Egon Friedell: Kulturgeschichte der Neuzeit. Drittes Kapitel. Die Agonie der Barocke C.H. Beck'sche Verlangsbuchhandlung München 1965 (zuerst 1927), 80.-94. Tausend. Am 16. März 1938 erschienen gegen 22 Uhr zwei SA-Männer vor Friedells Wohnung und fragten nach dem „Jud Friedell“. Während sie mit seiner Haushälterin sprachen, nahm er sich das Leben, indem er aus einem Fenster der im 3. Stock gelegenen Wohnung sprang. http://gutenberg.spiegel.de/buch/kulturgeschichte-der-neuzeit-4948/4 Liebe und Haß sind Leidenschaften, und Leidenschaften sind unbequem und außerdem ein Zeichen von Mangel an Esprit. Man will die Liebe ohne viele Umstände genießen wie ein pikantes Bonbon, das rasch auf der Zunge zergeht, nur dazu bestimmt, durch ein zweites von anderem Geschmack ersetzt zu werden. Die Erotik wird ein graziöses Gesellschaftsspiel, das die Liebe amüsant nachahmt und bestimmten Regeln unterworfen ist. Die Liebe wird zum Liebhabertheater, zu einer abgekarteten Komödie, in der alles vorhergesehen und vorausbestimmt ist: die Verteilung der Fächer, die der Dame immer die Partie der kapriziösen Gebieterin, dem Herrn die Rolle des ritterlichen Anbeters zuweist; die Reden und Gebärden, mit denen man die einzelnen Stationen: Werbung, Zögern,Erhörung, Glück, Überdruß, Trennung zu markieren hat. Es ist ein komplettes, durch lange Tradition und Kunst geschaffenes Szenarium, worin alles seinen konventionellen Platz hat und alles erlaubt ist, nur keine »Szenen«; denn seinem Partner ernstliche Erschütterungen bereiten zu wollen, hätte einen bedauerlichen Mangel an Takt und Erziehung bewiesen. Auch die Eifersucht durfte nur einen spielerischen Charakter tragen: » la gelosia è passione ordinaria e troppo antica« sagt Goldoni. Aber selbst diese Treibhausliebe gedeiht nur in der schwülen Atmosphäre der Illegitimität. Alles, was an »Familienleben« erinnert, rangiert als mauvais genre. Schwangerschaft macht unfehlbar lächerlich, wird daher möglichst vermieden und, wenn eingetreten, möglichst lange verheimlicht. Liebe in der Ehe gilt für altfränkisch und absurd, noch schlimmer: für geschmacklos. In der guten Gesellschaft titulieren sich die Ehepaare auch zu Hause mit »Monsieur« und »Madame«. Eheliche Treue sowohl des Mannes wie der Frau wird geradezu als unpassend angesehen; allenfalls toleriert man noch viereckige Ehen, bei denen die Paare changieren. Eine Frau, die keine Liebhaber hat, gilt nicht für tugendhaft, sondern für reizlos, und ein Ehemann, der sich keine Mätressen hält, für impotent oder ruiniert. […] Noch viel öfter als die Wanne findet sich auf den lasziven Bildern jener Zeit, die man mit der größten Unbefangenheit überall aufstellte, ein anderes Requisit: nämlich die Schaukel. Sie kam erst damals allgemein in Mode und bringt in der Tat eine Reihe typischer Rokokoelemente zum Ausdruck: das Spielerische, die vorgetäuschte Infantilität, den erwachenden Sinn für »Freiluft«, die Galanterie des Mannes und die Koketterie der Frau, und sie wirkt durch den kitzelnden Schwindel, den sie erzeugt, als eine Art Aphrodisiakum. Übrigens machte man damals auch ganz unbedenklich von viel weniger harmlosen Stimulantien einen oft ausschweifenden Gebrauch: alle Welt nahm »Liebespillen«, »spanische Fliegen« und ähnliche Anregungsmittel. Es ist unbegreiflich, wie man aus diesen und verwandten Erscheinungen schließen konnte, das Rokoko sei ein besonders stark erotisches Zeitalter gewesen; es war vielmehr eher unerotisch und wollte nur um keinen Preis auf die Genüsse der Liebe verzichten. Gerade aus der Tatsache, daß alles Sinnen und Trachten des Rokokomenschen dem Problem der Liebe und der Bereicherung, Verfeinerung und Intensivierung ihrer Technik gewidmet war, erhellt unzweideutig, daß ihm auch auf diesem Gebiete die schöpferische Kraft abhanden gekommen war. Der Augenblick, wo nicht mehr der Inhalt, sondern die Form, nicht mehr die Sache, sondern die Methode zum Hauptproblem erhoben wird, bezeichnet immer und überall den Anfang der Décadence.  Jean-Honoré Fragonard – Die Schaukel Dem herrschenden Geschmack entsprechend, verließ er das Fach der historischen Malerei ganz und wurde zu einem Maler der Erotik und des heiteren Lebensgenusses im Stil von Antoine Watteau. Neben Boucher und Watteau gehört er zu den drei Meistern des französischen Rokoko. Wir befinden uns auf einer Waldlichtung. Drei Personen sind in heiterem Spiel beisammen. Eine Dame in üppigen, prachtvollen Kleidern ist das mittige Bildmotiv. Sie sitzt auf einer Schaukel, mit der sie spielerisch in die Höhe schwingt. Im Übermut verliert sie sogar einen ihrer Schuhe. Ein Verehrer liegt in der linken Bildecke und scheint hocherfreut, über den sich ihm bietenden Anblick – denn er kann der Dame unter den Rock schauen. Ein weiterer Mann, womöglich ein Angestellter, verhilft der Dame zu noch größerem Schwung, indem er an den Seilen der Schaukel zieht. Sein Gesicht wird vom Schatten verdunkelt. Fragonard gilt als einer der wichtigsten Vertreter des verspielten Rokkokos – dieses Gemälde stellt ein Hauptwerk dieser Epoche dar. Im Grunde sind es Genreszenen, die alltägliche Ablenkungen und Tätigkeiten des höfischen Leben zeigen. Sie sind zwar oft so pikant wie Bauernmotive, jedoch werden diese von Fragonard romantisch verklärt. Am französischen Hof unter König Ludwig XV. wurde er dennoch als zu "freizügig" abgelehnt. Von Privatiers erhielt er jedoch zahlreiche Aufträge. Auch dieses Gemälde war eine Auftragsarbeit des Schatzmeisters des französischen Klerus. Er ließ sich sogar in dem Liebhaber vorne portraitieren. © the artinspector / alexandra tuschka https://the-artinspector.de/galerie/fragonard-die-schaukel