Christoph Siegrist (aus Zmegac-GddL Bd. I/1, S. 158 ff) Viktor Zmegac: Geschichte der deutschen Literatur Vom 18. Jhdt. bis zur Gegenwart. Weinheim: Athenäum Verlag, 1979. Mit dem Roman Die Abderiten. Eine sehr wahrscheinliche Geschichte (1774-1778 im »Teutschen Merkur«; unter dem Titel Geschichte der Abderiten 1781 vollständig) wollte er nach eigenen Worten »einen Beitrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes« liefern, indem er »eine idealisierte Komposition der Albernheiten und Narrheiten des ganzen Menschengeschlechts, besonders unserer Nation und Zeit« verfaßte. Wieder wählte er die Fiktion, Verfasser einer urkundlich belegten Geschichte aus der Antike zu sein, was ihm die Möglichkeit ironischen Kommentierens erlaubt. Die kleinstädtisch-schildbürgerhaften Abderiten stehen stellvertretend für das menschliche Narrentheater, in dem der Weise vergeblich zur Vernunft mahnt; im besonderen zielen sie aber auf die rückständige Borniertheit des deutschen Klein- und Spießbürgers. Wieland verzichtet auf eine durchgehende Fabel, ohne indessen eine kunstvolle Gliederung aufzugeben. In den ersten drei Büchern werden drei bedeutende Männer der Antike den Abderiten kontrastierend gegenübergestellt: Demokrit versucht vergeblich, die enge Sicht seiner Mitbürger zu erweitern – man hält ihn für geistesgestört und will ihn durch Hippokrit für krank erklären lassen. Die Konfrontation mit Euripides erweist, daß mit der Engstirnigkeit schlechter Geschmack in der Kunst korrespondiert. Bei alledem sind die Abderiten nicht eigentlich bösartig; eher ist ihnen eine gewisse liebenswürdige Torheit eigen. Die beiden letzten Bücher kreisen um zwei Ereignisse von Bedeutung für Abdera: anläßlich des Prozesses um des Esels Schatten zeigen sich Auflösungstendenzen, die sich in der Geschichte der Heiligsprechung der Frösche von Latonia so sehr verschärfen, daß die Abderiten sich durch ihre eigene Kurzsichtigkeit dazu zwingen, ihre Stadt zu verlassen. Der Roman beeindruckt durch Esprit und treffsichere Satire; in seiner Präzision und Klarheit erinnert er an Voltaire. Daß solche Eigenschaften in Deutschland keine Empfehlung bedeuteten, ist keine neue Beobachtung; die Betroffenheit durch die Entlarvung eigener Borniertheit mag ein übriges dazu getan haben: das zeitgenössische wie das spätere deutsche Publikum mochte sich in diesem Spiegel nicht anschauen.