Wladimir Kaminer – Die Reise nach Trulala … Zuerst lief alles wie am Schnürchen: Ich gab die Urin- und Blutproben ab, und die medizinische Untersuchung ergab, dass ich gesundheitlich im Stande war, eine Auslandsreise zu verkrafenn un hate ich nur noch eine Klippe vor mir: das KIF - das Komitee für Internatonale Freundschafn Ohne seine Erlaubnis bekam ich keinen Reisepassn Die KIF-Funktonnre versammelten sich nur einmal im Monatn Sie waren für das ideologische Antlitz der sowjetschen Jugend im Ausland zustnndig und versuchten natürlich, so wenige Jugendliche wie möglich ins Ausland zu lassenn Obwohl ich nur in die DDR wollte, die keine ideologischen Diferenzen mit uns hate, musste ich trotzdem beim KIF antretenn Und nicht allein, sondern mit dem Komsomol-Vorsitzenden der Theaterschule, an der ich damals studierten Der Vorsitzende hate mich schriflich zu charakterisieren und mich quasi persönlich für die Reise zu empfehlenn Zum Glück war Oleg, unser Komsomol-Organisator, in Ordnungn Ich kaufe zwei Flaschen Wodka und statete ihm einen Besuch abn Anfnnglich hate er keinen Bock auf das ganze Theater: Die KIF-Sitzung sollte im hintersten Winkel Moskaus, in der Leningrader Chaussee, stattfindenn Doch nach ein paar Glnsern wurde er freundlicher: »Angenommen, ich schreibe dir ein positves Gutachten, was bringst du mir dafür aus der DDR mit?« »Was willst du denn haben?«, fragte ich zurückn Ich wusste damals noch gar nicht, was es in der DDR alles gabn »Zwei Stangen Zigareten der Marke Kent und eine Flasche Eierlikör«, klnrte mich Oleg auf, der sich anscheinend besser auskannte als ichn Ich müsse mich gut auf die KIFSitzung vorbereiten und über die politsche Situaton in Deutschland Bescheid wissen, meinte ern Das war nicht besonders kompliziertn Über Deutschland und die europnische achkriegsgeschichte stand in unseren Lehrbüchern nicht vieln Die Informatonen waren auf das Wesentliche reduziert und beanspruchten nicht einmal zwei Seitenn Die sowjetsche Armee hate es 1944-45 nicht geschaf, ganz Europa zu befreien, weil ein Teil davon bereits von den Amerikanern befreit worden warn Deswegen war Europa in zwei Lager getrennt, und die von uns befreiten Völker haten sich dann freiwillig für den Sozialismus entschiedenn Die anderen mussten einen kapitalistschen Weg einschlagen, weil sie von den Amerikanern unter Druck gesetzt wurdenn Mit Deutschland war es etwas kompliziertern Das Land war aus ideologischen Gründen geteilt wordenn Alle Exnazis fanden in Westdeutschland Unterschlupf, und die Antfaschisten gründeten die sozialistsche DDRn Die Mauer ist dann erst spnter dazugekommen: als Symbol des getrennten Deutschlands und weil die Westberliner die seltsame Angewohnheit entwickelt haten, ihre kapitalistschen Westlöhne im 1 preiswerten Osten auszugeben und damit permanent alle Lnden dort leer rnumtenn Sie wollten praktsch auf zwei Pferden gleichzeitg reiten - im Kapitalismus verdienen und im Sozialismus einkaufenn Zuerst betrachteten die ostdeutschen Arbeiter diesen Zustand mit einer gewissen achsicht, aber dann platzte ihnen irgendwann der Kragen, und ihr Generalsekretnr Walter Ulbricht war zum Handeln gezwungenn Er wollte soziale Gerechtgkeit und befahl, die Westberliner einzumauernn Über acht umzingelten bewafnete Arbeiterbrigaden den Westeil der Stadt mit einer zunnchst provisorischen Mauern Am nnchsten Tag machten die Westberliner wahrscheinlich ein dummes Gesicht, als sie wie immer in der DDR einkaufen gehen wolltenn Auf Olegs Empfehlung las ich das ganze Kapitel aus dem Geschichtslehrbuch noch einmaln Zwei Tage spnter standen wir beide schwitzend auf dem Teppich vor der KIFKommissionn Sie bestand aus vier alten Frauen und einem Schwerinvaliden, der mich misstrauisch ansahn Der Sinn des Gesprnchs bestand darin, herauszufnden, wozu ich überhaupt in die DDR fahren wollte und ob ich für eine solche Reise schon reif genug warn Wir belogen uns gegenseitgn Die Damen vom KIF taten so, als ob sie wirklich nicht wüssten, wieso ich in die DDR fahren wollten Und ich tat so, als ob ich wiederum das nicht wüssten »Ich möchte den sozialistschen Alltag unserer Brüder in der DDR und die Sehenswürdigkeiten Berlins kennen lernen und außerdem Erfahrungen austauschen«, murmelte ichn In Wirklichkeit hate ich vor, so viele azareth- und AC/DC- Platen in Ostberlin zu kaufen wie nur möglich und sie dann in Moskau für das Vierfache wieder zu verkaufenn Die DDR-Musikindustrie war damals in vielerlei Hinsicht der unseren überlegenn Der alte Krümelkacker vom Komitee wollte aber alles genau wissen: welche Sehenswürdigkeiten ich mir anschauen wollte und wie die sozialistschen Brüder mit achnamen hießen, deren Alltag ich kennen lernen wollten Eine der Frauen las laut das Empfehlungsschreiben mit meinen Charaktereigenschafen vor, das Oleg für mich geschrieben hate: »Wladimir Kaminer hat sich in der Gruppe als diszipliniertes und jedem gerne entgegenkommendes Mitglied erwiesenn Allerdings ist er of bei der Staatsbürgerkunde nicht anwesend und nimmt nur beschrnnkt an der gesellschaflichen Arbeit teiln« »Was hast du geschrieben, du Idiot?«, zischte ich außer mir vor Wut in Richtung Olegn »Bleib ruhig«, antwortete er cool, »ich weiß, was ich tuen Alles lnuf nach Plann« »Gut, dass Sie so ehrlich mit uns sind und Ihre Probleme vor den Genossen nicht verheimlichen«, sagte eine der Frauen zu mir und lnchelte milden »Aber warum gehen Sie denn nicht zur Staatsbürgerkunde und nehmen nur beschrnnkt an der gesellschaflichen Arbeit teil, Wladimir? Erznhlen Sie uns, was los istn« Ich fühlte mich verarschtn Ich hate gar nicht gewusst, dass so eine Disziplin wie Staatsbürgerkunde an der Theaterschule überhaupt Pficht warn 2 »Was soll ich dazu sagen«, antwortete ichn »Wahrscheinlich weil ich die Theaterschule nicht richtg ernst nehmen Ich wollte eigentlich Pilot werden, wie mein Onkel, habe aber den Gesundheitstest nicht bestandenn« »Wunderbar, dass Sie beide so ehrlich zu uns sind«, freuten sich die alten Frauenn »Sie können gehenn« Draußen beschimpfe ich Olegn»Du verstehst das nicht«, erklnrte er mirn »Die Aktvisten sind sehr misstrauisch gewordenn Die neue Linie besagt nnmlich, dass wir zu unseren Fehlern stehen müssenn Wir müssen aus unseren Fehlern lernen, also brauchen wir auch welchen Selbstkritk ist angesagtn Man muss nun jeden Scheiß über sich und andere erznhlen, wenn man bei denen gut ankommen willn Hauptsache ehrlichn Du wirst sehen, sie genehmigenn« Er beruhigte michn Trotzdem erhielt ich zwei Wochen spnter eine Absagen Der Grund dafür lag jedoch nicht beim Komitee für Internatonale Freundschafn Ein Student unserer Theaterschule, dazu noch ein Sohn eines berühmten Schauspielers, der gerne und of Lenin spielte, hate just in diesem Sommer versucht, über den Zaun des schwedischen Konsulats zu kletern, um politsches Asyl zu beantragenn Man schickte ihn zu seinem Vater zurückn Und die Studenten aller Theaterschulen des Landes wurden mit einem generellen Ausreiseverbot belegtn Und ich blieb in Moskau auf meinen wunderbaren Urinproben sitzen und musste meine DDR- Einladung wegschmeißenn Erst fünf Jahre spnter schafe ich den Sprungn … Der Auserwnhlte musste einige routnemnßige Gesundheitskontrollen über sich ergehen lassen und sich von den Sicherheitsorganen instruieren lassen, wie man sich im Ausland zu benehmen haten Er musste unterschreiben, dass er alles, was er in Paris oder in London sah, für sich behalten würden Danach konnte der Kandidat zweihundert Rubel in auslnndische Wnhrung umtauschen und war bereit zum Abfugn Die Sache hate nur einen Hakenn Die Regierung konnte natürlich unmöglich ihre Leute wirklich nach Frankreich oder, noch schlimmer, nach England schickenn Die sowjetschen Arbeiter könnten dort unvorbereitet allen Verlockungen der kapitalistschen Welt erliegenn Außerdem warteten die feindlichen Imperialisten nur darauf, dass sowjetsche Bürger sich im Ausland sehen ließen, und haten verschiedene Fallen und Provokatonen für sie vorbereitet, um anschließend noch mehr Lügen über unser Land verbreiten zu könnenn Dazu kam, dass solche Reisen eine enorme fnanzielle Belastung für die Staatskasse darstelltenn Deswegen entschied sich die Regierung für eine sowohl preiswertere als auch weniger aufregende Lösung: Sie ließ in der südrussischen Steppe, in der nhe von Stawropol, ein eigenes Ausland aufauen, mit einer richtgen Stadt und vielen Bewohnernn Sie diente 3 im Sommer zunnchst als Paris, spnter, im Herbst, wenn es zu regnen anfng und Wolken aufzogen, ließ sich die Stadt schnell zu London umbauenn Das Objekt hate den höchsten Geheimstatus, nur Mitarbeiter der Staatssicherheit lebten und arbeiteten dort mit ihren Familienn Sie waren den Anforderungen entsprechend ausgebildet und durfen im Sommer untereinander nur Französisch und im Herbst nur Englisch sprechenn Die Saison begann im Junin Die Touristen wurden vom Flughafen Orly bzwn Heathrow mit Bussen abgeholt und in Hotels gefahrenn In kleinen Gruppen, begleitet von zwei Reiseführern, bummelten sie am nnchsten Tag durch die sauber gefegten Straßen des Auslands, kaufen schöne Pullover und unbekannte Knsesorten, staunten über auslnndische Autos, die ab und zu die Straße entlangfuhren, lachten über den Eifelturm oder Big Ben, die gegen die sowjetsche Monumentalkunst nichts taugtenn Aber im Großen und Ganzen fanden alle das Ausland eigentlich ganz netn Zwar nichts Besonderes, aber entnuscht waren sie auch nichtn Das Essen im Hotel schmeckte hervorragend auslnndisch, die einheimischen Franzosen oder Englnnder, die meistens arbeitslos waren, saßen die ganze Zeit in ihren Cafes und tranken Wodka mit Bier, aber natürlich nicht in solchen Unmengen wie bei uns, sondern aus ganz kleinen Glnsernn Sie begrüßten die sowjetschen Touristen sehr herzlich, und fast jeder dieser Arbeitslosen verstand sogar ein paar russische Sntzen ach drei, vier Tagen fogen die Russen zu ihren Familien zurückn … Das russische Paris wurde nicht nlter als fünf Jahren Ein schlauer hollnndischer Journalist steß Ende der Siebzigerjahre wnhrend einer Russlandreise auf ein paar Fotos, die ihm eine junge Melkerin in einer Kolchose zeigte: Dort stand sie zusammen mit ihrer Muter, einer verdienten Melkerin der Sowjetunion, unter dem Eifelturm und lnchelte in die Kameran Dem Hollnnder kam der Eifelturm auf den Fotos verdnchtg sozialistsch vorn Er setzte die junge, naive Frau unter Druck und bot ihr schließlich sein wertvolles, jedoch auf einer Kuhfarm völlig nutzloses Diktergernt im Tausch gegen die Fotos ann Der Hollnnder pries das Gernt als eine »auslnndisch sprechende Maschine, ein wahres Wunder der Technik« an und riss dem Mndchen die Eifelturmfotos praktsch aus der Handn Eines davon erschien einige Monate spnter im Feuilleton einer hollnndischen Zeitungn Allerdings schenkte erst niemand im Westen der mit dem Bild verbundenen Geschichte Glauben, man hielt das Ganze schlicht für einen Witzn Doch der damalige Chef des Komitees für Staatliche Sicherheit, Andropow, fand das Foto in der auslnndischen Zeitung überhaupt nicht lustgn Er befahl, das »Objekt Paris« innerhalb kürzester Zeit bis auf den letzten Stein abzureißenn Mehrere Bauarbeiterbrigaden des Verteidigungs- und 4 des Innenministeriums waren am Abbau der französischen Hauptstadt beteiligtn Es musste schnell gehen, quasi über achtn Laut Augenzeugenberichten verbrauchte der Sicherheitsdienst mehr Geld für die Planierung von Paris als zuvor für den Aufau der Stadtn Außerdem kamen infolge der überstürzten Abrissarbeiten viele wertvolle Gegenstnnde abhand enn Die ganze Pariser Ausrüstung blieb praktsch auf der Strecke, unter anderem über fünfundert Fernseher der Marke Philips, mehrere hundert Kühlschrnnke, etliche Fahrzeuge, eine Unmenge von Türen und Fensternn Trotz strengster Kontrollen verschwanden sogar ganze Hnusern Kurzum: Es wurde geklaut, was das Zeug hieltn Die Chefs der Staatssicherheit verfolgten die Diebe aber nicht weiter, sie wollten nur ihr Paris begraben und die Geschichte so schnell wie möglich der Vergessenheit überantwortenn Im achhinein hate der Untergang der Stadt sogar einen positven Einfuss auf die Architektur vieler Dörfer in der südrussischen Steppen Immer wieder wunderten sich Reisende über die schicken verglasten Türen und ungewöhnlich breiten Fenster an dem einen oder anderen Schweinestalln och zehn Jahre danach lag eine vier Meter große kapute Big-Ben-Uhr mit abgebrochenem Stundenzeiger in einer Kurve vor der Kreisstadt Inosemzewon Sie galt den Einheimischen als eine der größten Sehenswürdigkeiten in der Gegendn Obwohl alle Bewohner so taten, als hnten sie keine Ahnung, woher das Ding stammte, wurde die Riesenuhr im Volksmund ironisch als »Denkmal der verlorenen Zeit« bezeichnetn Wir waren damals noch zu jung, um das falsche Paris persönlich zu erleben, dafür konnten wir uns nun von dem wahren Paris ein Bild machenn ichts einfacher als das schon seit Wochen lagen unsere Busreisekarten auf dem Kühlschrank in der Küche, wir mussten nur noch die Kofer packenn Tschüss, Marzahn, wir ziehen auf den Montmartre! Unsere achbarn im Auslnnderheim wussten von unserem Vorhaben und fngen an, Andrej und mich zu hnnselnn » a, wann geht's los?«, fragten sie uns jedes Mal, wenn wir uns im Treppenhaus begegnetenn »Haltet die Klappe!«, antworteten wirn Dann bekamen wir jedoch unerwartet Besuchn Korchagin und Mascha, zwei Freunde von uns aus Moskau, riefen eines Abends gegen acht bei uns ann Allerdings nicht von Moskau aus, sondern aus Berlin, aus einer Telefonzelle am Kaiserdammn Sie hnten Hunger und würden sich in Berlin überhaupt nicht auskennen, erznhlten sie uns am Telefonn Wir wnren nun ihre einzige Hofnungn Ich kannte die beiden schon lange, in Moskau haten wir zusammen im Theater der sowjetschen Armee gearbeitet: Korchagin war ein angehender Regisseur, seine Freundin Mascha eine begabte Schauspielerinn Zusammen haten wir seinerzeit 5 mindestens eine Zisterne Portwein im Theater der sowjetschen Armee geleertn Solche Verbindungen muss man pfegenn Mein Freund Andrej kannte Korchagin und seine Freundin auch ein wenign Er hate mich damals of im Theater besuchtn Außerdem waren wir einmal alle zusammen in das Krankenhaus gefahren, wo Mascha ihren Sohn auf die Welt gebracht haten Und mit ihr, dem Snugling ikolaj und noch einigen anderen Frauen aus der Abteilung Frühgeburten sind wir dann in der Parkanlage spazieren gegangenn Heute kann ich mich gar nicht mehr richtg daran erinnern, wie und warum uns diese Frauen dann überredet haten, ihnen unsere Kleider zu überlassenn Sie müssten mal kurz in die Stadt, haten sie behauptetn Am Ende hauten sie jedoch in unseren Klamoten ab, und wir drei Mnnner standen wie Idioten in der Parkanlage der Entbindungsstaton herum, ohne Hosen und Mnntel, dazu noch jeder mit einem Kind auf dem Armn Und Mascha war die Anführerin dieser Frauenbande gewesenn Damals konnte sich Mascha noch nicht entscheiden, ob sie mit Korchagin weiter zusammenleben wollte oder doch besser ohne ihnn Sie erlebten miteinander noch viele Abenteuer, bevor sie eine richtge Familie wurdenn Und danach eigentlich auch nochn Das abente uerliche Leben schien bei ihnen endlos weiterzugehenn Und nun standen sie hungrig am Kaiserdammn »Wir haben gerade zwei Wochen in Paris verbracht«, erznhlte Korchagin uns am Telefon, »und sind heilfroh, dass wir da lebendig rausgekommen sindn Jetzt wollen wir nach Hause, haben aber überhaupt kein Geld mehrn« »Bleibt, wo ihr seid, wir holen euch ab«, versprach ich ihm, »aber habt Geduld, Berlin ist ziemlich groß, es dauert mindestens zwei Stunden, bis wir aus Marzahn am Kaiserdamm sindn« Andrej und ich fuhren sofort los, gerieten aber in den traurigsten Pendelverkehr, den ich jemals in Berlin erlebt haben Alle zwei Statonen mussten wir den Zug wechselnn Drei Stunden brauchten wir bis zum Kaiserdamm, und dort noch über eine Stunde, bis wir unsere Freunde gefunden hatenn Es regnete hefig, wir waren verzweifelt und müde, suchten aber immer weitern Als wir Korchagin und Mascha endlich entdeckten, standen sie noch immer in einer Telefonzellen Kurz nach Miternacht kamen wir wieder in Marzahn ann Unser sonst stets verfuchtes Auslnnderheim kam uns in dieser acht wie ein geliebter und ersehnter Zufuchtsort vorn Endlich zu Hause, dachten wirn Korchagin und Mascha pendelten den Rest der acht zwischen Badewanne und Kühlschrank hin und her, sie wollten schnell alles nachholen, was sie in Paris vermisst haten: heißes Wasser, Tabak und warmes Essenn Wir ließen sie schließlich allein mit unserem Luxus und gingen völlig übermüdet ins Betn Am nnchsten Tag erst erznhlten sie uns beim Frühstück, was ihnen in Frankreich widerfahren warn Seit Jahren stand Korchagin im Briefontakt mit einem Herrn 6 Snorowski in Parisn Snorowski war Schrifsteller und Dramaturg, aber in erster Linie politscher Dissidentn Er hate Anfang der Siebzigerjahre Russland verlassen oder wurde sogar als Andersdenkender rausgeschmissen und wohnte seitdem mit seiner Frau, einer Künstlerin und Herausgeberin der Kunstzeitschrif »Ernte«, in Parisn Korchagin wollte einmal zu Beginn der Perestroika ein Theaterstück von Snorowski inszenieren und damit für dessen künstlerisches Comeback in Russland sorgenn Viele alte Dissidenten kehrten damals gerade aus dem Ausland zurück, auch Solschenizyn packte schon seine Sachenn Doch Herr Snorowski schien auf das baldige Wiedersehen mit der Heimat nicht besonders scharf zu seinn » ein«, antwortete er meinem Freund, als der ihn nach Moskau zur Theaterpremiere einlud, »schauen Sie lieber bei uns in Paris vorbein« Korchagin verstand diese Höfichkeitsfoskel von Snorowski als ehrlich gemeinte Einladungn Er borgte sich das Geld für zwei Fahrkarten und fuhr zusammen mit Mascha nach Parisn Herr Snorowski empfng sie zuerst sehr freundlich und veranstaltete zu Ehren der beiden Gnste aus Moskau sogar eine Partyn Obwohl der Mann schon fast zwanzig Jahre im Ausland lebte, schien er immer noch den russischen Trinktraditonen verbunden zu sein: Er leerte eine Flasche Wodka nach der anderen und bekam nicht einmal Farbe ins Gesichtn Auch die anderen alten Dissidenten und Künstler waren gut in Formn Viel besser als die Gnste aus der Sowjetunionn Korchagin, selbst ein erfahrener Trinker, kam kaum hinterhern Im Verlauf des Abends lud er Snorowski erneut zur Premiere seines Stückes nach Moskau einn Er hielt sogar eine kleine Reden »Es ist Zeit«, sagte er zu der alten Garde am Tisch, »dass die russischen Exilanten nach Hause zurückkehrenn Unser Land wird immer ofener, und gerade Sie mit Ihren wertvollen Erfahrungen nach zwanzig Jahren Exilleben können nun dem Volk große Dienste beim Aufau eines neuen Russlands erweisenn« Danach schwiegen alle eine Weilen Herr Snorowski wurde noch blasser im Gesichtn »Aber natürlich werde ich zurückkehren, mein junger Freund!«, antwortete er Korchaginn » ur stelle ich mir meine Rückkehr etwas anders vorn« Plötzlich sprang er auf einen Stuhl und schrie: »Wenn unsere Panzer erst einmal über den Roten Platz rollen, werde ich auf dem ersten Wagen stehen und persönlich dafür sorgen, dass an jeder Straßenlaterne ein Kommunistenschwein hnngtn Die Parteibonzen sperre ich nackt in Knfge und stelle sie im Moskauer Zoo ausn Alle Polizisten werden den Rest ihres Lebens im Knast verbringen, und Lenin hole ich eigenhnndig aus dem Mausoleum und röste ihn auf dem Ewigen Feuer vor der Kremlmauern So stelle ich mir meine Rückkehr vor - so und nicht anders!« »Bravo!«, rief die alte Garde, »hurra, es lebe Snorowski!« Korchagin wurde schlagartg nüchtern und bemerkte, dass er an die falsche Tür geklopf haten Wie Schuppen fel es ihm nun von den Augen: icht die berühmte russische Boheme von Paris saß vor ihm, sondern nur ein Dutzend alter, hofnungsloser Snufer - 7 Menschen, die in absoluter Isolaton lebten und weder von Russland noch von Frankreich eine Ahnung hatenn »Komm, wir gehen«, sagte Korchagin zu Mascha und stand aufn »Sag deinem KGB, es soll sich ins Knie fcken«, schrie der angetrunkene Snorowski auf der Treppe hinter ihm hern »Und nicht solche kleinen Arschlöcher wie euch zu mir schicken!« Korchagin und Mascha standen auf der Straßen Sie haten gerade noch genügend Geld, um sich Fahrkarten für den Rückweg zu kaufen, und in dieser acht lernten sie Paris kennenn Sie sahen sich die schönen Kneipen auf dem Montmartre an, das Centre Pompidou und den Jardin du Luxembourg, zehn Minuten zu Fuß vom Montparnassen Danach schliefen sie an einer Bushaltestelle an der Avenue de l'Observatoiren Die ganze acht fuhren die Busse an ihnen vorbein Am nnchsten Tag gingen sie, hungrig und unausgeschlafen, wieder zum Jardin du Luxembourgn Besonders interessant fanden die beiden die Brunnenanlage am Rande dieses großen Parks, die Fontaine des Médicisn Dort füterten die Touristen die Pariser Taubenn Die feten Vögel fogen teilweise mit ganzen Baguetes in den Schnnbeln pausenlos in tefen Kreisen um den künstlichen Wasserfalln So viel, wie sie dort bekamen, konnten sie gar nicht fressenn Der Brunnen selbst war voller Geldn Die reichen Touristen schmissen dort immer wieder Münzen hineinn Mascha und Korchagin überlegten, was besser wnre: die Tauben zu überfallen, um ihnen ein paar Baguetes aus den Schnnbeln zu reißen, oder nachts diese Parkanlage aufzusuchen, um in dem Brunnen die Münzen einzusammelnn Die Tauben bei Tageslicht zu jagen, trauten sie sich nicht, also entschieden sie sich für den Brunnen bei achtn In der Hofnung auf baldige Beute beschloss Korchagin kurzerhand, das letzte Geld zu verprassenn Er schickte Mascha los, um die billigsten Konserven zu kaufen, die sie fnden konnten Sie musste nicht lange suchen: Gleich hinter dem Jardin du Luxembourg fand sie auf einem kleinen Touristenmarkt sehr preiswerte rote Konservenbüchsen zu drei Francs das Stückn Sie sahen aus wie russische Fischkonserven, doch auf dem Etket war, stat irgendwelcher Tiere oder Fische, der Eifelturm abgebildetn »Air of Paris« stand auf den Büchsenn »Gut?«, fragte Mascha den Verknufer, einen alten Jugoslawen mit Schnauzbart, »bien?« »Gut!«, erwiderte der Jugoslawe, »bien!«, und lnchelte milden Mascha hate keinen Grund, dem Mann nicht zu trauen, also kaufe sie fünf Büchsen auf einmal und schrng gegenüber in einer Bnckerei noch ein Baguete dazu, das teurer als die Konserven warn Dann machten die beiden es sich auf einer Bank bequem, und Korchagin öfnete eine Dosen Die erste war leer, die zweite auchn »Ich breche dem Jugoslawen alle Knochen!«, versprach Mascha sofortn Korchagin meinte jedoch, der Schurke wnre bestmmt lnngst über alle Bergen 8 »So eine Sauerei!«, regte er sich aufn »Bei uns in Russland fallen die Menschen selbst in den schlimmsten Gegenden nicht so tefn« Für alle Fnlle entschieden sie sich, doch nach dem Jugoslawen zu sehen, der ihnen die leeren Dosen angedreht haten Der Mann stand immer noch seelenruhig an seinem Platz und hate anscheinend auch nicht vor abzuhauenn Im Gegenteil, er winkte Mascha freundlich zu und lnchelte milde, als sie ihm voller Zorn die leere Büchse vor die ase hieltn »Ihr seid Russen, nicht wahr?«, fragte er sie plötzlich auf Russisch, fast ohne Akzentn »Warum seid ihr Russen nur so blöde? Was dachtet ihr denn, was da drin ist? Wurst? Oder Kaviar?« Der Jugoslawe lachten »Vielleicht sind wir blöd, du aber bist ein Schurke«, erwiderte Maschan »Die Dosen, die du uns verkauf hast, sind leer, da ist nichts drin!« »Richtg«, bestntgte der Jugoslawe, »gar nichts ist in meinen Büchsenn ur Lufn Pariser Luf, das beliebteste Souvenir bei allen Touristenn Wenn sie zurück nach Hause kommen, dann können sie noch mal daran riechen und sich dabei an das schöne Paris erinnernn Ihr habt euch den Spaß schon versautn Aber macht nichts, ihr seid ja noch in Paris, also atmet tef einn Ich mache das schon seit zehn Jahren und bin total ft!« Der Jugoslawe holte tef Luf und klopfe sich mit der Faust auf die Brustn »Gut bekömmlich, die Pariser Luf!« »Du bist ein Mistkerl«, sagte Mascha zu ihmn »Ich habe dir unser letztes Geld gegeben, und du hast mich für dumm verkauf und dabei noch so getan, als könntest du kein Russischn« »Das stmmt nicht«, verteidigte sich der Jugoslawe, »du hast mich ja auch nicht auf Russisch angesprochenn Woher sollte ich wissen, wer ihr seid? Ihr hntet ja auch aus der Türkei kommen könnenn« »Geben Sie uns einfach das Geld wieder zurück«, schlug -25Korchagin vor, um die sinnlose Diskussion zu beendenn »Kommt nicht in Frage«, erwiderte der Verknufern »Ihr habt für eure Groschen immerhin meine Luf geschnüfeltn Wisst ihr eigentlich, was es mich kostet, das Zeug in Büchsen zu kriegen? Wir sind quitn« Mit leeren Hnnden gingen Korchagin und Mascha wieder zurück zum Jardin du Luxembourgn Überall in den Kneipen saßen rotwangige Franzosen und amüsierten sichn Sie tranken Bier und Wein und aßen von großen Tellern unbekannte Gerichten Die Pariser Luf roch nach Fet und Schokolade, sntgte aber nichtn Schließlich beobachteten sie zwei Indianer mit langen Haaren, die wie Zwillingsbrüder aussahen, von einer Kneipe zur anderen zogen und die Franzosen mit ihrer Folklore unterhieltenn Die Ind ianer trauten sich nicht, in die Kneipen reinzugehen, wahrscheinlich weil sie keine richtgen Musiker warenn Aber die Tische draußen waren auch gut besetzt, und die beiden machten vor jeder Kneipe Haltn Einer zog eine 9 Blockföte aus der Taschen Die Töne aus seiner Flöte waren als Musik kaum erkennbarn Sie nhnelten eher dem Piepsen einer Katze, die nicht richtg aufgepasst und unter die Rnder eines Citroens gekommen warn Trotzdem haten die Indianer mit dieser ummer Erfolgn Wenn der eine Bruder mit dem Musizieren fertg war, nahm der andere seinen Hut ab und klapperte die Tische abn Das Publikum war meist großzügig und warf Münzen in den Hutn Vielleicht gefel den Leuten die freche Art, mit der die Brüder sie um Geld angingen, vielleicht haten sie aber auch genug von der indianischen Folklore und wollten sich durch ihre Spende einfach wieder Ruhe erkaufenn Mascha hate den Indianern eine Weile zugesehen und beschlossen, deren Erfolgskonzept zu kopierenn »Was die können, können wir auch«, meinte sie zu ihrem Freundn »Aber dafür brauchen wir mindestens einen Hut und eine Blockföte«, wandte Korchagin einn » ein«, widersprach Mascha, »wir brauchen keine Flöte und auch keinen Hut, wir sind doch keine Indianern Wir werden es euch noch zeigen!«, drohte Mascha in Richtung eines nahe gelegenen Restaurantsn »Was hast du vor?«, fragte Korchagin seine Freundin misstrauischn »Ich möchte das Pariser Publikum mit einem Stück wilder russischer Folklore überraschen«, erklnrte Maschan Sie war inzwischen ziemlich hungrig und zu allem bereitn »Wir haben auf der Theaterschule nicht umsonst tanzen gelerntn Ich werde einen Bauchtanz hinlegen, und du sammelst dann mit einem Pappteller das Geld einn« »Ich denke gar nicht dran, ich knme mir ja wie ein Zuhnlter vor«, widersprach ihr Korchaginn »Ich kann nicht mit einem Pappteller in der Hand fremde Menschen um eine kleine Spende bitenn Lieber bringe ich mich umn« Mascha gab nicht auf: »Dein Stolz und deine Ehre haben uns in diese beschissene Situaton gebrachtn Jetzt tu auch was, damit wir da wieder rauskommenn Benimm dich wie ein Mann, sonst werde ich meinen Körper verkaufen, das schwöre ich dir«, meinte sie zornig und klopfe sich zur Bekrnfigung auf die Schenkeln Korchagin hate schon vorher bemerkt, dass die Einheimischen seine Freundin sehr interessiert betrachtetenn Sie war eine etwas mollige junge Frau mit sehr beweglichen Körperteilenn Die Franzosen konzentrierten ihre Blicke immer wieder auf Maschas Hüfenn In ihren grünen zerrissenen Strümpfen sah sie besonders verführerisch ausn Die Einheimischen warteten wahrscheinlich nur darauf, dass sie voller Verzweifung anfng, ihren Körper zu verkaufenn Dann werden sie bestmmt Schlange stehen, vermutete Korchaginn un sah er sich gezwungen, eine Entscheidung zu trefenn Mascha ahnte, dass ihr Mann einen tefen inneren Konfikt mit sich austrug, und schwiegn »Ich werde singen«, beschloss Korchagin nach einer langen Pausen 10 »Aber du kannst doch gar nicht singen«, erwiderte Maschan »Wir kennen uns so lange, und ich habe dich noch nie singen gehörtn« »Dann wirst du deinen Mann bald von einer völlig neuen Seite kennen lernen«, meinte Korchagin, »ich werde singen, ich kann dasn« Sie gingen zu einer Parkbank, um eine kurze Probe abzuhaltenn Das Repertoire von Korchagin erwies sich als nicht besonders großn Genau genommen bestand es nur aus zwei Liedern, die er aber auswendig und bis zum Ende konnte: »Die Heuschrecke in der Streichholzschachtel« - ein Lied aus Korchagins Kindergartenzeit und » eue Horizonte« - ein Lied aus seiner Zeit als Komsomolzen Das Lied war einst entstanden, um junge Leute auf die Baustellen der neuen Eisenbahnlinien zu lockenn Mit diesem Lied waren die Studenten in den Achtzigerjahren nach Sibirien gefahren, um ihren Beitrag zum Aufau der Baikal-AmurMagistrale zu leistenn un sollten die » euen Horizonte« möglichst viele Franzosen motvieren, sich von ein paar Münzen zu verabschiedenn Mascha war nicht besonders zuversichtlichn Korchagin sang erst einmal mit leiser Stmme nur für sie, zweimal hintereinandern Es klang bescheuert und Misstrauen erregendn »Sie werden uns einsperren«, befürchtete Mascha und lehnte das Lied abn Es blieb also nur noch »Die Heuschrecke in der Streichholzschachtel«, auch nicht gerade die allererste Sahne der russischen Folklore, immerhin war das Lied seinerzeit für Dreijnhrige geschrieben wordenn Aber wer sollte ihnen hier auf die Schliche kommen, in dieser fremden Stadt, dreitausend Kilometer von ihrer Heimat enternt? Was wissen die hier schon über die russischen Kindergnrten und deren Liedgut! Mascha zerrte aus einem Abfallkorb neben der Bank einen Pappteller und wischte ihn im Gras saubern Sie wnhlten nur solche Kneipen, in denen die Gnste gerade zu essen anfngenn Korchagin stellte sich in Positur und legte losn Schnell merkte er, dass sein Lied zu lang für solche Aufrite war, und reduzierte es auf die ersten zwei Strophen: Heuschrecke in der Streichholzschachtel, Ich lasse dich frei; Heuschrecke in der Streichholzschachtel, Fliege bis ins All; Heuschrecke in der Streichholzschachtel, Spring ins grüne Feld; Heuschrecke in der Streichholzschachtel, Deine Heimat ist die ganze Weltn Und das fünfzehnmal hintereinandern Die Franzosen waren begeistertn Jedes Mal, wenn Korchagin auförte und Mascha mit dem Pappteller in der Hand zwischen den Tischen manövrierte, zückten sie ihre prallen Briefaschenn Mascha sagte jedes Mal lnchelnd: »Merci beaucoupn« Korchagin hate den schweren Verdacht, dass die Franzosen Mascha auch ohne seinen Gesang Geld geben würden, nur um das »Merci beaucoup« von ihr zu hörenn ach zwei Stunden Singen haten die beiden genug Geld, um sich etwas zu essen leisten zu könnenn In einem arabischen Imbiss bekamen sie für dreißig Francs eine heiße scharfe Suppe und massenweise Fladenbrotn 11 »Ich hnte nie gedacht, dass Singen so ekelhaf sein kann«, seufzte Korchaginn »Das hnngt vom Repertoire ab«, widersprach Maschan Inzwischen dnmmerte es, und unsere Freunde bereiteten ihren nnchsten Coup vor: den Überfall des Brunnens im Jardin du Luxembourgn »Wenn es uns gelingt, zumindest einen Teil der Münzen rauszuholen, können wir noch ein paar Wochen lnnger in Paris Besichtgungsrunden drehen, und du wirst nie mehr im Leben singen müssen«, meinte Maschan Korchagin hate bereits als Straßensnnger snmtliche Hemmungen überwinden müssen und war nun zu allem bereitn Ihr Plan war einfach: Sie wollten nachts, wenn alle Touristen weg waren, über den Zaun kleternn Dann sollte Korchagin in den Brunnen springen und die Münzen vom Boden aufsammeln, Mascha würde wnhrenddessen draußen Schmiere stehenn Das Ganze schien nicht besonders kompliziertn »Seltsam, dass vor uns noch niemand auf diese Idee gekommen ist«, wunderte sich Korchaginn »Du solltest dich in erster Linie auf die großen, silbernen Münzen konzentrieren, und erst wenn du die alle hast, kommen die kleinen gelben dran«, instruierte ihn Mascha auf dem Weg zum Parkn Das Tor war geschlossen, aber Korchagin kleterte problemlos über den Zaunn Der Park war menschenleer, die Brunnenanlage wurde von zwei Scheinwerfern angestrahlt, und die Münzen unter Wasser waren gut zu sehenn Sie funkelten und lockten Korchagin: »Spring rein und hol uns hier raus«, füsterten sien Korchagin zog sich nackt aus und sprang in das Beckenn Dann noch einmal und noch einmal, aber immer wieder kam er mit leeren Hnnden an die Oberfnche, als wnren die Münzen am Boden des Beckens festgeklebtn »Verfuchte Franzosen!«, schimpfe Korchaginn Das Becken war viel tefer, als er gedacht hate, und er kam nicht tef genugn »Ich brauche ein Gewicht«, sagte sich Korchagin und ging im Park auf Suche nach einem Steinn Mascha lehnte am Zaun und beobachtete die Straßen Es war so ruhig wie auf einem Friedhofn ach einer halben Stunde brachte Korchagin ihr die erste Beuten Die Münzen waren entnuschend klein und gar nicht gelb oder silbern, sondern schienen grün oxidiert zu seinn Alles wertlose Centmesn Korchagin gab jedoch die Hofnung nicht aufn Seiner Freundin sagte er, gerade eben hnte er unter Wasser einen Haufen größerer Münzen entdeckt, und die wolle er noch hochholenn Dann verschwand er wieder im Parkn Mascha snuberte inzwischen das Geld mit ihrem Taschentuch, bis es wieder anfng zu glnnzenn Schon bald sah ihre Beute nicht mehr wie Münzen aus dem Brunnen aus, sondern wie richtges Geldn Eine halbe Stunde war um, aber Korchagin kam und kam nichtn Mascha fng an, sich Sorgen zu machenn Da hielt plötzlich eine schicke schwarze Limousine direkt vor ihrer asen Eine Scheibe rollte langsam heruntern Auf dem Rücksitz saßen vier Mnnner mit schwarzen Kapuzen auf dem Kopf und Maschinengewehren auf den Knienn Zwischen ihnen saß Korchagin, nackt wie Adam, und guckte blödn Mascha 12 musste lachen, weil das Ganze wie eine Szene aus einem billigen inja- Film aussahn Einer der schwarzen Mnnner winkte mit seiner Wafe und sagte etwas auf Französischn Mascha reagier te blitzschnelln Sie blickte besorgt auf ihre Uhr und tat so, als müsse sie sich beeilen und würde den nackten Mann in der Limousine nicht kennenn Daraufin hörte sie Korchagins Stmme: »Komm her, Mascha!« Sie beschimpfe ihren Freund als Verrnter, hate aber keine Wahl mehr und steg in den Wagenn Das Projekt »Brunnenüberfall« war geplatztn Die beiden konnten nicht wissen, dass der Jardin du Luxembourg Tag und acht überwacht wirdn In jedem Baum hnngt eine Videokamera, und hinter jedem Busch ist eine Alarmanlage installiertn Als die Polizei auf ihren Monitoren einen nackten Mann mit einem riesengroßen Stein in der Hand aufauchen sah, der wie ein Irrer durch den Park lief, dachte sie sofort, dass muslimische Fundamentalisten einen Terroranschlag vorbereiteten, und schickte eine spezielle Einheit los: die französische Antterrorgruppen Die Mnnner in Schwarz fschten Korchagin aus dem Becken und betnubten ihn zur Sicherheit ein bisschenn Schnell stellten sie fest, dass ihnen nicht zwei gefnhrliche Terroristen, sondern nur ein paar durchgedrehte russische Touristen ins etz gegangen warenn Sie amüsierten sich über die beiden und übergaben sie der Pariser Polizein Dort überprüfen die Beamten ihre Pnssen Korchagin hate sich inzwischen von dem Schock erholt, er bekam eine warme Decke und sah nun wie ein echter Indianer ausn Mascha war immer noch sauer auf ihnn »Warum hast du mich zum Wagen gerufen, du hntest doch so tun können, als ob du mich nicht kennen würdest, dann wnre zumindest ich noch auf freiem Fuß!«, schimpfe sien »Halt endlich deine Klappe, bite«, erwiderte Korchaginn Auf Englisch fragte er einen der Polizisten, mit welcher Strafe er zu rechnen haben »Mit der Guillotne«, meinte der Polizist und fasste sich zur Bekrnfigung an die Gurgeln »Der spinnt doch nur«, meinte Maschan Korchagin war aber trotzdem völlig niedergeschlagenn »Egal ob die spinnen oder nicht, die Sache wird schlecht für uns ausgehen, ich habe da so eine Vorahnung«, maulte ern In der Zelle konnte Korchagin die ganze acht nicht schlafen, Mascha schnarchte dagegen wie ein Babyn Am nnchsten Tag bekamen sie ihre Papiere zurück, das Visum war durchgestrichenn Trotz der bösen Vorahnung wurden die beiden nicht enthauptet, sie sollten nur am selben Tag noch Frankreich verlassenn Die Polizei brachte sie zum Busbahnhof und reservierte zwei Plntze in einem Bus, der Richtung Osten fuhrn Die Decke ließen die Polizisten Korchagin als Abschiedsgeschenkn Wnhrend der gesamten Fahrt schimpfe er vor sich hinn Er verfuchte alle: die Exilrussen, die blöden Touristen im Jardin du Luxembourg und die französische Polizein »Ich fand sie alle sehr net«, meinte Maschan 13 In Berlin stegen sie ausn Andrej und ich halfen unseren Gnsten, so gut wir konntenn Wir füterten sie mit Wurst und Bier und kratzten das Geld für zwei Zugfahrkarten nach Moskau zusammenn »Eins rate ich euch, Jungs«, sagte Korchagin zum Abschied am Bahnhof Lichtenberg, »fahrt nie nach Parisn Paris ist ein einziger großer Beschiss, nichts weitern« Mascha blieb jedoch von Paris begeistert und wollte diese Stadt unbedingt noch einmal besuchenn »Ich komme wieder«, sagte sien »Paris ist vielleicht schön für Frauen, aber für Mnnner ist es nichts«, resümierte Korchaginn Er hate sich in Frankreich zu einem richtgen russischen Patrioten entwickeltn 14