Mentalität, Sensibilität, Verhaltensmuster (10.-13.Jh.) Die Mentalität und Sensibilität der Menschen im Mittelalter wird vom Gefühl der Unsicherheit geprägt. Und zwar sowohl in materieller als auch in geistiger Hinsicht. Den einzigen Ausweg sucht man - in Übereinstimmung mit der Lehre der Kirche in der Solidarität einer Gruppe, einer Gemeinschaft. Die Gefahr der Verdammung nach dem irdischen Tod wird am meisten gefürchtet. Der Franziskanerprediger Berthold von Regensburg schätzt das Verhältnis zwischen Verdammten und Erlösten beim Jünsten Gericht 100.000 zu 1, meistens wird es am Beispiel der kleinen geretteten Gruppe um Noah und dem verdammten Rest der Welt bei der alttestamentarischen Sintflut dargestellt. Die Stütze und vielleicht auch Trost in solcher Welt voller Unsicherheit und Naturkatastrophen sucht man in der Vergangenheit und bei denjenigen, die diese belegte Vergangenheit verkörpern - bei den auctoritates (Le Goff, 309), also Autoritäten. Die höchste Autorität ist die Bibel und Kirchenväter. „Die Autorität hat eine Nase aus Wachs, sie lässt sich beliebig verformen“, behauptet Alain de Lille. Wenn es also paßt, können auch heidnische und arabische Philosophen als Autoritäten dienen. Novitates einzuführen gilt als Sünde. Die Grundlage des mittelalterlichen Rechts bilden eigentlich Tradition, auch der Adel ist etwas Althergebrachtes, auch die Abstammung Jesú wird von Jesse abgeleitet. Jesse hat Könige in Judea gezeugt, deren Nachfahre Maria ist, die Jesum zur Welt bringt. Das Alte und das Neu Testament sind so verbunden. Wenn die alttestamentarische Welt nicht ausreicht, greift man in der Zeit, in der der typologische Symbolismus beliebt war, zur Weltgeschichte: so wird z.B. Maria mit der Königin Semiramis als ihrer Vorgängerin in Beziehung gebracht. Die hängenden Gärten werden zum geschlossenen Garten - einem Symbol der Jungfräulichkeit.(Speculum humanae salvationis aus Kremsmünster, jetzt in der Wiener Nationalbibliothek). Eine andere Stütze und Trost in der damaligen Welt voll von Unsichertheit stellt ein Beweis durch Wunder dar. Die ganze damalige "Wissenschaft" hat sich damals auf Wunder spezialisiert. Im Glauben an die Heiligen und ihre Wunder treffen sich der Volksglauben und die Lehre der Kirche. Erst seit dem 12. Jh. entscheidet das Papstum über die Heiligsprechung, früher hat darüber vox populi entschieden. Die Wunder bleiben aber eine der Voraussetzungen, um heiliggesprochen zu werden. Wunder geschehen aber auch den Helden in der höfischen Epik. Eines der grausamsten Folgen dieses Wunderglaubens war das sog. Gottesurteil. Gott steht bei den Gerechten. Beim Zweikampf durften sich wenigstens noch die Frauen durch einen Ritter vertreten lassen. Einer Prüfung durch das Anfassen des glühenden Eisens mußte sich auch die literarische Gestalt Isolde unterziehen. Die Geschichte des Finders des Schwertes des Hl . Andreas (Le Goff, 312) Um die Bedeutung des Symbols in der mittelalterlichen Kultur zu begreiffen, sollte an die Bedeutung des griechischen symbolon hingewiesen werden: es war nämlich ein Erkennungszeichen.Man brach einen Gegenstand entzwei und jede Person bekam als Zeichen des abgeschlossen Vertrags ein Hälfte davon, um an die verlorengegangene Einheit des Gegenstandes zu denken, die hier eine Einheit im höheren Sinne vertritt. Das mitteralterliche Denken war ein symbolisches Denken, man suchte immer nach verborgenen - symbolischen - Bedeutungen. Nur so kann man heute die Reliquienverehrung oder die besondere Beliebtheit begreifen, der sich das Schachspiel erfreute. Der Universalienstreit in der Scholastik ging eigentlich auch nur um die Beziehung zwischen verba und res.In den septem artes liberales sind die ersten drei - trivium - dem Studium der Sprache gewidmet: grammatica, rhetoria und dialectica. Als eine reiche Sammlung von Symbolen, hat man auch die Natur betrachtet, wie mittelalterliche Lapidarien, Bestiarien und Florarien belegen. Gelbe oder grüne Steine sind Heilmittel gegen Gelbsucht oder Leberkrankheiten, rote Steine gebraucht man gegen Blutung. Bei den Blumenamen findet man einen Hinweis, wen sie symbolisch darstellen. So ist Olive, Maiglöckchen oder Rose ein Symbol Mariens. Ein Apfel symbolisiert das Böse - lateinisch heißt er auch malum . Und Mandragora symbolisiert eine menschlichen Drachen (mandrake), deshalb wird sie als Afrodisiakum angewendet und man schreibt ihr dämonische Wirkung zu. Die Welt der Tiere ist eine Welt des Bösen. Ein Strauß, der seine Eier in den warmen Sand legt und sie nicht brütet, ist ein Symbol für einen Sünder, der seine Pflichten Gott gegenüber vergißt. Ein Skorpion, der mit seinen Schwanz giftige Stiche versetzt, ist eine Verkörperung der Falsch und vor allem der Juden. Fast alle Fabeltiere sind Bilder des Teufels: ein Drache, ein Griff. Ein Basileus. Schon sein Zischen verursacht den Tod, sein Atem versengt die Kräuter, sprengt die Steine. Er kommt zur Welt aus einem Basiliskenei, einem dotterlosen Hahnein, welches durch eine Krüte auf einem Misthaufen ausgebrütet wird. Töten kann man ihn nur durch das Vorhalten eines Spiegels. Selbst solche Tiere wie Löwe oder Einhorn sind wenigstens dopppeldeutig. Es können nicht nur Symbole der Stärke und der Reinheit sein, sonder auch der Gewalt und der Heuchelei. Die idealisierte Gestalt eines Einhorns stammt erst aus dem Spätmittelalter. Eine besomders große Rolle spielte der Symbolismus in der Liturgie. Ein Grundriß in der Gestalt des Kreuzes weist nicht nur auf die Kreuzigung Christi hin, sinder er symbolisiert vier Himmelsrichtungen und so in einer Verkürzung das ganze Weltall. Die Kirche wird so zu einem Mikrokosmos. Heute kaum bekannt ist die Zahlensymbolik des Mitelalters. Salomon sagte zu Gott: Omnia in mensura et numero et podere disposuisti (Ecclesiasticus, XI, 21) Alles habe ich nach Maß, Zahl und Gewicht gestaltet. Ähnlich wie das Wort ist auch die Zahl ein Vorbild der Wirklichkeit. So ist die Kirche des Abstes Hugo in Cluny einem Grundriß und in einer Form gebaut, die von der Zahl 153 abgeleitet ist, der Zahl der Fische bei dem wundersamen Fischfang. Zehn ist die Zahl der Vollkommenheit. In der Ungleichheit 8 > 7 wird der Vorrang der Ewigkeit vor allem Irdischen ausgedrückt. Überall stoßen wir auf eine kaum entwirbare Verflechtung des Abstrakten und des Konkreten, so daß es uns schwerfällt, das Konkrete für einen Ausdruck des primitiveren Denkens zu halten.