Aphorismus vgl. auch: www.lichtenberg-gesellschaft.de/ pdf/l_wirk_sudel_joost_methode.pdf Ein Aphorismus ist ein kurzer, einprägsamer Sinnspruch, ein Gedankensplitter von philosophischem Tiefgang. Er wird weder begründet noch hergeleitet. Ein Charakteristikum von Aphorismen ist, dass sie über sich hinausweisend auf etwas hindeuten, das sie nicht aussprechen, aber dennoch indirekt darauf hinweisen, indem sie es zeigen. Aphorismen sind kurze Prosa-Texte, die in geschliffener (rhetorisch überspitzter, pointierter) Form einen geistreichen, betont subjektiven Gedanken (ein originelles Werturteil, eine persönliche Erkenntnis, eine Lebensweisheit) moralischer, philosophischer, psychologischer, ästhetischer Art zum Ausdruck bringen. Ihrer formalen Gestaltung nach sind Aphorismen in sich abgeschlossene, kontextunabhängige (aus ihrem jeweiligen Umfeld herauslösbare) Aussagen. Im Hinblick auf ihren ideellen Gehalt hingegen sind sie extrem offen, indem sie den Leser zum Weiterdenken oder zum Widerspruch reizen. "Im Aphorismus ist der Gedanke nicht zu Hause, sondern auf dem Sprung." (Helmut Arntzen) Zu den frühen Meistern der Gattung gehören vor allem die französischen Moralisten des 17. und 18. Jahrhunderts, u.a. Francois de La Rochefoudauld, Blaise Pascal, Luc de Clapiers, Marquis de Vauvenargues (1715-1747) sowie der Spanier Baltasar Gracián. Eine bedeutende Tradition hat der Aphorismus in Deutschland. Auf Georg Christoph Lichtenberg ('Sudelbücher') im 18. Jahrhundert folgen u.a. Johann Wolfgang von Goethe, Friedrich Schlegel (1772-1829), Novalis, Heinrich Heine, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, Kurt Tucholsky, Theodor W. Adorno und Elias Canetti. In Polen sind es neben Stanislaw Jerzy Lec (1906-1966), Karol Irzykowski (1873-1944) und Adolf Nowaczynski (1876-1944). Weitere berühmte Aphorismen-Schreiber: Marc Aurel ('Selbstbetrachtungen') Émile Michel Cioran Michel de Montaigne Seneca Jules Renard Friedrich Feuerbach Marie von Ebner-Eschenbach Aphoristische Stilmittel: Paradoxon, z.B. "Die Geschichte lehrt, wie man sie fälscht." Alogismus, z.B. "Sind nackte Frauen intelligent?" Doppeldeutigkeit, z.B. "Analphabeten müssen diktieren." Ironie, z.B. "Bakterien? Kleinigkeit!" (Stanislaw Jerzy Lec) Verwandte Gattungen: Apophthegma (prägnanter Spruch, "geflügeltes Wort") Bonmot (geistreicher Ausspruch) Epigramm (pointiertes Kurzgedicht) Gnom (kurzer Versausspruch moralischen Charakters) Lebensweisheit Maxime (knapp formulierte Verhaltensregel) Metapher Sentenz (Sinnspruch, allgemeiner Gedanke moralischer Art) Sprichwort (volkstümliche Lebensweisheit) Weisheit Zitat Dieser Artikel basiert auf dem Artikel Aphorismus aus der freien Enzyklopädie und steht unter der GNU Lizenz für freie Dokumentation. Die Über Lichtenberg: Einträge "Kleines Lebensbild: Der kleine große Lichtenberg": Samstag, 7. Februar 2004 Kleine Lebensbilder: 1. Georg Christoph Lichtenberg * 1.7.1742 Oberramstadt † 4.2.1799 Göttingen Am 1. Juli 2004 vor 262 Jahren kam er in Oberramstadt bei Darmstadt auf diese Welt: Georg Christoph Lichtenberg, der sich später als Lichtgestalt der Wissenschaft erwies; das hatte ihm kaum einer seiner Zeitgenossen auf den ersten Blick zugetraut. 141 cm war er ausgewachsen groß, aber er zählte doch zu den ganz Großen - als einer unserer bedeutendsten Physiker und als einer unserer originellsten Schriftsteller und Satiriker. Lichtenberg war der nach einem Unfall in frühen Kindheit mit einer starken Verkrümmung der oberen Wirbelsäule belastete Sohn eines später zu hohen Amtswürden aufgestiegenen hessischen Pastors. Er mußte sich wegen seines äußeren Handicaps ähnlich wie ein intelligenter junger Jude verhalten: Den Ehrgeiz entwickeln, mit den Möglichkeiten seines Gehirns und seiner Willenskraft zu erreichen und zu beweisen, daß er immer zu den Besten gehörte. Ein großzügiges Stipendium des offenbar weitsichtig beratenen Landesherrn hatte ihm ermöglicht, mit 21 Jahren zu studieren. Sein Landesherr und dessen Beamte hatten vergeblich versucht, Lichtenberg in hessischen Universitätsbereichen zu halten, aber Göttingen hatte 1763 den besten Ruf für seine Lieblingsgebiete Mathematik und Physik. Lichtenberg vertiefte sich mit unerhörtem Eifer in diese alten Künste und war bald in ihnen so überzeugend kompetent, daß er 6 Jahre später, mit 27 Jahren, in Göttingen Professor für Mathematik und Experimentalphysik wurde. Der schwache und kränkliche Mann blieb dies drei Jahrzehnte lang. Er schrieb eines der verbreitesten und geistreichsten Lehrbücher der Experimentalphysik, damals unüblich in der deutschen Sprache. Seine Vorlesungen erschöpften sich nie nur in Theorie, Es funkte, zuckte und flackerte sehr oft - und begeisterte auch fachfremde Studenten. Er hat einige Apparate und besonders die nach ihm benannten elektrischen Figuren erfunden und öffentlich experimentiert - was den Brände fürchtenden Göttingern nicht geheuer war. Zwei Reisen nach England machten ihn mit bedeutenden Wissenschaftlern und Künstlern und mit englischen Verhältnissen bekannt; er berichtete scharfsinnig. Sein Ruf als Schriftsteller beruht auf seinen damals vielgelesenen naturwissenschaftlichen und philosophischen Aufsätzen, besonders aber auf seinen ironisch-geistvollen Aphorismen, in denen er sich als psychologisch scharfsinniger Beobachter und darüber hinaus als Repräsentant der Aufklärung erweist. Diese heute noch viel zitierten Aphorismen erschienen verstreut; erst über 100 Jahre nach seinem Tod wurden sie gesammelt veröffentlicht. Der Schriftsteller hat mehrere Jahre lang einen „Göttingischen Taschenkalender“ herausgegeben und in ihm auch viele eigene, satirische Beiträge publiziert, in denen er auch den übersteigerten Geniekult der „Sturm- und Drang“-Zeit und die religiöse Intoleranz angegriffen hat. Er erwies sich auch als Kunstkenner und Kunstkritiker. Berühmt machte ihn vollends seine „Ausführliche Erklärung der Hogarthischen Kupferstiche“. Es ist vermutbar, daß ein so kleiner Mensch, auf den nahezu alle Erwachsenen herabblicken mußten, erreichen will, daß die anderen wenigstens gedanklich zu ihm aufblicken. Bei Männern war das immer noch leichter zu erreichen als bei Frauen. Für die blieb er zeitlebens ein Mannsbild zum Gruseln. Daß dieses Prickeln sich letztlich als erotisch nicht vollkommen unergiebig erwies, lernte Lichtenberg bei den Frauen erst spät und auf riskanten Umwegen: Da gab es neben einigen auswärtigen Abenteuern die berühmte „Stechardin“, die er auf dem Göttinger Wall als Blumenverkäuferin kennengelernt hatte. Lichtenberg war 40, als er das 12-jährige Kind in seine Wohnung holte und dort zwei Jahre lang vor den Blicken der Göttinger verborgen hielt - oder halten wollte. Er hat diese Tochter eines armen Webers von Tag zu Tag mehr geliebt und beschrieb sie als ein Muster an Schönheit und Anmut - was das Mädchen zu leiden hatte, erfuhr niemand und wagte niemand zu erkunden. Mit vierzehn Jahren starb das Mädchen plötzlich; ihr Tod hat Lichtenberg tief erschüttert. Nach einiger Zeit der Trauer kam er jedoch nicht umhin, wieder - so schrieb er - „jenem Triebe zu folgen, ohne den die Welt nicht bestehen könnte“. Diesmal nahm er eine 23-jährige Obstverkäuferin als „Haushälterin“ zu sich. Doch Göttinger Klatsch war bis nach Hannover gedrungen: die Landesregierung machte ihm Vorhaltungen. Der gewitzte Professor entgegnete pfiffig und schwer widerlegbar, er sei doch viel zu häßlich, um von einer Frau geliebt werden zu können. In Wahrheit hatte hatte er mit seinem „Hausmädchen“ immer wieder, wie er es vielleicht in Erinnerung an sein überfrommes Elternhaus nannte, „viel Satan getrieben“. Acht Kinder zeugte er mit ihr - der geschickte Erfinder fand oder wollte wohl kein Mittel zur Verhinderung einer Schwangerschaft. Als der lebenslang Schwächliche und oft kranke und hypochondrische Lichtenberg sich einmal dem Tod besonders nahe fühlte, hat er die Frau um ihrer und der Kinder Versorgung willen geheiratet. Er wurde nie wieder ganz gesund und schrieb beispielsweise über sich selbst: „Er hatte mehrere Krankheiten, allein seine Hauptstärke besaß er im asthmatischen Fache“. Daneben plagten ihn Nieren- und Blasenleiden und Darmbeschwerden sehr, aber das beeinflußte jenen lebenerhaltenden Trieb wenig, von dem Thomas von Aquin feststellte, daß es die Hölle auf Erden sei, wenn einem gleichzeitig Möglichkeiten gegeben und versagt werden. Aber Lichtenberg ging das Problem direkt an und nahm keine Rücksicht auf die Kommentare seiner Umgebung. „Wenn man alt wird, muß man sich wieder junge Katzen und junge Ziegen anschaffen, um das bißchen Konsonanz, das sich noch in den weichsten Fibern findet, wieder zu erwecken.“ Der 51-Jährige begann neben seiner Ehe ein Verhältnis mit einer Hausangestellten seines Hauswirts. Und mit ihr, die er in seinen Tagebüchern „Doly“ , aber auch „Satan“ und „devil“ nennt, hat er bis wenige Tage vor seinem Tod im Alter von 56 Jahren seinen „teuflischen Spaß“ gehabt - wenn auch unter der ständigen Furcht, daß seine Ehefrau, die in jener Zeit noch zwei Kinder gebar, die treulose Beziehung entdecken würde. 56 Jahre, drei Jahrzehnte prall gefüllter Arbeitsjahre - er hat sie genutzt und die wahre Größe dieses Genies haben wenige gespürt oder geahnt; erst die Nachgeborenen konnten nachlesen, was er uns alles hinterlassen hat. Auf diesen vielseitigen, selbstkritischen und nie mit seinen Erfolgen zufriedenen Professor traf nicht ein bißchen zu, was er vielen über seine Lebenszeit hinaus zurief und dabei nicht nur kommen sah, daß wir Heutigen mehrere Berufe, Künste und Fertigkeiten erlernen müssen, um uns zu behaupten; für ihn war dies hauptsächlich eine Lebensphilosophie, vielleicht sogar seine Überlebensstrategie: „Wer nur Chemie versteht, versteht auch diese nicht.“ Wenn wir das für uns übernehmen wollen, müssen wir nur statt „Chemie“ das Gebiet einsetzen, in dem wir uns besonders sicher fühlen. Auf seiner 2. Harzreise kam Goethe nach Göttingen und besuchte interessiert eine experimentelle Vorlesung Lichtenbergs und tauschte sich noch brieflich mit ihm über seine Vorarbeiten und Erkenntnisse zu seiner Farbenlehre aus. Lichtenberg pflegte einige beidseitig ergiebige Freundschaften mit Kollegen; er förderte und inspirierte den jüngeren Gottfried August Bürger, überlebte ihn sogar. Einiges spricht dafür, daß er Bürger in Göttinger Weinstuben ermutigt hat, die von diesem ins Deutsche gebrachten „Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande, Feldzüge und lustige Abentheuer des Freyherrn von Münchhausen, wie er dieselben bey der Flasche im Cirkel seiner Freund selbst zu erzählen pflegt“ um einige erfundene Geschichten zu bereichern. Die Göttinger haben das Haus, in dem er nur eine Wohnung hatte, nach Lichtenberg benannt; heute ist es ein Künstlerhaus. Sein Gartenhaus wurde längst abgerissen, aber auf dem zum verwilderten Park umgewidmeten Bartholomäus-Friedhof gegenüber dem heutigen Campus und unmittelbar neben dem örtlichen Eros-Zentrum wurden über 50 Jahre nach seinem Tod zwei weiße Marmorkreuze für ihn und seine Frau errichtet. Das Grab wird von Schülern der nach ihm benannten Gesamtschule einigermaßen in Ordnung gehalten. Ganz selten legt ein Besucher mal eine Blume auf sein Grab. Öfter wird sein schönes Bronzedenkmal in seiner vollen Lebensgröße vor dem Alten Rathaus im Vorbeigehen gestreichelt - das sieht man an den blanken Stellen. Und einige Frauen mit frischem Doktortitel küssen nach der Feier statt die (von männlichen doctores bevorzugte) benachbarte Gänseliesel den kleinen großen Lichtenberg. Solche Gesten hätte er, jedenfalls von Frauen, zu Lebzeiten sicher lieber erlebt. (© Helmut W. Brinks) Einige Lichtenberg-Aphorismen. Seine „Sudelbücher“ stecken voller Einfälle, die noch manchen Filmemacher und Publizisten und uns alle inspirieren können (siehe auch die „Lichtenberg-Leuchtkugeln“ in unserer Sammlung „Poetenpark“: Die Menschen, die niemals Zeit haben, tun am wenigsten. Wir irren alle, aber jeder auf einem anderen Gebiet. Ordnung führt zu allen Tugenden. Aber was führt zu Ordnung? Ich glaube, daß es weit besser ost, aus sich selbst herauszuholen als aus dem Plato - den könnten wir falsch verstehen. Was auf Shakespearisch in der Welt zu tun war, hat Shakespeare größtenteils getan. Sie trug ein so blankes Pailettemkleid, als wenn jedes Knopfloch ein Schlüsselloch wäre. Alles ist sich gleich, ein jeder Teil repräsentiert das Ganze. Ich habe zuweilen mein ganzes Leben in einer Stunde gesehen. ... daß die wichtigsten Dinge durch Röhren in der Welt ausgerichtet werden ... Es ist Demantstaub, der, wenn er auch selbst nicht mehr glänzt, doch dient, andere damit zu schleifen. Ich bin sehr viel mitleidiger in meinen Träumen als im Wachen. Wir fressen einander nicht, wir schlachten uns bloß. Keine Erfindung ist wohl dem Menschen leichter geworden als die des Himmels. Ich fürchte, unsere allzu sorgfältige Erziehung liefert uns nur Zwergobst. Daß in der Kirche gepredigt wird, macht deshalb den Blitzableiter auf ihr nicht unnötig. Vom Wahrsagen läßt sich’s wohl leben in der Welt, aber nicht vom Wahrheitsagen. Ein Dachziegel mag manches wissen, was der Schornsteinfeger nicht weiß. Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut. Das Wort Schwierigkeit muß gar nicht für einen Menschen von Geist als existent gedacht werden - weg damit. Man muß zuweilen trinken, um den Ideen, die in eines Hirn liegen, und den Falten mehr Geschmeidigkeit zu geben, und die alten Falten wieder hervorzurufen. Man muß keinem Menschen trauen, der bei seinen Versicherungen die Hand aufs Herz legt. Man will wissen, daß im ganzen Lande seit 500 Jahren niemand vor Freude gestorben wäre. Wenn man die Kinder dahin erziehen könnte, daß ihnen alles Undeutliche völlig unverständlich wäre ... Wenn jemand etwas sehr gerne tut, so hat er fast immer etwas in der Sache, was die Sache selbst nicht ist. Ich weiß nicht, ob es besser werden wird, wenn es anders werden wird: aber soviel ist gewiß, daß es anders werden muß, wenn es gut werden soll. »22:41 »Keine Kommentare »0 TrackBack(s) »Eintrag versenden von: kulturbruecke http://www.20six.de/literaturhaus/weblogCategory/165q7ljzpe4y0 überprüft am 25.8.04