, ganz treffe. Sie bemerkt hier jeden Miston, auch den feinsten. Wer dieses recht überdacht hat, wird sich oft entschlossen haben, lieber gar nicht zu schreiben. Wem es dennoch glückt, der hat Empfindungen in uns hervorgebracht, die, weder die höchste philosophische Überzeugung, noch die andern Arten der Poesie, verursachen können. Diese Eindrücke haben, in Betrachtung der Stärke und der Dauer, einige Ähnlichkeit mit dem Exempel, das ein grosser Mann giebt. Die höhere Poesie ist ganz unfähig, uns durch blendende Vorstellungen zum Bösen zu verführen. So bald sie das thun wollte, hört sie auf zu seyn, was sie ist. Denn so sehr auch einige sich selbst klein machen wollen, so können sie sich doch niemals so weit herunter bringen, daß sie etwas anderm, als was wirklich edel und erhaben ist, diese grosse und allgemeine Bewegung aller Kräfte ihrer Seele erlaubten. Der lezte Endzweck der höhern Poesie, und zugleich das wahre Kennzeichen ihres Werths, ist die moralische Schönheit. Und auch diese allein verdient es, daß sie unsre ganze Seele in Bewegung setze. Der Poet, den wir meinen, muß uns über unsre kurzsichtige Art zu denken erheben, und uns dem Strome entreissen, mit dem wir fortgezogen werden. Er muß uns mächtig daran erinnern, daß wir unsterblich sind, und auch schon in diesem Leben, viel glückseliger seyn könnten. Der Mensch, auf diese Höhe geführt, und in diesem Gesichtspunkte angesehn, ist der eigentliche Zuhörer, den die höhere Poesie verlangt. Man kann hier, auch ohne Offenbarung, schon weit gehn. Homer ist, ausser seiner Göttergeschichte, die er nicht erfunden hatte, schon sehr moralisch. Wenn aber die Offenbarung unsre Führerinn wird; so steigen wir von einem Hügel auf ein Gebirge. Youngs Nächte[2] sind vielleicht das einzige Werk der höhern Poesie, welches verdiente, gar keine Fehler zu haben. Wenn wir ihm nehmen, was er als Christ sagt, so bleibt uns Sokrates übrig. Aber wie weit ist der Christ über Sokrates erhaben! Vielleicht sind auch noch folgende Anmerkungen, in Betrachtung dessen, was ich von der heiligen Poesie zu sagen habe, nicht überflüssig. Wir haben uns gewöhnt, der Seele Verstand, Einbildungskraft, und Willen, als Hauptkräfte, zu geben. Das Gedächtniß, das immer mit jenen zugleich wirkt, gehört nicht hierher. Wer Werke der höhern Poesie unternimmt, sieht dieß, nach seinem Endzwecke, so an. Die Einbildungskraft ist ihm öfter eine Malerinn des grossen und furchtbaren Schönen in der Natur, als ihrer sanftrührenden Gegenstände. Indem er jenes malt, gelingen ihm alsdann die stärksten Züge, wenn er sich, durch das Feuer seiner Abbildung, der Leidenschaft nähert. Dem Verstande legt er am liebsten diejenigen Wahrheiten vor, die gewust zu werden verdienen, und die nur der rechtschafne Mann ganz versteht. Und in dem Willen, oder dem Herzen, dieser vielseitigen und gewaltigsten Kraft der Seele, sucht er vorzüglich diejenigen Empfindungen zu treffen, die es erweitern, die es groß und edel seyn lehren. Aber sein Zweck geht weiter, als eine Kraft der Seele, indeß daß die andern schlummern, nur zu erregen, sie sanft zu unterhalten, und ihr einen stillen Beyfall abzulocken. Eine Absicht, welche auch Meisterstücke hervorgebracht hat! Er bringt uns, (welches ihm besonders alsdann glückt, wenn ihn der Schauspieler, oder der Vorleser verstanden hat,) er bringt uns mit schneller Gewalt dahin, daß wir ausrufen, uns laut freuen; tiefsinnig stehn bleiben, denken, schweigen; oder blaß werden, zittern, weinen. Die Kritik sollte sich fast nicht einlassen, die Ursachen dieser so schnellen und so mächtigen Wirkungen aufzusuchen. Sie sind von so verschiedenen Feinheiten, und diese haben ein so mannichfaltiges Verhältniß untereinander, daß es unendlich schwer ist, sie alle mit Richtigkeit zu entwickeln. Und wenn sie entwickelt sind, so untersucht sie der Leser von tiefsinnigem Geschmacke zwar gern; allein der Poet wuste sie schon, und wuste noch mehr, als diese; oder, wenn er auch etwas Neues lernte, so wurde er doch nicht mehr Poet dadurch. Überdieß sind diese feinen Entwicklungen, die den Faden durch das ganze Labyrinth ziehn, zu sehr der Gefahr ausgesetzt, unrichtig, durch ihre Feinheit, zu werden. Doch etwas läßt sich davon sagen. Das Schwerste für den Verfasser und den Beurtheiler jedes grössern Gedichts ist der Grundriß des Ganzen. Das wesentlichste dieses Grundrisses ist, Einfalt und Mannichfaltigkeit auf eine Art verbinden, die grossen Endzwecken angemessen ist; eine gewisse Hoheit in die Hauptidee des Gedichts bringen; die kühne Erfindung eben an ihre Gränzen, und keinen Schritt darüber, führen; neue Charaktere, aber diese so groß und so liebenswürdig zeigen, daß es uns sonderbar vorkömmt, daß sie dennoch neu sind; die Hauptbegebenheiten Hand an Hand so auf Einem Schauplatz fortleiten, daß die Episode immer um sie und neben ihnen ist, und sich so wenig jenseits der Berge verirrt, daß sie sich vielmehr oft in die Reihe der Hauptbegebenheiten einflicht. Es ist noch eine gewisse Ordnung des Plans, wo die Kunst in ihrem geheimsten Hinterhalte verdeckt ist, und desto mächtiger wirkt, je verborgner sie ist. Ich meine die Verbindung und die abgemeßne Abwechslung derjenigen Scenen, wo in dieser Einbildungskraft; in jener die weniger eingekleidete Wahrheit; und in einer andern die Leidenschaft, vorzüglich herrschen: wie sich diese Scenen einander vorbereiten, unterstützen, oder erhöhn; wie sie dem Ganzen eine größre, unangemerkte, aber gewiß gefühlte Harmonie geben. Wir wollen annehmen, daß sich der Poet vorgesetzt habe, in einer gewissen wichtigen Stelle unser Herz in einem sehr hohen Grade zu bewegen. Vielleicht würde er unvermerkt auf folgende Art verfahren. Vielleicht würde er sich auch den Entwurf gemacht haben, es zu thun. Hier das Herz mit dieser Stärke zu bewegen, sagt er zu sich, muß ich immer, und so steigen, daß jeder meiner vorhergehenden Schritte Vorbereitung sey. Diesen stummen, erstaunungsvollen Schmerz will ich hervorbringen! Ich muß meine Hörer nach und nach mit wehmütigen Bildern umgeben. Ich muß sie vorher an gewisse Wahrheiten erinnern, die ihre Seele für diesen lezten grossen Eindruck aufschliessen. Wenn sie eine Weile bey Gräbern, die noch mit Blumen bedeckt waren, vorübergegangen sind, dann sollen sie, noch schnell genung, an die tiefe, todtenvolle Gruft kommen. Führte ich sie auf einmal dahin, so würden sie mehr betäubt werden, als fühlen. Es gehören diese Vorbereitungen ohnedieß zu meinem übrigen Plane; und itzt will ich sie, aus dieser Ursache, so anordnen. Einige werden diese Anmerkungen über die Kunst des Plans für zu hoch getrieben halten; aber wohl nur diejenigen, die, wenn sie anderer Meinung gewesen wären, den Satz in der Ausübung übertrieben hätten. Das Erhabne, wenn es zu seiner vollen Reife gekommen ist, bewegt die ganze Seele. Und welche Seele am meisten? Die selbst Hoheit hat, die selten bewundert, aber auch mehr bewundert, als irgend eine kleine, wenn sie muß. Mittelmässige Seelen trift es nur mit einem gewissen Schlage, den sie nicht ganz fühlen, weil sie mehr durch ihn erschüttert werden, als ihn fühlen. Die Kräfte unsrer Seelen haben eine solche Harmonie unter sich, sie fliessen, wenn ich es sagen darf, so beständig in einander, daß, wenn Eine stark getroffen wird, die andern mit empfinden, und in ihrer Art zugleich wirken. Der Poet zeigt uns ein Bild. Dem Bilde giebt er so viel Ebenmaaß und Richtigkeit, daß es auch den Verstand reizt, oder er weis ihm gewisse Züge mitzutheilen, die nahe an die Empfindung des Herzens gränzen. Die ungeschmükte Wahrheit, die allein den Verstand zu beschäftigen schien, hat gleichwohl unter seiner Hand einige helle Minen der Bilder angenommen, oder sie zeigt sich mit einer solchen Würde und Hoheit, daß sie die edelsten Begierden des Herzens reizt, sie in Tugend zu verwandeln. Ist es das Herz, so der Poet angreift, wie schnell entflammt uns dieß! Die ganze Seele wird weiter, alle Bilder der Einbildungskraft erwachen, alle Gedanken denken grösser. Denn ob gleich einige Leidenschaften eine gewisse ruhige Art zu denken ganz unterbrechen, so feuert uns doch überhaupt das bewegte Herz an, schnell, groß und wahr zu denken. Welche neue Harmonie der Seele entdecken wir dann in uns! Mit welchem ungewohnten Schwunge erheben sich die Gedanken und Empfindungen in uns! Welche Entwürfe! welche Entschlüsse! Aber dieser unsrer Erhebung hängt oft noch eine gewisse Mittelmässigkeit an. Wir fühlens, wir wollten uns noch höher erheben. Unsre Seele ist noch weiter. Sie kann noch mehr fassen. Uns fehlte die Religion noch. Wir waren nur noch in der Sphäre, wo wir selbst die Wahrheiten erfunden haben. Wie glücklich ist gleichwohl derjenige, der hier viel weis, viel denkt, und viel empfindet. Aber wie glückselig der, der auch nur angefangen hat, die viel höhern Wahrheiten der Religion zu verstehn, und zu empfinden. Die Religion ist, in der Offenbarung selbst, ein gesunder männlicher Körper. Unsre Lehrbücher haben ein Gerippe daraus gemacht. Doch haben sie in ihren Absichten ihren grossen Nutzen. Der Verfasser des heiligen Gedichts ahmt der Religion nach; wie er, in einem nicht viel verschiedenen Verstande, der Natur nachahmen soll. Ob gleich die Offenbarung, in Absicht auf die Lehren fürs Herz, nur auf dem Wege der Natur fortgegangen war; so ist doch ihr Mittel uns von neuem glückselig und tugendhaft zu machen, weit über die Natur erhaben. Das heilige Gedicht ist auf einem viel höhern Schauplatze. Der Plan der Offenbarung ist seine erste Regel. Ein Gedicht, dessen Inhalt aus gewissen Geschichten des ersten Bundes genommen würde, müste nach einer andern Hauptidee gearbeitet werden, als eins, so das Innre der Religion näher anginge. Jenem wäre, wenn ich so sagen darf, noch eine Art Weltlichkeit erlaubt. Der Anstand oder die Würdigkeit, so wohl der handelnden Personen als ihrer Handlung, ist vielleicht das schwerste in dem heiligen Gedichte. Diese Schwierigkeit geht so weit, daß man mit vielen Gründen behaupten könnte, Gott gar nicht reden zu lassen. Die Offenbarung selbst führt Gott auf doppelte Art redend ein. Bald redet er ganz kurz, und ganz als der Schöpfer und Richter der Welt; bald so erbarmend, daß er den Menschen die Ursachen seiner Gerichte anzeigt, und die Bedingungen, unter welchen sie Gnade erlangen sollen, oft wiederholt. Diese Würdigkeit soll sich eben so in den menschlichen Bildern zeigen, durch die der Dichter die Handlungen Gottes vorstellt. Er muß hier mit genauer Sorgfalt in den Fußtapfen der Offenbarung bleiben. Man könnte, den höchsten Grad dieses Anstands, Feyerlichkeit nennen. Eine Handlung, die an sich selbst wahrscheinlich ist, wird, durch den Mangel der Würdigkeit, unwahrscheinlich. Diese Würdigkeit muß für die geringsten Personen des heiligen Gedichts einige Züge übrig haben. Und um ihrentwillen gehören weder gewisse Personen, noch gewisse Handlungen darein, die in andern epischen Gedichten einen Platz verdienten. Die Geschichte der Bibel, besonders die, so das Innre der Religion näher angeht, enthält nur einige der grossen Thaten, die geschehn sind, und sie sagt uns selbst in starken Ausdrücken, daß die meisten für uns (gewiß nur so lange wir hier leben) verloren sind. Einige andere entwirft sie mit so wenigen Worten, daß wir nothwendig Umstände hinzudenken müssen, um sie uns vorzustellen. Dieß sind Gründe für die Wahrscheinlichkeit der Erdichtungen überhaupt. Gewisse Wahrheiten, deren völlige Erkenntniß uns in diesem Leben noch nicht nothwendig ist, sind uns so offenbart, daß sie so viel Winke zu seyn scheinen, weiter über diese Wahrheiten nachzudenken. Entdeckungen, die wir auf diese Art machen, gehören in das heilige Gedicht. Und oft können wir Erdichtungen darauf gründen. Einige Kritici sind viel zu freygebig mit der Erlaubniß gewesen, nach welcher der Dichter, auf die Sage, in Absicht der Geschichte; und auf den Wahn, in Betrachtung der Grundsätze, fortbauen dürfe. Der Verfasser des heiligen Gedichts muß hier vor allen andern Dichtern am behutsamsten seyn. Wenn alles dieß, was der Poet auf diese oder jene Art folgert, oder hinzudichtet, demjenigen, was wir gewiß wissen, nicht allein nicht widerspricht, sondern auch in dem lichtvollen Plane der Religion kein zu dunkler Schatten ist; so hat er sich aufs wenigste bemüht, der Religion nicht unwürdig zu dichten. Dasjenige, was uns die Offenbarung lehrt, bestehe, aus moralischen Wahrheiten; aus Begebenheiten; aus Prophezeyungen; aus Geheimnissen; und aus solchen Stellen, wo das Geheimnißvolle mit jenen, besonders mit moralischen Wahrheiten, vermischt ist. Ob gleich überhaupt dieses alles sehr deutlich geschrieben ist; so giebt es doch auch viel tiefsinnige Stücke. Es ist sonderbar, daß die Ausleger eben so oft bey den deutlichen Stellen, als bey den tiefsinnigen, geirrt haben. Ich nenne schon Irrthum, wenn man zuweilen da hundert Schritte sehn will, wo man nur einige sehn sollte, und wenn man sehn will, wo man nur glauben sollte. Im Gegentheil nenne ich eine Vermuthung, als eine solche betrachtet, noch nicht Irrthum. Denn wir dürfen, wo wir in der Schrift dazu veranlaßt werden, mit Demut vermuthen. Aber so wohl in Betrachtung dessen, was wir für eine vermuthliche Wahrheit, als auch dessen, so wir für eine gewisse halten, scheint es, daß der Verfasser des heiligen Gedichts sich folgendes zur Regel zu machen habe. Die moralische Wahrheit der Bibel, besonders da, wo sie eine Stufe höher, als die philosophische, steigt, muß in ihrer vollen Stärke gesagt werden; aber nicht mürrisch und trübsinnig. Die Offenbarung ist beydes nicht. Sie ist voll Ernst. Einige heilige Begebenheiten lassen eben so wenig eine Ausbildung zu, als sie andre zu fordern scheinen. Die Stelle: «Die Gräber thaten sich auf, und stunden auf viele Leiber der Heiligen, die da schliefen; und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung, und kamen in die heilige Stadt, und erschienen vielen.» Diese Stelle ist von der lezten Art. Wo eine Anwendung der Prophezeiung nöthig seyn sollte; so hat sie keine andre Regel, als die allgemeine Regel der Schriftausleger, die sie dabey zu beobachten haben. Nur müste der Dichter die Erfüllung in eben dem Tone beschreiben, in welchem der Prophet die Begebenheit vorher verkündigt hat. Die Geheimnisse sind dasjenige, was mit der meisten Einfalt gesagt werden muß, ausser wo sie, daß ich so sage, zu Begebenheiten werden. Alles, was der Messias thut, ist Geheimniß, weil er der Gottmensch ist, aber dennoch ist es zugleich historisch. Bey den vermischten Geheimnissen, zum Exempel, bey der Ordnung, in welcher der Mensch selig werden soll, ist dem Dichter vorzüglich die äusserste Sorgfalt nöthig, seiner grossen Wegweiserinn, der Offenbarung, zu folgen. Da ich vorher sagte, der Dichter müsse der Religion nachahmen, wie er der Natur nachahmen soll; so meinte ich nicht die Schreibart der Offenbarung. Ich meinte den Hauptplan der Religion: Grosse wunderbare Begebenheiten, die geschehen sind, noch wunderbarere, die geschehen sollen! eben solche Wahrheiten! diesen Anstand! diese Hoheit! diese Einfalt! den Ernst! diese Liebenswürdigkeit! diese Schönheit! so weit sie sich durch eine menschliche Nachahmung erreichen lassen. Die Nachahmung der Propheten, so fern ihre Werke Meisterstücke der Beredsamkeit in Absicht auf den Ausdruck sind, ist etwas anders. Die Griechen, die Römer, und die Franzosen, haben ein goldenes Weltalter ihrer schönen Wissenschaften, das in kurzer Zeit eingeschränckt ist. (Ich weiß nicht, warum wir vergessen haben, den Engländern auch eins zu geben? Es ist schon lange her, daß sie Meisterstücke haben. Und mindstens haben sie, durch Glover, nicht aufgehört.) Das goldne Weltalter der Hebräer ist von viel längrer Dauer. Es fängt mit Moses oder Hiob an. Und es sind zwo verschiedne Sachen, die Schreibart der Morgenländer überhaupt, und die Schreibart der Offenbarung. Die höhern Wesen, welche, für unsre philosophische Erkenntniß, ausser der Schöpfung waren, die wir kennen, sind durch die Offenbarung in dieselbe zurückgekommen. Aber sie musten, nach unsrer Art zu denken, auch für die Einbildungskraft gebildet werden. Und daß sie dieß würden, hat seine guten Gründe. Es ist wahrscheinlich, daß endliche Geister, die sich besonders auch mit Betrachtung der Körperwelt beschäftigen, Leiber haben. Und es ist nicht ganz ohne Wahrscheinlichkeit, daß Wesen, die Gott auch so sehr bey der Seligkeit der Menschen braucht, einen Körper empfingen, der demjenigen ähnlich war, welchen der Mittler dieser Seligkeit annahm. Der Verfasser des heiligen Gedichts ist hier auf eine ganz neue Scene der Einbildungskraft geführt. Hier kann er besonders seinem grossen Zwecke am nächsten kommen, den Bildern solche Züge zu geben, daß er zugleich den Verstand beschäftigt, oder die Empfindungen des Herzens in Bewegung setzt. Einfalt und Hoheit sind hier die Züge der lezten Hand. Und welche erstaunungswürdige Wahrheiten legt die Religion dem Verstande vor! Wie bringen diese in unsre Seele diejenige Hoheit zurück, die ihr angeschaffen war! Und wie vielseitig sind sie! Jeder ihrer Zweige giebt dem Wandrer, der von Kleinigkeiten ermüdet war, einen Schatten, unter dem er ausruhn, und sein wahreres Leben athmen kann. Seyd vollkommen, wie Gott! sagte der grosse Stifter unsrer Religion. Wenn der Dichter diese Wahrheiten nicht vergebens sagen will; so muß er sie so sagen, daß sie das Herz eben so sehr als den Verstand beschäftigen. Das Herz ganz zu rühren, ist überhaupt, in jeder Art der Beredsamkeit, das höchste, was sich der Meister vorsetzen, und was der Hörer von ihm fordern kann. Es durch die Religion zu thun, ist eine neue Höhe, die für uns, ohne Offenbarung, mit Wolken bedeckt war. Hier lernen der Dichter und der Leser einander am gewissesten kennen, ob sie Christen sind. Nichts geringers darf derjenige seyn, der hier unser ganzes Herz bewegen, und der, welcher hier den Dichter ganz empfinden will. Denn wird der Dichter, auch mit dem glücklichsten Genie, ohne wirkliche Empfindung der Schönheit der Religion, und ohne eine Rechtschaffenheit des Herzens, die nicht schimmern, noch viel weniger glänzen will, diese Bewegungen in uns hervorbringen können? Der Freygeist, und der Christ, der seine Religion nur halb versteht, sehn da nur einen grossen Schauplatz von Trümmern, wo der tiefsinnige Christ einen majestätischen Tempel sieht. Und wie konnten jene etwas anders sehn? Denn nicht selten verwandeln sogar kleine Züge, die sie verkannten, den Tempel für sie in Trümmern. Und gleichwohl haben sie, wenn mir diese kühnste unter allen Vergleichungen erlaubt ist, die Mythologie studirt, den Homer zu verstehn. _______________ Der Text folgt der Ausgabe: F. G. Klopstock, Der Messias, Gesang I - III, Studienausgabe. Herausgegeben von Elisabeth Höpker-Herberg, Reclam-Verlag Stuttgart 1986, S. 114-127. ________________________________ [1] Erstdruck als Vorrede zu: Der Messias. 1. Band, Kopenhagen 1755. [2] »The Complaint; or Night-Thoughts on Life, Death, and Immortality« erschien in den Jahren 1742-45.