Georg Christoph Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«] Lichtenberg-SuB Georg Christoph Lichtenberg: Schriften und Briefe, hg. von Wolfgang Promies, Bd. 1-3, München: Carl Hanser, 1967 ff. Sie sollen am Anfang die Quelle anführen und dann nur noch mit dem der Bezeichnung des jeweiligen Sudelbuchs und der Nummer des Aphorismus zitieren. z. B. A l. [Aus »Sudelbuch« A] Der große Kunstgriff kleine Abweichungen von der Wahrheit für die Wahrheit selbst zu halten, worauf die ganze Differential-Rechnung gebaut ist, ist auch zugleich der Grund unsrer witzigen Gedanken, wo oft das Ganze hinfallen würde, wenn wir die Abweichun- gen in einer philosophischen Strenge nehmen würden. [A 1] Es ist eine Frage ob in den Wissenschaften und Künsten ein Bestes möglich sei, über welches unser Verstand nicht gehen kann. Vielleicht ist dieser Punkt unendlich weit entfernt, ohnerachtet bei jeder Nähe- rung wir weniger vor uns haben. [A 2] Um eine allgemeine Charakteristik zu Stande zu bringen müssen wir erst von der Ordnung in der Spra- che abstrahieren, die Ordnung ist eine gewisse Musik, die wir festgesetzt, und die in wenigen Fällen (z.E. femme sage, sage femme) einen sonderbaren Nutzen hat. Eine solche Sprache die den Begriffen folgt müs- sen wir erst haben, oder wenigstens für besondere Fälle suchen, wenn wir in der Charakteristik fortkom- men wollen. Weil aber unsere wichtigsten Entschlüsse, wenn wir sie ohne Worte denken, oft nur Punkte sind, so wird eine solche Sprache eben so schwer sein zu entwerfen, als die andere, die daraus gefolgert werden soll. [A 3] Die Gesichter der Menschen sind oft bis zum Ekel- haften häßlich. Warum dieses? Vermutlich konnte die nötige Verschiedenheit der Gemüts-Arten nicht erhal- ten werden ohne eine solche Einrichtung; man kann dieses als eine Seelen-Charakteristik ansehen, welche zu lesen wir uns vielleicht mehr befleißigen sollten. Um einigen Grund in dieser schweren und weitläufti- gen Wissenschaft zu legen müßte man, bei verschied- nen Nationen, die größten Männer, die Gefängnisse und die Tollhäuser durchsehen, denn diese Fächer sind so zu reden die 3 Hauptfarben, durch deren Mi- schung gemeiniglich die übrigen entstehen. [A 4] Wenn man, wie die Metaphysiker oft verfahren, glaubt man verstehe etwas, das man nicht versteht, so kann man dieses nennen affirmative nescire. [A 5] Bei einem großen Genie gehet das in einem Augen- blicke vor, was oft bei einem andern ganze Stunden dauert. Ein gewisser Mensch, der eben keine großen Gaben hatte, hielt einen zum Betrug mit der Feder nachgemachten Druck eine ganze Stunde würklich dafür, andere sahen es im ersten Augenblick. [A 7] Es ist schwer anzugeben, wie wir zu den Begriffen gekommen sind die wir jetzo besitzen, niemand, oder sehr wenige werden angeben können, wenn sie den Herrn v. Leibniz zum erstenmal haben nennen hören, weit schwerer aber wird es noch sein, anzugeben, wenn wir zum erstenmal zu dem Begriff gekommen, daß alle Menschen sterben müssen, wir erlangen ihn nicht so bald, als man wohl glauben sollte. So schwer ist es den Ursprung der Dinge anzugeben, die in uns selbst vorgehen, wie wird es erst alsdenn ergehen, wenn wir hierin [etwas] in Dingen außer uns zu Stan- de bringen wollen? [A 9] Die Erfindung der wichtigsten Wahrheiten hängt von einer feinen Abstraktion ab, und unser gemeines Leben ist eine beständige Bestrebung uns zu dersel- ben unfähig zu machen, alle Fertigkeiten, Angewohn- heiten, Routine, bei einem mehr, als bei dem andern, und die Beschäftigung der Philosophen ist es, diese kleinen blinden Fertigkeiten, die wir durch Beobachtungen von Kindheit an uns erworben haben, wieder zu verlernen. Ein Philosoph sollte also billig als ein Kind schon besonders erzogen werden. [A 11] Die Bemühung ein allgemeines Principium in man- chen Wissensch[aften]. zu finden ist vielleicht öfters eben so fruchtlos, als die Bemühung derjenigen sein würde, die in der Mineralogie ein erstes Allgemeines finden wollten durch dessen Zusammensetzung alle Mineralien entstanden seien. Die Natur schafft keine genera und species, sie schafft individua und unsere Kurzsichtigkeit muß sich Ähnlichkeiten aufsuchen um vieles auf einmal behalten zu können. Diese Begriffe werden immer unrichtiger je größer die Geschlechter sind, die wir uns machen. [A 17] In Werken des Geschmacks ist es sehr schwer wei- ter zu kommen, wenn man schon einigermaßen weit ist, weil leicht hierin ein gewisser Grad von Vollkom- menheit unser Vergnügen werden kann, so daß wir nur diesen Grad zum Endzweck unserer Bemühungen setzen weil dieser unsern ganzen Geschmack ausfüllt, in andern Stücken, die nicht bloß auf das Vergnügen ankommen, verhält es sich ganz anders, daher haben wir in den letzteren den Alten es weit zuvorgetan, in den ersten aber sind wir noch tief unter ihnen, ohner- achtet wir sogar Muster von ihnen vor uns haben. Dieses kommt daher, das Gefühl des neueren Künst- lers ist nicht scharf genug, es geht nur bis auf die kör- perliche Schönheiten seines Musters, und nicht auf die moralischen wenn ich so reden darf. Man kann das Gesicht eines redlichen Menschen sehen, man kann es aber auch gewissermaßen fühlen, das letztere ist das erstere verbunden mit einer Rücksicht auf das moralische Gute, womit wir in ihm oft die Mienen be- gleitet sehen. Was ich hier sagen will wird wohl jeder verstehen für den ich eigentlich schreibe. So lange der Künstler nur bloß nach den Augen zeichnet, wird er nie einen Laokoon herausbringen, der etwas mehr als Zeichnung hat, der mit Gefühl verfertigt ist. Dieses Gefühl ist dem Künstler unumgänglich nötig, aber wo soll er es lernen und wie? Unsre Ästhetiken sind bei weitem noch nicht praktisch genug. Vid infra. [A 18] Die größten Dinge in der Welt werden durch ande- re zuwege gebracht, die wir nichts achten, kleine Ur- sachen, die wir übersehen, und die sich endlich häu- fen. [A 19] Rousseau nennt mit Recht den Akzent die Seele der Rede (Emile p. 96 T. I.) und Leute werden von uns oft für dumm angesehn und wenn wir es untersuchen, so ist es bloß der einfache Ton in ihren Reden. Weil nun dieses bei den Schriften wegfällt, so muß der Leser auf den Akzent geführt werden, dadurch daß man deutlicher durch die Wendung anzeigt, wo der Ton hingehört, und dieses ist es, was die Rede im ge- meinen Leben vom Brief unterscheidet und was auch eine bloß gedruckte Rede von derjenigen unterschei- den sollte, die man würklich hält. [A 21] Der Einfluß des Stils auf unsere Gesinnungen und Gedanken, von dem ich an einem andern Ort geredet habe, zeigt sich sogar bei dem sonst gnauen Linnaeus, er sagt die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und leben, die Tiere wachsen leben und empfinden, das erste ist falsch, denn der Wachstum der Steine hat keine Ähnlichkeit mit dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Vermutlich hat ihn das Steigende des Aus- drucks, den er bei den letzten gespürt hat, auf den Ge- danken gebracht, auch die erstern mit unter diese Klasse zu bringen. [A 22] Die Versart den Gedanken anzumessen ist eine sehr schwere Kunst, und eine Vernachlässigung derselben ist ein wichtiger Teil des Lächerlichen. Sie verhalten sich beide zusammen wie im gemeinen Leben Le- ens-Art und Amt. [A 23] Die Esel haben die traurige Situation, worin sie jetzo in der Welt leben, vielleicht bloß dem witzigen Einfall eines losen Menschen zu danken, dieser ist Schuld, daß sie zum verächtlichsten Tier auf immer geworden sind und es auch bleiben werden, denn viele Eselstreiber gehen deswegen mit ihren Eleven so fürchterlich um, weil es Esel, nicht weil es träge und langsame Tiere sind. [A 26] Plato sagt das poetische Genie werde durch die Harmonie und die Versart rege gemacht, und dieses setze den Dichter in den Stand ohne Überlegung seine Gedichte zu verfertigen. Plato thou reason'st well, ein jeder wird dieses bei sich verspürt haben, wenn er mit Feuer Verse gemacht hat, vielleicht könnten wir durch ähnliche Kunstgriffe unsre übrige Fähigkeiten ebenso in Bewegung setzen, hauptsächlich auch die Aus- übung der Tugend. Eine große Fertigkeit im Dividie- ren und zwar nach der Methode, die man über sich di- vidieren heißt, die ich bei jemand bemerkte, brachte mir zuerst den Lusten zur Rechenkunst bei; ich dividierte mehr der eiförmigen Gestalt der Auflösung willen, als aus einer andern Absicht. Ich habe junge Mathematicos gekannt (Herrn Klügel und Herrn von Hahn) die oft ein solches Vergnügen darin [fanden] die Worte Calcul und Vues in dem Calcul auszuspre- chen, daß ich nicht zweifle, daß kleine Neben-Ergötz- lichkeiten, die sie in dergleichen Vorstellungen fan- den, ihren Fleiß munter erhalten haben. [A 27] Wenn wir uns eine Philosophie entwerfen wollen die uns im Leben nützen soll, oder wenn wir allge- meine Regeln zu einem beständig vergnügten Leben geben wollen, so müssen wir freilich von dem abstra- hieren, was eine gar zu große Verschiedenheit in die Betrachtungen bringt, ohngefähr wie wir in der Me- chanik oft tun, wenn wir Friktion und andere derglei- chen besondere Eigenschaften der Körper vergessen um uns die Berechnung nicht zu schwer zu machen, oder wenigstens nur einen Buchstaben an ihre Stelle setzen. Kleine Unglücksfälle bringen ohnstreitig eine große Ungewißheit in diese praktische Regeln hinein, daher müssen wir uns dieser entschlagen, und uns nur gegen die Bezwingung der größeren wenden. Dieses ist ohnstreitig der wahre Verstand verschiedner Sätze der Stoischen Philosophie. [A 28] Der Aberglauben gemeiner Leute rührt von ihrem frühen und allzu eifrigen Unterricht in der Religion her, sie hören von Geheimnissen, Wundern, Würkun- gen des Teufels, und halten es für sehr wahrscheinlich daß dergleichen Sachen überall in allen Dingen ge- schehen könnten. Hingegen wenn man ihnen erst die Natur selbst zeigte, so würden sie leichter das Über- natürliche und Geheimnisvolle der Religion mit Ehr- furcht betrachten, da sie hingegen jetzo dieses für etwas sehr Gemeines halten, so daß sie es für nichts Sonderliches halten, wenn ihnen jemand sagte, es wären heute 6 Engel über die Straße gegangen. Auch die Bilder in den Bibeln taugen nicht für Kinder. [A 29] Es gibt keine Synonyma, die Wörter die wir dafür halten haben ihren Erfindern gewiß nicht einerlei son- dern vermutlich Species ausgedruckt. Büttner. [A 30] Die Schnecke baut ihr Haus nicht, sondern es wächst ihr aus dem Leib. [A 31] Man könnte die Gewohnheit eine moralische Frik- tion nennen, etwas das den Geist nicht leicht über die Dinge hinstreichen läßt sondern ihn damit verbindet, so daß es ihm schwer wird sich davon los zu machen. [A 32] Aus den Träumen der Menschen, wenn sie diesel- ben gnau anzeigten, ließe sich vielleicht vieles auf ihren Charakter schließen. Es gehörte aber dazu nicht etwa einer sondern eine ziemliche Menge. [A 33] Vom 1. Julii 1765 an. Jeder Gedanke hat gewiß bei uns eine besondere relative Stellung der Teile unsers Körpers, die ihn al- lemal begleitet, allein Furcht oder überhaupt Zwang ersticken und hemmen sie oft, ohnerachtet sie freilich nicht allemal so heftig sind, daß sie andern in die Sinne fallen, so sind sie doch da und der Geist zeigt sich desto freier je weniger er diese äußere Bewegun- gen an sich halten darf, denn ein solches Zurückhalten schadet dem freieren Fortgang der Gedanken eben so sehr, als der Zorn, den man nicht darf ausbrechen las- sen, daher sieht man warum in einer Versammlung von den vertrautesten Freunden die guten Gedanken sich selbst nach und nach herbeiführen. [A 34] Am 4. Julii 1765 lag ich an einem Tag, wo immer heller Himmel mit Wolken abwechselte, mit einem Buche auf dem Bette, so daß ich die Buchstaben ganz deutlich erkennen konnte, auf einmal drehte sich die Hand, worin ich das Buch hielt, unvermutet, ohne daß ich etwas verspürte, und weil dadurch mir einiges Licht entzogen wurde, so schloß ich es müßte eine dicke Wolke vor die Sonne getretten sein, und alles schien mir düster, da sich doch nichts von Licht in der Stube verloren hatte. So sind oft unsere Schlüsse be- schaffen, wir suchen Gründe in der Ferne, die oft in uns selbst ganz nahe liegen. [A 35] In den Fragen im gemeinen Leben, wie man etwas am besten tun könnte, wird ein gewisses Maximum gesucht. [A 37] Man sollte in der Woche wenigstens einmal diäteti- sche Predigten in der Kirche halten, und wenn diese Wissenschaft auch von unsern Geistlichen erlernt würde, so könnte man doch geistliche Betrachtungen einflechten, die sich gewiß hier sehr gut würden an- bringen lassen, denn es ist nicht zu glauben [wie] geistliche Betrachtungen mit etwas Physik vermischt die Leute aufmerksam erhält, und ihnen Gott stärker darstellt, als die oft übel angebrachten Exempel seines Zorns. [A 38] Wir würden gewiß Menschen von sonderbarer Ge- üts-Art kennen lernen, wenn die großen Striche, die jetzo Meer sind, bewohnt wären, und wenn vielleicht in einigen Jahrtausenden unser gegenwärtiges festes Land Meer und unsere Meere Länder sein werden, so werden ganz neue Sitten entstehen, über die wir uns jetzo sehr wundern sollten. [A 39] Die Furcht vor dem Tod, die den Menschen einge- prägt ist, ist zugleich ein großes Mittel, dessen sich der Himmel bedient, sie von vielen Untaten abzuhal- ten, vieles wird aus Furcht vor Lebensgefahr oder Krankheit unterlassen. [A 40] Daß der Mensch grob sündigen kann, daran ist mehr die Beschaffenheit der äußeren Dinge, als seine eigene schuld, könnte er nicht die Würkung gewisser Dinge hindern, andere zerstören, wie könnte er fehlen, wenn alles, was er gegen die Wesen außer ihm vor- nähme, denselben zum Vorteil gereichte? [A 41] Der Beweis der Philosophen, daß es ein künftiges Leben gebe, wenn sie sagen Gott könne sonst den letzten Augenblick nicht belohnen, gehöret mit unter die Beweise durch Exempel, wir belohnen immer nach der Tat, daher belohnt Gott auch so, wir tun es aus Mangel der Voraussehung, wo uns diese nicht hindert, so belohnen wir auch zum voraus, wir pränu- merieren ja auf Universitäten. Kann Gott nicht auch pränumeriert haben? Wenn Plutarch sagt: Während dem Streit werden die Sieger nicht gekrönt, sondern nach demselben; ist mit dem vorhergehenden verdeckt einerlei, ein bloßes Gleichnis, eine Art zu beweisen, die so falsch und so gemein ist. [A 42] Die Speisen haben vermutlich einen sehr großen Einfluß auf den Zustand der Menschen, wie er jetzo ist, der Wein äußert seinen Einfluß mehr sichtbarlich, die Speisen tun es langsamer, aber vielleicht ebenso gewiß, wer weiß ob wir nicht einer gut gekochten Suppe die Luftpumpe und einer schlechten den Krieg oft zu verdanken haben. Es verdiente dieses eine gnauere Untersuchung. Allein wer weiß ob nicht der Himmel damit große Endzwecke erreicht, Untertanen treu erhält, Regierungen ändert und freie Staaten macht, ‹und ob nicht die Speisen das tun was wir den Einfluß des Klima nennen.› [A 43] Wir müssen uns freilich unsre gegenwärtigen Au- genblicke allemal zu Nutz zu machen suchen, und dieses wäre nicht sehr schwer, denn wir dürften nur jeden Augenblick tun, was uns am meisten gefällt, al- lein wer sieht nicht daß uns bald Stoff dazu fehlen würde. 2 Jahre so hingebracht würden uns alle künf- tige verderben; jeder gegenwärtige Augenblick ist ein Spiegel aller künftigen, und unser gegenwärtiges Ver- gnügen, verglichen mit dem daß er ein künftiger wird kann darin ein Größtes werden. [A 44] Heftigen Ehrgeiz und Mißtrauen habe ich noch al- lemal beisammen gesehen. [A 46] Wir arbeiten öfters daran einen lasterhaften Affekt zu dämpfen, und wollen dabei unsere übrige gute alle behalten, dieses kommt aus unserer Methode her, womit wir den Menschen schildern, wir sehen den Charakter desselben nicht als ein sehr richtig zusam- mengefügtes Ganzes an, das nur in seinen Teilen ver- schiedene relative Stellungen annehmen kann, son- dern wir sehen die Affekte wie aufgeklebte Schönpflä- stergen an, die wir verlegen und wegwerfen könnten. Viele dergleichen Irrtümer beruhen auf den dabei so nötigen Sprachen, weil diese keine Verbindung notwendig unter sich haben, sondern sie erst durch die beigefügte Erinnerungen bekommen, so kommt die gewöhnlichste Bedeutung uns immer in den Sinn, so- bald man die Erinnerung ein wenig nur aus der Acht läßt, daher wenn eine allgemeine Charakteristik erfun- den werden soll, so muß notwendig erst eine solche Sprache hervorgesucht werden. [A 47] Leute, die nicht die feine Verstellungskunst völlig inne haben, und andere mit Fleiß hintergehen wollen, entdecken uns gemeiniglich das Generelle ihrer gan- zen Denkungs-Art bei der ersten Zusammenkunft, wer also der Neigung eines andern schmeicheln will und sich in dieselbe schicken lernen will, der muß bei der ersten Zusammenkunft sehr acht geben, dort findet man gemeiniglich die bestimmende Punkte der ganzen Denkungs-Art vereinigt. [A 5l] Der Tod ist eine unveränderliche Größe, allein der Schmerz ist eine veränderliche die unendlich wachsen kann. Dieses ist ein Satz, den die Verteidiger der Fol- ter zugeben müssen, denn sonst foltern sie vergeblich, allein in vielen wird der Schmerz ein Größtes und < der Tod. [A 53] Die Vorurteile sind so zu reden die Kunsttriebe der Menschen, sie tun dadurch vieles, das ihnen zu schwer werden würde bis zum Entschluß durchzuden- ken, ohne alle Mühe. [A 58] Eine Sprache, die allemal die Verwandtschaft der Dinge zugleich ausdrückte, wäre für den Staat nützli- cher als Leibnizens Charakteristik. Ich meine solche wie zum Ex. Seelsorger statt Prediger, Dummkopf statt Stutzer, Wassertrinker statt Anakreontischer Dichter. [A 59] Ich wünschte mir an jedem Abend die Sekunde des vergangenen Tags zu wissen, da mein Leben den ge- ringsten Wert hatte, das ist, da wenn Reinigkeit der Absichten, und Sicherheit des Leben Geld wert sind, ich am allermeisten würde gegolten haben. [A 60] Debitum naturae reddere heißt auf lateinisch ge- meiniglich sterben. O es könnte noch mehr heißen! Viele Schwachheiten die wir begehen sind Schulden, die wir der Natur bezahlen. [A 61] Man muß sich in acht nehmen, daß man um die Möglichkeit mancher Dinge zu erweisen nicht gar zu bald auf die Macht eines höchstvollkommenen We- sens appelliert, denn sobald man z.E. glaubt [daß] Gott die Materie denken mache, so kann man nicht mehr erweisen, daß ein Gott außer der Materie sei. [A 62] Eine Empfindung die mit Worten ausgedruckt wird, ist allzeit wie Musik die ich mit Worten be- schreibe, die Ausdrücke sind der Sache nicht homo- gen genug. Der Dichter, der Mitleiden erregen will, verweist doch noch den Leser auf eine Malerei und durch diese auf die Sache. Eine gemalte schöne Ge- gend reißt augenblicklich hin, da eine besungene erst im Kopf des Lesers gemalt werden muß. Bei der er- sten hat der Zuschauer nichts mehr mit der Einrich- tung zu tun, sondern er schreitet gleichsam zum Be- sitz, wünscht sich die Gegend, das gemalte Mädgen, bringt sich in allerlei Situationen, vergleicht sich mit allerlei Umständen bei der Sache. [A 65] Es ist in der Tat ein sehr blindes und unsern aufge- klärten Zeiten sehr unanständiges Vorurteil, daß wir die Geographie und die Römische Historie eher ler- nen, als die Physiologie und Anatomie, ja die heidnische Fabellehre eher, als diese für Menschen beinah so unentbehrliche Wissenschaft daß sie nächst der Religion sollte getrieben werden. Ich glaube daß einem höheren Geschöpfe, als wir Menschen sind, dieses das reizendste Schauspiel sein muß, wenn er einen großen Teil des menschlichen Geschlechts starr ein paar tausend Jahre hinter sich gehen sähe, und aufs Ungewisse und unter dem Freibrief Regeln für die Welt aufzusuchen sich und der Welt unnütz ster- ben, [die] ihren Körper der doch ihr vornehmster Teil war nicht kannten, da ein Blick auf ihn sie, ihre Kin- der, ihren Nächsten, ihre Nachkommen, hätte glück- lich machen können. [A 66] Ein gewisses großes Genie fängt aus einem beson- dern Hang an eine Verrichtung vorzüglich zu treiben, weil es schwer war, so wird er bewundert, andere reizt dieses. Nun demonstriert man den Nutzen dieser Be- schäftigungen. So entstehen Wissenschaften. [A 67] Um uns ein Glück, das uns gleichgültig scheint, recht fühlbar zu machen müssen wir immer denken, daß es verloren sei, und daß wir es diesen Augenblick wieder erhielten, es gehört aber etwas Erfahrung in allerlei Leiden dazu um diese Versuche glücklich anzustellen. [A 72] Die Kritiker lehren uns, uns an die Natur zu halten, und die Schriftsteller lesen es, sie halten es aber immer für sicherer sich an Schriftsteller zu halten, die sich an die Natur gehalten haben. Die meisten lesen die Regeln des Home und wenn sie schreiben wollen denken sie an eine Stelle des Shakespear. Es ist frei- lich gut ein so großes Original vor Augen zu haben, allein es ist klar, daß wenn man eine solche Kopie nicht erreicht, die Entfernung davon nach der Seite zu geschieht die von der Natur noch weiter abweicht, oder es muß ein großes Genie sein, daß [es] sich der Natur noch mehr nähert als die erste Kopie derselben. Geschieht aber dieses, so muß notwendig der Verfas- ser mehr die Natur als die Kopie zu erreichen gesucht haben, und man kann eigentlich alsdann nicht mehr sagen, daß er nach einer Malerei gezeichnet hat, son- dern er bedient sich derselben nur so wie man sich in der praktischen Geometrie des Augenmaßes zuweilen bedient Messungen zu probieren, nicht um dadurch überhaupt zu sehen ob man gnau gemessen hat, son- dern zu sehen ob man nicht durch einen Irrtum in der Rechnung einen Fehler begangen hat, der die Hälfte des Gesuchten beträgt. [A 74] Die Entschuldigungen, die man bei sich selbst sich macht wenn man etwas unternehmen will, ist ein vor- trefflicher Stoff für Monologen, denn sie werden sel- ten anders gemacht, als wenn man allein ist und sehr oft laut. [A 75] Wenn man einen guten Gedanken liest, so kann man probieren, ob sich etwas Ähnliches bei einer an- dern Materie denken und sagen lasse. Man nimmt hier gleichsam an, daß in der andern Materie etwas enthal- ten sei das diesem ähnlich sei. Dieses ist eine Art von Analysis der Gedanken, die vielleicht mancher Ge- lehrter braucht ohne es zu sagen. [A 76] Wenn wir so vollständig sprechen könnten als wir empfinden, die Redner würden wenige Widerspen- stige, und die Verliebten wenig Grausame finden. Unser ganzer Körper wünschet bei der Abreise eines geliebten Mädgens, daß sie dableiben mögte, kein Teil drückt es aber so deutlich aus als der Mund: wie soll er sich aber ausdrucken, daß man auch etwas von den Wünschen der übrigen Teile empfindet, gewiß das ist sehr schwer zu raten, wenn man noch nicht in dem Fall würklich ist, und noch schwerer wenn man nie darin war. [A 83] Bei einem Verbrechen ist das was die Welt das Verbrechen nennt selten das was die Strafe verdient, sondern da ist es, wo unter der langen Reihe von Handlung womit es sich gleichsam als mit Wurzeln in unser Leben hinein erstreckt diejenige ist, die am mei- sten von unserm Willen dependierte, und die wir am allerleichtesten hätten nicht tun können. [A 84] Es ist ein Fehler in unsern Erziehungen, daß wir gewisse Wissenschaften so früh anfangen, sie ver- wachsen so zu sagen in unsern Verstand, und der Weg zum Neuen wird gehemmt. Es wäre die Frage ob sich die Seelenkräfte nicht stärken ließen ohne sie auf eine Wissenschaft anzuwenden. [A 85] Wenn die Substanzen Eigenschaften besitzen die sich andern vergegenwärtigen lassen, so können wir zugleich Glieder in verschiedenen Welten sein ohne uns jedoch in mehr als einer bewußt zu sein, denn Ei- genschaften der Substanzen sind so zu reden durch- dringlich. So können wir sterben und in einer andern Welt fortleben. [A 87] Es gibt eine gewisse Art Menschen, die mit jedem leicht Freundschaft machen, ihn eben so bald wieder hassen und wieder lieben, stellt man sich das mensch- liche Geschlecht als ein Ganzes vor, wo jeder Teil in seine Stelle paßt, so werden dergleichen Menschen zu solchen Ausfüll-Teilen die man überall hinwerfen kann. Man findet unter dieser Art von Leuten selten große Genies, ohneracht sie am leichtesten dafür ge- halten werden. [A 90] Die wahre Bedeutung eines Wortes in unsrer Mut- tersprache zu verstehen bringen wir gewiß oft viele Jahre hin. Ich verstehe auch zugleich hiermit die Be- deutungen die ihm der Ton geben kann. Der Verstand eines Wortes wird uns um mich mathematisch auszu- drücken durch eine Formul gegeben, worin der Ton die veränderliche und das Wort die beständige Größe ist. Hier eröffnet sich ein Weg die Sprachen unendlich zu bereichern ohne die Worte zu vermehren. Ich habe gefunden, daß die Redens-Art: Es ist gut auf fünferlei Art von uns ausgesprochen wird, und allemal mit einer andern Bedeutung, die freilich auch oft noch durch eine dritte veränderliche Größe nämlich: die Miene bestimmt wird. [A 93] ‹Wenn man die Charaktere der Menschen, oder besser, wenn man die Menschen nach den Charakte- ren ordnen könnte, welches leicht möglich wäre, wenn wir mehr Erfahrungen in diesem Stück sammelten, so würde man die Klassen für die Künstler und Gelehr- ten leicht merken, und würde sich alsdann nicht mehr bemühen einem aus dem Genere passerum sprechen zu lernen, da es ausgemacht ist, daß dieses nur den Picis zukommt.› [A 96] Jedermann gesteht, daß schmutzige Historien, die man selbst aufsetzet, lange nicht die gefährliche Wür- kung auf uns tun, als die von Fremden. [A 108] Das Maß des Wunderbaren sind wir, wenn wir ein allgemeines Maß suchten, so würde das Wunderbare wegfallen und würden alle Dinge gleich groß sein. [A 110] Geister ohne eine Welt außer ihnen müssen selt- same Geschöpfe sein, denn da von jedem Gedanken der Grund in ihnen liegt, so sind die seltsamsten Ver- bindungen von Ideen allzeit recht. Leute nennen wir rasend, wenn sich die Ordnung ihrer Begriffe nicht mehr aus der Folge der Begebenheiten in unsrer ordentlichen Welt bestimmen läßt, deswegen ist gewiß eine sorgfältige Betrachtung der Natur, oder auch die Mathematik das sicherste Mittel wider Rase- rei, die Natur ist so zu sagen das Laufseil, woran un- sere Gedanken geführt werden, daß sie nicht aus- schweifen. [A 111] ‹Die Einrichtung unserer Natur ist so weise, daß uns so wohl vergangener Schmerz, als vergangene Wollust Vergnügen erweckt; da wir nun ferner eher eine zukünftige Wollust voraussehen als einen zu- künftigen Schmerz, so sehen wir daß wirklich nicht einmal die traurige und angenehme Empfindung in der Welt gleich verteilt sind, sondern daß würklich auf Seiten des Vergnügens ein Größeres statt findet.› [A 112] Der Streit über bedeuten und sein, der in der Reli- gion so viel Unheil angestiftet hat, wäre vielleicht heilsamer gewesen, wenn man ihn über andere Mate- rien geführt hätte, denn es ist eine allgemeine Quelle unsers Unglücks, daß wir glauben die Dinge seien das würklich, was sie doch nur bedeuten. [A 114] ‹Ein Narr, der sich einbildet, ein Fürst zu sein, ist von dem Fürsten der es in der Tat ist durch nichts un- terschieden, als daß jener ein negativer Fürst, und die- ser ein negativer Narr ist, ohne Zeichen betrachtet sind sie gleich.› [A 117] Es ist ein ganz unvermeidlicher Fehler aller Spra- chen daß sie nur genera von Begriffen ausdrücken, und selten das hinlänglich sagen was sie sagen wol- len. Denn wenn wir unsere Wörter mit den Sachen vergleichen, so werden wir finden daß die letzteren in einer ganz andern Reihe fortgehen als die erstern. Die Eigenschaften die wir an unserer Seele bemerken hän- gen so zusammen, daß sich wohl nicht leicht eine Grenze wird angeben lassen, die zwischen zweien wäre, die Wörter, womit wir sie ausdrücken, sind nicht so beschaffen, und zwei auf einander folgende und verwandte Eigenschaften werden durch Zeichen ausgedrückt, die uns keine Verwandtschaft zu erken- nen geben. Man sollte die Wörter philosophisch de- klinieren können, das ist ihre Verwandtschaft von der Seite durch Veränderungen angeben können. In der Analysi nennt man einer Linie a unbestimmtes Stück x, das andere nicht y wie im gemeinen Leben, sondern a - x. Daher hat die mathematische Sprache so große Vorzüge für der gemeinen. [A 118] Kein Fürst wird jemals den Wert eines Mannes durch seine Gunst bestimmen, denn es ist ein Schluß, der nicht auf eine einzige Erfahrung etwa gegründet ist, daß ein Regent meistens ein schlechter Mann ist. Der in Frankreich backt Pasteten und betrügt ehrliche Mädgen, der König von Spanien haut unter Pauken und Trompeten Hasen in Stücken, der letzte König in Polen der Kurfürst von Sachsen war schoß seinem Hofnarren mit dem Blasrohr nach dem Arsch, der Fürst von Löwenstein beklagt bei einem großen Brand nichts als seinen Sattel, der Landgraf von Kas- sel fährt einer Tänzerin zu Gefallen in der Suite eines Fürsten der nicht viel mehr ist als er und wird durch die erbärmlichsten Leute betrogen, der Herzog von Württemberg ist ein Wahnsinniger, der König von Engelland macht....... Engelländerin P...., der Fürst von Weilburg badet sich öffentlich in der Lahn; die meisten übrigen Beherrscher dieser Welt sind Tam- bours, Fouriers, Jäger. Und dieses sind die Obersten unter den Menschen; wie kann es denn in der Welt nur erträglich hergehen; was helfen die Einleitungen ins Kommerzien-Wesen, die arts de s'enrichir par l'agriculture, die Hausväter, wenn ein Narr der Herr von allen ist, der keine Oberen erkennt, als seine Dummheit, seine Caprice, seine Huren und seinen Kammer-Diener, o wenn doch die Welt einmal er- wachte, und wenn auch drei Millionen am Galgen stürben, so würden doch vielleicht 50 bis 80 Millio- nen dadurch glücklich; so sprach einst ein Peruquen- macher in Landau auf der Herberge, man hielt ihn aber mit Recht für völlig verrückt, er wurde ergriffen, und von einem Unteroffizier noch ehe er in Verhaft gebracht wurde mit dem Stock todgeschlagen, der Un- teroffizier verlor den Kopf. [A 119] Wenn Plato sagt die Leidenschaften und die natür- lichen Triebe seien die Flügel der Seele, so drückt er sich sehr lehrreich aus, solche Vergleichungen erläu- tern die Sache und sind gleichsam Übersetzung der schweren Begriffe eines Mannes in eine jedermann bekannte Sprache, wahrhafte Definitionen. [A 120] Es kann ohnstreitig Kreaturen geben, deren Organe so fein sind, daß sie nicht im Stande sind durch einen Lichtstrahl durchzugreifen, so wie wir nicht durch einen Stein durchgreifen können, weil unsere Hände eher zerstört werden würden. [A 12l] Es ist eine richtige Beobachtung wenn [man] sagt daß Leute die zu stark nachahmen ihre eigene Erfin- dungskraft schwächen. Dieses ist die Ursache des Verfalls der italienischen Baukunst, wer nach ahmt und die Gründe der Nachahmung nicht einsieht fehlt gemeiniglich so bald ihn die Hand verläßt, die ihn führte. [A 122] Vielleicht ist ein Gedanke der Grund aller Bewe- gung in der Welt, und die Philosophen, welche gelehrt haben, daß die Welt ein Tier sei, sind vielleicht durch diesen Weg darauf gekommen, sie haben sich viel- leicht nur nicht so eigentlich ausgedruckt wie sie viel- leicht hätten tun sollen; unsere ganze Welt ist nichts als die Würkung eines Gedankens von Gott auf die Materie. [A 123] Den 5. Nov. 1769. Die Welt ist ein allen Menschen gemeiner Körper, Veränderungen in ihr bringen Veränderung in der Seele aller Menschen vor die just diesem Teil zuge- kehrt sind. [A 124] Träume führen uns oft in Umstände, und Begeben- heiten hinein, in die wir wachend nicht leicht hätten können verwickelt werden, oder lassen uns Unbe- quemlichkeiten fühlen welche wir vielleicht als klein in der Ferne verachtet hätten, und eben dadurch mit der Zeit in dieselben verwickelt worden wären. Ein Traum ändert daher oft unsern Entschluß, sichert un- sern moralischen Fond besser als alle Lehren, die durch einen Umweg ins Herz gehen. [A 125] Ich habe schon auf Schulen Gedanken vom Selbst- mord gehegt, die den gemein angenommenen in der Welt schnurstracks entgegen liefen, und erinnere mich, daß ich einmal lateinisch für den Selbstmord disputierte und ihn zu verteidigen suchte. Ich muß aber gestehen, daß die innere Überzeugung von der Billigkeit einer Sache (wie dieses aufmerksame Leser werden gefunden haben) oft ihren letzten Grund in etwas Dunklem hat, dessen Aufklärung äußerst schwer ist, oder wenigstens scheint, weil eben der Wi- derspruch, den wir zwischen dem klar ausgedruckten Satz und unserm undeutlichen Gefühl bemerken, uns glauben macht wir haben den rechten noch nicht ge- funden. Im August 1769 und in den folgenden Mona- ten habe ich mehr an den Selbst-Mord gedacht als je- mals vorher, und allezeit habe ich bei mir befunden, daß ein Mensch bei dem der Trieb zur Selbst-Erhal- tung so geschwächt worden ist, daß er so leicht über- wältigt werden kann, sich ohne Schuld ermorden könne. Ist ein Fehler begangen worden, so liegt er viel weiter zurück. Bei mir ist eine vielleicht zu lebhafte Vorstellung des Todes, seines Anfangs und wie leicht er an sich ist schuld daß ich vom Selbstmord so denke. Alle die mich nur aus etwas größeren Gesell- schaften und nicht aus einem Umgang zu zweit ken- nen werden sich wundern, daß ich so etwas sagen kann. Allein Herr Ljungberg weiß es, daß es eine von meinen Lieblings-Vorstellung[en] ist mir den Tod zu gedenken, und daß mich dieser Gedanke zuweilen so einnehmen kann, daß ich mehr zu fühlen als zu den- ken scheine und halbe Stunden mir wie Minuten vor- übergehn. Es ist dieses keine dickblütige Selbst-Kreu- zigung, welcher ich wider meinen Willen nachhinge, sondern eine geistige Wollust für mich, die ich wider meinen Willen sparsam genieße, weil ich zuweilen fürchte, jene melancholische nachteulenmäßige Be- trachtungsliebe möchte daraus entstehen. [A 126] Der Bauer, welcher glaubt, der Mond sei nicht grö- ßer als ein Pflug-Rad, denkt niemals daran daß in einer Entfernung von einigen Meilen eine ganze Kir- che nur wie ein weißer Fleck aussieht, und daß der Mond hingegen immer gleich groß scheint, was hemmt bei ihm diese Verbindung von Ideen, die er einzeln alle hat? Er verbindet in seinem gemeinen Leben auch wirklich Ideen vielleicht durch künstlichere Bande, als diese. Diese Betrachtung soll- te den Philosophen aufmerksam machen, der viel- leicht noch immer der Bauer in gewissen Verbindun- gen ist. Wir denken früh genug aber wir wissen nicht daß wir denken, so wenig als wir wissen daß wir wachsen oder verdauen, viele Menschen unter den ge- meinen erfahren es niemals. Eine gnaue Betrachtung der äußeren Dinge führt leicht auf den betrachtenden Punkt, uns selbst, zurück und umgekehrt wer sich selbst einmal erst recht gewahr wird gerät leicht auf die Betrachtung der Dinge um ihn. Sei aufmerksam, empfinde nichts umsonst, messe und vergleiche; die- ses ist das ganze Gesetz der Philosophie. [A 130] Den 25. Febr. 1770. Was ist es, das macht, daß wir uns zuweilen eines geheimen Kummers standhaft entschlagen können, da die Vorstellung, daß wir unter dem Schutz einer höchstgütigen Vorsicht stehen, die größte Würkung auf uns hat, und dennoch oft in der nächsten halben Stunde diesem nämlichen Kummer beinah unterlie- gen. Mit mir ist es wenigstens so, ohne daß ich sagen könnte, daß ich bei der 2. Vorstellung meinen Kum- mer von einer neuen Seite betrachte, andere Relatio- nen einsehe, nichts weniger. Fände dieses statt, so würde ich diese Anmerkung nicht einmal niedergeschrieben haben. Ich glaube vielmehr, daß die moralische Empfindlichkeit im Menschen zu unter- schiedenen Zeiten verschieden ist, des Morgens stär- ker als des Abends. [A 132] Es donnert, heult, brüllt, zischt, pfeift, braust, saust, summet, brummet, rumpelt, quäkt, ächzt, singt, rappelt, prasselt, knallt, rasselt, knistert, klappert, knurret, poltert, winselt, wimmert, rauscht, murmelt, kracht, gluckset, röcheln, klingelt, bläset, schnarcht, klatscht, lispeln, keuchen, es kocht, schreien, weinen, schluchzen, krächzen, stottern, lallen, girren, hauchen, klirren, blöken, wiehern, schnarren, scharren, spru- deln. Diese Wörter und noch andere, welche Töne ausdrücken, sind nicht bloße Zeichen, sondern eine Art von Bilderschrift für das Ohr. [A 134] Menschliche Philosophie überhaupt ist die Philoso- phie eines einzelnen gewissen Menschen durch die Philosophie der andern selbst der Narren korrigiert und dieses nach den Regeln einer vernünftigen Schät- zung der Grade der Wahrscheinlichkeit. Sätze wor- über alle Menschen übereinkommen sind wahr, sind sie nicht wahr, so haben wir gar keine Wahrheit. An- dere Sätze für wahr zu halten zwingt uns oft die Versicherung solcher Menschen, die in der Sache viel gelten, und jeder Mensch würde das glauben, der sich in eben den Umständen befände, so bald dieses nicht ist, so ist eine besondere Philosophie und nicht eine die in dem Rat der Menschen ausgemacht ist, Aber- glaube selbst ist Lokal-Philosophie, er gibt seine Stimme auch. [A 136] Weiser werden heißt immer mehr und mehr die Fehler kennen lernen, denen dieses Instrument, womit wir empfinden und urteilen, unterworfen sein kann. Vorsichtigkeit im Urteilen ist was heutzutage allen und jeden zu empfehlen ist, gewönnen wir alle 10 Jahre nur eine unstreitige Wahrheit von jedem philo- sophischen Schriftsteller, so wäre unsere Ernde immer reich genug. [A 137] Es gibt Menschen, die sogar in ihren Worten und Ausdrücken etwas Eigenes haben, (die meisten haben wenigstens etwas, das ihnen eigner ist) da doch Re- densarten durch eine lange Mode so und nicht anders sind, solche Menschen sind allzeit einer Aufmerksam- keit würdig, es gehört viel Selbstgefühl und Unabhän- gigkeit der Seele [dazu] bis man so weit kommt. Mancher fühlt neu und sein Ausdruck womit er dieses Gefühl andern deutlich machen will ist alt. [A 138] Den Männern in der Welt haben wir so viel selt- same Erfindung[en] in der Dichtkunst zu danken, die alle ihren Grund in dem Erzeugungstrieb haben, alle die Ideale von Mädchen und dergleichen. Es ist scha- de, daß die feurigen Mädchen nicht von den schönen Jünglingen schreiben dürfen wie sie wohl könnten, wenn es erlaubt wäre. So ist die männliche Schönheit noch nicht von denjenigen Händen gezeichnet, die sie allein recht mit Feuer zeichnen könnten. Es ist wahr- scheinlich, daß das Geistiche, was ein paar bezauber- te Augen in einem Körper erblicken, der sie bezaubert hat, ganz von einer andern Art sich den Mädchen in männlichen Körpern zeigt, als es sich dem Jüngling in weiblichen Körpern entdeckt. [A 139] Es ist zum Erstaunen, wie wenig dasjenige oft, was wir für nützlich halten, und was auch leicht zu tun wäre, doch von uns getan wird. Die Begierde, ge- schwind viel wissen zu wollen, hindert oft an gnauen Untersuchungen, allein es ist selbst dem Menschen, der dieses weiß, sehr schwer etwas gnau zu prüfen, da er doch weiß, er kommt auch nicht zu seinem End- zwecke viel zu lernen, wenn er nicht prüft. [A 140] Aus einer Menge von unordentlichen Strichen bil- det man sich leicht eine Gegend, aber aus unordentli- chen Tönen keine Musik. [A 141] [Aus »Sudelbuch« B] Wenn er seinen Verstand gebrauchen sollte, so war es ihm als wenn jemand, der beständig seine rechte Hand gebraucht hat, etwas mit der linken tun soll. [B 1] Er hatte zu nichts Appetit und aß doch von allem. [B 3] Der Pöbel wünscht sich Gold und Chargen und würde sich betrogen finden wenn er sie hätte. Unter den Großen ist es nun auch Mode geworden, die Quelle und den Strohsack dem Bauern zu beneiden, mancher würde sich auch in diesem Zustand betrogen finden. Der Dichter versteht aber ein Ideal wird man sagen, wer weiß aber ob nicht der Bauer sich den Zu- stand des Großen auch idealisiert. [B 6] Mich dünkt immer die ganz schlechten Schriftstel- ler sollte man immer ich den gelehrten Zeitungen un- geahndet lassen, die gelehrten Zeitungsschreiber ver- fallen in den Fehler der Indianer die den Orang Ou- tang für ihres gleichen, und seine natürliche Stumm- heit für einen Eigensinn halten, von welchem sie ihn durch häufige Prügel vergeblich abzubringen suchen. [B 12] Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Ge- schmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Tasse Kaffee mit einer Pfeife Varinas. [B 15] Beobachtungen zur Erläuterung der Geschichte des Geists dieses Jahrhunderts. Die Geschichte eines Jahrhunderts ist aus den Geschichten der einzelnen Jahre zusammengesetzt. Den Geist eines Jahrhunderts zu schildern kann man nicht die Geister der hundert einzelnen Jahre zusammenflicken, unterdessen ist es dem der ihn entwerfen will allemal nützlich auch die letzteren zu kennen, sie können ihm immer neue Punkte darbieten seine steten Linien dadurch zu zie- hen. [B 18] Unsere neuen Kritiker preisen uns im Stil die edle und ungekünstelte Einfalt an, ohne uns durch ihr Bei- spiel auf diese edle Einfalt zu führen, alles was sie zu sagen wissen ist daß sie uns auf die Alten verweisen. In der Tat eine Art zu verfahren die nicht anders als gefährlich sein kann. Nicht jeder der edel einfältig schreiben soll kann die Alten lesen, dieses wäre in der Tat zu viel verlangt, von dem aber der eine solche Forderung tut kann man mit Recht mehr verlangen. Er muß sich erklären. Der meiste Teil der Menschen deren Stil getadelt worden ist, als nicht simpel genug, hat wenn er schrieb immer eine gewisse Spannung bei sich verspürt, eine gewisse Aufmerksamkeit nichts zudringen zu lassen, was schlecht wäre, nun wollen sie ganz edel und schlechtweg schreiben, lassen von dieser Spannung nach und nun dringt alles Gemeine zu. Simpel und edel simpel schreiben erfordert viel- leicht die größte Spannung der Kräfte, weil in einer all gemeinen Bestrebung unserer Seelenkräfte, gefal- len zu wollen, sich nichts so leicht einschleicht als das Gesuchte, es wird außerdem eine ganz eigene Art dazu erfordert die Dinge in der Welt zu betrachten, die eher das Werk eines nicht sehr belesenen schönen Geistes als eines Studiums des Altertums ist. Wenig- stens glaube ich, soll man nie die Einfalt aus anderen Schriften zuerst kennen lernen wollen. Wer so viel Latein versteht, daß er den Horaz ohne Anstand lesen kann, und er gefällt ihm würklich nicht bloß in einigen Sentenzen, sondern auch weiter, und spürt, daß trotz einer oft überraschenden Schönheit dennoch sein Gefühl immer mit dem Horazischen gleich geht, der kann hernach den Horaz zu seinem Unterricht lesen, er wird was in ihm Schönes liegt als- dann noch mehr entwickeln. Wer aber gehört hat Horaz sei schön, liest ihn ohne ihn würklich seiner Empfindung harmonisch zu finden, merkt sich einige Züge und ahmt ihn nach, der muß entweder ein sehr feiner Betrüger sein, oder es wird allemal unglücklich ausfallen. Ein solcher Schriftsteller wird allemal glau- ben er habe ihn übertroffen, so oft er eine Zeile nie- derschreibt, und dieses zwar deswegen, weil er die Schönheiten des Horaz als absolut für sich bestehend ansieht und nicht bedenkt, daß sie in einer gewissen Verhältnis mit der menschlichen Natur stehen die er nicht kennt, also nicht weiß wo der Punkt ist, unter welchem keine Schönheit, und über welchem keine Simplizität mehr stattfindet. [B 20] Der Pöbel ruiniert sich durch das Fleisch das wider [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 33 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69129 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 38 ff.)] den Geist, und der Gelehrte durch den Geist dem zu sehr wider den Leib gelüstet. [B 21] Ich habe das Glück gehabt 6 Jahre in einer Stadt in Deutschland zu leben, wo vielleicht die meisten deut- schen Original-Genies beisammen leben, wenigstens mit dem Raum verglichen auf dem sie sich beisam- men befinden, ich habe die meisten gnau gekannt, oder wenigstens allezeit Gelegenheit genug gehabt was ich aus Mangel eines genugsamen Umgangs ver- lor durch andere Züge zu ersetzen, die außer der Stadt, worin der Gelehrte lebt, selten bekannt werden, und in derselben einer mäßigen Neugierde auch nicht entwischen. Ich habe auch unglückliche Schriftsteller gekannt, eingebildete junge Leute, die sehr fleißig waren. Ich will hieher setzen was ich bei beiden be- merkt habe. Das große Genie urteilt in Gesellschaften nicht allein oft in Dingen die nicht in sein Feld gehö- ren, sondern auch in den seinigen nicht allzeit gut, es seien denn Dinge, die es sehr häufig überdacht hat, oder worüber eine bloße Belesenheit entscheidet. Sich selbst allein gelassen besitzt es eine gewisse Auf- merksamkeit auf alltägliche Dinge, in welchem ein Hauptunterscheidungszeichen des großen Geistes zu liegen scheint, sich nicht durch Lokal-Denkungsart hinreißen zu lassen, alle Begebenheiten als individua anzusehen und nicht durch einen dem schwachen Menschen sehr natürlichen Kunstgriff sie in dem Ge- nere summo alltäglicher Dinge alle gleich unbemerkt vorbeistreichen zu lassen. So ist niemand der Welt, hauptsächlich der gelehrten, unnützer, als derjenige Fromme1 der alle Dinge nur in dem Genere summo des Irdisch-Vergänglichen, oder seine Empfindungen in unsern Worten ausgedrückt, des Nichtswürdigen übersieht und der Untersuchung unwürdig schätzt. Der Philosoph muß hierin einigermaßen seinem Schöpfer nachahmen, und, wenigstens in einem engen Bezirk, nur individua sehen. Diese Art die Dinge zu betrachten ist ein Hauptkennzeichen des Genies, es betrachtet freilich nicht alles so, es würde sonst Gott selbst sein müssen. Diese Art die Dinge anzusehen gibt dem Genie eine gewisse Kenntnis der Dinge um sich die nichts weniger als immer systematisch ist, die aber hinlänglich ist das Wahre vom Falschen wo nicht völlig gnau abzusondern, doch die erste grobe Trennung durchaus zu machen. Da wo man keine Bü- cher hat ist ohnstreitig diese Art von Erkenntnis häu- figer, wo Bücher sind können Sprünge getan werden, und eine solche Kenntnis löst sich so zu reden nicht in der Seele auf, vereinigt sich nie völlig mit ihr, son- dern wird nur im Fall der Not aus einem Ort hervor- geholt, wo sie noch getrennt von dem System der Ge- sinnungen liegt. Wie oft wird da falsch gegriffen. Die Alten waren häufig mit einer solchen Erkenntnis ver- sehen. Alles was sie wußten machte ein Ganzes aus, und weil es der Lauf der Natur war was dieses Ganze nach und nach in ihnen zusammensetzte, so sprachen sie allemal natürlich wenn sie sprachen, ihre Aus- drücke waren simpel, denn es war die Natur die aus ihnen sprach. Man glaube nur nicht daß der fleißige Leser der Alten sich jetzt die Simplizität eigen ma- chen werde; er kann sich gewöhnen sie in allen ähnli- chen Werken wieder zu erkennen, sie wird aber nicht Fleisch und Blut bei ihm, sie kann sich bei ihm nicht unter neuen Gestalten zeigen. Alles was ich hier sage und was jeder Leser nun im Stande sein wird sich zu erläutern, habe ich an vielen Gelehrten bemerkt, ohn- geachtet es zuweilen durch zu viel plötzlich durch Lesen aufgeschossene Gelehrsamkeit von einer andern Seite wieder vorstellt, weil sie so zu sagen den moder- nen Menschen mit ihrem übrigen großen Teil, dem Griechischen vermischten. Der unglückliche Schrift- steller, oder der modern Gelehrte liest ganz allein, seine gelehrte Gesinnungen sind nicht in seinem Selbst enthalten, sondern außer ihm, die kleine Seele geschmückt mit dem Apparatus einer größeren weiß sich nicht darein zu schicken, daher die unzähligen Gestalten unter denen der schlechte Schriftsteller er- scheint, daher Schwulst, Ungleichheit mit sich selbst, (Hauptzug der schlechten Schriftsteller:) Affektation. (Siehe die Fortsetzung unter p [B 25]) [B 22] Wir haben heutzutage eine ganze Menge sogenann- ter feiner Köpfe (nicht großer Geister). Es sind aber dieses nicht sowohl Leute die groß in der ganzen An- lage ihres Geistes und zwar ursprünglich sind, son- dern bei den meisten ist die Feinheit eine Schwäch- lichkeit, Hypochondrie, eine kränkliche Empfindlich- keit. Ein solcher Gelehrter ist zu feinen Bemerkungen aufgelegter als andere Menschen, stiftet aber [in] dem Reich der Gelehrsamkeit selten so viel Nutzen, glaubt viel ausrichten zu können, wenn er nur erst wollte, will aber niemals. Diese Leute bilden sich leicht nach allem wenn sie lauter Gutes lesen, so schreiben sie ziemlich gut, sie sind aber allzeit weit entfernt von der sicheren Richtigkeit der Alten, deren Genie der gesun- den und festen Reife einer Frucht und nicht der wel- ken wurmstichigen, wiewohl oft schönfarbigen einiger Neueren gleicht. [B 25] In den Romanen gibt es tödliche Krankheiten, die im gemeinen Leben nichts weniger als tödlich sind, und umgekehrt im gemeinen Leben tödliche, die es in Romanen nicht sind. [B 29] Der Deutsche liegt im Charakter so zwischen dem Franzosen und Engelländer in der Mitte, daß unsere Romanen-Schreiber leicht einen von diesen beiden schildern, wenn sie einen Deutschen nur mit etwas starken Farben malen wollen. [B 30] Im Zuschauer wird gesagt: The whole man must move together, alles muß einen einzigen Endzweck im Menschen haben. [B 31] Er war was man in allen Ländern zwischen dem Rhein und der Donau eine gute Haut nennt. [B 32] In der Erinnerung an unser vergangenes Vergnügen lassen wir unsern sinnlichen Körper im gegenwärti- gen und stellen uns ganz in abstracto, als ein gutes ar- kadische Ding ohne Schulden, ohne Sorgen, ohne not- leidende Verwandten, zurück in die damalige Zeit, denn wir sind nicht im Stand uns die vereinte Wür- kung verschiedener Eindrücke so gut zu vergegenwär- tigen als eines einzigen. [B 33] Der eigentliche Mensch sieht wie eine Zwiebel mit vielen tausend Wurzeln aus, die Nerven empfinden allein in ihm, das andere dient diese Wurzeln zu hal- ten, und bequemer fortzuschaffen, was wir sehen ist also nur der Topf, in welchen der Mensch (die Ner- ven) gepflanzt ist. [B 35] Es sind sehr wenige Dinge von denen wir uns durch alle 5 Sinne Begriffe erwerben können. [B 37] Jedermann sollte wenigstens so viel Philosophie und schöne Wissenschaften studieren als nötig ist um sich die Wollust angenehmer zu machen. Merkten sich dieses unsere Landjunker, Hof-Kavalier, Grafen und andere, sie würden oft über die Würkung eines Buchs erstaunen. Sie würden kaum glauben wie sehr Wieland den Champagner erhöhet, seine häufige Ro- senfarbe, sein Silberflor, seine leinenen Nebel würden ihnen selbst den Genuß eines guten elastischen Dorf- -Mädgens mehr sublimieren. [B 41] Quittungen: so könnte man ein Buch nennen, worin man sowohl der Natur als seinen Freunden Scheine ausstellte über das was man von ihnen empfangen hätte. Wenn es im Namen anderer getan würde, so könnte es eine satyrische Wendung bekommen. [B 52] Es ist würklich möglich daß, wenn Teile im Ge- hirn, die symmetrisch sein sollen, es nicht sind, dieses zum Vorteil des Verstandes dienen könne, wir können mit einem Auge genug haben, so auch mit einer Seite des Gehirns, die andere kann durch zufällige Umstän- de eher verhärten oder sonst Veränderungen leiden, die denn das Resultat der ganzen Stellung des Gehirns bei einer Idee verändern. Ausgewachsene Personen sollen öfters sehr scharfsinnig sein, die verwachsene Seite verhärtet mehr und vielleicht folgt eine ähnliche einseitige Veränderung im Gehirne, die dem Genie, das ohnehin schon jemand für einen kränklichen Zu- stand erklärt hat, eher vorteilhaft als schädlich ist. Ich habe bemerkt, daß Personen, in deren Gesichtern ein gewisser Mangel von Symmetrie war, oft die feinsten Köpfe waren. Denn einem gewissen Bildnis zu trauen war, das ich von Herrn von Voltaire gesehen habe, und von dem man mir versicherte, daß es ein Abguß wäre von einer Form die man in Mannheim über sein Gesicht gegossen habe, so ist die eine Seite des Ge- sichts viel kürzer als die andere, auch die Nase, wie- wohl kaum merklich, schief. K...r von der einen Seite betrachtet sieht viel jünger aus, als von der andern. Diesen beiden merkwürdigen Gesichtern gibt eben dieses wiewohl nicht anstößige Irreguläre einen ge- wissen Schwung, aus welchem alles das Salz und die Bitterkeit hervorblickt, die ihre Schriften so charakte- ristisch gemacht haben. Ein Mensch dessen eines Auge ein Perspektiv das andere ein Mikroskop wäre, wird unter gewöhnlichen Menschen eine sonderbare Figur spielen. [B 54] Er pflegte seine obern [und] untern Seelenkräfte das Ober- und Unterhaus zu nennen, und sehr oft ließ das erstere eine Bill passieren, die das letztere ver- warf. [B 67] Ein schlechtes Mitglied der Deutschen und der menschlichen Gesellschaft - Herr M. (der menschli- chen Gesellschaft außerordentliches Mitglied) [B 68] Wir können gar nichts von der Seele sehen wenn sie nicht in den Mienen sitzt, die Gesichter einer gro- ßen Versammlung von Menschen könnte man eine Geschichte der menschlichen Seele nennen mit einer Art von chinesischen Zeichen geschrieben. Die Seele [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 41 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69137 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 53 ff.)] legt so wie der Magnet den Feilstaub, so das Gesicht um sich herum und die Verschiedenheit der Lage die- ser Teile bestimmt die Verschiedenheit dessen, das sie ihnen gegeben hat. Je länger man Gesichter beobach- tet, desto mehr wird man an den sogenannten nichts- bedeutenden Gesichtern Dinge wahrnehmen, die sie individuell machen. [B 69] Empedokles, Doktor Faust und Roger Baco sind wegen ihrer Geschicklichkeit teils für Wundertäter, teils für Hexenmeister ausgeschrien worden. [B 70] Wohin mich mein Schicksal und mein Wagen führt. [B 75] Ich beneide sehr wenige Menschen, etwa Wielan- den, Sternen, den Horaz, Kästnern und wenn ich etwas Wein getrunken habe den Herrn Gleim. Ja wenn ich Wein getrunken habe, da sehe ich schon in der Zeit, da ich dem Bedienten das Geld für die Bou- teille gab, wie der Seligen einer in dieses Jammertal zurück. Wenn uns Sterne doch die Naturgeschichte des Rausches, so wie ihn der Dichter, der Philosoph und der Liebhaber betrachtet, beschrieben hätte! Es sind wenig Dinge in der Welt, die eines Philosophen so würdig sind, als die Flasche, die cum spe divite durch die Gurgel eines Liebhabers oder eines Dichters fließt. Spes dives, der Theolog trinkt und ein Thema zur Predigt wird nun zur Pfründe, er umarmt das Mädgen, das nur noch eine Seele zu seiner künftigen Besoldung auf die Empfängnis des Körpers wartet, der Jurist zieht sein Burgunder ein und Hasser werden nun zu Brod, Fähigkeiten und Titular-Geschicklich- keiten zu würklichen Ambassaden. O jenseit der Bou- teille wie viel ist nicht da. Gebraucht es, Menschen, als Philosophen und lernt erkennen was Wein ist. Wie sich verhält tierischer Genuß zum platonischen --- Genuß, so der Rausch des Fuhrmanns und des Tam- bours zu einer Verfassung, die vor dem unplatonischen Rausch vorhergeht, als die feine Liebe vor dem noch zweifelhaften Genuß, und für welche ich nun kein Wort wagen will. [B 77] Jeder Mensch hat auch seine moralische backside, die er nicht ohne Not zeigt, und die er so lange als möglich mit den Hosen des guten Anstandes zudeckt. [B 78] In dem Hause, wo ich wohnte, hatte ich den Klang und die Stimmung jeder Stufe einer alten hölzernen Treppe gelernt, und zugleich den Takt, in welchem sie jeder meiner Freunde, der zu mir wollte, schlug, und, ich muß gestehen, ich bebte allemal, wenn sie von einem Paar Füßen in einem mir unbekannten Ton her- aufgespielt wurden. [B 79] Charakter einer mir bekannten Person. Ihr Körper ist so beschaffen, daß ihn auch ein schlechter Zeichner im Dunkeln besser zeichnen würde, und stünde es in ihrem Vermögen, ihn zu än- dern, so würde sie manchen Teilen weniger Relief geben. Mit seiner Gesundheit ist dieser Mensch, oh- nerachtet sie nicht die beste ist, doch noch immer so ziemlich zufrieden gewesen, er hat die Gabe, sich ge- sunde Tage zu Nutze zu machen, in einem hohen Grade. Seine Einbildungskraft, seine treuste Gefährtin verläßt ihn alsdann nie, er steht hinter dem Fenster den Kopf zwischen die zwo Hände gestützt, und wenn der Vorbeigehende nichts als den melancholischen Kopfhenker sieht, so tut er sich oft das stille Bekennt- nis, daß er im Vergnügen wieder ausgeschweift hat. Er hat nur wenige Freunde, eigentlich ist sein Herz nur immer für einen Gegenwärtigen, aber für mehrere Abwesende offen, seine Gefälligkeit macht daß viele glauben er sei ihr Freund, er dient ihnen auch aus Ehr- geiz, Menschenliebe, aber nicht aus dem Trieb der ihn zum Dienst seiner eigentlichen Freunde treibt. Geliebt hat er nur ein oder zweimal, das einemal nicht un- glücklich, das anderemal aber glücklich, er gewann bloß durch Munterkeit und Leichtsinn ein gutes Herz, worüber er nun oft beide vergißt, wird aber Munter- keit und Leichtsinn beständig als Eigenschaften seiner Seele verehren, die ihm die vergnügtesten Stunden seines Lebens verschafft haben, und könnte er sich noch ein Leben und noch eine Seele wählen, so wüßte ich nicht ob er andere wählen würde, wenn er die sei- nigen noch einmal wiederhaben könnte. Von der Reli- gion hat er als Knabe schon sehr frei gedacht, nie aber eine Ehre darin gesucht ein Freigeist zu sein, aber auch keine darin, alles ohne Ausnahme zu glauben. Er kann mit Inbrunst beten und hat nie den 90. Psalm ohne ein erhabenes, unbeschreibliches Gefühl lesen können. Ehe denn die Berge worden pp ist für ihn unendlich mehr als: Sing unsterbliche Seele pp. Er weiß nicht was er mehr haßt, junge Offiziers oder junge Prediger, mit keinen von beiden könnte er lange leben. Für Assembleen sind sein Körper und seine Kleider selten gut, und seine Gesinnungen selten.... genug gewesen. Höher als drei Gerichte des Mittags und zwei des Abends mit etwas Wein, und niedriger als täglich Kartuffeln, Äpfel, Brod und auch etwas Wein, hofft er nie zu kommen, in beiden Fällen würde er unglücklich sein, er ist noch allzeit krank geworden, wenn er einige Tage außer diesen Grenzen gelebt hat. Lesen und Schreiben ist für ihn so nötig als Essen und Trinken, er hofft es wird ihm nie an Bü- chern fehlen. An den Tod denkt er sehr oft und nie mit Abscheu, er wünscht daß er an alles mit so vieler Ge- lassenheit denken könnte, und hofft sein Schöpfer wird dereinst sanft ein Leben von ihm abfordern, von dem er zwar kein allzu ökonomischer, aber doch kein ruchloser Besitzer war. [B 81] Der Mann zu sein, der so absolut in Deutschland herrschen könnte wie ich auf meinem Schreibtische, wünsche ich mir nie, ich würde gewiß nur Dintenfäs- ser umwerfen, und durch Aufräumen die Sachen nur noch mehr verwirren. [B 85] Da wo einen die Leute nicht mehr können denken hören, da muß man sprechen, sobald man dahin kommt wo man nun wieder Gedanken voraussetzen kann, die mit unsern einerlei sind, da muß man aufhö- ren zu sprechen. Ein solches Buch ist Sterne's Reise, aber die meisten Bücher enthalten zwischen zweien merkwürdigen Punkten nichts als den allergemeinsten Menschen-Verstand, eine stark ausgezogene Linie, wo eine punktierte zugereicht hätte. Alsdann ist es erlaubt das Gedachte auszudrücken, wenn es auf eine besondere Art ausgedrückt wird, doch dieses ist schon mit unter der ersten Anmerkung begriffen. [B 86] Die alten Schriftsteller sind nun durch so viele Jahrhunderte durchgesichtet worden, wie viele unserer großen Autoren wird schon 18.. mit dem Wirrstroh wegwerfen. [B 94] Es gibt etwas in uns, das beinah so schwer abzule- gen ist als der alte Adam, das uns immer zum Künst- lichen und dem dem Künstlichen so nahe verwandten Schlechten treibt, und was ist das? Antwort wir wer- den nicht angehalten individua im Denken zu werden. Wir lesen zu früh, gesetzt es seien auch die alten Schriftsteller, wie soll man ein Kind verhindern, daß es nicht bloß lernt, wie Herder sagt, denken was die Alten dachten, sondern so denken wie sie dachten. Li- berty and property, darauf müssen wir halten. Der Mensch schreibt absolute immer gut wenn er sich schreibt, aber der Perüquenmacher der wie Gellert schreiben will,..., der den Winckelmann im Stil affek- tiert, und in die Chrie zu gehen kommt, schreibt schlecht. Warum ergötzt der niedersächsische Bauer durch seine plattdeutschen Naivetäten so oft den Kenner des Schönen, und der junge Theolog nicht der uns mit wehmütiger Stimme durch lautre sichtbare Finsternis nach Golgatha hinleuchten, und uns den Gekreuzigten anstaunen lassen will. [B 95] Ich verstehe von Musik wenig, spiele gar kein In- strument, außer daß ich gut pfeifen kann. Hiervon habe ich schon mehr Nutzen gezogen, als viele andere von ihren Arien auf der Flöte und auf dem Clavecin. Ich würde es vergeblich versuchen mit Worten auszu- drücken, was ich empfinde wenn ich an einem stillen Abend In allen meinen Taten recht gut pfeife und mir den Text dazu denke, ich singe nicht gerne alleine. Wenn ich an die Zeile komme hast du es denn be- schlossen pp, was fühle ich da oft für Mut, neues Feuer in Menge, was für Vertrauen auf Gott, ich woll- te mich in die See stürzen und mit meinem Glauben nicht ertrinken, mit dem Bewußtsein einer einzigen Guttat eine Welt nicht fürchten. Spüre ich einen Hang zum Scherzhaften, so pfeife ich: Sollt auch ich durch Gram und Leid, oder When you meet a tender creature pp. [B 97] Er hatte einige Definitionen hergesagt ohne zu stocken und wenn er ein Wort ausließ, so wußte er es gleich nachzuholen, seine Zunge mehr als sein Ver- stand lehrte ihn daß etwas fehlte, denn er hatte alles auswendig gelernt. [B 98] In der Komödie suchte er bei jedem ihm lächerlich scheinenden Zug immer mit den Augen jemanden, der mit ihm lachen mögte, wenn ich dieses gewahr wurde, so kam ich ihm nie zu Hülfe, sondern sahe unver- wandt auf die Seite zu. [B 99] Er war so witzig, daß jedes Ding ihm gut genug war zu einem Mittelbegriff jedes Paar andere Dinge mit einander zu vergleichen. [B 101] Es ist lächerlich zu behaupten, daß man zuweilen zu gar nichts recht aufgelegt sei, ich glaube der Au- genblick da man sich stark genug fühlt einen Haupt- trieb, nämlich den Trieb zur Wirksamkeit und zum Handeln zu unterdrücken, dieses ist der Augenblick da man vielleicht geschickt wäre, die seltsamsten und größesten Dinge zu unternehmen. Es ist dieses eine Art von Entgeisterung worin die Seele eben so viel ungewöhnlich Kleines sieht, als in jenen Begeisterun- gen ungewöhnlich Großes, und wie diese letztere Art [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 49 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69145 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 65 ff.)] Zustand mit jenen verwegenen Aussichten der Astro- nomen verglichen werden kann, so läßt sich hingegen die erstere mit den Bemühungen eines Leeuwenhoek zusammenhalten. [B 106] Der Mensch kommt unter allen Tieren in der Welt dem Affen am nächsten. [B 107] Das Ding von dessen Augen und Ohren wir nichts und von dessen Nase und Kopfe wir nur sehr wenig sehen, kurz unser Körper. [B 109] Der Vignettenstecher muß sich allzeit doch nach großen und erhabenen Mustern bilden, denn das Nachlässige muß das Ausruhen einer mächtigen Hand, und nicht die mühsame Nachlässigkeit einer ungeübten sein. [B 111] Er hatte seine Bibliothek verwachsen, so wie man eine Weste verwächst. Bibliotheken können über- haupt der Seele zu enge und zu weit werden. [B 112] Die kleinen Pfennings-Vorurteile, (Tugenden) (Wahrheiten). [B 116] Von der so genannten großen Tour wie es die En- gelländer nennen hatte er das Stück von Mannheim nach Francfort etlichemal zu Fuß gemacht. [B 117] Der Stolz des Menschen ist ein seltsames Ding, es läßt sich nicht sogleich unterdrücken, und guckt, wenn man das Loch A zugestopft hat, ehe man sichs versieht zu einem andern Loch B wieder heraus und hält man da zu, so steht er hinter dem Loch C usw. [B 123] Es gibt zwei Wege das Leben zu verlängern, erst- lich daß man die beiden Punkte geboren und gestor- ben weiter von einander bringt und also den Weg län- ger macht, diesen Weg länger zu machen hat man so viele Maschinen und Dinge erfunden, daß man wenn man sie allein sähe unmöglich glauben könnte, daß sie dazu dienen könnten einen Weg länger zu machen, in diesem Fache haben einige unter den Ärzten sehr viel geleistet. Die andere Art ist, daß man langsamer geht und die beiden Punkte stehen läßt, wo Gott will, und dieses gehört für die Philosophen, diese haben nun gefunden, daß es am besten ist daß man zugleich botanisieren geht, zickzack, hier versucht über einen Graben zu springen und dann wieder herüber, wo es rein ist, und es niemand sieht, einen Purzelbaum wagt und so fort. [B 129] Einteilung. Ich teile mir das Publikum so ein, Leute die gar keine Besoldung und auch keine fixe Einnahmen haben, arme Teufel, Leute die unter 5 hundert Taler Besoldung oder bestimmte Einnahmen haben, Leute die über 5 hundert Taler haben, Leute die in die Tausende kommen, oder von Consequence sind. Dieses sind die 4 Klassen in der natürlichen Ordnung, wo die 4. die größte ist. Ich deklariere also feierlichst im Angesicht dieser Messe, daß ich nie etwas in meinen Schriften gegen die 4. Klasse, ja nicht einmal gegen die 3. geredet oder gedacht habe, sondern daß ich auch niemals etwas weder reden noch denken werde was dieser ehrwürdigen Klasse entge- genlaufen könne. Die 2. Klasse versichere ich meiner Freundschaft als Mitgenossen, allein die erste Klasse! Sehet da das Feld für einen deutschen Satyrenschrei- ber, unübersehbar; arme Teufel gibt es überall, und wird vermutlich welche geben so lange die Welt ste- hen wird. [B 137] Bei dem Frauenzimmer fällt der Sitz des Point d'honneurs mit dem Schwerpunkt zusammen, bei den Mannspersonen liegt er etwas höher in der Brust um das Zwerchfell herum. Daher bei Mannspersonen die elastische Fülle in jener Gegend bei Unternehmung prächtiger Taten, und eben daher das schlappe Leere daselbst bei der Unternehmung kleiner. [B 139] den 3. Mai 1769. Alle Leute, welche Sachen von uns kaufen, die wir nicht mehr brauchen, und eben aus dieser einzigen Ursache weggeben, stehen nicht in dem besten Kredit bei der Welt, die Antiquarii die geringen Juden, alle Trödler, die Dungkärrner, die ihre Grade haben und endlich sich gar in das Unehrliche verlieren. [B 142] Ich gehe zuweilen in 8 Tagen nicht aus dem Hause und lebe sehr vergnügt, ein eben so langer Hausarrest auf Befehl würde mich in eine Krankheit werfen. Wo Freiheit zu denken ist, da bewegt man sich mit einer Leichtigkeit in seinem Zirkel, wo Gedanken-Zwang ist, da kommen auch die erlaubten mit einer scheuen Miene hervor. [B 143] Der beständige Umgang den Kunkel mit Büchern von allerlei Art hatte, die Titel die er las und über welche er sprechen hörte und sich befragte, hatten in seinem Kopf eine Art von allgemeiner Enzyklopädie erzeugt, welche gedruckt zu sehen vielleicht des größ- ten Betrachtungen-Sammlers nicht unwürdig wäre. Weil ich mich öfters mit ihm über mathematische Bü- cher besprochen habe, so kenne ich ihn von dieser Seite etwas gnauer. Seine Begriffe formierten sich ohngefähr so. Er sah Kästners Ruhm und Besoldung, 1. Schluß also durch Mathematik kann man zu Ruhm und Brod kommen. Er sah eine Sprache in den mathe- matischen Büchern die sich von allen andern christli- chen und heidnischen Sprachen unterschied, 2. Schuß die Mathematik ist erschrecklich schwer. Einige Bü- cher gingen ihm beständig ab, andere blieben ihm ste- hen und beinah ewig stehen, 3. Schluß einige Teile der Mathematik müssen also wohl Brod eintragen, al- lein sie wird doch nicht so recht getrieben. Er sah die Finsternisse voraussagen, und zwar daß wie er selbst sagte die Kalendermacher selten sich um ein paar Va- terunsers lang irrten, 4. Schluß das ist etwas Außeror- dentliches um die Mathematik. Zusammengenommen sah seine Definition ohngefähr so aus: Die Mathema- tik ist eine Profession, wobei ein ehrlicher Mann alle seine 5 Sinne nötig hat, die Ehre und auch Brod ein- bringt, aber nicht viel getrieben wird, einige Teile davon müssen fast so brauchbar sein als die Pandek- ten; sie lehrt künftige Dinge vorhersagen und das auf eine erlaubte Art, die Mathematiker wissen vermut- lich wenn unsereiner stirbt, aber sie tun wohl, daß sie es uns vorenthalten, und Gott gebe, daß die Lands- obrigkeit es ihnen niemals erlaubt etwas davon auszu- plaudern. So viel ich hören und schließen konnte, so war seine Tafel der menschlichen Erkenntnis so ge- teilt Wissenschaften bringen - Brod und Ehre: Jurisprudentia - Medicina - Theologia - Analysis infinitorum - kein Brod und keine Ehre: Metaphysica - Lo- ica - Critica - Ehre und kein Brod: Poesia - belles lettres - Phi- losophia - Mathesis - Brod und keine Ehre: Advocatia - Oeconomia - Anatomia - Rechnen und Schreiben [B 145] Er wußte wenigstens 10000 Wörter im Deutschen und konnte sie alle, in so fern es anging, deklinieren und konjugieren, aber wenigstens 8000 davon hatten sich in seinem Gehirn so von den eigentlichen Begrif- fen, die sie bezeichnen sollten, weggeschoben, daß sie öfters auf ganz andere zu liegen kamen oder daß sie doch über die Hälfte drüber oder drunter weg lagen, daher kamen die sonderbaren Vorstellungen von den Wissenschaften, wovon er doch täglich die Bücher unter Händen hatte. Manche Wörter waren bei ihm von einem abscheulichen Umfang daß sie nicht allein zwei drei Geschlechter, sondern jede Gattung und jedes Individuum besonders bezeichneten, so werden wir eine besondere Bedeutung von dem Wort belles lettres bei ihm finden. Das Wort Beruf druckte bei ihm die Begriffe Hang Neigung und Leidenschaft aus. Kurz in einem Kopf, wo die Wörter nicht recht liegen, da ist eine ganz andere Denkungs-Art, ein an- deres Jus naturae, andere Belleslettres, die ganze Haushaltung muß sich ändern, man wird Fremdling in seinem eigenen Vaterland und in der Welt. Also woll- te ich allen jungen Leuten raten, alle neue Wörter fein zu ordnen und so wie die Mineralien in ihre Klassen zu bringen, damit man sie finden kann, wenn man darnach fragt oder sie selbst gebrauchen will. Dieses heißt Wörter-Ökonomie, und ist dem Verstand eben so einträglich, als die Geld-Ökonomie dem Beutel. [B 146] Die Gruppierung der Qualitäten und der Taten, guter sowohl als böser, unter einander ist eine der schwersten Künste, und welche viele große Leute notwendig verstehen mußten, um bei der Nachwelt nicht allen Kredit zu verlieren. Eine hervorstechende Tugend und ein hervorstechendes Laster zusammen nimmt sich in einiger Entfernung so ziemlich aus. Schleichende, modeste Laster mit hervorspringenden Tugenden verträgt das Auge noch näher, hingegen stille Tugenden mit sehr schreienden Lastern geben einen häßlichen Anblick. Dieses war der Fall von un- serm K. [B 151] Trinken, wenn es nicht vor dem fünf und dreißig- sten Jahre geschieht, ist nicht so sehr zu tadlen, als sich viele von meinen Lesern vorstellen werden. Die- ses ist ohngefähr die Zeit, da der Mensch aus den Irr- gängen seines Lebens heraus auf die Ebene tritt in welcher er seine künftige Bahn von nun an offen vor sich hinlaufen sieht. Es ist betrübt, wenn er alsdann erst sieht daß es die rechte nicht ist, eine andre zu su- chen, wenn er nicht sehr gut zu Fuß ist, ist gemeinig- lich zu spät. Ist diese Entdeckung mit einer Unruhe verknüpft, so hat man durch die Erfahrung befunden, daß der Wein zuweilen Wunder tut, fünf bis sechs Gläser oder bis an die Spes dives des Horaz getrun- ken, gibt nun dem Menschen die Lage die er verfehlt hat, das Gesinnungen-System findet alles Äußere mit seinem angenehmsten Stande harmonisch, wo [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 57 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69153 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 75 ff.)] Prospekte verbaut sind, da reißt die Seele ein, und überall schafft sie sich die schönsten Perspektive, von dem reinsten rosenfarbenen Licht erhellt, oder dem erquickendsten Grün das nur ein Auge zur Stärkung und eine Seele zur angenehmsten Füllung verlangen kann. [B 159] Einen einzigen Abend in einer Laube im Genuß seiner eigenen Empfindung, wie es Wieland nennt, zuzubringen, war für ihn das Beste und Höchste, dar- nach schätzte er die Größe und das Glück der Men- schen, damit wog er Taten auf wovon das Gerücht durch Jahrtausende durchhallt. [B 160] Er hatte schon längst den stillen Vorsatz bei sich gefaßt etwas zu tun, das entweder in die gelehrte oder in die politische Zeitung kommen müßte. [B 161] Er und sein Bedienter waren so einig, einer depen- dierte so vom andern daß man sie ein 4füßigtes Tier nennen konnte. Der verheiratete 4füßigte Mensch. [B 165] Wir wundern uns zuweilen über die indianische Völker, die sich Briefe in Knoten schicken, unsere Buchstaben sind nichts als Knoten von Linien, wel- che, wie man aus der Schattierung erkennt, gewisse Bänder machen. [B 173] Er mußte etwas zu spielen haben, hätte ich ihn keine Vögel halten lassen, so hätte er Maitressen ge- halten. [B 175] Man soll sehr gut schießen, wenn man etwas ge- trunken, sehet da die Verwandtschaft zwischen Schüt- zenkunst und Poesie. [B 183] Was haben Sie hier? Ein Kompaß um durch die Welt zu reisen. Wie, in einem Beutel? Ja es sind 50 Louisd'or bar und Wechsels auf ein paar tausend an- dere. [B 186] Man pflegte ihn den Halbköpfigten zu nennen, nicht wegen einer besondern Einrichtung und Form seines Kopfes, als vielmehr desjenigen unsichtbaren Wesens, das nach der meisten Menschen Urteil im Kopf sitzt. [B 192] Ein gewisser Mensch bleibt allezeit in den Augen des Weltweisen einerlei, er mag Perüquenmacher oder Minister sein, so wie der Marmor derselbe bleibt, die Statue mag einen Kapuziner oder den Apollo vorstel- len, Bronze oder Sandstein wird er aber nicht. [B 194] Er trug die Livree des Hungers und des Elendes. [B 199] Rede eines Selbstmörders kurz vor der Tat aufge- setzt. Freunde! Ich stehe jetzo vor der Decke im Begriff sie aufzuziehen, um zu sehen ob es hinter derselben ruhiger sein wird als hier. Es ist dieses keine An- wandlung einer tollen Verzweiflung, ich kenne die Kette meiner Tage aus den wenigen Gliedern die ich gelebt habe zu wohl. Ich bin müde weiter zu gehen, hier will ich ganz ersterben oder doch wenigstens über Nacht bleiben. Hier nimm meinen Stoff wieder, Natur, knete ihn in die Masse der Wesen wieder ein, mache einen Busch, eine Wolke, alles was du willst aus mir, auch einen Menschen, aber mich nicht mehr. Dank sei es der Philosophie, daß mich jetzo keine fromme Possen in dem Zug meiner Gedanken stören. Genug ich denke, ich fürchte nichts, gut, also weg mit dem Vorhang! - - [B 209] Ihr Unterrock war rot und blau sehr breit gestreift und sah aus, als wenn er aus einem Theater-Vorhang gemacht wäre. Ich hätte für den ersten Platz viel gege- ben, aber es wurde nicht gespielt. [B 216] Weil er seinem Vater nun einmal bei der Zeugung mißlungen war, so getraute sich kein Kupferstecher nachher noch einmal sein Heil mit ihm in Kupfer zu versuchen. [B 217] Wenn Sie nur so viel Witz hätten als ein Senfkorn, so würden Sie dieses haben sagen müssen. [B 218] Taten, die zum Schaden der Täter, allein zum Vor- teil anderer eben deswegen gereichten, hat man weil sie ihrer Natur nach keine bare Bezahlung zuließen mit Lob zu bezahlen gesucht, und Ehrengedächtnisse sind Wechsel, die man auf die Nachwelt stellen muß, weil sie oft die lebende Welt mit Protest würde zurückgehen lassen. [B 220] Leute werden oft Gelehrte so wie manche Soldaten werden, bloß weil sie zu keinem andern Stand taugen, ihre rechte Hand muß ihnen Brod schaffen, sie legen sich, kann man sagen, wie die Bären im Winter hin und saugen aus der Tatze. [B 223] Die Barbarei ist eine Sündflut über die Wissen- schaften gewesen welche der witzelnde Frevel einiger römischen beaux esprits über dieselben gebracht hat, sie ist in beinah 2000 Jahren noch nicht ganz ver- trocknet, selbst in Deutschland stehen hier und da noch starke Pfützen, wie Seen, wo gewiß keine Taube ein Ölblatt finden würde. [B 224] Beleidigungen des Verstandes und Witzes. [B 226] To be or not to be - Toby or not Toby, that is the question? [B 229] Das Trinken hat wie die Malerei seinen mechanischen und dichterischen Teil, so wie auch die Liebe. Dieses gehört mit zur Pinik. [B 236] Wer ist da? Nur ich. O das ist überflüssig genug. [B 240] Wenn uns ein Engel einmal aus seiner Philosophie erzählte, ich glaube es müßten wohl manche Sätze so klingen alswie 2 mal 2 ist 13. [B 242] Er konnte nicht begreifen warum zuweilen unwi- derstehliche Neigungen in ihm entstunden, wozu ihm doch alle Befriedigung abgeschnitten war. Er richtete diese Zweifel oft als eine Preisfrage an den Himmel und eine befriedigende Beantwortung versprach er mit einer völligen Verleugnung seiner selbst und einer ge- lassenen Unterwerfung zu erwidern. [B 243] Und mit dem Wein, der nun nicht mehr in den Bou- teillen, sondern im Kopf war, gingen sie auf die Stra- ße. [B 245] Nimm dich in acht, daß meine Gedult nicht über deiner Langsamkeit ablauft. Auf meine Ehre, ich ziehe sie deinetwegen nicht noch einmal auf. [B 249] Es ist zum Erstaunen wie sehr unsere Eitelkeit mit jedem Bettel schachert, was der Arme nicht mehr nüt- zen kann wirft er auf den ersten den besten Weg hin umsonst. Wir, die wir uns mehr dünken als Bettel- Leute, geben unsere abgenutzte Kleider zuweilen dem ersten dem besten Armen gegen Erlegung [von] etwas weit Wichtigerm, als es uns zu stehen kam, gegen Dank und Verbindlichkeit. [B 252] Wenn ich einmal sein Leben herausgebe, so suchen Sie gleich im Index die Wörter Bouteille und Selbst- Genuß auf, sie enthalten das Wichtigste von ihm. [B 255] Er bewegte sich so langsam als wie ein Stunden- -Zeiger unter einem Haufen von Sekunden-Zeigern. [B 258] Es wäre nicht gut, wenn die Selbstmörder oft mit der eigentlichen Sprache ihre Gründe erzählen könn- ten, so aber reduziert sie sich jeder Hörer auf seine ei- gene Sprache und entkräftet sie nicht sowohl dadurch, als macht ganz andere Dinge daraus. Einen Menschen recht zu verstehen müßte man zuweilen der nämliche Mensch sein, den man verstehen will. Wer versteht, was Gedanken-System ist, wird mir Beifall geben. Öf- ters allein zu sein, und über sich selbst zu denken, und seine Welt aus sich zu machen kann uns großes Vergnügen gewähren, aber wir arbeiten auf diese Art unvermerkt an einer Philosophie, nach welcher der Selbst-Mord billig und erlaubt ist, es ist daher gut sich durch ein Mädgen oder einen Freund wieder an die Welt anzuhaken, um nicht ganz abzufallen. [B 262] Bei unsrem frühzeitigen und oft gar zu häufigen Lesen, wodurch wir so viele Materialien erhalten ohne sie zu verbauen, wodurch unser Gedächtnis gewöhnt wird die Haushaltung für Empfindung und Ge- schmack zu führen, da bedarf es oft einer tiefen Philo- sophie unserm Gefühl den ersten Stand der Unschuld wiederzugeben, sich aus dem Schutt fremder Dinge herauszufinden, selbst anfangen zu fühlen, und selbst zu sprechen und ich mögte fast sagen auch einmal selbst zu existieren. [B 264] Wie hat es Ihnen in dieser Gesellschaft gefallen? Antwort Sehr wohl, beinah so sehr als auf meiner [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 65 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69161 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 89 ff.)] Kammer. [B 266] Ich weiß nicht, der Mensch hatte würklich die Miene, die man ein In-sich-kehren der Augen des Gei- stes nennen könnte, und allezeit ein Zeichen des Ge- nies ist. [B 267] Kein Schriftsteller muß je glauben, daß das, was einer gemischten Gesellschaft gefällt, deswegen der Welt gefalle. Die kleine Gesellschaft hat alle erforder- liche Mittel einen Gedanken in allen seinen Relatio- nen zu betrachten, sie kann aus der Gelegenheit und Umständen die Zeit messen, die der Urheber brauchte ihn hervorzubringen, die Vergleichung der Zeit oder anderer Umstände mit dem inneren Gewicht des Ge- dankens könnte man sein Moment nennen, und man sieht, daß ein schlechter Gedanke zuweilen ein großes Moment bekommen, wenn er unerwartet kommt, dabei nicht viel Zeit kann gekostet haben. Die Welt schätzt bloß das Werk nach dem Gewicht, nicht nach der Zeit, worin es ist zu Stande gebracht worden. Wüßte der Leser die Umstände gnau, so würde der Gedanke nichts verlieren, es ist aber höchst ungereimt zu glauben, daß dasjenige, was ich einer Gesellschaft sage die ich kenne, eben die Wirkung auf ein ganzes Publikum haben soll das ich doch nicht kenne. [B 271] Vernunft und Einbildungskraft haben bei ihm in einer sehr unglücklichen Ehe gelebt. [B 275] Er hatte als eine Grund-Regel seines Tun und Las- sens den Anti-Shaftesburyschen Satz angenommen, sich nie mit sich selbst zu gemein zu machen, weil er wohl voraussah, daß die Folge eine Verachtung seiner selbst sein müsse. [B 277] Die Hypothesen einiger Neuern laufen noch nicht gegen die Erfahrung, aber ich fürchte die Erfahrungen werden einmal gegen sie laufen. [B 281] Etwas in Prose oder in Versen arbeiten zu können, ist zu gewissen Zeiten eben so bequem, als sich selbst rasieren und frisieren zu können. [B 288] Ich habe eine Menge kleiner Gedanken und Ent- würfe zusammengeschrieben, sie erwarten aber nicht sowohl noch die letzte Hand, als vielmehr noch einige Sonnenblicke, die sie zum Aufgehen bringen. [B 295] Auf ein schönes Mädgen, das in der Kirche sehr andächtig war Andächtiger und schöner als Lucinden Wird man nicht leicht ein Mädgen beten sehn; In jedem Zug lag Reue für die Sünden Und jeder reizte zum Begehn. [B 299] Es ist eine Frage, welches schwerer ist, zu denken oder nicht zu denken. Der Mensch denkt aus Trieb, und wer weiß nicht wie schwer es ist einen Trieb zu unterdrücken. Die kleinen Geister verdienen also würklich die Verachtung nicht, mit der man [ihnen] nun in allen Landen zu begegnen anfängt. [B 308] Es ist ein Fehler, den der bloß witzige Schriftsteller mit dem ganz schlechten gemein hat, daß er gemeinig- lich seinen Gegenstand eigentlich nicht erleuchtet, sondern ihn nur dazu braucht sich selbst zu zeigen. Man lernt den Schriftsteller kennen und sonst nichts. So hart es auch zuweilen widergehen sollte eine witzige Periode wegzulassen, so muß es doch gesche- hen, wenn sie nicht notwendig aus der Sache fließt. Diese Kreuzigung gewöhnt allmählig den Witz an die Zügel die ihm die Vernunft anlegen muß, wenn sie beide zusammen mit Ehren auskommen sollen. [B 310] Um zu machen, daß man sich in einer einmal ange- fangenen Ironie erhält, ist es gleich von Anfang gut dem Ganzen eine Hauptwendung zu geben, das Ganze kann eine Verteidigung eines an sich schlechten Din- ges, eine Lobrede auf einen an sich schlechten Mann sein, dieses muß nicht einen Augenblick aus dem Ge- sicht verloren werden sobald man es einmal darein ge- faßt hat, alles muß eine entfernte Beziehung wenig- stens auf diese Absicht haben. Spott wird erhalten, wenn man ganz an sich bekannte, allgemein zugege- bene Dinge mit Umständen beweist bloß um Gelegen- heit zu haben neue lächerliche Seiten von dem Dinge anzugeben, und umgekehrt wenn man Dinge als be- kannt annimmt die allgemein widersprochen werden. Das Ganze muß ein angenommener Ernst sein, und den nichtswürdigsten Kleinigkeiten muß ein Ansehen von Wichtigkeit gegeben werden, als wenn der Wert der ganzen Sache und Glück und Seligkeit davon ab- hingen. [B 311] Er hatte etwas an sich, was die Herrnhuter gemei- niglich gesalbtes Wesen, der stubensitzende Lehrer der Theologie Frömmigkeit, der vernünftige Mann der die Welt kennt Einfalt und Unverstand nennt. [B 314] Wieland ist ein großer Schriftsteller, er hat verwe- gene Blicke in eine Seele getan, in die seinige oder eines andern, mitten in dem Genuß seiner Empfindun- gen greift er nach Worten und trifft, wie durch einen Trieb, unter Tausenden von Ausdrücken oft den, der augenblicklich Gedanken wieder zu Empfindungen macht. Dieses hat er mit dem Shakespear gemein, ich meine hiermit nicht, daß er ihn nachahmt. Sternen hat er vielleicht nachgeahmt, das ist er hat in Dingen Sternen gefolgt, in welchen ein weit geringerer Geist, als Wieland ihm auch hätte folgen können, da wo er Sternische Bemerkungen über die Dinge macht, da wollte ich nicht gerne sagen, daß er ihm nachgeahmt habe, dieses zu tun muß allemal einige Übereinstim- mung in den ersten Grundkräften beider Seelen, oder, wenn man lieber will, in den entferntesten Modifika- tionen derselben sein. Wieland ist aber weit über alles was ich kenne in den Schilderungen der sinnlichen Wollust, so wie sie sich einer schönen Einbildungs- kraft entkörpert, und sie in den geistigen Genuß unendlicher Wonne versenkt, in welcher eine durch alle Sinne einströmende Wollust wie ein Tropfen ver- schwindet; durch die der Adept Könige und Kurfür- sten hinter sich läßt, sich gegen eine Welt gewogen stolz den Ausschlag gibt und Taten aufwiegt, wovon der Ruf durch Jahrtausende durchhallt. Sein Rosen- farb und Silber, sein Quell des Lichts, sein Klang der Sphären haben für den Kenner im stillen zu seiner Zeit eben den Wert den seine verschobene Halstücher, seine leinenen Nebel und seine zweideutigen Schatten zu einer andern Zeit für einen andern Leser haben. [B 322] Hätte die Natur nicht gewollt daß der Kopf den Forderungen des Unterleibes Gehör geben sollte, was hätte sie nötig gehabt den Kopf an einen Unterleib an- zuschließen. Dieser hätte sich ohne eigentlich dasjeni- ge zu tun was man Sünde nennt satt essen und sich satt paaren und jener ohne diesen Systeme schmieden, abstrahieren und ohne Wein und Liebe von platoni- schen Räuschen und platonischen Entzückungen reden und singen und schwatzen können. Küsse ver- giften ist noch weit ärger von der Natur gehandelt, als das Vergiften der Pfeile der Feinde im Krieg. [B 323] Ich wünschte mir bloß ein König zu sein um mit meinen geringen Talenten L der Große [zu] heißen. [B 326] Die ganz gemeinen Leute brauchen dasjenige was ihnen Gott zum Gebrauch in die Hände gegeben hat gewiß zweckmäßiger als wir vornehmen Leute. Ich meine nicht das bißgen Vermögen das ihnen der liebe Gott darbietet, das ihnen die großen Herren mit ihren langen Händen wegnehmen ehe sie es recht brauchen können, sondern was ich meine ist eigentlich Leib und Seele. Der Gelehrte sollte so in seiner Haushal- tung denken, wie der gemeine Mann in der seinigen, er denkt ohne zu wissen, daß er etwas tut, was die Ge- lehrten als ein sicheres Specificum gegen Fehler und Irrtümer anraten, wofür aber die meisten als für einem bitteren Tränkgen Abscheu tragen. Die Studierten ma- chen ein Gewerbe aus einem Ding das eine Pflicht ist und bilden sich ein, wenn sie über das denken, was sie tun, sie hätten einen Lohn im Himmel verdient, da es doch nicht um ein Haar mehr verdienstlich ist als bei seiner Frau zu schlafen. [B 332] Man gibt oft Regeln über Dinge, wo sie unstreitig mehr Schaden als Nutzen bringen. Was ich hier meine will ich mit einem Artikel aus einer Feuer-Ordnung erläutern. Anwendung wird sich jeder in seinen Wissenschaften zu machen wissen: Wenn ein Haus brennt, so muß man vor allen Dingen die rechte Wand des zur Linken stehenden Hauses und hingegen die linke Wand des zur Rechten stehenden Hauses zu decken suchen. Die Ursache ist leicht einzusehen, denn wenn man zum Exempel die linke Wand des zur Linken stehenden Hauses decken wollte, so liegt ja die rechte Wand des Hauses der linken Wand zur Rechten und folglich, weil das Feuer auch dieser Wand und der rechten Wand zur Rechten liegt, (denn wir haben ja angenommen, daß das Haus dem Feuer zur Linken liege), so liegt die rechte Wand dem Feuer näher als die linke, das ist die rechte Wand des Hau- ses könnte wegbrennen wenn sie nicht gedeckt würde, ehe die linke die man deckt wegbrennte, folglich könnte etwas wegbrennen das man nicht deckt und zwar eher ehe etwas anderes wegbrennen würde auch wenn man es nicht deckte, folglich muß man dieses lassen und jenes decken. Um sich die Sache zu impri- mieren darf man nur bemerken, wenn das Haus dem Feuer zur Rechten liegt, so ist es die linke Wand, und liegt das Haus zur Linken, die rechte Wand. [B 333] Die Scheidewand zwischen Vergnügen und Sünde ist dünne, daß sie der Strom des langsamsten Blutes im Siebenzigsten in Stücken drückt. Was? Will denn [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 73 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69169 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 115 ff.)] die Natur was sie nicht will? Oder denkt die Vernunft was sie nicht denken kann? Du Narr! Weg mit dieser verfluchten Demokratie wo alles das Wort führen will. Wenn ich will, soll eine uneinheimische, einge- führte nichtswürdige Sentenz aufsteigen und Fleisch und Blut Trotz bieten? Eine Sentenz Herr von diesem festen stäten Hang eines ganzen Systems zur Wollust? Ja werfe einem hungrigen Volk einen Zwieback zu und befriedige es oder halte die Flut mit einem Fächer auf. Sünde, was Sünde - dreitausend Stimmen gegen eine, es ist nichts. Eine Schuldistinktion oder Priester- -Betrug. So - hier steh ich fest, und dieses bin ich. Seid was ihr wollt, wohlan. [B 334] Ich fand ihn in seiner Stube, die Hose bis an die Knie herunterhängend und mit einem Messer in der Rechten, jedermann, der ihn so gefunden haben würde, würde geglaubt haben er wolle sich kastrieren, er hatte eben die Hosen die ihm geplatzt waren mit einem langen Bindfaden zugebunden, den er beschäf- tigt war abzuschneiden. [B 340] Unter den heiligsten Zeilen des Shakespear wünschte ich daß diejenigen einmal mit Rot erschei- nen mögten, die wir einem zur glücklichen Stunde getrunkenen Glas Wein zu danken haben. [B 342] Montags den 10. Dec. 1770 setzte ich meinen Wahlspruch Whim fest. Denn ist es nicht Whim in dieser Welt einmal sein wollen was wir sein wollen, was wir sein sollen. Wir sind immer etwas anderes das von Gebräuchen der Vor- und Mitwelt abhängt, ein leidiges accidens eines Dings das keine Substanz ist. Ist denn die menschliche Natur ein Ding das sei- nen Kopf im Paradies und seinen Schwanz am andern Ende der Ewigkeit hat und dessen Glieder Homöome- rien des Ganzen sind? [B 343] Ein gewisser Freund den ich kannte pflegte seinen Leib in drei Etagen zu teilen, den Kopf, die Brust und den Unterleib, und er wünschte öfters, daß sich die Hausleute der obersten und der untersten Etage besser vertragen könnten. [B 344] Lieber Freund, du kleidest deine Gedanken so son- derbar, daß sie nicht mehr aussehen wie Gedanken. Sage mir ob dieser nicht seltsam gekleidet ist und du sollst alle die meinigen nackend sehen ehe sie noch meine Sinnen mit ihrer Livree bedecken. Es ist eine Schande, die meisten unserer Wörter sind mißbrauch- te Werkzeuge, die oft noch nach dem Schmutz rie- chen, in dem sie die vorigen Besitzer entweihten. Ich will mit neuen arbeiten, oder ohne so viel Luft dazu zu brauchen, als ein Sommervogel aussumst, nur mit mir selbst in alle Ewigkeit sprechen. [B 346] Wenn es so viel Kreuzigung kostet, so ist es leich- ter gegen eine Breche zu marschieren als auf den Himmel zu. [B 350] Wie abgeschmackt ist alles ohne dich, die Welt sieht mir aus wie eine kalte leere Stube, und die neue- sten Dinge als wenn ich sie schon 3 mal gesehen hätte. [B 351] Selbst dadurch daß wir uns vergnügen auch noch einer geliebten Person außerdem ein großes Vergnü- gen machen, ist das Reizendste was sich der empfind- liche Mensch denken kann, daher hat auch die gütige Natur dieses Prämium demjenigen versprochen, der sich die Mühe nehmen würde andere seines gleichen zu machen. [B 352] Unser fetter Bacchus, der seine dicken Schenkel über ein Faß geschlagen in der Rechten sein Baßglas hält, muß wieder zu jenem sanften Gott der Alten zu- rückgebracht werden. [B 353] protokollieren, prodekollieren. [B 356] Polizei, Polzei, Plotzei, Platzei, Platzerei, Plackei, Plackerei. [B 357] Apostel, Apostille, Postille. [B 358] Der liebe Gott muß uns doch recht lieb haben, daß er immer in so schlechtem Wetter zu uns kommt. [B 359] Bei einem kleinen Fieber glaubte ich einmal deut- lich einzusehen, daß man eine Bouteille Wasser in eine Bouteille Wein verwandeln könne durch die nämliche Methode wie man eine Figur in einen Trian- gel verwandelt. [B 360] Sie glauben oft um ein schöner Geist zu sein müsse man etwas liederlich leben, und gleichsam das Genie mit verdorbenen Sitten fett machen. [B 361] Was hilft das Lesen der Alten, sobald ein Mensch den Stand der Unschuld einmal verloren hat, und wo er hinsieht überall sein System wieder erblickt, daher urteilt der mittelmäßige Kopf es sei leicht wie Horaz zu schreiben, weil [er] es für leicht hält besser zu schreiben, und weil dieses besser zum Unglück schlechter ist. Je älter man wird (vorausgesetzt, daß man mit dem Alter weiser werde), desto mehr verliert man die Hoffnung besser zu schreiben als die Alten, am Ende sieht man, daß das Eichmaß alles Schönen und Richtigen die Natur ist, daß wir dieses Maß alle in uns tragen, aber so überrostet von Vorurteilen, von Wörtern wozu die Begriffe fehlen, von falschen Be- griffen, daß sich nichts mehr damit messen läßt. [B 365] Ist es denn so unrecht daß der Mensch wieder durch die nämliche Pforte zur Welt hinausgeht durch die er hineingekommen ist? [B 369] Alle Äpfel-Mädchen von der Eva bis auf sie. [B 372] Es kann nicht alles ganz richtig sein in der Welt weil die Menschen noch mit Betrügereien regiert wer- den müssen. [B 387] Es tun mir viele Sachen weh, die andern nur leid tun. [B 389] Ich warf allerlei Gedanken im Kopf herum bis end- lich folgender obenhin zu liegen kam. [B 394] Er erschien an diesem Tag ganz neu gekleidet und ziemlich heiter, die Leute wunderten sich, wo er es her hatte; allein es ist wahrscheinlich, daß er in seinen guten Umständen ein Kapital im Himmel gesammelt hatte, wovon zuweilen ganz unerwartet die Interessen einkamen. [B 395] Fein war er eigentlich nicht, allein er verstund doch die Kunst, wenn er es bedurfte, zuweilen auf seinen Nebenmenschen zu reiten. [B 396] Er hatte so wenig Macht über sich selbst, daß er es nicht einmal über sich bringen konnte seinen Stock in eine gewisse Ecke seiner Stube zu stellen, wie er sich doch vorgenommen, sondern wenn er nach Hause kam, so ging er an der Ecke vorbei und es war ihm gemeiniglich zu unbequem ihn aus der Hand zu las- sen bis er an ein anderes Ende der Stube gekommen war. [B 397] Karl der 12. verteidigt sich mit einigen seiner Be- dienten bei Bender gegen etliche tausend Janitscha- ren. Ein Chineser kastriert sich in seinem 30. Jahr um sich zum Sklaven zu verkaufen wie Bell von Anter- mony erzählt. Ein englischer Matrose im Jahr 1771 schneidet sich mit einem Brod-Messer das Fleisch vom Arm gleich über dem Gelenk rings herum ab, bricht den Knochen auf dem Knie entzwei und wirft die Hand ins Meer, bloß weil ihn wie er sagt seine Hand ärgerte. Welches von diesen 3en würden Sie am liebsten getan haben? [B 412] Von allen Mordtaten sind nur diejenigen ausgekommen, von denen man etwas weiß. [B 413] In saufbrüderlicher und kaffeeschwesterlicher Ein- tracht. [B 415] Ihr, die ihr dieses entweder als Päckgen oder als Packpapier von eurem Buchhändler erhalten werdet. [B 416] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 81 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69177 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 134 ff.)] [Aus »Sudelbuch« C] Die eine Schwester ergriff den Schleier und die an- dere den Hosen-Schlitz. pm [C 5] Bei mir liegt das Herz dem Kopf wenigstens um einen ganzen Schuh näher als bei den übrigen Men- schen, daher meine große Billigkeit. Die Entschlüsse können noch ganz warm ratifiziert werden. [C 20] Ein Drei-Groschen-Stück ist immer besser als eine Träne. [C 22] Ihr die ihr so empfindsam von der Seele eurer Mäd- chen sprechen könnt, ich gönne euch diese Freude, glaubt aber ja nicht, daß ihr so was Erhabenes tut oder sagt, oder dünkt euch nicht edler als der Pöbel, der gewiß so gar unrecht nicht hat sich hauptsächlich an den Körper zu halten. Was doch ein junger Rezen- sionen-Leser für eine Idee von einem so feinen Senti- ment hat! Der Bauerknecht schielt nach dem Unter- ock-Schlitz und sucht den Himmel dort, den du in den Augen suchst. Wer hat recht? Ich wäge keine Gründe in dieser Frage und noch viel weniger entscheide ich sie, aber raten will [ich] es aus treuem Herzen allen empfindsamen Kandidaten, daß sie sich mit dem Bau- ern setzen, es könnte sonst auf verdrießliche Weitläuf- tigkeiten hinauslaufen. [C 23] Mit größerer Majestät hat noch nie ein Verstand still gestanden. [C 25] Die Sand-Uhren erinnern nicht bloß an die schnelle Flucht der Zeit, sondern auch zugleich an den Staub in welchen wir einst verfallen werden. [C 27] Dieser Satz gehört mit unter die offizinellen. [C 28] Ja die Nonnen haben nicht allein ein strenges Ge- lübde der Keuschheit getan, sondern haben auch noch starke Gitter vor ihren Fenstern. A. O durch das Gelübde wollten wir wohl kom- men, wenn wir nur durch die Gitter wären. [C 37] Er kann sich einen ganzen Tag in einer warmen Vorstellung sonnen. [C 38] Die Mädchen hören euch vielleicht gerne zu, wenn ihr auf euren Lauten eure Phantasien vorklimpert, wenn es ihnen aber zu tun ist zwischen Geist und Fleisch Friede zu stiften, so werdet ihr nie zum Kon- greß gelassen. [C 51] Die englischen Genies gehen vor der Mode her und die deutschen hinten drein. [C 53] Was einem das Liegen auf dem rechten Ellenbogen ist, nachdem man eine Stunde auf dem linken gelegen. [C 81] Man könnte auch leblose Dinge unter sich korre- spondieren lassen. Schreiben des Göttingischen Qua- dranten an seinen Bruder in Greenwich. 2) eines Fuß- schemels an einen Armsessel. Geheime Unterredung eines Dintenfasses mit einer Sandbüchse, ihre Philo- sophie über die benachbarten Gegenstände. [C 85] Ein gewisser westfälischer Garnhändler konnte jedem Stück Garn ansehen in welcher Familie des Dorfes es gesponnen worden war, so geschwind und so gut als man eine Schrift erkennt. [C 99] Es gibt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, ist ein wahrer Satz, womit sich mancher witzlose Dummkopf beruhigt, der bedenken sollte, wenn das nicht zuviel von einem Dummkopf gefordert heißt, daß es wieder 100 Leute, die weder Witz noch Ver- stand haben, gegen einen gebe, der Witz hat. [C 100] Gib meinen guten Entschlüssen Kraft, ist eine Bitte, die im Vaterunser stehen könnte. [C 101] Aus der Weisheit Gottes manche Sachen schließen zu wollen ist nicht viel besser, als es aus seinem eig- nen Verstand zu tun. [C 103] Diogenes ging in einem schmutzigen Aufzug über die prächtigen Fußdecken in den Zimmern des Plato. Ich trette, sagte er, den Stolz des Plato mit Füßen; ja, erwiderte Plato, aber nur durch eine andere Art von Stolz. [C 115] Wer hört Entschuldigungen, wenn er Handlungen hören kann? [C 139] Wir Protestanten glauben nunmehr in sehr aufge- klärten Zeiten in Absicht auf unsere Religion zu leben. Wie wenn nun ein neuer Luther aufstünde? Vielleicht heißen unsre Zeiten noch einmal die fin- stern. Man wird eher den Wind drehen oder aufhalten können, als die Gesinnungen des Menschen heften. [C 148] Die Regeln der Grammatik sind bloße Menschen- -Satzungen daher auch der Teufel selbst, wenn er aus besessenen Leuten geredet, schlecht Latein geredet. Wie man dieses in der Geschichte des Urbain Gran- dier im Pitaval Tome II. mit mehrerm nachlesen kann. [C 151] Dieses ist dem Menschen so natürlich als das Den- ken, oder das Werfen mit Schneebällen. [C 157] Es war ihm unmöglich die Wörter nicht in dem Be- sitz ihrer Bedeutungen zu stören. [C 158] In Hannover logierte ich einmal so, daß mein Fen- ster auf eine enge Straße ging, wodurch die Kommu- nikation zwischen zwo großen erhalten wurde. Es war sehr angenehm zu sehen, wie die Leute ihre Gesichter veränderten, wenn sie in die kleine Straße kamen, wo sie weniger gesehen zu sein glaubten, so wie einer hier pißte, der andere dort sich die Strümpfe band, so lachte der eine heimlich, und schüttelte der andere den Kopf. Mädchen dachten mit einem Lächeln an die vo- rige Nacht und legten ihre Bänder zu Eroberungen auf der nächsten großen Straße zurecht. [C 166] Ein Vater schloß einen Brief an seinen Sohn: Wenn du nicht gleich nach Hause kommst, so soll dich der Henker holen: Gott befohlen. [C 172] Es wird schwerlich Ein Mensch können gefunden werden, dessen Urteil über das Gute und Schöne als die Stimme der menschlichen Natur wird angesehen werden können. Man sollte anfänglich glauben, daß ein Mann von der größten Erfahrung und Einsicht al- lemal am besten schreiben würde. Allein ist der Wit- zige nicht eben so gut ein Mensch? Da ein menschli- ches Geschlecht von lauter Weisen so wenig das glücklichste wäre als eines von lauter Narren oder Witzigen, sondern das Glück desselben vielmehr in einer Mischung derselben besteht, so kann kein Glied desselben sein Gedanken- und Gesinnungen-System als das Maß des Besten angeben. Seneca und Plinius haben so gut recht als Cicero. Am besten wird derje- nige schreiben, der so schreibt wie es die Vernünftig- sten derjenigen Klasse gut finden würden die er durch seine Schriften zu belehren gedenkt. Allgemeine Re- geln werden sich nie in diesem Stück angeben lassen. [C 181] Es frißt etwas mein Fleisch und trinkt mein Blut. [C 184] Die kleinsten Unteroffizier sind die stolzesten. [C 186] Die Türken begegnen den Christen so, wie die schlechtesten Leute bei uns den Juden, der Türke nennt den Christen Dsjaur, das ist Ungläubiger, er gibt aber auch im Zorn seinem Vieh diesen Namen. Die Leute in Konstantinopel nötigen zuweilen vorbei- gehende Christen die Straße vor ihren Häusern zu rei- nigen, oder für Erlassung davon Geld zu bezahlen. Herr Niebuhr sagt dieses Beschreibung von Arabien p. 44. Die Christen müssen von den Eseln steigen wenn ein Türke zu Pferd kommt. Die Edlen in Bata- via sollen es aber den Indianern und Europäern selbst nicht besser machen, die Araber sind hierin besser. Ihre Gastfreiheit aber ist außerordentlich. [C 187] Ich habe sehr oft schon darüber nachgedacht, worin sich eigentlich das große Genie von dem gemeinen Haufen unterscheidet. Hier sind einige Bemerkungen, die ich gemacht habe. Der gewöhnliche Kopf ist immer der herrschenden Meinung und der herrschen- den Mode konform, er hält den Zustand in dem sich alles jetzt befindet für den einzig möglichen und ver- hält sich leidend bei allem. Ihm fällt nicht ein, daß alles von der Form der Meublen bis zur feinsten Hy- pothese hinauf in dem großen Rat der Menschen be- schlossen werde, dessen Mitglied er ist. Er trägt dünne Sohlen an seinen Schuhen, wenn ihm gleich die spitzen Steine die Füße wund drücken, er läßt die Schuh-Schnallen sich durch die Mode bis an die [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 89 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69185 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 152 ff.)] Zehen rücken, wenn ihm gleich der Schuh öfters stecken bleibt. Er denkt nicht daran, daß die Form des Schuhs so gut von ihm abhängt, als von dem Narren, der sie auf elendem Pflaster zuerst dünne trug. Dem großen Genie fällt überall ein: könnte auch dieses nicht falsch sein? Er gibt seine Stimme nie ohne Überlegung. Ich habe einen Mann von großen Talen- ten gekannt, dessen ganzes Meinungs-System, so wie sein Meubeln-Vorrat, sich durch eine besondere Ord- nung und Brauchbarkeit unterschied, er nahm nichts in sein Haus auf, wovon er nicht den Nutzen deutlich sah, etwas anzuschaffen, bloß weil es andere Leute hatten, war ihm unmöglich. Er dachte, so hat man ohne mich beschlossen, daß es sein soll, vielleicht hätte man anders beschlossen, wenn ich mit dabei ge- wesen wäre. Dank sei es diesen Männern, daß sie zu- weilen wenigstens wieder einmal schütteln, wenn es sich setzen will, wozu unsere Welt noch zu jung ist. Chineser dürfen wir noch nicht werden. Wären die Nationen ganz von einander getrennt, so würden viel- leicht alle obgleich auf verschiednen Stufen der Voll- kommenheit zu dem sinesischen Stillstand gelangt [sein]. [C 194] So wie wir eine Messiade und Verlornes Paradies, wo alles Göttliche menschlich zugeht, haben, so könnte ein Bauer eine Henriade schreiben, wo alles wie in seinem Dorfe, nur idealisiert vorginge. [C 197] Er weiß am besten, wo ihn der Soccus oder der Ko- thurn drückt. [C 200] Christen und Non-Christen, Metaphysiker und Nonmetaphysiker. [C 201] Er mäanderte wohl dreimal um die Stelle herum. [C 202] Er speiste so herrlich, daß 100 Menschen ihr: tägli- ches Brod gib uns heut davon hätte erfüllt werden können. [C 205] Das Bekehren der Missetäter vor ihrer Hinrichtung läßt sich mit einer Art von Mästung vergleichen, man macht sie geistlich fett, und schneidet ihnen hernach die Kehle ab, damit sie nicht wieder abfallen. [C 206] Die Bibliotheken werden endlich Städte werden, sagt Leibniz. [C 212] Der Mensch vergibt sich nichts ohne etwas zu er- warten, daher das Sammeln des Lohns im Himmel, Geißelung und dergleichen. Die Philosophie des ge- meinen Mannes ist die Mutter der unsrigen, aus sei- nem Aberglauben konnte unsre Religion werden, so wie unsere Medizin aus seiner Hausmittelkenntnis. Er tat etwas ohne Belohnung vorauszusehen, er erhielt [sie] aber auch ohne sich eines kurz vorhergängigen Verdienstes bewußt zu sein, was war natürlicher als eine Verbindung zwischen jenem Verdienst und die- ser Belohnung zu finden? Was konnte für den Religi- onsstifter wichtiger und was der Gesellschaft nützli- cher sein? So wurde der Mensch aus Eigennutz unei- gennützig und was ihm das Glück ohnehin zugeführt hätte wurde ihm als eine Bezahlung angerechnet, die ihn noch mehr verpflichtete. [C 219] Die Katholiken bedenken nicht, daß der Glauben der Menschen sich auch ändert, wie überhaupt die Zeiten und Kenntnisse der Menschen. Hier zunehmen und dort stille stehn ist den Menschen unmöglich. Selbst die Wahrheit bedarf zu andern Zeiten wieder einer andern Einkleidung um gefällig zu sein. [C 223] Zwei auf einem Pferd bei einer Prügelei ein schö- nes Sinnbild für eine Staatsverfassung. [C 229] Dieses haben unsere Vorfahren aus gutem Grunde so geordnet, und wir stellen es aus gutem Grunde nun wieder ab. [C 234] Zeit urbar machen. [C 245] Diese dachte er sich mit dem Schwert oder durch hermeneutische Kunstgriffe zuzueignen. [C 246] Du fragst mich Freund welches besser ist, von einem bösen Gewissen genagt zu werden oder ganz ruhig am Galgen zu hängen? [C 247] Er war das bei der Sache, was der Schwanz-Mei- ster bei der Ramme ist, er kommandierte, führte den dicksten Strick und arbeitete am wenigsten. [C 248] Ist denn kein Unterschied zwischen Gerechtigkeit und Schinderei? [C 249] Als der brave Mann tod war, so trug dieser den Hut, der den Degen so wie er, der ließ sich so frisie- ren, jener ging wie er, aber der redliche Mann wie er wollte keiner mehr sein. [C 250] Die Vergnügen der Einbildung sind gleichsam nur Zeichnungen und Modelle, womit die armen Leute spielen, die sich die andern nicht anschaffen können. [C 264] Er redete oft an Orten sehr frei wo jedermann eine heilige Miene annahm, dafür predigte er aber die Tu- gend wiederum an Orten, wo sie sonst kein Mensch predigte. [C 266] Wie leicht Eigenliebe, ohne daß wir es merken, die Triebfeder mancher uns von derselben ganz indepen- dent scheinenden Handlung sei, können wir daraus sehen, daß Leute das Geld lieben können als Geld ob sie gleich nie Gebrauch davon machen. [C 267] Gäbe es nur lauter Rüben und Kartuffeln in der Welt, so würde einer vielleicht einmal sagen, es ist schade daß die Pflanzen verkehrt stehen. [C 272] Die Indianer nennen das höchste Wesen Pananad oder den Unbeweglichen weil sie selbst gerne faulen- zen. [C 273 ] Ich kann es wohl begreifen aber nicht anfassen und umgekehrt. [C 277] Was Baco von der Schädlichkeit der Systeme sagt, könnte man von jedem Wort sagen. Viele Wörter, die ganze Klassen ausdrücken, oder alle Stufen einer gan- zen Leiter, werden wie von einer Stufe als individua gebraucht. Das heißt die Wörter wieder indefinieren. [C 278] Aus Aberlist, nach Aberglaube und Aberwitz. [C 281] Ein Streit unter einer Gesellschaft von Karrenge- fangenen über die Ehrlichkeit. [C 283] Ich habe einmal in Stade eine Ruhe mit einem heimlichen Lächeln in dem Gesicht eines Kerls er- blickt, der seine Schweine glücklich in eine Schwem- me gebracht hatte worein sie sonst ungern gingen, desgleichen ich nachher nie wieder gesehen habe. [C 300] Es gibt Materien in der Welt die sich am füglich- sten in Registern, andere die sich in Noten, wieder an- dere, die sich fast allein in Dedikationen sagen lassen. Andere nehmen sich im Vorbeigehen gesagt am be- sten aus. Zu einer Vorrede habe ich diejenige für die schicklichste befunden, die ich sogleich abhandeln will und gewiß allemal abhandeln werde, sollte ich auch noch hundert Vorreden schreiben. Soliloquium des Lesers. Wer bist du der du nachstehendes Büchelchen lesen willst? Belüge dich ja selbst nicht, alles aufrichtig ge- standen. Sehr wohl, da du nun dieses bist und nichts weiter, glaubst du auch daß es Leute geben kann die etwas anders sind? Dieses zugestanden. Hältst du diese Leute für bes- ser oder für schlechter als dich, da sie Fleisch und Blut wie du, fünf Sinne haben wie du, da sie auf derselben Erde stehen, da ihre Meinungen sich auch unter dem Mond und in einer Form von derselben Masse formiert haben wie die deinigen? [C 302] Wieland erzählt so viel Gutes vom Agathon, und scheint alle seine feinen Beobachtungen des Men- schen zu erschöpfen uns diesen Menschen sonderbar und groß vorzustellen, er spricht aber selbst so wenig, daß uns alles dieses nur Testimonia zu sein scheinen, und als solche würken. Ich kann es unmöglich glau- ben, daß ein so schwärmerischer delphischer Jesuiten- -Schüler Athen nur eine Stunde beherrschen kann, ja es wird mir bange, wenn ich höre, daß er sich da zu entschließt. Leute wie Agathon in Delphi entschließen sich selten oder niemals Beherrscher zu werden und taugen auch nicht dazu. Ich bin durch das ganze Stück dem Agathon nicht recht gut gewesen. Ich möchte fast sagen, ich mißgönne es dem delphischen Jesuiten- -Schüler, daß sich ein so großer Mann wie Wieland für ihn interessiert und jede seiner Alltags-Empfin- dungen durch so feine Theorien zu adeln sucht. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 97 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69193 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 195 ff.)] [C 330] Glaubt ihr etwa, eure Überzeugung habe ihre Stär- ke den Argumenten zu danken? Ihr irrt sicherlich, sonst müßte jeder, der sie hört, überführt werden, so gut als ihr. Voltaire ist verblendet, sagen die Theolo- gen, und er sagt: ihr seid verblendet. Da sie gar nicht gerichtlich dartun können, daß sie mehr Vernunft haben als er, und er mehr Weltkenntnis und Philoso- phie besitzt als sie, so ist noch ein Übergewicht auf seiner Seite. Man kann so gut für als wider einen Satz verblendet sein. Gründe sind öfters und meistenteils nur Ausführungen von Ansprüchen, um etwas, das man in jedem Fall doch getan haben würde, einen An- strich von Rechtmäßigkeit und Vernunftmäßigkeit zu geben. Es scheint die Natur habe eine so nötige Sache, als ihr die Überzeugung beim Menschen war, nicht gern auf Vernunftschlüsse allein ankommen las- sen wollen, indem diese leicht betrüglich sein können. Der Trieb kommt uns, dem Himmel sei es gedankt, schon über den Hals, wenn wir oft mit dem Beweis der Nützlichkeit und Nötigkeit noch nicht halb fertig sind. [C 332] Ich bemerkte würklich auf seinem Gesicht den Nebel, der allezeit während des Wonnegefühls aufzusteigen pflegt das man hat, wenn man sich über andere erhaben zu sein glaubt. [C 339] Es gibt Menschen die nicht so wohl schön schrei- ben, als vielmehr jedem decennio und saeculo das Modegesicht ablernen können, daß der Teufel selbst glauben sollte sie schrieben von Natur so. Es mag stürmen wie es will, so schwimmen verzwickte Bälge immer oben. Ich mag immer den Mann lieber, der so schreibt daß es Mode werden kann, als den der so schreibt wie es Mode ist. [C 340] Sie tun die Taten und wir übersetzen die Erzählun- gen davon ins Deutsche. [C 343] Große Leute fehlen auch, und manche darunter so oft, daß man fast in die Versuchung gerät sie für klei- ne zu halten. [C 345] Wenn ich doch eine Verrichtung wählen soll, die tausend Menschen schon vor mir gewählt haben, so soll es gewiß das Kompendienschreiben nicht sein. [C 346] Jemand wollte einmal seinen Fliegen in der Stube den Zucker abgewöhnen, und das hat ihn über ein hal- bes Pfund Zucker gekostet, und doch kamen noch immer welche, die ihn nicht verschmähten. [C 347] Das Gute ist deswegen so schwer in allen Wissen- schaften und Künsten zu erreichen weil ein gewisser festgesetzter Punkt erreicht werden soll; etwas nach einer vorgesetzten Regel schlecht zu machen wäre ebenso schwer, wenn es anders alsdann noch den Namen des Schlechten verdient. [C 353] Das müßte ein Tropf von einem Naturkündiger sein, der wenn man ihn bei 5000 Taler Besoldung ein paar Jahre einsperrte nicht wollte einen Folianten über einen Kirschenstiel schreiben. Jede Wissen- schaft, jedes Kapitel einer Wissenschaft, jede Para- graphe hat ihre Kirschenstiele. [C 359] Wenn man nun einmal in der Welt wollte, das bloß Nötige zu tun, so müßten Millionen Hungers sterben. [C 370] Die Menschen können nicht sagen, wie sich eine Sache zugetragen, sondern nur wie sie meinen, daß sie sich zugetragen hätte. [C 375] [Aus »Sudelbuch« D] Livius wußte schon nicht einmal mehr mit Gewiß- heit zu sagen ob die Horatier oder die Kuriatier die Römer waren. [D 8] In den Worten Vox populi vox Dei steckt mehr Weisheit, als man heut zu Tage in vier Worte zu stecken pflegt. [D 10] Es ist nicht Lasterhaß, sondern Halseisen-Furcht. oder so Wer kann in jedem Fall Tugend von Halsei- en-Furcht unterscheiden? [D 14] Wenn jemand Lavatern vor die Stirne schlägt und sagt, so wache doch auf Träumer, da schimpfen die Kandidaten der Empfindsamkeit, die Bürger brum- men und murren und die politischen Weisen zischeln sich auf der Straße in die Ohren, so geschäftig, so ge- sprächig, mit einer so geheimnisvollen Geschwätzig- keit, daß man glauben sollte die Äbtissin wäre mit Zwillingen niedergekommen oder der Erzbischof hätte den Dripper. Aber wenn jemand der gesunden Ver- nunft vor den Kopf schlägt, das achtet man so viel als ein Bohnenfleckgen. [D 30] Ich sehe gar nicht ab, warum wir uns einer so ge- wissenhafte Gnauigkeit in unsern Werken befleißigen und um so sehr um das mehr oder weniger in densel- ben bekümmern. Jeder der es uns nachtut wird immer um + x oder - x von dem eigentlichen Punkt abwei- chen. Zum Endzweck wird es immer gleichviel sein ob sich der Zirkel quadrieren läßt oder nicht, was schwätzen wir also? Etwa daß uns die Engel nicht auslachen? [D 41] Daß man sich aus heftigen Satyren nichts zu ma- chen habe ist nicht allein wahr, das wäre eine Kleinig- keit, sondern es ist courant wahr. Der Satz ist nicht bloß echt, sondern auch courant. [D 42] Manches an unserm Körper würde uns nicht so säuisch und unzüchtig vorkommen wenn uns nicht der Adel im Kopf steckte. [D 45] Allzeit: Wie kann dieses besser gemacht werden? [D 53] Lehre mich wie ich meinen heilsamen Entschlüssen Kraft gebe, lehre mich mit Ernst wollen was ich will, lehre Standhaftigkeit wenn die Stürme des Schicksals oder ein aufgestreifter weißer Arm meinen Bau von 3 Jahren beben machen. Lehre mich dem Menschen in das Herz zu reden, ohne daß mein Ausdruck in dem brechenden Mittel seines Gesinnungs-Systems eine andere Richtung nimmt, und dann gib mir noch Hora- zens Geist, und dein Ruhm soll durch Jahrtausende durch schallen. [D 54] Wenn ich dieses Buch nicht geschrieben hätte, so würde heute über 1000 Jahre abends zwischen 6 und 7 z.E. in mancher Stadt in Deutschland von ganzen andern Dingen gesprochen worden sein, als würklich gesprochen werden wird. Hätte ich zu Vardöhus einen Kirschkern in die See geworfen, so hätte der Tropfen Seewasser den Myn Heer am Kap von der Nase wischt nicht gnau an dem Ort gesessen. [D 55] Eine Uhr, die ihrem Besitzer immer um Viertel zu- ruft Du.... um halb Du bist - - um 3/4 Du bist ein...und wenn es voll schlägt: Du bist ein Mensch. [D 59] Er hatte vielen Schlachten beigewohnt, ohne eine Wunde zu bekommen, und wurde endlich von einer Bouteille Winser Breihan erschlagen, die zu fest zu- gekorkt gewesen war. Die Pfeife, die er dabei rauchen wollte, brennte schon. [D 61] Mit geschäftigem, dankverdienerischem Vorwitz. [D 64] Eine Fleder-Maus könnte als eine nach Ovids Art verwandelte Maus angesehen werden, die, von einer unzüchtigen Maus verfolgt, die Götter um Flügel bit- tet, die ihr auch gewährt werden. [D 65] Das ist wahr, meine Schuh kann ich mir nicht selbst machen, aber ihr Herrn, meine Philosophie laß ich mir nicht zuschreiben. Meine Schuh will ich mir allenfalls selbst machen lassen, das kann ich selbst nicht. [D 68] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 105 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69201 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 218 ff.)] Das heißt recht Eulen nach Athen oder Compendia nach Göttingen tragen. [D 70] Wenn er eine Rezension verfertigt, habe ich mir sagen lassen, soll er allemal die heftigsten Erektionen haben. [D 75] Er pflegte das die Abweichung der Leidenschaften zu nennen, wenn er etwas mit Hitze wollte, was unter oder über das Maximum der bürgerlichen Glückselig- keit fiel. [D 77] Aber hätte der Mann nicht etwas anderes Nützli- cheres schreiben können? Ja wenn ich dem Könige von England oder der Kaiserin von Rußland diente, die den Leib unterdessen reichlich speisen und klei- den, während als die Seele draußen auf der Jagd liegt; da wollte ich mir aus meinen eignen Erfahrungen sprechen, als Mensch, als Individuum in dem großen Rat über Wahrheit und Irrtum votieren, und der Mode nicht einen Fingerbreit nachtreten, sie mögte zu mir kommen. Aber wir, die wir von Hand zu Mund schreiben, wir müssen der Mode die Schleppe tragen, wenn wir eingelassen sein wollen, sie mag so schwer oder so unrein sein als sie will. Haben wir ja einen Gedanken, so darf er nicht so wie er ist ausgegeben werden, um ihn nicht überall ausgeschossen zu sehen, muß er das Gepräge der Zeit haben. Und ist das Un- recht? Wenn man nur nicht so gegen den Witz libel- lierte, an Witz Vergnügen zu finden ist dem Men- schen angeboren und ceteris paribus ist eine schön aufgetragene Wahrheit doch immer besser als eine auf freier Faust. Den Satz: es gibt 100 Witzige gegen einen der Verstand hat, rechne ich mit unter diejeni- gen häufigen Sätze, die das Geschicke weislich zum Trost gepreßter Dummköpfe courant hat werden las- sen, dagegen den andern zurückbehalten hat, nämlich daß es hundert Menschen gibt die weder Witz noch Verstand haben gegen einen der Witz hat. Was tadelt man gleich den Witz in einer Schrift? Mich dünkt, daß [es] erstlich überhaupt nicht menschenfreundlich und für einen Deutschen am wenigsten schön ist, ja wenn wir Mangel litten, so wollte ich es gelten lassen. Aber wem eine witzige Abhandlung nicht gefällt, der kann dieselbe Materie in einem andern Vortrage lesen. Wir haben nun fast über jedes Kapitel und jeden Paragraphen unsrer Erkenntnis ein Buch ohne Witz, wo man sich Rats erholen kann. Bekommen wir nun auch witzige, so hat man die Wahl. [D 79] Die Komödie bessert nicht unmittelbar, vielleicht auch die Satyre nicht, ich meine man legt die Laster nicht ab, die sie lächerlich macht. Aber das können sie tun, sie vergrößern unsern Gesichtskreis, vermeh- ren die Anzahl der festen Punkte aus denen wir uns in allen Vorfällen des Lebens geschwinder orientieren können. [D 81] Auch ich bin erwacht Freund, und zu dem Grad der philosophischen Besonnenheit gekommen, wo Liebe zur Wahrheit die einzige Führerin ist, wo ich allem was ich für Irrtum halte mit dem mir verliehenen Licht entgegengehe, ohne grade laut zu sagen, das halte ich für Irrtum, und noch weniger, das ist Irrtum. [D 84] Das Erheben in den Bürgerstand. [D 88] Men would be angels, angels would be Gods. Man hält immer das für verdienstlicher was einem sauer wird, dieses fließt aus einer Verachtung seines gegenwärtigen Zustandes, daher kommen die vielen Stümper, der Schnallengießer will die Meeres-Länge erfinden. Tue das was dir leicht wird, wovon du gern immer sprächest, wozu du gern jedermann brächtest wenn du könntest, wovon du dir deine eignen Vorstel- lungen machst, die andern Leuten zuweilen nicht in den Kopf wollen und die sie fremd und seltsam fin- den. Weiter muß man gehen, allerdings, allein es muß sich gleichsam von selbst geben, man muß glauben immer dasselbe zu tun und zur Verwunderung anderer Leute sehr viel mehr tun. Es ist ein Unglück wenn ein Mann von Fähigkeiten durch Empfehlungen von Männern, deren Begriffe von ihm etwas zu groß sind, in ein Amt kommt, wo man etwas Außerordentliches von ihm erwartet, das er noch nicht leisten kann. Es ist immer besser, daß das Amt geringer ist als die Fä- higkeiten. Wer oft dasselbe tut, kommt darin weiter, aber nicht der der sich vornimmt Dinge zu tun die von seinen gegenwärtigen Verrichtungen verschieden sind. Dieses könnte mit der Einleitung gesagt werden, daß man aus Erfahrungen reden müsse, wenn man lehren wolle, sein eignes Leben auf diese Art beschreiben fruchtet mehr für andere als hundert Kaiserhisto- ien. - Wenn man sagt: man müsse Geschichtbücher lesen um die Menschen kennen zu lernen, so muß man nicht glauben man verstehe jene feinen, ins Ver- schlagene fallenden Künste darunter, die lernt man wohl allein in der Gesellschaft, und gewiß sicherer und schneller. [D 92] Das was man tun muß, um wie Shakespear schrei- ben zu lernen, liegt viel weiter ab als die Lesung des- selben. [D 93] Aktiv- und Passiv-Visiten. [D 98] Die Zeitungsschreiber haben sich ein hölzernes Ka- pellchen erbaut, das sie auch den Tempel des Ruhms nennen, worin sie den ganzen Tag Porträte anschlagen und abnehmen und ein Gehämmer machen, daß man sein eignes Wort nicht hört. [D 108] Wenn du in einer gewissen Art von Schriften groß werden willst, so lese mehr, als die Schriften dieser Art. Wenn du auch schon nicht deine Äste über ein großes Stück Feld ausbreiten willst, so ist es deiner Fruchtbarkeit immer zuträglich deine Wurzeln weit ausgebreitet zu haben. Ein bloßer Leser des Wieland wird nie ein Wieland werden. Ich glaube Wieland nähme es wohl selbst über sich für die Wahrheit die- ses Satzes Bürge zu werden. [D 110] Bilder wie: die Offenherzigkeit schlägt der Dankbarkeit ins Gesicht. [D 119] Man kann sicher bei verschlossenen Augen in das erste beste Buch den Finger auf eine Zeile legen, und sagen, hierüber ließe sich ein Buch schreiben. Wenn man die Augen auftut, so wird man sich selten betro- gen finden. [D 123] So närrisch als es dem Krebse vorkommen muß wenn er den Menschen vorwärts gehen sieht. [D 125] Die Einwohner von Otaheite essen jeder allein, und können nicht begreifen wie es möglich sei in Gesell- schaft zu essen, zumal mit den Weibern. Banks wun- derte sich und fragte warum sie allein äßen, sie sag- ten, sie täten es weil es recht wäre, warum es aber recht wäre, wollten und konnten sie nicht sagen. [D 130] Alles bis auf das äußerste hinaus zu verfolgen, so daß nicht die geringste dunkle Idee zurückbleibt, mit Versuchen die Mängel daran zu entdecken, sie zu ver- bessern, oder überhaupt zu dieser Absicht etwas Voll- kommneres anzugeben, ist das einzige Mittel uns den so genannten gesunden Menschen-Verstand zu geben, der der Haupt-Endzweck unsrer Bemühungen sein sollte. Ohne ihn ist keine wahre Tugend. Er macht al- lein den großen Schriftsteller, scribendi recte sapere est et principium et fons. Man muß nur wollen, war der Grundsatz des Helvetius. [D 133] Was sind unsere Gedanken und Vorstellungen, die wir wachend haben, anders, als Träume, wenn ich wa- chend an meine verstorbene Freunde gedenke, so geht die Geschichte fort ohne daß mir nur einmal einfällt sie seien tod, so wie im Traum, ich stelle mir vor ich hätte das große Los gewonnen, in dem Augenblick habe ich es, der hinten drein kommende Gedanke, daß ich es nicht gewonnen habe wird erst hinten angetrof- fen als eine Urkunde zum Beweis des Gegenteils. Der würkliche Besitz eines Guts gewährt uns zuweilen Vergnügen die nicht stärker sind als die uns die bloße Vorstellung, wir besäßen es, gewährt. Unsere Träume können wir sanfter machen wenn wir des Abends kein Fleisch essen, aber die andern? - - [D 134] Einen Gedanken zu finden, wobei sich allemal jeder Mensch der ihn hört todlacht. [D 137] Heutzutage machen drei Pointen und eine Lüge einen Schriftsteller. [D 139] Die erste Satyre wurde gewiß aus Rache gemacht. Sie zu Besserung seines Neben-Menschen gegen die Laster und nicht gegen den Lasterhaften zu gebrau- chen, ist schon ein geleckter abgekühlter zahm ge- machter Gedanke. [D 140] Die Einwohner von Uliettea sandten dem Herrn Cook ein Mädchen und ein Schwein zum Zeichen der Freundschaft. Mittel gegen beide Arten von Hunger. [D 141] Die Einwohner von Neu-Guinea haben nach Herrn Cooks Bemerkung etwas das sie anzünden und das fast wie Pulver abbrennt. Sie haben es auch in hohlen Stäben, und von weitem glaubt man sie schössen. Es verursacht aber nicht einmal einen Knall. Vermutlich wollen sie den Europäern nachahmen. Die eigentliche Bedeutung haben sie nicht erfahren. [D 142] Ein Grab ist doch immer die beste Befestigung wider die Stürme des Schicksals. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 113 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69209 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 241 ff.)] [D 143] Er hat eine Seite herunter geLavatert. [D 145] Wenn eine gewisse Mode-Schreib-Art aufkommt, so muß man nicht so verächtlich von denen sprechen die dieselbe mitmachen, gegenteils verdienen sie Lob, es ist das beste Mittel dem Publiko eine Wahrheit bei- zubringen. Meint ihr denn sie würde leichter hinunter- gehen wenn auch das Vehiculum nicht nach der Mode ist? Nur nützliche Dinge gesagt. Wenn die gewöhnli- chen Geldpressungen kein Geld mehr geben, so muß man Lottos errichten. [D 156] Daß Jakob Böhm ein enthusiastischer Pinsel gewe- sen, will ich jedem der es behauptet, gerne zugeben, wenn er mir erlaubt ihn dafür einen noch größern zu halten. [D 158] Wenn man unverständlichen nonsensicalischen Dingen eine vernünftige Deutung geben will, so gerät man öfters auf gute Gedanken, auf diese Art kann Jacob Böhms Buch manchem so nützlich sein, als das Buch der Natur. [D 159] Der Mensch ist vielleicht halb Geist und halb Ma- terie, so wie der Polype halb Pflanze und halb Tier. Auf der Grenze liegen immer die seltsamsten Ge- schöpfe. [D 161] Acht Bände hat er geschrieben. Er hätte gewiß bes- ser getan er hätte 8 Bäume gepflanzt oder 8 Kinder gezeugt. [D 175] Ein rechtes Sonntagskind in Einfällen. [D 177] Die Attraktion scheint bei der leblosen Materie das zu sein, was die Selbstliebe bei der lebendigen ist. [D 178] Daß die Seele nach dem Tode übrig bleibt, ist gewiß erst geglaubt und hernach bewiesen worden. Dieses zu glauben ist nicht seltsamer, als Häuser für einen einzigen Mann bauen, darin ihrer hundert Platz haben, ein Mädchen eine Göttin und einen gekrönten Wackermaul unsterblich zu nennen. Der Mensch ist kein künstlicheres Geschöpf, als die andern, er weiß es nur daß er ist und daraus läßt sich alles erklären, und wir tun wohl diese Eigenschaft unseres Geistes allen übrigen Eigenschaften eines Geistes vorzuzie- hen, da wir in der Welt die einzigen sind, die uns die- ses streitig machen könnten. [D 200] Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, das heißt vermutlich X der Mensch schuf Gott nach dem seinigen. Sieh unten p. 34 [D 274] [D 201] Wenn die Frankfurter Rezensenten wüßten, wie sie bei vernünftigen Leuten stünden, so würden sie gewiß jeden loben, den sie verworfen wissen wollen. [D 203] Heutzutage haben wir schon Bücher von Büchern und Beschreibungen von Beschreibungen. [D 204] Himmel laß mich nur kein Buch von Büchern schreiben. [D 205] Eine affektierte Ernsthaftigkeit, die sich endlich in einer moralischen Lähmung der Gesichtsmuskeln en- digt. [D 210] Wir sehen mit 2 Augen nur ein Bild, so lange uns die Bilder gleich nah sind und also auch ein beiläufig gleich großes Bild auf der Tunica retina formieren. Halte ich hingegen eine Sache nahe dem einen Auge und sehe mit beiden darnach, so sehe ich es doppelt, wiederum, wenn das Bild der Sache nicht auf ähnliche Teile in beiden Augen fällt, so sehen wir es doppelt, oder drittens in beiden Augen auf Stellen, die zwar einander ähnlich liegen, aber nicht diejenigen zuam- mengehörigen Stellen sind, auf welchen gewöhnlich ein einziges Ding sein Bild formiert. Alles dieses be- weiset dünkt mich hinlänglich, daß wir alle Sachen zweimal sehen, aber ohne allen Unterschied wegen der ähnlichen Lage der Bilder gegen unsern symmetri- schen Körper, und daher sie für eins halten. Sobald nun das eine Bild im mindesten vergrößert wird, zum Exempel wenn man mit dem einen Auge nach einem Objekt, und mit dem andern nach eben demselben aber durch ein nur wenig vergrößerndes Fernglas sieht, so erscheint alles doppelt. So könnte unsere Seele zusammengesetzt sein, ohne daß die Empfin- dungen vervielfacht würden. Wir empfinden eine Sache nur einmal, nicht weil wir eins sind, sondern weil die Sache nach der Mehrheit der Stimmen unse- rer sinnlichen Werkzeuge nur eins sein soll, weil wir sie einerlei ansehen und für uns als eins angesehen werden kann. Ich fürchte nur gar zu sehr, daß der Ge- danke von der Simplizität unserer Seele ein geborgter Begriff ist, wir können nicht für das Individuum A empfinden, also können auch mehr Substanzen nicht einen Gedanken gemeinschaftlich haben. Die Verhält- nis der Gleichheit (könnte man oben beim Auge sagen) ist vielleicht in der Seele = o so wie es in der Arithmetik bei der Zusammensetzung der Verhältnis- se ist. (Kunkeliana, Possen) [D 212] In einer gewissen Zeitung, ich weiß nicht mehr in welcher, tut ein Rezensent einen Ausfall auf die in philosophischen Schriften heutzutage überall herge- holte Metapher wodurch sich die Verfasser das Anse- hen eines tiefen Durchdenkens zu geben wüßten. Die- ses ist eine mechante Art zu räsonieren, wenn sie nicht mit Beispielen belegt wird. Ich denke der Re- zensent der so spricht hat einmal gelesen, daß ein Mann, den er unter sich geglaubt hat, einen Gedan- ken, der tiefsinniger war, als er sie selbst zu haben pflegte, gleichsam in einer Metapher die auf einmal so viel faßte als des Rezensenten ganzer Vorrat wert war weggeworfen hat, und nun weiß er sich auf keine an- dere Art mehr zu trösten, als daß er annimmt, seichte Denker könnten sich das Ansehen, als wären sie tief- sinnige, vermittelst Metaphern geben. Lieber hätte er sagen sollen, einem feurigen Denker sind oft die Ver- hältnisse, welche schwachnervige allzu behutsame Philosophen für sehr schwer zu finden und einzusehen halten, Kinderspiel. Solche Regeln wie die obigen, wodurch man mit einem Anstand von philosophischer Gewissenhaftigkeit alle Wege verdächtig zu machen sucht, die nicht der unsrige sind, sind, so viel mir be- wußt, das Mittel wodurch oft Rezensenten ihrer Seichtigkeit den Anstrich des Durchgedachten zu geben wissen. Nur noch ein paar solche Regeln ge- macht, so wird Shakespear, nach ihnen gerichtet, nichts als ein witziger Metaphern-Placker, weil er ver- mutlich zu seinen Bemerkungen nicht durch den Weg des hypochondrischen Grübelns gekommen ist. [D 213] Der gute Schriftsteller ist der der viel und lange ge- lesen und nach 100 Jahren noch in allerlei Format aufgelegt und eben dadurch das Vergnügen des Men- schen im allgemeinen wird. Das ganze menschliche Geschlecht lobt nur das Gute, das Individuum oft das Schlechte. [D 219] Es ist mit dem Witz wie mit der Musik, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man. [D 223] Eine halb neue Erfindung mit einem ganz neuen Namen. [D 235] Was aus Shakespearisch in der Welt zu tun war hat Shakespear größtenteils getan. [D 243] Das ist eine Arbeit wobei sich glaube ich die Ge- dult selbst die Haare ausrisse. [D 245] Weil doch nun einmal Geld in der Welt dasjenige ist was macht, daß ich das Kinn höher trage, freier aufsehe, sicherer auftrete, härter an andere anlaufe. [D 247] Die Professoren auf Universitäten sollten Schilde aushängen wie die Wirte. [D 248] Swiften mögte ich zum Barbier, Sterne zum Fri- seur, Newton beim Frühstück, Hume beim Kaffee ge- habt haben. [D 249] Man könnte eine Diätetik schreiben für die Ge- sundheit des Verstandes. [D 251] Jeder Mensch hat seinen Zirkel von Kenntnissen, worin er sich besser zu finden weiß als der meiste Teil unsrer Philosophen sich in den ihrigen zu finden wis- sen. In diesem bemerkt er das Lächerliche, das Feine, das Dumme, das Überflüssige in einem Blick, und wie kann es anders sein, wenn ich die Absicht einer Sache kenne, und habe mir eine Kenntnis der bekann- ten Mittel erworben, so muß es mir leicht sein das Falsche in neuen Mitteln einzusehen. Wenn ich einem Küchen-Mädchen eine Beschreibung von einem Ge- richt geben will, und sagte ihr daß es ein cürieuses Essen und von einem besondern Wohlschmack sei, und daß man Grütze auf den Rand der Schüssel streu- en könne, so wird sie mich sicher auslachen. Viele Schriftsteller behandeln ihre Materien auf diese Art, das Widersinnige ist ihnen verborgen. Wenn man also Personen etwas begreiflich machen will, so muß man sich der Beispiele aus ihrem Zirkel bedienen, und [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 121 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69217 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 252 ff.)] wiederum kann man aus diesen Erfahrungen lernen was man zu tun hat um eine gewisse Wissenschaft sich zu seinem Zirkel zu machen. [D 252] Es wäre kein Wunder fürwahr wenn die Zeit einem solchen Schurken das Stundenglas ins Gesicht schmisse. [D 253] Sind wir nicht schon einmal auferstanden? Gewiß aus einem Zustand in welchem wir weniger von dem gegenwärtigen wußten, als wir in dem gegenwärtigen von dem künftigen wissen. Wie sich verhält unser vo- riger Zustand zu unserm jetzigen, so der jetzige zum künftigen. [D 254] Wenn unsere jetzt im Schwang gehende registerar- tige Gelehrsamkeit nicht bald zu ihrem Winterstill- stand kommt, so ist allerdings viel zu befürchten. Der Mensch lebt allein um sein und seines Mitmenschen Wohl so sehr zu befördern als es seine Kräfte und seine Lage erlauben. Hierin kürzer zu seinem End- zweck zu gelangen nützt er die Versuche seiner Vor- fahren. Er studiert. Ohne jene Absicht studieren, bloß um sagen zu können was andere getan haben, das heißt die letzte der Wissenschaften, solche Leute sind so wenig eigentliche Gelehrte, als Register Bücher sind. Nicht bloß wissen, sondern auch für die Nach- welt tun was die Vorwelt für uns getan hat, heißt ein Mensch sein. Soll ich um nichts noch einmal zu erfin- den, was schon erfunden ist, mein Leben über der Ge- lehrten-Geschichte zubringen? Sagt man ja Dinge vorsätzlich 2 mal, und man nimmt es einem nicht übel, wenn nur die Einkleidung neu ist. Hast du selbst gedacht, so wird deine Erfindung einer schon erfunde- nen Sache gewiß allemal das Zeichen des Eigentümli- chen an sich tragen. [D 255] Eigentlich nicht der menschliche Verstand, oder das menschliche Herz, sondern das menschliche Maul ist es für was wir sorgen, das wir bilden, für dessen Erziehung bedacht wir Bibliotheken und Abtritte mit Journalen anfüllen. Polen wird geteilt, der Orden der Jesuiten aufgehoben, Holstein an Dänemark abgetret- ten. Davon reden 10 bis 15 politische Zeitungen wie es sich gehört mit untertänigst devotester Trockenheit. Aber nun hört einmal. Bahrdt travestiert das neue Te- stament. Da wird in allen gelehrten und ungelehrten Zeitungen gedonnert, gezischt, geklatscht, gepfiffen und getreten, Gläser entzwei geschlagen, Bleistifte stumpf notiert, Zähne verfroren, Dintenfässer für Sandbüchsen und Sandbüchsen für Schnupftabaksdo- sen angesehen, Perüquen aufgehoben und darunter ge- kratzt, in Journalen und Annalen darüber gesprochen gedacht und nicht gedacht. Mit allem Respekt vom Publikum gesprochen, wenn mein Bedienter so etwas täte, ich dankte ihn ab oder schickte ihn ins Zucht- haus. Endlich werden sich die großen Herrn noch der bedrückten Schriftsteller annehmen. Der Grund hier- von ist eine gewisse Weichlichkeit, die ihren Grund endlich im vielen Kaffeetrinken hat. Was höhere Wesen davon denken dahin will ich gar nicht einmal denken. Aber die Handwerks-Pursche. [D 256] Wenn ich sage, halte deine Zähne rein und spüle den Mund alle Morgen aus, das wird nicht so leicht gehalten, als wenn ich sage, nehme die beiden Mittel- finger dazu und zwar über das Kreuz. Des Menschen Hang zum Mystischen. Man nütze ihn. [D 258] So wie gewisse Schriftsteller nachdem sie ihrer Materie erst einen derben Hieb versetzt haben hernach sagen sie zerfalle von selbst in zwei Teile. [D 272] Gott schuf den Menschen nach seinem Bilde, sagt die Bibel, die Philosophen machen es grade umge- kehrt, sie schaffen Gott nach dem ihrigen. [D 274] Die Bauernmädchen gehen barfuß, und die Vorneh- men barbrust. [D 303] Wenn die Menschen nicht in Etagen wohnten, so wäre die halbe Erde schon mit Häusern angefüllt, so bauen wir schon in die Luft wo wir nicht hingehören. [D 304] ‹Der erlegt für seine Renommee Postgeld.› [D 315] Über den Neger-Embryo in Spiritus. Da liegt er noch in der Stellung, worin er Leben und Tag erwartete, Leben und Tag, die dem Armen nie erschienen. Kind wie glücklich bist du, schon so früh an dem Ziel, das Tausende deiner Brüder unter blutigen Striemen, unter Leiden ohne Zahl erst errei- chen. Armer Kleiner, wie glücklich bist du, die Ruhe die du genießest müssen sich Tausende deiner unglückseligen Brüder mit Blut unter der Geißel nichtswürdiger Krämer erkaufen. Nichts, nichts hast du an dieser Welt verloren, wo deine Rechte verkauft sind, und wo dein Herr ein Krämer gewesen wäre. Auch für ihn wäre es besser gewesen, der deine Kette schon bereit hielt, er hätte wie du den Tag nicht gese- hen. [D 322] Unsere Welt wird noch so fein werden, daß es so lächerlich sein wird einen Gott zu glauben als heutzu- tage Gespenster. [D 329] Daß der Mensch das edelste Geschöpf sei läßt sich auch schon daraus abnehmen, daß es ihm noch kein anderes Geschöpf widersprochen hat. [D 331] Einer unsrer Voreltern muß in einem verbotenen Buch gelesen haben. [D 339] Die Täfelchen von Chocolade und Arsenik worauf die Gesetze geschrieben sind. [D 340] Es muß untersucht werden, ob es überhaupt mög- lich etwas zu tun ohne sein eignes Bestes immer dabei vor Augen zu haben. [D 350] Man kann eine Sache wieder so sagen wie sie schon ist gesagt worden, sie vom Menschenverstand weiter abbringen, oder sie ihm nähern, das erste tut der seichte Kopf, das zweite der Enthusiast, das dritte der eigentliche Weltweise. [D 364] Der Deutsche ist nie mehr Nachahmer als wenn er absolut Original sein will, weil es andere Nationen auch sind, den Original- Schriftstellern andrer Natio- nen fällt es nie ein Originalsein zu wollen. Der Esprit, du Corps zeugt Gedanken, in einer Rezensenten-In- nung hat mancher Kopf einen Einfall gehabt, den er insuliert nicht gehabt haben würde. [D 367] Der oft unüberlegten Hochachtung gegen alte Ge- setze, alte Gebräuche und alte Religion hat man alles Übel in der Welt zu danken. [D 369] Die Bewegungs-Gründe, woraus man etwas tut, könnten so wie die 32 Winde geordnet werden, und die Namen auf ähnliche Art formiert werden. Brod Brod Ruhm oder Ruhm Ruhm Brod, Furcht, Luft. [D 370] Bei noch jungfräulicher Vernunft. [D 375] Ich wünsche, daß sich die ungenannten Freunde etwas deutlicher erklärt hätten, denn bekanntlich gibt es eine langsam schmerzhafte Widerlegung von unten herauf und dann eine andre, wo der erste Stoß gleich der Gnadenstoß ist. [D 383] Er hat den Kelch des Stolzes getrunken. [D 394] Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch? [D 399] Die Hottentotten nennen das Denken die Geißel des Lebens. Que des Hottentots parmi nous! ruft Helve- tius! Ein schönes Motto. [D 403] Ich glaube kaum, daß es möglich sein wird zu er- weisen, daß wir das Werk eines höchsten Wesens, und nicht vielmehr zum Zeitvertreib von einem sehr unvollkommenen sind zusammengesetzt worden. [D 412] Je mehr man in einer Sprache durch Vernunft un- terscheiden lernt, desto schwerer wird einem das Sprechen derselben. Im Fertig-Sprechen ist viel In- stinktmäßiges, durch Vernunft läßt es sich nicht er reichen. Gewisse Dinge müssen in der Jugend erlernt werden, sagt man, dieses ist von Menschen wahr, die ihre Vernunft zum Nachteil aller übrigen Kräfte kulti- vieren. [D 413] Wenn wir mehr selbst dächten, so würden wir sehr viel mehr schlechte und sehr viel mehr gute Bücher haben. [D 425] Ich wünschte sehr ein wohlgetroffenes Porträt von Christo zu haben. Hätte man doch Münzen von ihm. [D 426] Das ganze Zeitungs-All. [D 431] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 129 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69225 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 271 ff.)] Es gibt heuer eitle gewisse Art Leute, meistens junge Dichter die das Wort Deutsch fast immer mit offnen Naslöchern aussprechen. Ein sicheres Zeichen daß der Patriotismus bei diesen Leuten sogar auch Nachahmung ist. Wer wird immer mit dem Deutschen so dicke tun? Ich bin ein deutsches Mädchen, ist das etwa mehr als ein englisches, russisches oder otaheiti- sches? Wollt ihr damit sagen daß die Deutschen auch Geist und Talent besitzen? O das leugnet nur ein Un- wissender oder ein Tor. Ich stelle mich zum Beweis, wenn er sich zur Behauptung stellt. Er sei Prinz, Duc, Bischof, Lord, Aldermann, Don oder was er will. Gut das ist ein Narre oder Unwissender wer das leugnet, das nehme ich schlechtweg an. Ich bitte euch Landes- leute, laßt diese gänzlich unnütze Prahlerei, die Nati- on die uns verlacht und die die uns beneidet müssen sich darüber kützeln, zumal wenn sie inne werden, daß es ihnen gesagt sein soll. [D 444] Der Mann hatte so viel Verstand, daß er fast zu nichts mehr in der Welt zu gebrauchen war. [D 451] Die beiden Frauenzimmer umarmten sich aus Gri- masse, und hingen zusammen wie 2 Vipern in coitu. [D 462] Der Satz muß noch mit einem Bruch multipliziert werden. [D 466] Man wird in manchen Fällen bloß aus dem Grunde nicht gestraft, oder es sieht vielmehr so aus als wenn man nicht gestraft würde weil man die Strafe an sich selbst bezahlt. Das was ausgezahlt wird wird oft einem Teil genommen und an den andern erlegt. Einer kann an dem Ruhm ein witziger Schriftsteller zu sein zunehmen, während als der Kredit, den er als ehrli- cher Mann hatte, abnimmt. [D 467] Die metaphorische Sprache ist eine Art einer natür- lichen Sprache, die man sich aus den willkürlichen aber bestimmten Wörtern baut. Deswegen gefällt sie so sehr. [D 468] Wenn Scharfsinn ein Vergrößrungs-Glas ist, so ist der Witz ein Verkleinerungs-Glas. Glaubt ihr denn daß sich bloß Entdeckungen mit Vergrößerungs-Glä- sern machen ließen? Ich glaube mit Verkleinerungs- -Gläsern, oder wenigstens durch ähnliche Instrumente in der Intellektual-Welt sind wohl mehr Entdeckungen gemacht worden. Der Mond sieht durch einen verkehrten Tubum aus wie die Venus und mit bloßen Augen wie die Venus durch einen guten Tubum in seiner rechten Lage. Durch ein gemeines Opern-Glas würden die Plejaden wie ein Nebelstern erscheinen. Die Welt, die so schön mit Bäumen und Kraut be- wachsen ist, hält ein höheres Wesen als wir vielleicht eben deswegen für verschimmelt. Der schönste ge- stirnte Himmel sieht uns durch ein umgekehrtes Fern- Rohr leer aus. [D 469] Bemühe dich nicht unter deiner Zeit zu sein. [D 474] Er war ein solcher aufmerksamer Grübler, ein Sandkorn sah er immer eher als ein Haus. [D 475] Wenn der Pabst heiraten wollte, so wüßte ich ihm keine tugendhafte Frau vorzuschlagen. [D 478] In der Republik der Gelehrten will jeder herrschen, es gibt da keine Aldermänner, das ist übel, jeder Ge- neral muß so zu reden den Plan entwerfen, Schildwa- che stehen und die Wachtstube fegen, und Wasser holen, es will keiner dem andern in die Hände arbeiten. [D 483] Alles verfeinert sich, Musik war ehmals Lärm, Sa- tyre war Pasquill, und da wo man heutzutag sagt, er- lauben Sie gütigst, schlug man einem vor alters hinter die Ohren. [D 487] Nonsense ist in der Tat etwas sehr Betrübtes, und ein Professor der welchen schreibt sollte freundlich auf Pension gesetzt werden. [D 488] Der Mensch hat auch einen Trieb zum Wohl von andern unabhängig von dem perfice te, klingt just als wenn ein Professor Philosophiae den Menschen ge- macht hätte, mehr charmant als wahr. [D 493] Was die Franzosen den Verstand in einer Binde tragen nennen. [D 502] Es ist minder schrecklich einen Venerischen der voller Geschwüre ist anzusehen, als einen andern Menschen der böse Geschwüre hat, vermutlich, weil es nur von uns abhängt, ob wir von jenem Übel be- freit bleiben wollen, hingegen aber das letztere uns, wie wir wenigstens glauben, auch wider unser Ver- schulden befallen kann. [D 508] Ein Louisd'or in der Tasche ist besser als 10 auf dem Bücherschrank. [D 509] Brydone schlägt Ableiter für die Damen-Köpfe vor. Ableiter für ihre....wäre besser. [D 511] Unsere meisten Ausdrücke sind metaphorisch, es steckt in den selben die Philosophie unserer Vorfah- ren, und doch wollen Rezensenten das dem Menschen verbieten, wie derjenige, dessen ich unten p. 25 [D 213] Erwähnung getan. [D 515] Wäre damals ein Zoll auf die Gedanken gelegt wor- den, sie wäre gewiß insolvent geworden. [D 516] Wie werden einmal unsere Namen hinter den Erfin- dern des Fliegens und dergleichen vergessen werden. [D 525] Es gibt eine gewisse Art von gekünsteltem Unsinn den der Halbköpfige leicht für tiefe Weisheit, ja wohl gar für ein Weben des Genies hält, erstimulierte Aus- brüche eines fundamentlosen Enthusiasmus, ein fie- berhaftes Haschen nach Originalismus ohne Richtig- keit der Empfindung, in welchem der Frankfurter Re- zensent oder der Primaner aller Orten shakespearische Inspiration zu wittern glaubt, das Rauschen von Liba- nons ewiger Zeder, die donnernden Tritte des Würg- -Engels, und den Klang der Posaune des letzten Tages hört. Es ist nichts. Fünf gegen eins, der Mann der es geschrieben hat ist ein Tropf, der mehr scheinen will als er ist, und damit ist seine arme Seele für den Ruhm der Nachwelt hin als hätte sie das Licht nie ge- sehen oder den Satz des Widerspruchs nie gedacht. [D 530] Entsprechen, entsagen. versprechen, versagen. [D 552] Der Herbst, der der Erde die Blätter wieder zuzählt, die sie dem Sommer geliehen hat. [D 559] Wenn man etwas ernstlich fürchtet, so bringen die entferntesten Dinge uns den Gegenstand in den Sinn. Für einen der am Hofe lebt kann die geringste Bewe- gung im Gesicht nicht des Prinzen selbst, sondern sogar seiner Diener einen glauben machen man sei in Ungnade gefallen. Doch machen die Charaktere hierin einen großen Unterschied, und wer eine Zeichnung machen will hat sehr darauf zu achten. [D 561] Ich habe seine Stärke im Kauderwelschen bestän- dig bewundert. [D 563 ] Ein paar Dutzend Millionen Minuten machen ein Leben von 45 Jahren und etwas darüber. [D 564] Ich bin aus vielfältiger Erfahrung überzeugt, daß die wichtigsten und schwersten Geschäfte in der Welt, die der Gesellschaft den meisten Vorteil bringen, durch die sie lebt und sich erhält, von Leuten getan werden die zwischen dreihundert und 800 oder 1000 Taler Besoldung genießen, zu den meisten Stellen, mit denen 20, 30, 50, 100 Taler oder 2000, 3000, 4000, 5000 Taler verbunden sind, könnte man nach einem halbjährigen Unterricht jeden Gassenjungen tüchtig machen, und sollte der Versuch nicht gelin- gen, so suche man die Schuld nicht im Mangel an Kenntnissen, sondern in der Ungeschicklichkeit, die- sen Mangel mit dem gehörigen Gesicht zu verbergen. [D 573] B. Aber Remus ist doch gewiß ein ehrlicher Mann. A. Das glaube ich, der hat sonst weiter nichts zu tun. [D 576] Mit wollüstiger Bangigkeit. [D 577] Verzeichnis der Druckfehler in dem Druckfehler- -Verzeichnis. [D 580] Da sie sahen, daß sie ihm keinen katholischen Kopf aufsetzen konnten, so schlugen sie ihm wenig- stens seinen protestantischen ab. [D 581] Er war sonst ein Mensch wie wir, nur mußte er stärker gedrückt werden um zu schreien. Er mußte zweimal sehen was er bemerken zweimal hören was er behalten sollte, und was andere nach einer einzigen Ohrfeige unterlassen, unterließ er erst nach der [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 137 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69233 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 296 ff.)] zwoten. [D 584] Endlich kam er, gnau wie er versprochen hatte nach einem Viertelstündgen, das aber fast so lang war als anderthalb der gewöhnlichen bürgerlichen Stunden. [D 591] Heinrich der VIII. von England fühlte nicht eher einen Beruf ein Werk über die Religion und einen Glaubens-Codex zu schreiben, bis er erst den Bullen im Kabinett und in der Schlafkammer 40 Jahr gespielt hatte. [D 592] Grade das Gegenteil tun heißt auch nachahmen, es heißt nämlich das Gegenteil nachahmen. [D 604] Manche unserer Original-Köpfe müssen wir wenig- stens so lange für wahnwitzig halten, bis wir so klug werden wie sie. [D 605] Von dem Elend der Menschen kann der Anfang ge- macht werden. - - Ich kann es daher gar den Kindern nicht verdenken wenn sie weinen so bald sie in die Welt kommen, oder gar schon vorher, wie uns Herr Wanley in seinen Wundern der kleinen Welt in einem eigenen Kapitel dergleichen Exempel anführt, die meisten [s] aus Deutschland hergeholt sind, wo es lei- der schon damals so zugegangen ist wie jetzt, und diese Würmgen also so gar unrecht nicht hatten. Und wenn einige Leute die Seelen der Verstorbenen gleich nach dem Abschied wollen haben lachen hören, so bin ich gar nicht abgeneigt den Erzählungen Glauben beizumessen, maßen ich nicht wüßte, was sich besser mit jenem Weinen bei dem Eintritt vertrüge. Hinge- gen begreife ich auf die Stunde noch nicht was Zoroa- stern bewegen konnte gleich in der ersten Stunde zu lachen. [D 607] Wenn sie noch unter ihre Oden setzten: Die Fort- setzung folgt, so ließe ich es noch gelten. [D 609] Der Plan der neuen Satyre kann der werden: Deutschland hat so lange nach Original-Köpfen ge- seufzt und jetzt, da sie allein am Musen-Almanach zu Dutzenden sitzen, die Gelehrten-Zeitungs-Comptoire und jeder Rezensent seinen aus dem Ton Bedlam an- fängt, da klagt man überall über die Original-Köpfe, kein Mensch ginge mehr wie unter Franz dem Ersten, der eine hinkte, der andere affektiere ein steifes Knie, der dritte schlüge ein Rad, der 4. Purzelbäume, der fünfte ginge auf Stelzen, der sechste mache den Ha- sentanz, der siebente hüpfte auf einem Bein, der achte rollte, der neunte reite sein spanisch Rohr, der zehnte ginge auf den Knien, der elfte krieche und der 12. rut- sche. Ich hätte es den Original-Köpfen vorher sagen wollen, und ich rate es allen denen die es werden wol- len, so zu bleiben wie sie sind. Ich habe das immer gemerkt, daß man mit unserm einfältigen Publikum so am weitesten kommt. Ich wollte einmal sehen, wer mir was sagen will, wenn ich bin was ich bin, so mögte ich einmal den sehen, der mir sagen will, was ich sein soll, den sollte der Henker holen, bist du denn ein Haar mehr? Aber wenn ich originell schreibe z.E. in synkopischen Sentenzen, fluche und schimpfe wie Shakespear, leire wie Sterne, senge und brenne wie Swift, oder posaune wie Pindar, meint ihr daß ihr Dank verdienen würdet? Ich will damit nicht sagen was die Leute tun würden, wenn ihr würklich schriebt wie Shakespear, Sterne, Swift und Pindar, da fände sich wohl hier und da noch ein ehrlicher Mann der ein Einsehen hätte, aber mit Fluchen und Schimpfen, Lei- ern Sengen Brennen und Posaunen richtet ihr in [Ewigkeit] gegen diese Leute nichts aus. Ich weiß nicht, ob ich lebhafter empfinde als andere Menschen, ober ob ich weniger Unrecht leiden kann, oder ob ich meiner kurzen Statur wegen, da das Blut noch ganz heiß ist, wenn es vom Herzen nach dem Kopf kommt, geschwinder Schlüsse ziehe, aber mich dünkt, es ist um alle deutsche Autoren-Freiheit schlechterdings und unwiederbringlich geschehen, wenn wir noch zwei Messen dem zügellosen wider- sinnigen Geschrei des deutschen Publikums Gehör geben, das doch am Ende weiter nichts als Braunkohl und Rheinwein [will]. Vor der Schlacht bei Roßbach fehlte es den Faulenzern an Romanen; wir lesen die englischen Romane, so daß wir alle Straßen in Lon- don wissen, und [den] Galgen zu Tyburn so gut ken- nen als den unsrigen, wir äugeln im Park und treiben der Henker weiß was in Coventgarden, und so geben wir ihnen einen Roman. Nun hat das Kind einen Roman. Wir wollen deutsche Original-Charaktere hinein. Original-Charaktere? Geht hin - ich hätte bald etwas gesagt - geht hin, sagt das erst den Leu- ten, die die Kinder zeugen, und denen die sie beherr- schen wenn sie groß sind, und nicht uns. Nun gut, so gebt uns Gedichte. Wir geben einen Zoll breite und 6zöllige, wie sie sie haben wollen, zu Zentnern. Die Buchstaben wollen ihnen nicht gefallen, gut wir neh- men lateinische, und einige Spottvögel nahmen da- mals zugleich blaue und rote Farbe. Dann schmeckte die Art zu servieren, aber das freut mich, ein Spottvogel hängt an jedem politischen Zeitungsblatt, und ein anderer machte sogar Tapeten und Fidibus und Almanach der Musen und nun fehlten nur noch Sinustafeln der Musen. Aber was tat das Publikum, war es zufrieden? O in Ewigkeit nicht. Es wurde nur gröber und ausschweifender in seinen Forderungen und dachte mit einer einzigen unserer Republik auf einmal die Bank zu sprengen. Es verlangte Original- -Genies und Original-Werke, aber das war grade der Platz wo wir sie erwarteten, und es ist ein betrübter Beweis, wie unerfahren der deutsche Leser in der Kenntnis seines eigenen Landes ist, immer mit den Augen jenseits des Rheins oder jenseits des Kanals sieht er nicht worauf er tritt. Ich habe seit jeher ge- glaubt daß unter allen Nationen in Deutschland die meisten Original-Genies marschfertig lägen, weil sie aber nicht verlangt wurden, so lebten sie und schrie- ben so fort wie wir gemeinen Schriftsteller von der Linken zur Rechten und von Empfindung und Gedan- ken zum Ausdruck immer in der kürzesten Linie wie unsere Väter, allein kaum war das Wort gegeben, wer original schreiben kann, der werfe seine bisherige Feder weg, als die Federn flogen wie Blätter in dem Herbste. Es war eine Lust anzusehen, 30 Yoricke rit- ten auf ihren Stecken-Pferden in Spiralen um ein Ziel herum das sie den Tag zuvor in einem Schritt erreicht hätten, der der sonst beim Anblick des Meeres oder des gestirnten Himmels nichts denken konnte, schrieb Andachten über eine Schnupftabaks-Dose. Shake- spear stunden zu Dutzenden auf, wo nicht allemal in einem Trauerspiel, doch in einer Rezension. Da wur- den Ideen in Freundschaft gebracht die sich außer Bedlam nie gesehen hatten; Raum und Zeit in einen Kirschkern geklappt und in die Ewigkeit verschossen, und das hieß eins, zwei, drei. Da geschahen tiefe Blicke in das menschliche Herz (oft ohne Leuchte) man sagte seine Heimlichkeiten und so ward Men- schenkenntnis selbst draußen in Böotien entstund ein Shakespear, der wie Nebukadnezar Gras statt Frank- furter Milchbrod fraß, und durch Prunkschnitzer sogar die Sprache originell machte. Niedersachsen summte seine Oden und hing sich die summenden Könige an zu summen und zu stechen, sang mit offenen Naselö- chern und voller Gurgel Patriotismus und Sprache und ein Vaterland, das sie zum Teufel wünscht. Da erklangen Lieder und Romanzen, die es mehr Mühe kostete zu verstehen als zu machen. Kurz die Origina- le waren da und das Publikum, was sagte das? Erst- lich beschämt über die unerwartete Menge stutzte es, und [dann] deklarierte es feierlich, das wären keine Originale, das wären Dichter aus Dichtern und nicht Dichter aus Natur, die meisten kennten die Welt so wenig als die Welt sie, das Kapital werde nicht ver- mehrt, sondern nur die Sorten verwechselt, bald Kupfer in Silber und bald Silber in Gold umgesetzt usw. Hier haben wirs nun Freunde. Mich dünkt, unse- re Sache ist jetzt zu klar als daß es nötig wäre lang zu überlegen was zu tun sei. Gesetzt auch wir gehorchten ihnen, unsere Original-Schriftsteller ließen diese Ori- ginal-Köpfe fahren und versuchten mit No. 2, so wür- den wir dieselbe Antwort erhalten, und gesetzt sie trä- fens, so wären unterdessen die Herrn müde und woll- ten wieder etwas Neues. Kurz heut gebrochen ist bes- ser als morgen. Es ist klar, sie wollen uns nur herum- ziehen wie die Bostonianer das Parlament, bis bei schwächern Nachkommen die jetzt noch biegsame Gewohnheit zu einem Gesetz verhärtet, das uns Schriftsteller zu Hofnarren des deutschen Publikums macht. Also nicht weiter jetzt. Ich sage, ihr habt Ori- ginal-Köpfe verlangt, da sind sie zu Tausenden. Es wimmelt. Ihr erkennt sie nicht und ich spreche mit freier Stirn, ich erkenne sie dafür, mein Wort ist: Erst mich dann sie und nun trette auf den Sand wer will.2 [D 610] In der Vorrede kann gesagt werden: Man wird in dem Werkchen eine allgemeine Theorie der Künste für das Jahr 1775 finden. [D 613] Das ist bloß Phraseologie, nichts weiter. [D 615] Ich kann in der Welt nicht begreifen, was wir davon haben, den Alten so bei jeder Gelegenheit gleich den Bart zu streicheln, danken können sie es uns nicht, und aus den breiten und niedrigen Stirnen und den trotzigen Gesichtern zu schließen, worüber sich jeder deutsche Pitschierstecher aufhält, würden sie nicht einmal, wenn sie könnten. Es ist fürwahr eine mächtige Ehre für uns alte Studenten, daß es vor zweitausend Jahren Leute gegeben hat, die gescheuter waren als wir. Meint ihr vielleicht wir lebten noch in den Zeiten, wo die größte Weisheit in dem Bewußt- sein bestund, daß man nichts weiß? Auf das Kapital borgt man euch keinen Magistertitul, so wenig als auf den Reichtum der in der Armut besteht einen Gro- schen. Nein Freunde, die Zeiten haben wir verschla- fen. Diese Sätze sind heutzutage nichts weiter als schöne Nester von ausgeflogenen Wahrheiten. In den philosophischen Kunstkammern gehen sie mit, in die Haushaltungen taugen sie nicht einen Schuß Pulver. Eine herrliche Ehre heutzutage überzeugt zu sein, daß man nichts weiß. Ihr könnt schon daraus sehen, daß der Satz unmöglich mehr gelten kann, oder eure Kla- gen über die gegenwärtigen Zeiten sind noch in einem an dem Betracht widersinnig. Das könnt ihr nicht leugnen, daß wir heutzutage mehr Leute haben, die [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 145 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69241 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 317 ff.)] nichts wissen, und die einfältige Überzeugung davon ließe sich ihnen bald beibringen. [D 616] Ich übergebe euch dieses Büchelgen als einen Spie- gel um hinein nach euch und nicht als eine Lorgnette um dadurch und nach andern zu sehen. [D 617] Ich habe mit meinen Augen in einer englischen Schrift gelesen, daß die Rede eines gewissen Mitglie- des im Parlament zwar ausgearbeitet, aber sehr ver- nünftig gewesen sei. [D 620] Man solle nicht bloß Satyren gegen die Gelehrten schreiben, ist eine Klage, die man in diesen Zeiten oft hört, ja es ist ein rechtes Feiertags-Principium der all- gemeinen Bibliothek geworden. Oder besser so: Warum schreibt man bloß Satyren gegen die Gelehr- ten und nicht auch gegen andere Leute? Antwort: aus derselben Ursache warum die Ärzte wenn sie die Be- wegung des Herzen und der Gedärme zeigen wollen keine Studenten aufschneiden sondern Hunde. Ich wollte daß der der so fragt den ersten Versuch machen müßte. Geht hin und schreibt einmal eine Satyre auf den regierenden Kammerdiener oder den [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 153 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69249 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 327 ff.)] Favorit-Bastard oder eine Mätresse oder einen Ober- förster, doch von Satyren will ich gar nicht einmal reden, sagt selbst die Wahrheit. [D 633] Es ist nicht zu leugnen, daß das Wort Nonsense, wenn es mit gehöriger Nase und Stimme ausgespro- chen wird, etwas hat, das selbst den Wörtern Chaos und Ewigkeit wenig oder nichts nachgibt. Man fühlt eine Erschütterung die wo mich meine Empfindung nicht betrügt von einer fuga vacui des menschlichen Verstandes herrührt. [D 636] Man kann, was einer erfindet, immer ansehen als hätte er es verloren, es ist nur so zu reden verlegt in seinem Kopf, wer nichts in seinem Kopf verloren hat kann nichts finden. [D 640] Die so genannten gesitteten Menschen, die unter uns zu reden die allerungesittetsten sind. [D 659] Es gibt in Deutschland Länder, wo die christliche Religion noch nicht Wurzel gefaßt, oder wo sie we- nigstens nicht die gehörige Wartung hat und aussieht als wenn sie ausgehen wollte. [D 661] [Aus »Sudelbuch« E] Die Gedanken dicht und die Partikeln dünne. [E 16] Der Mann hat recht, sollte man sagen, aber nicht nach den Gesetzen, die man sich in der Welt einstim- mig auferlegt hat. [E 33] Daß die wichtigsten Dinge durch Röhren getan werden. Beweise erstlich die Zeugungsglieder, die Schreibfeder und unser Schießgewehr, ja was ist der Mensch anders als ein verworrnes Bündel Röhren? [E 35] Man wird bei allen Menschen von Geist eine Nei- gung finden sich kurz auszudrücken, geschwind zu sagen was gesagt werden soll. Die Sprachen geben daher keine schwache Kennzeichen von dem Charak- ter einer Nation ab. Wie schwer ist es nicht einem Deutschen den Tacitus zu übersetzen. Die Engländer sind schon konziser als wir, ich meine ihre guten Schriftsteller. Sie haben einen großen Vorzug darin für uns, daß sie besondere Wörter für die Species haben, wo wir oft das Genus mit einer Limitation ge- brauchen, welches Weitläuftigkeit verursacht. Es könnte nicht schaden, wenn man in jeder Periode die Worte zählte und sie jedesmal mit den wenigsten aus- zudrücken suchte. [E 39] Die Kaufleute haben ihr Wastebook (Sudelbuch, Klitterbuch glaube ich im Deutschen), darin tragen sie von Tag zu Tag alles ein was sie verkaufen und kau- fen, alles durch einander ohne Ordnung, aus diesem wird es in das Journal getragen, wo alles mehr syste- matisch steht, und endlich kommt es in den Leidger at double entrance nach der italiänischen Art buchzuhal- ten. In diesem wird mit jedem Mann besonders abge- rechnet und zwar erst als Debitor und dann als Credi- tor gegenüber. Dieses verdient von den Gelehrten nachgeahmt zu werden. Erst ein Buch worin ich alles einschreibe, so wie ich es sehe oder wie es mir meine Gedanken eingeben, alsdann kann dieses wieder in ein anderes getragen werden, wo die Materien mehr abgesondert und geordnet sind, und der Leidger könn- te dann die Verbindung und die daraus fließende Er- läuterung der Sache in einem ordentlichen Ausdruck enthalten. vid. p. XXVI [E 150] [E 46] Es muß ein Spiritus rector in einem Buch sein oder es ist keinen Heller wert. [E 50] Es ist ein großer Unterschied zwischen etwas noch glauben und es wieder glauben. Noch glauben, daß der Mond auf die Pflanzen würke, verrät Dummheit und Aberglaube, aber es wieder glauben zeigt von Philosophie und Nachdenken. [E 52] Um witzig zu schreiben muß man sich mit den ei- gentlichen Kunstausdrücken aller Stände gut bekannt machen, ein Hauptwerk in jedem nur flüchtig gelesen ist hinlänglich. Denn was ernsthaft seicht ist, kann witzig tief sein. [E 54] Er war der eigentliche Besitzer von Lullys Kunst, denn er konnte stundenlang über eine Materie dispu- tieren ohne ein Wort davon zu verstehen. [E 56] Ich bin überzeugt, daß alles gut sein wird an dem Tage, wenn die Geschichte ihre Bücher schließt, aber wer kann mir verdenken, wenn ich auch zuweilen meinen Baß in diesem Konzert brumme? [E 62] Ir[by] Nichts kann mehr zu einer Seelen-Ruhe bei- tragen, als wenn man gar keine Meinung hat. [E 63] In dem güldenen Alter der Welt, ich meine die Zei- ten der sogenannten Barbarei, da hielt man doch noch auf ein Buch. Eine Gräfin Agnes von Anjou bezahlte für ein Homiliarium eines Bischofs Haimo zu Halber- stadt3 200 Schafe, 5 Malter Weizen und glaube ich eben so viel Malter Roggen und Hirsen. Zweihundert Schafe für einen Band Homilien, das klingt doch noch wie ein pro labore. Aber fragt einmal jetzt einen Hal- berstädtischen Domherrn was man für seine empfind- same Predigten kriegt. Keine Hammelskeule. [E 66] Burke hat die Formen der Argumente in seinen Reden allein weit vollkommener als Goethe die For- men des Shakespear, und jener ist zu dem Namen des großen Redners und dieser des Shakespear gekommen wie die Keller-Ese (Läuse) zum Namen Tausendfuß, weil sich niemand die Mühe nehmen wollte sie zu zählen. [E 71] Was? die Sache verstehen wenn man disputieren will, Ich behaupte, daß zu einem Dispute notwendig ist, daß wenigstens einer die Sache nicht versteht, worüber gesprochen wird, und daß in dem sogenann- ten lebendigen Disput in seiner höchsten Vollkom- menheit beide Parteien nichts von der Sache verste- hen, ja nicht einmal wissen müssen, was sie selbst sagen. Dieses ist Lullys ganze Kunst. Es ist kein Ar- kanum, sondern ein Rätsel, er hatte die Welt zum be- sten, wie mancher Philosoph vor und nach ihm. Wir besitzen sie alle und sie ist offenbar in der Kunst Prose zu reden schon mitbegriffen. Als ich in England war disputierte [man] auf allen Bierbänken, Kaffee- häusern, Kreuzwegen und Landkutschen über die Amerikaner nach den Regeln des lebendigen Dispüts und selbst in dem Rat der Aldermänner an dessen Spitze Wilkes stund wurde nach diesen Regeln dispu- tiert, ja als einmal [ein] einfältiger Tropf (vid. supra p. 28. 29) aufstund und zu bedenken gab ob es nicht einigermaßen gut wäre die Sache ernstlich zu prüfen, ehe man einen Entschluß fasse, so antwortete ein an- derer Mann ausdrücklich, daß, da dieses zu weit füh- ren würde und mühsam wäre, der Entschluß ohne weitre Untersuchung gefaßt werden müßte. Welches auch damals, weil es fast Essens-Zeit war, genehmigt wurde. [E 72] Wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an. [E 79] Seine eigene Figur lacht ihn aus. [E 93] Wenn man bedenkt, daß der Mensch aus Leib und Seele besteht, daß sich die letztere im ersteren auf tau- senderlei Weise verkriechen und verstecken kann, hingegen der erstere sich vergeblich in die letztere zu verkriechen sucht, so ist meines Erachtens die Art wie Karl der 5. das Interim einzuschärfen suchte immer die beste Art Meinungen auszubreiten. Mit einer Handvoll Soldaten läßt sich in einer Campagne mehr Wahrheit ausbreiten, als mit einer Handvoll Büchern, und die rote Religion hat mir in psychologischen Din- gen mit einer Klarheit zu räsonieren geschienen, die noch keine andere hat erreichen können, was ist Bar- bara Celarent gegen Flamme und Schwert und Blut, Und da der Mensch halb Affe und halb Engel ist, und der Affe immer hingeht wo der Engel hin will und vice versa, so ist es gleich viel welcher von beiden den Stoß kriegt. Trabant und Haupt-Planet. Eine Handvoll Soldaten ist immer besser als ein Maulvoll Argumente. [E 96] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 154 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69250 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 330 ff.)] Seine Uhr lag schon einige Stunden in einer Ohn- macht. [E 97] Oden, wenn man sie liest, so gehen einem mit Re- spekt zu sagen? Nasenlöcher und Zehen auseinander. [E 98] Wir ziehen unsere Köpfe in Treibhäusern. [E 100] Die geheimen und ungeheimen Tiefen der Philoso- phie. Er kannte die Tiefen dieser Wissenschaft mit allen ihren Untiefen. [E 102] Menschen-Verstand ist eine herrliche Sache, allein das unbeholfenste unbrauchbarste Ding von der Welt bei solchen Gelgenheiten wo man ihn nicht nötig hat. Wer sagt euch denn, daß ihr ihn brauchen sollt wenn ihr eine Ode lesen wollt? Sie sind bei schlummerndem Menschen-Verstand geschrieben, und ihr beurteilt sie bei wachendem. Mit einem Wort das rechte Werk ist da, aber ihr bringt den rechten Kopf nicht. Wenn ein Buch und ein Kopf an einander stoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch? Horaz hätte ganze an- dere Oden geschrieben, sagen sie. Es wären Zeilen darin, die bewundere man immer mehr je älter man würde und je öfter man sie läse, dahingegen die mei- sten deutschen Oden immer einfältiger klängen je öfter man sie läse. Kann man sich eine maliziösere Liscowischere Art sich zu erklären aussinnen? Ich glaube einem steinernen Apostel müßte die Gedult ablaufen. Ihr Haubenstöcke, wer sagt euch denn, daß ihr unsere Odensänger mit dem Horaz vergleichen sollt? Was? Horaz lebte an einem der ersten Höfe der Welt und in einer Stadt die das Herz des menschli- chen Geschlechts genannt werden konnte. Da konnten die Gassen-Buben das Quicquid agunt homines auf jedem Kirchhof oder hinter jeder Mauer sehen, wenn sie nur die Augen auftun wollten. Da war es freilich eine gewaltige Kunst den Menschen zu kennen, Wahrheiten, bei deren Erforschung wir jetzt alle unse- re Physiognomik aufbieten und bei deren Bewunde- rung uns die Augen über und die Zehen auseinander gehen, wißt ihr was die in Rom waren? Kaffeedis- course, nichts weiter, Dinge über die jeder Betrüger noch 50 Staffeln hinausgehen mußte wenn er seine Künste spielen wollte. Ich hätte fast Neigung die fei- nen Herrn die unsre Lauenburger Sänger mit dem Horaz messen können und gewiß mit mehrerem Recht mit gewissen Original-Köpfen zu vergleichen, die in Celle in einem gewissen Haus eingeschlossen sitzen. Einfältige Streiche. Unsere Oden-Dichter sind meistens junge unschuldige Tröpfe, die in kleinen Städten leben und singen, wo alle Einwohner einerlei hoffen, einerlei fürchten, einerlei hören und einerlei denken, wo 20 Köpfe in einer Gesellschaft immer für einen gelten, Leute, die aus Dichterlesen Dichter wer- den, so wie man aus Büchern schwimmen oder aus Rugendas Bataillen die Kriegskunst lernt. Unerfah- rene Menschen, davon jeder etwa ein Dutzend eigne und 2 Dutzend geborgte Ideen bar liegen hat, da läßt sich mit über die Welt handeln. Außerdem gibt es ja zweierlei Oden, die gelehrte für Geist und Ohr und die ungelehrte für das Ohr allein, und zu der letzteren braucht man kaum einmal vom Weibe geboren zu sein. Wenn man etwas Silbenmaß in den Ohren hat und dabei 20 bis dreißig Oden als stimulantia liest, so mögte [ich] gern das Gesicht von dem Sterblichen sehen, der nicht eine Ode wiederhallen könnte bei der jedem poetischen Primaner die Nasenlöcher auf und Finger und Zehen auseinandergehen sollten. Mit einem Worte solche Kompositionen muß man gar nicht mit dem Maßstabe messen mit dem [man] Hage- dorns Uzens und Ramlers Oden mißt, sie gehören zu einer ganzen andern Klasse von Kompositionen und sind das in der Poesie was Jacob Böhms unsterbliche Werke in Prose sind, eine Art von Pickenick, wobei der Verfasser die Worte (den Schall) und der Leser den Sinn stellt. Will er nicht, oder kann er nicht, gut so läßt ers bleiben. Zu einem solchen Kränzgen fin- den sich immer Leute. [E 104] Dem Dr. Faust unter andern haben wir ein ganz herrliches Denkmal gestiftet, daß ihn der Teufel noch auf die Stunde in jedem Marionettenstall auf jeder Frankfurter Messe die Woche 6 mal holt. [E 107] Über die Fortrückung der Nachtgleichen und der Essenszeit. Die letztere zu untersuchen ist so wichtig für den Moralisten, als die erstere für den Astrono- men. [E 117] Es hatte die Würkung, die gemeiniglich gute Bü- cher haben. Es machte die Einfältigen einfältiger, die Klugen klüger und die übrigen Tausende blieben un- geändert. [E 129] Viele Menschen stehn schon gänzlich stille, denn Fahren und Reiten und Getragen-Werden hat mit ihnen nichts zu tun. Die Toden selbst reisen des Jahrs einmal um die Sonne. [E 135] Ein sonderbares Geräusch, als wenn ein ganzes Re- giment auf einmal niesete. [E 136] Schwätzt doch nicht. Was wollt Ihr denn? wenn die Fixsterne nicht einmal fix sind, wie könnt ihr denn sagen, daß alles Wahre wahr ist? [E 139] Sie schreiben aus Vaterlands-Liebe Zeug, worüber man unser liebes Vaterland auslacht. [E 140] Eins der fruchtbarsten Erfindungs-Mittel, wogegen das Quis, quid, ubi pp gar nicht aufkommt, ist, daß man, so bald man etwas hört, zu sich selbst sagt: das ist nicht wahr? und alsdann die Gründe sucht, warum man so sagt. Die Regel, daß man nicht eher reden oder schreiben sollte bis man gedacht habe, zeigt von vielem guten Willen des Verfassers, aber von weni- gem Nachdenken, und der gute Mann dachte wohl nicht daran, daß man, um mich schöppenstädtisch, aber kräftig, auszudrücken, sein Gesetz nicht halten kann ohne es zu übertretten. Denn nicht zu gedenken, daß viele Leute gar nicht würden sprechen können, so glaube ich überhaupt das Gegenteil. Wie mancher hat endlich aus Desperation etwas Gescheites gesagt, weil er etwas Unüberlegtes verteidigen mußte, und Be- haupten ist Philosophieren. Ich nehme die paar identi- schen Sätze aus die uns Euklides aufgezeichnet hat, mit allen denen [die] in grader Linie und durch er- laubte Verbindungen davon abstammen. [E 146] Nachdem die Theorie von der Notwendigkeit eines Mangels an Symmetrie um original zu sein ist gege- ben worden, so kann gesagt werden: Ich hielte daher für ratsam daß man den neugebornen Kindern einen sanften Schlag mit geballter Faust auf den Kopf gäbe, der ohne ihnen zu schaden die Symmetrie des Gehirns etwas verrückte. Ich riete ihn ja nicht grade auf die Stirne oder oben oder hinten hin zu geben, auch nicht auf die Seite, weil dieses die Symmetrie keinesweges affizieren würde. Denn in den drei ersten Fällen wer- den beide Seiten gleich stark unmittelbar getroffen und in dem letzten würde die Reaktion der gegenüber- stehenden Seite statt eines Schlages von der entgegen- gesetzten Seite sein. Ich riete also unmaßgeblich den Schlag grade über einem von den beiden äußern Au- genwinkeln anzubringen, denn da alsdann Teile von einer ganz andern Struktur und Lage in Reaktion ge- bracht werden, so kann es nicht anders sein, als daß endlich die schönste Asymmetrie des Gehirnes erhal- ten werden wird. Von hinten auf den Kopf zu schlagen wollte ich deswegen nicht raten, weil das Cerebellum oder die Hintergebäude der Seele [da] lie- gen, wo bekanntlich die Werke des Witzes nicht ver- arbeitet [werden], und die Seele sich mit auswärtigen Affairen nicht abgibt. Ich habe deswegen oft mit Ver- druß bemerkt, daß die Schläge auf den Kopf oder die sogenannten Ohrfeigen in unsern Schulen abkommen und nur noch in der großen Gesellschaft wo sie ganz umsonst angebracht werden, weil die Köpfe alsdann gewöhnlich schon in das Holz gegangen sind, Mode sind. Man hat Exempel, daß Leute, die auf den Kopf gefallen oder darauf mit einem Prügel geschlagen worden sind, zuweilen angefangen haben zu weissa- gen, und anders von den Dingen in der Welt zu den- ken, als andere Menschen (die Regeln der Grammatik ausgenommen). Dieses hieß nun freilich dem Guten zu viel tun, und ich erkläre noch alles hierin aus einer symmetrischen Zerrüttung des Gehirns, allein kein Mensch kann leugnen, daß der beneidenswürdigste Kopf in dieser Welt derjenige wäre, den man vergöt- tern würde, wenn er die eine Seite nicht hätte, und den man in Bedlam einsperren müßte, wenn die andere nicht wäre, das sind die großen Seelen die Affe und Engel zugleich sind, und die freilich zuweilen die läp- pischen Ideen des erstern mit dem transzendenten Pe- riodenklang des letztern, oder die sonnhellen Ideen des letztern mit den hundsföttischen unverständlichen Zeichen des ersteren ausdrücken. Weiter. Warum schlagen sich die Menschen an den Kopf wenn sie etwas nicht wissen, was sie hätten wissen sollen, ein Gebrauch der den Menschen natürlich ist? Das Kopf- schütteln, einige zuerst nach der Rechten, andere nach der Linken. [E 147] Was man nicht gleich sieht ist keine drei Groschen wert, artifizielles Gewäsch. [E 149] adp. VI [E 46] In dem Sudel-Buch können die Ein- fälle die man hat, mit aller der Umständlichkeit ausge- führt werden, in die man gewöhnlich verfällt so lang einem die Sache noch neu ist. Nachdem man bekann- ter mit der Sache wird, so sieht man das Unnötige ein und faßt es kürzer. Es ist mir so gegangen als ich mei- nen Timorus schrieb. Ich [habe] oft mit dem, was ein Aufsatz im Sudelbuch war, einen Ausdruck schattiert. [E 150] Romane. Unsere Lebens-Art ist nun so simpel ge- worden, und alle unsere Gebräuche so wenig my- stisch, unsere Städte sind meistens so klein, das Land so offen, alles ist sich so einfältig treu, daß ein Mann der einen deutschen Roman schreiben will fast nicht [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 162 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69258 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 361 ff.)] weiß wie er Leute zusammenbringen oder Knoten knüpfen soll. Denn da die Eltern jetzt in Deutschland durchaus ihre Kinder selbst säugen, so fallen die Kin- dervertauschungen weg, und ein Quell von Erfindung ist verstopft, der nicht mit Geld zu bezahlen war, Wollte ich ein Mädchen in Mannskleidern herumge- hen lassen, das käme gleich heraus und die Bedienten verrieten es noch ehe sie aus dem Haus wäre, und au- ßerdem werden unsere Frauenzimmer so weibisch er- zogen, daß sie gar das Herz nicht haben so etwas zu tun. Nein fein bei der Mama zu sitzen, zu nähen und zu kochen um selbst eine Koch- und Näh-Mama zu werden, das ist ihre Sache, es ist freilich kommode für sie, aber eine Schande fürs Vaterland, für die Roma- nenschreiber eine unüberwindliche Hindernis. Ferner glaubt man in England, daß, wenn zwei Personen von einerlei Geschlecht in demselben Zimmer schlafen, ein Kerkerfieber unvermeidlich ist, deswegen sind die Personen in einem Hause des Nachts am meisten ge- trennt, und ein Schriftsteller darf nur sorgen wie er die Haustüre offen kriegt, so kann er in das Haus lassen wen er will, und er darf nicht sorgen, daß jemand auf- wacht als wen er braucht. Ferner da in England die Schornsteine nicht bloß Rauch-Kanäle, sondern hauptsächlich die Luftröhren der Schlafkammern sind, so geben sie zugleich einen vortrefflichen Weg ab un- mittelbar und ganz ungehört in jede beliebige Stube des Hauses zu kommen, ja so bequem daß ich mir habe sagen lassen, daß wer einmal einen Schornstein auf und abgestiegen sei, ihn fast einer Treppe vorzö- ge. In Deutschland käme ein Liebhaber schön an, wenn er einen Schornstein hinab klettern wollte, ja wenn er Lust hat auf einen Feuerherd, oder in einen Waschkessel mit Lauge, oder in die Antichambre von 2 bis 3 Öfen zu fallen, die man wohl gar von innen nicht einmal aufmachen kann. Und gesetzt man wollte einen Liebhaber so in die Küche steigen lassen, so ist die Frage, wie bringt man ihn aufs Dach? Die Kater in Deutschland können diesen Weg wohl zu ihren Ge- liebten nehmen, aber nicht die Menschen. Hingegen in England formieren die Dächer eine Art von Straße, die zuweilen besser ist, als die an der Erde, und wenn man auf einem ist, so kostet es nicht mehr Mühe auf das andere zu kommen, als über eine Dorf-Gosse im Winter zu springen. Man will zwar sagen man habe diese Einrichtung wegen Feuersgefahr getroffen, da aber diese sich kaum alle 150 Jahr einmal in einem Hause eräugnen, so stelle ich mir vielmehr vor, daß man es zum Trost bedrängter Verliebten und Spitzbu- ben für nützlich befunden hat, die sehr oft diesen Weg nehmen, wenn sie gleich noch andere wählen könnten, aber gewiß allemal wenn die Retirade in der Eile ge- schehen muß, grade so wie etwa die Hexen und der Teufel in Deutschland zu tun pflegen. Endlich eine rechte Hindernis von Intriguen ist der sonst feine und lobenswürdige Einfall der Postdirektoren in Deutsch- land, durch den eine unzählige Menge von Tugenden des Jahrs erhalten werden, daß sie statt den englischen Postkutschen und Maschinen, in denen sich eine schwangere Prinzessin weder schämen noch fürchten dürfte zu reisen, die so beliebten offnen Mistwagen eingeführt haben. Denn was die kommoden Kutschen in England und ihre vortrefflichen Wege für Schaden tun ist mit Worten nicht auszudrücken. Für das erste, wenn ein Mädchen mit ihrem Liebhaber aus London des Abends durchgeht, so kann sie in Frankreich sein ehe der Vater aufwacht, oder in Schottland ehe er mit seinen Verwandten zu einem Entschluß kommt, so daß daher ein Schriftsteller weder die Feen, noch die Zauberer noch Talismane nötig hat, denn wenn er sein Paar nur bis nach Charingcross oder Hyde park corner bringen kann, so sind sie so sicher als wenn sie in des Weber Maleks Kasten wären.4 Hingegen in Deutsch- land wenn auch der Vater den Verlust seiner Tochter erst am dritten Tage gewahr würde, wenn er nur weiß daß sie mit der Post gegangen ist, so kann er sie zu Pferde immer auf [der] dritten Station wieder kriegen. Ferner bringen Episoden zum Keim die leider nur allzu guten Gesellschaften in den bequemen Postkut- schen in England, die immer voll schöner wohlgeklei- deter Frauenzimmer stecken, und wo, welches das Parlement nicht leiden sollte, die Passagiere so sitzen daß sie einander ansehen müssen, wodurch nicht al- lein eine höchst gefährliche Verwirrung der Augen, sondern zuweilen eine höchst schändliche zum Lä- cheln von beiden Seiten reizende Verwirrung der Beine, und daraus endlich eine oft nicht mehr aufzulö- sende Verwirrung der Seelen und Gedanken erstanden ist, so daß mancher ehrliche junge Mensch der von London nach Oxford reisen wollte zum Teufel gereist ist. So etwas ist nun dem Himmel sei Dank auf unsern Postwagen nicht möglich. Denn erstlich können artige Frauenzimmer sich unmöglich auf einen solchen Wagen setzen, wenn sie sich nicht [in] der Jugend etwas im Zaunbeklettern, Elsternesterstechen, Äpfel- abmachen und Nüsseprügeln umgesehen haben, denn der Schwung über die Seitenleiter erfordert eine be- sondere Adresse und wenig unerfahrene Frauenzim- mer können ihn ohne Hosen tun, wenn sie nicht die unten stehenden Wagenmeister und Stallknechte la- chen machen wollen. Für das zweite, so sitzt man, wenn man endlich sitzt, so, daß man sich nicht in das Gesicht sieht, und in dieser Stellung können, was man auch dagegen sagen mag, wenigstens Intriguen nicht gut angefangen werden, die Erzählung verliert ihre ganze Würze, und man kann höchstens nur verstehen, was man sagt, aber nicht was man sagen will; endlich so hat man auf den deutschen Postwagen ganz andere Sachen zu tun, als zu plaudern, man muß sich fest halten wenn die Löcher kommen, oder in den schlim- mern Fällen sich gehörig zum Sprung spannen; muß auf die Aste achtgeben, und sich zur gehörigen Zeit ducken, damit der Hut oder Kopf sitzen bleibt; die Windseite merken, und immer die Kleidung an der Seite verstärken, von der der Angriff geschieht, und regnet es gar, so hat bekanntlich der Mensch die Ei- genschaft mit andern Tieren gemein, die nicht in oder auf dem Wasser leben, daß er stille ist, wenn er naß wird, da steht die Unterredung ganz still, und kommt man endlich in einem Wirtshaus an, so geht die zeit mit andern Dingen hin, der eine trocknet sich, der an- dere schüttelt sich, der eine kaut seine Brustkuchen und der andere bäht sich den Backen, und was der- gleichen Kindereien mehr sind vid. p. LVI [E 208] (hierüber Vid. Buch F p. 13 [F 96].) Also fallen die Postkutschen-Intriguen mit den Postkutschen selbst, den rechten Treibhäusern für Episoden und Ent- deckungen schlechterdings weg. Aber im Hannöveri- schen ist ja nun eine Postkutsche, wird man sagen. Gut, ich weiß es und zwar eine die immer so gut ist als eine englische. Also soll man alle Romanen auf dem Weg zwischen Harburg und Münden anfangen lassen, den man jetzt so geschwind zurücklegt, daß man kaum Zeit hat recht bekannt zu werden, und alles was ja die Fremden tun ist, daß sie zum Lob des Königs ausbrechen, der dieses so geordnet hat, oder schlafen, denn sie sind ehe sie in diese Kutsche kom- men gemeiniglich im Hessischen, Holsteinischen oder auf dem Eichsfeld so zugerichtet worden, daß sie in der Kutsche glauben sie wären zu Haus oder lägen im Bette. Das sind fürwahr feine Gegenstände für einen Roman, 5 schlafende Kaufleute schnarchend einzu- führen, oder ein Kapitel mit dem Lobe eines Königs anzufüllen, von dem ohnehin Deutschland voll genug ist. Das erstere ist schlechterdings gar kein Gegen- stand für ein Buch, und das letztere [für] keinen Roman. Was geht die Romanschreiber das an? Dar- über mag Robertson oder Hume oder Gatterer oder Schlözer der Nachwelt so viel vorplaudern als sie wollen. Das gehört gar nicht zur Sache, von der ich durch eure unüberlegten Einwürfe fast gänzlich abge- kommen bin. Ja wenn nicht noch zuweilen ein Kloster wäre wo man ein verliebtes Paar unterbringen könnte, so wüßte ich mir keinen eigentlichen deutschen Roman bis auf die 3. Seite zu spielen. Und wenn es einmal keine Klöster mehr gibt, so ist das Stündchen der deutschen Romane gekommen. Die Fortsetzung s. unten S. LVI [E 208]. [E 152] Frei? Wie? Vogelfrei vielleicht? [E 153] Deutsche Charaktere. Das ist die schon hundert- mal hergeleierte Klage der allgemeinen Bibliothek, über der einem fast alle Gedult ausgehen mögte. Ich frage gleich: Was ist ein deutscher Charakter? Was? Nicht wahr, Tabakrauchen und Ehrlichkeit? O Ihr ein- fältigen Tröpfe. Hört seid so gut und sagt mir, was ist es für Wetter in Amerika? Soll ichs statt eurer sagen? Gut. Es blitzt, es hagelt, es ist dreckig, es ist schwül, es ist nicht auszustehn, es schneit, friert, wehet und die Sonne scheint. [E 154] Der Engländer tut für den Schall: Liberty so viel als mancher ehrliche Mann in Deutschland für das Ding: Freiheit. [E 163] Daß man seine Gegner mit gedruckten Gründen überzeugen kann, habe ich schon seit dem Jahr 1764 nicht mehr geglaubt. Ich habe auch deswegen die Feder gar nicht angesetzt, sondern bloß um sie zu är- gern, und denen von unserer Seite Mut und Stärke zu geben und den andern zu erkennen zu geben, daß sie uns nicht überzeugt haben. [E 171] Geht hin und schreibt einmal eine Satyre auf den regierenden Kammerdiener, auf den natürlichen Sohn, oder des natürlichen Sohns Bastard oder des Bastards Bankert. Ihr werdet des Henkers werden. Überhaupt wenn ihr in Deutschland auf vornehme Herrn Satyren machen wollt, so rate ich euch zwei Stücke, entweder wählt euch welche aus dem alten Testament, oder be- werbt euch zuvor um ein Dienstgen zwischen den Tropicis, und wenn euch das nicht ansteht, so halts Maul. [E 187] Die Beweiser, da nichts zu beweisen ist. Es gibt eine Art von leerem Geschwätz, dem man durch Neu- igkeit des Ausdrucks, unerwartete Metaphern das An- sehen von Fülle gibt. Klopstock und Lavater sind Meister darin. Im Scherz geht es an. Im Ernst ist es unverzeihlich. [E 195] Es sind ganz brave Leute, aber die Hälfte des Guten und Bösen, das man von ihnen sagt, ist nicht wahr. [E 199] Margate. Es geht da so wie an allen Orten, wo Bäder sind, man holt ein bißgen verlorne Gesundheit [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 170 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69266 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 373 ff.)] und verliert sein Herz. [E 200] Sie verkaufen alles bis aufs Hemd und noch weiter. [E 201] Ein Schluck von Vernunft. [E 202] Der fast Lessingische Ausdruck, der dem Gedanken sitzt wie angegossen. [E 204] Hierbei kommt noch ein Umstand in Betrachtung der auch alle freundschaftliche Mischung der Gesell- schaft in den Wirtshäusern unmöglich macht. Näm- lich weil die Postwagen-Reisen mit so vielen Trübsa- len verbunden sind, so hat man dafür gesorgt, daß die Wirtshäuser noch um so viel schlechter sind, als nötig ist um den Postwagen wieder angenehm zu machen. Ja man kann sich nicht vorstellen, was das für eine Würkung tut. Ich habe Leute die zerstoßen und zer- schlagen waren und nach Ruhe seufzten, als sie das Wirtshaus sahen, wo [sie] sich erquicken sollten, sich mit einem Edelmut entschließen sehen weiter zu rei- sen, der würklich etwas Ähnliches mit jenem Mut des Regulus hatte, der ihn nach Karthago zurückzugehen stärkte, ob er gleich wußte, daß man ihn dort in eine Art von deutschem Postwagen setzen und so den Berg herunter rollen lassen würde. Ferner haben wir in Deutschland allgemeine Gebete, aber keinen allge- meinen Fluch, und kein Schimpfwort, das überall gilt, und keinen Galgen, den man überall kennt. In dem letztern Umstand geht man recht bis zum Einfältigen weit, da man zu Tyburn alles aufknüpft, was sich in dem millionenvollen Middlesex hängensfähig macht, so hat in Deutschland nicht allein fast jedes Dorf sei- nen Galgen, sondern in großen Städten hat die Bür- gerschaft einen eignen Galgen, und die andern einen eignen, und ich fürchte daß man endlich um unsern Ausdrücken alle Kraft von daher zu verwässern Fami- lien-Flüche erfinden und Familien-Galgen errichten wird. [E 208] Deutsche Sitten auf das Theater bringen pp. Ein nobler Vorschlag, wahrhaftig völlig wie der Zichori- n-Kaffee und Birken-Champagner. Endlich werden sie gar spotten, daß man hebräische Geschichte auf die Kanzel bringt, und von deutschen Aposteln zu fa- seln anfangen. Um aller Welt willen sagt mir, was haben wir für Sitten die für das Theater taugen? Sol- len wir etwa unsere Bauernschinder darauf bringen, unsere Gespensterweisen und unsere Ärzte die die Wassersucht mit Radnägeln, und die Zahnschmerzen mit Roßzähnen heilen? Einen deutschen Baron der kein Deutsch versteht, aber dafür Französisch spricht, aus dem kein Franzos klug werden kann, die vorneh- men Leute von Gout und Monde, für die die Ulmi- schen Messerschmiede Londonsche Schermesser und die Darmstädtischen Kammacher Pariser Kämme ma- chen? Unsere ewigen Affen der Engländer und Fran- zosen, der mit dem Hut, der andere im Zopf, der dritte im Sporn, der vierte mit Mon-Dieu, der fünfte mit damn me? Was? Den jungen Helden, der im Feld steht wie ein Franzose bei Roßbach und dafür zu Hause Filet macht wie Herkules, der auf alles zu- schlägt die Feinde ausgenommen? Den Hippagogen, der glaubt ein Pferd zu dressieren sei wenigstens so schwer und auf und ab auch so wichtig als ein Volk mit Ruhm und Segen zu beherrschen, der das Ver- dienst weder im Purper, noch mit einer Uniform noch mit einem schwarzen Kleide sondern mit einer leder- nen Hose zeichnet? Unsere vortreffliche Abteilung des menschlichen Geschlechts bald in Adliche und Gesindel, bald in Katholiken und Teufelsbraten, und bald in Schriftsteller und Klotzköpfe? Die deutschen Burgemeister, die sich für römische Konsuls, [den] Schützen-Obristen mit Haarbeutel und Coquarde der sich für den Prinz Ferdinand hält? Unsere Hochzeiten, wo Geld vertan wird, wovon man künftig leben, oder unsere Magisterschmäuse wo die Weisheit verleugnet wird, die man lehren wollte? Der Beamte, dem sein Prälat mit seinen Schmäusen die Ehre der Schwind- sucht angetan hat? Unsere Unkosten bei Trauer und Leichenbegängnissen, für die man oft den Seligen wieder neu hätte haben können? Die öftere Verwech- selung von Orden und Strick, Beutel-Perücke und Narrenkappe? Unsere hohlen papiernen Titul, unsere Adlichen die sich schämen einen Sohn in den Bürger- stand zu erheben und lieber einen abgehärmten Staatsbettler mit langen Spüllumpen-Manschetten und einer Perücke ŕ trois couleurs als einen gesunden reinlichen und glücklichen Kaufmann zum Sohn haben wollen? Das sind feine Gegenstände für eine Komödie. Da könnten unsere Schauspieler und Autoren dabei fort- hungern. Wer Henker würde denn 3 Groschen für die Erlaubnis bezahlen etwas in irgend einem unbrauch- baren moderichten Magazin von einem Komödien- haus vorstellen zu sehen, was man täglich im gemei- nen Leben und im tapezierten Zimmer umsonst sieht? Und für ein Trauerspiel haben wir noch weniger Ge- genstände. Ein armer Teufel, der helden[haft] für das Vaterland stirbt, und arme Teufel die für ihre Vogel- freiheit fechten, ein Vater oder eine Mutter, die ihr Sohn unter die Erde studiert, ein Bauermädgen, auf die der Landjunker Sorge gelächelt hat; einen Schriftsteller, den ein Artikel in einem Journal an den Rand des Grabes gebracht. Abgedankte rechtschaffne Minister und Offiziere, ein Bauer an dem ein Advokat saugt, ein Heer von frönenden Untertanen und die Wahrheit mit einem Galgen auf dem Buckel, das sind fürwahr feine Materien. Darbendes Verdienst, hun- gernde Künstler, Förster und wilde Schweine im Wohlleben. Wie der Nimrod bei Hofe einkehrt, wenn der alte Adam auszieht. Ich dächte ehe wir solche Al- fanzereien auf die Bühne bringen, so behelfen wir uns besser mit eingeführter Ware, oder lassen unsere Hel- den Englisch-Böotische Festtags-Prose donnern, die wo nicht dem Menschen doch dem Journalleser schmeckt. Was hilft es euch denn den Menschen auf eure Theater zu bringen wie er ist, wenn kaum zwei, drei Skelette auf dem Drei-Groschen-Platz ihn erken- nen? [E 209] Unser Leben kann man mit einem Wintertag ver- gleichen, wir werden zwischen 12 und 1 des Nachts geboren, es wird 8 Uhr ehe es Tag wird, und vor 4 des Nachmittages wird es wieder dunkel, und um 12 ster- en - [E 212] Wenn die Menschen plötzlich tugendhaft würden, so müßten viele Tausende verhungern. [E 213] Dem Pabst einen Bart machen heißt das reformie- ren? [E 214] Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hinein- guckt, so kann freilich kein Apostel heraus sehen. Wir haben keine Worte mit dem Dummen von Weisheit zu sprechen. Der ist schon weise der den Weisen ver- steht. [E 215] Der Mensch ist nicht so schwer zu kennen, als mancher Stubensitzer glaubt der sich in seinem Schlafrock freut, wenn er eine von Rochefoucaulds Bemerkungen wahr findet. Ja ich behaupte, die mei- sten kennen den Menschen besser, als sie selbst wis- sen, sie machen auch Gebrauch davon im Handel und Wandel, allein sobald sie schrieben, da wäre der Teu- fel los, da wäre alles so feiertagsmäßig schön, daß man sie gar nicht kenne, und da sie sonst ganz natür- lich aussähen, so machten sie jetzt Gesichter, wie eine alte Jungfer, wenn sie sich malen läßt. [E 218] Wenn [er] etwas fliegen sieht, so meint er gleich es wäre der Vogel Rock. [E 220] In unseren verklärten Tagen, wo den Voltaire ver- achten das Kriterium philosophischer, und Wielanden für einen armen Sünder halten schöner Talente ist. [E 230] Einen Primaner, der den Goethe anbetet und den Wieland anspielt. [E 231] Der Mann, der glaubt ein Kompendium wäre ein Buch, oder Facta registrieren wäre Geschichte schrei- ben. [E 232] Die große Regel: Wenn dein Bißgen an sich nichts Sonderbares ist, so sage es wenigstens ein bißgen sonderbar. [E 243] Daß es wahr ist, das hätte nichts zu bedeuten, al- lein die Leute glaubens, das ist den Teufel. [E 248] Ordnung müßt ihr im Büchelgen nicht suchen. Ordnung ist eine Tochter der Überlegung, und meine Feinde haben so wenig Überlegung gegen mich ge- braucht, daß ich gar nicht absehe warum ich welche gegen sie gebrauchen sollte. [E 249] Briefe über die neuste Literatur: und ich dank es dem lieben Gott tausendmal, daß er mich zum Athei- sten hat werden lassen. [E 252] Wir sollten deutsche Charaktere auf die Bühne bringen, vortrefflich, und die deutschen Charaktere uns dafür ans Halseisen. Nicht wahr? [E 254] Warum schreibt ihr denn keine Romane wie den Nothanker, das ist doch einmal ein Buch, das jetzt in London deutsch gelesen wird! Nun das habe ich doch gedacht, er wird doch noch endlich kommen der Not- hanker, und es war mir so eben bange. Nicht als wenn ich euch nicht auf eure Frage dienen könnte, sondern weil ich meinen Beweis wegen der Romane so eben mit dem Gnadenstoß geschlossen hatte und euch Af- fengesichtern zu Gefallen nicht noch wieder von vor- nen anfangen kann. Wir wollen nun so keine Romane [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 178 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69274 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 390 ff.)] schreiben, wir wollen auch einmal unsern Willen haben und - und warum habt ihr das Maul nicht auf- getan wie ich noch warm war? [E 255] Der noch nicht einmal passives und aktives Lesen unterscheiden kann. [E 266] Schimpft nicht auf unsere Metaphern, es ist der ein- zige Weg, wenn starke Züge in einer Sprache zu ver- bleichen anfangen, sie wieder aufzufrischen und dem Ganzen Leben und Wärme zu geben. Es ist unglaub- lich wie viel unsere besten Wörter verloren haben, das Wort vernünftig hat fast sein ganzes Gepräge verlo- ren, man weiß die Bedeutung aber man fühlt sie nicht mehr, wegen der Menge von vernünftigen Männern, die den Titul geführt haben, unvernünftig ist in seiner Art stärker. Ein vernünftiges Kind ist ein schlaffer frommer Taugenichts von einem Anbringer, ein un- vernünftiger Junge ist viel besser. Der Schall Liberty. [E 274] Eine schädliche Folge des allzu vielen Lesens ist, daß sich die Bedeutung der Wörter abnutzt, die Ge- danken werden nur so ohngefähr ausgedrückt. Der Ausdruck sitzt dem Gedanken nur los an. Ist das wahr? [E 276] Da laufen sie wie Wood und Aischines nach Troja und lesen den Homer auf der Stelle, kommt einmal auf unsere Dachstube und lest unsere Werke wo sie geschrieben sind, und ihr werdet ganz anders urteilen. Eine Kammer worin nie etwas dampft, als zuweilen böser Stein-Tabak, und im Winter unser eigner Odem. [E 281] Es gibt Leute, die glauben, alles wäre vernünftig, was man mit einem ernsthaften Gesicht tut. [E 286] In einem Städtgen wo sich immer ein Gesicht aufs andere reimt. [E 289] Nicht wahr, morgen oder in Ewigkeit nicht. (ge- braucht) [E 290] Das wäre eine Sünde? so wenig als Fenster ein- schmeißen und Äpfel stehlen. [E 297] Wenn ich Fenster einwerfe, so geschieht es immer mit Drei-Groschenstücken. [E 298] Die Wege sind mit Nimmergrün besetzt. [E 299] Ich mögte nur einen einzigen Tag König von Preu- ßen sein, ich wollte die Berliner zausen. [E 306] Schreibt man denn Bücher bloß zum Lesen? oder nicht auch zum Unterlegen in die Haushaltung? Gegen eins, das durchgelesen wird, werden Tausende durchgeblättert, andere Tausend liegen stille, andere werden auf Mauslöcher gepreßt, nach Ratzen gewor- fen, auf andern wird gestanden, gesessen, getrommelt, Pfefferkuchen gebacken, mit andern werden Pfeifen angesteckt, hinter dem Fenster damit gestanden. [E 311] Sagt, ist noch ein Land außer Deutschland, wo man die Nase eher rümpfen lernt als putzen? [E 316] Statt Goethisch lies Gothisch. [E 326] Was! Wollt Ihr etwa auch wie Cervantes im Flie- hen siegen? [E 327] Die Leiden des Herrn Baron von Werthers. [E 330] Daß die plagiarii so verächtlich sind kommt daher, weil sie es im kleinen und heimlich tun. Sie sollten es machen wie die Eroberer, die man nunmehr unter die honetten Leute rechnet, sie sollten platterdings ganze Werke fremder Leute unter ihrem Namen drucken las- sen und wenn sich jemand dagegen in loco selbst regt, ihm hinter die Ohren schlagen, daß ihm das Blut zu Maul und Nase heraussprützt, Auswärtige in Zeitun- gen Spitzbuben, Kabalenschmiede, und Bengel schel- ten, sie zum Teufel weisen oder sagen, daß [sie] das Wetter erschlagen solle. Auf diese Art wollte ich mei- nem Vaterland weismachen, daß ich den Nothanker geschrieben hätte. [E 334] Sie sind unterschieden wie promesse und Verspre- chung, die letztere wird gehalten und die erstere nicht. Vom Nutzen der französischen Wörter im Deutschen. Ich wundere mich, daß man das nicht gemerkt hat. Das französische Wort gibt die deutsche Idee mit einem Zusatz von Wind, oder in der Hofbedeutung. Ist denn promesse so viel als Versprechen, Eine Erfin- dung ist etwas Neues und eine Decouverte etwas Altes mit einem neuen Namen. Kolumbus hat Ameri- ka entdeckt und Americus Vesputius hat es decou- vriert (ja gout und Geschmack stehn einander fast ent- gegen und Leute von gout haben selten viel Ge- schmack). Ehmals erfanden die Deutschen noch, jetzt da man mit Recht Schreiben zum Maßstab von Ver- dienst gemacht und man die kritischen Bibliotheken, Kalender und Lotterielisten und Muster-Charten mit unter die Bücher rechnet, so legen sich die Deutschen mehr auf das Decouvrieren. Ehmals hat man in Frank- reich öffentlich über die Frage disputiert: si un alle- mand peut avoir de l'esprit. Non Messieurs, würde ich gesagt haben, denn versteht ihr unter Esprit was wir darunter verstehen, so habt ihr recht, versteht ihr aber unter Esprit, war wir und die Engländer unter Witz und Wit verstehen, so sollen euch die schwarzen Hu- saren holen, Ihr Schelmen. Welches ist witziger, sagt, wie ihr einer Dame wegen weniger in ein Buch zu bringen als hinein gehört, oder wie wir der Mannspersonen wegen mehr hinein zu bringen, als wir selbst wissen? Den Damen zu Gefallen nicht mehr Blut sagen sondern Lebens-Burgunder, die Mathema- tik aus mathematischen Büchern verbannen. Grie- chisch mit lateinischen Lettern drucken, der Schwan- gern wegen. Algebra durch A... ausdrucken der Schwangern wegen. [E 335] Eine Preisfrage an den Himmel. [E 350] Als er eine Mücke ins Licht fliegen sah, und sie nun mit dem Tode rang, so sagte er: hinunter mit dem bitteren Kelch, du armes Tier, ein Professor sieht es und bedauert dich. [E 351] Wer wird abwimmern, was er abtragen kann? [E 365] Alles wohlklingend und alles erlogen. [E 367] Nicht alle die Wohlgeboren sind Wohlgestorben oder im Reich der Toden Hochedelgestorbene. [E 372] Als ich nun so studierte und schlief. [E 373] Wie gehts, sagte ein Blinder zu einem Lahmen. Wie Sie sehen, antwortete der Lahme. [E 385] Mitleid und Furcht ist es die Aristoteles zur Ab- sicht des Trauerspiels macht, nicht Mitleid und Schrecken. [E 399] Wenn man sich nur recht selbst beobachtet. Ein weißer Bogen Papier flößt mehr Respekt ein, als der schönste Bogen Makulatur. Es füllt einen mit einer Begierde ihn zu beseelen. [E 406] Habe keine zu künstliche Idee vom Menschen, son- dern urteile natürlich von ihm, halte ihn weder für zu gut noch zu böse. [E 412] Nicht jeder Original-Kopf führt eine Original-Feder, und nicht jede Original-Feder wird von einem originellen Kopf regiert. [E 414] Erkünstelte und natürliche Laune. [E 417] Mit der Feder in der Hand habe ich, mit gutem Er- folg, Schanzen erstiegen, von denen andere mit Schwert und Bannstrahl bewaffnet zurückgeschlagen worden sind. [E 422] Die würklichen Philosophen und die titulären. [E 425] Was mich überhaupt bei Herrn Lavater wundert, ist, daß er, der so sehr aufmerksam auf die Zeichen gewesen ist aus denen sich der Charakter erraten läßt, nicht hat merken können, daß man Leuten die so schreiben, wie er nicht leicht viel glaubt,5 daß sie schwätzen mögen so lange sie wollen, denn die Art, pflegt man zu sagen, wie ein Zeugnis gesagt wird, ist zuweilen wichtiger, als das Zeugnis selbst. [E 426] Die alten Dichter haben doch noch den Nutzen, [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 186 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69282 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 403 ff.)] wenn sie auch sonst keinen hätten, daß wir die Mei- nungen des gemeinen Volks hier und da kennen ler- nen, die sonst nicht aufgezeichnet sind, auch den haben unsere Genies nicht einmal. Denn unsere Volkslieder sind oft voll von einer Mythologie, die niemand im Städtgen kennt, als der Narr, der das Volkslied gemacht hat. [E 437] Der Mann geht zu weit, aber tue ich das nicht auch? Er hört sich gern in seinem Enthusiasmus. Höre ich mich nicht gerne mit meinem Witz? oder in mei- ner kaltblütigen Verachtung alles dessen was aus Empfindung getan wird? [E 442] Namentlich alle Buhl- und Betschwestern. [E 448] Unsere besten Universitäten haben sie nicht unan- getastet gelassen, von denen doch so viel unüber- schwängliches Gute kommt, aus welchem Unwesen denn der Pferdefuß und die Klaue deutlich hervor- guckt. Man schafft Professoren an, hoffnungsvolle junge Leute, man schafft Bücher an, liest, exzerpiert, räsoniert sich weiß, gelb, schwindsüchtig, und frigid und impotent. Und was ist denn am Ende der ganze Nutzen bisher noch in Deutschland gewesen? Wacke- re Advokaten, auch allenfalls wackere Richter und brave Amtleute, das ist wahr. Aber wo sind unsere er- bauliche Prediger, denen der Welt- und Menschenken- ner mit Vergnügen zuhört? Wo sind unsere Publizi- sten? Und wo sind (dabei zucken die Schelmen wohl gar die Achsel?), ach Gott wo sind unsre philosophi- schen Geschichtschreiber? Männer die tief geprüfte Sachen kurz und stark zu sagen wissen, und immer mehr den Menschen vor Augen haben, als den Nieder- oder Obersachsen oder s... der nicht erst eine Bemer- kung macht, und dann sagt daß er sie gemacht hat, der 20-, 30jährige Erfahrung in einer Zeile hinwirft, die hernach dem denkenden Leser mit einem Vergnügen, das kein gleiches hat, sich wieder in Leben-Gebrauch auflöst? Wo sind unsere Philosophen, Wo sind unsere Prosaisten? Noch zur Zeit nur ein einziger Lessing! Barden, Rezensenten, poetische Zitterer, Enthusia- sten, die bei jedem Favorit-Vorfall ihr ganzes Feuer- werk abbrennen, haben wir zu Tausenden. Leute die mit ihrer Schrift einem ganzen Rezensenten-Club hei- lige Schauder abjagen, konventionell für jenes Kolle- gium, für jene Zeitungsschreiber, für dieses Kränzgen, aber für den Menschen - nichts, gar nichts! Man wird gefunden haben, daß uns die Leute platterdings zu nichts machen wollen. Etwas müssen wir doch sein. [E 455] Eine Haupt-Regel in der Philosophie ist, keinen Deum ex machina zu machen, keine Sinnen, keinen Instinkt anzunehmen, wo man noch mit Assoziation und Mechanismus auskommen kann. [E 460] Wenn innere Besserung des Herzens und des inne- ren Menschen eine Besserung der Gesichtszüge nach sich zöge und, daß man sich durch ein vernünftiges und christliches Leben ein Lavatersches Christusge- sicht ziehen könnte, so ließe ich Physiognomik gelten. Auch glaube ich, wenn es des Schöpfers Absicht ge- wesen wäre, den Menschen endlich eine solche Ein- sicht zu verstatten, so hätte er in die Form mehr Ver- änderlichkeit gelegt. Wie kann Rotwerden aus der As- soziation der Ideen und der Anatomie erklärt werden. [E 489] Nichts gefällt dem Apoll besser, als [wenn] man ihm einen mutwilligen Rezensenten schlachtet. [E 492] Wenn Leute ihre Träume aufrichtig erzählen woll- ten, da ließe sich der Charakter eher daraus erraten, als aus dem Gesicht. [E 494] Was muß es auf ein Volk für einen Einfluß haben wenn es keine fremde Sprachen lernt, Vermutlich etwas Ähnliches von dem, den eine gänzliche Entfer- nung von aller Gesellschaft auf einen einzelnen Men- schen hat. [E 510] Wenn wir die Mütter bilden, das heißt die Kinder in Mutterleibe erziehen. [E 511] Er fiel sich selbst ins Wort. [E 519] [Aus »Sudelbuch« F] Das Doktor-Werden ist eine Konfirmation des Gei- stes. [F 19] Unsere Prose ginge so stolz und unsere Poesie so demütig einher Ist denn das etwas so gar Abscheuli- ges? Die Prose ist lange genug zu Fuß gegangen (pe- destris oratio) und mich dünkt es wäre nun einmal Zeit für die Poesie abzusteigen um die Prose reiten zu lassen. [F 22] Das Zukünftige sehen ist ebenfalls Physiognomik [F 23] Niederdeutsch, Hochdeutsch, und seraphisch Deutsch. [F 24] Mit elektrischen Ketten ließen sich Signale geben, Längen nicht weit entlegner Örter bestimmen usw. Es ließen sich vielleicht Ströme dazu gebrauchen, wenig- stens auf eine gewisse Strecke. [F 40] Kluge Leute glauben zu machen man sei, was man nicht ist, ist in den meisten Fällen schwerer als würk- lich zu werden, was man scheinen will. [F 51] Das Wohl mancher Länder wird nach der Mehrheit der Stimmen entschieden, da doch jedermann einge- steht, daß es mehr böse als gute Menschen gibt. [F 52] Wir, der Schwanz der Welt, wissen nicht, was der Kopf vorhat. [F 54] bon sens, Menschen-Verstand, common sense wird zu oft für einen vollkommenen Sinn gehalten, in der Tat ist [er] aber weiter nichts, als eine immer wach- sam anschauende Erkenntnis von der Wahrheit nützli- cher allgemeiner Sätze. [F 56] Ich lese die Tausend und eine Nacht und den Ro- binson Crusoe, den Gilblas, den Findling, tausendmal lieber als die Messiade, ich wollte 2 Messiaden für einen kleinen Teil des Robinson Crusoe hingeben. Unsere meisten Dichter haben, ich will nicht sagen [nicht] Genie genug, sondern nicht Verstand genug einen Robinson Crusoe zu schreiben. [F 69] Es mischen sich andere Assoziationen mit in unsere physiognomischen Urteile, eine lange Nase ist der Fe- stigkeit z.E. im Charakter zuwider. Was hat aber Fe- stigkeit des Fleisches mit Festigkeit des Charakters zu tun? med. [F 75] Sie haben genieset, gezischt, gehustet und noch 2 Arten von Lärm gemacht wozu wir im Deutschen keine Wörter haben. [F 87] Die unterhaltendste Fläche auf der Erde für uns ist die vom menschlichen Gesicht. [F 88] Ich habe Leute gekannt, die haben heimlich getrun- ken und sind öffentlich besoffen gewesen. [F 95] Sie streichen die Postwagen rot an, als die Farbe des Schmerzens und der Marter. Sie bedecken sie mit Wachslinnen, nicht wie man glaubt um die Reisenden gegen Sonne und Regen zu schützen (denn was die Reisenden [sind] tragen ihren Feind unter sich, das sind die Wege und der Postwagen), sondern aus derselben Ursache warum man den zu Henkenden eine Mütze über das Gesicht zieht, damit nämlich die Umstehenden die gräßlichen Gesichter nicht sehen mögen, die jene schneiden. [F 96] Es regnete so stark, daß alle Schweine rein und alle Menschen dreckig wurden. [F 100] Ein Buch ist ein Spiegel, wenn ein Affe hinein- sieht, so kann kein Apostel heraus gucken. [F 112] Lessings Geständnis, welches er Herrn Klotz tut Tom: II. Antiqu. Briefe, daß er fast für seinen gesun- den Verstand zu viel gelesen habe, beweist wie ge- sund sein Verstand ist. [F 114] Wenn man ein altes Wort gebraucht, so geht es oft in dem Kanal nach dem Verstand den das ABC-Buch gegraben hat, eine Metapher macht sich einen neuen, [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 194 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69290 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 438 ff.)] und schlägt oft grad durch. ‹Nutzen der Metaphern.› [F 116] Eine Metaphern-Ordnung, so wie eine Kleider- -Ordnung. [F 163] So wie man den Heiligen eine Nulle über den Kopf malt. [F 167] Die letzte Hand an sein Werk legen, das heißt ver- brennen. [F 173] Etwas Witziges läßt sich wider alles sagen, und für alles. Hiergegen könnte ein witziger Mann wieder etwas sagen, das mich vielleicht diese Behauptung bereuen machen könnte. [F 174] Eine einzige Seele war für seinen Leib zu wenig, er hätte zwoen zu tun genug geben können. [F 189] Der Mensch. - Jede Größe ist sich selbst gleich, sagt er, und wiegt endlich die Sonne mit allen Plane- ten ab. Er weiß die Zeit der Bedeckung entfernter Pla- neten und weiß den Untergang einer Welt nicht, die seinen Körper ausmacht. Ich bin nach Gottes Bild ge- schaffen, sagt er, und dort schlurft er den Urin des un- sterblichen Lama. Staunt eine Bienen-Zelle mit Ver- wunderung an, und kann selbst Peterskirchen bauen. Wirft Hirsenhörner durch das Ohr einer Nadel oder bestreicht sie mit einem Stein und findet auf dem Meer seinen Weg. Nennt Gott bald das tätigste Wesen, bald den Unbeweglichen, gibt dem Engel bald Sonnenlicht zum Gewand und bald Vielfraß-Pelz (Kamtschatka), betet bald Mäuse und Würmer an, glaubt hier an einen Gott vor dem tausend Jahre sind, wie der Tag der gestern vergangen ist, und bald an gar keinen. Ermordet sich selbst und vergöttert sich selbst, kastriert sich selbst, brennt und hurt sich zu Tode, tut Gelübde der Keuschheit, und verbrennt einer...wegen Troja. Frißt seine Mitbrüder, seinen Mist.(Mehr verdaut und besser geordnet) [F 191] Die Wege werden immer breiter und schöner, je näher man dieser Hölle kommt (London). [F 206] Die Verse geraten nur wie die Krebse in den Mona- ten gut in deren Namen kein r ist. [F 212] Bibelträger nennt man in Niedersachsen die Scheinheiligen. [F 229] Sie ist am furore Wertherino gestorben. Der Furor Wertherinus. [F 232] Diejenigen unter den Gelehrten, denen es an Men- chen-Verstand fehlt, lernen gemeiniglich mehr als sie brauchen, und die vernünftigen unter ihnen können nie genug lernen. [F 233] Die Wälder werden immer kleiner, das Holz nimmt ab was wollen wir anfangen? O zu der Zeit, wenn die Wälder aufhören, können wir sicherlich so lange Bü- cher brennen, bis wieder neue aufgewachsen sind. [F 234] Beim Torheits-Fältgen. Leute haben es gemeinig- lich die mit einem albernen nicht verschwindenden Lächeln alles bewundern und nichts verstehen. [F 247] Man kann die Fehler eines großen Mannes tadeln, aber man muß nur nicht den Mann deswegen tadeln. Der Mann muß zusammengefaßt werden. [F 269] Wenn ich nur wüßte, wer es dem ehrlichen Mann beibringen wollte, daß er nicht klug ist. [F 270] Die barbarische Gnauigkeit; winselnde Demut. [F 273] Eine 2 persönige Frau. [F 283] Die Welt ist immer in ihren Urteilen zu gütig oder unbillig. [F 286] Erfahrung, nicht lesen und hören ist die Sache. Es ist nicht einerlei ob eine Idee durch das Auge oder das Ohr in die Seele kommt. [F 288] Er war ein geschäftiger Schriftsteller und ein sehr fleißiger Leser seiner eignen Artikel in den gelehrten Zeitungen und Journalen. [F 312] Wenn man den Ländern Namen von den Worten gäbe die man zuerst hört, so müßte England damn it heißen. [F 319] Wenn man gar nicht einmal die Geschlechter an den Kleidungen erkennen könnte, sondern auch noch sogar das Geschlecht erraten müßte, so würde eine neue Welt von Liebe entstehen. Dieses verdiente in einem Roman mit Weisheit und Kenntnis der Welt behandelt zu werden. [F 320] Man lasse nur einströmen, ohne Vorurteil, in un- sern sinnlichen Werkzeugen liegt der Fehler nicht, wenn wir superklug oder Gecken sind, sondern in un- serm Lesen und Vorurteilen. [F 321] Was für einen Effekt würde es nicht auf mich haben, wenn ich einmal in einer ganz schwarz behan- genen großen Stube, wo auch die Decke mit schwarzem Tuch beschlagen wäre, und bei schwarzen Fußteppichen, schwarzen Stühlen und schwarzem Ca- napee, in einem schwarzen Kleide bei einigen weni- gen Wachskerzen sitzen müßte und von schwarz ge- kleideten Leuten bedient würde? [F 325] Wahrhaftes unaffektiertes Mißtrauen gegen menschliche Kräfte in allen Stücken ist das sicherste Zeichen von Geistesstärke. [F 326] Es gibt Leute, die werden mit einem bösen Gewis- sen geboren. Mit einem roten Strich um den Hals, Strick. [F 328] Bei Kindern läßt Putz, Rosenfarb und Silber, weil man sie ausziert, ohne dadurch die Beschaffenheit ihres Geistes zu entdecken. Eine Livree und Uniform können noch so freudig sein, so bald aber jemand an seinem eignen Leib die Sachen aus eigner Wahl trägt, so ist das Kleid nicht mehr Decke sondern Hierogly- phe. [F 334] Was sie Herz nennen liegt weit niedriger als der 4. Westenknopf. [F 337] Empfindsam schreiben heißen die Herren immer von Zärtlichkeit, Freundschaft und Menschen-Liebe reden. Ihr Schöpse, hätte ich bald gesagt, das ist nur ein Astgen des Baumes. Ihr sollt den Menschen über- haupt zeigen, den zärtlichen Mann und den zärtlichen Gecken, den Narren, und den Spitzbuben, den Bauer, den Soldaten, den Postillion, alle wie sie sind, das heiß ich empfindsam schreiben. Was ihr schreibt ist uns nicht sowohl verhaßt, als euer ewiges Fiddeln auf einer und derselben Saite. Der Mensch besteht doch noch aus etwas mehr als Testikeln. [F 338] Das war, wie die Zeit noch keinen Bart hatte. [F 342] Ich weiß nicht, es ist mir jetzt wieder ganz geräu- mig in der Welt, da H. hinaus ist, oder H. gehenkt ist. [F 344] Wenn eine andere Generation den Menschen aus unsern empfindsamen Schriften restituieren sollte, so werden sie glauben es sei ein Herz mit Testikeln ge- wesen. Ein Herz mit einem Hodensack. [F 345] Ein Nachtwächter der einmal in sein Horn stößt macht allemal 6 andere. [F 347] Leibniz hat die christliche Religion verteidigt, dar- aus, wie die Theologen tun, grade weg zu schließen er sei ein guter Christ gewesen, verrät sehr wenig Welt- kenntnis. Eitelkeit etwas Besseres zu sagen, als die Leute von Profession, ist bei einem solchen Manne wie Leibniz, der wenig Festes hatte, eine weit wahr- scheinlichere Triebfeder so etwas zu tun, als Religion. Man greife doch mehr in seinen eignen Busen, und man wird finden, wie wenig sich etwas von andern behaupten läßt. Ja ich getraue mir zu beweisen, daß man zuweilen glaubt man glaube etwas und glaubt es doch nicht. Nichts ist unergründlicher als das System von Triebfedern unsrer Handlungen. [F 348] Wenn die Seele einfach ist, wozu der Bau des Ge- hirns so fein ? Der Körper ist eine Maschine und muß also aus Maschinen-Materialien bestehen. Es ist ein Beweis daß sich das Mechanische in uns sehr weit er- streckt, da selbst noch die innern Teile des Gehirns mit einer Kunst geformt sind, wovon wir [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 202 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69298 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 477 ff.)] wahrscheinlicher Weise nicht den hundertsten Teil verstehen. [F 349] Mir ist ein Kleintuer weit unausstehlicher als ein Großtuer, denn einmal verstehen es so wenig, weil es eine Kunst ist da Großtun aus der Natur entspringt, und dann läßt der Großtuer jedem seinen Wert, da der Kleintuer den, gegen welchen er es ist, offenbar ver- achtet. Ich habe einige gekannt, die von ihrem weni- gen Verdienst, das sie hatten, mit soviel pietistischer Dünnigkeit zu sprechen wußten, als wenn sie fürchte- ten man möchte schmelzen, wenn sie sich in ihrem ganzen Licht zeigten. Ich habe mir aber angewöhnt über solche Leute zu lachen, und seit der Zeit sehe und höre ich sie gerne. [F 350] Krankheiten der Seele können den Tod nach sich ziehen und das kann Selbstmord werden. [F 352] Wer seine Talente nicht zur Belehrung und Besse- rung anderer anwendet ist entweder ein schlechter Mann oder äußerst eingeschränkter Kopf Eines von beiden muß der Verfasser des leidenden Werthers sein. [F 353] Versuch über die Nachtwächter. Ich selbst bin ein Nachtwächter, meine Herrn, zwar nicht von Professi- on, sondern ein Dilettante, ich kann nämlich des Nachts nicht schlafen, und habe es darin, so wie Di- lettanten gemeiniglich, ohne alle Prahlerei, weiter ge- bracht, als die meisten von Profession. [F 354] Ich denke wenn man etwas in die Luft bauen will, so sind es immer besser Schlösser als Kartenhäuser. [F 357] Ich glaube, daß die Quelle des meisten menschli- chen Elends in Indolenz und Weichlichkeit liegt. Die Nation, die die meiste Spannkraft hatte, war auch al- lezeit die freiste und glücklichste. Die Indolenz rächt nichts, sondern läßt sich den gröbten Schimpf und die größte Unterdrückung abkaufen. [F 365] Zum Lärmenmachen wählt man die kleinsten Leute, die Tambours. [F 368] Die Metapher ist weit klüger als ihr Verfasser und so sind es viele Dinge. Alles hat seine Tiefen. Wer Augen hat der sieht [alles] in allem. [F 369] So wie ein Taubstummer lesen und Sprachen lernt, so können wir auch Dinge tun deren Umfang wir nicht kennen, und Absichten erfüllen, die wir nicht wissen. Er spricht für einen Sinn, den er selbst nicht hat. [F 373] Die Perser legen, wenn sie den größten Respekt an- zeigen wollen, die Hand auf den Magen. [F 376] Die Perser nennen ein gutes Buch Divan oder die Versammlung der Weisen. [F 378] Die Frauenzimmer sind in Persien von der Poesie ausgeschlossen. Sie sagen, wenn die Henne krähen will, so muß man ihr die Kehle abschneiden. [F 379] So wie die Otaheiten von Eis und Schnee und Lon- don reden würden, wenn sie es sähen, so könnte man sich zur Übung einen gewissen Kreis von Wörtern und Kenntnis setzen und ohne aus ihm herauszugehen Beschreibungen von allerlei Dingen geben. Der Man- gel an gehörigen Wörtern würde einen auf manches führen. Gedichte ohne den Buchstaben r hat Brockes gemacht. [F 383] Da der vortreffliche Brockes Gedichte ohne r ge- macht das dem Menschen so natürlich ist, so sehe ich nicht ein warum man keine Gedichte ohne Menschen- -Verstand machen sollte, da es ohne Widerrede wahr ist daß man ohne r nicht einmal Wasser und Brod for- dern kann, da man Exempel hat, daß Leute ohne Men- schen verstand sich auf die ersten Stufen des bürgerli- chen Lebens geschwungen haben. [F 384] Da dringe ich eben darauf, das ist der eigentliche Mensch nicht, der mit uns lebt, wir müssen ihn jetzt aus der Geschichte heraus suchen. [F 385] Die Griechen besaßen eine Menschenkenntnis die wir ohne durch stärkenden Winterschlaf einer neuen Barbarei durch zu gehen kaum erreichen zu können scheinen. [F 388] Gezählt möchte der Verlust größer herauskommen, als gewogen. [F 389] Es trägt nicht wenig zu dem heutigen Verfall ern- ster Wissenschaften bei daß man ein gewisses Wer- therisches Schwärmen in der Liebe für das Zeichen eines großen Gefühls und den unwidersprechlichen Befehl der allgütigen Natur hält. [F 390] Verständigen Personen werden nicht allein schöne Leute ohne Verstand verhaßt, sondern auch die äußer- ste Dienstfertigkeit bei Leuten verliert ohne Gaben des Geistes ihren Wert. [F 395] Große Reinlichkeit ohne Geckerei, und ohne daß man merkt, daß sie gar zu sehr gesucht wird, Nach- giebigkeit und unaffektierte Bescheidenheit und Wohlwollen ohne Zwang kann zu Schönheit werden, wenigstens Liebe gewinnen. [F 396] Warum sind junge Witwen in Trauer so schön? (Untersuchung) [F 399] Das heißt man soll mit dem Licht der Wahrheit leuchten, ohne einem den Bart zu sengen. [F 404] Es sind zuverlässig in Deutschland mehr Schrift- steller, als alle vier Weltteile überhaupt zu ihrer Wohlfahrt nötig haben. [F 412] Die Orakel haben nicht sowohl aufhöhren zu reden als vielmehr die Menschen ihnen zuhöhren. [F 413] Ein etwas verstimmter Ausdruck. [F 414] Dr. South sagt in einer seiner Predigten, Gott habe die Juden, ein an sich halsstarriges, hartnäckiges, re- bellisches Volk, so zu seinen Lieblingen erkiest, wie Sokrates die Xanthippe zu seiner Frau um seine Langmut zu üben. [F 417] In einem Artikel wäre das Opfern der Erstlinge noch zu gebieten bei Versen. [F 418] Wie nah wohl zuweilen unsere Gedanken an einer großen Entdeckung hinstreichen mögen? [F 423] Wir tun alle Augenblicke etwas, das wir nicht wis- sen, [die] Fertigkeit wird immer größer, endlich würde der Mensch alles ohne es zu wissen tun und im eigentlichen Verstand ein denkendes Tier werden. Vernunft nähert sich der Tierheit. [F 424] Unsere Psychologie wird endlich bei einem subtilen Materialismus stille stehn, indem wir immer von der einen Seite (Materie) mehr lernen und von der andern über alles hinausgegriffen haben. [F 425] So sagt man jemand bekleide ein Amt, wenn er von dem Amt bekleidet wird. [F 426] Der Mensch sucht Freiheit, wo sie ihn unglücklich machen würde, im politischen Leben, und verwirft sie, wo sie ihn glücklich macht, und hängt anderer Meinung blindlings an. Der religiöse und System- -Despotismus ist der fürchterlichste unter allen. Der Engländer, der wider das Ministerium schimpft, ist ein Sklave der Opposition, ein Sklave der Mode, al- berner Gebräuche, Etiquette. [F 431] Der Mensch kann sich Fertigkeiten erwerben und kann ein Tier werden, wo er will. Gott macht die Tiere, der Mensch macht sich selber. Vergleiche mit p. 47, 10, 11 [F 424]. [F 433] Seitdem man Wissenschaft zu nennen beliebt, an- derer törigte Meinungen zu kennen, die man vielleicht aus einer einzigen Formul nach den Regeln einer ganz mechanischen Erfindungskunst herleiten könnte, und sich überall durch Mode, Gewohnheit, Ansehen und Interesse leiten läßt, ist dem Menschen die Lebens- Zeit zu kurz geworden. [F 434] Eine Art von Heimweh zum Himmel. Er begeht schändliche Streiche einen über den andern, als wenn er das Heimweh nach der Hölle hätte. [F 435] Mancher Mann quält sich seine Lebenszeit, studiert sich frigid und impotent über der Entwickelung der Meinung eines Schriftstellers. Ich gebe es zu, es war [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 210 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69306 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 509 ff.)] eine Lebenszeit nötig das System des Mannes zu ent- wickeln, es vom Schmutz schmieriger Ausbesserer zu reinigen, das ist alles wahr, aber es erforderte nur viertelstündiges helles Wachen gesunder Vernunft einzusehen daß die ganze Historie keine 3 Groschen wert war. [F 436] Man empfiehlt Selbst-Denken oft nur um die Irrtü- mer anderer beim Studieren von Wahrheit zu unter- scheiden. Es ist ein Nutzen aber ist das alles? wie viel unnötiges Lesen wird uns erspart. Ist denn Lesen Stu- dieren: Es hat jemand mit großem Grunde der Wahr- heit behauptet, daß die Buchdruckerei Gelehrsamkeit zwar mehr ausgebreitet aber im Gehalt vermindert hätte. Das viele Lesen ist dem Denken schädlich. Die größten Denker, die mir vorgekommen sind, waren gerade unter allen den Gelehrten die ich habe kennen gelernt die, die am wenigsten gelesen hatten. Ist denn Vergnügen der Sinne gar nichts? [F 439] Die meisten Gelehrten sind abergläubischer als sie selbst sagen, ja als sie selbst glauben. Mann kann üble Gewohnheiten nicht so leicht ganz loswerden, sie vor der Welt verbergen und die schädlichen Folgen hindern das kann man. [F 440] ad 1.49 [F 439]. Wenn man die Menschen lehrt wie sie denken sollen und nicht ewig hin, was sie den- ken sollen: so wird auch dem Mißverständnis vorge- beugt. Es ist eine Art von Einweihung in die Mysteria der Menschheit. Wer im eignen Denken auf einen sonderbaren Satz stößt, kommt wohl wieder davon ab, wenn er falsch ist. Ein sonderbarer Satz hingegen, der von einem Mann von Ansehen gelehrt wird, kann Tausende, die nicht untersuchen, irre führen. Man kann nicht vorsichtig genug sein in Bekanntmachung eigner Meinungen, die auf Leben und Glückseligkeit hinaus laufen, hin gegen nicht emsig genug, Men- chen-Verstand und Zweifel einzuschärfen. Hieher ge- hört die auf der gegenüberstehenden Seite angeführte Sentenz every man's reason is every man's oracle. [F 441] Die Gottes-Gelehrten können nicht behutsam genug sein bei Ausdehnung des Richteramts der Of- fenbarung über Dinge, wo die Vernunft auch dereinst entscheiden wird. Bei dem jetzigen Zustand unserer Kenntnisse spricht sie mit Recht die Sprache des Zweifels, allein wird sie immer so zu sprechen Ursa- che haben? Die Vernunft macht täglich Eroberungen aus dem Vergangnen und durch diese Eroberungen gestärkt nützt sie das Gegenwärtige. Es könnte sein, ich hoffe es nicht, daß die christliche Religion durch Begebenheiten künftiger Zeiten vieles verlöre. [F 443] Das sind spermatische Gründe zu handeln. (spermatikoi logoi rationes seminales.) Klein aber wichtig zu vielem. [F 446] Zweifel muß nichts weiter sein als Wachsamkeit, sonst kann er gefährlich werden. [F 447] Nächst einer Methode aus allen Köpfen alles zu machen, die wohl, so bald noch nicht und auf unsern Philanthropinen zuletzt erfunden werden wird, wäre es wohl am besten getan wenn man die Köpfe aus- suchte, denen der Zufall eine glückliche Erziehung be- schert hat. Wie glücklich wäre die Welt, wenn jeder Mensch an seine rechte Stelle käme! [F 448] Ich bin überzeugt, man liebt sich nicht bloß in an- dern, sondern haßt sich auch in andern. [F 450] Es ist schon sehr arg, daß es so viel Ehre ist heut- zutag etwas Falsches zu sagen. [F 454] In den Bützower Kritischen Sammlungen, wo man Humische Geschichte nicht undeutlich der Häberlini- schen nachsetzt, vergißt man offenbar die Frage: Wer Humische Geschichte schätzt, verwirft deswegen nicht Häberlinische. Die eine läßt sich gar nicht mit der andern vergleichen. Die eigentlichen Geschicht- klauber, die um eine Jahrzahl zu berichtigen Folianten langsam durchblättern, und ganze Frühlinge versit- zen, sind überhaupt ein murrendes, alles andere ver- achtendes Volk, und können sich sehr erbittern, wenn man ihnen irgend ein Werk vorzieht, das mit Leich- tigkeit geschrieben zu sein scheint. Das steht in dem trockenen Annalisten alles weit gnauer, und sie be- denken nicht, daß so wenig als dem Menschen äußer- ste Gnauigkeit möglich ist, eben so wenig ist sie ihm auch überall nötig. Wer den Ausdruck der Muskeln an dem Farnesischen Herkules bewundert, dem muß der Physiolog nicht verächtlich zu rufen, im Albinus und Cowper steht das alles weit gnauer. Jedes nach seiner Art ist eine Regel die den Kritiker überall lei- ten soll. [F 460] Die Naturkündiger der vorigen Zeit wußten weni- ger als wir, und glaubten sich sehr nahe am Ziel: wir haben sehr große Schritte darauf zu getan und finden nun, daß wir noch sehr weit ab sind. Bei den vernünf- tigsten Weltweisen nimmt die Überzeugung von ihrer Unwissenheit zugleich mit ihrem Wachstum an Er- kenntnis zu. [F 462] Er ist willens seine Fluch-Psalmen besonders her- auszugeben. [F 464] Seinen Organen etwas zu spielen geben heißt nicht studieren. [F 472] Man findet Spuren aller Wissenschaften in den Sprachen und umgekehrt vieles in den Sprachen, das in den Wissenschaften nützen kann. [F 474] Es ist ausgemacht, daß unsere gegenwärtige Glück- seligkeit, zumal insofern sie von der Güte der politi- schen Verfassung abhängt, nicht in dem Verhältnis gewachsen ist, in dem unsere Erkenntnis zugenom- men hat. Woher rührt das? Von der Erziehung der Individuorum? Gewiß nicht allein. [F 477] Alles ist sich gleich, ein jeder Teil repräsentiert das Ganze. Ich habe zuweilen mein ganzes Leben in einer Stunde gesehen. [F 478] Was man sucht, ist gewöhnlich in der letzten Ta- sche, ist ein vermeintlicher Erfahrungs-Satz, den man glaube ich in allen Ländern und in allen Familien an- genommen hat, und doch glaubt ihn niemand im Ernst. [F 480] Man führt gegen den Wein nur die bösen Taten an, zu denen er verleitet, allein er verleitet auch zu hun- dert guten, die nicht so bekannt werden. Der Wein reizt zur Würksamkeit, die Guten im guten und die Bösen im bösen. [F 481] Narren, die ihre Schwäche nicht kennen, wollen ge- wöhnlich die, Nation reformieren, allein die größten Genies, unter den glücklichsten Zufällen in Wirksam- keit gesetzt, reformieren sie. Anstatt sich dem Strom eingewurzelter Vorurteile und Gebrechen einer Nation (Nachahmung z.E. bei den Deutschen) mit Torherz- haftigkeit entgegen zu setzen ist es schicklicher, und den Kräften mehrerer angemessen, sich jener Schwachheit zu bedienen die Menschen weiser und glücklicher zu machen. [F 484] Ich glaube nicht jedem der mir sagt daß ihm Homer gefalle, und am allerwenigsten den griechischen Stu- denten, die um so etwas von sich glauben zu machen viel zu wenig Verstand in andern Dingen zeigen. [F 485] Der Mensch wird ein Sophist und über-witzig, wo seine gründlichen Kenntnisse nicht mehr hinreichen; alle müssen es folglich werden, wo es auf Unsterb- lichkeit der Seele und Leben nach dem Tode an- kommt. Da sind wir alle ungründlich. Materialismus ist die Asymptote der Psychologie. [F 489] Es gibt Leute die an Kenntnissen nicht älter wer- den, sie kommen in eine Gesellschaft von Bewundrern ihrer kleinen Gaben, und leben ihre künftigen Jahre hin ihre flüchtig aufgetragenen Meinungen gar einzu- brennen. (z. E. Klopstock pm) Milton schrieb sein Ge- dicht am Ende eines in den wichtigsten Geschäften zugebrachten Lebens. Daher wird viel dazu erfordert es in seiner ganzen Stärke zu genießen. Des vernünfti- gen Mannes Scherze sind vernünftigen Leuten eine lehrreiche Unterhaltung, alles was er im Charakter tut, also auch seine Fiktion, seine Poesie (im Charakter NB), so schrieb Milton. Der große Mann spiegelt sich überall ab. Seine Blindheit nach so großer Erfahrung und häufiger Beobachtung stärkte seine Dichtungs- Kraft. vid. 4. this page [F 496] [F 493] ad 6 p. 54 [F 493]. Bei unsern Mode-Dichtern sieht man so leicht wie das Wort den Gedanken ge- macht hat, bei Milton und Shakespear zeugt immer der Gedanke das Wort. [F 496] Ich glaube nicht, daß unter der sogenannten studie- renden deutschen Jugend die Summe leerer Köpfe größer gewesen ist als jetzt. Dieses ist die Ursache warum es so viel junge Werther gibt, nicht weil das Buch meistermäßig geschrieben ist, sondern weil man solche Schaf-Engel brauchen kann wozu man will. Sie gehn ihrem Wirt ohne zu bezahlen durch und wei- nen über Gellerts Grab, sie zeichnen Silhouetten, und wittern Golgatha's Tau, ein protestantischer meta- phernmächtiger Gaßner könnte sie brauchen Teufel [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 218 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69314 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 519 ff.)] einzunehmen oder auszutreiben und Hancock zu Stä- ben eine Spitzbuben-Republik abzustecken. Es ist kein Charakter. Indolenz, Unverstand und Unerfah- renheit in allem was ernste Wissenschaft heißt hat sie stumpf gemacht zu allem außer der Spekulation über den Trieb, aus dem haben sie sich eine Naturhistorie geschaffen, eine Ästhetik, eine Philosophie, da suchen sie allen Adel der Seele und den Himmel auf der Welt. [F 498] Ich habe einen sehr guten Freund gehabt, der mir gestund, daß, wenn er mit gutem Appetit sich bei eine gute Schüssel niedersetzte, er immer eine sehr leb- hafte Hoffnung bei sich verspüre, daß er ein mal ein großer Mann werden würde. Dieser Traum hat ihn be- trogen. Er ist kein großer Mann geworden, ob er gleich ein sehr guter und brauchbarer geworden ist. ( pm) [F 499] Wenn Werther seinen Homer (ein albernes Mode- -Pronomen) würklich verstanden hat, so kann er si- cherlich der Geck nicht gewesen [sein], den Goethe aus ihm macht. Ich meine hier nicht den Unglückli- chen, dessen Geschichte jenes Buch veranlasset haben soll, der war würklich und also auch möglich, sondern schlechterdings das Quodlibet von Hasenfuß und Weltweisen. Bei dem Tod geht eine Spaltung vor, der Hasenfuß erschießt sich und der Philosoph sollte bil- lig fortleben. Wogegen hauptsächlich die Widerle- gung und womöglich der Spott gerichtet werden muß, ist die Ehre, die diese Buben in einem stürmenden Herzen suchen. Sie hoffen auf Mitleid, aber auf ein beneidendes, das wesenloseste Geschöpf des krie- chenden Stolzes, wenn ich so reden darf; und dann daß sie glauben sie empfänden allein, was sie allein Torheit und Unerfahrenheit genug besitzen drucken zu lassen. Der Weise, so wie er mehr denkt als er sagt, genießt auch mehr als er ausdrucken kann und will. Jedes Gefühl unter dem Mikroskop betrachtet läßt sich durch ein Buch durch vergrößern. Ist es nötig oder ist es gut? es ist genug, wenn nur jene dunkeln Gefühle uns zum Guten stärken, und dann kann man die Entwickelung Müßiggängern überlassen. Meine Hand im Schlaf auf eine Falte eines seidenen Vor- hangs geschlagen, diese Empfindung kann zu einem Traum aufwachsen und blühen dessen Beschreibung ein Buch erfordert. [F 500] Ein aufmerksamer Denker wird in den Spiel-Schrif- ten großer Männer oft mehr Lehrreiches und Feines finden, als in ihren ernsthaften Werken. Das Formelle, Konventionelle, Etiquettenmäßige fällt da gemeinig- lich weg, es ist zum Erstaunen wie viel elendes kon- ventionelles Zeug noch in unserer Art im Druck zu er- zählen ist. Die meisten Schriftsteller nehmen eine Miene an, so wie manche Leute wenn sie sich malen lassen. Touren des Ansehens und der Verabredung, Trepfe für Treppe. [F 502] Es ist als wenn unsere Sprachen verwirrt wären; wenn wir einen Gedanken haben wollen, so bringen sie uns ein Wort, wenn wir ein Wort fordern, einen Strich, und wo wir einen Strich erwarteten, steht eine Zote. [F 503] Es ist sehr gefährlich, sagt Voltaire, in Dingen Recht zu haben, wo große Leute Unrecht gehabt haben. [F 509] Es fehlt den Deutschen sicherlich noch ein Boileau. [F 510] Es ist allezeit betrübt für mich wenn ich bedenke, daß man in der Untersuchung mancher Dinge zu weit gehen kann, ich meine, daß sie unserer Glückseligkeit nachteilig werden können. Eine Probe habe ich darin an mir. Ich wünsche ich wäre in meinen Bemühungen das menschliche Herz kennen zu lernen minder glück- lich gewesen. Ich verzeihe den Leuten ihre Bosheiten weit lieber als vorher, das ist wahr, wenn jemand in Gesellschaft übel von mir redet, zumal wenn es nur geschieht die Gesellschaft zu belustigen, so kann ich ihm deswegen nicht im mindesten aufsätzig werden, ich mache mir im strengsten Verstande nichts daraus, nur muß es nicht mit wallendem Blut und Hitze ge- schehen oder grobe Verleumdung sein, die glaube ich nicht zu verdienen. Hingegen ist mir zu wenig an dem Lob der Leute gelegen, ihr Neid wäre allenfalls das einzige was mich noch freuen würde. Das sollte in der Welt nicht sein. Also ist auch hier harmonischer Wachstum des ganzen Erkenntnis-Systems nötig. Wo ein Teil zu sehr kultiviert wird führt es immer auf kleines oder großes Unheil am Ende hinaus. [F 511] Der Mensch hat einen unwiderstehlichen Trieb zu glauben man sähe ihn nicht wenn er nichts sieht. Wie die Kinder, die die Augen zuhalten um nicht gesehen zu werden. [F 512] Über den eignen Reiz, den ein eingebundenes Buch weißes Papier hat. Papier das seine Jungferschaft noch nicht verloren hat und noch mit der Farbe der Unschuld prangt ist immer besser als gebrauchtes. [F 513] Die schönste Stelle im Werther ist die, wo er den Hasenfuß erschießt. [F 516] Der Verleger hat ihn in effigie vor sein Werk auf- hängen lassen. [F 517] Aus dem Blöken des Kindes ist Sprache so gewor- den, wie aus dem Feigenblatt ein französisches Gala- Kleid. [F 520] Wenn die Physiognomik das wird, was Lavater von ihr erwartet, so wird man die Kinder aufhängen ehe sie die Taten getan haben, die den Galgen verdienen, es wird also eine neue Art von Firmelung jedes Jahr vorgenommen werden. Ein physiognomisches Auto da Fe. [F 521] Liskow sagt, die greulige Menge elender Schriftsteller ist eben so geschickt eine Barbarei ein- zuführen, als ein Schwarm von Ost- und Westgoten. (vortrefflich.) [F 528] Ich weiß nicht, es ist als wenn der Verzeihmirs los wäre heutzutage gegen die Satyre, so bald man nur ein wenig Voll der Leber weg redet. Ich könnte selbst Stellen aus Luthero anführen, wo er von Aristotele sagt er sei ein Betrüger und lüderlicher Bube, und ich kenne einen frommen großen Schriftsteller, der den Homer, welcher doch bekanntlich kein Kind beleidigt, einen Fabelhans nennt. Ich wollte nur sehen was sie mir täten, wenn ich das von einem noch lebenden Phi- losophen oder einem unserer Dichter sagte, ich würde von Magistris schwindsüchtig rezensiert, oder von unsern Barden mit Fluch-Psalmen verfolgt. [F 530] Ein großer Herr sollte nur eine allgemeine Religion haben. In den Schulen müßten alle Religionen Erlaub- nis haben ihren Glauben und Aberglauben zu lehren. Der Fürst aber müßte lehren: daß die Gemeinden, welche die zum Gemein-Wohl abzielenden Gesetze nicht hielten, ihre Religions-Freiheit verlieren sollen. [F 533] Es ist schwer das Affenmäßige in den menschli- chen Füßen zu fühlen, aber zuweilen kann man es, man kommt leicht auf das Menschliche und Konven- tionelle. [F 535] Ein kluges Kind, das mit einem närrischen erzogen wird, kann närrisch werden. Der Mensch ist so per- fektibel und korruptibel, daß er aus Vernunft ein Narr werden kann. [F 536] Ich kann nur die Oberfläche der Leute auf meine Seite bringen, ihr Herz erhält man nur mit ihrem sinn- lichen Vergnügen, des bin ich so überzeugt als ich lebe. [F 537] Ich will die Falte in Ihrem Kopf nicht anders bre- chen, aber ich kann ihnen sagen, es ist nicht wahr. [F 538] Vorstellungen sind auch ein Leben und eine Welt. [F 542] Ich sehe gar nicht ein, warum Gedanken-Stehlen, auch wenn sie schon in Verse oder Wohlklang verarbeitet sind, eine so gar sonderbare Sache sein soll worüber man so großes Aufheben macht. Wir leben jetzt gleichsam in der goldnen Zeit unserer Lite- ratur in Otaheitischer Unschuld, allein man lese ein- mal die Reise-Beschreibungen, wie jene unschulds- volle Leute die Engländer und Franzosen plündern so bald sie sich nur auf ihrer Küste blicken lassen. [F 544] Es gibt Leute von unschädlicher Gemüts-Art, aber doch dabei eitel, die immer von ihrer Ehrlichkeit reden, und die Sache fast wie eine Profession treiben, und mit einer so prahlenden Bescheidenheit von ihrem Verdienst zu wimmern wissen, daß einem die Gedult über den immer mahnenden Gläubiger ausgeht. [F 550] Nicht die Lügen, sondern die sehr feinen falschen Bemerkungen sind es die [die] Läuterung der Wahr- heit aufhalten. [F 552] Wenn es wahr ist, was ich irgendwo einmal gelesen habe, daß niemand eher stürbe bis er wenigstens etwas Gescheites getan, so hat M... einen Unsterbli- chen gezeugt. [F 553] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 226 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69322 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 528 ff.)] Ich habe es sehr deutlich bemerkt: Ich habe oft die Meinung wenn ich liege und eine andere wenn ich stehe. Zumal wenn ich wenig gegessen habe und matt bin. [F 557] Eigne Schwachheiten, wenn man [es] sonst wohl meint, aus der Natur des Menschen zu entschuldigen ist die erste Pflicht jedes Schriftstellers gegen sich selbst. [F 558] Auch ist Mikroskop und Verkleinerungs-Glas, mit analogischen Schlüssen verbunden, ein Haupt-Mittel zur Erfindung. [F 559] Mit dem Band das ihre Herzen binden sollte haben sie ihren Frieden stranguliert. [F 561] Es wäre wohl der Mühe wert die Physiognomik des Shakespear zu untersuchen, er der die größte Gabe hat von klaren Dingen mit Deutlichkeit zu reden die mir je vorgekommen ist. Auch darf man nicht fürch- ten, daß er vielleicht seine physiognomischen Bemer- kungen als zu fein, um verstanden zu werden, zurückbehalten hätte. Shakespear arbeitet aus sich heraus vom Menschen und für Menschen, ob grade immer diesen oder den, das untersucht er nicht. Man findet in der Tat bei ihm Bemerkungen in dem Winkel einer Periode Magd-Dienste tun, die den Scepter einer Disputation zu tragen verdienten. (gut) [F 563] Unter den Opfern die man ihm brachte war ihm immer der ehrliche Namen eines Feindes das Ange- nehmste. [F 565] Sie geben uns Brüche von Gedanken, die der Teu- fel selbst nicht unter einerlei Benennung bringen kann. [F 566] Das ist toll genug einen Narren klug zu machen, bei meiner Ehre. [F 567] In diesem schön gemalten und glasierten Porzellan- Alter der Welt. [F 568] So traurig stund er da wie das Trinkschälgen eines krepierten Vogels. [F 572] Die Nase eher rümpfen lernen als putzen. [F 574] Man sagt noch Seele wie man sagt Taler, nachdem die geprägten Taler lange aufgehört haben. [F 575] Damals als die Seele noch unsterblich war. [F 576] Er ist nun aus den Oden-Jahren in die Psalm-Jahre gekommen [F 577] Alle Unparteilichkeit ist artifiziell. Der Mensch ist immer parteiisch und tut sehr recht daran. Selbst Un- parteilichkeit ist parteiisch. Er war von der Partei der Unparteiischen. [F 578] Ich glaube nicht, daß der Zustand in dem man auf allen Vieren geht der natürliche ist, allein, daß wir jetzt, so wohl was unseren Glauben, als Lebens-Art betrifft, in einem höchstunnatürlichen sind das glaube ich. Aus diesen Trieben läßt sich, wie aus Schachstei- nen ein besseres Leben zusammensetzen. [F 583] Der jetzige Propheten-Stil. [F 590] Es gibt Schwärmer ohne Fähigkeit und dann sind sie würklich gefährliche Leute. [F 598] Schlankheit gefällt wegen des bessern Anschlusses im Beischlaf und der Mannigfaltigkeit der Bewegung. [F 603] Daß einem (wenigstens mir) so oft träumt, man rede mit einem Verstorbenen von eben demselben als dem Verstorbenen, könnte von den ähnlichen Hemi- sphärien des Gehirns herrühren, so wie man doppelt sieht, wenn man Ein Auge drückt. Im Traum sind wir Narren, der Scepter fehlt, es hat mir oft geträumt, ich äße gekochtes Menschenfleisch. Von der Natur der Seele aus Träumen ist eine Materie, die des größten Psychologen würdig wäre. Der selige Faber zu Jena hat einmal hier etwas in der deutschen Gesellschaft vorgelesen. [F 607] Wenn die reine Lehre des Evangeliums so verdreht worden ist, daß Schaden daraus bei übrigens guter Absicht entstanden ist, was muß nicht erst eine ziem- lich unreine Physiognomik unter den Umständen tun können. [F 608] Man könnte das Gewissen unserer Empfindsamen ein poetisches Gewissen nennen, conscientiam poeti- cam. [F 609] Gesicht und Seele sind wie Silbenmaß und Gedan- ken. [F 612] Besonders ist, daß unsere Dichter von unsern ver- nünftigen, Leuten von Stand nicht mit Vergnügen ge- lesen werden. Der Fehler kann unmöglich in unserm Publikum liegen, er liegt sicherlich in unsern Dich- tern, es sind meist junge oder alte Knaben, die im Zir- kel unerfahrner Bewunderer aufgewachsen sind, und daher nicht zunehmen können. Wer nicht zu gewissen Jahren oft in Gesellschaft war, wo er nicht die erste Rolle spielte, und seine Kräfte in einer Spannung sein mußten, um nicht eine üble Meinung von sich zu er- wecken, wird gewiß ein Tropf werden und das sind gewiß allemal 9 unter 10 unserer gerühmten Dichter. Der Mann der Welt kann nichts von ihnen lernen, er übersieht sie, so wie das handlungsvollste Schauspiel auch noch Bemerkungen enthalten muß, die selbst den Denker bei der Lampe beschäftigen können müssen, so kann selbst die Ode indem sie die Einbildung mit Bildern hinreißt wie das Licht einen, dem der Star jetzt ausgezogen worden, tiefe Bemerkungen enthal- ten, die den Mann von Überlegung wenn der Rausch verfliegt beschäftigen können. Aber mein Gott wie kann der etwas sagen der nichts weiß? [F 613] Es gibt keine wichtigere Lebens-Regel in der Welt, als die: halte dich, so viel du kannst, zu Leuten, die geschickter sind als du, aber doch nicht so sehr unter- schieden sind, daß du sie nicht begreifst. Das Erheben wird deinem Ehrgeiz durch Instinkt leichter werden, als dem allzugroßen das Herablassen aus kalter Ent- schließung. [F 614] Das Mädchen ist ganz gut, man muß nur einen an- dern Rahmen drum machen lassen. [F 621] Lavater Wenn er ein ehrlicher Mann ist, welches ich hier nicht bezweifeln will, so ist er wenigstens ein sehr ge- fährlicher ehrlicher Mann. Mangel an Selbst-Kennt- nis, und Glauben daß das, was andere nicht sagen wollen, nicht sagen könnten, sind seine Haupt- -Schwachheiten. Er hält Leute die nicht superfiziell genug sind zu sehen was er sieht für schwächer als sich, und diese haben gegen ihn wieder die Schwach- heit, das für Mangel an Fähigkeiten in sich zu halten, was eigentlich größerer Verstand ist. [F 622] Wir sind alle Blätter an einem Baum, keins dem andern ähnlich das eine symmetrisch, das andere nicht, und doch gleich wichtig dem Ganzen. Diese Al- legorie könnte durchgeführt werden. [F 630] Es bewegt den Magen, die Einwendungen der Got- es-Gelehrten gegen das Theater zu lesen, selbst das, was sie dabei zugeben, ist elend zugegeben. Die Reli- gion verbiete unschuldige Vergnügungen gar nicht, sagen sie. Ein Kompliment, womit in der Tat der Theologe beim Weltmann wenig gewinnt, der ihm gewiß antworten kann: es würde auch sehr elend um die Religion stehen, die sie verböte. Man muß zwi- schen Schauspiel-Gesellschaften unterscheiden. Es gibt schlechte Schauspiel-Gesellschaften, und gefähr- liche Schauspielgesellschaften, so wie es schlechte Ordens-Gesellschaften und überhaupt schlechte Ge- sellschaften gibt. Ich glaube, daß in vielen Abend- -Versammlungen von Manns-Personen, wo keine Frauenzimmer gegenwärtig sind, so wie z. E. Pur- chen-Gesellschaften weit andere Dinge keimen als in Schauspielhäusern. Die fruchtbaren Bäder, und Brun- en-Gesellschaften sind vortrefflich einen zwergartigen Stammbaum wieder in den Schuß zu bringen, mögen aber zu den Sitten wenig beitragen. Und hat eine Truppe Unterstützung, so kommen die schönen Schauspielerinnen nicht so leicht an jedermann, hier und da ein Reicher, der sich sonst wo sein Verderben erkauft hätte, findet es hier freilich auch so gut wie überall. Aber auf den großen Theatern sehen Tau- sende zu, die die Actrice einmal ein wackres Mensch nennen, und dann vergessen. Großmütige Vergebung von Fehltritten aus Übereilung ist ziemlich gemein auf unsern Theatern geworden, tausend Menschen tun es aus Empfindsamkeit nach. Und ist Geschichte die man lernt nichts? Der Engländer, der nicht lesen kann und nicht Zeit hat zu lesen, lernt die Geschiechte sei- nes Vaterlandes aus dem Shakespear auf der Bühne. Er lernt billig denken, Fehlern verzeihn die bei großen Tugenden stehn, und indem er die Tyrannen kennen lernt unter denen seine Vor-Eltern seufzten, lernt er [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 234 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69330 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 536 ff.)] die erhabnen Tugenden Georg des 3. verehren, den er noch überdas selbst gegenwärtig sieht. Wenn ich den Theologen raten dürfte, so sollten sie sich schlechter- dings der Bühne nicht mehr widersetzen. Es ist nun zu weit damit gekommen, der Grund davon liegt in der menschlichen Natur und Scheiterhaufen selbst könnten nicht mehr helfen. Laßt uns also den besten Gebrauch davon machen. Prinzen, Minister, Bischöfe, und Superintendenten, besucht die Schauplätze, und dann bestraft den Schauspieler und den Dichter, der sich erkühnt in eurer Gegenwart etwas vorzubringen das euer Ansehen mindern oder eure Sitten beleidigen könnte. [F 631] Aus einem Augenblick läßt sich kein Gesicht beur- teilen, es muß eine Folge da sein. [F 651] ‹Es gibt eine Art von transzendenter Ventriloquenz wodurch Menschen können glauben gemacht werden, etwas was auf Erden gesagt ist käme vom Himmel.› [F 665] Non vitae sed scholae discimus ein herrlicher Spruch des Seneca, der auf unsere Zeiten paßt. [F 671] Es ist schade, daß es keine Sünde ist Wasser zu trinken, rief ein Italiäner, wie gut würde es schmecken. [F 674] Wenn wir die Aufmerksamkeit auf schwache Emp- findungen vermehren lernen, so können sie uns den Dienst von starken tun. [F 675] Eine jede Sache hat ihre Werktags- und Sonntags- seite. [F 677] Selbst Aberglaube kann zuweilen Nutzen stiften. Der gemeine Mann drückt nicht leicht eine ungela- dene Flinte auf jemanden los, weil er glaubt der Teu- fel könne auch mit einer ungeladenen sein Spiel ma- chen. [F 681] Es ließe sich ein philosophisches Traumbuch schreiben, man hat, wie es gemeiniglich geht, seine Altklugheit und Eifer die Traumdeutung empfinden lassen, die eigentlich bloß gegen die Traumbücher hätte gewendet werden sollen. Ich weiß aus unleugba- rer Erfahrung daß Träume zu Selbst-Erkenntnis fah- ren. Alle Empfindung, die von der Vernunft nicht ge- deutet wird, ist stärker. Beweis das Brausen in den Ohren während des Schlafs, das bei Erwachen nur sehr schwach befunden wurde. Daß es mir alle Nacht von meiner Mutter träumt und daß ich meine Mutter in allem finde ist ein Zeichen wie stark jene Brüche des Gehirns sein müssen, da sie sich gleich wieder herstellen, so bald das regierende Principium den Scepter niederlegt. Merkwürdig ist, daß einem zuwei- len von Straßen der Vaterstadt träumt, man sieht be- sondere Häuser, die einen frappieren, bald darauf aber besinnt man sich und findet (wie wohl es falsch ist), es sei ehmals so gewesen. [F 684] Den Satz auszuführen: So wie zu den niederträch- tigsten und lasterhaftesten Taten Geist und Talent er- fordert wird, so ist selbst bei den größten eine ge- wisse Unempfindlichkeit nötig, die man bei andern Gelegenheiten Dummheit nennt. [F 687] Und was ist Kränklichkeit (nicht Krankheit) ande- res als innere Verzerrung? [F 705] Eine Rede muß nicht gedruckt werden, man hat gute Redner gehabt in den Zeiten da man vermutlich schlecht schrieb, und etwas das sich gut lesen läßt, muß [man] nicht hersagen hören, es sind ganz ver- schiedene Dinge. Ein Gemälde gehört nicht unter das Mikroskop. Das sollten sich unsere dramatische Dich- ter merken. [F 706] Ich verlange keine Schonung, werde auch jedem, der mich mit Unrecht angreift, ohne Schonung begeg- nen, er sei wer er wolle. Freiheit zu denken und für die Wahrheit zu schreiben und ungestraft, das ist ein Vorzug des Orts den Georg beherrscht und auf dem Münchhausens Segen ruht. Ein Tor ist ein Tor, darf man hier laut sagen, er liege an Ketten oder werde an- gebetet. [F 716] Von dem, was der Mensch sein sollte, wissen auch die besten nicht viel Zuverlässiges, von dem, was er ist, kann man aus jedem etwas lernen. [F 720] Wenn Lavater die verehrungswürdigen Köpfe wollte in Kupfer stechen lassen, die bei seinem Werke geschüttelt worden sind, so hätte Reich bis ans Ende seines Lebens Stoff zu Quartanten. [F 725] Unsere Gedanken würden einen ganz andern Gang gehen wenn bloße Reflexion und nicht auch andere Dinge in uns würkten, jeder Mensch würde auch an- dere Sitten haben so wie ein anderes Gesicht. Viel- leicht kann auch etwas von dem Einfluß hinein kom- men, den ein Wort das ich rede auf alles hat, was je in der Welt gesprochen werden wird. [F 727] Es regnet allemal wenns Jahrmarkt ist, oder wenn wir Wäsche trocknen wollen, was wir suchen ist immer in der letzten Tasche in die wir die Hand stecken. [F 732] Das Studium des Homers und des Ossians, oder wie man jetzt wenn man ein Buch daraus übersetzen kann sich präskribierend ausdruckt, seinen Homer und seinen Ossian studieren, machts wahrlich nicht aus. Studiert euch selbst erst, mögt ich sagen, das ist, lernt euer Gefühl entwickeln und den augenblickli- chen Wink desselben figieren und Buch darüber halten, laßt euch euer Ich nicht stehlen, das euch Gott gegeben hat, nichts vordenken und nichts vormeinen, aber untersucht euch auch erst selbst recht, und wider- sprecht nicht aus Neurungssucht. Hierzu ist Gelegen- heit überall ohne Griechisch und ohne Latein und ohne Englisch. Die Natur steht euch allen offen mehr als irgend ein Buch wozu ihr die Sprache 25 Jahr ge- trieben habt, Ihr seids selbst, Dieses hat man so oft gesagt, daß es jetzt fast so gut ist, als wäre es niemals gesagt worden. Es ist ein wahrhaftes Unglück wenn Regeln von solcher Wichtigkeit unter einem Volk zu der traurigen Würde eines locus communis oder einer Gebets-Formel gedeihen. Man glaubt sie zu üben, wo man sie nicht übt, und sich selbst überlassen übt man sie oft zu der Zeit wo man sie zu übertretten glaubt, oder sich doch ihrer nicht bewußt ist. Das wird euch weiter bringen als Homer und Ossian, es wird euch Homer und Ossian verstehn lernen. Ihr könnt sie ohne diese Vorbereitung freilich lesen, aber ihr werdet nie einsehen lernen, warum sie so sehr über das seichte Flächengeschlecht unsrer Zeit erhaben sind. [F 734] Einige der Hauptsätze in meiner Abhandlung haben den Beifall von Köpfen erhalten, die, gezählt, kaum den viertausendsten Teil von Lavaters Bewun- derern ausmachen mögten, und gewogen, vermutlich sie alle zusammen 4000mal überwiegen würden. [F 736] Ich empfehle Träume nochmals; wir leben und empfinden so gut im Traum als im Wachen und sind jenes so gut als dieses, es gehört mit unter die Vorzü- ge des Menschen, daß er träumt und es weiß. Man hat schwerlich noch den rechten Gebrauch davon ge- macht. Der Traum ist ein Leben, das, mit unserm üb- rigen zusammengesetzt, das wird, was wir menschli- ches Leben nennen. Die Träume verlieren sich in unser Wachen allmählig herein, man kann nicht sagen, wo das Wachen eines Menschen anfängt. [F 743] Polybius distinguiert zwischen Ursache (cause), Vorwand (pretence) und Anfang (beginning) eines Kriegs, die beiden letzten wer den gemeiniglich nur allein bekannt. So gehts auch in andern Dingen. [F 747] Man kann eben so gut träumen ohne zu schlafen, als man schlafen kann ohne zu träumen. [F 749] Er versteht die Kunst eine Phrase herbeizuziehen, und einem das Resultat einer 4 wöchigen Vorbereitung durch den Blitz eines Impromptu zu geben. Dieses ist eine von Sterne's Künsten. [F 750] Unsere Dichter werden gewiß eben so sehr gelobt als die Engländer, aber die Leute, die sie loben, sind von geringerem Gewicht. [F 751] Es ist merkwürdig in dem Sehen ohne Licht, daß, das was man sieht wenn man die Augen im Dunkeln zuschließt, Anfänge zu Träumen werden können, bei wachender Vernunft ist die Folge ganz anders, als im Schlaf. Ich mögte wissen ob die Tiere dummer träu- men, als sie im Wachen sind, ist dieses, so haben sie einen Grad von Vernunft. [F 752] Die Leute sagen immer, was der Mann originell schreibt, mir kommt der Stil nichts weniger als selten vor; es ist die Schreib-Art aller Leute, die mehr sagen wollen, als sie wissen und welche eben deswegen der Menge gefällt, weil sie ihr glauben macht sie ver- stünde Dinge, von denen sie kein Wort weiß. [F 754] Wir sehen, ein jeder, nicht bloß einen andern [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 242 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69338 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 547 ff.)] Regenbogen, sondern ein jeder einen andern Gegen- stand und jeder einen andern Satz als der andere. [F 760] Ich glaube, daß es weit besser ist aus sich selbst heraus zu holen, als aus dem Plato, den können wir falsch verstehen; wir sind uns allzeit nah genug alles Schwere zu erleichtern und alles Dunkle aufzuklären. [F 761] Krankheit ist das größte Gebrechen des Menschen. [F 762] Daß ich etwas, ehe ich es glaube, erst durch meine Vernunft laufen lasse ist mir nicht ein Haar wunder- barer, als daß ich erst etwas im Vorhof meiner Kehle kaue, ehe ich es hinunter schlucke. Es ist sonderbar so etwas zu sagen und für unsere Zeiten zu hell, aber ich fürchte es ist für 200 Jahr, von hier ab gerechnet, zu dunkel. [F 768] Man muß sich nicht wundern, wenn man sieht, daß Leute den Gehalt der Seele aus dem Gesicht schätzen wollen, die gemeiniglich den Gedanken aus dem Pro- en-Klang beurteilen, in den er eingehüllt ist. [F 773] Wo Affektation zur ernsthaften Natur zu werden anfängt. [F 774] Der Maler, der ein Gesicht mit wenigen Strichen in der Geschwindigkeit trifft, muß unstreitig in dem Ge- sicht mehr sehen als ich, ob er gleich wenn er es mir erklären will, weil er nur Worte gebrauchen kann, die alle schon gestempelt sind, weiter nichts sagt als ich auch. [F 776] Nach unserm Gesetz muß freilich oft der honnete criminel hangen aber nicht vor Gott. [F 778] Eine von den Haupt-Konvenienzen der Ehe ist die, einen Besuch, den man nicht ausstehen kann, zu sei- ner Frau zu weisen. [F 781] Daß man solch närrisches Zeug träumt, wundert mich nicht, allein, daß man glaubt man wäre es selbst, der so was täte und dächte, das wundert mich. [F 784] Ich glaube grade das Gegenteil, daß nämlich das meiste Gute in der Welt durch Menschen getan wird, die ihrer schönen Bildung wegen nicht in Betrachtung kommen. Oder das meiste Unheil in der Welt hat die Schönheit gestiftet. Ob sie gleich das Glück oder viel- mehr die Wollust einzelner mag befördert haben. [F 788] So lange jemand in die Ewigkeit hinaus schaut und mir Dinge im Himmel liest die ich nicht sehe, so schweige ich deswegen still, weil er mir auch glauben müßte, wenn ich ihm wiederum meine Weissagungen abläse. Allein wenn wir Blicke in diese Welt tun, da hat bei verschiedener Meinung nur einer recht oder beide unrecht. Wir haben alle auf die 4 Syllogismen geschworen, den Supremats Eid der Logik abgelegt. [F 790] Man kann nicht allein Dinge aus der Körper-Welt transzendent machen, sondern auch Dinge aus der Geister-Welt retroszendent auf die Körper-Welt zu- rück. [F 791] Man lernt kein Latein und kein Griechisch mehr, daher wird alles seicht. Dieses ist die Klage der mei- sten gelehrten Journale ob sie gleich vielleicht unvor- sätzlich die geheimsten und wichtigsten Feinde wahrer Gelehrsamkeit und die Urheber des Übels selbst sind, das sie heilen wollen. Man hält einen Teil der Wirkung für die Ursache. [F 797] Kleine Fehler zu entdecken ist seit jeher die Eigen- schaft solcher Köpfe gewesen die wenig oder gar nicht über die mittelmäßigen erhaben waren, die merklich erhabenen schweigen still oder sagen nur etwas gegen das Ganze und die großen Geister schaf- fen nur ohne zu tadeln. [F 828] Die Menschen nehmen nicht gern das Los No. 1. in einer Lotterie. Nimms, ruft die Vernunft laut, es kann so gut die 12000 Taler gewinnen als irgend ein ande- res; nimms um aller Welt willen nicht, wispert ein Je ne sçai quoi, man hat kein Exempel daß solche kleine Zahlen vor großen Gewinnsten stehen, und es wird auch nicht genommen. [F 829] In einer so zusammengesetzten Maschine, als diese Welt, spielen wir, dünkt mich, aller unsrer kleinen Mitwirkung ungeachtet, was die Hauptsache betrifft immer in einer Lotterie. [F 846] Dieses zu denken verursacht mir eine Verwirrung im Kopf, fast als wenn ich mir denken wollte, daß uns Polen nach Westen läge. [F 856] Das Hutabnehmen ist eine Abkürzung unsres Kör- pers, ein Kleinermachen. [F 859] Daß die Menschen so oft falsche Urteile fällen rührt gewiß nicht allein aus einem Mangel an Einsicht und Ideen her, sondern hauptsächlich davon, daß sie nicht jeden Punkt im Satz unter das Mikroskop brin- gen, und bedenken. [F 864] Tausend sehn den Nonsense eines Satzes ein ohne im Stand zu sein noch Fähigkeit zu besitzen ihn förm- lich zu widerlegen. [F 868] Die lächerlichsten Moden können ein Übergang zu etwas sein, was wir auf keinem andern [Wege] gefun- den hätten. Es können die Vorurteile, sagt Feder, zuweilen vernünftige Vermutungs-Regeln sein. [F 871] Zu untersuchen und zu lehren, in wie weit Gott aus der Welt erkannt werden kann. Sehr wenig, es könnte ein Stümper sein. [F 872] Solcher Zeilen wie einige in Psalm 4 werden we- nige geschrieben. Wie unendlich viel steckt nicht in den Worten: Redet mit euren Herzen auf eurem Lager; opfert Gerechtigkeit und hoffet auf den Herrn. Eine ganze Religion! [F 873] Gedanken im Klingel-Beutel sammeln zu einer Rede auf den Geburtstag des Königs. [F 874] Ein gesunder Appetit, und die damit gemeiniglich verbundene Hochachtung gegen das Frauenzimmer. [F 875] Ich habe oft auf dem Punkt gestanden, mit so viel Überzeugung zu glauben, daß man, um der Nachwelt zu gefallen, von der jetzigen gehaßt werden müßte, daß ich alles anzufallen Neigung fühlte. [F 876] Ich bin sehr viel mitleidiger in meinen Träumen, als im Wachen. [F 878] Neue Blicke durch die alten Löcher. [F 879] Häßlich nicht von hassen. Dieser Gedanke ist in mein Buch über die Physiognomik gekommen, weil ich mir eine eigne Vorstellung von hassen mache. Nämlich daß man nur frei handelnde Wesen hassen könne. [F 883] Es soll mir zur Warnung dienen, ich will künftig nichts mehr drucken lassen, ohne es wie jener große französische Dichter meiner Köchin vorzulesen. [F 889] Die Gebrechlichen haben oft Fertigkeiten, deren ein ordentlich gebauter Mensch wo nicht unfähig, doch zu erlernen nicht entschlossen genug ist. [F 901] Es ist die Frage, ob nicht selbst Tiere, wenn man sie in ihrem Bau stört, einen Weg erwählen, der vom vorigen verschieden zu demselben Endzweck führt. [F 902] Die Schlappherzigkeit. [F 911] Einer deutet alle unbestimmte Spöttereien auf sich selbst, und denkt sie hätten ihn heimlich im Sinn ge- habt. [F 913] Starke Empfindung, deren sich so viele rühmen, ist nur allzu oft die Folge eines Verfalls der Verstandes- -Kräfte. Ich bin nicht sehr hartherzig, allein das Mit- leid, das ich in meinen Träumen oft empfinde, ist mit dem bei wachendem Kopf nicht zu vergleichen, das erstere ist in mir ein nah an Schmerz grenzendes Ver- gnügen. [F 923] Ein Amen-Gesicht. [F 939] Wenn die feinen Welt-Leute fragen: Gott weiß [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 250 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69346 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 567 ff.)] warm? so ist es immer ein sicheres Zeichen, daß sie außer dem lieben Gott noch einen großen Mann ken- nen, der es auch weiß. [F 940] Es ist eine traurige Liebe, wo man zum erstenmal im Grab mit einander zu Bette geht. [F 945] Was hilft alles Schließen aus Erfahrung? ich leugne nicht, daß es zuweilen eintrifft. Aber fehlt es nicht auch eben so oft? und ist das nicht was ich sagen wollte? Glücksspiel. [F 947] Unsere Empfindung ist sicherlich nicht der Maß- stab für die Schönheit des unübersehbaren Plans der Natur. [F 961] Nichts läßt lustiger, als seinen Feind bepissen wol- len, wenn man eine Strangurie hat. [F 962] Einem Esel wurde das Bild der Isis zu tragen auf- gelegt, und als das Volk das Bild mit Niederfallen verehrte, so glaubte er die Ehre wäre ihm erwiesen. (aus den Fabeln des Gabrias Mendelssohn T. II. p. 133.) [F 967] Dieses ist eine sehr fruchtbare Wahrheit, wenn man sie in einem gesunden Kopf bewahrt, so hat sie, wie die Glücks-Pfennige, alle Morgen eine neue bei sich liegen. [F 970] Ich kann nicht leugnen, mein Mißtrauen gegen den Geschmack unserer zeit ist bei mir vielleicht zu einer tadelnswürdigen Höhe gestiegen. Täglich zu sehen wie Leute zum Namen Genie kommen, wie die Kel- er-Esel zum Namen Tausendfuß, nicht weil sie so viele Füße haben, sondern weil die meisten nicht bis auf 14 zählen wollen, hat gemacht, daß ich keinem mehr ohne Prüfung glaube. [F 971] Die Klugheit eines Menschen läßt sich aus der Sorgfalt ermessen, womit er das Künftige oder das Ende bedenkt. Respice finem. [F 973] Ich bin überzeugt, jeder Bürger in H. kennt den Z. besser als er sich kennt. [F 978] Sogar aus den Hunden läßt sich etwas machen, wenn man sie recht erzieht, man muß sie nur nicht mit vernünftigen Leuten, sondern mit Kindern umgehen lassen, so werden sie menschlich. Dieses ist eine Be- stätigung von meinem Satz, daß man Kinder immer zu Leuten halten müsse die nur um ein weniges wei- ser sind, als sie selbst. [F 981] Was ist wohl die Ursache, daß ich mich zuweilen um 9 Uhr über eine Sache gräme, um 10 Uhr nicht mehr und vielleicht um 11 wie der, ich bin mir keiner Wallungen von Trostgründen deutlich dabei bewußt, aber es müssen doch welche sein. [F 989] Es waren eigentlich nur 2 Personen in der Welt, die er mit Wärme liebte, die eine war jedesmal sein größ- ter Schmeichler, und die andere war er selbst. [F 991] Er liebte Pfeffer und gezackte Linien. [F 995] Was den Polygraphen oft macht ist nichts das Viel-Wissen, sondern jene glückliche Verhältnis sei- ner Kräfte zu seinem Geschmack, vermöge welcher der letztere immer gut heißt, was durch die erstern hervorgebracht wird. [F 996] Wie wir noch ein halbes Jahr jünger waren, da wars ganz anders. [F 997] Bei manchem Werk eines berühmten Mannes mögte ich lieber lesen was er weggestrichen hat, als was er hat stehen lassen. [F 998] Belehrung findet man öfter in der Welt als Trost. [F 999] Sein Dintenfaß war ein wahrhafter Janus-Tempel, wenns zugepfropft war, so wars in der ganzen Welt Friede. [F 1000] Die Vorrede könnte Blitzableiter betitult werden. [F 1013] Alles Tun in -eln ist nicht viel wert, weder witzeln noch schwärmeln. [F 1026] Einige mutwillige Leute haben behauptet, so wie es keine Mäuse gäbe, wo man keine Katzen halte, so gäbe es auch keine Besessene wo es keine Teufelaus- treiber gäbe. [F 1031] Wie perfektibel der Mensch ist, und wie nötig Un- terricht, sieht man schon daraus, daß er jetzt in 60 Jahren eine Kultur annimmt, worüber das ganze Ge- schlecht 5000 Jahre zugebracht hat. Ein Jüngling von 18 Jahren kann die Weisheit ganzer Zeitalter in sich fassen. Wenn ich den Satz lerne: die Kraft, die im ge- riebenen Bernstein zieht, ist dieselbe die in den Wol- ken donnert, welches sehr bald geschehen kann, so habe ich etwas gelernt dessen Erfindung den Men- schen einige tausend Jahre gekostet hat. [F 1039] Erst ist eine Zeit da man alles glaubt ohne Gründe, dann glaubt man eine kurze Zeit mit Unterschied, dann glaubt man gar nichts, und dann glaubt man wieder alles und zwar gibt man Gründe an, warum man alles glaube. Bernoulli wollte die Phänomena der Wahrsager Bouteille nicht einmal mehr leugnen, sagt Deluc. [F 1042] Wenn man einmal weiß, daß einer blind ist, so meint man [man] könnte es ihm auch von hinten anse- hen. [F 1043] Wir können nicht beweisen, daß die Planeten mit vernünftigen Geschöpfen bewohnt sind, dem ohnge- achtet glaube ich es, so kann jemand glauben, die Seele sterbe mit dem Leib, ob er es gleich strikte nicht beweisen kann. [F 1045] Sie fühlen mit dem Kopf und denken mit dem Her- zen. (pm) [F 1047] Da trifft recht ein, was Butler von einem schlechten Kritiker sagt, wenn er keine Fehler findet, so macht er einen. [F 1078] Der Trieb unser Geschlecht fortzupflanzen hat noch eine Menge anderes Zeug fortgepflanzt. [F 1079] Die Kunsttriebe der Tiere sind eine Offenbarung, einzelne Stockgen aus einem Zirkel von Kenntnissen, den sie nicht ganz wissen konnten, ohne sehr hohe Wesen zu sein. So können andere Geschöpfe unsere Offenbarung als Kunsttrieb ansehen, uns zum ewigen Leben zu leiten, nicht bloß die Offenbarung, sondern schon den Trieb sich Götter zu schaffen. [F 1081] Das viele Lesen hat uns eine gelehrte Barbarei zu- gezogen. [F 1085] Unstreitig ist die männliche Schönheit noch nicht genug von den Händen gezeichnet worden, die sie al- lein zeichnen könnten, von weiblichen. Mir ist es alle- mal angenehm wenn ich von einer neuen Dichterin höre. Wenn [sie] sich nur nicht nach den Gedichten der Männer bildeten, was könnte nicht da entdeckt werden. [F 1086] Ich habe mich zuweilen recht in mir selbst gefreut, wenn Leute, die Menschenkenner und Weltweise sein wollen, über mich geurteilt haben. Wie entsetzlich sie sich irren, der eine hielt mich für weit besser, und der andere für weit schlimmer als ich war, und das immer aus sehr feinen Gründen, wie er glaubte. [F 1089] Die Sprache der erzürnten Impotenz. Z. [F 1092] Es gibt Leute die das Wort Teufel immer mit einem T und einigen Punkten schreiben. Eben diesen Re- spekt erzeigen sie einigen Gliedern ihres eignen Lei- bes. Die Ursache davon ist schwer auszufinden. Auch Fielding schreibt kiss my A--- anstatt kiss my Arse. Vermutlich geschieht es auch hier noch um ein Paar Beinkleider drüber zu ziehen. [F 1104] Es gibt Leute die tragen ihre Haare die ganze Woche in Papilloten. [F 1108] Große Dinge gesehen zu haben als einen großen Sturm muß ohnstreitig dem ganzen Gehirn eine andre Stimmung geben, und man kann sich daher nicht genug in solche Lagen bringen, man sammelt auf diese Art ohne zu wissen. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 258 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69354 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 594 ff.)] [F 1109] Noch hier und da bei den Hottentotten unsers Va- terlands. [F 1110] Ziererei, ein sehr gutes Wort, wenn einer etwas nicht gestehn will, was er doch gern von sich ge- glaubt. [F 1112] Auf dem Ball, als es zum Essen ging, hatte sich die Gesellschaft wie der Feilstaub beim Magneten um ein paar Mädchen herumgelagert. [F 1120] Es sind wenig Menschen, die nicht manche Dinge glauben sollten, die sie bei gnauer Überlegung nicht verstehen würden. Sie tun es bloß auf das Wort man- cher Leute, oder denken, daß ihnen die Hülfs Kennt- nisse fehlen, mit deren Erwerbung alle Zweifel wür- den gehoben werden. So ist es möglich, daß ein Satz allgemein geglaubt werden kann, dessen Wahrheit noch kein Mensch geprüft hat. [F 1127] Wenn eine Betschwester einen Bet-Bruder heiratet, so gibt das nicht allemal ein betendes Ehepaar. [F 1133] Wir verbrennen zwar keine Hexen mehr, aber dafür jeden Brief, worin eine derbe Wahrheit gesagt ist. [F 1143] Ein physikalischer Versuch der knallt ist allemal mehr wert als ein stiller, man kann also den Himmel nicht genug bitten, [daß] wenn er einen etwas will er- finden lassen es etwas sein möge das knallt; es schallt in die Ewigkeit. [F 1147] Es gibt zweierlei Arten von Bramarbas, den positi- ven dick- und den negativen dünnetuenden, beide zu gleich windigem Endzweck, daß der letztere noch zu- weilen rechtschaffene Leute hintergeht, kommt unter andern auch daher, daß man in moralischen Dingen noch nicht rechnen gelernt hat. [F 1158] In die Welt zu gehen ist deswegen für einen Schriftsteller nötig, nicht sowohl damit er viele Situa- tionen sehe, sondern selbst in viele komme. [F 1161] Wenn einem zum Tod Verurteilten eine Stunde ge- schenkt wird, so ist sie ein Leben wert. [F 1163] Ich gehe oft, wenn ein Bekannter vorbeigeht, vom Fenster weg, nicht sowohl um ihm die Mühe einer Verbeugung, als vielmehr mir die Verlegenheit zu er- sparen zu sehen, daß er mir keine macht. [F 1179] Es sind gewiß wenig Pflichten in der Welt so wich- tig als die die Fortdauer des Menschen-Geschlechts zu befördern, und sich selbst zu erhalten, denn zu kei- ner werden wir durch so reizende Mittel gezogen, als zu diesen beiden. [F 1181] Wir wollen Sir Isaac Newton wählen. Alle Erfin- dungen gehören dem Zufall zu, die eine näher die andre weiter vom Ende, sonst könnten sich vernünf- tige Leute hinsetzen und Erfindungen machen so wie man Briefe schreibt. Der Witz hascht näher oder fer- ner vom Ende eine Ähnlichkeit, und der Verstand prüft sie und findet sie richtig, das ist Erfindung. So war Sir Isaac Newton. Ich habe nicht die mindeste Ursache zu zweifeln, daß es vor ihm und nach ihm in und außer England Köpfe gegeben habe und noch gibt, die ihm an Fähigkeiten überlegen waren, so wenig ich zu zweifeln Ursache habe, daß der Bauer, der den Prediger anstaunt, wenn er studiert und die Griffe gelernt hätte, besser predigen würde. Gelegen- heit und Anlaß ist die Erfinderin, und Ehrgeiz der Verbesserer, Zutrauen auf seine Kräfte ist Kraft, im Ehestand und in der gelehrten Welt. [F 1195] Bei Pflanzen hält nicht der Mensch ein Individuum für schöner als das andere, sondern auch eine Species ja ein Genus als das andere, dieses ist gewiß Schwachheit. [F 1196] Er war zwar etwas unpoliert, aber würklich ein rechter Zebra unter den Eseln, oder unter seiner Ge- sellschaft. [F 1197] Es unterscheidet sich wie Taktschlagen und Trom- meln. [F 1200] Wenn du die Geschichte eines großen Verbrechers liesest, so danke immer, ehe du ihn verdammst, dem gütigen Himmel, der dich mit deinem ehrlichen Ge- sicht nicht an den Anfang einer solchen Reihe von Umständen gestellt hat. [F 1205] Ich habe mich da, wo es auf Hauptsachen an- kommt, alles dessen sorgfältig enthalten, was die Gegner Eingebungen des Witzes nennen könnten. Denn dem, der solche Eingebungen hat, wird es bei etwas gestärktem Vorsatz leicht, der Folge vorzubeu- gen, da gemeiniglich die, die es ihm vorwerfen, sich derselben nicht würden enthalten haben, wenn sie nicht unheilbare Impotenz dazu gezwungen hätte. [F 1206] Mir ist es eine sehr unangenehme Empfindung wenn jemand Mitleiden mit mir hat, so wie man das Wort gemeiniglich nimmt. Deswegen brauchen auch die Menschen, wenn sie recht böse auf jemanden sind, die Redens-Art, mit einem solchen muß man Mitlei- den haben. Diese Art Mitleidens ist ein Almosen, und Almosen setzt Dürftigkeit Voll der einen und Über- fluß von der andern Seite voraus, er sei auch noch so gering. Dem englischen Pity ist es eben so gegangen und noch ärger, das Adjectivum pitiful ist unser er- bärmlich. Es gibt aber ein weit uneigennützigeres Mitleiden, das wahrhaften Anteil nimmt, das schnell zur Tat und Rettung schreitet, und selten von emp- findsamer Schwermütelei (man verzeihe mir dieses Wort) begleitet wird. Man könnte jenes das Almosen- artige und dieses das Mitleid bei Of- und Defensiv- -Allianz nennen. Mitscham ist sehr lauter, man fühlt sie, wenn sich ein Malm, den man hochschätzt, aus nicht genugsamer Kenntnis derjenigen, vor denen er sich zeigen will, sich vor ihnen lächerlich macht. Es gibt eine ganz uninteressierte Mitfreude, ich habe sie bei Gatterers Wiedergenesung im Jahr 1778 ganz lau- ter empfunden. Nämlich ich konnte in diesem Fall nach der gnauesten Untersuchung kein anderes Inter- esse finden, als dieses, daß ein Mann von der größten Rechtschaffenheit, und einer Gelehrsamkeit, die täg- lich seltner wird, der Welt, der Universität und seiner Familie wiedergegeben worden war, nachdem man ihn schon, nicht etwa tod gesagt, sondern die Unmög- lichkeit seiner Wiedergenesung medizinisch demon- striert hatte. [F 1214] Schmierbuch-Methode bestens zu empfehlen. Keine Wendung, keinen Ausdruck unaufgeschrieben zu lassen. Reichtum erwirbt man sich auch durch Er- sparung der Pfennigs-Wahrheiten. [F 1219] Eine Regel beim Lesen ist die Absicht des Verfas- sers, und den Hauptgedanken sich auf wenig Worte zu bringen und sich unter dieser Gestalt eigen zu ma- chen. Wer so liest ist beschäftigt, und gewinnt, es gibt eine Art von Lektüre wobei der Geist gar nichts ge- winnt, und viel mehr verliert, es ist das Lesen ohne Vergleichung mit seinem eigenen Vorrat und ohne Vereinigung mit seinem Meinungs-System. [F 1222] Wir bewundern zuweilen die Kräftigkeit der Spra- chen unausgebildeter Nationen, die unsrige ist es nicht weniger, unsere gemeinsten Ausdrücke sind oft sehr poetisch, allein das Poetische eines Ausdrucks verliert sich, wenn er uns gemein wird, der Laut bringt den Begriff hervor, und das Bild, das vorher das Mittel war, verschwindet und mit ihm zugleich alle die Neben-Ideen. [F 1223] [Aus »Sudelbuch« G] Der Verstand scheint das Band zu sein, wodurch wir mit der Welt überhaupt und mit ihren Absichten zusammenhängen, nicht unser Gefühl allein. Wenig- stens muß der Verstand vorher erkannt haben, und dann können sich seine Schlüsse endlich, zur Klarheit herabgestimmt, mit andern Gefühlen durch Assoziati- on verbinden. Schlüsse von Schönheit auf Vollkom- menheit zu machen, ist nicht besser, als von den Kon- vulsionen und Gesichtsverzerrungen eines Sterbenden auf seine schrecklichen Empfindungen zu schließen. Er kann gerade in einer Art von wollüstigem Gefühl liegen, wie der Mann, von dem in den Pariser Memoi- ren (für das Jahr 1773) erzählt wird, der einem in me- phitischer Luft erstickten Menschen zu Hülfe eilen wollte, und selbst ohne Empfindung hinfiel, und nur durch die sorgfältige und anhaltende Bemühung eini- ger Ärzte ins Leben zurückgebracht wurde. Hier heißt es in dem Berichte: »Entre le moment de son entrée dans cette cave et celui, oů il perdit connoissance, il ne s' écoula qu'en- viron deux minutes. Pendant cet espace de tems il ne ressentit ni douleur, ni oppression, et l'instant, qu'il perdit connoissance, il éprouva une sensation des plus voluptueuses, un délire inexprimable; il goűtoit avee [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 266 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69362 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 618 ff.)] plaisir, ŕ la porte du tombeau, une satisfaction déli- cieuse, absolument exemte des horreurs, que l'on a or- dinairement de la mort. Il perdit enfin tout mouve- ment, tout sentiment, et resta dans cette situation en- viron une heure et demie au pied de l'escalier de la cave, oů il étoit tombé etc.« [G 1] Ich muß mich immer freuen, wenn die guten See- len, die den Sterne mit Tränen des Entzückens in den Augen lesen, glauben, der Mann spiegele sich in sei- nem Buche. Die Sternische Einfalt der Sitten, sein warmes gefühlvolles Herz, seine mit allem, was edel und gut ist, sympathisierende Seele, und wie die Phra- sen alle heißen, und der Seufzer alas poor Yorick! der alles zugleich sagt, sind unter uns Deutschen zum Sprüchwort geworden. Man hat dies vermutlich einem Manne, der mehr Geschmack als Kenntnis der Welt hatte, nachgesagt, ohne die Sache weiter zu untersu- chen. Denn die, die Sternen am meisten im Munde führen, sind eben nicht die, die einen äußerst witzi- gen, schlauen und biegsamen Kenner der Welt zu be- urteilen im Stande sind. Man kann den Eindruck von zehn Sprüchwörtern auf einen Kopf leichter auslö- schen, als den von einem einzigen auf das Herz, und neulich hat man ihm sogar den redlichen Asmus nach- gesetzt. Das geht zu weit. Die nicht bloß aus Schriften, sondern aus Taten bekannte rechtschaffene Seele des Wandsbeckers soll Sternen nachstehen, weil uns ein falscher Spiegel ein angenehmes Bild von die- sem zurückwirft, oder zurückzuwerfen scheint? Ein Buch kann die ganze Seele seines Verfassers zurück- werfen, aber es verrät eine große Unbekanntschaft mit der Welt und dem menschlichen Herzen, wenn man dieses von Yoricks Schriften glaubt. Yorick war ein kriechender Schmarotzer, ein Schmeichler der Gro- ßen, und eine unausstehliche Klette am Kleide derer, die er zu beschmausen sich vorgenommen hatte. Er kam uneingeladen zum Frühstück, und wenn man ausging, um ihn loszuwerden, so ging er mit aus, und mit in andere Gesellschaft, weil er glaubte, er könne nirgends unangenehm sein. Ging man nach Hause, so ging er wieder mit, und setzte sich endlich zu Tisch, wo er gern allein und von sich selbst sprach. Ein ge- lehrter und sehr rechtschaffener Mann in England fragte mich einmal: was halten sie in Deutschland von unserem Yorick? Ich sagte, er würde von einer großen Menge angebetet, und Kenner dieser Art Schriften, die ihn eben nicht anbeteten, hielten ihn doch alle für einen außerordentlichen und einzigen Mann in seiner Art; ich fände nicht, daß man in England so von ihm dächte. - »Um Verzeihung, war die Antwort, man denkt in England eben so von ihm; nur weil wir ihn näher kennen, so wird das Lob durch die Häßlichkeit seines persönlichen Charakters sehr gemildert; denn er war ein Mann, der seine außerordentlichen Talente größtenteils anwandte, niederträchtige Streiche zu spielen.« Ich weiß, viele, vielleicht die meisten meiner Leser werden dieses für wahre Lästerung halten. Ist es nicht eine Schande, werden sie sagen, Nesseln auf das Grab desjenigen zu pflanzen, der sie so liebevoll von Lorenzo's Grab ausriß? Aber nicht ausgerissen haben würde, möchte ich antworten, wenn ihn ein Herzog eingeladen hätte, oder Nesseln ausreißen dem uner- reichbar angenehmen Schwätzer und Maler von Emp- findungen nicht so vortrefflich geklungen hätte. Mit Witz, verbunden mit Weltkenntnis, biegsamen Fibern und einem durch etwas Interesse gestärkten Vorsatz, eigen zu scheinen, läßt sich viel sonderbares Zeug in der Welt anfangen, wenn man schwach genug ist, es zu wollen, unbekannt mit wahrem Ruhm es schön zu finden, und müßig genug, es auszuführen. [G 2] Es war entweder in der Nacht vom 14, auf den 15., oder vom 15. auf den 16. Oktober (1779), als mir träumte, ich sehe eine feurige Wolke unter den Pleja- den herfliegen; zugleich läutete die große Glocke zu Darmstadt, und ich fiel auf die Knie und sprach die Worte: heilig, heilig etc. aus. Meine Empfindungen waren dabei unaussprechlich groß, und ich hätte mich derselben kaum mehr fähig geglaubt. [G 3] Die Schwachheiten großer Leute bekannt zu ma- chen, ist eine Art von Pflicht; man richtet damit Tau- sende auf, ohne jenen zu schaden. Der Brief von d'Alembert über Rousseau im Mercure de France, Sept. 1779. verdient bekannter zu sein. [G 4] An Werthern gefällt mir das Lesen seines Homers nicht. Es ist subtile Prahlerei, daß der Mann etwas Griechisches lesen konnte, während andere Leute etwas Deutsches lesen müssen. Daß deutsche Schrift- steller so oft ihre Helden mit einem Griechen in der Hand spazieren lassen, ist deutsche Prahlerei, Zei- ungs- und Journalenleserei. Literärisches Verdienst ist in Deutschland leider der Maßstab von wahrem Wert geworden, weil Schulfüchse den Thron des Ge- schmacks usurpieren. Anstatt einen Helden immer in seinem Homer lesen zu lassen, wollte ich ihn lieber in das Buch sehen lassen, aus dem Homer selbst lernte; das wir ganz ohne Varianten, ohne Dialekte vor uns haben. Es ist von diesen tiefen Kennern des Ge- schmacks gar nicht schön, daß sie eine Kopie studie- ren, während sie das Original vor sich haben. [G 5] Die Menschen versprechen sich jetzt so viel von Amerika und dessen politischem Zustande, daß man sagen könnte, die Wünsche wenigstens die heimli- chen, aller aufgeklärten Europäer hätten eine westli- che Abweichung, wie unsere Magnetnadeln. [G 6] Statt Quod erat demonstrandum, kyrie eleison! unter eine psychologische Demonstration. [G 7] Mein Aide de Camp - Adelungs Wörterbuch. [G 8] Von dem Erziehungsbuche bis zum Erziehungsbe- sen. [G 9] Eine Jungfer Hausfrau, oder eine Frau Hausjungfer. [G 10] Herr Camper erzählte, daß eine Gemeinde Grön- länder, als ein Missionair ihnen die Flammen der Hölle recht fürchterlich malte, und viel von ihrer Hitze sprach, sich alle nach der Hölle zu sehnen ange- fangen hätten. [G 11] Physiognomische Missionsberichte, oder Nachrichten von dem Zustande und Fortgang der Physiognomik zu Tranquebar Es wird unsern Lesern noch aus den Erlanger Zei- tungen im Andenken liegen, daß um die Mitte des Jahrs 1778 das Schiff la Divineuse, unter Führung des Capitains Sebastian Brant, geladen mit Storch- schnäbeln, Stirnmessern und fünfhundert Ballen Sil- houetten, aus dem Texel nach Ostindien abgegangen, um das Licht der Physiognomik in jenen finstern Ge- genden zu verbreiten. Am Bord desselben befanden sich drei Eingeweihete; nämlich: Don Zebra Bom- bast, eigentlich ein geborner Spanier, der aber in Deutschland erzogen ist; ein Mann von edlem hohen Sinn, in Gang und Stil von recht krönungsmäßigem Wesen. Von der Wahrheit der Physiognomik über- zeugt, oder doch so gut als überzeugt, achtete er keine Einwürfe mehr. Herr Lavater hätte auf keinen würdi- geren Mann verfallen können; hauptsächlich weil er mit dem utili nicht allein das dulce, sondern auch das amarum zu verbinden weiß. Der zweite war Peter Kraft, ein auserwählter phy- siognomischer Gläubiger, der durch Herrn Lavaters Stil überzeugt worden war, weil er glaubte, in solcher Begeisterung könne man keine Unwahrheiten reden. Der kaltblütige Mensch allein irre eigentlich nur, weil Kälte, Erde und Irrtümer Synonyma wären; hingegen sei der warme Mensch gottesbesessen, sei Planzug des Ganzen, ohne freien Willen, und also offenbar Triebwerk des Weltzwecks. Weissagungen aus Über- legung wären ipso facto keine. Nur allein Gott weis- sage aus Raisonnement, das Geschöpf nur durch ihn: und das geschehe allemal, wenn es koche. Don Zebra und Peter Kraft waren die besten Freun- de, und deswegen von Herrn Lavater gewählt worden. Es war auch nicht leicht möglich, daß sie hätten Fein- de werden können; denn in der Überzeugung von der Wahrheit der Physiognomik waren sie schon eins, und hatten also nicht nötig, sich auf die Gründe einzulas- sen; daher sie die meiste Zeit nur in starken, zuweilen witzigen Ausdrücken wider die Gegner der Physio- gnomik sprachen. Der dritte Friedrich Weiß aus Berlin, ebenfalls ein Verteidiger der Physiognomik, wiewohl kein warmer. Nach einem einstimmigen Zeugnis aller, die die Rei- segesellschaft gekannt haben, war er der beste Kopf unter ihnen. Er hatte in der Tat über Physiognomik nachgedacht. Herr Lavater hatte ihn, ohne es sich merken zu lassen, gewählt, um Leute zu überzeugen, in denen die Gnade nicht wirken wollte; hingegen Don Zebra und Peter Kraft, diejenigen zu überzeugen, die ohne Überzeugung glauben. [G 12] Es ist fast unmöglich, die Fackel der Wahrheit durch ein Gedränge zu tragen, ohne jemandem den Bart zu sengen. [G 13] Die Suppe schmeckte so abscheulich, daß, um zu glauben, es sei auf eine Vergiftung abgesehen, man nur nötig gehabt hätte, ein großer General oder ein König zu sein. [G 14] Welch ein Unterschied, wenn ich die Worte: »Ehe denn die Berge wurden, und die Erde und die Welt geschaffen worden, bist du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit« - in meiner Kammer ausspreche, oder in der Halle von Westminstersabtei! Über mir die feierli- chen Gewölbe, wo der Tag immer in einer heiligen Dämmerung trauert, unter mir die Reste zusammenge- stürzter Pracht, der Staub der Könige, und um mich her die Trophäen des Todes! Ich habe sie hier und dort ausgesprochen; in meinem Schlafgemach haben sie mich oft erbaut ich habe sie von Kindheit an nie ohne Rührung gebetet, aber hier durchlief mich ein unbeschreibliches, aber angenehmes Grauen, ich fühl- te die Gegenwart des Richters, dem ich auf den Flü- geln der Morgenröte selbst nicht zu entrinnen ver- möchte, mit Tränen, weder der Freude noch des [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 274 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69370 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 132 ff.)] Schmerzes, sondern mit Tränen des unbeschreiblichen Vertrauens auf ihn. Glaubt nicht, ihr, die ihr überall mutmaßet und mehr mutmaßet als leset, daß ich aus modischer Schwermut dieses dichte. Ich habe den Young nicht ganz lesen können, als es Mode war, ihn zu lesen, und halte ihn noch jetzt für einen großen Mann, da es Mode ist, ihn zu tadeln. [G 15] Die Augen eines Frauenzimmers sind bei mir ein so wesentliches Stück, ich sehe oft darnach, denke mir so vielerlei dabei, daß, wenn ich nur ein bloßer Kopf wäre, die Mädchen meinetwegen nichts als Auge sein könnten. [G 16] Was man feine Menschenkenntnis nennt, ist mei- stens nichts als Reflexion, Zurückstrahlung eigener Schwachheiten von anderen. [G 17] Wer sich selbst recht kennt, kann sehr bald alle an- deren Menschen kennen lernen. Es ist alles Zurück- strahlung. [G 18] Es ist doch sonderbar, daß das, was die Menschen im Genie vortrefflich nennen, so selten ist. Ein Shake- speare, Ein Newton, Ein Franklin usw. Warum sind dieser Menschen so wenige, da es doch Gott gleich leicht war, den Dummkopf und das Genie zu schaf- fen? Ich weiß keine andere Antwort, als daß das Genie allezeit eingeschränkt ist und es nötiger war, Menschen zu haben, die zu allem, als die zu Einem Dinge taugen. [G 19] Wer sich nicht auf Mienen versteht, ist immer grau- samer oder gröber, als andere Leute; deswegen kann man auch gegen kleine Tiere eher grausam sein. [G 20] Ich sagte bei mir selbst: das kann ich unmöglich glauben, und während dem Sagen merkte ich, daß ichs schon zum zweitenmal geglaubt hatte. [G 21] Menschen, die sich auf die Beobachtung ihrer selbst gut verstehen und sich damit heimlich groß wissen, freuen sich oft über die Entdeckung eigner Schwachheit, wo die Entdeckung sie betrüben sollte. So sehr viel mehr gilt bei manchen der Professor als der Mensch. [G 22] Es ist zwar sehr wahr, daß die meisten Menschen, die keiner Liebe fähig sind, auch für die Freundschaft wenig taugen. Man sieht aber doch auch oft das Ge- genteil. [G 23] Es ist der gemeine Fehler aller Leute von wenig Talenten und mehr Belesenheit als Verstand, daß sie eher auf künstliche Erklärungen verfallen als auf na- türliche. [G 24] Das ganze Knochengebäude unserer Denkungsart und unsers Glaubens wird formiert aus unseren Hel- den, und Musterwahl geht zu einer Zeit vor, wo wir die wenigste Erfahrung und Überlegung haben, und wirkt doch am Ende auf unsere Überlegung, wo nicht auf die Folgen unserer Erfahrung. [G 25] Der schmeichlerische Elende, ich möchte fast sagen der Feigherzige, der unter jedem Streich des Schick- sals winselt, der sich mit demütigen Gebärden naht, Brod fordert, und sich auf Gnade und Ungnade sei- nem Wohltäter ergibt, ist leicht erkannt; der Jagdjun- ker im Vorbeisprengen versteht Mienensprache genug, ihn zu kennen. Der andere, stille, nur für ein paar Stationen geschaffene Mann, dessen Elend nicht geschwätzig ist, der mehr denkt, und wo er auch immer an der gemeinen Last angespannt wird, besser zieht, ist schwerer zu kennen. Es gehört ein geübtes Auge dazu, seine ungekünstelte Bescheidenheit vom heimlichen Stolz und seine Kürze in allem vom Trotz zu unterscheiden. [G 26] Man muß nie den Menschen nach dem beurteilen, was er geschrieben hat, sondern nach dem, was er in Gesellschaft von Männern die ihm gewachsen sind, spricht. [G 27] Die Menschen haben immer Witz genug, wenn sie nur keinen haben wollen. [G 28] Es ist ja doch nun einmal nicht anders: die meisten Menschen leben mehr nach der Mode als nach der Vernunft. [G 29] Es gibt Gesichter in der Welt, wider die man schlechterdings nicht Du sagen kann. [G 30] Die Muttermilch für den Leib macht die Natur; für den Geist wollen unsere Pädagogen sie machen. [G 31] Wenn England eine vorzügliche Stärke in Renn- pferden hat, so haben wir die unsrige in Rennfedern. Ich habe welche gekannt, die mit einem einzigen Satz über die höchsten Hecken und breitesten Gräben der Kritik und gesunden Vernunft hinübersetzten, als wären es Strohhalmen. [G 32] Ist es nicht sonderbar, daß man das Publikum, das uns lobt, immer für einen kompetenten Richter hält; aber sobald es uns tadelt, es für unfähig erklärt, über Werke des Geistes zu urteilen? [G 33] Es ist schade, daß man bei Schriftstellern die ge- lehrten Eingeweide nicht sehen kann, um zu erfor- schen, was sie gegessen haben. [G 34] Conrad Photorins (p. t. Fotorins) Sendschreiben an die Herausgeber des Magazins, die Abschaffung der Hosen betreffend. Ew. Wohlgeboren rühmlichst bekannter Eifer für unsere neue Orthographie oder, wie sie sie jetzt schicklicher nennen, Cäno- oder Kainographie, um sie nicht mit der alten so genannten Orthographie zu ver- wechseln, hat mich aufgemuntert, Denenselben einen Plan zur Bekanntmachung vorzulegen, der mit dem Kainographischen viel Ähnlichkeit hat, nämlich, die Beinkleider abzuschaffen; und sollte dieser Ihren er- wünschten Beifall erhalten, so sollen Dieselben ein Werk von mir bekommen, wovon ich Ihnen jetzt nichts weiter sagen kann, als daß es eine Reformation der deutschen Sprache ist, und unsere Cänographie mußte notwendig darauf leiten. Denn welches ist tö- richter, der zu schreiben, und dähr zu lesen, oder zu sagen, ich drehe, ich drehete; ich stehe, ich stand; ich sehe, ich sah; ich gehe, ich ging? Dieses macht den Ausländern und Kindern unendliche Mühe. Daher auch die Juden, die zwar ein unterdrücktes Volk sind, aber doch zuweilen über uns aufrechtstehend wegse- hen, manchmal sagen: es sehete unvergleichlich aus; es wäre am besten, er gehete hin etc. Ich muß Ew. Wohlgeb. gehorsamst um Vergebung bitten, daß ich mich der Cänographie in meinem Briefe nicht bedie- ne. Mein Geist ist zwar stark, allein aber das Fleisch ist schwach. Ich bin nicht mehr jung, und verschreibe mich jeden Augenblick; auch weiß ich zwar immer, wie ich spreche, allein ich weiß es nicht immer zu schreiben. Z.B. recht darf ich nicht, und rächt kann ich nicht schreiben, denn es wird ja nicht gesprochen wie Hecht, usw. Forschlach künftig keine Bainklaider mer zu tragen Der schönste Teil des menschlichen Geschlechts trägt keine, so wenig als der zarteste, nämlich das weibliche Geschlecht und die Kinder. Die größten Menschen haben keine getragen, weder die Erzväter, noch der pius Acneas, noch Tullus und Ancus. Cice- ro, Pompejus und Cäsar trugen keine, auch hat ver- mutlich Sokrates keine getragen. Ja die gesündesten Völker, ich meine die ungesitteten, tragen bis auf diese Stunde keine; auch die gesitteten Bergschotten nicht. Daß es einem auffallend sein würde, jetzt einen Minister oder General ohne Beinkleider herumgehen zu sehen, das ist bloß die Ungewohnheit, lächerliches Vorurteil. Es ist nicht mehr, als statt des einfältigen der und physisch jetzt där und füsisch zu schreiben, welches recht ist. Ohne Beinkleider zu gehen, soll Leuten sehr dienlich sein, die sich verändern wollen, indem es ein gelindes kaltes Bad ist. Das beständige Auf- und Zuknöpfen ist wirklich sehr beschwerlich. Wer an einer Kirche wohnt, darf nur die Leute beob- achten, die am Tage die einwärtsgehenden Winkel derselben stehend einnehmen; was das oft für Um- stände setzt, einige müssen sogar den Stock wegstel- len, und beide Hände brauchen. Ich riete eine Art kleiner Schürze, die rund herum ginge, so wie die Bäckerschürzen am Rhein etc. Was die Engländer in der Füsik, die Franzosen in der Metafüsik sind, sind die Deutschen unstreitig in der Ortokrafi. Das Süstem, das uns H. K... hierüber gegeben hat, ist vortreflich. Fürz gleich nicht überall Überzeugung bei sich, so fürz doch auf Einigkeit, und hilfz nichz, so schatz doch auch nichz. Vorzüglich Dank ferdint Herr Mülius in Berlin, der auch in sei- nem zerdeutschten Gil Blas Hüpokrates schreibt, und also auch vermutlich Filüppus und Hippotese schrei- ben würde. - - Neulich entstand bei einem Testament ein entsetzlicher und fast skandalöser Streit über fol- gende Worte: »Auch vermache ich das Heu von mei- nen Wiesen den jedesmaligen drei Stadtfarren zu O...« Es wurde nämlich gestritten, ob Testator die Prediger des Orts, oder die Bullen gemeint habe; und weil die letztern einen bessern Advokaten erhielten, als die erstern, so fiel das Heu dem Bullenstall zu. Der Advokat für die Prediger wußte nichts beizubrin- gen, als daß man einem unvernünftigen Vieh nichts vermachen könne; nur sei bekanntlich Testator ein Anhänger von Herrn K... und dessen prosaischen Werken gewesen, und habe daher farren statt pfar- rern geschrieben. Dagegen erwies der Advokat für die Bullen mit unwidersprechlichen Zeugnissen, Testator sei zwar ein eifriger K-ianer, aber, da er selbst [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 282 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69378 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 136 ff.)] Pfeiffer geheißen, auch ein hartnäckiger Verteidiger des Pf gewesen, weshalb er wohl oft Klopfstock und Trepfe gesagt, aber sich nie Feiffer unterzeichnet habe. Die Sache wäre also klar. Überdies habe der Se- lige bekanntlich nicht viel auf die dasigen Herren Pre- diger gehalten, und da die Wiesen gegen 300 Taler abwerfen, so wäre es gar nicht wahrscheinlich, daß er sie gemeint hätte, usw. [G 35] Es gibt eine wahre und eine förmliche Orthogra- phie. [G 36] Der eine hat eine falsche Rechtschreibung und der andere eine rechte Falschschreibung. [G 37] Ist das nicht ein herrlicher Zug in Rousseau's Be- kenntnissen, wo er sagt, er habe mit Steinen nach Bäumen geworfen, um zu sehen, ob er selig oder ver- dammt würde? Großer Gott, wie oft habe ich Ähnli- ches getan, ich habe immer gegen den Aberglauben gepredigt und bin für mich immer der ärgste Zeichen- deuter. Als N... auf Tod lag, ließ ich es auf den Krä- henflug ankommen, wegen des Ausgangs mich zu trö- sten. Ich hatte, wenn ich am Fenster stand, einen hohen Turm mir gegenüber, auf dem viele Krähen waren. Ob rechts oder links vom Turm die erste Krähe erschien. Sie erschien von der linken, allein da tröstete ich mich wieder damit, daß ich nicht festge- setzt hatte, welches eigentlich die linke Seite des Turms genannt zu werden verdiente. Es ist vortreff- lich, daß Rousseau sich mit Fleiß einen dicken Baum aussuchte, den er also nicht leicht fehlen konnte. [G 38] In allen Dingen in der Welt gibt es ein Coup d'Oeil, das heißt, jeder vernünftige Mensch, der etwas hört oder sieht, urteilt instinktmäßig darüber. Er schließt z.B. aus dem Titel des Buchs und dessen Dicke auf den innern Wert. Wohlverstanden, ich sage nicht, daß diese Dinge sein eigentliches Urteil lenken, sondern nur, daß er mit dem ersten Anblicke einer Sache auch ein, dieser geringen Information propor- tioniertes, Urteil von ihr verbindet, oft ohne daß er sich dessen deutlich bewußt wird. Auch hebt die Er- fahrung der nächsten Sekunde das Urteil oft wieder auf Alles dieses sind Samenkörner von Wissenschaf- ten, aus denen ein Lambert etwas hätte ziehen kön- nen; allein so wie nicht aus jedem Samen ein Baum oder Küchenkraut wird, so eben auch hier. Indessen sind diese Winke nie aus der Acht zu lassen; sie sind die Resultate vieler empfangenen Eindrücke in der verständlichsten Summe konstruiert. [G 39] Das Möserische Mehl und nicht die Mühle ist vor- trefflich; Früchte der Philosophie und nicht die Philo- sophie. Wenn wir fragen, wie viel Uhr es ist, so wol- len wir nichts von der Einrichtung der Taschenuhr wissen. Die Kenntnis der Mittel ist heutzutage eine rühmliche Wissenschaft geworden, und niemand ge- braucht sie zu seinem Glück und dem Glocke der Welt. Kenntnis der Mittel ohne eine eigentliche An- wendung, ja ohne Gabe und Willen sie anzuwenden, ist, was man jetzt gemeiniglich Gelehrsamkeit nennt. [G 40] Man irrt sich, wenn man glaubt, daß alles unser Neues bloß der Mode zugehörte, es ist etwas Festes darunter. Fortgang der Menschheit muß nicht ver- kannt werden. [G 41] Mir ist es unbegreiflich, warum der Zustand der un- endlichen Herrlichkeit nicht lieber gleich angeht, da doch dieses Leben nur überhaupt ein verschwindender Punkt ist. [G 42] Ich glaube, es ist ein großer Unterschied zwischen Vernunft lehren und vernünftig sein. Es kann Leute geben, die nichts weniger als eigentlich gesunden Verstand besitzen, und doch vortrefflich über die Re- geln nachdenken, die er befolgen muß; so wie ein Physiologe den Bau des Körpers kennen, und selbst sehr ungesund sein kann. Die großen Analysten des menschlichen Kopfs waren nicht immer die Praktisch- -Vernünftigen. Ich rede hier nicht von Moral, sondern von Logik. [G 43] So lange die verschiedenen Religionen nur ver- schiedene Religionssprachen sind, so ist alles recht gut; nur muß die Absicht, der Sinn einerlei und gut sein. Was liegt endlich daran, ob einer vor einem höl- zernen Christus niederfällt, wenn er nur dadurch zum Guten geleitet wird. Nur muß die Religion an sich selbst die Prüfung aushalten, damit sie in jedem Dia- lekt, wie sich Semler ausdrückt, Gutes wirken kann. Es verrät wenig Weisheit bei manchen Leuten, daß sie sich über die religiösen Gebräuche anderer lustig ma- chen; sie beweisen durch ihre Aufführung, daß sie den ganzen Sinn der Bibel nicht fassen. Wenn bei dem Volke Zweifel entstehen, so muß sie der Gelehrte zu heben wissen; allein es verrät unbeschreiblichen Un- verstand, wenn Gelehrte gegen die Religion des Volks schreiben und daran zu Helden werden wollen. Sem- ler sagt sogar3: nicht alle Menschen müssen unsere christliche Religion haben. [G 44] Die Menschen glauben überhaupt schwerer an Wunder, als an Traditionen von Wundern, und man- cher Türke, Jude usw. der sich jetzt für seine Traditio- nen tod schlagen ließe, würde bei dem Wunder selbst, als es geschah, sehr kaltblütig geblieben sein. Denn in dem Augenblicke, da das Wunder geschieht, hat es kein anderes Ansehen, als das ihm sein eigener Wert gibt; es physisch erklären, ist noch keine Freidenkerei, so wenig als es für Betrug halten, Blasphemie. Über- haupt ein Faktum leugnen, ist an sich etwas Unschul- diges; es wird nur in der Welt gefährlich in so fern, als man andern dadurch widerspricht, die seine Un- leugbarkeit in Schutz genommen haben. Manche Sache, die an sich sehr unwichtig ist, wird dadurch wichtig, daß sich Leute von Ansehen ihrer annehmen, die man für wichtig hält, ohne eigentlich zu wissen warum. Wunder müssen in der Ferne gesehen werden, wenn man sie für wahr, so wie Wolken, wenn man sie für feste Körper halten soll. [G 45] Es gibt einen Zustand, der wenigstens bei mir nicht sehr selten ist, da man die Gegenwart und Abwesen- heit einer geliebten Person gleich wenig ertragen kann; wenigstens bei der Gegenwart nicht das Ver- gnügen findet, welches man, aus der Unerträglichkeit der Abwesenheit zu schließen, von ihr erwarten sollte. [G 46] Die determiniertesten Philosophen sind zuweilen abergläubisch, und halten etwas auf das Ominöse. [G 47] Sonderbar ist die allmählige Entwickelung des Künftigen, welche die Spieler der plötzlichen Enthül- lung vorziehen. Bei Hazardspielen, wobei umgeschla- gen wird, betrachten sie die Karte, die sie frei ansehen dürften, lieber erst gegen ein schwaches Licht von hinten. Selbst Kinder tun dies. [G 48] Jemand geht lange unentschlossen in seiner Stube auf und ab; auf einmal findet er eine hölzerne Walze, auf der er Kupferstiche erhalten hatte, und dieser Prü- gel gibt seinem Geist Stärke, und er entschließt sich. Vielleicht hielt er es für einen Marschallsstab, ohne es deutlich zu denken. [G 49] Aus der Narrheit der Menschen in Bedlam müßte sich mehr schließen lassen, was der Mensch ist, als man bisher getan hat. [G 50] Wovon das Herz nicht voll ist, davon geht der Mund über, habe ich öfters wahr gefunden, als den entgegengesetzten Satz. [G 51] Das respice finem ist einer weit fruchtbarern Erklä- rung fähig, als man ihm gewöhnlich gibt. Der Mensch, der den Himmel erfunden hat, rechnet aufs Künftige. Wer bei jeder Handlung den Einfluß be- denkt, den sie auf sein Künftiges haben kann, und sie nicht unternimmt, wenn sie ihm nicht im Künftigen Vorteil bringt, wird gewiß glücklich leben. Alle gro- ßen Leute haben bloß des Künftigen wegen das Ge- genwärtige unternommen, und schlechte Menschen haben immer, wie die Tiere, bloß das Gegenwärtige vor Augen; ja sie erniedrigen sich unter die Tiere, weil diese aus Instinkt manches fürs Künftige tun, und also die Natur gewissermaßen ihre Beseelung über sich nimmt. [G 52] Ich glaube auch an den Helvetiusschen Satz: Man kann, was man will, aber nicht alles, was man sich ruhig wünscht zu können, will man. Die Art zu wol- len, die Helvetius meint, ist unwiderstehliche Begier- de, die fast nie ohne die erforderliche Fähigkeit ist. [G 53] Es ist gewiß ein sicheres Zeichen, daß man besser geworden ist, wenn man Schulden so gerne bezahlt, als man Geld einnimmt. [G 54] Es gibt eine gewisse Jungferschaft der Seele bei den Mädchen, und eine moralische Entjungferung; diese findet bei vielen schon sehr frühzeitig statt. [G 55] Woher mag wohl die entsetzliche Abneigung des Menschen herrühren, sich zu zeigen, wie er ist, in sei- ner Schlafkammer, wie in seinen geheimsten Gedan- ken? In der Körperwelt ist alles wechselseitig, das, was es sich sein kann, und zugleich sehr aufrichtig. Nach unsern Begriffen sind die Dinge gegen einander alles Mögliche, was sie sein können, und der Mensch ist es nicht. Er scheint mehr das zu sein, was er nicht sein sollte. Die Kunst sich zu verbergen, oder der Wi- derwille, sich geistlich oder moralisch nackend sehen zu lassen, geht bis zum Erstaunen weit. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 290 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69386 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 141 ff.)] [G 56] Es ist wirklich nichts abscheulicher, als wenn sich selbst zugezogene Strafgerichte noch einlaufen, nach- dem man schon lange angefangen hat, sich zu bes- sern. [G 57] Der Geldgeiz der beim Ehrgeiz steht, verdiente al- lemal ein besseres Wort. [G 58] Die Helden der alten Dichter sind sehr von denen im Milton z.B. verschieden. Sie sind tapfer, klug und weise, aber selten nach unseren Sitten liebenswürdig und barmherzig. Milton hat die seinigen aus der Bibel entnommen. Sollte vielleicht unsere christliche Moral ihren Grund in einer gewissen Schwachheit haben, in einer jüdischen Feigheit, da sich die andere auf Stärke gründet? Allgemeine Verträglichkeit ist vielleicht ein schönes Hirngespinst und was sich nie wird erreichen lassen. [G 59] In jedes Menschen Charakter sitzt etwas, das sich nicht brechen läßt - das Knochengebäude des Cha- rakters; und dieses ändern wollen heißt immer, ein Schaf das Apportieren lehren. [G 60] Man kennt manchmal einen Menschen genauer, als man sagen kann, oder wenigstens als man sagt. Worte, Grad der Munterkeit, Laune, Bequemlichkeit, Witz, Interesse - alles drückt und leitet zur Falsch- heit. [G 61] Wo Mäßigung ein Fehler ist, da ist Gleichgültig- keit ein Verbrechen. [G 62] Ich kenne die Miene der affektierten Aufmerksam- keit, es ist der niedrigste Grad von Zerstreuung. [G 63] Ich bin überzeugt, daß der Zank Homerischer Hel- den manchen Zank im Parlamente hervorgebracht hat. Mancher, der gegen Lord North sprach, dachte, er re- dete gegen den Agamemnon. Es ist der menschlichen Natur sehr angemessen. [G 64] Den Menschen so zu machen, wie ihn die Religion haben will, gleicht dem Unternehmen der Stoiker; es ist nur eine andere Stufe des Unmöglichen. [G 65] Es war wohl niemals ein Mann von irgend einigem Wert, auf den kein Pasquill gemacht worden wäre, und nicht leicht eine schlechte Seele, die keins auf ir- gend einen Mann von Verdienst gemacht hätte. [G 66] Über nichts wird flüchtiger geurteilt, als über die Charaktere der Menschen, und doch sollte man in nichts behutsamer sein. Bei keiner Sache wartete man weniger das Ganze ab, das doch eigentlich den Cha- rakter ausmacht, als hier. Ich habe immer gefunden, die so genannten schlechten Leute gewinnen, wenn man sie genauer kennen lernt, und die guten verlieren. [G 67] Wer sich nur etwas Mühe geben will, wird leicht bemerken, daß es eine gewisse Menschenkenntnis, eine Philosophie und eine Theorie des Lebens gibt, die, ohne weiter untersucht zu werden, doch vielen zum Leitfaden im Handeln sowohl als Sprechen dient. Es gibt sogar berühmte Leute, die weiter nichts vor- zuweisen haben. So hält man in mittelmäßig großen Städten immer den Professor für einen Pedanten; ja sogar das Universitätsmäßige hat da die Bedeutung von Steifigkeit. Der Landjunker ist auch ein bekannter Charakter, und doch sind die meisten Landjunker das gar nicht. Schwache Köpfe sind in dieser Philosophie gemeiniglich sehr zu Hause. Man muß zuweilen wie- der die Wörter untersuchen, denn die Welt kann weg- rücken, und die Wörter bleiben stehen. Also immer Sachen und keine Wörter! Denn sogar die Wörter un- endlich, ewig, immer haben ja ihre Bedeutung verlo- ren. [G 68] Man irrt sich gar sehr, wenn man aus dem, was ein Mann in Gesellschaft sagt oder auch tut, auf seinen Charakter oder Meinungen schließen will. Man spricht und handelt ja nicht immer vor Weltweisen; das Vergnügen eines Abends kann an einer Sophiste- rei hängen. Beurteilt ja auch kein Vernünftiger Cice- ro's Philosophie aus seinen Reden. [G 69] Man sollte nicht glauben, daß der unnatürliche Verstand so sehr weit gehen könnte, daß sich Leute beim Einsteigen in die Trauerkutsche komplimentie- ren könnten. [G 70] Er wunderte sich, daß den Katzen gerade an der Stelle zwei Löcher in den Pelz geschnitten wären, wo sie die Augen hätten. [G 71] Die recht guten offenherzigen Leute muß man nie unter den Phrasesdrechslern suchen, wie Sterne. [G 72] Wenn die Menschen sagen, sie wollen nichts ge- schenkt haben, so ist es gemeiniglich ein Zeichen, daß sie etwas geschenkt haben wollen. [G 73] Man muß keinem Menschen trauen, der bei seinen Versicherungen die Hand auf das Herz legt. [G 74] Wie glücklich würde mancher leben, wenn er sich um anderer Leute Sachen so wenig bekümmerte, als um seine eigenen. [G 75] In jedem Menschen ist etwas von allen Menschen. Ich glaube diesen Satz schon sehr lange; den vollstän- digen Beweis davon kann man freilich erst von der aufrichtigen Beschreibung seiner selbst erwarten, nämlich, wenn sie von vielen unternommen wird. Dieses, was man von allen hat, mit gehöriger Genau- igkeit zu scheiden, ist eine Kunst, die gemeiniglich die größten Schriftsteller verstanden haben. Man braucht nicht viel von jedem Menschen zu besitzen. Es gibt geschickte Leute, die ihre chymischen Versu- che im kleinen anstellen, und richtigere Sachen her- ausbringen, als andere, die sehr viel Geld darauf zu verwenden haben. [G 76] Jedes Gebrechen im menschlichen Körper erweckt bei dem, der darunter leidet, ein Bemühen, zu zeigen, daß es ihn nicht drückt: der Taube will gut hören, der Klumpfuß über rauhe Wege zu Fuß gehen, der Schwache seine Stärke zeigen, usw. So verhält es sich in mehreren Dingen. Dieses ist für den Schriftsteller ein unerschöpflicher Quell von Wahrheiten, die ande- re erschüttern, und von Mitteln, einer Menge in die Seele zu reden. [G 77] Es ist wahr, alle Menschen schieben auf, und be- reuen den Aufschub. Ich glaube aber, auch der Tätig- ste findet so viel zu bereuen als der Faulste; denn wer mehr tut, sieht auch mehr und deutlicher was hätte getan werden können. [G 78] Es gibt Leute, die können alles glauben, was sie wollen; das sind glückliche Geschöpfe! [G 79] Ein Mädchen, die sich ihrem Freund nach Leib und Seele entdeckt, entdeckt die Heimlichkeiten des gan- zen weiblichen Geschlechts; ein jedes Mädchen ist die Verwalterin der weiblichen Mysterien. Es gibt Stel- len, wo Bauernmädchen aussehen wie die Königin- nen, das gilt von Leib und Seele. [G 80] Er hat bloß Feinheit genug, sich verhaßt zu ma- chen, aber nicht genug, sich zu empfehlen. [G 81] Es gibt wirklich sehr viele Menschen, die bloß lesen, damit sie nicht denken dürfen. [G 82] Es gibt eine Art enthusiastisch bußfertiger Sünder, die schon in der Erzählung ihrer Missetaten mit Ein- schiebseln zu büßen anfangen, und eine Beruhigung darin finden, sich anzuklagen. Rousseau könnte in diesem Falle gewesen sein; alle Verteidigungen sind zu früh - das muß aus dem Ganzen beurteilt werden. Es ist hiermit als wenn man einer Erfahrung nicht glauben wollte, weil sie einer lang angenommenen Theorie widerspräche. Ein Leben, so wie Rousseau, allem Ansehen nach, das seinige beschrieben hat, muß man nicht nach der moralischen Etiquette beur- teilen wollen, oder aus Leben, die nicht wie das Rous- seauische beschrieben sind. So lange wir nicht unser Leben so beschreiben, wie es vor Gott erscheint, kann man nicht richten. Ich bin davon so sehr überzeugt aus dem, was ich von berühmten Männern gesehen habe, daß ich glaube, eine solche Lebensbeschreibung eines großen Mannes, wie ich sie mir denke, würde dem Etiquettenmanne aussehen, als käme sie aus dem Monde. Wir kennen uns nur selbst, oder vielmehr, wir könnten uns kennen, wenn wir wollten; allein die an- dern kennen wir nur aus der Analogie, wie die Mond- bürger. Man sehe nur zwei Leute an, die einander freundlich begegnen, einander mit Frau und Kind be- suchen, wenn sie sich überwerfen, was da für Vor- würfe aussprudeln, Anekdoten etc. - alles das schlief vorher in ihnen, wie das Pulver in der Bombe, und wenn sie sich gegen einander bückten, so bückte es sich mit. So lange wir nicht unser Leben so beschrei- ben, alle Schwachheiten aufzeichnen, von denen des Ehrgeizes bis zum gemeinsten Laster, so werden wir nie einander lieben lernen. Hiervon hoffe ich eine gänzliche Gleichheit. Je härter es wider den Strich geht, desto getreuer muß man gegen sich selbst sein. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 298 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69394 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 145 ff.)] Dieses scheint unsern Zeiten aufbehalten zu sein. Es wird nie sehr gemein werden; allein es wird doch manchen trösten, und manchen klüger machen, und das ist schon Gewinn genug. Auch der Philosoph soll- te denken: dulce est pro patria mori, es ist süß, den Kredit, den man im Leben gehabt hat, für die Philoso- phie aufzuopfern. Vor Gott machen wir doch nichts schlimmer damit. - Jeder Mensch schließt zwar schon von sich auf den andern, aber vermutlich oft falsch. Es ist eine unbegreifliche Modealfanzerei, daß wir den einzigen Gegenstand in der Natur, den wir recht kennen, ich meine unser moralisches Selbst, nur nach einem einfältigen philosophischen Polizeiformular be- schreiben, auf daß der Menge kein Schaden ge- schieht. In der Kindheit der Welt, worin wir leben, sollte man nicht ruhen, und Tätigkeit immer vorzie- hen. Die Zeit des allgemeinen Sinismus ist für unser Klima, Philosophie und Religion noch lange nicht da. Es sollte mir leid tun, wenn ein anderes Volk oder eine andere Zeit uns diesen Zweig von Wissenschaft weghaschte. [G 83] Gewiß ist die Anbetung der Sonne zu verzeihen. Jedermann sieht schon unwillkürlich nach einem hel- len Fleck. Das tun auch die Tiere, und was bei Kat- zen, Hunden unwillkürliches Starren, ist bei den Menschen Anbetung. [G 84] Irren ist auch in so fern menschlich, als die Tiere wenig oder gar nicht irren, wenigstens nur die klüg- sten unter ihnen. [G 85] Die gesundesten und schönsten, regelmäßigst ge- bauten Leute sind die, die sich alles gefallen lassen. Sobald einer ein Gebrechen hat, so hat er seine eigne Meinung. [G 86] Die Geistlichen machen einen Lärm, wenn sie einen Mann sehen, der frei denkt, wie Hennen, die unter ihren Jungen ein Entchen haben, welches in das Wasser geht. Sie bedenken nicht, daß Leute in diesem Elemente eben so sicher leben, als sie im Trocknen. [G 87] Ein großes Genie wird selten seine Entdeckungen auf der Bahn anderer machen. Wenn es Sachen ent- deckt, so entdeckt es auch gewöhnlich die Mittel dazu. [G 88] Von dem seltsamen Geschmacke der Menschen zeugt auch dieses, daß bei belagerten Städten Leute sowohl heraus als hinein desertieren. [G 89] Nichts zeigt so kräftig, wie sehr man sich durch die Gewohnheit über alles wegsetzen lernt, als die Pe- rücken, die selbst Geistliche in einer von dem natürli- chen Haarwuchs so sehr abweichenden Form tragen, ohne dadurch lächerlich zu werden. [G 90] Es ist eine alte Regel: Ein Unverschämter kann be- scheiden aussehen, wenn er will, aber kein Bescheide- ner unverschämt. [G 91] Den Streich, den Parrhasius dem Zeuxis, und Zeu- xis den Vögeln spielte, spielen täglich Tausende ihren Nebenmenschen mit ihren Gesichtern. [G 92] Ich gebe zu, daß die ganz großen, und die ganz schlechten Menschen gezeichnet sein mögen - ist das aber zu einer Physiognomik genug? Die meisten und minder monströsen Menschen liegen gewiß in der Mitte, und erst die Gelegenheit und der Zufall wirft sie in eine von beiden Klassen. [G 93] Ein aufgeblasener Mensch kann sehr schwindsüch- tig aussehen. - Die Hoffnung, die man sich von Phy- siognomik macht, hat sehr viel mit den Träumen Fon- tenelles gemein, der von dem Fliegen in der Luft auf das Fliegen nach dem Monde fällt. Die Damen glaub- ten ihm auch. [G 94] Von allem, was ich über Physiognomik geschrie- ben habe, wünschte ich bloß, daß zwei Bemerkungen auf die Nachwelt kämen. Es sind ganz einfältige Ge- danken, und niemand wird mich darum beneiden. Der eine, daß ich die Ähnlichkeit zwischen Physiognomik und Prophetie erkannt habe; der andere, daß ich über- zeugt gewesen bin, die Physiognomik werde in ihrem eigenen Fette ersticken. [G 95] Wenn die Pockeninokulation allgemeiner wird, so werden wir um eine ganze Klasse von Gesichtern kommen. Überhaupt, wenn Krankheiten ausstürben, so würden viele Gesichtsgeschlechter untergehen. [G 96] Der Zweck aller Erziehung ist, tugendhafte, ver- ständige und gesunde Kinder zu ziehen. In wie weit stimmt dieses mit unserer Methode überein? Unser Einbläuen der Geographie scheint keines von allen Dingen sonderlich zu befördern. Es kann einer in sei- nem zwanzigsten Jahre noch glauben, daß das König- reich Preußen eine Insel sei, und deswegen doch ein in allem Betracht trefflicher Mensch sein. Ich habe einen solchen gekannt. Man soll zwar immer bei der Erziehung auf die konventionellen Schönheiten des Geistes Rücksicht nehmen, aber es sind doch die letz- ten. [G 97] Kinder zu kuppeln, wie die Hunde oder die Schweine in England. Es wird in der Welt nicht eher gut gehen, bis man die Kinder kuppelt. [G 98] Es ist in der Tat verkehrt, wenn man unsern Kin- dern alles mit Liebe beibringen will, da in dem höhe- ren Leben, wenn wir älter werden, uns das wenigste zu Gefallen geht, und wir uns immer unter einen Plan demütigen müssen, den wir nicht übersehen. Also je eher je lieber zu jenem künftigen Leben gewöhnt! [G 99] Ich wünschte ein Kind zu haben, das ich mir ganz eigen machen könnte; ich wollte es zu allem anhalten, wovon ich Jetzt zu spät einsehe, daß ich es versäumt habe. Die Eltern halten ihre Kinder nicht genug zu dem an, was sie nun erkennen müssen versäumt zu haben. Überhaupt glaube ich, daß es sehr wenige Lehrer gibt, die so unterrichten, daß sie das vermeiden zu leben, was sie selbst, wenn sie bei jetzigem Ver- stande jung wären, vermeiden würden zu lernen. [G 100] Es war ein vortrefflicher Junge, als er kaum sechs Jahr alt war, konnte er schon das Vater Unser rück- wärts herbeten. [G 101] Früher Unterricht gewährt eine Zeitlang den An- schein des Genies, erhält sich aber nicht. Die Still- stände erfolgen bald früher bald später. [G 102] Es ist ein schlechter Lohn, wenn ein Junge, auf den man etwas verwandt hat, am Ende ein Poet wird. Ein Viertelstündchen Nachtmusik für einen jahrelangen Dienst. Eltern, die bemerken, daß ihr Junge ein Poet von Profession werden will, sollten ihn so lange peit- schen, bis er das Versemachen aufgibt, oder bis er ein großer Dichter wird. [G 103] Dr. Forster sagt, die Vielweiberei bringe mehr Mädchen als Knaben hervor. Diese Behauptung (in wie weit sie gegründet ist, weiß ich nicht) bestätigt eine alte Meinung von mir, daß es sich mit dem menschlichen Geschlecht verhalte, wie mit dem ein- zelnen Menschen. Es bequemt sich zu allem. Dies ist wiederum eine Folge seiner Perfektibilität. Vielleicht würde Vielmännerei mehrere Knaben erzeugen, weil da die Reihe an einen desto seltener käme. Es versteht sich von selbst, wenn der Mann eine Untreue beginge, so wäre dieses nicht mehr Vielmännerei. Wozu ließe sich nicht das menschliche Geschlecht bringen! [G 104] Das Land, wo die Kirchen schön und die Häuser verfallen sind, ist so gut verloren, als das, wo die Kir- chen verfallen und die Häuser Schlösser werden. [G 105] Daß man so viel wider die Religion und die Bibel schreibt, geschieht mehr aus Haß gegen eine gewisse Klasse von Menschen. Wenn Philologen anfangen sollten zu herrschen, so könnte leicht den alten Klas- sikern Homer, Virgil, Horaz und andern eine ähnliche Ehre mit größerem Vorteil widerfahren. Wir dürften nur einmal einen philologischen Pabst bekommen. [G 106] Über nichts könnte sich die Satyre mit glückliche- rem Erfolge ausbreiten, als über das abscheuliche Übersetzen zu unserer Zeit. Die meisten deutschen Gelehrten sind die Dolmetscher der Müßiggänger und die Mäkler der Buchhändler. Man übersetzt, um, wie man sagt, nützliche Kenntnisse gemeiner zu machen, und die Kenntnisse werden gemeiner, ohne nützlich zu sein. Ewig Mittel gesammelt und kein Endzweck erreicht! Es ist zum Erstaunen, wie manche Gelehrte in Deutschland Kenntnisse anhäufen, bloß um sie vor- zuzeigen. [G 107] In den ganz alten Werken der Bibel, in griechi- schen und lateinischen Schriftstellern findet man eine Menge von Tugendlehren, so viele seelenstärkende Sentenzen, die von den erleuchtetsten Köpfen aus der Erfahrung gesammelt, und mit dem Zug einer ganzen Lebenshahn verglichen, endlich in diesen Schatz nie- dergelegt worden sind. Im Salomo stehen eine Menge vortrefflicher Lehren, die wohl nicht von ihm sind - Eingebungen; vielleicht Hefte, die ihm seine Lehrmei- ster diktiert haben. Eben dieser Verstand der Alten, [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 306 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69402 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 149 ff.)] die Gabe, die sie haben, einem Beobachter seiner selbst ins Herz zu reden, ist es, was mir die Lesung der Bibel so angenehm macht. Es sind die Grundzüge zu einer Weltkenntnis und Philosophie des Lebens, und die feinste Bemerkung der Neuern ist gemeinig- lich nichts als eine mehr individualisierte Bemerkung jener Alten. [G 108] Ein Mann von Weltkenntnis und Verstand belehrt oder unterhält mich immer, wenn es auch gleich manchmal nicht gerade von der besten Seite gesche- hen sollte. Bei einer Schlacht zwischen Engeln und Teufeln hat Milton mehr Schönes gesagt, als andere bei ihrem Sonnenwagen. Lamberts Abhandlung über Dinte und Papier ist für mich unterhaltender, als Zim- mermanns ganzer Nationalstolz. [G 109] Durch unser vieles Lesen gewöhnen wir uns nicht allein Dinge für wahr zu halten, die es nicht sind, son- dern unsere Beweise bekommen auch eine Form, die oft nicht sowohl die Natur der Sache mit sich bringt, als unser unvermerkter Anhang an die Mode. Wir be- weisen aus den Alten, was wir mit Beispielen aus un- serm Ort eben so kräftig unterstützen könnten; auch werden Sentenzen zitiert, die nichts beweisen, und Sätze, aus denen man nichts Neues lernt. Es ist sehr schwer, eine Sache neu anzusehen, nicht durch das Medium der Mode, oder mit Rücksicht auf unser Mo- desystem. Es wird immer Ansehen gebraucht, wo man Gründe brauchen sollte, immer geschreckt, wo man belehren sollte, und Götter werden zu Hülfe genom- men, wo Menschen hinreichend wären. [G 110] Garrick dankte sehr weislich ab, um nicht das Schicksal des Schauspielers Aesopus zu haben, der noch bei Einweihung des Theaters des Pompejus agieren wollte. Die Stimme fehlte ihm, und man weiß noch jetzt, daß man wünschte, er wäre weggeblieben. Middleton Tom. 1. pag. 470. [G 111] Unter den Gelehrten sind gemeiniglich diejenigen die größten Verächter aller übrigen, die aus einer mühsamen Vergleichung unzähliger Schriftsteller endlich eine gewisse Meinung über einen Punkt fest- gesetzt haben. Auch dieses muß freilich geschehen, und sie verdienen desto aufrichtigern Dank, je mehr es ausgemacht ist daß wir an ihrer Stelle eben das tun und denken würden. Vieles Wachen und Lesen, denkt man, verdient den Lohn des Ruhms. Allein diese Leute müssen auch bedenken, daß gerade mit eigenen Augen in die Welt hineinsehen, auch ein Studium ist, wozu sie nicht aufgelegt sind. Denn ob ich Bemerkun- gen hinter dem Buche, oder hinter den Fensterschei- ben mache, ist wohl gleichviel. Nehmet alles mit Dank an, und verachtet keinen. Es ist alles gut, und alles kann zu einem großen Endzweck genutzt wer- den. In Büchern nach den Menschen suchen, sollte ich deswegen für eine schlechtere Arbeit halten, als selbst beobachten, weil die wenigsten im Stande sind, den Menschen, so wie er ist, zu Buch zu bringen; und das- selbe Geistesgebrechen, welches macht, daß man den Menschen falsch beobachtet, macht, daß man ihn auch falsch im Buche erkennt; also ist bei dem letz- tern Studium die Wahrscheinlichkeit zu fehlen dop- pelt so groß, als bei dem erstern. [G 112] Alles was unsere Schriftsteller noch zu schildern vermögen, ist etwas Liebe; und auch diese wissen sie nicht in die etwas entfernten Verrichtungen des menschlichen Lebens zu verfolgen. Bemerkungen in einem Roman anzubringen, die sich auf die längste Erfahrung und tiefsinnigsten Betrachtungen gründen, soll sich kein Mensch scheuen, der solche Bemerkun- gen vorrätig hat. Sie werden gewiß ausgefunden; durch sie nähern sich die Werke des Witzes den Wer- ken der Natur. Ein Baum gibt nicht bloß Schatten für jeden Wanderer, sondern die Blätter vertragen auch noch das Mikroskop. Ein Buch, das dem Weltweisen gefällt, kann deswegen auch noch dem Pöbel gefallen. Der letzte braucht nicht alles zu sehen; aber es muß da sein, wenn etwa jemand kommen sollte, der das scharfe Gesicht hätte. [G 113] Die traurigste Art Schriften ist die, die weder Rai- sonnement genug enthalten, um zu überzeugen, noch Witz genug, um zu ergötzen; dahin gehören einige Schriften des Herrn Leibmedicus Zimmermann in Hannover. [G 114] Wenn einem die Meinungen der Besten über eine Sache alle bekannt geworden sind, so läßt sich mit bloßer Schlauigkeit oder wenigstens sehr geringer Fä- higkeit noch etwas darüber sagen, was die Welt in Er- staunen setzt. Bloßer Vorsatz, etwas zu sagen, kann da schon viel tun. [G 115] Es ist jeder Zeit eine sehr traurige Betrachtung für mich gewesen, daß in den meisten Wissenschaften auf Universitäten so vieles vorgetragen wird, das zu nichts dient, als junge Leute dahin zu bringen, daß sie es wieder lehren können. Griechisch wird gelehrt, auf daß man es wieder lehren könne; und so geht es vom Lehrer zum Schüler, der, wenn er gut einschlägt, höchstens wieder Lehrer wird und wieder Lehrer zieht. Bergmans vortreffliche Terminologie, die man nicht annehmen will, und nimmt man sie an, doch mit der alten verbinden muß, gehört hierher. [G 116] Mir ist es immer vorgekommen, als wenn man den Wert der Neuern gegen die Alten auf einer sehr fal- schen Waage wäge, und den letztern Vorzüge ein- räumte, die sie nicht verdienen. Die Alten schrieben zu einer Zeit, da die große Kunst, schlecht zu schrei- ben, noch nicht erfunden war, und bloß schreiben hieß gut schreiben. Sie schrieben wahr, wie die Kin- der wahr reden. Heutzutag finden wir uns, wenn wir im sechzehnten Jahre zu uns selbst kommen, schon, möcht ich sagen, von einem bösen Geist besessen; und diesen erst durch eigene Beobachtung und Streit gegen Ansehen und Vorurteil und gegen die Macht einer vierzehnjährigen Erziehung auszutreiben, und dann noch wieder die eigene Haushaltung der Natur anzufangen, erfordert sicherlich mehr Kraft, als in den ersten Zeiten der Welt, natürlich zu schreiben, jetzt da natürlich schreiben, möcht ich sagen, fast unnatürlich ist. Homer hat gewiß nicht gewußt, daß er gut schrieb, so wenig wie Shakespear. Unsere heutigen guten Schriftsteller müssen alle die fatale Kunst ler- nen: zu wissen, daß sie gut schreiben. [G 117] Es gibt keine Art von Gelehrsamkeit, und keine Art literärischer Beschäftigung, die man nicht mit irgend einem Handwerk oder sonst einer Handarbeit verglei- chen könnte. Wir haben im Reiche der Gelehrsamkeit Wegeverbesserer, ein sehr nützliches Geschäfte das wenig einbringt; Sklaven, die mit blutigem Schweiß Zucker pressen und sieden, den andere Leute ver- schmausen, Leute, die griechische Münzen einschmel- zen, um modernes Zeug daraus zu gießen; Gassenrei- niger; Bettelvögte; Ausrufer; Bader, die sich für Wundärzte ausgeben, u.a.m. Allein ich habe nie eine Gattung finden können, die so viel mit dem Kessel- flicker gemein hätte, als die Leute, die unter dem Schein, ein nützliches Handwerk zu treiben, herum- ziehen, um die Leute zu betriegen und zu bestehlen. [G 118] Ich habe immer gefunden, je weniger ein Schrift- steller in der Naturlehre im Stande ist, in seinem Werke seine eigene Größe zu beweisen, desto geneig- ter ist er, beständig die Größe Gottes zu zeigen. Und die fromme Welt findet sich von ihrer Seite wiederum geneigter beim Letztern, als beim Erstern den guten Willen für die Tat anzunehmen. [G 119] Es wäre gewiß sehr nützlich, der Welt die Schrift- steller anzuzeigen, die mit Kenntnis anderer, die vor ihnen gewesen sind, aus sich selbst allein geschöpft haben. Durch diese allein lernt man, und es sind ihrer gewiß sehr wenige, die also jedermann leicht lesen könnte. Die andern prägen nach und sind im eigentli- chen Verstande Falschmünzer. [G 120] Swift kleidet die Kinder seiner Phantasie freilich oft seltsam genug heraus, daß man sie kaum von Hanswursten und Luftspringern unterscheidet; allein Zeuge, Borten und Steine, die er darauf verwendet, sind immer echt. [G 121] Der Gemeinspruch, daß das Leben eines Gelehrten in seinen Schriften bestehe, verdient sehr einge- schränkt zu werden. [G 122] Es ist leider in Deutschland der allgemeine Glaube, doch nur Gottlob! unter den eigentlich Unmündigen, daß jemand von demjenigen viel verstehen müsse, worüber er viel geschrieben hat. Gerade das Gegen- teil! Die Leute, die keine Denker sind, und bloß schreiben, um zu schreiben und im Meßcatalogus zu stehen, verstehen of 14 Tage nachher weniger von dem, was sie geschrieben haben, als der erbärmlichste ihrer Leser. Gott bewahre alle Menschen vor dieser Art von Schriftstellerei! es ist aber leider die gemein- ste. [G 123] Populairer Vortrag heißt heutzutage nur zu oft der, wodurch die Menge in den Stand gesetzt wird, von etwas zu sprechen, ohne es zu verstehen. [G 124] Es ist wie die tägliche Erfahrung lehrt, sehr wenig Anstrengung nötig, etwas zu sagen, das eine ganz be- trächtliche erfordert, es zu verstehen. Hingegen erfor- dert es außerordentlich viel Talent, einem vernünfti- gen Manne etwas Neues und Wichtiges so leicht vor- zutragen, daß er sich freut, es jetzt zu wissen, und sich schämt, es nicht selbst bemerkt zu haben. Letzte- res ist ein so charakteristisches Zeichen von einem großen Schriftsteller, daß wenige solcher Bemerkun- gen einen ganzen Band alltäglicher Dinge veredeln können. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 314 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69410 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 153 ff.)] [G 125] Die simple Schreibart ist schon deshalb zu empfeh- len, weil kein rechtschaffener Mann an seinen Aus- drücken künstelt und klügelt. [G 126] Ein Volk kann in seinen Schriften vernünftiger scheinen, als es ist, denn es kann noch lange die Spra- che seiner Väter schreiben, wenn ihm schon ihr Geist zu mangeln anfängt. Die Metaphern in unserer Spra- che entstanden alle durch Witz, und jetzt gebraucht sie der Unwitzigste. Die Morgenländer denken bei ihren vielen Bildern nicht mehr als wir. So fassen auch oft Leute das Äußere der Sitten rechtschaffener Leute, ohne daß sie es wissen. Die bilderreichste Sprache muß mit der Zeit das Bildliche verlieren, und bloß zu Zeichen erkalten, die den willkürlichen nahe kommen. So kann Sprachkenntnis sehr nützlich wer- den. [G 127] Es ist fast durchaus der Fehler unserer Schriftstel- ler, daß sie sich aus anderen Schriften bilden, und bloß zusammensetzen. Die Gradus ad Parnassum-Me- thode habe ich es genannt. Sie lesen nach, ehe sie über eine Sache nachgedacht haben, und so wird endlich ihre ganze Wissenschaft die Kenntnis dessen, was andere gewußt haben. [G 128] Ihre Kritik ist bloß experimental, sie bewundern, was sie haben bewundern hören. [G 129] Es ist nur schade, daß Leute die an Höfen und in großen Städten leben, nicht wenigstens ein paar Tage in der Woche der Auslegung alter Weltweisen und Schriftsteller überhaupt widmen. Ich glaube, sie wür- den alle Schulfüchse auf einmal niederschlagen kön- nen. [G 130] Ich habe in meinen Universitätsjahren und nachher enthusiastische Bewunderer von Haller und welche von Klopstock gekannt. Die von Haller, ich rede hier bloß von dem Dichter, waren gemeiniglich Leute von Geist und Nachdenken, die ihre Brotwissenschaft nie vernachlässigten. Hingegen mit Klopstocks enthusia- stischen Bewunderern verhielt es sich gerade umge- kehrt. Die meisten waren unausstehliche Pinsel, denen vor den Wissenschaften, die sie eigentlich erlernen sollten, ekelte. Musenalmanache waren eine Haupt- lektüre für sie. Waren es Juristen, so lernten sie nichts, waren es Theologen, so wurden es frühzeitige Prediger, und die kamen noch am besten fort. Medizi- ner, die enthusiastisch für Klopstock eingenommen gewesen wären, habe ich nicht gekannt. Mir ist nicht bewußt, daß ein deklarierter Bewunderer von Haller und der seine Gedichte mit vorzüglichem Vergnügen gelesen, hernach etwas frappant Einfältiges geschrie- ben hätte, hingegen ist es eine ganz bekannte Sache, daß unter Klopstocks eifrigsten Bewunderern einige der größten Flachköpfe der Nation sind. Das Faktum ist wahr. Erklären kann ich es selbst nicht. [G 131] In einem Lande, wo der zuletzt schreibende bei den meisten Recht behält, muß man nicht antworten, so- bald man sich einiges Übergewichts bewußt ist. Die- jenigen, für die der Mann von Verstand allein schreibt, haben ohnehin entschieden, ehe die Duplik erscheint. So habe ich bei der Physiognomik gedacht. [G 132] Wenn man sich einmal einen Gedanken eines an- dern ein wenig zu Nutze macht, so schreien alle Re- zensenten: halt den Dieb. Dieses kommt mir vor, als wie, wenn sich ein Knabe hinten auf eine Kutsche setzt, so rufen alle anderen, die die Freude nicht haben können, dem Kutscher zu: es sitzt einer hinten auf. [G 133] Ich mag immer den Mann mehr lieben, der so schreibt, wie es Mode werden kann, als den, der so schreibt, wie es Mode ist. [G 134] Ist es nicht sonderbar, daß eine wörtliche Überset- zung fast immer eine schlechte ist? und doch läßt sich alles gut übersetzen. Man sieht hieraus, wie viel es sagen will, eine Sprache ganz verstehen; es heißt, das Volk ganz kennen, das sie spricht. [G 135] Despaviladura heißt eine Lichtputze auf Spanisch. Man sollte glauben, es hieße wenigstens ein kaiserli- cher Generalfeldmarschalllieutenant. [G 136] Wenn ein witziger Gedanke frappieren soll, so muß die Ähnlichkeit nicht bloß einleuchtend sein, das ist noch das Geringste, ob es gleich unumgänglich nötig ist; sondern sie muß auch von andern noch nicht ge- funden worden sein, und doch muß alles, was dazu gehört, jedem so nahe liegen, daß es ihn Wunder nimmt, daß er sie noch nicht ausgefunden hat. Das ist die Hauptsache. Hat man die Bemerkung schon dunkel gemacht, so wohl die eigentliche, als die, womit die Vergleichung angestellt wird, aber noch nie deutlich gedacht, so steigt das Vergnügen aufs höch- ste. Die Menschen sehen täglich eine Menge von Din- gen, die sie zur Regel erheben könnten, es geschieht aber nicht; sie bringen sie nicht zu Buch, und das ist die rechte Fundgrube des Witzes. [G 137] Ich glaube, die Zeit des deutschen Hexameters kommt erst durch Gewohnheit. Wenn man erst recht viel Gutes in deutschen Hexametern zu lesen haben wird, so wird er sich durch Assoziation empfehlen. Diese Zeit ist noch nicht da. Besser wäre es unstreitig, durch liebliches Sylbenmaß selbst dem mittelmäßig- sten Gedanken Anmut zu verschaffen, als einem wid- rigen Sylbenmaß durch Größe der Gedanken aufhel- fen zu wollen. Es ist etwas Verkehrtes in der Absicht. Warum haben Engländer und Franzosen keine be- rühmten Hexameter? Unberühmte mögen sie wohl genug haben; ich habe selbst dergleichen gesehen; sie schienen mir abscheulich, und ich habe Ursache zu glauben, daß es unzähligen andern nicht besser damit gehen würde. Warum halten diese Nationen nichts darauf? Ich fürchte, der Grund davon liegt sehr tief. Bewahre Gott, daß so etwas eine Regel für Deutsche werden sollte, aber ein Wink ist es allemal. Mit Raisonnement muß man nicht kommen; Gefühl geht hier darüber, und nur dieses hat ein Recht, zu ent- scheiden. Warum will man etwas einführen, das dem Gefühl erst durch Assoziation von Begriffen erträg- lich wird? Bei den Engländern bekümmert man sich nicht um Raisonnement, wo es auf Gefühl ankommt. Ein wohlklingender Hexameter ist ja deswegen noch nicht ein wohlklingender Vers überhaupt. Was den Griechen und Römern gefallen hat, muß uns deswe- gen nicht auch gefallen. Indessen verdienen diejenigen unter unsern Dichtern, die etwas Schönes in schönen Hexametern gesagt haben, Dank, indem sie dadurch vermutlich der Ergötzung unserer Nachkommen ein größeres Feld verschafft haben. [G 138] Es ist etwas, was, dünkt mich, unsere besten Ro- manendichter von den großen Männern der Ausländer in diesem Fach unterscheidet (auch der größte Teil unserer dramatischen Schriftsteller gehört mit dahin), daß man, um ihren Wert und die Schwierigkeit, so zu schreiben, ganz zu fühlen, Lektüre haben muß. Sie sollten aber ihre Charaktere so entwerfen, daß man glaubte, man fände sich unter Lebendigen, und ginge mit ihnen um, und lebte mit ihnen. Es scheint, als wenn der Fleiß auch sogar den Dichter bei den Deut- schen machte und machen müßte. Es ist, glaube ich, eine gute Erinnerung für unsere Landsleute, wenn sie auf Eminenz Anspruch machen wollen, sich Fächer zu wählen, wo bloß Fleiß und Urteilskraft den Wert des Werks ausmachen, und lieber da wegzubleiben, wo ein Senfkorn von Genie die vierzigjährige Arbeit des studierten Nachahmers verdunkeln kann. Das Fliegen muß man den Vögeln überlassen. [G 139] Die Künste üben die Empfindung und Phantasie, und verfeinern sie. Diese Fähigkeiten aber und ihre Vervollkommnung sind zur Erreichung des Zwecks menschlicher Natur unentbehrlich, wir mögen nun diese in die Glückseligkeit, oder in die Ausübung der Tugend setzen. [G 140] Die Nachtigallen singen und wissen wohl dabei nicht, was für Lärm die Verliebten und Dichter aus ihren Gesängen machen und daß es eine Gesellschaft höherer Wesen gibt, die sich ganz mit Philomelen und ihren Klagen unterhalten. Vielleicht hält ein höheres Geschlecht von Geistern unsere Dichter wie wir die Nachtigallen und Kanarienvögel; ihr Gesang gefällt ihnen eben deswegen, weil sie keinen Verstand darin finden. [G 141] Von den meisten Widersachern des Reims gilt wohl, was Dryden von Milton sagt, sie besitzen die Talente zum Reimen nicht. [G 142] Fünf Komödien von Einem Akt zu schreiben, ist nicht halb so schwer, als eine einzige von fünf Akten. [G 143] Nachahmung der englischen Cross-readings4 Gestern disputierte unter dem Vorsitz des Herrn Leib- medicus - Ein Hengstfüllen mit einem weißen Pleß vor dem Kopf Eine Jungfer von gutem Herkommen wünscht als Kammermädchen anzukommen - Hinten steht die Jahrzahl 1719. Es wird eine Köchin gesucht, die mit Backwerk um- zugehen weiß - Zu zwei Personen eingerichtet, nebst etwas Keller- raum. Ein junger starker Kerl, der schon als Reitknecht gedient - Vertreibt Vapeurs und Mutterzufälle in kurzer Zeit. Heute wurde Frau N... von Zwillingen entbunden - Wer auf zehne pränumeriert, kriegt eines umsonst. Dem Förster zu W... ist gestern ein junges Rind von der Weide entlaufen - Um künftigen Sonntag seine Antrittspredigt zu halten. Neulich gab der Churfürst dem Capitel ein splendides Diner - Drei Personen wurden gerettet, die übrigen ersoffen. Die drei Damen, deren gestern Erwähnung gesche- en - Können immer eine Stunde vor der Auktion besichtigt werden. Am 13. dieses schlug der Blitz in die hiesige Kreuz- kirche - Und setzte Tages darauf seine Reise weiter fort. Die Vermählung des Grafen v. P... ist glücklich voll- zogen worden - Er hat aber Gottlob! nicht gezündet. Den 12. starb ein Mann in seinem 104. Jahre - Und bekam in der Taufe die Namen Friderica Sophia. Die neue Galanteriekrämerin am Markte verkauft - Schnupfen, Kopfweh und andere Zufälle. [G 144] Der Schuh und der Pantoffel Ein Schuh mit einer Schnalle redete einen Pantof- fel, der neben ihm stand, also an: Lieber Freund, warum schaffst du dir nicht auch eine Schnalle an? es ist eine vortreffliche Sache. Ich weiß in Wahrheit nicht einmal, wozu die Schnallen eigentlich nützen, versetzte der Pantoffel. Die Schnallen! rief der Schuh hitzig aus, wozu die Schnallen nützen? Das weißt du nicht? Ei, mein Himmel, wir würden ja gleich im er- sten Morast stecken bleiben. Ja, liebster Freund, ant- wortete der Pantoffel, ich gehe nicht in den Morast. A. Sie müssen sich notwendig Cramers Er und über ihn anschaffen, es ist ein unentbehrliches Buch. B. Warum unentbehrlich? A. Ei, mein Gott! Sie verstehen ohne dasselbe nicht eine Zeile in Klopstocks Oden. B. Ja, mein Freund, ich lese Klopstocks Oden nicht. [G 145] Das Sprachrohr und der Mund Man würde dich gewiß nicht auf fünfhundert Schritte hören, sagte das Sprachrohr zum Munde, wenn ich nicht den Schall zusammenhielte. Und dich würde man nirgends hören, versetzte der Mund, wenn ich nicht spräche. Ihr Geschichtschreiber, rückt den Helden nicht auf, daß ohne euch ihre glänzendsten Taten nach hundert Jahren vergessen sein würden, denn ohne diese glän- zenden Taten hätte man nie etwas von euch erfahren. [G 146] Er hatte ein paar Warzen auf seiner Nase, die so saßen, daß man sie leicht für die Köpfe der Nägel hätte halten können, womit sie am Gesicht angeheftet war. [G 147] Ein Ball en Masque zum Besten der Armen. [G 148] Da steht er, wie Niobe, unter den Kindern seines Witzes, und muß sehen, wie ihm Apoll eines nach dem andern über den Haufen schießt. [G 149] Das Buch, das in der Welt am ersten verboten zu werden verdiente, wäre ein Katalogus von verbotenen Büchern. [G 150] Jetzt, da wir Buchdruckereien haben, brauchen wir kein stehendes Heer von Abschreibern, Mönche, zu halten. [G 151] Die Bücher in einen Hofstaat zu ordnen: Lalande wäre mein Premierminister, Robinson mein Kammer- diener, gelehrte Zeitungen die Jagdhunde usw. [G 152] Von einem, der nur immer auf das Gegenwärtige denkt, könnte man sagen, er hat die Unsterblichkeit der Seele nicht erfunden. [G 153] Es war nur schade, wenn er auch ein noch so nied- liches Kleid trug, so machte sein ökonomisches, sub- misses Gesicht, daß man immer glaubte, es sei sein einziges. [G 154] In einem Lande, wo den Leuten, wenn sie verliebt sind, die Augen im Dunkeln leuchteten, brauchte man des Abends keine Laternen. [G 155] Weil er seine eigenen Pflichten immer vernachläs- sigte, so behielt er Zeit genug übrig, zu sehen, wer von seinen Mitbürgern seine Pflichten vernachlässig- te, und es der Obrigkeit anzuzeigen. [G 156] Harlequin will sich selbst ermorden, und nachdem er gegen jede Todesart etwas einzuwenden findet, ent- schließt er sich endlich, sich tod zu kitzeln. [G 157] Es ist kein lustigerer Charakter, als der von einem Universalpatron ohne Kenntnisse. [G 158] Andere lachen zu machen, ist keine schwere Kunst, so lang es einem gleich gilt, ob es über unsern Witz ist, oder über uns selbst. [G 159] Das Werkchen ist bei aller seiner Dicke so leer, daß man es fast für kein Buch, sondern für ein Futte- ral halten sollte. - Charteke so viel als Chartae Theca. [G 160] Dieser Mann arbeitete an einem System der Natur- geschichte, worin er die Tiere nach der Form der Ex- kremente geordnet hatte. Er hatte drei Klassen ge- macht: die zylindrischen, sphärischen und kuchenför- migen. [G 161] Es ist doch nichts als eine bloße Verwechselung vom Mein und Dein bei beiden, beim ehrlichen Manne sowohl, als bei dem Spitzbuben. Der eine sieht jenes an, als wäre es dieses, und der andere hält dieses für jenes. [G 162] Die Gelehrten haben seit jeher ihre Hypochondrie oder ihre Augenkrankheit lieber beschrieben, als die Krankheiten des innern Kopfes. [G 163] Man sollte Katarr schreiben, wenn er bloß im Halse, und Katarrh, wenn er auf der Brust sitzt. [G 164] Manche Leute behaupten eine philosophische Unparteilichkeit über gewisse Dinge, weil sie nichts davon verstehen. [G 165] Wenn einmal jemand dem größten Schelm in Deutschland 100000 Louisd'or vermachte, wie viele Prätendenten zur Erbschaft würden sich nicht finden! [G 166] Die menschliche Haut ist ein Boden, worauf Haare wachsen; mich wunderts daß man noch kein Mittel ausfindig gemacht hat, ihn mit Wolle zu besäen, um die Leute zu scheren. [G 167] Condamine soll in Amerika einige Affen gesehen haben, die seine Operationen nachmachten: nach einer Uhr liefen, dann nach einem Perspektiv, dann taten, als schrieben sie etwas auf, u. dergl. m. - Solcher Philosophen gibt es viele. [G 168] Bahrdt im Ketzeralmanach und der Verfasser des Almanachs für Belletristen sagen freilich öfters die Wahrheit, aber doch tun sie es in den meisten Fällen wie die Narren und die Kinder. [G 169] Die Wilden haben dieses im Gebrauch, und die Zahmen in manchen Gegenden Deutschlands auch. [G 170] Wenn sich Prügel schreiben ließen, schrieb einmal ein Vater an seinen Sohn, so solltest du mir gewiß dieses mit dem Rücken lesen Spitzbube! [G 171] Der Vater. Mein Töchterchen, du weißt, Salomon sagt: wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht. Die Tochter. Aber, Papa, was muß ich dann tun, wenn mich die guten Buben locken? [G 172] Unter die größten Entdeckungen, auf die der menschliche Verstand in den neuesten Zeiten gefallen ist, gehört meiner Meinung nach wohl die Kunst, Bü- cher zu beurteilen, ohne sie gelesen zu haben. [G 173] »Die Antwort wird verbeten« - was man so häufig unter die Trauerbriefe setzt, wäre unter den Rezensio- nen recht schicklich. [G 174] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 330 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69426 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 162 ff.)] Wer ein Gewitter, und nur ein paar hunderttausend Hornisse kommandieren könnte, der könnte mehr tun als Alexander, oder auch nur eine halbe Million Men- schen. [G 175] Die Leute, die das y so gern aus dem ABC verban- nen wollen, kann ich wenigstens so viel versichern, daß, als in den Jahren funfzig die Worte: Seid fromm! am Himmel standen, das Wort seid mit einem y ge- schrieben war. [G 176] Wenn uns der liebe Gott ferner Leben und Gesund- heit schenkt, so hoffe ich sollen wir alle hier begraben werden. Rede in einem Familienbegräbnisse. [G 177] Das Faustrecht ist heutzutage verschwunden bis auf die Freiheit, jedem eine Faust in der Tasche zu machen. [G 178] Die seltsamsten Ideen schwärmten seinem Kopfe zu, als wenn ihre Königin darin säße, und das war auch wahr. [G 179] Gestern Nachmittag 3 3/4 Uhr ist meine Taschen- uhr ganz sanft verstorben. Sie hatte schon seit drei Monaten gekränkelt. [G 180] Er exzerpierte beständig, und alles, was er las, ging aus einem Buche neben dem Kopfe vorbei in ein an- deres. [G 181] Um dieses Gebäude gehörig aufzuführen, muß vor allen Dingen ein guter Grund gelegt werden, und da weiß ich keinen festern, als wenn man über jede Schicht pro gleich eine Schicht contra aufträgt. [G 182] Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeck- te, machte eine böse Entdeckung. [G 183] Unter allen den Kuriositäten, die er in seinem Hause aufgehäuft hatte, war er selbst am Ende immer die größte. [G 184] Er erfand alles etwa so, wie die wilden Schweine und die Jagdhunde die Salzquellen und Gesundbrunnen. [G 185] Das Außerordentlichste bei diesem Gedanken ist unstreitig dieses, daß, wenn er ihn eine halbe Minute später gehabt hätte, so hätte er ihn nach seinem Tode gehabt. [G 186] Er las immer Agamemnon statt »angenommen«, so sehr hatte er den Homer gelesen. [G 187] Fr hatte gar keinen Charakter, sondern wenn er einen haben wollte, so mußte er immer erst einen an- nehmen. [G 188] Was den Weg zum Himmel betrifft, so mögen wohl, auf und ab, Religionen gleich gut sein, allein der Weg auf der Erde, das ist der Henker. [G 189] Er hatte immer so viel mit den Geistlichen zu schaffen, daß sich endlich die Leiblichen der Sache annahmen, und ihn aus der Stadt schafften. [G 190] Da liegen nun die Kartoffeln, und schlafen ihrer Auferstehung entgegen. [G 191] In einem Aufsatze, worin ein neuer Brunnenkurort empfohlen wird, wird auch angezeigt, daß ein schöner geräumiger Kirchhof da sei. [G 192] Seine Bedienten waren noch so ziemlich weich- mäulig, sie kamen beim zweiten Klingelzug allemal. [G 193] Er hatte einige Jahre mit ihr im Stande der unheili- gen Ehe gelebt. [G 194] Die Schulen - gelehrte Raspelhäuser. - Er raspelte die auctores classicos seine ganze Lebenszeit durch. [G 195] Franklin, der Erfinder der Disharmonica zwischen England und der neuen Welt. [G 196] Lieber Gott, ich bitte dich um tausend Gotteswil- len. [G 197] Als unsere selige Kuh noch lebte, sagte eimnal eine Frau in Göttingen. [G 198] Es gibt eine Art von Prosa, die man die Staatsperu- que nennen könnte. [G 199] Sie ist zwar noch nicht verheiratet, hat aber promo- viert. [G 200] Jedes Zeitalter hat eine Menge Eigenheiten, die die Nachwelt mit Vergnügen aufgezeichnet sehen würde, und die viel zu klein für den Geschichtschreiber sind, die immer wechselnden Torheiten der Zeit etc. Für diese ist Hogarths Grabstichel das beste Medium sie aufzubewahren. Wer in aller Welt kann einen Parla- mentswahlschmaus, oder eine Midnight conversation so schildern, wie er getan hat, und wie lehrreich kann nicht eine solche Schilderung gemacht werden! [G 201] Die Deutschen lesen zu viel. Darüber, daß sie nichts zum zweitenmal erfinden wollen, lernen sie alles so ansehen, wie es ihre Vorfahren angesehen haben. Der zweite Fehler ist aber gewiß schlimmer, als der erste. [G 202] Keine Nation fühlt so sehr, als die deutsche, den Wert von andern Nationen, und wird leider! von den meisten wenig geachtet, eben wegen dieser Biegsam- keit. Mich dünkt, die andern Nationen haben recht: eine Nation, die allen gefallen will, verdient von allen verachtet zu werden. Die Deutschen sind es auch wirklich so ziemlich. Die Ausnahmen sind bekannt, und kommen nicht in Betracht, wie alle Ausnahmen. [G 203] Warum gibt sich nicht leicht irgend jemand, der es nicht ist, für einen Deutschen aus, sondern gemeinig- lich, wenn er sich für etwas ausgeben will, für einen Franzosen oder Engländer, Das ist in dieser Welt aus- gemacht. Aber das sind Hasenfüße. Gut, aber warum gibt es keine Hasenfüße unter andern Nationen, die sich für Deutsche ausgeben? Es ist seltsam. Es ist ein Irrtum. Aber Irrtum von Nationen, wer will ihn rich- ten? Es werden Kriege geführt über Ursachen die im gemeinen Leben den Galgen verdienen. Aber wer will richten? [G 204] Der deutsche Gelehrte hält die Bücher zu lange offen, und der Engländer macht sie zu früh zu. Beides hat indessen in der Welt seinen Nutzen. [G 205] Ein gutes Mittel, gesunden Menschenverstand zu erlangen, ist ein beständiges Bestreben nach deutli- chen Begriffen, und zwar nicht bloß aus Beschreibun- gen anderer, sondern so viel möglich durch eigenes Anschauen. Man muß die Sachen oft in der Absicht ansehen, etwas daran zu finden, was andere noch nicht gesehen haben; von jedem Wort muß man sich wenigstens einmal eine Erklärung gemacht haben, und keines brauchen, das man nicht versteht. [G 206] Durch eine strikte Aufmerksamkeit auf seine eige- nen Gedanken und Empfindungen, und durch die stärkstindividualisierende Ausdrückung derselben, durch sorgfältig gewählte Worte, die man gleich nie- derschreibt, kann man in kurzer Zeit einen Vorrat von Bemerkungen erhalten, dessen Nutzen sehr mannich- faltig ist. Wir lernen uns selbst kennen, geben unserm Gedankensystem Festigkeit und Zusammenhang; un- sere Reden in Gesellschaften erhalten eine gewisse Ei- genheit wie die Gesichter, welches bei dem Kenner sehr empfiehlt, und dessen Mangel eine böse Wirkung tut. Man bekommt einen Schatz, der bei künftigen Ausarbeitungen genützt werden kann, formt zugleich seinen Stil, und stärkt den innern Sinn und die Aufmerksamkeit auf alles. Nicht alle Reichen sind es durch Glück geworden, sondern viele durch Spar- samkeit. So kann Aufmerksamkeit, Ökonomie der Ge- danken und Übung den Mangel an Genie ersetzen. [G 207] Man kann nicht leicht über zu vielerlei denken, aber man kann über zu vielerlei lesen. Über je mehre- re Gegenstände ich denke, das heißt, sie mit meinen Erfahrungen und meinem Gedankensystem in Verbin- dung zu bringen suche, desto mehr Kraft gewinne ich. Mit dem Lesen ist es umgekehrt: ich breite mich aus, ohne mich zu stärken. Merke ich bei meinem Denken Lücken, die ich nicht ausfüllen, und Schwierigkeiten, die ich nicht überwinden kann, so muß ich nachschla- gen und lesen. Entweder dieses ist das Mittel, ein brauchbarer Mann zu werden, oder es gibt gar keines. [G 208] O, wenn man die Bücher und die Kollektaneen sähe, aus denen oft die unsterblichen Werke erwach- sen sind - (ich habe die Geständnisse einiger vertrau- ten Schriftsteller für mich, die nicht wenig Aufsehen gemacht haben) - es würde gewiß Tausenden den [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 338 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69434 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 166 ff.)] größten Trost gewähren! Da nun dieses nicht leicht geschehen kann, so muß man lernen durch sich in an- dere hinein sehen. Man muß niemanden für zu groß halten, und mit Überzeugung glauben, daß alle Werke für die Ewigkeit die Frucht des Fleißes und einer an- gestrengten Aufmerksamkeit gewesen sind. [G 209] Laß dich deine Lektüre nicht beherrschen, sondern herrsche über sie. [G 210] Von den jedermann bekannten Büchern muß man nur die allerbesten lesen, und dann lauter solche, die fast niemand kennt, deren Verfasser aber sonst Män- ner von Geist sind. [G 211] Jeden Augenblick des Lebens, er falle, aus welcher Hand des Schicksals er wolle, uns zu, den günstigen, so wie den ungünstigen, zum bestmöglichen zu ma- chen, darin besteht die Kunst des Lebens, und das ei- gentliche Vorrecht eines vernünftigen Wesens. [G 212] Es wäre ein guter Plan, wenn einmal ein Kind ein Buch für einen Alten schriebe, da jetzt alles für Kinder schreibt. Die Sache ist schwer, wenn man nicht aus dem Charakter gehen will. [G 213] Ein Mädchen, 150 Bücher, ein paar Freunde und ein Prospekt von etwa einer deutschen Meile im Durchmesser, war die Welt für ihn. [G 214] Mit wenigen Worten viel sagen heißt nicht, erst einen Aufsatz machen, und dann die Perioden abkür- zen; sondern vielmehr, die Sache erst überdenken, und aus dem Überdachten das Beste so sagen, daß der vernünftige Leser wohl merkt, was man weggelassen hat. Eigentlich heißt es, mit den wenigsten Worten zu erkennen geben, daß man viel gedacht habe. [G 215] Die Rolle des Pajazzo, die allerdings etwas sehr Sonderbares hat, könnte in andern Dingen nachge- ahmt werden. Die Nachahmer Sterne's sind gleichsam die Pajazzi desselben, und so ist Zimmermann Lava- ters Pajazzo. [G 216] Das Ja mit dem Kopfschütteln, und das Nein mit dem Kopfnicken wird einem sehr schwer, bekommt aber doch nachher eine eigene Bedeutung, wenn man es kann. [G 217] Twiss hatte sich mit seiner Tour through Ireland so verhaßt gemacht, daß man sein Portrait auf dem Boden der Nachttöpfe mit offenem Munde und Auge vorstellte mit der Umschrift: Come let us piss On Mr. Twiss. [G 218] Könnte man nicht vierteljährige Kalender heraus- geben, oder gar für jeden Monat einen, mit einer nied- lichen Vignette, Nachrichten und Gedichten, geziert? [G 219] Er hatte den Brief erst mit Oblaten, und oben dar- auf mit Lack gesiegelt, aus einer ähnlichen Absicht, wie Merkur die Grundsätze der Geometrie auf Säulen aus Ton und Erz grub. Denn ward der Brief zu nahe an den Ofen gelegt, so hielt ihn die Oblate zu, und fiel er ins Wasser, das Lack. [G 220] Die meisten Leute halten die Augen zu, wenn sie rasiert werden. Es wäre ein Glück, wenn man die Ohren und andern Sinne so verschließen könnte, wie die Augen. [G 221 ] Wenn man einem vernünftigen Manne einen Hieb geben kann, daß er toll wird, so sehe ich nicht ein, warum man einem tollen nicht einen sollte geben kön- nen, daß er klug wird. [G 222] Wenn eine Geschichte eines Königs nicht ver- brannt worden ist, so mag ich sie nicht lesen. [G 223] Swift ging einmal mit Dr. Sheridan verkleidet auf eine Bettlerhochzeit; letzterer stellte einen blinden Musikanten vor, und Swift war sein Handleiter. Da fanden sie das größte Wohlleben, sie bekamen Geld und Wein im Überfluß. Tags darauf ging Swift auf der Landstraße spazieren, und fand da Blinde, die auf der Hochzeit recht gut gesehen, und Lahme, die recht gut getanzt hatten. Er schenkte ihnen das auf der Hochzeit erworbene Geld, sagte ihnen aber zugleich, wenn er sie noch einmal hier, oder irgendwo in die- sem Gewerbe anträfe, so würde er sie insgesamt ein- stecken lassen; worauf sie alle eiligst davon liefen. - So wurden die Blinden sehend, und die Lahmen ge- hend. [G 224] Als es den Goten und Vandalen einfiel, die große Tour durch Europa in Gesellschaft zu machen, so wurden die Wirtshäuser in Italien so besetzt, daß fast gar nicht unterzukommen gewesen sein soll. Zuweilen klingelten drei, vier auf einmal. [G 225] Daß wir unsere Augen so leicht, und unsere Ohren so schwer verschließen können, wenigstens nicht an- ders, als wenn wir unsere Hände davor bringen, zeigt unwidersprechlich, daß der Himmel mehr für die Er- haltung der Werkzeuge, als für das Vergnügen der Seele gesorgt hat. Doch sind die Ohren noch unsere besten Wächter im Schlafe. Was für eine Wohltat wäre es nicht, die Ohren so leicht verschließen und öffnen zu können, als die Augen! [G 226] Im Deutschen reimt sich Geld auf Welt; es ist kaum möglich, daß es einen vernünftigern Reim gebe; ich biete allen Sprachen Trotz! [G 227] Wenn jemand alle glücklichen Einfälle seines Le- bens dicht zusammen sammelte, so würde ein gutes Werk daraus werden. Jedermann ist wenigstens des Jahrs einmal ein Genie. Die eigentlich so genannten Genies haben nur die guten Einfälle dichter. Man sieht also, wie viel darauf ankommt, alles aufzu- schreiben. [G 228] Es erleichtert die Korrespondenz, wenn man weiß, daß der Korrespondent eine schöne Frau hat. [G 229] Wer eine Wissenschaft noch nicht so inne hat, daß er jeden Verstoß dagegen fühlt, wie einen grammati- kalischen Fehler in seiner Muttersprache, der hat noch viel zu lernen. [G 230] In den Bibelerklärungen kommt mir vieles vor, wie in den Erklärungen der Figuren in der Baumanns- höhle. Man hat da betende Jungfrauen, Taufsteine, Paten, Mönche, Rindszungen, Säulen, Eierstücke, Himmelfahrt Christi, Pauken usw. Man muß aber ge- meiniglich schon wissen, was es sein soll, um es darin zu erkennen. [G 231] Ich habe einmal in einem ökonomischen Schrift- steller folgenden Einfall gelesen, der sehr artig ist, und auch auf menschlichen Umgang angewandt wer- den könnte. Unter allen Vögeln, sagt der Verfasser, scheinen die Sperlinge die größten Vertrauten der Bauern zu sein, und keine Art wird von Bauern so sehr gehaßt als diese. [G 232] Der schwarze Mann der Kinder gehört mit in die Klasse von Erfindungen, worin die Höllenstrafen ste- hen. Es ist, glaube ich, nicht möglich, den Aberglau- ben auszurotten. [G 233] Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wich- tig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht. [G 234] Einer glaubt genauen Umgang mit Kästner gehabt zu haben, und am Ende wars der Waisenhauspräzep- tor Kestner zu Göttingen. [G 235] Warum kann jedermann ohne Vorwurf von Stolz sagen: ich bin ein ehrlicher Mann, aber nicht: ich bin ein Mann von Genie, oder ein witziger Kopf? Ist etwa jenes weniger, oder schimpft das Wort Spitzbube nicht so viel als Dummkopf? Und doch dürfen Rezen- senten es den Leuten nicht allein in das Gesicht sagen, daß sie Dummköpfe sind, sondern es ihnen sogar auch beweisen. [G 236] Es gibt Leute, die das r wie ein w aussprechen, sie sind mir unerträglich. Z.B. Fwiktion, Fwage, Bweite, statt Friktion, Frage, Breite. [G 237] So viel ist ausgemacht, die christliche Religion wird mehr von solchen Leuten verfochten, die ihr Brod von ihr haben, als solchen, die von ihrer Wahr- heit überzeugt sind. Man muß hier nicht auf gedruckte Bücher sehen, das ist das Wenigste, die bekommen Tausende nicht zu lesen, sondern auf die Personen, die täglich an ihrer Aufrechterhaltung schnitzeln und stümpern, und auf Universitäten vom Freitische an dazu erzogen und verzogen werden. [G 238] Es ist doch sonderbar, daß wir so viele Mittel ken- nen, eine Krankheit zu befördern, und so wenige, sie zu heilen. [G 239] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 346 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69442 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 170 ff.)] Den Esel macht seine Ähnlichkeit mit dem Pferde nur desto lächerlicher, aber das Pferd wird nicht lä- cherlich durch den Esel. [G 240] Ein untrügliches Mittel wider das Zahnweh zu er- finden, wodurch es in einem Augenblick gehoben würde, möchte wohl so viel wert sein und mehr, als noch einen Planeten zu entdecken. [G 241] Fußnoten 3In seinem Leben, 2. T. S. 114. 4Man muß sich vorstellen, das Lesen geschehe in einem öffentlichen Blatte, worin sowohl politische, als gelehrte Neuigkeiten, Avertissements von allerlei Art, usw. anzutreffen sind: der Druck jeder Seite sei in zwei oder mehrere Kolumnen geteilt, und man lese die seiten quer durch, aus einer Kolumne in die ande- re. [Aus »Sudelbuch« H] Gegenstände der Satyre in meinem Gedicht: Moden und Trachten, schlechtes Theater, ausländi- sches Recht, Mangel an Ehrerbietung gegen die Alten, Phlegma der Justizpflege, Affektation der Studenten, Kriechen der Professoren vor reichen Studenten, Fres- serei, Zwangsehen, Unehrlichkeit der Kinder außer der Ehe, Mesalliance, Empfndelei Romane, Mondma- nie, geringfügige Ursachen der Kriege, Soldaten, schlechte Heerstraßen, Hazardspiele, Vergessung der ursprünglichen Gleichheit, Titelprunk in den Zeitun- gen, Kanonisationen, Unwissenheit der Klöster, Mön- cherei, ausschließende Rechte des Adels zu höheren Ämtern, Anglomanie in den Gärten, Inquisition, Aberglaube des Pöbels. [H 1] Ja meinen Aberglauben recht auseinander zu set- zen. Z.E. daß, wenn ein frisch angestecktes Licht wie- der ausgeht, ich meine Reise nach Italien daraus beur- teile. Dieses ist ein sehr merkwürdiger Umstand in meinem Leben und in meiner Philosophie. [H 2] In jedem Menschen liegen eine Menge von richtigen Bemerkungen; allein die Kunst ist, sie gehö- rig sagen zu lernen - das ist sehr schwer, wenigstens viel schwerer, als mancher glaubt; und gewiß kom- men alle schlechte Schriftsteller darin mit einander überein, daß sie von allem dem, was in ihnen liegt, nur das sagen, was jedermann sagte, und was daher, um gesagt zu werden, nicht einmal in einem zu liegen braucht. [H 3] Wären nur die Herren Weiber besser, mit den Frau Ehemännern ginge es wohl noch hin. [H 4] Die edle Einfalt in den Werken der Natur hat nur gar zu oft ihren Grund in der edeln Kurzsichtigkeit dessen, der sie beobachtet. [H 5] Dinge, die mich vorzüglich zum Lächeln bringen konnten, waren z.B. die Idee einiger Missionarien, einen ganzen Hof voll Proselyten mit der Feuerspritze zu taufen; und dann, daß einmal ein Schüler die Stelle aus dem Horaz: Pallida mors aequo pulsat pede etc. übersetzte: der Tod mit seinem Pferdefuß. Letzteres fiel mir einmal bei sehr großen Schmerzen ein, und bewirkte ein wiewohl sehr kurzes Aufwallen von Lachen. Wenn ich nicht schlafen konnte, suchte ich oft die Lachen erregende Materie aus solchen Dingen zu scheiden. [H 6] Es hat mich öfters geschmerzt, daß ich seit 20 Jah- ren nicht mehr dreimal in einem Atem genieset, noch mich an das Kümmeleckchen gestoßen habe. [H 7] Ich habe oft des Nachts über einen Einfall lachen müssen, der mir am Tage schlecht oder gar frevelhaft vorkam. [H 8] In Gesellschaft spielte ich zu Zeiten den Atheisten bloß Exercitii gratia. [H 9] Ach Gott! wenn man doch nur in der Welt immer lernen könnte, ohne beobachtet zu werden. Was für ein himmlisches Vergnügen gewährte mir nicht Astro- gnosie in meiner Jugend. Du gerechter Gott! ich kenne keine schönere Zeiten, es sind die vergnügte- sten meines Lebens. Der Neid und die Spötterei ande- rer, die hier und da etwas mehr wissen, ist unerträg- lich. Wie selig lebte ich damals! jetzt, da alles, was ich tue, beobachtet wird; und von manchem, der nicht die Hälfte von mir wert ist, und eine bloß auswendig gelernte Bemerkung meinem ursprünglichen Bestre- ben entgegensetzt, werde ich ausgelacht. Man sollte doch unterscheiden lernen, zwischen dem, was ein Mann selbst gedacht hat, und dem, was einer ab- schreibt. [H 10] Wenn ich einen Nagel einschlage, nur um etwas anzuheften, so denke ich immer, was wird geschehen, ehe ich ihn wieder herausziehe. Es ist gewiß hierin etwas. Ich heftete den Pappdeckel im November an mein Bett an, und ehe ich den Nagel noch herauszog, war mein vortrefflicher Freund Schernhagen in Han- nover, und eines meiner Kinder gestorben, und die italienische Reise zu Wasser geworden. [H 11] Es ist ein großer Unterschied zwischen etwas glau- ben, und das Gegenteil nicht glauben können. Ich kann sehr oft etwas glauben, ohne es beweisen zu können, so wie ich etwas nicht glaube, ohne es wider- legen zu können. Die Seite, die ich nehme, wird nicht durch strikten Beweis, sondern durch das Oberge- wicht bestimmt. [H 12] Es ist mir keine Betrachtung angenehmer, als die, in den poliertesten Zeiten Spuren von Gebräuchen der rohesten Völker aufzusuchen, freilich ebenfalls verfei- nert. (Es ist unmöglich, daß ein Volk lange in einer Gattung seiner Kenntnisse zunehmen soll, ohne in den andern auch mit zuzunehmen, wenigstens nicht ohne Scheiterhaufen.) So wird es einem scharfen Beobach- ter nicht schwer werden, einen subtilen Schamanis- mus (geistliche Taschenspielerei) selbst auf unsern Kanzeln zu finden. Solche Dinge aufzufinden, darf man nur die Reihe aufsuchen, in welcher der Schama- nismus liegt. Alles läßt sich verfeinern, und alles läßt sich vergröbern - ein vortreffliches Erfindungsmittel. [H 13] Was, wie ich glaube, die meisten Deisten schafft, zumal unter Leuten von Geist und Nachdenken, sind die unveränderlichen Gesetze in der Natur. Je mehr man sich mit denselben bekannt macht desto wahr- scheinlicher wird es, daß es nie anders in der Welt hergegangen, als es jetzt darin hergeht, und daß nie Wunder in der Welt geschehen sind, so wenig als jetzt. Daß ganze Zeitalter hintergangen werden, und noch leichter einzelne Menschen, daß man aus tau- sendfachem Interesse etwas glaubt, daß es sogar ein Vergnügen sein kann, etwas zu glauben, was man nicht untersucht hat, das ist gar kein Wunder, das sehen wir täglich; daß aber die Sonne beim Vollmond verfinstert, Wasser in Wein verwandelt wird, und der- gleichen ist unbegreiflich. [H 14] Wer die Geschichte der Philosophie und Naturlehre betrachten will, wird finden, daß die größten Ent- deckungen von Leuten sind gemacht worden, die das für bloß wahrscheinlich hielten, was andere für gewiß ausgegeben haben; also eigentlich von Anhängern der neuern Akademie, die las Mittel zwischen der stren- gen Zuverlässigkeit des Stoikers und der Ungewißheit und Gleichgültigkeit des Skeptikers hielt. Eine solche Philosophie ist um so mehr anzuraten, als wir unsere Meinungen zu der Zeit sammeln, da unser Verstand am schwächsten ist. Dieses letztere verdient in Ab- sicht auf Religion in Betrachtung gezogen zu werden. [H 15] Ich glaube, der sicherste Weg, den Menschen wei- ter zu bringen, wäre, durch die polierte Vernunft des verfeinerten Menschen die blinden Naturgriffe des Barbaren (der zwischen dem Wilden und Feinen in der Mitte steht) mit Philosophie zu verfeinern. Wenn es einmal in der Welt keine Wilden und keine Barba- ren mehr gibt, so ist es um uns geschehen. [H 16] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 354 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69450 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 174 ff.)] Zu den feinsten Ramifikationen unserer Wissen- schaften und Künste liegt irgendwo der Stamm in un- serer Wildheit oder Barbarei (dem Mittelzustand zwi- schen Wildheit und Verfeinerung); diesen aufzusu- chen, wie viel Philosophie erforderte es nicht, aber wie viel Nutzen hätte es auch! [H 17] So wie die Völker sich bessern sich auch ihre Göt- ter; weil man letztern aber nicht gleich alle die menschlichen Eigenschaften nehmen kann, die ihnen rohere Zeiten angedichtet haben, so hält die vernünf- tige Welt manches noch eine Zeit lang für unbegreif- lich, oder erklärt es figürlich. [H 18] Die Herren, die gegen Kants Vorstellung von Raum und Zeit disputieren, kann man billig fragen, was sie denn eigentlich unter ihrer wahren Kenntnis der Gegenstände verstehen, und ob überhaupt eine solche Kenntnis möglich ist. Alles, was ich empfinde, ist mir ja nur durch mich selbst gegeben, und jede Einwirkung eines Dings außer mir ist ja Wahrheit; was wollen wir als Menschen weiter? Es ist ein Radi- kalirrtum aller derer, die gegen diese Kantischen Vor- stellungen disputieren, daß sie dieselben für Idealis- mus, oder gar für einen Betrug des Urhebers der Natur halten, wenn es so wäre. Allein da alle Dinge in der Natur Beziehung auf einander haben was kann re- eller und wahrer sein, als diese Beziehungen? Wenn ich sage: die Körper nehmen einen Raum ein, so sage ich etwas sehr Reelles, weil ich von einer Beziehung auf mich rede. Aber behaupten zu wollen, die Körper objektive nehmen einen Raum ein, ist gerade so un- sinnig, als ihnen eine Farbe, oder gar eine Sprache zu- zuschreiben. - Wenn auch aus allem diesem nichts erhellet, so erhellet doch wenigstens so viel daraus, daß es ein ganz vergebliches Bemühen ist, Herrn Kant widerlegen zu wollen. [H 19] In allen Wissenschaften kann es nützlich sein, Fälle zu supponieren, die nicht, so viel wir wissen, in der Natur stattfinden, so wie die Mathematiker andere Gesetze der Schwere. Es ist immer eine Übung und kann zuweilen auf Bemerkungen führen. [H 20] Ich wollte, daß ich mich alles entwöhnen könnte, daß ich von neuem sehen, von neuem hören, von neuem fühlen könnte. Die Gewohnheit verdirbt unse- re Philosophie. [H 21] Man kann auf so vielerlei Weise Gutes tun, als man sündigen kann, nämlich mit Gedanken, Worten und Werken. [H 22] Wo damals die Grenzen der Wissenschaft waren, da ist jetzt die Mitte. [H 23] Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten mäßig entstellt. [H 24] Wir müssen glauben, daß alles eine Ursache habe, so wie die Spinne ihr Netz spinnt, um Fliegen zu fan- gen. Sie tut dieses, ehe sie weiß, daß es Fliegen in der Welt gibt. [H 25] Das eigentlich Christliche in unserer Religion ist die Seele aller Religion, das übrige ist Körper. Vom schönsten Griechen bis zum Neger ist alles Men- schen-Race. [H 26] Es gibt Wahrheiten, die so ziemlich herausgeputzt einhergehen, daß man sie für Lügen halten sollte, und die nichts desto weniger reine Wahrheiten sind. [H 27] Merkwürdig war es, daß, als ich in der Nacht vom 23. auf den 24. Oktober so viel von Paul Jones träum- te, ich ihn unter zwei verschiedenen Gestalten sah. Einmal, da er aussah wie der Schinder von G..., und einmal, wie ein großer, starker holländischer Schiffer. Diese Träume haben mir allerlei Ideen, die in meiner Seele schliefen, entwickelt. Die Unerschrockenheit hatte ich von dem Schinder geborgt, der eine der rohe- sten und verwegensten Physiognomien hat, die ich kenne. Es ist ein merkwürdiger Zustand der Seele, da man sich einen Mann unter zweien oder auch mehre- ren vorstellt, je nachdem sich Bilder mit den Eigen- schaften assoziiert haben. [H 28] Wenn uns von einer Gesellschaft von Leuten träumt, wie sehr in ihrem Charakter lassen wir sie nicht reden! warum gelingt uns das nicht eben so, wenn wir schreiben? [H 29] Vieles Lesen macht stolz und pedantisch; viel sehen macht weise, verträglich und nützlich. Der Leser baut eine einzige Idee zu sehr aus; der andere (der Weltseher) nimmt von allen Ständen etwas an, modelliert sich nach allen, sieht, wie wenig man sich in der Welt um den abstrakten Gelehrten bekümmert, und wird ein Weltbürger. [H 30] Wer in sich selbst verliebt ist, hat wenigstens bei seiner Liebe den Vorteil, daß er nicht viele Neben- buhler erhalten wird. [H 31] Der Mensch kann gehen, pfeifen, oder auch Hun- dert zählen und noch an etwas anderes zugleich den- ken, und, was das Merkwürdigste ist, ohne von allen dreien etwas zu wissen, da doch jedes ganz eigne Re- geln und Vorsicht erfordert. [H 32] Ein eingebildetes Unvermögen kann bei furchtsa- men Personen lange die Rolle eines wirklichen spie- len, in Werken des Kopfs sowohl wie des Leibes. [H 33] Weil die Menschen sehr geneigt zum Aufschieben und zur Langsamkeit sind, und gemeiniglich das, was um 5 Uhr des Morgens vor sich gehen soll, erst um 6 Uhr geschieht, so kann man sicher darauf rechnen, daß man die Oberhand in einer Sache behält, wenn man alles ohne den geringsten Verzug unternimmt. [H 34] Alle Tugend aus Vorsatz taugt nicht viel. Gefühl oder Gewohnheit ist das Ding. [H 35] Man soll niemanden in seiner Profession lächerlich machen, er kann dadurch unglücklich werden. [H 36] Es ist sonderbar, daß diejenigen Leute, die das Geld am liebsten haben und am besten zu Rate halten, gerne im Diminutivo davon sprechen. »Da kann ich doch meine 600 Tälerchen dabei verdienen« - »ein hübsches Sümmchen!« - Wer so sagt, schenkt nicht leicht ein halbes Tälerchen weg. [H 37] Manche Menschen äußern schon eine Gabe, sich dumm zu stellen, ehe sie klug sind; die Mädchen haben diese Gabe sehr oft. [H 38] Die Dienstmädchen küssen die Kinder und schüt- teln sie mit Heftigkeit, wenn sie von einer Mannsperson beobachtet werden; hingegen präsentie- ren sie sie in der Stille, wenn Frauenzimmer auf sie sehen. [H 39] Ich habe das schon mehr bemerkt, die Leute von Profession wissen oft das Beste nicht. [H 40] Der Mensch ist der größten Werke alsdann fähig, wenn seine Geisteskräfte schon wieder abnehmen, so wie es im Julius und um 2 Uhr des Nachmittags, da die Sonne schon wieder zurückweicht und sinkt, hei- ßer ist, als im Junius und um 12 Uhr. [H 41] Jeder Mensch hat seinen individuellen Aberglau- ben, der ihn bald im Scherz, bald im Ernst leitet. Ich bin auf eine lächerliche Weise öfters sein Spiel, oder vielmehr ich spiele mit ihm. Die positiven Religionen sind feine Benutzungen jenes Hanges im Menschen. Die Menschen haben alle etwas davon, wenn sie nicht deutlich denken, und es ist gewiß noch nie ein so voll- kommener Deist gewesen, als er im Compendio steht; das ist unmöglich. [H 42] Der Mensch, der sich vieles Glücks und seiner Schwäche bewußt ist, wird abergläubisch, flüchtet zum Gebet, und dergleichen mehr. [H 43] Es ist zum Erstaunen, wie weit ein gesunder Men- schenverstand reicht. Es ist auch hier, wie im gemei- nen Leben, der gemeine Mann geht hin, wohin der Vornehme mit Sechsen fährt. [H 44] Jeder gute Kopf ist ein mathematischer Wilder, der sich sein Boot mit kümmerlichen Werkzeugen baut, aber in vielen schweren Fällen, durch individuelle Ge- schicklichkeit und Übung, oft Dinge ausrichtet, die jener nicht ausrichten kann. [H 45] Über die Erziehung soll man nicht raisonnieren, sondern erst Erfahrungen sammeln, welche Nation die größten, aktivsten Leute hervorgebracht hat, nicht die größten Kompilatoren und Bücherschreiber, sondern die standhaftesten, die großmütigsten, in Künsten ge- schicktesten usw. - Das möchte doch wohl die engli- sche sein. [H 46] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 362 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69458 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 180 ff.)] Die Könige glauben oft, das was ihre Generale und Admirale tun, sei Patriotismus und Eifer für ihre eigne Ehre. Öfters ist die ganze Triebfeder großer Taten ein Mädchen, welches die Zeitung liest. [H 47] Ja einmal recht gründlich zu untersuchen, warum das Blühen ohne Früchte zu tragen so sehr gemein ist, nicht bloß an den Obstbäumen. Bei unsern gelehrten Kindern ist es eben so: sie blühen vortrefflich, und tragen keine Früchte. [H 48] Vielleicht ist noch nie ein Vater gewesen, der nicht irgend einmal sein Kind für etwas ganz Originelles gehalten hat. Doch glaube ich, sind die gelehrten Väter diesem zärtlichen Irrtum mehr ausgesetzt, als irgend eine andere Klasse von Vätern. [H 49] Wenn man nur die Kinder dahin erziehen könnte, daß ihnen alles Undeutliche völlig unverständlich wäre. [H 50] Ich bin überzeugt, daß die vermeinte Gründlichkeit beim Vortrage der Anfangsgründe sehr schadet. Es ist gar nicht nötig, daß ein Lehrer dem Anfänger die Sache gründlich vorträgt, aber der Lehrer der diesen Vortrag wählt, muß sie grünlich verstehen; alsdann ist gewiß für den Anfänger gesorgt. [H 51] Die Lüftung der Nation kommt mir zur Aufklärung derselben unumgänglich nötig vor. Denn was sind die Menschen anders als alte Kleider? Der Wind muß durchstreichen. Es kann sich jedermann die Sache vorstellen, wie er will; allein ich stelle mir jeden Staat wie einen Kleiderschrank vor, und die Menschen als die Kleider desselben. Die Potentaten sind die Herren, die sie tragen, und zuweilen bürsten und ausklopfen, und wenn sie sie abgetragen haben, die Tressen aus- brennen und das Zeug wegschmeißen. Aber die Lüf- tung fehlt; ich meine, daß man sie auf den Boden hängt. Wenn der Kaiser einmal seine ungarischen Schafe auf den Sand in der Mark triebe, und der König von Preußen die seinigen in Ungarn weiden ließe, was würde da nicht die Welt gewinnen! [H 52] Wenn man auf einer entfernten Insel einmal ein Volk anträfe, bei dem alle Häuser mit scharf gelade- nem Gewehr behängt wären und man beständig des Nachts Wache hielte, was würde ein Reisender anders denken können, als daß die ganze Insel von Räubern bewohnt wäre? Ist es aber mit den europäischen Rei- chen anders? Man sieht hieraus, von wie wenigem Einfluß die Religion überhaupt auf Menschen ist, die sonst kein Gesetz über sich erkennen, oder wenig- stens, wie weit wir noch von einer wahren Religion entfernt sind. Daß die Religion selbst Kriege veran- laßt hat, ist abscheulich, und die Erfinder der Systeme werden gewiß dafür büßen müssen. Wenn die Großen und ihre Minister wahre Religion, und die Untertanen vernünftige Gesetze und ein System hätten, so wäre allen geholfen. [H 53] Es ist sehr gut, die von andern hundertmal gelese- nen Bücher immer noch einmal zu lesen, denn ob- gleich das Objekt einerlei bleibt, so ist doch das Sub- jekt verschieden. [H 54] Das Stümpern in höhern Wissenschaften ist, wenn es mit einigem Witz und einer gewissen Duplizität des Ausdrucks geschieht, das, was niedere Klassen für hohe Weisheit halten; der Mann, der von dem Fache ist, worin hier gestümpert wird, lächelt über die Torheit. H. in seinen I.z.G.d.M. ist ein Stümper an vielen Stellen. [H 55] Wie man alte Bücher studiert, in der Absicht Wahrheit zu suchen, so kann man wohl zuweilen eine Ausbeute erhalten, die andern entgangen ist, allein man riskiert auch zuweilen, die beste Zeit seines Le- bens zu verkuxen. [H 56] Zimmermanns Buch, und auch viele Menschen, die nur die Formen der Philosophie haben, gleichen einem Gebäude mit gemalten Fenstern; man glaubt Wunder was sie für licht hätten, sie sind aber dessen- ungeachtet sehr dunkel; oder gegen ein Fenster, das ein bißchen Licht ins Haus bringt, sind allemal zehn gemalte. [H 57] Es gibt wenige Gelehrte, die nicht Einmal gedacht haben, sich reich zu schreiben. Das Glück ist nur we- nigen beschieden. Unter den Büchern, die geschrieben werden, machen wenige ihr Glück, wenn sie leben bleiben; und die meisten werden tod geboren. [H 58] Kurzsichtig sein und weit sehen werden im meta- phorischen Verstande von Geistesgaben falsch gebraucht. Ein Kurzsichtiger heißt da ein Blinder; es ist aber klar, daß Kurzsichtige auch Dinge sehen, die andere Leute nicht sehen. [H 59] Der Teufel ist wohl heutzutage, in unseren aufge- klärten Zeiten, ein recht armer Teufel. Woher mag überhaupt die Redensart: armer Teufel kommen? Sie findet sich auch in anderen Sprachen: poor devil, pau- vre diable. [H 60] Daß die Verwechselung von lehren und lernen, die bei uns, zumal in der Sprache des Umgangs gemeiner ist, als man denken sollte, von etwas Tieferm her- rührt, als bloß von der Ähnlichkeit des Lautes, kann man daraus abnehmen, daß die Schottländer häufig to learn mit to teach verwechseln, die doch nicht ver- schiedener klingen können. Hingegen verwechselt der Engländer häufig to lie liegen, und to lay legen, wel- ches auch der unstudierteste Deutsche nicht tut, da doch die Ähnlichkeit des Lauts und der Relation in den Begriffen, die sie ausdrücken, bei beiden gleich groß ist. Wer liegt, der hat sich gelegt; und wer sich lehrt, der lernt; oder, wer gelegt wird, liegt, und wer gelehrt wird, lernt. [H 61] Ich glaube, es könnte einer Sprache gar nicht scha- den, wenn man viele Latinismen und Gräzismen über- trüge. So würden gewiß die Alten wenigstens ver- ständlich werden. In meinen Schuljahren, wo das Wort populär noch nicht so Mode war wie jetzt, glaubten wir, es hieße pöbelhaft oder so etwas. [H 62] Aufschieben heißt, seinem Gehirne eine größere Extension geben. [H 63] So wie es vielsilbige Wörter gibt, die sehr wenig sagen, so gibt es auch einsilbige von unendlicher Be- deutung. [H 64] Es ist ein großer Rednerkunstgriff, die Leute zu- weilen bloß zu überreden, wo man sie überzeugen könnte; sie halten sich alsdann oft da für überzeugt, wo man sie bloß überreden kann. [H 65] Mir ist nichts abgeschmackter in unsern Schauspie- len, als die wohlgesetzten Reden, die auf den Knien gehalten werden. Man wird nach und nach auch so sehr daran gewöhnt, daß es nicht viel größern Eindruck macht, jemanden auf den Knien zu sehen, als wenn er die Arme kreuzt. Wenn mich mein eige- nes Gefühl nicht betrügt, so kniet man nicht leicht vor einem Menschen, und nicht eher als bis die Sprache zu fallen anfängt. Wer mit seinem Knien so fertig ist, und seine Beteuerungen so regelmäßig hersagt, der ist ohne Zweifel ein Betrüger. Ich fordere die Herzen aller derjenigen auf, die irgend einmal in der Welt einen Menschen vor einem Menschen aus Affekt haben knien sehen, oder selbst einmal gekniet haben; und frage, ob es billig ist, mit diesem größten und ehrwürdigsten Zeichen des innersten Affekts, das die menschliche Natur hat, jede kleine vorübergehende Wallung des Bluts zu bezeichnen? Ich habe ein einzi- gesmal einen Mann im Ernst knien sehen, und als er hinfiel, so war es mir, als entginge mir der Atem. [H 66] Eine Stockhausscene sollte sich vortrefflich auf dem Theater ausnehmen. Es müßten da die Spitzbu- ben über Freiheit und Ehrlichkeit mit einander dispu- tieren. [H 67] Sich erst eine Absicht zu wählen und einen End- zweck festzusetzen und dann alles, auch sogar das Geringste in der Welt dieser Absicht unterwürfig zu machen, ist der Charakter des vernünftigen und gro- ßen Mannes und großen Schriftstellers. In einem Werk muß jede tiefsinnige Bemerkung, so gut wie jeder Scherz dazu dienen, die Hauptabsicht sicher zu erhalten. Auch wenn der Leser vergnügt werden soll, vergnüge man ihn so, daß die Hauptabsicht dadurch erreicht wird. [H 68] Die feinste Satyre ist unstreitig die, deren Spott mit so weniger Bosheit und so vieler Überzeugung ver- bunden ist, daß er selbst diejenigen zum Lächeln nö- tigt, die er trifft. So sprach Lord Chesterfield im Oberhause. Dr. Maty sagt von diesem großen Redner: »He reasoned best, when he appeared not witty; and while he gained the affections of his hearers, he turned the laugh on his opposers, and often forced them to join in it.« [H 69] Es ist eine sehr schöne Bemerkung von Priestley, daß der bilderreichste Stil eben so natürlich ist, als der einfachste, der nur die gemeinsten Worte ge- braucht; denn wenn die Seele in der gehörigen Lage ist, so kommen jene Bilder ihr eben so natürlich vor, als diese simpeln Ausdrücke. [H 70] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 370 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69466 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 184 ff.)] Ein guter Charakter für eine Komödie oder einen Roman ist der, der alles zu fein versteht, weil er kein gutes Gewissen hat, und alles deutet und zu seinem Schaden nutzt. [H 71] Ein guter Schriftsteller hat nicht allein Witz nötig, die Ähnlichkeiten auszufinden, wodurch er seinem Ausdruck Anmut verschaffen kann, sondern auch die zu vermeiden, die dem Leser zum gänzlichen Verder- ben desselben einfallen können. Zu oft ist nicht so- wohl das, was der Autor sagt, dem Eindruck, den er machen will, nachteilig, als das, was dem Leser, des- sen Gedanken minder ängstlich fortgehen, dabei ein- fällt, und woran er selbst nicht gedacht hat. [H 72] Bei einem Roman sollte hauptsächlich darauf gese- hen werden, die Irrtümer sowohl, als die Betrügerei- en aller Stände und aller menschlichen Alter zu zei- gen. Hierbei könnte sehr viel Menschenkenntnis ange- bracht werden. [H 73] Nichts erweckt die Neugierde der Jugend mehr, als Fragmente nützlicher Kenntnisse in angenehme Ge- dichte eingewebt. Thomsons Jahrszeiten sind ein Meisterstück hierin, und haben wohl in manchem Engländer die Liebe zur Natur erweckt. [H 74] Wer, wie Boileau, den zweiten Vers zuerst macht, und ihm alle mögliche Geschwindigkeit und Fluß er- teilt, wird gefunden haben, wie schwer es ist, dem er- sten solche Füße zu geben, daß er nachkommen kann. Doch ist es immer besser, als dem ersten eine Ge- schwindigkeit zu geben, womit er den zweiten über den Haufen rennt, und beide zusammen stürzen. [H 75] Es wäre eine rührende Situation, jemanden vorzu- stellen, der des Nachts plötzlich blind würde, und glaubte, die Nacht dauerte fort. Er nimmt sein Feuer- zeug und schlägt, und kann keine Funken herausbrin- gen, und dergleichen mehr. [H 76] Der wahre Witz weiß ganz von der Sache entfernte Dinge so zu seinem Vorteil zu nutzen, daß der Leser denken muß, der Schriftsteller habe sich nicht nach der Sache, sondern die Sache nach ihm gerichtet. [H 77] [Aus »Sudelbuch« J] Ich habe öfters gesehen, daß sich wo die Schweine weiden, Krähen auf sie setzen, und achtgeben, wenn sie einen Wurm aufwühlen herabfliegen und ihn holen, alsdann sich wieder an ihre alte Stelle setzen. Ein herrliches Sinnbild von dem Kompilator, der auf- wühlt, und dem schlauen Schriftsteller der es ohne viele Mühe zu seinem Vorteil verwendet. [J 3] Bei dem studio der Mathematik kann wohl nichts stärkeren Trost bei Unverständlichkeiten gewähren, als daß es sehr viel schwerer ist eines andern Medi- tata zu verstehen, als selbst zu meditieren. [J 9] Mutter unser die du bist im Himmel. [J 12] Die Haare stehen einem zu Berge, wenn man be- denkt: was für Zeit und Mühe auf die Erklärung der Bibel gewendet worden ist. Wahrscheinlich ein Milli- on Oktav-Bände jeder so stark als einer der allg[emei- nen]. d[eutschen]. Biblioth. Und was wird am Ende der Preis dieser Bemühungen nach Jahrhunderten oder -tausenden sein? Gewiß kein anderer als der: die Bibel ist ein Buch von Menschen geschrieben, wie alle Bücher. Von Menschen die etwas anderes waren als wir, weil sie in etwas andern Zeiten lebten; etwas simpler in manchen Stücken waren als wie wir, dafür aber auch sehr viel unwissender; daß sie also ein Buch sei worin manches Wahre und manches Falsche, manches Gute und manches Schlechte enthalten ist. Je mehr eine Erklärung die Bibel zu einem ganz ge- wöhnlichen Buche macht, desto besser ist sie, alles das würde auch schon längst geschehen sein, wenn nicht unsere Erziehung, unsere unbändige Leichtgläu- bigkeit und die gegenwärtige Lage der Sache entge- gen wären. [J 17] In einer Beilage zum Freimüthigen (einer sehr guten katholischen periodischen Schrift) wird ein Ge- danke, den ich selbst öfters gehabt habe sehr gut aus- gedrückt: Nämlich der Mann sagt: ich bin biblisch- -katholischer Christ und kein römisch-katholischer Glaubenssklave. Ihr tadelt mich, daß ich meiner Ver- nunft folge, folgt ihr denn etwas anderm? Nein, Ihr folgt Eurer Vernunft, weil sie euch lehrt, daß ihr euch der Meinung der Kirche blindlings unterwerfen sollt, und ich folge der meinigen, weil sie mich lehrt, daß ich alles, wie der Apostel, prüfen und das Beste behalten soll. Ihr haltet mich für unweise, weil ich meiner Vernunft folge, und ich euch nicht für klüger weil ihr der Eurigen so folgt. [J 18] Zu Aufweckung des in jedem Menschen schlafen- den Systems ist das Schreiben vortrefflich, und jeder der je geschrieben hat, wird gefunden haben, daß Schreiben immer etwas erweckt was man vorher nicht deutlich erkannte, ob es gleich in uns lag. [J 19] Man soll alle Menschen gewöhnen von Kindheit an in große Bücher zu schreiben, alle ihre Exercitia, in hartes Schweinsleder gebunden. Da sich kein Gesetz daraus machen läßt, so muß man Eltern darum bitten, wenigstens mit Kindern, die zum Studieren bestimmt sind. Wenn man jetzt Newtons Schreibbücher hätte! Wenn ich einen Sohn hätte, so müßte er gar kein Pa- pier unter Händen bekommen, als eingebundenes, zer- risse er es, oder besudelte er es, so würde ich mit vä- terlicher Dinte dabei schreiben: dieses hat mein Sohn anno * den *ten besudelt. Man läßt den Körper und Seele, das Punctum saliens der Maschine fortwachsen und verschweigt und vergißt es. Die Schönheit wan- delt auf den Straßen, warum sollten nicht in dem Fa- milien-Archiv die Produkte, oder vielmehr die Signaturen der Fortschritte des Geistes hinterlegt blei- ben, und der Wachstum dort eben so sichtbar aufbe- wahrt liegen können? Der Rand müßte gebrochen werden, und auf einer Seite immer die Umstände und zwar sehr unparteiisch geschrieben werden. Was für ein Vergnügen würde es mir sein, jetzt meine Schreib- bücher alle zu übersehen! Seine eigne Naturgeschich- te! Man sieht jetzt immer was man ist und sehr schwach was man war. Man müßte den eigentlichen Gegenstand der Sammlung die Dinge nicht zu oft sehen lassen. Vielleicht nur erst spät sehen lassen, das übrige müßte er bloß aus Relationen kennen. Man hebt die Kinderhäubchen auf, und ich habe öfters selbst den Zusammenkünften mit beigewohnt, da man einem sehr großen, besoldeten und ansehnlichen Kopf sein Kinderhäubchen wies. Warum nicht eben so mit Werken des Geistes. Die Eltern könnten eine solche Sammlung von Bänden eben so aufbewahren, wie ihr Kind, denn es ist der Spiegel desselben. Wie sie sei- nen Leib zu bilden haben lehrt sie ihr Auge; wie sei- nen Geist, der Anblick dieser Bände. Vom 4ten Jahre glaube ich könnte man anfangen. Kein Band müßte verloren werden. Denn das Papier müssen sie doch bezahlen, und das Aufbehalten macht keine Schwie- rigkeiten. Ich wüßte nicht welches angenehmer und nützlicher wäre, die Bewegung aller Planeten zu ken- nen, oder diese Annalen einiger vorzüglicher Menschen. Die Welt würde dadurch sehr gewinnen. [J 26] Die Kantische Philosophie mag ein Reich aufrich- ten was für eines sie will, so wird sie doch, wenn sie nicht zu alten, bekannten Lappereien herabsinken will, zugeben müssen, daß unseren Vorstellungen etwas in der Welt korrespondiert. [J 28] Wenn bei kleinen Personen alles Innere stark und gut ist, so sind sie gewöhnlich lebhafter als andere Menschen, weil bei gleicher Bluterzeugung weniger Masse zu versorgen ist. Zwerge und Riesen sind ge- meiniglich gleich dumm, weil bei erstern die Kräfte fehlen, und bei letzteren zu viel zu bestreiten ist. Viel- leicht kömmt es noch dahin, daß man die Menschen verstümmelt, so wie die Bäume, um desto bessere Früchte des Geistes zu tragen. Das Kastrieren zum Singen gehört schon hieher. Die Frage ist ob sich nicht Maler und Poeten eben so schneiden ließen. [J 41] Es ist freilich nötig, daß, wenn die nützliche, arbei- tende Volksklasse erhoben werden soll in Kenntnis- sen, die höhere sehr viel weiter sein muß um sie nach- zuschleppen. Allein dieses sehr viel weiter ist relativ. Wenn unsere Gelehrten so fortarbeiten, so werden sie sich immer mehr von der gemeinen Menschen-Klasse entfernen, und der Eifer, jene nach sich zu ziehn, wird immer größer, aber auch die Verachtung größer wer- den, womit man jene Menschen ansieht. Der Katho- like ist in dieser Rücksicht billiger als wir, er gibt das nach, was wir verlangen, daß der Niedrigere zugeben soll. Er segelt langsamer um die schlechten Segler bei sich zu behalten, wir mit vollen Segeln, und hoffen, was kaum zu erwarten ist, daß uns die Kleinen nach- kommen sollen. [J 43] Ob ich gleich weiß, daß sehr viele Rezensenten die Bücher nicht lesen die sie so musterhaft rezensieren, so sehe ich doch nicht ein was es schaden kann, wenn man das Buch lieset, das man rezensieren soll. [J 46] Ich habe einmal, wo ich nicht irre in Rousseau's Emil gelesen, daß ein Mann der täglich mit der Sonne aufstund und mit Untergang derselben zu Bette ging, über 100 Jahr alt geworden sein soll. Ich glaube aber, wo man eine solche Ordnung in einem Manne antrifft, da sind auch mehrere zu vermuten, und diese mögen dann die Ursache des Alters gewesen sein. [J 49] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 378 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69474 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 188 ff.)] Befehl kein merkwürdiges Buch ohne den vollstän- digsten Index zu drucken, könnte sehr nützlich sein. [J 50] Der schwächste aller Menschen ist der Wollüstling, der nach dem Leibe sowohl als der nach dem Geist, ich meine der Hurer und der Betbruder, der der mit Mädchen und der mit Religion hurt. Gott bewahre alle Menschen vor einem so hurenden Könige und Mini- ster. Und Gott behüte einen solchen König und Mini- ster vor vernünftigen Untertanen. [J 59] Die Träume können dazu nützen, daß sie das unbe- fangene Resultat, ohne den Zwang der oft erkünstel- ten Überlegung, von unserm ganzen Wesen darstel- len. Dieser Gedanke verdient sehr beherzigt zu wer- den. [J 72] Ein Schullehrer und Professor kann keine Individu- en erziehn, er erzieht bloß Gattungen. Ein Gedanke, der sehr viele Beherzigung und Auseinandersetzung verdient. [J 73] Ich glaube, daß der Instinkt im Menschen dem geschlossenen Räsonnement vorgreift, und daß daher manches von minder gelehrten, aber dabei gnauen Empfindern offenbart sein mag, was das geschlossene Räsonnement noch bis jetzt nicht erreichen und ver- folgen kann. Es erzeugt sich tierische Wärme, und wird erzeugt wer den, ohne daß man noch gnau im Stande ist zu erklären, woher sie komme. Dahin rech- ne ich die Lehre über die Unsterblichkeit der Seele. Es wird nach unserm Leben so sein wie es vor dem- selben war, dieses ist ein triebmäßiger, instinktmäßi- ger Vorgriff vor allen Räsonnement. Man kann es noch nicht beweisen, aber für mich hat [es], zusam- mengenommen mit andern Umständen, Ohnmachten, Betäubungen, eine unwiderstehliche Gewalt, und hat es auch vermutlich für eine Menge von Menschen, die es nicht gestehen wollen. Kein einziges Räsonnement hat mich noch vom Gegenteil überzeugt. Meine Mei- nung ist Natur, jenes ist Kunst, deren Resultat alles so sehr und stark widerspricht, als nur etwas widerspre- chen kann. [J 78] Verhunzdeutschen. Er hat es verhunzdeutscht. [J 91] Ich habe mich nach dem Strom der Gesinnungen gerichtet, und zweierlei gesucht, entweder reich oder ein Betbruder zu werden, es ist mir aber keines ge- glückt. [J 98] Es ist eine schöne Ehre die die Frauenzimmer haben, die einen halben Zoll vom Arsch abliegt! [J 100] Der gemeine Mann hält bei seinem Kirchengehen und Bibellesen die Mittel für Zweck. NB. ein sehr ge- wöhnlicher Irrtum. [J 102] Das Höchste wozu sich ein schwacher Kopf von Erfahrung erheben kann, ist die Fertigkeit die Schwä- chen besserer Menschen auszufinden. [J 109] Das Huren-Lied Salomonis. [J 110] Die Katholiken verbrannten ehmals die Juden, und bedachten nicht, daß des lieben Gottes Mutter von der Nation war, und bedenken noch jetzt nicht, daß sie eine Jüdin anbeten. [J 111] Das heißt die Hand auf den Mund legen und her- nach ein wenig durch die Finger plaudern. [J 119] Ich vergesse das meiste was ich gelesen habe, so wie das, was ich gegessen habe, ich weiß aber so viel, beides trägt nichts desto weniger zu Erhaltung meines Geistes und meines Leibes bei. (besser) [J 133] Ein kanadischer Wilder, dem man alle Herrlichkeit von Paris gezeigt hatte, wurde am Ende gefragt was ihm am besten gefallen hätte. Die Metzger-Läden, sagte er. [J 139] Jacobi über die Lehre des Spinoza Vorrede. XVII. Lessing sagt: Es gibt keine andere Philosophie, als die des Spinoza. ibid. Der bündige Determinist unterscheidet sich nicht vom Fata listen. Jacobi. XXI. Herrn Jacobis Schriften über Idealismus und Realismus und Briefe an Mendelssohn führen darauf hinaus, daß wir von dem Wesen aller Wesen nichts begreifen, und seine Natur, wenn wir sie erforschen wollen nach unserer Vorstellungs-Art sogar unmög- lich finden müssen. Beide aber lehren zugleich den Glauben an dieses unbegreifliche Wesen pp (also bloß unbegreiflich? Der Glaube ist hier etwas gar Elendes. Was ist glau- ben? Wir müssen freilich glauben). Jacobi hält für den ganzen Geist des Spinozismus das a nihilo nihil fit. (Ich sehe auch nicht ein, wie wir daraus, daß alles in dem Phänomen seine Ursache hat, erweisen wollen, daß das Ganze eine Ursache außer sich habe, wenn man nicht vorher erwiesen hat, daß man sich jener ersten Ursache nähere, so wie etwa bei Ausdrücken für Irrationalzahlen, das ist aber unmög- lich zu erweisen. pm) [J 144] Warum hat Gott so viel Angenehmes in das Dop- pelte gelegt. Mann und Frau, das Zwei verdient Auf- merksamkeit. Ist es vielleicht mit Leib und Seele eben so? [J 153] Es ist wohl ausgemacht, daß nächst dem Wasser, das Leben das Beste ist was der Mensch hat. [J 154] Er hatte sich in den lieben Gott verliebt. [J 158] Das Donnerwetter sah so fürchterlich im Anzuge aus, daß einige Leute behaupteten sie hätten würklich Cherubims-Köpfe und Posaunen heraus gucken sehen. [J 160] Ein Not- und Hülfs-Büchlein für Schriftsteller könnte gut werden. [J 161] Die weißen Federn der Damen sind weiße Fahnen die sie aufstecken zum Zeichen der Kapitulation. [J 162] Bei unserer elenden Erziehung, wo wir in der zwei- ten Hälfte des Lebens wieder vergessen müssen, was wir in der ersten gelernt haben, erfordert also Simpel- -Schreiben Anstrengung, und daher glaubt man end- lich alles was Anstrengung erfordert sei simpel und gut. [J 163] Was man so sehr prächtig Sonnenstäubchen nennt sind doch eigentlich Dreckstäubchen. [J 164] Seine Bücher waren alle sehr nett, sie hatten auch sonst wenig zu tun. [J 170] Wenn ich im Traum mit jemanden disputiere und der mich widerlegt und belehrt, so bin ich es der sich selbst belehrt, also nachdenkt. Dieses Nachdenken wird also unter der Form von Gespräch angeschaut. Können wir [uns] also wundern, wenn die frühen Völ- ker das was sie bei der Schlange denken (wie Eva) ausdrücken durch: die Schlange sprach zu mir. Der Herr sprach zu mir. Mein Geist sprach zu mir. Da wir eigentlich nicht gnau wissen wo wir denken, so kön- nen wir den Gedanken hin versetzen, wo wir wollen. So wie man sprechen kann, daß man glaubt es komme von einem Dritten, so kann [man] auch so denken, daß es läßt, als würde es uns gesagt: Genius Sokratis pp. Wie erstaunend vieles ließe sich nicht durch die Träume noch entwickeln. [J 171] Es wäre ein denkendes Wesen möglich dem das Zukünftige leichter zu sehen wäre als das Vergan- gene. Bei den Trieben der Insekten ist schon manches, das uns glauben machen muß, daß sie mehr durch das Künftige, als das Vergangene geleitet werden. Hätten die Tiere eben so viel Erinnerung des Vergangenen als Vorgefühl vom Künftigen, so wäre uns manches Insekt überlegen, so aber scheint die Stärke des Vor- gefühls immer in umgekehrter Verhältnis mit der Er- innerung an das Vergangene zu stehen. [J 178] Der Deutsche holt bei Beschreibung psychologi- scher Dinge vieles vom Fallen, es fällt mir ein, es ist mir entfallen, es ist mir aufgefallen. Zufall, casus accidit. Beifall. [J 180] Der Mann machte sehr viel Wind. B. O nein! wenn es noch Wind gewesen wäre, es war aber mehr ein wehendes Vakuum. [J 181] Bei dem ist Hopfen und Malz verloren. B. Das setzt voraus, daß es mit ihm auf Bier angelegt gewe- sen wäre. Das ist es aber nicht. Es war alles Wasser- suppe. [J 182] Wir wohnen zu Göttingen in Scheiterhaufen, die mit Türen und Fenstern versehen sind. [J 183] Das Buch muß erst ausgedroschen werden. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 386 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69482 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 660 ff.)] [J 185] Es gibt in Rücksicht auf den Körper gewiß wo nicht mehr doch eben so viele Kranke in der Einbil- dung als würklich Kranke, in Rücksicht auf den Ver- stand eben so viel, wo nicht sehr viel mehr Gesunde in der Einbildung als würklich Gesunde. [J 193] Wenn sie auf dem Leihhause Menschen annähmen, so möchte ich wohl wissen wie viel ich auf mich ge- borgt bekäme. So sind die Schuldtürme eigentlich Leihhäuser, in welchen man nicht sowohl auf Meu- beln, als auf die Besitzer selbst Geld leiht. [J 208] Er hieß dieses: mit stilltätiger Gedult abwarten. Dieses ist eine große Regel. Die Menschen ändern sich von selbst, wenn man sie nicht ausdrücklich än- dern will, sondern ihnen nur unmerklich die Gelegen- heit macht zu sehen und zu hören. Viele Unterneh- mungen mißlingen bloß, weil man die Früchte davon noch gerne erleben wollte. [J 218] Was eigentlich den Schriftsteller für den Menschen ausmacht ist beständig zu sagen, was vorzüglichste Menschen, oder überhaupt der größte Teil denkt oder fühlt ohne es zu wissen, die Mittelmäßigen sagen nur, was jeder würde gesagt haben. Hierin besteht ein gro- ßer Vorteil zumal der dramatischen und Romanen- -Dichter. [J 222] Wenn auch das Gehen auf 2 Beinen dem Menschen nicht natürlich ist, so ist es doch gewiß eine Erfin- dung, die ihm Ehre macht. [J 226] Man erleichtert sich, habe ich irgendwo gelesen, die Betrachtungen über die Staaten, wenn man sie sich als einzelne Menschen gedenkt. Sie sind also auch Kinder und so lange sie dieses sind mögen sie monarchisch am besten sein. Wenn aber die Kinder groß werden, so lassen sie sich nicht mehr so behan- deln, denn sie werden alsdann würklich nicht selten klüger, als der Vater. [J 227] Ich habe irgendwo gelesen: Die christliche Moral wird überall Unterstützung und Supplement der Ge- setze, da hingegen alles übrige bei der Religion Un- terstützung des Aberglaubens. [J 228] Marivaux zu einem gesunden Bettler: Könnt Ihr nicht arbeiten? Der Bettler: Ach lieber Herr, wenn Sie wüßten wie faul ich bin, Sie würden gewiß Mitleiden mit mir haben. Diese Aufrichtigkeit gefiel ihm und er gab ihm etwas. [J 232] Noch eine neue Religion einzuführen die die Würk- samkeit der christlichen haben sollte ist wohl unmög- lich, deswegen bleibe man dabei und suche lieber dar- auf zu tragen, und gewiß sind auch die Ausdrücke Christi so beschaffen, daß man so lange die Welt steht das Beste wird hinein tragen können. [J 235] Ich möchte wohl wissen, was es geben würde, wenn ganz Europa einmal recht erzkatholisch wäre, keine Protestanten, die lächelten, und kluge Köpfe er- weckten, und sich kein Pfaffe mehr zu schämen hätte, wenn alles so fortgegangen wäre wie vor einigen Jahr- hunderten, so würde der Pabst göttlich verehrt, und sein Dreck nach Karaten geschätzt und verkauft wor- den sein, ja man hätte wohl gar die Bibel angefangen: Am Anfang schuf der Pabst Himmel und Erden. [J 236] Gott hat gesagt: Du sollst nicht stehlen, das würkt besser als alle Demonstrationen von Schädlichkeit des Diebstahls, und Gott, er sei wer er wolle, hat es ja auch gesagt, die Natur der Dinge, die dem Philoso- phen freilich respektabel ist, aber [dem] Pöbel nicht. Er versteht was das sagt: Gott! aber keine Demonstra- tion. Wenn ich also sage: Es gibt ein Wesen, das die Welt erschaffen hat, oder das die Welt ist, das die Tu- gend belohnt und das Laster bestraft, so ist ja das alles wahr, und wie kann ich dem Volke geschwinder Ehrfurcht gegen dieses Wesen beibringen als wenn ich es ihm personifiziere? Man muß immer bedenken was auch Necker gesagt [hat], unter dem Volk gibt es keine redliche Atheisten. Der Gelehrte wird durch an- dere Dinge im Zaum gehalten. [J 238] Die Mythen der Physiker. [J 241] Aufklärung in allen Ständen besteht eigentlich in richtigen Begriffen von unsern wesentlichen Bedürf- nissen. [J 246] Die Superklugheit ist eine der verächtlichsten Arten von Unklugheit. [J 248] Es schicken wohl wenige Menschen Bücher in die Welt, ohne zu glauben, daß nun jeder seine Pfeife hin- legen oder sich eine anzünden würde um sie zu lesen. Daß mir diese Ehre nicht zugedacht ist, sage ich nicht bloß, denn das wäre leicht, sondern ich glaube es auch, welches schon etwas schwerer ist, und erlernt werden muß. Autor, Setzer, Korrektor, Zensor, der Rezensent kann es lesen, wenn er will, aber nötig ist es nicht, das sind also von 1000000000 grade 5. [J 253] Die gemeinen Leute unter den Katholiken beten lie- ber einen Heiligen an, oder richten ihr Gebet an ihn, als an den lieben Gott, so wie sich die Bauern immer lieber an die Bedienten halten. Gleich und gleich ge- sellt sich gern. [J 260] Offenbarung macht nicht, daß ich eine Sache be- greife, sondern daß ich sie, wenn sie Autorität hat, be- greife. Aber welche Autorität kann mir etwas aufdrin- gen zu glauben, das meiner Vernunft widerspricht? Gottes Wort allein. Aber haben wir denn ein Wort Gottes außer der Vernunft? Gewiß nicht. Denn daß die Bibel Gottes Wort ist, das haben Menschen ge- sagt, und Menschen können kein anderes Wort Gottes kennen, als die Vernunft. [J 269] Es ist wenigstens von Herrn Kant nicht freund- schaftlich gegen seine Leser gehandelt, daß er sein Werk so geschrieben hat, daß man es studieren muß wie ein Werk der Natur. Bei Werken der Natur wird der Fleiß und der Eifer bei der Untersuchung durch die Überzeugung unterhalten, daß das Ganze der Un- tersuchung wert ist und daß man etwas seines Fleißes Würdiges finden würde, wenn man etwas fände. Al- lein bei menschlichen Werken ist dieses nicht zu er- warten, denn da kann es sein daß der Verfasser sich geirrt hat und daß alles auf Jacob-Böhmismus hinaus- läuft. Herr Kant hatte freilich schon vielen Kredit in der Welt, dafür betraf aber auch sein Buch einen Ge- genstand, der an sich nicht der interessanteste für die Welt [ist], und doch mußte man Begriffe, wie den von Vorstellung, selbst aus wiederholter Lesung des Buchs kennen lernen. Die Gegenstände von Herrn Kants Buch sind freilich sehr interessant, aber das konnte doch nicht jedermann gleich wissen. [J 270] Lange vor der Erfindung des Pabsttums und des Fegfeuers war es schon gebräuchlich für die Verstor- benen zu beten. Ich glaube mich hat auch einmal die Liebe zu meiner Mutter verleitet für sie zu beten. Es ist dieses weiter nichts, als die Vermenschung, Ver- menschlichung alles dessen, wovon wir nichts wissen und nichts wissen können, die man überall antrifft. [J 271] Unsere Theologen wollen mit Gewalt aus der Bibel ein Buch machen, worin kein Menschen-Verstand ist. [J 277] Daß zuweilen eine falsche Hypothese der richtigen vorzuziehen sei sieht man aus der Lehre von der Frei- heit des Menschen. Der Mensch ist gewiß nicht frei, allein es gehört sehr tiefes Studium der Philosophie dazu sich [durch] diese Vorstellung nicht irre führen zu lassen; ein Studium zu welchem unter Tausend [die] nicht die Zeit und Gedult haben, und unter 100 die sie haben, kaum einer den Geist hat. Freiheit ist daher eigentlich die bequemste Form sich die Sache zu denken und wird auch allezeit die übliche bleiben, da sie so sehr den Schein für sich hat. [J 278] Vor Gott gibt es bloß Regeln, eigentlich nur eine Regel und keine Ausnahmen. Weil wir die oberste Regel nicht kennen, so machen wir General-Regeln, die es nicht sind, ja es wäre wohl gar möglich, daß das, was wir Regel nennen, wohl selbst noch für end- liche Wesen Ausnahmen sein könnten. [J 279] Ich glaube, daß der Spinozist, und der Deist nur differieren wie der Newtonianer und der Eulerianer in Rücksicht auf Farbentheorie. [J 280] Der Glaube an einen Gott ist Instinkt, er ist dem Menschen natürlich so wie das Gehen auf 2 Beinen, modifiziert wird er freilich bei manchen, bei manchen gar erstickt. Regulariter ist er da und ist zur Wohlge- staltheit des Erkenntnisvermögens unentbehrlich (zur innern Wohlgestalt). [J 281] Beide Systeme führen so gewiß einen verständigen Geist auf Eins hinaus, daß man, um zu sehen ob man in dem Spinozismus richtig ist, sich des deistischen bedienen kann, so wie man sich des Augenmaßes oft zur Probe der gnausten Messungen bedient. [J 282] Ich glaube von Grund meiner Seele und nach der [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 394 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69490 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 679 ff.)] reifsten Überlegung, daß die Lehre Christi, gesäubert von dem verfluchten Pfaffen[ge]schmier, und gehörig nach unserer Art sich auszudrücken verstanden, das vollkommenste System ist, Ruhe und Glückseligkeit in der Welt am schnellsten, kräftigsten, sichersten und allgemeinsten zu befördern, das ich mir wenigstens denken kann. Allein ich glaube auch daß es noch ein System gibt, das ganz aus der reinen Vernunft er- wächst und eben dahin führt, allein es ist nur für ge- übte Denker und gar nicht für die Menschen über- haupt, und fände es auch Eingang, so müßte man doch die Lehre Christi für die Ausübung wählen. Christus hat sich zugleich nach dem Stoff bequemt, und dieses zwingt selbst dem Atheisten Bewunderung ab. (In welchem Verstand ich hier das Wort Atheist nehme wird jeder Denker fühlen.) Wie leicht müßte es einem solchen Geist gewesen sein ein System für die reine Vernunft zu erdenken, das alle Philosophen völ- lig befriedigt hätte. Aber wo sind die Menschen dazu? Es wären vielleicht Jahrhunderte verstrichen, wo man es gar nicht verstanden hätte, und so etwas soll dienen das menschliche Geschlecht zu leiten und zu lenken und in der Todesstunde aufzurichten? Ja was würden nicht die Jesuiten aller Zeiten und aller Völker daraus gemacht haben? Was die Menschen leiten soll muß wahr aber allen verständlich sein. Wenn es ihm auch in Bildern beigebracht wird, die er sich bei jeder Stufe der Erkenntnis anders erklärt. S. p. 47. [J 295] ad pag. 45 unten [J 295]: Ich glaube pp. Schmerz warnt uns ja unsere Glieder nicht bis zum Zerbrechen anzustrengen. Was für Kenntnisse gehörten nicht dazu dieses durch bloße Vernunft einzusehen. Es tut dem Baumeister nicht weh wenn ein Brückenpfeiler zu schwach ist und Not leidet, so kann offenbarte Re- ligion fühlbar machen, was durch Spinozismus zu be- rechnen zu schwer wäre, und man darüber zu Grunde gehen könnte. [J 302] Wer weniger hat als er begehret, muß wissen daß er mehr hat als er wert ist (nicht pm). [J 304] Statt zu übersetzen sollten sich Köpfe die nichts Besseres zu tun wissen auf das Register-Machen legen. [J 311] Wenn wir würklich die freien Wesen wären, die man uns zu sein glauben machen will, so müßten un- sere Gedanken mehr zurück würken können. Wir müßten Donnerwetter durch ernstliches Wollen aufhalten können, so aber wird unser sogenannter Geist durch die Umstände determiniert, er selbst aber kann nicht zurück würken, sondern er determiniert bloß leidend wieder den Körper pp. [J 322] Hier wo die Krankheiten so wohlfeil und die Arz- neien so teuer sind. [J 323] Hinten hat er einen falschen Zopf eingebunden und vornen ein frommes Gesicht, das nicht viel echter war, auch zuweilen wie jener bei heftigen Bewegun- gen ausfiel. [J 326] Verbrannte Bücher lasse ich wohl gelten, aber ver- brannte Braten!! [J 328] Das Zimmer war ganz leer ein bißchen Sonnen- schein aus der zweiten Hand ausgenommen, das auf der Erde lag. [J 330] Meine Phantasie scheute, so wie Pferde und lief fort mit mir. Dieses drückt meinen Zustand in der Empfindlichkeit am besten aus. [J 343] Eine ganze Milchstraße von Einfällen. [J 344] In England heißen die Buchhändler die großen Fo- lianten Leichensteine (Grabsteine) (Tombstones). [J 346] In England wurde bei einem politischen Frauen- zimmer-Club fest gesetzt, daß bei wichtigen Vorfällen außer der Präsidentin nur noch zwei Personen zu glei- cher Zeit reden sollten. [J 351] Dieses ist noch das leise Nachhallen eines schwe- ren Donnerschlags des Aberglaubens (Gewissens pp.) [J 353] Die unnützesten Schriften in unsern Tagen schei- nen die moralischen zu sein nachdem wir die Bibel haben, man mögte fast (die Bemerkung eines Unbe- kannten (T. H. W.) in Gentleman's Magazine 1789. Mai) den Ausspruch des Kalifen Omar bei dem Brand der Alexandrinischen Bibliothek gebrauchen: Entwe- der sie enthalten was in der Bibel steht, und dann sind sie unnütz, oder sie sind darwider und dann muß man sie verbrennen. Unsere meisten moralischen Schriften sind würklich nur schöne Rahmen um die 10 Gebote. [J 354] Die Wörter-Welt. [J 357] Es gibt zwar viele rechtschaffene Christlichen, das ist gar keine Frage, so wie es überall und in allen Ständen gute Menschen gibt, allein so viel ist gewiß, in corpore und was sie als solches unternommen haben ist nie viel wert gewesen. [J 358] Wenn es noch ein Tier gäbe dem Menschen an Kräften überlegen, das sich zuweilen ein Vergnügen machte mit ihm zu spielen, wie die Kinder mit Maikä- fern, oder sie in Kabinetten aufspießte wie Schmetter- linge. Ein solches Tier würde wohl am Ende ausgerot- tet werden, zumal wenn es nicht an Geisteskräften dem Menschen sehr weit über legen wäre. Es würde ihm unmöglich sein sich gegen die Menschen zu hal- ten. Es müßte ihn dann verhindern seine Kräfte im mindesten zu üben. Ein solches Tier ist aber würklich der Despotismus und doch hält er sich noch an so vie- len Orten. Bei der Geschichte des Tieres muß über auch angenommen werden, daß das Tier den Men- schen nicht wohl entbehren kann. [J 359] Man könnte die katholische Religion die Gottfres- serin nennen. [J 369] Der Papagei sprach noch bloß seine Muttersprache. [J 371] Diese ganze Lehre taugt zu nichts als darüber zu disputieren. [J 378] Non cogitant, ergo non sunt. [J 379] Die französische Revolution das Werk der Philoso- phie, aber was für ein Sprung von dem cogito, ergo sum bis zum ersten Erschallen des ŕ la Bastille im Palais Royal. Der Schall der letzten Posaune für die Bastille. [J 380] Die Leichenöffnungen können diejenigen Fehler nicht entdecken, die mit dem Tode aufhören. [J 382] Eine große Rede läßt sich leicht auswendig lernen und noch leichter ein großes Gedicht. Wie schwer würde es nicht halten, eben so viel ohne allen Sinn verbundene Wörter, oder eine Rede in einer fremden Sprache zu memorieren. Also Sinn und Verstand kömmt dem Gedächtnis zu Hülfe. Sinn ist Ordnung und Ordnung ist doch am Ende Übereinstimmung mit unserer Natur. Wenn wir vernünftig sprechen, spre- chen wir nur immer unser Wesen und unsere Natur. Um unserm Gedächtnisse etwas einzuverleiben su- chen wir daher immer einen Sinn hineinzubringen oder eine andere Art von Ordnung. Daher Genera und Species bei Pflanzen und Tieren, Ähnlichkeiten bis auf den Reim hinaus. Eben dahin gehören auch unsere Hypothesen, wir müssen welche haben, weil wir sonst die Dinge nicht behalten können. Dieses ist schon längst gesagt, man kömmt aber von allen Seiten wie- der darauf. So suchen wir Sinn in die Körperwelt zu bringen. Die Frage aber ist, ob alles für uns lesbar ist. Gewiß aber läßt sich durch vieles Probieren, und Nachsinnen auch eine Bedeutung in etwas bringen was nicht für uns oder gar nicht lesbar ist. So sieht man im Sand Gesichter, Landschaften usw. die sicher- lich nicht die Absicht dieser Lagen sind. Symmetrie gehört auch hieher. Silhouette im Dintenfleck pp. Auch die Stufenleiter in der Reihe der Geschöpfe, alles das ist nicht in den Dingen, sondern in uns. Überhaupt kann man nicht gnug bedenken, daß wir nur immer uns beobachten, wenn wir die Natur und zumal unsere Ordnungen beobachten. [J 392] Er lag sehr gerne antipodisch bei seiner Frau im Bette, ŕ l'antipode. [J 399] Immer Stillschweigen gebietend und nie verschwie- gen. [J 402] Jungfern, davon 3 aufs Säculum gehn. [J 403] Es ist und bleibt doch allemal eine sonderbare Re- densart zu sagen: die Seele ist in mir, sie ist im Leibe, da man sagen sollte, ich bin das, man sagt ja auch nicht, die Ründe ist in der Kugel pp. Es ist bloß die Ähnlichkeit, die uns hier verführt. Gleichheit ist etwas Objektives allein Ähnlichkeit ist subjektiv. Med. [J 404] Man könnte Gott auch den unbekannten Obern [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 402 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69498 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 698 ff.)] nennen, dessen Jesuiten die Theologen sind. [J 405] Die Fliege, die nicht geklappt sein will, setzt sich am sichersten auf die Klappe selbst. [J 415] Eine Schraube ohne Anfang. [J 434] Hinlänglicher Stoff zum Stillschweigen. [J 438] Das Wahrheits-Gefühl. [J 439] Wenn man viel selbst denkt, so findet man viele Weisheit in die Sprache eingetragen. Es ist wohl nicht wahrscheinlich, daß man alles selbst hineinträgt, son- dern es liegt würklich viel Weisheit darin, so wie in den Sprüchwörtern. [J 443] Ein Glaubens-Sklave. [J 446] Er hatte im Prügeln eine Art von Geschlechtstrieb, er prügelte nur seine Frau. [J 448] Sie setzte, wie glaube ich Crébillon sagt, die Tu- gend mehr im Bereuen der Fehler als im Vermeiden. [J 450] S. war ein viel zu niederträchtiger Mensch, als daß es ihn lange hätte schmerzen sollen, bei irgend einer einträglichen Gelegenheit einmal öffentlich dafür ge- halten zu werden. [J 455] Man könnte die Geizhälse und Verschwender so ordnen. Leute die bei großem Vermögen so leben als hätten sie nur noch die letzten 6 Groschen in der Ta- sche, so könnte man auch leben als hätte man die letz- ten 10 Taler nur noch ohne Hoffnung andere 10 zu bekommen, und so weiter. Der Verschwender ist der der so lebt, als hätte er noch immer viel mehr als er würklich hat. Dieses könnte mathematisch behandelt werden. [J 461] Solche gestempelte Konventions-Köpfe. [J 467] Riechen wie viel Uhr es ist, eine besondere Uhr. [J 468] Ein Fisch der in der Luft ertrunken war. [J 469] Exzerpten-Buch Sparbüchse. [J 471] Ich glaube, daß so wie die Anhänger des Herrn Kant ihren Gegnern immer vorwerfen, sie verstünden ihn nicht, so glauben auch manche Herr Kant habe recht weil sie ihn verstehen. Seine Vorstellungs-Art ist neu, und weicht von dem Gewöhnlichen sehr ab, und wenn man nun auf einmal Einsicht in dieselbe er- langt, so ist man auch sehr geneigt sie für wahr zu halten, zumal, da er so viele eifrige Anhänger hat, man sollte aber dabei immer bedenken, daß dieses Verstehen noch kein Grund ist es selbst für wahr zu halten. Ich glaube daß die meisten über der Freude ein sehr abstraktes und dunkel abgefaßtes System zu ver- stehn zugleich geglaubt haben es sei demonstriert. [J 472] Es ist nichts gewöhnlicher, als daß man sich von der Wahrheit einer Sache überzeugt hält, sobald man die Meinung versteht, die ein großer Mann davon gehegt hat. Das sind aber ganz verschiedene Dinge. Es ist mir oft selbst so gegangen. Ich glaube, daß mancher, der sich nur durch die Schwierigkeiten des Tychonianischen Systems, und durch alle die Epizy- klen durchgearbeitet hatte, dachte, nun gottlob, daß ich endlich alles ins reine habe. [J 475] Diejenigen Lehrer, die die größten Schüler gezogen haben, sind immer diejenige gewesen die anschauli- che Theorien gehabt: haben, die synkretistischen Frei- denker können berühmte Leute werden, sie sind aber gewiß nie glückliche Lehrer. Es ist nichts Festes darin, für sie selbst wohl, aber das paßt für keine Zu- hörer. Ein systematischer Freidenker ist freilich auch ein Systematiker. Große generelle Ideen überall anzu- geben. [J 476] Er urteilt nach dem jedesmaligen Aggregatzustand seiner Empfindungen. [J 482] Die beste Art Lebende und Verstorbene zu loben ist ihre Schwachheiten zu entschuldigen, und dabei alle mögliche Menschenkenntnis anzuwenden. Nur keine Tugenden angedichtet, die sie nicht besessen haben, das verdirbt alles, und macht selbst das Wahre verdächtig. Entschuldigung von Fehlern empfiehlt den Lobredner. [J 487] Ich habe den Weg zur Wissenschaft gemacht wie Hunde die mit ihren Herrn spazieren gehen, hundert- mal dasselbe vorwärts und rückwärts, und als ich ankam war ich müde. [J 489] Er wurde nur so in dieser Gesellschaft gedultet, wie die Stinkböcke in Pferdeställen. [J 493] Das Subjektive in vielen Dingen aufzusuchen. Z. E. da die Lehre Christi auf Goten fiel, mußte sie not- wendig viel Gotisches annehmen. [J 498] »Wer den Schaden hat, darf für den Spott nicht sor- gen.« [J 499] Der Liebe und Mode Beflissene. [J 514] In den Schriften berühmter Schriftsteller aber mit- telmäßiger Köpfe findet man immer höchstens das was sie einem zeigen wollen, da in den Schriften des systematischen Denkers, der alles mit seinem Geiste umfaßt, man immer das Ganze sieht und wie jedes zu- sammenhängt. Erstere suchen und finden ihre Nadel bei dem Licht eines Schwefelhölzchens das nur an der Stelle leuchtet und kümmerlich, wo es sich befindet, da die andern ein Licht anzünden, das sich über alles erstreckt. [J 515] Man kann würklich nicht wissen ob man nicht jetzt im Tollhaus sitzt. [J 520] Die meisten Glaubens-Lehrer verteidigen ihre Sätze, nicht weil sie von der Wahrheit derselben über- zeugt sind, sondern weil sie die Wahrheit derselben einmal behauptet haben. [J 521] Von dem Ruhme der berühmtesten Menschen ge- hört immer etwas der Blödsichtigkeit der Bewunderer zu, und ich bin überzeugt, daß solche Menschen das Bewußtsein, daß sie von einigen, die weniger Ruhm aber mehr Geist haben, durchgesehen werden, ihren ganzen Ruhm vergällt. Eigentlicher ruhiger Genuß des Lebens kann nur bei Wahrheit bestehn. Newton, Franklin, das waren Menschen, die beneidenswert sind. [J 522] Nichts beweist mir so deutlich wie es in der gelehr- ten Welt hergeht, als der Umstand, daß man den Spi- noza so lange für einen bösen nichtswürdigen Men- schen und seine Meinungen für gefährlich gehalten hat; so geht es ebenfalls mit dem Ruhm so vieler an- dern. [J 523] Die Deutschen schreiben die Bücher, aber die Aus- länder machen, daß sie sie schreiben können. [J 524] Das ist ein närrischer Einfall, sagt man von einer gewissen Art Einfälle, die nicht weniger als unklug sind, auch das Ding ist doch närrisch. Gewiß hat der erste Mann, der die Redensart brauchte, etwas dabei gedacht. Es kann das Unerwartete und das Seltsame in der Verbindung der Ideen bezeichnen, das Über- springende, dergleichen man bei närrischen Leuten vieles findet. [J 529] Nach einem dreißigjährigen Krieg mit sich selbst kam es endlich zu einem Vergleich, aber die Zeit war verloren. [J 535] Mir tut es allemal weh wenn ein Mann von Talent stirbt, denn die Welt hat dergleichen nötiger als der Himmel. [J 539] Bei einer undeutlichen Hand lernt man Buchstaben kennen durch Erkennung der Worte. Eben so führt der Sinn auf die wahre Bedeutung der Worte in einer Pe- riode und endlich der Sinn des Kapitels auf den von einzelnen Perioden. [J 540] Es ist kein tückischeres und boshafteres Geschöpf unter der Sonne als eine Hure, da [sie] sich Alters wegen genötigt sieht eine Betschwester zu werden. [J 544] Eine Welt, wo die Menschen als Greise geboren werden, und immer frischer werden, endlich Kinder, die immer an Ketschigkeit zunehmen, bis man sie [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 410 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69506 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 713 ff.)] endlich in eine Bouteille sperrt, wo sie nach 9 Mona- ten alles Leben verlieren, nachdem sie so klein gewor- den sind, daß man 10 Alexander auf einem Butterbrod verschlingen könnte. Die Mädchen von 50 bis 60 Jah- ren finden ein besonderes Vergnügen daran, die klein gewordene Alte auf Bouteillen zu ziehn. [J 547] Auch die Bengelei hat ihre Genies, und wer will die Natur zur Verantwortung ziehen, daß sie dieser Gabe es verstattet sich ihrem Besitzer durch das schmei- chelhafte Gefühl von Kraft und Überlegenheit und Behaglichkeit anzukündigen. Die Wege des Himmels sind finster und verwickelt, und ihre Tröstungen man- nigfaltig. [J 560] Die Vorstellung, die wir uns von einer Seele ma- chen, hat viel Ähnliches mit der von einem Magneten in der Erde. Es ist bloß Bild. Es ist ein dem Men- schen angebornes Erfindungsmittel sich alles unter diesen Formen zu denken. [J 568] Ein Geschöpf höherer Art läßt die ganze Geschich- te der Welt repetieren, so wie man die Uhren repetie- ren läßt. [J 581] Der Gang der Jahrzeiten ist ein Uhrwerk wo ein Guguck ruft, wenn es Frühling ist. [J 582] Ein Vater sagt: der verfluchte Junge macht es gera- de so wie ich, ich will ihn prügeln, daß er des Teufels wird. [J 590] Reich gewesen, schön gewesen, alles gewesen. [J 591] Eine Art von Gang, als wenn er in seinen Kopf kriechen wollte. [J 595] Er konnte einen Gedanken, den jedermann für ein- fach hielt, in sieben andere spalten wie das Prisma das Sonnenlicht, wovon einer immer schöner war, als der andere, und dann einmal eine Menge anderer sam- meln und Sonnenweiße hervorbringen, wo andere nichts als bunte Verwirrung sahen. [J 597] Wenn man von der wenigen Übereinstimmung, die das Innere des Menschen mit seinem Äußern hat, ich meine hier der esoterische Mensch mit dem exoteri- schen, auf etwas Ähnliches in den Werken der Natur schließen kann, so ist das ein schlechter Trost. Denn wie wenig Freunde würden Freunde bleiben, wenn sie ihre Gesinnungen im ganzen sehen könnten. [J 600] Es ist eine sehr weisliche Einrichtung unserer Natur, daß wir so viele äußerst gefährliche Krankhei- ten gar nicht fühlen. Könnte man den Schlagfluß von seiner ersten Wurzel an verspüren, er würde mit unter die chronischen Krankheiten gezählt werden. [J 601] Der vollkommenste Affe kann keinen Affen zeich- nen, auch das kann nur der Mensch, aber auch nur der Mensch hält dieses zu können für einen Vorzug. [J 613] Wer eine Scheibe an seine Garten-Tür malt, dem wird gewiß hineingeschossen. [J 614] Ein Charakter: von allem nur das Schlimmste zu sehen, alles zu fürchten, selbst Gesundheit als einen Zustand anzusehen da man seine Krankheit nicht fühlt; ich glaube keinen Charakter würde ich glückli- cher durchsetzen können, als diesen. [J 615] Ich habe schon lange gedacht, die Philosophie wird sich noch selbst fressen. - Die Metaphysik hat sich zum Teil schon selbst gefressen. [J 620] Die Entschuldigungen seiner Fehler nehmen sich zum Teil gut aus, sie tragen aber zur Besserung seines Fehlwurfs gemeiniglich so wenig bei, als beim Ke- geln das Nachhelfen mit Kopf, Schultern, Armen und Beinen, wenn die Kugel schon aus der Hand ist, es ist mehr Wunsch, als Einwürkung. [J 627] Ein Mann der seinen ganzen Ruf der Neigung der Menschen zu danken hat von seinen Bekannten etwas Böses zu lesen. [J 628] Ich habe mir zur Regel gemacht, daß mich die auf- gehende Sonne nie im Bette finden sollte so lange ich gesund bin. Es kostete mich nichts als das Machen, denn ich habe es bei Gesetzen, die ich mir selbst gab, immer so gehalten, daß ich sie nicht eher festsetzte, als bis mir die Übertrettung fast unmöglich war. [J 638] Ich habe überhaupt sehr viel gedacht, das weiß ich, viel mehr als ich gelesen habe, es ist mir daher sehr viel von dem unbekannt, was die Welt weiß, und daher irre ich mich oft, wenn ich mich in die Welt mi- sche, und dieses macht mich schüchtern. Könnte ich das alles was ich zusammengedacht habe so sagen, wie es in mir ist, nicht getrennt, da möchte sich man- ches nicht zum besten ausnehmen, so würde es gewiß den Beifall der Welt erhalten. [J 640] Ich glaube es läßt sich mit geometrischer Schärfe erweisen, daß, vorausgesetzt, daß das neue Testament die Lehren des Christentums vollständig enthalte, die katholische Religion schlechterdings keine christliche genannt werden könne. Ob es irgend eine der prote- stantischen ganz sei laß ich unentschieden. Es läßt sich, glaube ich, eine Million gegen 1 verwetten, daß, wenn die Frage vor einer Versammlung der vernünf- tigsten Menschen aus allen Völkern gebracht würde, die Entscheidung dahin ausfallen würde: die katholi- sche Religion sei so wenig die christliche als das heu- tige Italienische das alte Latein. Daß eigentlich in Europa die christliche Religion nirgends die herr- schende sei, daß es aber hier und da einzelne Men- schen gäbe, die sie hätten, aber es nicht recht laut sagen dürften, weil sie fürchten daß man selbst ihre Taten für unecht halten würde, sobald man wüßte, daß ihre Meinungen nicht von der angenommenen Lehre wären. Trinket alle daraus steht im neuen Te- stament. [J 651] Die praktische Vernunft oder der moralische Sinn, durch letztern Ausdruck wird es manchem deutlicher was man mit ersterem meint. [J 656] Ich glaube man würde immer blühen wie die Ju- gend, wenn man immer so sorglos sein könnte, oder macht, umgekehrt, die Blüte sorglos? [J 658] Wenn es der Himmel für nötig und nützlich finden sollte mich und mein Leben noch einmal neu aufzule- gen, so wollte ich ihm einige nicht unnütze Bemer- kungen zur neuen Auflage mitteilen, die hauptsächlich die Zeichnung des Porträts und den Plan des Ganzen angehen. [J 659] Es ist zum Erstaunen wie sehr das Wort unendlich gemißbraucht wird, alles ist unendlich schöner, un- endlich besser pp. Der Begriff muß etwas Angeneh- mes haben, sonst hätte der Mißbrauch nicht so allge- mein werden können. Was haben die Alten davon? [J 661] Er verachtet mich, weil er mich nicht kennt, und ich seine Beschuldigungen, weil ich mich kenne. [J 664] Eine beträchtliche Wolke von angezeigten Druck- fehlern beschattet den Beschluß. [J 669] Er war in der Zeugungs-Gegend ein wahrer Pres- byt, und wünschte oft herzlich daß man auch für jenen Sinn Brillen schleifen könnte. [J 671] Man kann würklich, wenn man in einem schlechten Wagen sitzt, ein solches Gesicht machen, daß der ganze Wagen gut aussieht, auch vom Pferde gilt das. [J 675] Jedermann ist sehr bereitwillig durch Schaden klug zu werden, wenn nur der erste Schade der dieses lehrt wieder ersetzt wäre. [J 676] Es gibt für mich keine gehässigere Art Menschen, als die welche glauben, daß sie bei jeder Gelegenheit ex officio witzig sein müßten. [J 684] Sehr viele und vielleicht die meisten Menschen müssen, um etwas zu finden, erst wissen, daß es da ist. [J 688] Der gesunde Appetit unsrer Vorfahren, zu essen, scheint sich jetzt in einen nicht ganz so gesunden Ap- petit zu lesen verwandelt zu haben, und so wie ehmals die Spanier zusammen liefen die Deutschen essen zu sehen, so kommen jetzt die Fremden zu uns uns stu- dieren zu sehen. [J 690] Es ließe sich etwas über Übersetzungs-Kunst schreiben, das ganz nützlich werden könnte. Ich meine die, die Sprache der gemeinen Leute, und ihre Behandlungs-Art in die eigentliche Sprache unseres Lebens zu übersetzen. Die gemeinen Leute drücken sich oft sehr fürchterlich und mit Gelächter über [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 418 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69514 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 734 ff.)] Dinge aus, von denen sie, in unsere Sprache über- setzt, ganz anders zu reden scheinen würden, oder würklich reden würden. Wir denken über die Vorfälle des Lebens nicht so verschieden, als wir darüber sprechen. [J 692] Es gibt große Krankheiten, an denen man sterben kann; es gibt ferner welche die [man], ob man gleich nicht eben daran stirbt, doch ohne viel Studium be- merkt und fühlt; endlich gibt es aber auch welche, die man ohne Mikroskop kaum erkennt, dadurch nehmen sie sich aber auch recht abscheulig aus und dieses Mi- kroskop ist Hypochondrie. Ich glaube, wenn sich die Menschen recht darauf legen wollten die mikroskopi- schen Krankheiten zu studieren, sie würden die Satis- faktion haben, alle Tage krank zu sein. [J 693] Die Christen begießen das Pflänzchen und die Juden beschneiden es. [J 696] Man hat vieles über die ersten Menschen gedichtet, es sollte es auch einmal jemand mit den beiden letzten versuchen. [J 697] Das Bilder-Buch der Welt. [J 702] Man ist verloren wenn man zu viel Zeit bekömmt an sich zu den kennen vorausgesetzt, daß man sich nicht als ein Objekt der Beobachtung, wie ein Präpa- rat ansieht, sondern immer als alles was man jetzt ist. Man wird so viel Trauriges gewahr, daß über dem Anblick alle Lust verfliegt, es zu ordnen oder zusam- men zu halten. [J 704] Ein System: Jeder Mensch kömmt durch Seelen- wanderung in den Zustand, den er in seinem Leben vorzüglich beneidete und wünschte, so geht alles end- lich in einem Zirkel, kein Stand wird ganz leer sein. [J 705] 14. Junii 91. Es ist eine Frage, ob wir nicht, wenn wir einen Mörder rädern, grade in den Fehler des Kin- des verfallen, das den Stuhl schlägt an den es sich stößt. [J 706] Einer der merkwürdigsten Züge in meinem Charak- ter ist gewiß der seltsame Aberglaube, womit ich aus jeder Sache eine Vorbedeutung ziehe und in einem Tage hundert Dinge zum Orakel mache. Ich brauche es hier nicht zu beschreiben indem ich mich hier nur allzu wohl verstehe. Jedes Kriechen eines Insekts dient mir zu Antworten über Fragen über mein Schicksal. Ist das nicht sonderbar von einem Profes- sor der Physik? Ist es aber nicht in menschlicher Natur gegründet und nur bei mir monströs geworden, ausgedehnt über die Proportion natürlicher Mischung, wo es heilsam ist? [J 715] Er war kein Sklave seines Worts, wie man zu reden pflegt, gegen teils war eine solche Despotie über sei- nen Versprechungen, daß er mit ihnen machte was er wollte. [J 719] Er meinte die Russische Kaiserin sollte einige von ihren Ländereien vermieten. [J 721] Wir sind so eingerichtet, daß wir wohl selten gül- tige Richter dessen sein werden, was uns nützlich ist. In diesem Leben ist dieses der Fall, wer will uns gut dafür sein, daß es in Rücksicht auf künftiges Leben nicht eben so ist? Wen Gott lieb hat, den züchtiget er. Wie wenn es nun hieße, wen Gott lieb hat, den vernichtet er? [J 725] Sollte es dem Könige von Frankreich nicht erlaubt sein sich zum Deputierten bei der National-Versamm- lung wählen zu lassen? Es wäre besser für ihn. [J 726] Feerei: Seele und Leib beide sichtbar darzustellen, wie eins das andere führt, hieraus könnte etwas we- nigstens Unterhaltendes gemacht werden. [J 727] Wir haben eigentlich nur Ableger von Romanen und Komödien. Aus dem Samen werden wenige gezo- gen. [J 731] Bei den Kirschen reift grün zu rot allmählig, dieses sieht einem Stimmen einer Saite ähnlich. So läßt der Künstler Dissonanzen zu Harmonie allmählig reifen. [J 737] Auf die Blüte folgt die unreife Frucht, die Blüte ist in sich eine Vollkommenheit. Eben so ist es mit dem Menschen. Der Jüngling wird für vollkommener ge- halten, als der Mann von 30, 40 Jahren, und dann kömmt erst wieder ein vollendeter Zustand, die Reife. [J 738] Es gibt sehr viele Menschen, die unglücklicher sind, als du, gewährt zwar kein Dach darunter zu wohnen, allein sich bei einem Schauer darunter zu re- tirieren ist das Sätzchen gut genug. [J 739] Die Kinder und die Narren reden die Wahrheit, sagt man; ich wünsche daß jeder gute Kopf, der Nei- gung zur Satyre bei sich verspürt, bedenken möchte, daß der beste Satyriker immer etwas von beiden ent- hält. [J 746] Wenn die Rhein- und Mosel-Weine gut sein sollen, so ist es nötig, daß so wenig vom Rhein und der Mosel selbst hineinfließe als möglich ist. [J 748] Die Form des Schachspiels und selbst des Talmuds und der alten scholastischen Philosophie sind gut, aber die Materie taugte nicht viel. Es wurden Kräfte geübt, aber was man dabei lernt hat keinen Wert. [J 749] 9. Julii 91 auf dem Garten. Einige kommen auf einen Gedanken, andere stoßen darauf, andere fallen darauf, andere verfallen darauf (hier fehlt noch das zerfallen), auch gerät man darauf. Man sagt nicht, ich habe mich nach dem Gedanken hinbegeben. Das wäre via regia. [J 756] Der Satz des zureichenden Grundes, als ein bloß logischer Satz ist ein notwendiges Gesetz des Den- kens, und in so fern kann gar nicht darüber gestritten werden, ob er aber ein objektiver, realer, metaphysi- scher Grundsatz sei, ist eine andere Frage. [J 757] Es gibt nur eine Pflanze und nur ein Tier und diese beide sind Eins. Das Tier, das von Pflanzen lebt, hat seine Wurzel in der Erde, also auch das Tier, das von Tieren lebt. [J 758] Alle großen Herrn sollten so wie die Sultane eine Kunst lernen, wir leben jetzt in sonderbaren Zeiten, man kann nicht wissen ob man sie nicht einmal braucht. Der vorige türkische Kaiser schnitzte Bogen und Pfeile sehr gut, der jetzige malt Musselin für das Frauenzimmer. [J 759] Die Natur hat den Tieren Einsicht genug gegeben für ihre Erhaltung zu sorgen. Sie wissen sich alle sehr gut zu helfen wenn es auf diesen wichtigen Artikel an- kömmt. Vaillant gibt davon sehr gute Beispiele von dem Verhalten der Tiere bei Herannahung des Löwen. Den Menschen hat sie sogar fast instinktmäßig gegen die Furcht vor dem Tode gewaffnet, durch Glauben an Unsterblichkeit. [J 761] Durch vieles Lesen lernt man sogar Versuche gut erzählen, die man sehr schlecht angestellt hat. [J 764] Deutschland hat viele Journale, aber es fehlt ihm dünkt mich noch an einem des Luxus und der Mode; in der Philosophie. [J 769] Die Hermeneutik der Hypochondrie. [J 770] Offensiver und defensiver Stolz. [J 786] Vom Wahrsagen läßt sichs wohl leben in der Welt, aber nicht vom Wahrheit sagen. [J 787] Wir wissen mit weit mehr Deutlichkeit, daß unser Wille frei ist als daß alles was geschieht eine Ursache haben müsse. Könnte man also nicht einmal das Ar- gument umkehren und sagen Unsre Begriffe von Ur- sache und Wirkung müssen sehr unrichtig sein, weil unser Wille nicht frei sein könnte, wenn die Vorstel- lung richtig wäre? [J 790] Sympathie ist ein schlechtes Almosen. [J 791] Mancher Schriftsteller so bald er ein bißchen Bei- fall erhält glaubt alles von ihm interessiere die Welt. Der Schauspiel-Schmierer Kotzebue hält sich sogar berechtigt dem Publiko zu sagen, daß er seiner ster- benden Frau ein Klistier gesetzt habe. [J 794] S. tat selten Unrecht, aber was er tat, gemeiniglich zur unrechten Zeit. [J 803] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 426 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69522 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 752 ff.)] Wenn man alle Tage 3 Armen etwas gibt, so gibt man des Jahrs 1095 etwas und das ist eine Armee. [J 804] Es ist die Redekunst, die vor der Überzeugung ein- hertritt und ihren Pfad mit Blumen bestreut. [J 805] Es könnte ein Ohr geben für welches alle Völker nur eine Sprache redeten. [J 815] Die Menschen, die erst die Vergebung der Sünden durch lateinische Formeln erfunden haben, sind an dem größten Verderben in der Welt schuld. [J 842] Darin, daß man große Krieger bewundert, liegt etwas Natürliches, so wie in der Eroberungssucht, das erste korrespondiert mit Schönheit und Leibesstärke, das andere mit Wohlstand, es wird auch daher nie aus der Welt hinaus philosophiert werden können. [J 843] Der Gedanke, den ich heute im Braunschwei- gischen Journal gelesen habe, ist nicht übel, nämlich: daß wenn die Bibel deutlich geschrieben wäre, so würden wir in aller Art von Aufklärung noch zurück sein. Es ist aber auch ein alter Gedanke, den ich glau- be ich sogar selbst einmal gehabt habe. Nathan der Weise lauft auch auf so etwas hinaus. [J 844] A. Von der Luft kann man nicht leben. B. ja, aber ohne Luft auch nicht, es ist gut wenn es einem einmal ein bißchen knapp geht. [J 845] So wie Linné im Tierreiche könnte man im Reiche der Ideen auch eine Klasse machen die man Chaos nennte. Dahin gehören nicht sowohl die großen Ge- danken von allgemeiner Schwere, Fixstern-Staub mit sonnenbepuderten Räumen des unermeßlichen Gan- zen, sondern die kleinen Infusions-Ideechen, die sich mit ihren Schwänzchen an alles anhängen, und oft im Samen der Größten leben, und deren jeder Mensch wenn er still sitzt [eine] Million durch seinen Kopf fahren sieht. [J 850] Ich sehe die Rezensionen als eine Art von Kinder- krankheiten an, die die neugebornen Bücher mehr oder weniger befällt. Man hat Exempel, daß die ge- sündesten daran sterben, und die schwächlichen oft durchkommen. Manche bekommen sie gar nicht. Man hat häufig versucht, ihnen durch Amulette von Vorre- de und Dedikation vorzubeugen oder sie gar durch ei- gene Urteile zu inokulieren, es hilft aber nicht immer. [J 854] Eine der schwersten Künste für den Menschen ist wohl die sich Mut zu geben. Diejenigen, denen er fehlt, finden ihn am ersten unter dem mächtigen Schutz eines der ihn besitzt, und der uns dann helfen kann, wenn alles fehlt. Da es nun so viele Leiden in der Welt gibt, denen mit Mut entgegen zu gehen kein menschliches Wesen einem schwachen Trost genug geben kann, so ist die Religion vortrefflich. Sie ist ei- gentlich die Kunst sich durch Gedanken an Gott ohne weiter andere Mittel Trost und Mut im Leiden zu ver- schaffen und Kraft demselben entgegen zu arbeiten. Ich habe Menschen gekannt, denen ihr Glück ihr Gott war. Sie glaubten an ein Glück und der Glaube gab ihnen Mut. Mut gab ihnen Glück und Glück Mut. Es ist ein großer Verlust für den Menschen, wenn er die Überzeugung von einem weisen die Welt lenkenden Wesen verloren hat. Ich glaube, es ist dieses eine not- wendige Folge alles Studiums der Philosophie und der Natur. Man verliert zwar den Glauben an einen Gott nicht, aber es ist nicht mehr der hülfreiche Gott unsrer Kindheit; es ist ein Wesen, dessen Wege nicht unsere Wege und dessen Gedanken sind, und damit ist dem Hülflosen nicht sonderlich viel gedient. [J 855] In einem Roman müßte es sich gut ausnehmen, des Helden Begriffe z.B. von der Erde in einer kleinen Charte vorzustellen. Die Welt würde rund vorgestellt, in der Mitte liegt das Dorf wo er lebt, sehr groß mit allen Mühlen pp vorgestellt, und dann umher die an- dern Städte, Paris London sehr klein, überhaupt wird alles sehr viel kleiner, wie es weiter wegkömmt. [J 856] Da gnade Gott denen von Gottes Gnaden. [J 857] Rousseau hat glaube ich gesagt: ein Kind, das bloß seine Eltern kennt, kennt auch die nicht recht. Dieser Gedanke läßt sich [auf] viele andere Kenntnisse, ja auf alle anwenden, die nicht ganz reiner Natur sind; Wer nichts als Chemie versteht versteht auch die nicht recht. [J 860] Wenn, was Leibniz geweissagt hat, dereinst die Bi- bliotheken Städte werden, so wird es auch düstere Straßen und Schindergäßchen geben so wie jetzt. [J 861] A. Der Mann hat viele Kinder. B. ja, aber ich glau- be, von [den] meisten hat er bloß die Korrektur be- sorgt. [J 864] Die meisten deutschen Romanen und Satyren kom- men mir vor wie die Fischer-Idyllen, es wird immer bloß vom Handwerk gesprochen. Das Beste geht immer über Rezensenten, schlechte Poeten und Nach- drucker und Studenten los. [J 865] Man klagt über die entsetzliche Menge schlechter Schriften die jede Ostermesse heraus kommen. Ich sehe das schlechterdings nicht ein. Warum sagen die Kritiker, man soll der Natur nachahmen? Diese Schriftsteller ahmen die Natur nach, sie folgen ihrem Triebe so gut wie die großen. Und ich möchte nur wissen was irgend ein organisches Wesen mehr tun könne als seinem Triebe folgen? Ich sage: seht die Bäume an, zum Exempel die Kirschenbäume, sagt, wie viele Kirschen von den grünen werden da reift nicht der 50. Teil; die andern fallen ab. Wenn nun die Kirschenbäume Makulatur drucken, wer will es den Menschen wehren, die doch besser sind als die Bäume; Ja was sage ich die Bäume. Wißt ihr nicht, daß von den Menschen, die das prokreierende Publi- kum jährlich herausgibt, mehr als ein Drittel stirbt, ehe es 2 Jahre alt wird? Wie die Menschen, so die Bücher, die von ihnen geschrieben werden. Anstatt mich also über die überhandnehmende Schriftstellerei zu beklagen, bete ich vielmehr die hohe Ordnung der Natur an, die es überall will, daß von allem was gebo- ren wird ein großer Teil zu Dünger wird und zu Ma- kulatur, welches eine Art von Dünger ist. Mit einem Wort Deutschland ist das wahre Bücher-Beet für die Welt, die Treibhäuser, die Gärtner, ich meine die Buchhändler mögen auch sagen was sie wollen. [J 868] Eine der sonderbarsten Einbildungen, deren man fähig ist, wäre die daß man glaubte man sei rasend, und man säße im Tollhause, übrigens aber ganz ver- nünftig handelte. Wenn jemand einmal zu dieser Überzeugung käme, so sehe ich fürwahr nicht ein, wie man sie ihm ausreden wollte. [J 878] Außer der Zeit gibt es noch ein anderes Mittel große Veränderungen hervorzubringen und das ist die - Gewalt. Wenn die eine zu langsam geht, so tut die andere öfters die Sache vorher. [J 880] Man hat Nachtstühle, die wie aufeinander gelegte Folianten aussehen. Einige Schriftsteller scheinen Ge- fallen an der umgekehrten Methode zu finden und Bü- cher zu schreiben die sich wie Nachtstühle präsentie- ren. [J 886] Die Kunst Menschen mit ihrem Schicksale mißver- gnügt zu machen, die heutzutage so sehr getrieben wird. O wenn wir doch die Zeiten der Patriarchen wieder hätten, wo die Ziege neben dem hungrigen Löwen graste, und Kain in den zärtlichen Umarmun- gen seines Bruders Abel seine Saecula durchlebte (hier müssen noch mehr solche feine Geschichtchen aufgesucht werden von Sodomiterei, Betrug um Erst- geburt), oder in dem glücklichen Otaheite wo man für einen eisernen Nagel haben kann, was in Hannover und Berlin goldne Tabatieren und Uhren gilt, und wo man bei völliger Gleichheit der Menschen das Recht hat seine Feinde aufzufressen und von ihnen gefressen zu werden.. [J 896] Die Welt ist nicht da um von uns erkannt zu wer- den, sondern uns in ihr zu bilden. Das ist eine Kantische Idee. [J 898] Wenn man Mitleid fühlt, so fragt man nicht erst an- dere Leute ob man es fühlen soll. [J 909] Nachdem ich vieles menschenbeobachterisch und mit vielem schmeichelhaften Gefühl eigner Superiori- tät aufgezeichnet, und in noch feinere Worte gesteckt hatte, fand ich oft am Ende, daß grade das das Beste war, was ich ohne alle diese Gefühle so ganz bürger- lich niedergeschrieben hatte. (sehr sehr wahr) [J 910] Ora & non labora. [J 919] Eine intolerante Bestie von einem Hund kam her- ausgeschossen. [J 922] Der Pater: Ihr seid Menschenfresser Ihr Neusee- länder. Neuseeländer: Und ihr seid Gottfresser ihr Pfaffen. [J 926] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 434 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69530 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 765 ff.)] In dem freien Frankreich, wo man jetzt aufknüpfen lassen kann, wen man will. [J 935] Die Welt jenseit der geschliffenen Gläser ist wich- tiger, als die jenseits der Meere, und wird vielleicht nur von der jenseits des Grabes übertroffen. [J 937] Seit der Mitte des Jahrs 1791 regt sich in meiner ganzen Gedanken Ökonomie etwas, das ich noch nicht recht beschreiben kann. Ich will nur einiges an- führen und künftig aufmerksamer darauf werden. Nämlich ein außerordentlich[es] fast zu schriftlichen Tätlichkeiten übergehendes Mißtrauen gegen alles menschliche Wissen, Mathematik ausgenommen, und was mich noch an [das] Studium der Physik fesselt, ist die Hoffnung etwas dem menschlichen Geschlecht Nützliches auszufinden. Wir müssen nämlich auf Ur- sachen und Erklärungen denken, weil ich gar kein an- deres Mittel sehe uns ohne dieses Bestreben in Tätig- keit zu erhalten. Jemand kann freilich wochenlang auf die Jagd gehn und nichts schießen, aber so viel ist gewiß, zu Hause würde er auch nichts geschossen haben und zwar für sich hat, so gering sie auch sein mag. Wir müssen freilich etwas ergreifen. Aber ob das nun alles so ist, wie wir glauben? Da frage ich mich wieder: was nennst du so Sein, wie du es dir vorstellst? Dein Glaube, daß es so ist, ist ja auch etwas, und von dem übrigen weißt du nichts. Dieses war auch die Zeit da ich (Gott verzeih mir wenn ich irre) zu glauben anfing, daß die Muscheln in den Ber- gen gewachsen sein könnten. Es war aber kein positi- ves Glauben, sondern bloß dunkeles Gefühl von uns- rer Unfähigkeit, oder wenigstens von der meinigen in die Geheimnisse der Natur einzudringen. [J 938] Zum Teil zum Vorhergehenden gehörig: Das Wesen, was wir am reinsten aus den Händen der Natur empfangen, und was uns zugleich am nächsten gelegt wird, sind wir selbst, und doch wie schwer ist da alles und wie verwickelt! Es scheint fast, wir sol- len bloß würken ohne uns selbst zum Gegenstand der Beobachtung zu machen. So bald wir uns zum Gegen- stand der Beobachtung machen: so ist es fast einerlei ob wir aus dem Hainberg den Ursprung der Welt, oder aus unsern Verrichtungen die Natur unserer Seele wollen kennen lernen. [J 939] Die Dachziegel mag manches wissen was der Schornstein nicht weiß. [J 941] Selbst unsere häufigen Irrtümer haben den Nutzen, daß sie uns am Ende gewöhnen zu glauben, alles könne anders sein, als wir es uns vorstellen. Auch diese Erfahrung kann generalisiert werden, so wie das Ursachen-Suchen, und so muß man endlich zu der Philosophie gelangen, die selbst die Notwendigkeit des principii contradictionis leugnet. [J 942] Die beiden Begriffe von Sein und Nichtsein sind bloß undurchdringlich in unsern Geistes-Anlagen. Denn eigentlich wissen wir nicht einmal was Sein ist, und so bald wir uns ins Definieren einlassen, so müs- sen wir zugeben daß etwas existieren kann was nir- gends ist. Kant sagt auch so was irgendwo. [J 943] Es ist doch fürwahr zum Erstaunen, daß man auf die dunkeln Vorstellungen von Ursachen den Glauben an einen Gott gebaut hat, von dem wir nichts wissen, und nichts wissen können, denn alles Schließen auf einen Urheber der Welt ist immer Anthropomorphis- mus. [J 944] Wenn der Verstand reift, oder seine Regierungs- kräfte fühlt ohne etwas zu haben was er regieren kann, so entstehen freilich seltsame Dinge. Man fällt in den Fehler der kleinen Fürsten, und macht sich vor den Großen lächerlich. Hat man viel gelesen und be- sitzt wenig Regierungskunst, so macht man sich vor den Weisen lächerlich. Wenn sich denn doch am Ende einmal lächerlich gemacht sein soll: so wollte ich doch lieber vor dem Großen lächerlich werden, als vor dem Weisen, lieber vor dem Belesenen, als vor dem Denker, der mich immer nach der Art beurteilt, womit ich von meinem Vermögen Gebrauch gemacht habe. [J 945] Zu einem Sinngedicht. Demokrat. Weg mit dem Adel! Verdienst allein soll mir der Weg zur Ehre sein. Aristokrat: O schweig. So verfehlst du den Weg zur Ehre gewiß, aber geadelt kannst du wohl noch einmal werden. Man könnte ihm den Titul: Hieb von beiden Seiten geben. Denn der Adliche, der dem andern hier sicher- lich kein Kompliment macht, macht sich selbst sicher- lich auch keines. Es ist also Vergleich. [J 946] Man ist nie glücklicher als wenn uns starkes Ge- fühl bestimmt, nur in dieser Welt zu leben. Mein Unglück ist nie in dieser sondern in einer Menge von möglichen Ketten von Verbindungen zu existieren, die sich meine Phantasie unterstützt von meinem Ge- wissen schafft, so geht ein Teil meiner Zeit hin, und keine Vernunft ist im Stand darüber zu siegen Dieses verdiente sehr auseinander gesetzt zu werden. Lebe dein erstes Leben recht, damit du dein zweites genie- ßen kannst, Es ist immer im Leben wie mit der Praxis des Arztes, die ersten Schritte entscheiden. Das ist doch Unrecht irgendwo, in der Anlage oder im Urteil? [J 948] Passabel auszudrücken, was andere Leute gedacht hatten, war seine ganze Stärke. [J 951] Das deutsche Genie ist sehr geneigt in wissen- schaftlichen Dingen statt der Sache selbst sich an die Literatur zu halten. Das deutsche Publikum, das selbst schon nach der Seite gestimmt ist, ist auch daher geneigt diese Literatoren mit dem Ruhm zu krö- nen, der eigentlich dem Denker und dem Erweiterer der Wissenschaft allein gehört. [J 953] Es geht freilich sonderbar zu unter uns Erdreichern. [J 954] Man liest jetzt so viele Abhandlungen über das Genie, daß jeder glaubt er sei eines. Der Mensch ist verloren, der sich früh für ein Genie hält. [J 956] Ist es nicht besonders, daß die katholischen Predi- ger immer ihre Gemeinden vor den protestantischen Schriften warnen müssen? Die protestantischen hinge- gen warnen die ihrigen nie vor den katholischen. Ja wäre ich ein protestantischer Prediger, ich würde glaube ich meiner Gemeinde die Lesung der soge- nannten erzkatholischen Bücher als eines der stärk- sten Befestigungsmittel in ihrem Glauben empfehlen. [J 957] Bei aller meiner Bequemlichkeit bin ich immer in Kenntnis meiner selbst gewachsen, ohne die Kraft zu haben mich zu bessern, ja ich habe mich öfters für alle meine Indolenz dadurch entschädigt gehalten, daß ich dieses einsah, und das Vergnügen, das mir die ge- naue Bemerkung eines Fehlers an mir machte, war oft größer, als der Verdruß, den der Fehler selbst bei mir erweckte. So sehr viel mehr galt bei mir der Profes- sor, als der Mensch. Der Himmel führt seine Heili- gen wunderlich. [J 958] Mehr Dinge zu erfinden wie etwa der Schnupfta- bak, der allerdings eine gar seltsame Erfindung ist. Es ist doch würklich, wenn man bedenkt wie viel Wohl- gerüche es in der Natur gibt, eine Art von Onanie. [J 960] Er ritt vorbei und der Morgensonne zu, von seinen Wangen glänzte den eichsfeldischen Schönen eine Gesundheit, und aus seinem Munde ihrem Kälberbra- ten ein Gebiß entgegen, das beiden unaufhaltsame Zerstörung drohte. [J 963] Aus allem erhellt die stark belegte Zunge des Ver- fassers, wo bloßes Abschaben wenig hilft, sondern die Reinigung tiefer geschehen muß. [J 965] Eine goldne Regel: Man muß die Menschen nicht nach ihren Meinungen beurteilen, sondern nach dem, was diese Meinungen aus ihnen machen. - Ich fühle, daß ich nach der Meinung der Welt hiergegen nicht aushalte, ob ich gleich vor Gott überzeugt bin, daß ich es würde, wenn sie mich genauer kennte. Also das Aus-ihnen-machen muß genau beobachtet werden. [J 966] Ich möchte zum Zeichen für Aufklärung das be- kannte Zeichen des Feuers (D) vorschlagen. Es gibt Licht und Wärme, es [ist] zum Wachstum und Fort- schreiten alles dessen was lebt unentbehrlich, allein - unvorsichtig behandelt brennt es auch und zerstört auch. [J 971] Es steckte viel Anlage in dem Menschen und er trug auch zu, allein es fehlte ihm so gänzlich alles was man irgend hierbei Stöpsel nennen könnte, daß gemeiniglich, noch ehe er etwas zusammenbringen konnte, was der Mühe wert gewesen wäre in leichtem Maulwerk verdampfte. [J 973] Die Theorien der physischen Welt (Erde) fangen mit einem rohen Klumpen an, der immer besser wurde, die von der moralischen fangen mit patriarcha- lischer Vollkommenheit an und werden immer ärger. Ich glaube es ist in der 2. nicht besser gegangen als in der ersten. Daß der rohe Mensch in manchen Stocken besser ist als der gebildete, das ist nicht zu verwun- dern, so ist auch das Kind in vielen besser als der Er- wachsene pp. [J 974] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 442 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69538 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 784 ff.)] In den Kehrigthaufen vor der Stadt lesen und su- chen was den Städten fehlt, wie der Arzt aus dem Stuhlgang und Urin. [J 990] Ich habe das Register der Krankheiten angesehn, und habe die Sorgen und traurige Vorstellungen nicht darunter gefunden, das ist sehr unrecht. [J 992] Gott, der Vergelder alles Guten. [J 994] Der eine akkouchierte mit subtilem Finger die töne- schwangere Flöte während der andere der dicken baß- schwangern Geige mit der Faust eben den Dienst er- wies. (Stil) [J 995] Er hatte viel hypochondrische Attention gegen sich selbst. [J 996] Schlecht Disputieren ist immer besser als gar nicht, selbst Kannegießern macht die Leute weiser, wenn gleich nicht in der Politik, doch in andern Dingen. Das bedenkt man nicht genug. [J 1001] Er war Professor und handelte zugleich mit Holz, aber der Holzhändler ernährte hier den Professor, so wie der Herzog von Piemont den König von Sardini- en. [J 1003] Der Ton stimmt oft die Behauptung statt daß die Behauptung den Ton angeben sollte. Selbst gute Schriftsteller, wenn sie auch gerne schön sprechen, finden sich unvermerkt zuweilen da, wo sie eigentlich nicht hin wollten. [J 1005] Es kömmt so außerordentlich viel darauf an wie etwas gesagt wird daß ich glaube, die gemeinsten Dinge lassen sich so sagen, daß ein anderer glauben müßte, der Teufel hätte es einem eingegeben. [J 1011] Ich habe einen Mann gekannt, der die seltsame Grille hatte nach Tische beim Obst, aus Äpfeln regel- mäßige stereometrische Körper zu schneiden, wobei er immer den Abfall aufaß. Meistens endigte sich die Auflösung des Problems mit einer gänzlichen Aufzeh- rung des Apfels. [J 1016] Anstatt daß sich die Welt in uns spiegelt, sollten wir vielmehr sagen, unsere Vernunft spiegele sich in der Welt. Wir können nicht anders, wir müssen Ord- nung und weise Regierung in der Welt erkennen, die- ses folgt aber aus der Einrichtung unsrer Denkkraft. Es ist aber noch keine Folge, daß etwas, was wir not- wendig denken müssen, auch würklich so ist, denn wir haben ja von der wahren Beschaffenheit der Au- ßenwelt gar keinen Begriff, also daraus allein läßt sich kein Gott erweisen. (»Diese Schwierigkeiten das Dasein Gottes durch die Natur auf eine Art zu bewei- sen, welche alle vernünftige Bedenklichkeiten befrie- digte, führten ihn zurück zu einer tiefen Erforschung unseres eigenen vernünftigen Wesens, durch eine glückliche Ahndung hier die verborgenen Gründe zu treffen, worauf sich unser Glaube an einen weisen Ur- heber des Weltalls gegen alle Zweifel der Vernunft beständig erhielte. Und siehe! er fand was er suchte. Er fand in dem notwendigen und unveränderlichen Bewußtsein, welches wir von unserer eignen vernünf- tigen Kraft haben, Gründe für diesen Glauben, deren Wahrheit wir auf keine andere Weise bezweiflen kön- nen, als wenn wir an unsrer eignen Vernunft d.h. an unsrem eignen Dasein zweifeln wollten.«) Die hier eingeschlossene Stelle ist aus einer Abhandlung im Schleswig-Braunschweigischen Journal Mai 1792, die die Überschrift hat: Ideen zur Bestimmung des Urteils über den Einfluß der Kantischen Philosophie auf die Religion des Lebens. Eine Einleitung zu prü- fenden Bemerkungen über Reimarus natürliche Reli- gion pp. [J 1021] Er war in nichts regelmäßiger als in Dingen, die er gar nicht zum Gegenstand seiner Obhut machte, so verbrauchte er z. E. regelmäßig alle 3 Wochen ein Pfund Schnupftabak ob er gleich gar hierin keiner Regel folgte. Hatte er sich einmal im Ernst vorgenom- men ordentlich darin zu sein, so würde alles sehr un- ordentlich darin gegangen sein. [J 1022] Es ist schlimm genug, daß heut zu Tage die Wahr- heit ihre Sache durch Fiktion, Romane und Fabeln führen lassen muß. [J 1030] Glitzernde Wörtchen. [J 1033] Der alles was ihm vorkömmt aus dem veränderli- chen Hinterhalt einer Art schwimmender Philosophie beschießt. [J 1036] Es ist für des Menschen Rechtfertigung hinrei- chend, wenn er so gelebt hat, daß er seiner Tugenden wegen Vergebung für seine Fehler verdient. [J 1037] Man lacht, und mit Recht, über den Versuch jenes Menschen, der seinem Pferde das Fressen abgewöh- nen wollte. Es starb aber leider! grade an dem Tage, da die größte Hoffnung war, ihm die Kunst endlich beizubringen. Mit dem Klug-Werden geht das nicht bloß den Schwaben so, sondern den meisten Men- schen. [J 1043] Ich nehme der Mamsell ihre Tugend in acht, als wenn es meine eigne wäre, sagt eine alte Gouvernan- te. [J 1045] Die Allmacht Gottes im Donnerwetter wird nur be- wundert entweder zur Zeit da keines ist, oder hinten drein beim Abzuge. [J 1047] Die Natur hat die Frauenzimmer so geschaffen, daß [sie] nicht nach Prinzipien sondern nach Empfindung handeln sollen. [J 1059] Daß Gott, oder was es ist, durch das Vergnügen im Beischlaf den Menschen zur Fortpflanzung gezogen hat, ist doch bei Kants höchstem Prinzip der Moral auch zu bedenken. [J 1071] Wenn der Schlaf ein Stiefbruder des Todes ist, so ist der Tod ein Stiefbruder des Teufels. [J 1093] Die Gegner der Französischen Republik sprechen immer, daß es das Werk einiger wenigen aufrüh- rischen Köpfe sei. Hier kann man frei fragen: Was ist je bei großen Begebenheiten das Werk von vielen zu- gleich gewesen? Oft war es nur das Werk eines einzi- gen. Und was sind denn unsere Potentaten-Kriege je anders gewesen, als das Werk von wenigen? König und Minister. Es ist ein elendes Räsonnement. Selbst das Mehrere in den Köpfen hindert den Fortgang; es müssen und können nur wenige sein, wenn etwas Großes ausgeführt werden soll, die übrigen, die Menge muß allemal herübergebracht werden, man mag nun das Überzeugung oder Verführung nennen, das ist gleich viel. Auch spricht man so verächtlich von Bierbrauern, Parfümeurs die jetzt große Rollen spielen. Es gehört ja dazu nichts als grader Men- chen-Sinn, Mut und Ehrgeiz. Muß denn gerade [ein] Exzerpier-Comptoir allen Mutterwitz versessen haben um ein Volk anzuführen? (bloß Gerippe des Gedan- kens) [J 1094] Könnten nicht die Titul Magister, Doktor pp zu Taufnamen erhoben werden? [J 1096] Im Namen des Herrn sengen, im Namen des Herrn brennen morden und dem Teufel übergeben, alles im Namen des Herrn. [J 1099] Es ist viel anonymisches Blut vergossen worden. [J 1102] Er pflegte sich und seinen Kindern so viel circenses zu geben, daß es endlich beiden am pane zu fehlen anfing. [J 1103] Es gibt manche Leute die nicht eher hören bis man ihnen die Ohren abschneidet. [J 1107] Das ist auch einer von denen, die glauben der Mensch wäre schon fertig und der jüngste Tag könnte nun anfangen. [J 1121] Viel Hasen sind der Hunde Tod, sagt der Oberför- ster, dem man seinen Hund aus Versehen tod geschos- sen hatte weil der Schützen zu viele waren. [J 1122] Es wäre vielleicht besser für das menschliche Ge- schlecht, wenn es ganz katholisch wäre als ganz pro- testantisch. Sobald aber einmal Protestantismus exi- stiert, so muß man sich schämen ein Katholik zu sein. Denn was der allgemeine Katholizismus Gutes hätte fällt nun weg, und ihn wieder allgemein zu machen ist unmöglich. [J 1134] Wenn jemand in Cochinchina sagt doii (doji mich hungert), so laufen die Leute als wenn es brennte ihm etwas zu essen zu geben. In manchen Provinzen Deutschlands könnte ein Dürftiger sagen: mich [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 450 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69546 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 792 ff.)] hungert, und es würde gerade so viel helfen, als wenn er sagte doii. [J 1147] Den französischen Freiheitsbaum linneisch zu schildern, könnte eine gute Satyre werden. [J 1148] Das herannahende Alter und die Furcht davor recht auszumalen, das allmählige Vergehn der Zähne, die einzelnen grauen Haare. Alle die heimlichen Untersu- chungen darüber. Bemerkt man einen solchen Zu- stand recht genau, so wird man dadurch auch in den Stand gesetzt einen erdichteten eben mit dem charak- teristischen Detail zu schildern. So lernt man das menschliche Herz schildern. Der Alternde tröstet sich damit, daß jüngere Leute auch schon keine Zähne mehr, und graue Haare haben, und er vergleicht sich immer mit den Besten und Vorteilhaftesten. [J 1149] Ich möchte wohl wissen was geschehn würde, wenn einmal die Nachricht vom Himmel käme, daß der liebe Gott ehestens eine Kommission von bevoll- mächtigten Engeln herab schicken würde, in Europa herum zu reisen, so wie die Richter in England, um die großen Prozesse abzutun worüber es in der Welt keinen andern Richter gibt, als das Recht des Stärke- ren. Was würde dann aus manchen Königen und Mi- nistern werden? Mancher würde [lieber] um gnädig- sten Urlaub ansuchen einem Walfischfang beizuwoh- nen oder die reine Kap-Horn-Luft zu atmen pp als an seiner Stelle bleiben. [J 1151] Es verdiente wohl, daß man am Ende des Jahres ein Gericht über die Zeitungen hielte, vielleicht machte dieses die Schreiber derselben behutsamer. Da die Zeitungsschreiber auch selbst belogen werden, so müßte man behutsam verfahren um nicht Unrecht zu tun. Man müßte zwei oder mehrere entgegengesetzte Blätter mit einander vergleichen, und beide mit dem Lauf der Begebenheiten. So ließ sich am Ende etwas über den Wert der politischen Zeitungen überhaupt festsetzen. Ihr Charakter, oder auch ein Vorspiel in Versen, wo die deutschen politischen Zeitungen als Personen aufträten, könnte eine gute Satyre werden. Das Politische Journal, Schlözers Staats-Anzeigen, das Ristretto, der Correspondent, der Moniteur. Sie könnten angeben, womit sie handeln. Sie könnten als Handelsleute, Contrebandiers arretiert werden. [J 1154] Man gibt falsche Meinungen, die man von Menschen gefaßt hat, nicht gern auf, so bald man sich dabei auf subtile Anwendung von Menschenkenntnis etwas zu gute tun [zu] können für berechtigt hält, und glaubt solche Blicke in das Herz des andern könnten nur gewisse Eingeweihte tun. - Es gibt daher wenige Fächer der menschlichen Erkenntnis, worin das Halb- wissen größern Schaden tun kann, als dieses Fach. [J 1160] Ich sehe nicht was es schaden kann dem Patriotis- mus für den nicht alle Menschen Gefühl haben Liebe des Königs unterzuschieben, wenn der König so herrscht, daß alles aus Liebe zu ihm und Treue gegen ihn [geschieht]. Liebe und Treue gegen einen recht- schaffenen Mann ist dem Menschen viel verständli- cher als die gegen das beste Gesetz. Was für eine Macht haben nicht die Lehren der Tugend wenn sie aus dem Munde rechtschaffener Eltern kommen. Gott hat gesagt, du sollst nicht töden, du sollst Vater und Mutter ehren, du sollst kein falsch Zeugnis reden pp. Gott, der Herr der Natur, dein Schöpfer hat es dir ge- boten, das versteht jedermann. Der Beweis aus dem Rechte der Natur ist nicht so verständlich. Jene Worte sind deswegen kein Betrug, denn es ist die Stimme der Natur und Gottes. [J 1161] Es fehlt nicht viel, so ordnet man die Menschen in Rücksicht auf Geistes-Fähigkeiten, so wie die Mine- ralien nach ihrer Härte, oder eigentlich nach der Gabe die eines besitzt, das andere zu schneiden und zu krat- zen. [J 1162] Wir nehmen Dinge wahr vermöge unsrer Sinnlich- keit. Aber was wir wahrnehmen sind nicht die Dinge selbst, das Auge schafft das Licht und das Ohr die Töne. Sie sind außer uns nichts. Wir leihen ihnen die- ses. Eben so ist es mit dem Raume, und der Zeit. Auch wenn wir die Existenz Gottes nicht fühlen, be- weisen können wir sie nicht. Alle diese Dinge führen auf eines hinaus. Es ist aber nicht möglich sich hier- von ohne tiefes Denken zu überzeugen. Man kann Kantische Philosophie in gewissen Jahren glaube ich eben so wenig lernen als das Seiltanzen. [J 1168] Glaubt etwa jemand, daß sich alte Mißbräuche auf der Welt so leicht wegwischen lassen? Die französi- sche Revolution wird manches Gute zurücklassen das ohne sie nicht in die Welt gekommen wäre, es sei auch was es wolle. Die Bastille ist weg, und das in- fame Insekt, das Herr von Born in seiner Monacholo- gie beschrieben hat, ist dadurch etwas zusammengeschwefelt worden. [J 1172] Wenn ein Krieg 20 Jahre gedauert hat, so kann er wohl 100 dauern. Denn der Krieg wird nun ein Sta- tus. Polemokratie. Die Menschen die den Frieden ge- schmeckt haben sterben weg. [J 1181] Was der Soldat für ein Tier ist sieht man deutlich aus dem gegenwärtigen Krieg. Er läßt sich gebrau- chen Freiheit festzusetzen, Freiheit zu unterdrücken, Könige zu stürzen, und auf dem Thron zu befestigen. Wider Frankreich, für Frankreich und wider Polen! [J 1182] Man schreibt wider den Selbstmord mit Gründen die unsere Vernunft in dem kritischen Augenblick be- wegen sollen. Dieses ist aber alles vergeblich, so lange man sich diese Gründe nicht selbst gefunden hat, das heißt, so bald sie nicht die Früchte, das Re- sultat unserer ganzen Erkenntnis und unsres erworbe- nen Wesens sind. Also alles ruft uns zu, bemühe dich täglich um Wahrheit, lerne die Welt kennen, befleißi- ge dich des Umgangs mit rechtschaffnen Menschen, so wirst du jederzeit handeln wie dirs am zuträglich- sten ist, und findest du dereinst den Selbstmord für zuträglich, das heißt sind alle deine Gründe nicht hin- reichend dich abzuhalten, so ist er dir auch - erlaubt. [J 1186] Die Franzosen versprachen in den adoptierten Län- dern Bruderliebe, sie schränkten sich aber am Ende bloß auf Schwesterliebe ein. [J 1192] Ich möchte wohl wissen, ob alle die wider die Gleichheit der Stände schreiben und dieselbe lächer- lich finden recht wissen was sie sagen. Eine völlige Gleichheit aller Menschen, so wie etwa aller Maikäfer läßt sich gar nicht denken, so können es auch die Franzosen unmöglich verstanden haben, denn sie reden ja überall von den Reichen. Selbst Cambon sagt in dem Rapport vom 15. Dezember, worauf das be- rüchtigte Dekret gebaut wurde: Nur die Reichen sol- len zu den Staatslasten beisteuern. Unter den Studen- ten auf Universitäten findet eine solche Gleichheit statt, der ärmste Student dünkt sich so viel wie der Graf und gibt diesem nichts vor und das ist recht, ob er gleich gerne zugibt, daß er im Collegio an einem besondern Tische sitzt und bessere Kleider trägt. Nur muß er als Graf keine Vorzüge prätendieren, die ihm bewilligten läßt ihm jedermann gerne. Wollte er wel- che prätendieren, so wäre dieses der Weg zu bewirken, daß man ihm alle versagte. Nur die stolzen Prätensionen sind, was der freie Mensch nicht vertra- gen kann, er ist übrigens gar sehr geneigt wenn man ihn gehen läßt jedem [die] Vorzüge zu bewilligen, die er verdient, und was er für welche verdient, dazu hat er gewöhnlich ein sehr richtiges Maß. Jede Achtung ist ein Geschenk, das nicht erzwungen werden darf und kann. Bewilligt das Volk durch Dekrete gewisse Vorzüge, so ist dieses eine Abgabe und kein Ge- schenk des einzelnen und diese können prätendiert werden, so sind die Vorrechte der Magistrats-Perso- nen im Dienst. Jedermann denke doch an die Bürger seiner Vaterstadt. Wenn der reichste Kaufmann einer Stadt einen Vorzug vor dem ärmsten Schuster oder Schneider prätendierte, so möchte er übel ankommen, du hast mir nichts zu befehlen, ist die Antwort, prä- tendiert er ihn nicht und ist sonst ein ehrlicher Mann, so wird ihm der den Vorzug nie versagan. [J 1194] Deutscher Fleiß, mit diesem Titul pflegen oft Köpfe, die nicht zum Denken aufgelegt sind, ihre trockene geistlähmende Bemühungen zu belegen. Tag und Nacht lesen und sammeln hat etwas sehr Schmei- chelhaftes für den Sammler, dem es an wahrer Gei- stesstärke fehlen muß, denn sonst schickte er sich nicht zu solchen Arbeiten, die immer etwas von Neger-Dienst an sich haben. Es ist auch nicht ohne Verdienst in jedem Sinn, wo dieses Wort auch Ein- nahme bedeutet, aber man sollte doch bedenken, daß ein solcher Mann immer unendlich tief unter dem kleinsten Erfinder steht. In England werden die Lite- ratoren wenig geachtet. In Deutschland sieht man den Mann schon als etwas an, der weiß was in jeder Sache geschrieben worden ist, ja wenn man ihn um sein Ur- teil in einer Sache fragt, so nimmt man wohl vorlieb, wenn er einem eine Literär-Geschichte der Sache statt der Antwort gibt. [J 1195] Eine Wirkung völlig zu hindern, dazu gehört eine Kraft, die der Ursache von jener gleich ist, aber ihr eine andere Richtung zu geben bedarf es öfters nur einer Kleinigkeit. [J 1196] Was doch eigentlich den Armen den Himmel so an- genehm macht ist der Gedanke an die dortige größere Gleichheit der Stände. [J 1202] Unter die Mißverständnisse oder die falschen Dar- stellungen bei der französischen Revolution gehört auch die daß man glaubt, die Nation werde von [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 458 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69554 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 814 ff.)] einigen Bösewichtern geleitet. Sollten nicht vielmehr diese Bösewichter sich die Stimmung der Nation viel- mehr zu Nutz machen. [J 1203] Er redete so zu den Leidenschaften der Menschen, als wenn sie zu einem Sturm kommandiert wären. [J 1204] Mein Körper ist derjenige Teil der Welt, den meine Gedanken verändern können. Sogar eingebildete Krankheiten können würkliche werden. In der übrigen Welt können meine Hypothesen die Ordnung der Dinge nicht stören. [J 1208] A. Sie sind sehr alt geworden. B. Ja, das ist ge- wöhnlich der Fall wenn man lange lebt. [J 1215] Manna - Hannah - Osianna. [J 1216] Für den Verlust von Personen, die uns lieb waren, gibt es keine Linderung als die Zeit, und sorgfältig und mit Vernunft gewählte Zerstreuungen, wobei uns unser Herz keine Vorwürfe machen kann. [J 1221] In der allgemeinen Litteratur-Zeitung wird einmal angemerkt man hätte zu Paris die Statuen einschlie- ßen sollen (1793. N° 78, p. 622.) um der Barbarei ihrer Zerstörung vorzubeugen, auch an einem andern Ort (N° 85 S. 675), es hätte manches bei der Revolu- tion nicht so gewaltsam geschehen müssen. Als wenn je die Natur die Ausführung ihrer Plane der Metaphy- sik abtretten würde. Es wäre wohl auch gut gewesen, wenn die Städte in Kalabrien so lange in Sicherheit wären gebracht worden, bis die Natur den Kellerbau, den sie unter denselben vorhatte, vollendet gehabt hätte, das ist es eben. Ich sollte denken, wenn trotz aller Reparaturen und alles Stützens, das Gebäude doch endlich einstürzt, so lag die bessere Einrichtung des Ganzen nicht in dem Reparatur-Plan und dessen Fortgangs-Gesetz. Aus einem immer verbesserten, aber nach seinen Grundsätzen verbesserten Katholi- zismus konnte nie Protestantismus, und aus einer ver- besserten Populär-Philosophie nie Kantische Philoso- phie werden. Aus einer allmählig verbesserten Carte- sianischen Physik konnte nie die wahre Newtonische werden. Die größten Mathematiker haben an den Wir- beln gedreht und gelenkt um sie gehen zu machen. Aber es half alles nichts, sie mußten herunter diese Wirbel und allgemeine Schwere bestieg den Thron und herrscht nun von der Milchstraße bis zur Sonne, und wird herrschen bis ans Ende der Zeit. [J 1223] Man hat Sagen der Vorzeit von Veit Weber. Unse- re Zeitungen sind Sagen der Zeit, so sollte man sie nennen. Man hat nachgerechnet und gefunden daß 1/4 (Viertel) von jedem Blatt mit Berichtigung von alten Lügen und 3/4 mit neuen angefüllt sind. Siehe S. 141. Col. 2 [1238]. [J 1224] Die Dogmatik, die fruchtbare und gütige Mutter der Polemik. [J 1226] Ist es nicht sonderbar, daß jedermann sein eigner Arzt, auch sein eigner Advokat sein darf, sobald er aber sein eigner Priester sein will, so schreit man Jammer und Weh über ihn und die Götter der Erde mischen sich darein. Was wohl die Ursache sein mag daß sich die Götter der Erde so sehr um das ewige Wohl der Menschen bekümmern, da sie doch ihr zeit- liches oft so unverantwortlich vernachlässigen, Die Antwort ist nicht sehr schwer. [J 1227] Ordnung führet zu allen Tugenden! aber was führet zur Ordnung? [J 1230] Hermeneutische Billigkeit kann jeder Schriftsteller von seinem Leser verlangen, denn diese ihm versagen, ist eigentlich Chicane. [J 1233] Ist denn etwa die Lage so selten in der einem Philo- sophie das Philosophieren versagt? [J 1234] Zeitungen besser Sagen der Zeit so wie man Sagen der Vorzeit hat. Nach Zeitung ist Räumung. Das letztere ist Platz- machen, so wie das erste Zeitmachen oder Zeitenma- chen. Zeitungen sind öffentliche Blätter worin die neusten Begebenheiten so erzählt werden wie es [sich] für Zeit und Umstände des Orts wo sie gedruckt wer- den am besten schickt. Exoterische und esoterische. [J 1238] Ich glaube der beste Kopist und Zeichner würde einen Kopf oder eine Figur nicht gut treffen können, wenn sie ihm verkehrt vorgelegt würde, und unter der Bedingung weder das Original noch seine Kopie während der ganzen Arbeit je gerade vor sich hinzule- gen. Man sieht also was der Künstler tut der ein Ge- sicht kopiert, er liest beständig im Ganzen, und mit dem Geiste dieses Ganzen vor Augen tut er manchen Strich in der augenblicklichen Begeisterung wenn ich so reden darf, wovon er nichts weiß, und so wird die Kopie ähnlich. Man wird finden, daß dieses Lesen, dieses Zusammennehmen derselben bei jedem Unter- nehmen nötig ist und den Mann von Genie zu diesem Unternehmen von dem gemeinen Kopf unterscheidet. So sind bei dem Kommando von Armeen, bei Anla- gen großer mechanischer Werke, bei großen Finanz- operationen oft die tiefsten Theoretiker die elendesten Ausführer. Sie haben immer das Detail zu sehr vor Augen, und das Ungemeine, das von wenigen Er- kannte, das Neuentdeckte, auch das Schwere, und vergessen darüber das leichte Alltägliche, das immer oder doch wenigstens in den meisten Fällen auch das Hauptsächlichste ist. Hier fällt mir der Mathematiker ein, der gegen eine Maschine, die den Weg des Schif- fes auf der See zeichnen sollte, nichts einzuwenden hatte, als daß es wegen der Ausdehnung des Papiers trügen könne. [J 1241] Sie fühlen den Druck der Regierung so wenig als den Druck der Luft. [J 1243] So wie es eines jeden Vermögens-Umstände ver- statten, ich meine hier des geistischen Vermögens. [J 1245] In Frankreich gärt es, ob [es] Wein oder Essig wer- den wird ist ungewiß. [J 1249] Es ist eine herrliche Bemerkung, die ich in einem Aufsatz im Schleswig-Braunschweigischen Journal gelesen habe, daß der Pöbel in der Welt, die Sanscu- lottes und die Großen der Erde, also die beiden äußer- sten Menschen-Klassen grade die sind, die von Wahr- heit und Tugend am weitsten entfernt sind, und von denen auch die größten Schandtaten begangen wer- den. Paris hat seine Sansculottes nicht besser erzogen, als seinen Hof, der sogar einmal seinen Helden den Namen aus der verworfensten Klasse der Sansculottes gab, nämlich den von roués. [J 1250] Es wäre wohl gut wenn ihm jemand einmal sein goldnes Wolfs-Vlies über die Ohren zöge. Einem das Vlies über die Ohren ziehen, ist besser als Fell. [J 1253] Es verdiente einmal recht ernstlich für eigene Haushaltung untersucht zu werden: warum die mei- sten Erfindungen durch Zufall müssen gemacht wer- den. Die Hauptursache ist wohl die, daß die Men- schen alles so an sehen lernen wie ihre Lehrer und ihr Umgang es ansieht. Deswegen müßte es sehr nützlich sein einmal eine Anweisung zu geben wie man nach gewissen Gesetzen von der Regel abwei- chen könne. [J 1329] Einen leeren Bogen vollkommen trocken zu wiegen alsdann vollzuschreiben wieder zu trocknen, und wie- der zu wiegn. [J 1461] Gott, diese große Qualitas occulta. [J 1485] Ein Meisterstück der Schöpfung ist der Mensch auch schon deswegen, daß er bei allem Determinis- mus glaubt er agiere als freies Wesen. [J 1491] Es ist sonderbar, daß nur außerordentliche Men- schen die Entdeckungen machen, die hernach so leicht und simpel scheinen, dieses setzt voraus daß die simpelsten aber wahren Verhältnisse der Dinge zu be- merken sehr tiefe Kenntnisse nötig sind. [J 1529] Das Wort Schwierigkeit muß gar nicht für einen Menschen von Geist als existent gedacht werden. Weg damit! [J 1534] Durch das Planlose Umherstreifen durch die plan- losen Streifzüge der Phantasie wird nicht selten das Wild aufgejagt, das die planvolle Philosophie in ihrer wohlgeordneten Haushaltung gebrauchen kann. [J 1550] Der Mensch ist ein Ursache[n] suchendes Wesen, der Ursachensucher würde er im System der Geister genannt werden können. Andere Geister denken sich vielleicht die Dinge unter andern uns unbegreiflichen Verhältnissen. [J 1551] Da Menschen sehr lange scheinbar todt sein kön- nen, so ist die Frage ob man nicht endlich lernt ihnen diese Betäubung künstlich zu geben, und sie so zu er- halten. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 466 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69562 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 823 ff.)] [J 1574] Man muß etwas Neues machen um etwas Neues zu sehen. [J 1770] Es ist gewiß etwas sehr Charakteristisches in dem Deutschen ein paar Erfahrungen sogleich in ein Sy- stem zu ordnen, dieses tut der Engländer nicht. Nichts hindert den Fortgang der Wissenschaft mehr, wie schon Baco und hundert andere gesagt haben. [J 1781] Was würde das für ein Gerede in der Welt geben, wenn man durchaus die Namen der Dinge in Defini- tionen verwandeln wollte! [J 1806] Man könnte den Menschen so den Ursachen-Bär, so wie den Ameisen-Bär nennen. Es ist etwas stark gesagt. Das Ursachen-Tier, wäre besser. [J 1826] Kolumbus, Kolumbus! überall. [J 1849] Alle künstliche Versuche sind gewissermaßen Monstra. [J 2010] Was haben wir getan? Was tun wir jetzt? Was sollten wir noch tun? [J 2076] Nicht zu sagen Hypothese, noch weniger Theorie, sonder[n] Vorstellungs-Art. [J 2093] Philosophie ist immer Scheidekunst man mag die Sache wenden wie man will. Der Bauer gebraucht alle die Sätze der abstraktesten Philosophie nur einge- wickelt, versteckt, gebunden, latent, wie der Physiker und Chemiker sagt; der Philosoph gibt uns die reinen Sätze. [J 2148] [Aus »Sudelbuch« K] Durch die Ermordung Ludwigs XVI. wurden Leute gegen die Grundsätze jener fränkischen Vandalen empfindlich die es vorher nicht waren. Jene Tat war die Sprache, wodurch sie ihnen verständlich wurden; und sie zu rächen, tut jetzt mancher, was er sonst nicht würde getan haben. So werden die größten Dinge verrichtet, und eben so ist es bei tausend Men- schen mit der Liebe gegen den König. Der Untertan tut oft für einen guten König, was er für die eherne Bildsäule des Gesetzes nicht würde getan haben. Ein guter Regent ist die Kraft des Gesetzes, die freilich meistens nur zum Strafen gebraucht wird, aber wenig zum Belohnen. Der Mensch unterläßt viel leichter aus Furcht vor dem Haß des Regenten, als er aus Liebe für ihn tut. Was für eine große Kunst wäre es den Menschen Dinge tun zu machen, ohne daß er es weiß, so wie der die Jagd liebt seinem Körper eine gesunde Bewegung macht, oder der den Hunger stillt für die Nahrung seines Leibes sorgt, oder sein Geschlecht fortpflanzt indem er eigentlich bloß für sein Vergnü- gen sorgt. Der Himmel hat so wenig auf unseren Ver- stand ankommen lassen, und wir wollen alles damit treiben. Das Gesetz ist ein gar kalter Körper. Was könnten nicht Regenten ausrichten zumal in kleinen Staaten, wenn sie sich ihren Untertanen öfters zeigten, predigten und usw. Sie würden so die Seele des Ge- setzes, dessen Körper für sich wenig Reiz hat. [K 1] Die besten Gesetze kann man bloß respektieren und fürchten, aber nicht lieben. Gute Regenten re- spektiert man, fürchtet man und liebt man. Was für mächtige Quellen von Glück für ein Volk! [K 3] Er schickte mir ein sehr schlecht gedrucktes und geschriebenes Trostgedicht, grade als wenn man Trä- nen mit Löschpapier trocknen könnte. [K 7] Je größer und weitaussehender der Plan ist in den eine Revolution hinein gehört, desto mehr Leiden ver- ursacht sie denen die darin begriffen sind, indem es nicht jedermanns Sache ist selbst wenn er es über- sieht, sich durch den Verstand mit Gedult zu stärken, und dieses um so weniger, je ungewisser es ist, ob er noch die Früchte davon genießen werde. Aber eben dieselbe Kurzsichtigkeit, die den Menschen unfähig macht die großen Plane der Vorsehung zu überschau- en, verstattet auch den weisesten Regierungen nicht auf dem sanften Wege, den sie mit Recht einschlagen, große Zwecke zu erreichen, ja da es natürliche Pflicht ist immer nur das zu wählen was uns gut dünkt, so ist es unmöglich zum Vorteil der Welt [einen] Weg ein- zuschlagen der Millionen fürs Gegenwärtige unglück- lich macht. Der Mensch ist nur da die Oberfläche der Erde zu bauen, den Bau und die Reparaturen, die mehr in die Tiefe gehen, behält sich die Natur selbst vor. Dieser Bau ist ihm nicht anvertraut. Erdbeben die Städte umkehren kann er nicht machen und wenn er sie machen könnte würde er sie gewiß am unrechten Ort anbringen. Ich bin sehr geneigt zu glauben daß es mit unsern -- archien und kratien eben so geht. Was der Pflug und die Axt tun kann, das Können und Müssen ist für uns, aber nicht was den Erdbeben, den Überschwemmungen und den Orkanen zugehört, und vermutlich, ja gewiß eben so nützlich und so nötig ist. Wenn am Ende das Glück des ganzen Geschlechts in einer ...kratie besteht, wovon wir das erste Wort der Zusammensetzung gar nicht kennen, und das man nach Gebrauch der Mathematiker etwa durch x° kratie bezeichnen könnte, wer will dieses x bestimmen? Ein Freund las Christokratie, und aus dem Innersten mei- ner Seele gesprochen, ich habe gegen diesen Wert von x nichts einzuwenden, wenn man nur erst über die Be- deutung des Worts Christus recht eins wäre, oder die so deutliche Bedeutung nicht mutwillig verkennen wollte. Es ist aber zu fürchten, daß auch dieses Verständnis nur durch Reformationsrevolutionen und dreißigjährige Kriege wird bewirkt werden können. [K 16] Wenn uns einmal ein höheres Wesen sagte wie die Welt entstanden sei, so möchte ich wohl wissen ob wir im Stande wären es zu verstehen. Ich glaube nicht. Von Entstehung würde schwerlich etwas vor- kommen, denn das ist bloßer Anthropomorphismus. Es könnte gar wohl sein, daß es außer unserm Geist gar nichts gibt was unserem Begriff von Entstehung korrespondiert, sobald er nicht auf Relationen von Dingen gegen Dinge, sondern auf Gegenstände an sich angewendet wird. [K 18] Man schreibt sehr viel jetzt über Nomenklatur und richtige Benennungen, es ist auch ganz recht, es muß alles bearbeitet und auf das beste gebracht werden. Nur glaube ich, daß man sich zu viel da von ver- spricht, und zu ängstlich ist den Dingen Namen zu geben die ihre Beschaffenheit ausdrücken. Der uner- meßliche Vorteil den die Sprache dem Denken bringt besteht dünkt mich mehr darin, daß sie überhaupt Zei- chen für die Sache, als daß sie Definitionen sind. Ja ich glaube daß grade dadurch der Nutzen den die Sprachen haben wieder zum Teil aufgehoben wird. Was die Dinge sind, dieses aus zumachen ist das Werk der Philosophie. Das Wort soll keine Definition sein, sondern ein bloßes Zeichen für die Definition, die immer das veränderliche Resultat des gesamten Fleißes der Forscher ist, und es in so unzähligen Ge- genständen unsres Denkens ewig bleiben wird, daß der Denker daher gewöhnt wird sich um das Zeichen, als Definition gar nicht mehr zu bekümmern, und diese Unbedeutlichkeit auch endlich unvermerkt auf solche Zeichen überträgt die richtige Definitionen sind. Und das ist auch dünkt mich sehr recht. Denn da einmal nun die Zeichen der Begriffe keine Definitio- nen sein können, so ist fast besser gar keines dersel- ben eine Definition sein zu lassen, als auf das Anse- hen einiger Zeichen hin, die richtige Definitionen sind, so vielen andern die es nicht sind einen falschen Kredit zu verschaffen. Das würde eine Herrschaft der Sprache über die Meinungen bewirken die alle den Vorteil wieder raubte den uns die Zeichen verstatten. Es ist aber nicht zu befürchten, die sich selbst über- lassene Vernunft wird immer die Worte für das neh- men was sie sind. - Es ist unglaublich wenig was ein solches definierendes Wort leistet. Das Wort kann doch nicht alles enthalten und also muß ich doch die Sache noch besonders kennen lernen. Das beste Wort ist das das jedermann gleich versteht. Also sei man ja behutsam mit der Wegwerfung allgemein verstandener Wörter, und man werfe sie nicht deswe- gen weg weil sie einen falschen Begriff von der Sache gäben! Denn einmal ist es nicht wahr, daß es mir einen falschen Begriff gibt, weil ich ja weiß und vor- aussetze, daß das Wort diene die Sache zu unterschei- den, und für das andere, so will ich aus dem Wort das Wesen der Sache nicht kennen lernen. Wer hat beim Metall-Kalch je an Kalch gedacht? Was kann es scha- den die Kometen Kometen das ist Haar-Sterne zu nennen, und was würde es nutzen sie Brand- oder Dampf-Sterne zu nennen? (Sternschnuppe.) Es läßt sich selten viel in die Namen eintragen, so daß man doch erst die Sache kennen muß. Parabel, Hyperbel, Ellipse sind Namen dergleichen sich die Chymie we- niger rühmen kann, denn [sie] drücken Eigenschaften dieser Linien aus, aus denen sich alle die übrigen her- leiten lassen, welches freilich mehr reiner Natur der Wissenschaft wohin diese Betrachtungen gehören als einem besonderen Witz der Erfinder dieser Namen zu- zuschreiben ist. Aber was hilft eben diese Weisheit, man braucht sie wie den Namen Zirkel und Kreis oder Muschel-Linie, die keine Definition sind. Der Dispüt hat würklich etwas Ähnliches mit den puristischen Bemühungen der Sprachmelioristen, und Orthogra- phen. Man hofft zu viel von guten und fürchtet zuviel von schlechten Wörtern. Die Richtigkeit des Aus- drucks ist es nicht allein sondern die Bekanntheit und [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 474 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69570 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 290 ff.)] der Wert eines Worts steht also gewissermaßen in der zusammengesetzten Verhältnis aus der jedesmalen Richtigkeit und der Bekanntheit. Freilich Regeln für die Wörterfertigung festzusetzen ist immer sehr gut, denn es kann ein Fall kommen, wo man sie gebraucht. Es ist würklich gut den Dingen griechische zu geben. Hätte man für die ganze Chemie hebräische Namen oder arabische wie Alkali pp, so würde man am be- sten dabei fahren je weniger man von dem Namen versteht. [K 19] Nomenklatur. Auch hier ist die eingeschränkte Monarchie der Aristokratie vorzuziehen. Wenn man bloß vernünftig gewählte Ausdrücke gelten machen will, so gibts eine Aristokratie, und dann welche sind dann die vernünftigsten und wer soll darüber ent- scheiden? Es können ja viele gleich gut und gleich vernünftig gewählt sein. Ich halte auch hier einen ge- schnitzten Monarchen für den besten; geschnitzte Heiligen richten mehr aus als die beseelten. Am Um- schaffen eingeführter Namen hat immer mehr Eitelkeit als Nützlichkeit Anteil, denn gewöhnlich werden sie alsdann erst nützlich wenn man sie so nimmt wie die alten, nämlich nicht mehr denkt was die Dingen ihrem Wesen nach sind,, die sie bezeichnen, sondern bloß an die Dinge. Hypothesen sind Gutachten, Nomenklaturen sind Mandate. [K 20] Nomenklatur. Ich glaube immer es ist am besten gar nicht zu reformieren. Es erweckt Erbitterung und Neid und Verachtung, auch wird zuviel über Namen geschrieben, das doch eigentlich nichts ist. Das Un- sinnige verliert sich von selbst, und das was gleich- sam die Natur abstößt, wächst nicht wieder. [K 21] Ich habe die Hypochondrie studiert, mich so recht darauf gelegt. [K 22] Meine Hypochondrie ist eigentlich eine Fertigkeit aus jedem Vorfalle des Lebens, er mag Namen haben wie er will, die größtmögliche Quantität Gift zu eige- nem Gebrauch auszusaugen. [K 23] Ich merkte zuerst mein eintretendes Alter an der Abnahme des Gedächtnisses, die ich bald mit dem Mangel an Übung desselben entschuldigte, bald als Folgen des eintretenden Alters beklagte. Solche Wel- len von Furcht und Hoffnung habe ich all mein Le- benlang verspürt. [K 24] Ein großer Fehler bei meinem Studieren in der Ju- gend war, daß ich den Plan zum Gebäude zu groß an- legte. Die Folge war, daß ich die obere Etage nicht ausbauen konnte, ja ich konnte nicht einmal das Dach zubringen. Am Ende sah ich mich genötigt, mich mit ein paar Dachstübchen zu begnügen, die ich so ziem- lich aushaute, aber verhindern konnte ich doch nicht, daß es mir bei schlimmem Wetter nicht hinein regne- te. So geht es gar manchen! [K 25] Der Procrastinateur: der Aufschieber, ein Thema zu einem Lustspiel, das wäre etwas für mich zu bearbei- ten. Aufschieben war mein größter Fehler von jeher! [K 26] Ich lese die Psalmen Davids sehr gern: ich sehe daraus, daß es einem solchen Manne zuweilen eben so ums Herz war wie mir, und wenn ich sehe, daß er nach seinem großen Leiden wieder für Errettung dankt; so denke ich, vielleicht kommt die Zeit, daß auch du für Errettung danken kannst. Es ist gewiß ein Trost, zu sehen, laß es einem großen Manne in einer höhern Lage nicht besser zu Mute war, als einem selbst, und daß man doch nach Tausenden von Jahren von ihm spricht und sich an ihm tröstet. [K 27] Ich hatte in meinen Universitätsjahren viel zu viel Freiheit, und leider etwas überspannte Begriffe von meinen Fähigkeiten, und schob daher immer auf, und das war mein Verderben. In den Jahren 1763 bis 1765 hätte ich müssen angehalten werden, täglich we- nigstens sechs Stunden, die schwersten und ernsthaf- testen Dinge zu treiben (höhere Geometrie, Mechanik und Integralrechnung), so hätte ich es weit bringen können. Auf einen Schriftsteller habe ich nie studiert, sondern bloß gelesen, was mir gefiel, und behalten, was sich meinem Gedächtnis, gleichsam ohne mein Zutun, wenigstens ohne eine bestimmte Absicht, ein- gedrückt hat. Weil ich aber dennoch eine gewisse Selbstbeobachtung über mich ausgeübt habe, so kann ich vielleicht in der kurzen Zeit, die ich noch zu leben habe, dadurch nützlich werden, daß ich lebhaft und mit Kraft andern sage, was sie nicht tun müssen. [K 28] O! ich erinnere mich noch sehr wohl, wie ich beim Aufgange der Sonne empfinden sollte und wollte, und nichts empfand, aber mit dem Kopfe bald gegen diese bald gegen die andre Schulter gesenkt und mit blin- zenden Augen zuweilen vieles von Empfindung sprach, und damit nicht bloß andere, sondern sogar mich selbst betrog. Aber jene Empfindung kam erst in spätern Jahren und vorzüglich stark von 1790 an, da ich die Sonne öfter aufgehen sah. Vorzüglich waren verstorbene Freunde, zumal die letztverstorbenen, und meine Frau und Kinder der Gegenstand, den mein Herz jetzt umfaßte. Ich habe oft Tränen geweint, und bin niedergekniet. Könnte ich doch meinen Entschlüs- sen mehr Dauer geben! Allein es ist gewiß körperli- che Schwäche daran Schuld, Leichtsinn gewiß nicht, ob es mich gleich sehr schmerzt, daß die Welt ver- mutlich das einer Wankelmütigkeit im Charakter zu- schreibt, was doch bloß Kränklichkeit ist. [K 29] Wenn ich doch Kanäle in meinem Kopfe ziehen könnte, um den inländischen Handel zwischen mei- nem Gedankenvorrate zu befördern! Aber da liegen sie zu Hunderten, ohne einander zu nützen. [K 30] Meine beständige Vergleichung der Jahre eines Schriftstellers, dessen Leben ich lese, mit den meini- gen, die ich schon in meiner Jugend machte, ist ganz menschliche Natur. [K 31] Ich bin außerordentlich empfindlich gegen alles Getöse, allein es verliert ganz seinen widrigen Ein- druck, sobald es mit einem vernünftigen Zwecke ver- bunden ist. [K 32] Wenn ich ehedem in meinem Kopfe nach Gedan- ken oder Einfällen fischte, so fing ich immer etwas; jetzt kommen die Fische nicht mehr so. Sie fangen an sich auf dem Grunde zu versteinern, und ich muß sie heraushauen. Zuweilen bekomme ich sie auch nur stückweise heraus, wie die Versteinerungen vom Monte Bolca, und flicke daraus etwas zusammen. [K 33] Man klagt so sehr bei jedem Schmerz und freut sich so selten, wenn man keine fühlt. Unter die letzte Klasse von Menschen gehöre ich nicht. Wenn ich so ganz keinen Schmerz fühle, was zuweilen der Fall ist, wenn ich mich zu Bette lege, da habe ich diese Glück- seligkeit so ganz empfunden, daß ich Freudentränen geweint habe, und dieser stille Dank gegen meinen gütigen Schöpfer machte mich noch ruhiger. O! wer so sterben könnte! [K 34] Ich verspreche dem Publikum ihm künftig nichts mehr zu versprechen (sehr wahr und richtig nach mei- ner körperlichen und vielleicht auch geistigen Anla- ge). [K 35] Es war eine drollige Idee von - -, sich einen so dicken Kerl zu denken, der mit der einen Seite unter dem Pol und mit der andern unter dem Äquator wäre. Ein trauriges Leben! Aber ich habe doch wirklich bei eiskalten Füßen zuweilen oben geschwitzt. [K 36] Ich bin mehrmal wegen begangener Fehler getadelt worden, die mein Tadler nicht Kraft oder Witz genug hatte, zu begehen. [K 37] Ehemals zeichnete mein Kopf (mein Gehirn) alles auf, was ich hörte und sah, jetzt schreibt er nicht mehr auf, sondern überläßt es Mir. Wer ist dieser Ich? bin ich und der Schreiber nicht einerlei? [K 38] Ich habe oft mit Bemerkungen gegeizt, ich meine, immer aufs Künftige damit gespart, ohne sie jemals gern auszugeben. Es könnte sein, daß manche auf diese Weise gar nicht ans Licht kämen. [K 39] L. war im Herzen gut, nur hat er sich nicht immer die Mühe genommen, es zu scheinen. Mein größter Fehler, der Grund von allem meinen Verdruß. [K 40] Die Erinnerung an meine Mutter und ihre Tugend ist bei mir gleichsam zum Cordial geworden, das ich immer mit dem besten Erfolg nehme, wenn ich irgend zum Bösen wankend werde. [K 41] Ich konnte mich ehemals so sehr auf eine Nachtlei- che freuen, daß ich den Tag über das wenige Geld, was ich hatte, aus Vergnügen in Zuckerware vertat. [K 42] Ich habe, seit meiner Krankheit 1789, die erbar- menswürdige Fertigkeit erlangt, aus allem, was ich sehe und höre, Gift für mich selbst, nicht für andere zu saugen. Es ist als ob das Drüsensystem meines moralischen Wesens, wodurch bei glücklich organi- sierten Menschen Ruhe, Nutzen und Vergnügen aus allem gezogen wird, ganz die entgegengesetzte Form angenommen hätte, so wie wenn bei Windmühlen der Wind plötzlich von hinten kommt, und alles zerstört. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 482 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69578 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 843 ff.)] Wie ist da zu helfen? Wie kann man sich gewöhnen, in allem nur das Beste zu sehen, aus allem etwas Gutes zu vermuten, immer zu hoffen und selten zu fürchten, freilich versteht sichs, auch immer so zu handeln, daß man Ursache hat, mehr zu hoffen, als zu fürchten? [K 43] Wenn ich zuweilen in einem meiner alten Gedan- kenbücher einen guten Gedanken von mir lese, so wundere ich mich, wie er mir und meinem System so fremd hat werden können, und freue mich nun so dar- über, wie über einen Gedanken eines meiner Vorfah- ren. [K 44] Euler sagt in seinen Briefen über verschiedene Ge- genstände aus der Naturlehre (2. Band, S. 228.), es würde eben so gut donnern und blitzen, wenn auch kein Mensch vorhanden wäre, den der Blitz erschla- gen könnte. Es ist ein gar gewöhnlicher Ausdruck, ich muß aber gestehen, daß es mir nie leicht gewesen ist, ihn ganz zu fassen. Mir kommt es immer vor, als wenn der Begriff sein etwas von unserm Denken Er- borgtes wäre, und wenn es keine empfindenden und denkenden Geschöpfe mehr gibt, so ist auch nichts mehr. So einfältig dieses klingt, und so sehr ich verlacht werden würde, wenn ich so etwas öffentlich sagte, so halte ich doch so etwas mutmaßen zu kön- nen für einen der größten Vorzüge, eigentlich für eine der sonderbarsten Einrichtungen des menschlichen Geistes. Dieses hängt wieder mit meiner Seelenwan- derung zusammen. Ich denke, oder eigentlich, ich empfinde hierbei sehr viel, das ich nicht auszudrücken im Stande bin, weil es nicht gewöhnlich menschlich ist, und daher unsere Sprache nicht dafür gemacht ist. Gott gebe, daß es mich nicht einmal verrücke macht. So viel merke ich, wenn ich darüber schreiben wollte, so würde mich die Welt für einen Narren halten, und deswegen schweige ich. Es ist auch nicht zum Spre- chen, so wenig als die Flecken auf meinem Tisch zum Abspielen auf der Geige. [K 45] Nichts schmerzt mich mehr, bei allem meinem Tun und Lassen, als daß ich die Welt so ansehen muß, wie der gemeine Mann, da ich doch szientifisch weiß, daß er sie falsch ansieht. [K 46] Wo Vorsorge unnütz war, da hatte ich sie; wo sie aber hätte nützlich sein können, trat der Leichtsinn ein: kommt Zeit, kommt Rat, dachte ich, und tat nichts - ein Charakter, der sehr viel gemeiner ist, als man glaubt. [K 47] Am 10. Oktober 1793 schickte ich meiner lieben Frau aus dem Garten eine künstliche Blume aus abge- fallenen bunten Herbstblättern. Es sollte mich in mei- nem jetzigen Zustande darstellen; ich ließ es aber nicht dabei sagen. [K 48] Wenn auch meine Philosophie nicht hinreicht, etwas Neues auszufinden, so hat sie doch Herz genug, das längst Geglaubte für unausgemacht zu halten. [K 49] Ach! das waren noch gute Zeiten, da ich noch alles glaubte, was ich hörte. [K 50] O wie oft habe ich der Nacht gebeichtet, in der Hoffnung, daß sie mich absolvieren würde, und sie hat mich nicht absolviert! [K 51] Ich habe offenbar bei dem gröbern Druck meines Hogarths gefühlt (wiewohl dunkel), daß das bißchen Geist nicht im Stande ist, so vieler Masse Leben zu geben, man sage was man wolle; es ist wahr. Man sollte die Bücher immer desto kleiner drucken lassen, je weniger Geist sie enthalten. [K 52] Ich bin schon deswegen zu einem Zensor unge- schickt, weil für mich jede Handschrift, etwa meine eigene ausgenommen, eine Art von Übersetzung in eine Sprache ist, der ich wenigstens nicht bis zur Leichtigkeit mächtig bin; und so etwas zerstreut immer. [K 53] Ich kann den Gedanken nicht los werden, daß ich gestorben war, ehe ich geboren wurde, und durch den Tod wieder in jenen Zustand zurückkehre. Es ist ein Glück in mancher Rücksicht, daß diese Vorstellung nicht zur Deutlichkeit gebracht werden kann. Wenn auch der Mensch jenes Geheimnis der Natur erraten kann, so wäre es doch sehr gegen ihr Interesse, wenn er es beweisen könnte. Sterben und wieder lebendig werden mit Erinnerung seiner vorigen Existenz, nen- nen wir ohnmächtig gewesen sein; wieder erwachen mit andern Organen, die erst wieder gebildet werden müssen, heißt geboren werden. [K 54] Nichts macht schneller alt, als der immer vor- schwebende Gedanke, daß man älter wird. Ich verspü- re dieses recht an mir; es gehört mit zum Giftsaugen. [K 55] Wenn es ein Werk von etwa zehn Folianten gäbe, worin in nicht allzu großen Kapiteln jedes etwas Neues, zumal von der spekulativen Art, enthielte; wovon jedes etwas zu denken gäbe, und immer neue Aufschlüsse und Erweiterungen darböte: so glaube ich, könnte ich nach einem solchen Werke auf den Knien nach Hamburg rutschen, wenn ich überzeugt wäre, daß mir nachher Gesundheit und Leben genug übrig bliebe, es mit Muße durchzulesen. [K 56] Es geht mir mit meiner Gesundheit wie den Mül- lern zuweilen mit dem Wasser: ich muß immer, we- nigstens zwei Tage in der Woche, im Freien sammeln, um die übrigen fünfe mahlen zu können. [K 57] Ich muß zuweilen, wie ein Talglicht geputzt wer- den, sonst fange ich an dunkel zu brennen. [K 58] Was bei anderen Ehen im Ernst geschieht, das ahmen wir (ich und meine Frau) aus Scherz nach. Wir zanken uns förmlich im Scherz, wo dann jeder so viel Witz zeigt, als er auftreiben kann. Dieses tun wir, um der Ehe ihr Recht zu lassen. Wir feuern blind, um, wenn einer von uns sich je wieder verheiraten sollte, nicht aus der Übung zu kommen. [K 59] Es ist mir in meinem Leben so viel unverdiente Ehre angetan worden, daß ich mir wohl einmal etwas unverdiente Blame kann gefallen lassen. [K 60] Das größte Glück in der Welt, um welches ich den Himmel täglich anflehe, ist: daß nur verständige und tugendhafte Menschen mir an Kräften und Kenntnis- sen überlegen sein mögen. [K 61] »Ich glaube« - so sollte man alles anfangen, was man durch eignes Nachdenken herausbringt, und was nicht ein Gegenstand der Rechnung ist. Ich glaube, daß mancher Kopf mehr tun könnte, als er tut, weil er sich einmal darein ergeben hat, daß es ihm an Fähig- keiten fehlt. Andere, die viel Neues gesehen haben, haben vielleicht nicht mehr Fähigkeiten, aber mehr Industrie. Daher kann man einem jeden Philosophen den Spruch nicht genug empfehlen: »Seid munter und wachet!« [K 62] Es ist zum Erstaunen, was für mannichfaltige Stu- fen von Belehrung uns unsere Einrichtung gewährt, von der unerklärlichsten Ahnung bis zu den deutlich- sten Einsichten des Verstandes. Es ist eine meiner Lieblingsbeschäftigungen, sie zu analysieren. Fast jeder Überlegung geht ein gewisses bestimmendes Gefühl vorher, das bei glücklichen Gemütsbeschaf- fenheiten selten trügt, und das der Verstand nachher nur gleichsam ratifiziert. Die Tiere werden vielleicht bloß durch solche Ahnungen geleitet. [K 63] Vielleicht könnte man sich die Sache so vorstellen: Wir besitzen ein Vermögen, Eindrücke zu empfangen, das ist unsere Sinnlichkeit. Durch diese werden wir uns der Veränderungen bewußt, die in uns vorgehen; die Ursachen dieser Veränderungen nennen wir Ge- genstände. Diese Gegenstände sind wir selbst nicht allein. Wir bemerken Veränderungen, Eindrücke in uns, wovon wir auch den Grund in uns selbst suchen, weil wir uns bewußt sind, daß sie von uns abhängen, oder in uns sind. So sind wir uns des jedesmaligen Zustandes unserer Seele bewußt. Dieses Vermögen ist der innere Sinn. Wo ich also sage, das geht in mir vor, so erfahre ich dieses durch den innern Sinn. Ge- fühl der Aufmerksamkeit, Spontaneität. Hier sind wir selbst Gegenstand und Beobachter, Objekt und Sub- jekt. Allein nun gibt es auch Eindrücke, wovon wir mit nicht zu überwältigender Überzeugung empfinden, daß wir bloß empfangendes Subjekt, aber nichts we- niger als Objekt sind. Vielleicht wäre es genug, hier zu sagen, jene Gegenstände wären praeter nos, etwas von uns Verschiedenes - das, sollte man denken, wäre das einzige, was wir empfinden könnten. Daß sich aber dieses praeter nos in ein extra nos verwan- delt, daß wir damit Entfernung von uns im Raume verbinden, und damit verbinden müssen, das scheint das notwendige Erfordernis unserer Natur zu sein. Da diese Vorstellung Notwendigkeit mit sich führt, so kann sie nicht von der Erfahrung herrühren, denn kein Erfahrungssatz impliziert Notwendigkeit. Ja, wir müssen uns sogar den Raum unendlich denken. Wie können wir so etwas erfahren? Das ist unmöglich. Ich glaube also, daß, wenn irgend ein Satz von aller Er- fahrung unabhängig ist, so ist es der von der Ausdeh- nung der Körper. Hier entsteht denn aber doch die Frage (und ich kann nicht sagen, ob man darauf geantwortet hat): wenn den Körpern objektive Realität verstattet wird, [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 490 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69586 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 404 ff.)] und ihnen Eigenschaften zukommen, so wäre doch unter unzähligen Fällen auch der möglich, daß sie die- jenigen hätten, die wir ihnen unserer Natur nach beile- gen müssen, nicht weil sie sie haben, sondern weil unter den unzähligen möglichen Formen der Anschau- ung doch auch diese Übereinstimmung möglich wäre. Dieses wäre auch eine harmonia praestabilita. Allein hier ist wieder eine Frage, ob eine solche Frage zu tun verstattet ist? Ob ein Objekt das sein kann, was es einem andern zu sein scheint? Diese ganze Frage ist schon wieder Anthropomorphismus. Denn wie emp- findende und denkende Wesen von Objekten außer ihnen affiziert werden können, wissen wir ja nicht, und können es nicht wissen. In dieser Lage der Dinge ist es das Klügste, was wir tun können, bei uns stehen zu bleiben, unsere Modifikationen zu betrachten, und uns um die Beschaffenheit der Dinge an sich gar nicht zu bekümmern. So wie es nun mit dem Raume für die so genannten äußern Gegenstände ist, so ist es mit der Zeit für die Gegenstände des innern Sinnes. Veränderungen in uns selbst schauen wir an unter der Form von Dauer, Folge, Gleichzeitigkeit usw. [K 64] Was das Studium einer tiefen Philosophie so sehr erschwert, ist, daß man im gemeinen Leben eine Menge von Dingen für so natürlich und leicht hält, daß man glaubt, es wäre gar nicht möglich, daß es an- ders sein könnte; und doch muß man wissen, daß man solcher vermeintlichen Kleinigkeiten größte Wichtig- keit erst einsehen muß, um das eigentlich so genannte Schwere zu erklären. Wenn ich sage: dieser Stein ist hart - also erst den Begriff Stein, der mehreren Din- gen zukommt, diesem Individuo beilege; alsdann von Härte rede, und nun gar das Hartsein mit dem Stein verbinde - so ist dieses ein solches Wunder von Ope- ration, daß es eine Frage ist, ob bei Verfertigung man- ches Buches so viel angewandt wird. »Aber sind das nicht Subtilitäten? braucht man das zu wissen?« - Was das erste anbetrifft, so sind es keine Subtilitäten, denn gerade an diesen simpeln Fällen müssen wir die Operationen des Verstandes kennen lernen. Wollen wir dieses erst bei dem Zusammengesetzten tun, so ist alle Mühe vergebens. Diese leichten Dinge schwer zu finden, verrät keine geringen Fortschritte in der Philo- sophie. - Was aber das andere anbetrifft, so antworte ich: Nein! man braucht es nicht zu wissen; aber man braucht auch kein Philosoph zu sein. [K 65] Die wenigsten Menschen haben wohl recht über den Wert des Nichtseins gehörig nachgedacht. Unter Nichtsein nach dem Tode stelle ich mir den Zustand vor, in dem ich mich befand, ehe ich gehören ward. E; ist eigentlich nicht Apathie, denn die kann noch ge- fühlt werden, sondern es ist gar nichts. Gerate ich in diesen Zustand - wiewohl hier die Wörter ich und Zustand gar nicht mehr passen; es ist, glaube ich, etwas, das dem ewigen Leben völlig das Gleichge- wicht hält. Sein und Nichtsein stehen einander, wenn von empfindenden Wesen die Rede ist, nicht entge- gen, sondern Nichtsein und höchste Glückseligkeit. Ich glaube, man befindet sich gleich wohl, in wel- chem von beiden Zuständen man ist. Sein und abwar- ten, seiner Vernunft gemäß handeln, ist unsere Pflicht, da wir das Ganze nicht übersehen. [K 66] Was sehr seltsam ist, bleibt selten lange unerklärt. Das Unerklärliche ist gewöhnlich nicht mehr seltsam, und ist es vielleicht nie gewesen. [K 67] Verstand faßt Theorie sehr gut; Judicium entschei- det über die Anwendung. Daran fehlt es sehr vielen Menschen, und öfters den größten Gelehrten und Theoretikern am meisten. [K 68] Schon vor vielen Jahren habe ich gedacht, daß unsere Welt das Werk eines untergeordneten Wesens sein könne, und noch kann ich von dem Gedanken nicht zurückkommen. Es ist eine Torheit zu glauben, es wäre keine Welt möglich, worin keine Krankheit, kein Schmerz und kein Tod wäre. Denkt man sich ja doch den Himmel so. Von Prüfungszeit, von allmähli- ger Ausbildung zu reden, heißt sehr menschlich von Gott denken und ist bloßes Geschwätz. Warum sollte es nicht Stufen von Geistern bis zu Gott hinauf geben, und unsere Welt das Werk von einem sein können, der die Sache noch nicht recht verstand, ein Versuch? ich meine unser Sonnensystem, oder unser ganzer Ne- belstern, der mit der Milchstraße aufhört. Vielleicht sind die Nebelsterne, die Herschel gesehen hat, nichts als eingelieferte Probestücke, oder solche, an denen noch gearbeitet wird. Wenn ich Krieg, Hunger, Armut und Pestilenz betrachte, so kann ich unmöglich glau- ben, daß alles das Werk eines höchst weisen Wesens sei; oder es muß einen von ihm unabhängigen Stoff gefunden haben, von welchem es einigermaßen be- schränkt wurde; so daß dieses nur respektive die beste Welt wäre, wie auch schon häufig gelehrt worden ist. [K 69] Wenn man die Natur als Lehrerin, und die armen Menschen als Zuhörer betrachtet, so ist man geneigt, einer ganz sonderbaren Idee vom menschlichen Geschlechte Raum zu geben. Wir sitzen allesamt in einem Collegio, haben die Prinzipien, die nötig sind, es zu verstehen und zu fassen, horchen aber immer mehr auf die Plaudereien unserer Mitschüler, als auf den Vortrag der Lehrerin. Oder wenn ja einer neben uns etwas nachschreibt, so spicken wir von ihm, steh- len, was er selbst vielleicht undeutlich hörte, und ver- mehren es mit unsern eigenen orthographischen und Meinungsfehlern. [K 70] Es gibt für jeden Grad des Wissens gangbare Sätze, von denen man nicht merkt, daß sie über dem Unbegreiflichen, ohne weitere Unterstützung, auf blo- ßem Glauben schweben. Man hat sie, ohne zu wissen, woher die Sicherheit kommt, mit der man ihnen traut. Der Philosoph hat dergleichen so gut, wie der Mann, der da glaubt, das Wasser fließe deswegen immer bergab, weil es unmöglich wäre, daß es bergauf flie- ßen könne. [K 71] Mit den Prärogativen der Schönheit und der Glück- seligkeit hat es eine ganz verschiedene Bewandtnis. Um die Vorteile der Schönheit in der Welt zu genie- ßen, müssen andere Leute glauben, daß man schön sei; bei der Glückseligkeit aber ist das gar nicht nötig; es ist vollkommen hinreichend, daß man es selbst glaubt. [K 72] Sollte es nicht eine fallacia causae sein, oder we- nigstens viel davon mit unterlaufen, wenn man von dem Nutzen der christlichen Religion mit so vielem Enthusiasmus spricht, Sollten es nicht die guten Men- schen sein, die die Religion verehren; anstatt daß die Religion die guten Menschen macht, Sie werden An- hänger und Verteidiger der Religion, weil sie ihre Grundsätze predigt. So viel ist wohl gewiß, daß nicht leicht ein schlechter Mensch sich viel um Religion be- kümmern wird. [K 73] Eine der größten Stützen für die Kantische Philoso- phie ist die gewiß wahre Betrachtung, daß wir ja auch so gut etwas sind, als die Gegenstände außer uns. Wenn also etwas auf uns wirkt, so hängt die Wirkung nicht allein von dem wirkenden Dinge, sondern auch von dem ab, auf welches gewirkt wird. Beide sind, wie bei dem Stoß, tätig und leidend zugleich; denn es ist unmöglich, daß ein Wesen die Einwirkungen eines andern empfangen kann, ohne daß die Hauptwirkung gemischt erscheine. Ich sollte denken, eine bloße ta- bula rasa ist in dem Sinne unmöglich, denn durch jede Einwirkung wird das einwirkende Ding modifiziert, und das, was ihm abgeht, geht dem andern zu, und umgekehrt. [K 74] Mit dem Nutritionsgeschäft der Seele sieht es sehr betrübt aus: da gibt es Öffnungen genug, Nahrung einzunehmen, aber es fehlt an Gefäßen, das Gute ab- zusondern, und hauptsächlich an primis viis, den un- nützen Unrat dem großen Ganzen der Bücherwelt wieder zuzuführen, und in den Kreislauf zu bringen. [K 75] Wir werden uns gewisser Vorstellungen bewußt, die nicht von uns abhängen; andere glauben, wir we- nigstens hingen von uns ab; wo ist die Grenze? Wir kennen nur allein die Existenz unserer Empfindungen, Vorstellungen und Gedanken. Es denkt, sollte man sagen, so wie man sagt: es blitzt. Zu sagen cogito, ist schon zu viel, so bald man es durch Ich denke über- setzt. Das Ich anzunehmen, zu postulieren, ist prakti- sches Bedürfnis. [K 76] Was heißt mit Kantischem Geist denken? Ich glau- be, es heißt, die Verhältnisse unsers Wesens, es sei nun was es wolle, gegen die Dinge, die wir außer uns nennen, ausfindig machen; das heißt, die Verhältnisse des Subjektiven gegen das Objektive bestimmen. Die- ses ist freilich immer der Zweck aller gründlichen Na- turforscher gewesen, allein die Frage ist, ob sie es je so wahrhaft philosophisch angefangen haben, als Herr Kant. Man hat das, was doch schon subjektiv ist und sein muß, für objektiv gehalten. [K 77] Ich entschuldige immer das Theorisieren, es ist ein Trieb der Seele, der nützen kann, sobald wir einmal hinreichende Erfahrung haben. So könnten alle unsere jetzigen theorisierenden Torheiten Triebe sein, die erst künftig ihre Anwendung finden. [K 78] In der Vernunft ist der Mensch, in den Leidenschaf- ten Gott. Ich glaube, Pope hat schon so etwas gesagt. [K 79] Ist es nicht sonderbar, daß der Glaube stärker wer- den kann als die Vernunft? Und ist es nicht die Frage, welches von beiden mehr Recht auf die Leitung unse- rer Handlungen hat, da sie dieselben gleich stark lei- ten, wo sie zu herrschen anfangen? [K 80] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 498 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69594 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 408 ff.)] Mit dem Fortschreiten der Menschheit zu größerer Vollkommenheit sieht es traurig aus, wenn man die Analogie alles dessen, was lebt, zu Rate zieht. [K 81] In ältern Jahren nichts mehr lernen können, hängt mit dem in ältern Jahren sich nicht mehr befehlen las- sen wollen zusammen, und zwar sehr genau. [K 82] Es ist gar nicht abzusehen, wie weit sich Anthropo- morphismus erstrecken kann, das Wort in seinem größten Umfange genommen. Es rächen sich Leute an einem Toden; Gebeine werden ausgegraben und ver- unehrt; man hat Mitleiden mit leblosen Dingen - so beklagte jemand eine Hausuhr, wenn sie einmal in der Kälte stehen blieb. Dieses Übertragen unserer Emp- findungen auf andere herrscht überall, unter so man- nichfaltiger Gestalt, daß es nicht immer leicht ist, es zu unterscheiden. Vielleicht ist das ganze Pronomen der andere solchen Ursprungs. [K 83] Worin mag der Grund der sonderbaren Erschei- nung liegen, die ich so oft bemerkt habe, daß man mit jemanden im Traume von einem Dritten spricht, und wenn man erwacht, findet, daß der vermeinte Dritte gerade der Mann war, mit dem man auch gesprochen hat? Ist es vielleicht bloße Form des Erwachens, oder worin liegt der Grund? [K 84] Da man im Traume so oft seine eigenen Einwürfe für die eines andern hält, z.B. wenn man mit jeman- den disputiert, so wunderts mich nur, daß dieses nicht öfters im Wachen geschieht. Der Zustand des Wa- chens scheint also hauptsächlich darin zu liegen, daß man das in uns und außer uns scharf und konventi- onsmäßig unterscheidet. [K 85] Warum kann man sich den Schlaf nicht abgewöh- nen? Man sollte denken, da die wichtigsten Verrich- tungen des Lebens ununterbrochen fortgehen, und die Werkzeuge, wodurch sie geschehen, nie ruhen und schlafen, wie das Herz, die Eingeweide, die lymphati- schen Gefäße; so wäre es auch nicht nötig, daß man überhaupt schlafe. Also die Werkzeuge, welche die Seele als solche am meisten zu ihren Verrichtungen nötig hat, werden in ihrer Tätigkeit unterbrochen. Ich möchte wohl wissen, ob der Schlaf je in dieser Rück- sicht betrachtet worden ist. Warum schläft der Mensch? Der Schlaf scheint mir mehr ein Ausruhen der Gedankenwerkzeuge zu sein. Wenn ein Mensch sich körperlich gar nicht angriffe, sondern nur nach seiner größten Gemächlichkeit seinen Geschäften folgte, so würde er doch am Ende schläfrig werden. Dieses ist wenigstens ein offenbares Zeichen, daß beim Wachen mehr ausgegeben, als eingenommen wird; und dieser Oberschuß läßt sich, wie alle Erfah- rung lehrt, im Wachen nicht ersetzen. Was ist das? Was ist der Mensch im Schlaf? Er ist eine bloße Pflanze; und also muß das Meisterstück der Schöp- fung zuweilen eine Pflanze werden, um einige Stun- den am Tage das Meisterstück der Schöpfung reprä- sentieren zu können. Hat wohl jemand den Schlaf als einen Zustand betrachtet, der uns mit den Pflanzen verbindet? Die Geschichte enthält nur Erzählungen von wachenden Menschen; sollten die von schlafen- den minder wichtig sein? Der Mensch tut freilich als- dann wenig, aber gerade da hätte der wachende Psy- chologe am meisten zu tun. Die Nerven spitzen sich gegen das Ende zu, und machen das aus, was wir sinnliche Werkzeuge nen- nen. Es sind die Enden, die nach außen stehen, und die Eindrücke der Welt empfangen. Diese sind ver- mutlich ohne unser Wissen beschäftigt, und beständig wach. Es gibt also bei dem Menschen, von der Spitze der Nervenfasern an nach innen zu gerechnet, eine schlicht, die beständig in Arbeit ist, und vermutlich, während sie in Arbeit ist, der Seele Begriffe zuzuführen, nicht auch in Arbeit sein kann, sich selbst zu erhalten und das Verlorne zu ersetzen. Diese Teile ruhen also in dem Zeitraume des Ersatzes. Wir schei- nen nur zu fühlen, wenn wir wirken, nicht wenn wir für die Wirkung sammeln. Was wir dann empfinden, ist vielleicht bloß Empfinden des Wohlbefindens. Es wird nicht zu Gedanken, es ist bloß Gefühl von Stär- ke, oder doch Gemächlichkeit. Unsere ganze Geschichte ist bloß Geschichte des wachenden Menschen; an die Geschichte des schla- fenden hat noch niemand gedacht. Die Gedanken- werkzeuge scheinen am leichtesten zu ermüden zu sein; es sind die feinsten Spitzen. Daher denkt der Mensch im gesunden Schlaf gar nicht. Ich wiederhole es noch einmal: Gebrauch und Ersatz scheinen einan- der in den feinsten Spitzen entgegen zu wirken; wo Ersatz der Nerven bereitet wird, findet keine Empfin- dung Statt. Diejenigen Teile, die mehr nach innen lie- gen, sind bloß zur Erhaltung, nicht zum Empfangen und zur Gegenwirkung. So ließe sich die Notwendig- keit eines Schlafes a priori demonstrieren. Feine Teile, die durch gröbere ersetzt werden müssen, kön- nen ihren Dienst nicht leisten, während sie in Ausbes- serung begriffen sind. [K 86] Die sichere Überzeugung, daß man könnte, wenn man wollte, ist Ursache an manches guten Kopfes Un- tätigkeit, und das nicht ohne Grund. [K 87] Mangel an Kraft sich zu verteidigen geht bei dem Schwachen in Klage über. Man kann dieses an den Kindern sehen, wenn sie von größeren Kindern un- recht behandelt werden, aber der stille Trotzkopf ist allemal der Beste. [K 88] Man kann nicht sicherer zeigen, daß ein gewisser Charakter der wahre von einem sei, als wenn man zeigt, daß das Gegenteil jedermann lachen machen würde. [K 89] Um vergnügt oder vielmehr lustig in der Welt zu sein, wird nur erfordert, daß man alles nur flüchtig an- sieht; so wie man nachdenkender wird, wird man auch ernsthafter. [K 90] Daß man manchen außerordentlichen Mann, von dem man gehört hat, geringer zu finden glaubt, wenn man ihn sieht, rührt gemeiniglich, oder gewiß allemal daher, daß man jetzt sieht, daß er das gewöhnliche Gesicht eines Menschen hat. [K 91] Wer recht nachahmen könnte, ahmt nicht leicht nach. [K 92] Jedes Dorf hat seine Pyramide, den Kirchturm. Aus allen Dorfpyramiden in Deutschland sollten sich wohl die ägyptischen bauen lassen. Warum baut man so in die Höhe? Der Glocken wegen allein gewiß nicht. Es ist immer Eitelkeit, mit Religion, vielleicht Aberglau- ben vermischt, was diese Pyramiden schuf so gut wie die ägyptischen. [K 93] Selbst die Ungewißheit, worin wir uns über ge- wisse Gegenstände befinden, ist zuweilen nützlich. Die Hoffnung bekommt dadurch einen größern Spiel- raum, und man hält immer dasjenige für wahr, was unserm Zustande am angemessensten ist. [K 94] Ich habe einen Müllerknecht gekannt, der niemals die Mütze vor mir abnahm, wenn er nicht einen Esel neben sich gehen hatte. Ich konnte mir das lange nicht erklären. Endlich fand ich, daß er sich diese Gesellschaft für eine Demütigung ansah und um Barmherzigkeit bat: er schien damit der geringsten Vergleichung zwischen ihm und seinem Gefährten ausweichen zu wollen. [K 95] Ich bin überzeugt, daß es Brillen für die Seelen- kräfte gibt so gut wie für die Augen. Es wäre sonder- bar, wenn so etwas nicht sollte möglich sein. Wenn der Witz mit dem Alter schwach wird, so kann oft das Lesen von Wortregistern Vergleichungen bewirken, die ohne dieses unmöglich wären. [K 96] Ich kann bis diese Stunde nicht recht begreifen, warum die kleinen Kinder nicht eben so beständig la- chen, als sie beständig weinen. [K 97] Es ist gewiß besser, eine Sache gar nicht studiert zu haben, als oberflächlich. Denn der bloße gesunde Menschenverstand, wenn er eine Sache beurteilen will, schießt nicht so sehr fehl als die halbe Gelehr- samkeit. [K 98] Ich bin völlig überzeugt, daß der Mensch alle die Kenntnisse besitzt, die nötig sind, ihn glücklich zu machen. Aber es ist mir auch wahrscheinlich, daß diese menschliche Glückseligkeit, als solche, wenig zum Wohlsein des Ganzen beiträgt. Was der Mensch zum Wohlsein des Ganzen beiträgt, ist schwerlich seiner Willkür unterworfen. Was übersieht er davon? Nützt er, selbst mit Ausübungen seiner Willkür, so ist selbst seine Willkür eine Maschine, und man streitet über Worte. Wer willkürlich zum Vorteil des Ganzen wirkt, muß das Ganze übersehen. Dieses kann der Mensch nicht, also ist hier in Absicht des Ganzen an Freiheit nicht zu gedenken. Unumschränkte Freiheit ist hier ein Widerspruch. Hat er bloß Freiheit erhalten für einen gewissen Gesichtskreis, so ist auch dieses wieder Maschinerie, und es ist immer die Freiheit eines Menschen, der das Rad eines Krans tritt. Ich glaube, da wo der Mensch sich an die große Kette an- schließt, ist er nicht frei; er weiß wohl gar nicht ein- mal, daß er wirkt. [K 99] Je größer der Mann ist, desto strafbarer ist er, wenn er Fehler anderer ausplaudert, die er erkennt. Wenn Gott die Heimlichkeiten der Menschen bekannt mach- te, so könnte die Welt nicht bestehen. Es wäre, als wenn man die Gedanken anderer sehen könnte. Wohl [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 506 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69602 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 413 ff.)] dem Menschen, der keinen Ausplauderer hat, der ihn an Kenntnissen überlegen ist! [K 100] Es gibt eine Menge kleiner moralischer Falschhei- ten, die man übt, ohne zu glauben, daß es schädlich sei; so wie man etwa aus ähnlicher Gleichgültigkeit gegen seine Gesundheit Tabak raucht. [K 101] Der Stolz, eine edle Leidenschaft, ist nicht blind gegen eigene Fehler, aber der Hochmut ist es. [K 102] Viele, die über Ablaßkrämerei in der katholischen Kirche lachen, üben sie doch täglich selbst. Wie man- cher Mann von schlechtem Herzen glaubt sich mit dem Himmel ausgesöhnt, wenn er Almosen gibt! Ich habe selbst die boshaftesten Menschen, die frevelhaf- testen Unterdrücker des Verdienstes und der Unschuld [sich] damit rechtfertigen hören: sie täten den Armen Gutes. Aber das war nicht vitae tenor, das war nur Flickwerk. Ein Paar Spiegelscheiben machen noch keinen Palast. Es hat auch etwas Ähnliches mit den Bekehrungen unter dem Galgen. [K 103] Wenn doch nur der zehnte Teil der Religion und Moral, die in Büchern steht, in den Herzen stände! Aber so geht es fast durchaus: der größte Teil von menschlicher Weisheit wird bald nach seiner Erzeu- gung auf den Repositorien zur Ruhe gebracht. Daher einmal jemand dieses Wort nicht vom lateinischen re- ponere, sondern unmittelbar vom französischen repos herleiten wollte. [K 104] Ein Gelübde zu tun ist eine größere Sünde, als es zu brechen. [K 105] Ehe man tadelt, sollte man immer erst versuchen, ob man nicht entschuldigen kann. [K 106] Der Mensch liebt die Gesellschaft, und sollte es auch nur die von einem brennenden Rauchkerzchen sein. [K 107] Wer sagt, er hasse alle Arten von Schmeicheleien, und es im Ernst sagt, der hat gewiß noch nicht alle Arten kennen gelernt, teils der Materie, teils der Form nach. Leute von Verstand hassen allerdings die gewöhn- liche Schmeichelei, weil sie sich notwendig durch die Leichtgläubigkeit erniedrigt finden müssen, die ihnen der schmeichelnde Tropf zutraut. Sie hassen also die gewöhnliche Schmeichelei bloß deswegen, weil sie für sie keine ist. Ich glaube nach meiner Erfahrung schlechterdings an keinen großen Unterschied unter den Menschen. Es ist alles bloß Übersetzung. Ein jeder hat seine eigene Münze, mit der er bezahlt sein will. Man erinnere sich an die eisernen Nägel in Ota- heite; unsere Schönen müßten rasend sein, wenn sie die eisernen Nägel in solchem Werte halten wollten. Wir haben andere Nägel. Es ist ebenfalls bloß menschliche Erfindung, zu glauben, daß die Men- schen so sehr unterschieden sind; es ist der Stolz, der diese Unterscheidung unterstützt. Seelenadel ist gera- de so ein Ding wie der Geburtsadel. - (Etwas gemil- dert muß dieses alles werden.) [K 108] Die Menschen nutzen wahrhaftig ihr Leben zu wenig; es ist also kein Wunder, daß es noch so einfäl- tig in der Welt aussieht. Womit bringt man sein Alter hin? Mit Verteidigung von Meinungen; nicht weil man glaubt, daß sie wahr sind, sondern weil man ein- mal öffentlich gesagt hat, daß man sie für wahr halte. Mein Gott, wenn die Alten ihre Zeit doch lieber auf Warnung verwenden wollten! Freilich, die Menschen werden alt, aber das Geschlecht ist noch jung. Es ist wirklich ein Beweis, daß die Welt noch nicht alt ist, daß man hierin noch so zurück ist. Wenn doch die Alten mehr sagen wollten, was man vermeiden muß, und was sie hätten tun müssen, um noch größer zu werden, als sie geworden sind! [K 109] Ich habe sehr häufig gefunden, daß gemeine Leute, die nicht rauchten, an Orten, wo das Rauchen ge- wöhnlich ist, immer sehr gute und tätige Menschen waren. Bei dem gemeinen Mann ist es leicht zu erklä- ren; es verrät bei dieser Klasse vorzüglich schon etwas Gutes, sich von einer solchen Mode nicht hin- reißen zu lassen, oder überhaupt etwas zu unterlassen, was wenigstens von Anfang nicht behagt. Auch muß ich gestehen, daß von allen den Gelehrten, die ich in meinem Leben habe kennen gelernt, und die ich ei- gentlich Genies nennen möchte, kein einziger ge- raucht hat. - Hat wohl Lessing geraucht? [K 110] Es ist für die Vervollkommnung unseres Geistes gefährlich, Beifall durch Werke zu erhalten, die nicht unsere ganze Kraft erfordern. Man steht alsdann ge- wöhnlich stille. Rochefoucauld glaubt daher, es habe noch nie ein Mensch alles das getan, was er habe tun können; ich halte dafür, daß dieses größtenteils wahr ist. Jede menschliche Seele hat eine Portion Indolenz, wodurch sie geneigt wird, das vorzüglich zu tun, was ihr leicht wird. [K 111] Einer der größten und zugleich gemeinsten Fehler der Menschen ist, daß sie glauben, andere Menschen kennten ihre Schwächen nicht, weil sie nicht davon plaudern hören, oder nichts davon gedruckt lesen. Ich glaube aber, daß die meisten Menschen besser von an dem gekannt werden, als sie sich selbst kennen. Ich weiß, daß berühmte Schriftsteller, die aber im Grunde seichte Köpfe waren (was sich in Deutschland leicht beisammen findet), bei allem ihrem Eigendünkel von den besten Köpfen, die ich befragen konnte, für seich- te Köpfe gehalten worden sind. [K 112] Wenn man selbst anfängt alt zu werden, so hält man andere von gleichem Alter für jünger, als man in frühern Jahren Leute von eben dem Alter hielt. So halte ich z.B. den Goldschmied K.., den ich schon vor 30 Jahren gekannt habe, für einen jungen Mann, ob er gleich gewiß schon einige Jahre älter ist, als sein Vater war, da ich ihn zum erstenmal sah, den ich damals gewiß für keinen jungen Mann mehr hielt. Mit andern Worten: wir halten uns selbst und andere noch in denen Jahren für jung, in welchen wir, als wir noch jünger waren, andere schon für alt hielten. [K 113] Es gibt Leute, die zu keinem Entschluß kommen können, sie müssen sich denn erst über die Sache be- schlafen haben. Das ist ganz gut, nur kann es Fälle geben, wo man riskiert, mitsamt der Bettlade gefan- gen zu werden. [K 114] Wird man wohl vor Scham rot im Dunkeln? Daß man vor Schrecken im Dunkeln bleich wird, glaube ich, aber das erstere nicht. Denn bleich wird man sei- ner selbst, rot seiner selbst und anderer wegen. - Die Frage, ob Frauenzimmer im Dunkeln rot werden, ist eine sehr schwere Frage; wenigstens eine, die sich nicht bei Licht ausmachen läßt. [K 115] Es gibt nicht leicht eine größere Schwachheit, als die großen oder wenigstens glänzenden Taten man- cher Menschen aus gewissen Engelsanlagen und einer Größe der Seele zu erklären. Es mag wohl einmal unter Tausenden wahr sein; wer aber den Menschen etwas studiert hat, wird die Ursachen solcher Taten gemeiniglich ganz in der Nähe finden. Es heißt schriftstellerisch vornehm tun, wenn man alles so tief sucht. [K 116] Ich glaube nicht, daß die so genannten wahrhaft frommen Leute gut sind, weil sie fromm sind, sondern fromm, weil sie gut sind. Es gibt gewisse Charaktere, denen es Natur ist, sich in alle häuslichen und bürger- lichen Verhältnisse zu finden, und sich das gefallen zu lassen, wovon sie teils den Nutzen, teils die Un- möglichkeit einsehen, es besser zu haben. Also das der Religion zuzuschreiben, könnte gar wohl eine fal- lacia causae sein. [K 117] Ich habe durch mein ganzes Leben gefunden, daß sich der Charakter eines Menschen aus nichts so si- cher erkennen läßt, wenn alle Mittel fehlen, als aus einem Scherz, den er übel nimmt. [K 118] Wer ist unter uns allen, der nicht Einmal im Jahre närrisch ist, das ist, wenn er sich allein befindet, sich eine andere Welt, andere Glücksumstände denkt, als die wirklichen? Die Vernunft besteht nur darin, sich sogleich wieder zu finden, sobald die Szene vorüber ist, und aus der Komödie nach Hause zu gehen. [K 119] Er war einer von denen, die alles besser machen wollen, als man es verlangt. Dieses ist eine abscheuli- che Eigenschaft in einem Bedienten. [K 120] Zu überzeugen ist der Pöbel nicht, oder sehr selten. Durch listige Lenkung seines Aberglaubens kann er doch noch zuweilen zu guten Handlungen gebracht werden. Wir schrecken ja die Kinder, die wir nicht überzeugen können, auch mit dem schwarzen Manne und mit Schornsteinfegern. Der heilige Januarius zu Neapel ist nichts weiter. Hier ist wieder die Reihe, deren äußerste Glieder gar nicht mehr zusammen zu gehören scheinen. [K 121] In der Gabe, alle Vorfälle des Lebens zu seinem und seiner Wissenschaft Vorteil zu nützen, darin be- steht ein großer Teil des Genies. [K 122] Kultur verschlingt die Gastfreundschaft. [K 123] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 514 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69610 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 417 ff.)] Wer recht sehen will, was der Mensch tun könnte, wenn er wollte, darf nur an die Personen gedenken, die sich aus Gefängnissen gerettet haben oder haben retten wollen. Sie haben mit einem einzelnen Nagel so viel getan, wie mit einem Mauerbrecher. [K 124] Die Leute, die niemals Zeit haben, tun am wenig- sten. [K 125] Man wird grämlich, wenn man alt wird, oder wenn Liebe, oder auch oft, wenn Freundschaft alt wird. Es können Dinge bei einem alt werden, obgleich man selbst jung bleibt. Manche Leute glauben, Sommer und Winter schieden sich immer mit einem Donner- wetter. [K 126] Wenn man manchen großen Taten und Gedanken bis zu ihrer Quelle nachspüren könnte, so würde man finden, daß sie öfters gar nicht in der Welt sein wür- den, wenn die Bouteille verkorkt geblieben wäre, aus der sie geholt wurden. Man glaubt nicht, wie viel aus jener Öffnung hervorkommt. Manche Köpfe tragen keine Früchte, wenn sie nicht wie Hyazinthenzwie- beln über Bouteillenhälsen stehen. Der Feige holt da seinen Mut, der Schüchterne Vertrauen auf eigne Kraft und der Elende Trost hervor. [K 127] Die Vorgriffe des Genies sind kühn und groß, gehen auch oft tief, aber die Kraft dazu erstirbt früh. Die geschlossene Vernunft greift nicht so verwegen vor, aber hält länger aus. Man ist selten nach 60 Jah- ren noch ein triebmäßiger Vorgreifer, aber man kann immer noch ein sehr guter regelmäßiger und erfinden- der Denker sein. Man zeugt selten in jenen Jahren Kinder, aber man wird desto geschickter, die erzeug- ten zu erziehen, und Erziehung ist Zeugung einer an- dern Art. [K 128] Die sogenannten Mathematiker von Profession haben sich, auf die Unmündigkeit der übrigen Men- schen gestützt, einen Kredit von Tiefsinn erworben, der viele Ähnlichkeit mit dem von Heiligkeit hat, den die Theologen für sich haben. [K 129] Der berühmte witzige Kopf Chamfort pflegte zu sagen: Ich habe drei Klassen von Freunden: Freunde, die mich lieben, Freunde, die sich nicht um mich be- kümmern, und Freunde, die mich verabscheuen. Sehr wahr! [K 130] Eine der ärgerlichsten Situationen ist die, wenn man, aus übertriebener Sorgfalt, einem Unfalle vorzu- beugen, gerade unternimmt, was ihn einem auf den Hals zieht, da man ohne alle Vorsicht ganz gewiß si- cher gewesen wäre. Denn außer dem Unangenehmen, das die Sache schon für sich allein hatte, wird sie noch dadurch bitterer, daß man sich selbst Vorwürfe und bei andern lächerlich macht. Ich habe jemanden ein kostbares Gefäß dadurch zerbrechen sehen, daß er es von einer Stelle wegtragen wollte, an der es wenig- stens ein halbes Jahr ruhig gestanden hatte, bloß weil er fürchtete, es möchte einmal von ungefähr herunter- gestoßen werden. [K 131] Der Mensch kann sich alles geben, sogar Mut, wenn er es recht anfängt, aber es ist freilich besser, wenn man ihn schon mit auf die Welt bringt. [K 132] Ich habe mich öfters des Lächelns nicht erwehren können, wenn ich auf meinem Garten die Reisenden vorbeifahren sah. Die morgens um 5 Uhr passierten, waren die, welche um 3 Uhr reisen wollten, um 6 Uhr kamen die um 4 die Pferde bestellt hatten, und dann endlich um 7 oder 8 Uhr, die den Weg noch in der an- genehmen Kühle machen wollten. [K 133] Einige Leute beratschlagen sich aus Scherz, was sie anfangen sollten, wenn sie das große Los gewön- nen. Zwei darunter haben ein Los in Compagnie. Sie fallen auf allerlei Arten von Handel, den sie anfangen wollten, es wird von anderen mit Gründen eingespro- chen, warum dieser Handel nicht ginge, endlich ver- gißt man, daß das Ganze eine Voraussetzung ist. Es wird gestritten, als ob die Sache wirklich wäre, und mit einem solchen Eifer, daß es darüber zu Schlägen kommt. Die Schläge abgerechnet, habe ich so etwas einigemal erlebt, nicht ohne Vergnügen und herzli- ches Lachen der Gesellschaft, indessen hatten sich doch einige so weit dabei erhitzt, daß sie nicht mit- lachten, welches das Vergnügen der andern nicht wenig erhöhete. [K 134] Was für ein Unterschied zwischen den Jahren, wo man die Vorsehung überall, und denen, wo man Beur- teiler sieht! [K 135] Erst müssen wir glauben, und dann glauben wir. [K 136] Die gemeinen Leute sind herrlich zu gebrauchen, manche Bemerkungen zu machen, wenn man ihre Mienen beobachtet. Man kann sie benutzen wie die Hunde, die abgerichtet sind, Hühner und Trüffeln zu finden, welche man selbst nicht riechen kann. [K 137] Es gibt wenig Menschen, die ein gescheutes Ge- sicht machen können, wenn sie nach der Sonne sehen. [K 138] Wenn das Ungefähr nicht mit seiner geschickten Hand in unser Erziehungswesen hineinarbeitete, was würde aus unserer Welt geworden sein? [K 139] Das Einreißen bei gewöhnlichen Anstalten ist ein großes Verderben, vorzüglich in der Politik, Ökono- mie und Religion. Das Neue ist dem Projektmacher so angenehm, aber denen, die es betrifft, gemeiniglich sehr unangenehm. Der erste bedenkt dabei nicht, daß er es mit Menschen zu tun hat, die mit Güte unver- merkt geleitet sein wollen, und daß man dadurch sehr viel mehr ausrichtet, als mit einer Umschaffung, deren Wert denn doch erst durch die Erfahrung entschieden werden muß. Wenn man doch nur das letztere beden- ken wollte! Man schneide die Glieder nicht ab, die man noch heilen kann, wenn sie auch gleich etwas verstümmelt bleiben; der Mensch könnte über der Operation sterben. Und man reiße nicht gleich ein Ge- bäude ein, das etwas unbequem ist, und stecke sich dadurch in größere Unbequemlichkeiten. Man mache kleine Verbesserungen. [K 140] Man wird, wenn man acht geben will, bei dem Deutschen die Nachahmung überall finden, freilich bald mehr, bald weniger versteckt. Selbst unser Fech- ten für Bezahlung ist Nachahmung der Verteidigung des Vaterlandes. Eigentlich kann wahre Verteidigung seines eigenen Herdes, seines Weibes und seiner Kin- der mit dem Dienste der Soldaten nicht verglichen werden; und doch geschieht es sehr häufig. Es sind Dinge ganz verschiedener Art, und so unterschieden, wie wahre Freundschaft halten von schmarotzen. [K 141] Weissagungen finden sich in sehr alten Büchern auch schon deswegen, weil einem die Begebenheiten, die die Veranlassung dazu waren, nicht immer einfal- len. Denn wer hat, wenn er auch Geschichte weiß, alles so synchronistisch gegenwärtig, daß er wissen kann, was damals die Tischdiskurse der Gesellschaft waren? Begebenheiten der Zeit verleiten zu einem Traum; ähnliche Begebenheiten ereignen sich wieder, und der Traum trifft ein. So habe ich selbst den Tod Ludwigs XVI. lange vorher geweissagt, und gewiß mehrere Menschen haben dasselbe gedacht. Was die französische Revolution für Folgen haben wird, läßt sich auch dunkel voraussehen. Johann Hus wurde ver- brannt, Luther nicht; es entstand ein dreißigjähriger Krieg, und nun steht die Reformation da. [K 142] Bei der jetzigen Anarchie in Frankreich und der Uneinigkeit im Nationalkonvent sollte man immer fragen: wie viel gehört wohl davon den Emigranten zu? und wie viel dem Einfluß fremder Höfe? Gewiß wird nicht bloß mit Armeen von letzteren gefochten. [K 143] In keiner Streitigkeit, deren ich mich erinnere, sind je, glaube ich, die Begriffe so verstellt worden, als in der gegenwärtigen über Freiheit und Gleichheit. Seht, ruft die eine Partei, hin nach Paris, da seht ihr die Früchtchen der Gleichheit! Und es ist betrübt, zu sehen, daß sogar berühmte Schriftsteller in diesen Ton mit einstimmen. Eben so könnte ich rufen: ihr, die ihr ein so großes Glück im Umgange mit dem an- dern Geschlecht und in der Liebe findet, seht dort die Hospitäler der Nasenlosen! oder ihr, die ihr von dem Labsal sprecht, das euch beim Genuß der Freund- schaft der Wein gewährt, seht dort die Trunkenbolde in den Klauen der Schwindsucht im Kreise verhun- gernder Kinder langsam dahin sterben! Ihr Toren, möchte ich sagen, so lernt uns doch verstehen! O ich glaube auch, ihr versteht uns nur allzu wohl, ihr derai- sonniert nur deswegen so, weil ihr fürchtet, die Welt möchte uns verstehen. Die Gleichheit, die wir verlan- gen, ist der erträglichste Grad von Ungleichheit. So vielerlei Arten von Gleichheit es gibt, worunter es fürchterliche gibt, eben so gibt es verschiedene Grade der Ungleichheit, und darunter welche die eben so fürchterlich sind. Von beiden Seiten ist Verderben. Ich bin daher überzeugt, daß die Vernünftigen beider Parteien nicht so weit von einander liegen, als man glaubt; und daß die Gleichheit der einen Partei, und die Ungleichheit der andern wohl gar am Ende diesel- bigen Dinge mit verschiedenen Namen sein könnten. Allein was hilft da alles Philosophieren? Dieses Mit- tel muß erkämpft werden, und wird die Übermacht von einer Partei zu groß, zumal wenn der Mutwille der andern unbändig war, so kann es auch sehr viel schlimmer werden. Es ist aber nur zu befürchten, daß jene mittlere Gleichheit oder Ungleichheit (wie man [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 522 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69618 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 421 ff.)] will) von beiden Parteien gleich stark verabscheut wird. Sie muß also wohl mit Gewalt eingeführt wer- den; und da ist es denn dem Einführenden nicht zu verdenken, wenn er sich einen etwas starken Aus- schlag gibt. Hierin liegt überhaupt ein allgemeiner Grund von der Seltenheit guter Mittelzustände. [K 144] Wenn der goldene Mittelzustand durch den Streit der Verteidiger beider Extreme erfochten werden soll, so ist es eine gar mißliche Sache. Nichts als völlige Entkräftung beider Teile wird sie geneigt dazu ma- chen, und in diesem Falle bemächtigt sich leicht ein Dritter beider Parteien. [K 145] Sieyčs ist seit 1788 wahrscheinlicher Weise die Triebfeder aller großer Begebenheiten in Frankreich. (Im Jahr 1793 geschrieben.) [K 146] Es sind immer gefährliche Zeiten, wo der Mensch sehr lebhaft erkennt, wie wichtig er ist, und was er vermag. Es ist immer gut, wenn er in Rücksicht auf seine politischen Rechte, Kräfte und Anlagen ein bi- ßchen schläft, so wie die Pferde nicht bei jeder Gele- genheit Gebrauch von ihren Kräften machen dürfen. [K 147] Wenn Freiheit, wie man sagt, dem Menschen na- türlich ist, ist es ihm denn minder natürlich, sich dem Schutze eines andern zu unterwerfen, wenn er nicht Stärke oder nicht Tätigkeit genug hat? Da man sich über Könige weggesetzt hat, wird es nicht immer Menschen geben, die sich über Gesetze Wegsetzen? Tugend in allen Ständen ist die Hauptsache; wo die nicht ist, da ist alles nichts, und Wechsel wird stets Statt finden. Alles, wofür ein Staat zu sorgen hat, ist, richtige Begriffe von Gott und der Natur in Umlauf zu bringen. Man hat sich über Könige weggesetzt, nicht weil sie Tyrannen waren; sondern man nannte sie so, weil man sich über sie wegsetzen wollte. Und wie, wenn es nun nie an Ehrgeizigen fehlen wird, die die Gesetze für Tyrannen halten? [K 148] Es scheint fast, als wenn es mit der Erkenntnis ge- wisser Wahrheiten und ihrer Anwendung im Leben ginge, wie mit Pflanzen: wenn sie einen gewissen Grad von Höhe erreicht haben, so werden sie abge- schnitten, um wieder von vorne anzufangen. Der höchste Grad von politischer Freiheit liegt unmittel- bar am Despotismus an. Wie schön ist es nicht bei der englischen Constitution, daß sie republikanische Freiheit mit der Monarchie schon vorläufig gemischt hat, um den völligen Umschlag aus einer Demokratie in reine Monarchie oder Despotismus zu verhindern! [K 149] Das Traurigste, was die französische Revolution für uns bewirkt hat, ist unstreitig das, daß man jede vernünftige und von Gott und Rechts wegen zu ver- langende Forderung, als einen Keim von Empörung ansehen wird. [K 150] Es kommt nicht darauf an, ob die Sonne in eines Monarchen Staaten nicht untergeht, wie sich Spanien ehedem rühmte; sondern was sie während ihres Lau- fes in diesen Staaten zu sehen bekommt. [K 151] Man spricht viel von guten Königen, die doch im Grunde nichts weniger waren, als gute Könige, aber gute Leute. Es ist dieses eine höchst ungereimte Ver- wirrung der Begriffe. Man kann ein sehr guter Mann und doch kein guter König sein, so gut als man ein ehrlicher Mann und dabei kein guter Bereiter sein kann. Dies ist wahrhaftig der Fall mit Ludwig XVI. Was halfen seine guten Gesinnungen? Dadurch konn- te sein Volk unmöglich glücklich werden. Man sagt nicht, daß er nicht vergleichungsweise gut gewesen sei. Er war gewiß sehr viel besser, als manche seiner Vorgänger. [K 152] Eine Gleichheit und Freiheit festsetzen, so wie sie sich jetzt viele Menschen gedenken, das hieße ein eilf- tes Gebot geben, wodurch die übrigen zehn aufgeho- ben würden. [K 153] Wenn der größte Lehrer des Menschengeschlechts käme und eine Schule anlegte, vollkommene Men- schen zu bilden, und alle Schulmeister rottierten sich zusammen, aus Furcht ihre Kunden zu verlieren, schrieben gegen ihn, suchten seine Kinder zu verfüh- ren, schickten ihm mit Fleiß verworfene Geschöpfe zu, ja mitunter verkleidete Mädchen mit venerischen Krankheiten, ließen ihnen Branntwein und wohl- schmeckende Gifte zuschicken usw. - wie würde ein solches Institut bestehen können; Wenn nun alles darin wirklich darunter und darüber ginge, was für Recht hätten nun die neidischen Schulmeister, in die Welt zu schreiben: quid dignum tanto tulit hic pro- missor hiatu? - Sein Plan hatte nicht Schuld, sondern sie, die Schulmeister, mit ihren Gegenarbeiten. [K 154] Sonst sucht man bei Bekehrungen die Meinung wegzuschaffen, ohne den Kopf anzutasten; in Frank- reich verfährt man jetzt kürzer: man nimmt die Mei- nung mitsamt dem Kopf weg. [K 155] Was die Großen jetzt zu bedenken haben, ist, daß sie ihre Untertanen gewiß nicht leicht ärger drücken können, als sie in Frankreich gedrückt wurden; und diese doch ihrem Könige den Kopf abgeschlagen haben. [K 156] Es sind jetzt Deutsche, Engländer, Franzosen, Pie- monteser, Spanier, Portugiesen, Neapolitaner und Holländer, die das heilige Grab der französischen Monarchie zu erobern trachten; ob es ihnen wohl ge- lingen wird? [K 157] Es ist eine große Frage, wodurch in der Welt mehr ist ausgerichtet worden: durch das gründlich Gesagte, oder durch das bloß schön Gesagte. Etwas zugleich sehr gründlich und sehr schön zu sagen, ist schwer; wenigstens wird in dem Augenblick, da die Schönheit empfunden wird, die Gründlichkeit nicht ganz er- kannt. Man tadelt das seichte Geschwätz, das jetzt in Frankreich in politischen Dingen gedrückt wird. Ich glaube, dieser Tadel ist selbst etwas seicht, und zeigt, daß bloß das System, aber nicht die Kenntnis mensch- licher Natur die Feder geführt hat. Denn diese Bücher werden ja nicht für das Menschengeschlecht und die abstrakte Vernunft geschrieben, sondern für konkrete Menschen von einer gewissen Partei; und erreichen gewiß ihren Zweck sicherer, als alle Werke, die für den abstrakten Menschen berechnet sind, den es noch nicht gegeben hat, und nie geben wird. [K 158] Ich sehe darin nichts so sehr Arges, daß man in Frankreich der christlichen Religion entsagt hat. Das sind ja alles nur kleine Winkelzüge. Wie wenn das Volk nun ohne allen äußern Zwang in ihren Schoß zurückkehrt, weil ohne sie kein Glück Wäre? Wel- ches Beispiel für die Nachwelt, und welches kostbare Experiment, das man wahrlich nicht alle Tage an- stellt! Ja, vielleicht war es nötig, sie einmal ganz auf- zuheben, um sie gereinigt wieder einzuführen. [K 159] Es ist, glaube ich, keine Frage, daß, bei aller Un- gleichheit der Stände, die Menschen alle gleich glück- lich sein können; man suche nur jeden so glücklich als möglich zu machen. [K 160] Wenn Heiraten Frieden stiften können, so sollte man den Großen die Vielweiberei erlauben. [K 161] So lange das Gedächtnis dauert, arbeiten eine Menge Menschen in Einem vereint zusammen, der zwanzigjährige, der dreißigjährige usw. Sobald aber dieses fehlt, so fängt man immer mehr und mehr an, allein zu stehen, und die ganze Generation von Ichs zieht sich zurück und lächelt über den alten Hülflo- sen. Dieses spürte ich sehr stark im August 1795. [K 162] Ich fing erst gegen das Ende meines Lebens an zu arbeiten, und mein bißchen Witz aufs Profitchen zu stecken. [K 163] Sein Leben aufs Profitchen stecken: wie ich jetzt im Jahre 1795. Ich hätte aber, was ich jetzt tue und tun will und gerne täte, ehemals viel besser tun kön- nen, da hatte ich aber keine Zeit!! [K 164] Ich stecke jetzt meine ganze Tätigkeit aufs Profitchen. Kohlen sind noch da, aber keine Flamme. [K 165] Die an den Untertanen meistem wollen, wollen die Fixsterne um die Erde drehen, bloß damit die Erde ruhe. [K 166] Eine Republik zu bauen aus den Materialien einer niedergerissenen Monarchie, ist freilich ein schweres Problem. Es geht nicht, ohne bis erst jeder Stein an- ders gehauen ist, und dazu gehört Zeit. [K 167] Ich glaube, daß einige der größten Geister, die je gelebt haben, nicht halb so viel gelesen hatten, und bei weitem nicht so viel wußten, als manche unserer mittelmäßigen Gelehrten. Und mancher unserer sehr mittelmäßigen Gelehrten hätte ein größerer Mann werden können, wenn er nicht so viel gelesen hätte. [K 168] Was dem Ruhm und der Unsterblichkeit manches Schriftstellers ein größeres Hindernis in den Weg legt, als der Neid und die Bosheit aller kritischen Journale und Zeitungen zusammengenommen, ist der fatale Umstand, daß sie ihre Werke auf einen Stoff [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 530 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69626 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 425 ff.)] müssen drucken lassen, der zugleich auch zu Ge- würzduten gebraucht werden kann. [K 169] Was mir an der Art, Geschichte zu behandeln, nicht gefällt, ist, daß man in allen Handlungen Ab- sichten sieht, und alle Vorfälle aus Absichten herlei- tet. Das ist aber wahrlich ganz falsch. Die größten Begebenheiten ereignen sich ohne alle Absicht; der Zufall macht Fehler gut, und erweitert das klügst an- gelegte Unternehmen. Die großen Begebenheiten in der Welt werden nicht gemacht, sondern finden sich. [K 170] Leben von Johnson durch Boswell. - Johnson ist mir ein höchst unangenehmer, ungeschliffener Patron. Aber das sind gerade die Menschen, aus denen man die Menschen kennen lernen muß - Krystallisation, die sich durch kein Abschleifen verkennen läßt. Was helfen mir die geschliffenen Steine? [K 171] Eine seltsamere Ware, als Bücher, gibt es wohl schwerlich in der Welt. Von Leuten gedruckt, die sie nicht verstehen; von Leuten verkauft, die sie nicht verstehen; gebunden, rezensiert und gelesen von Leu- ten, die sie nicht verstehen; und nun gar geschrieben von Leuten, die sie nicht verstehen. [K 172] Viele Priester der Minerva haben, außer mancher Ähnlichkeit mit der Göttin selbst, auch die mit dem berühmten Vogel derselben, daß sie zwar im Dunkeln Mäuse fangen, aber am Tageslicht den Kirchturm nicht eher sehen, als bis sie sich die Köpfe daran ent- zwei stoßen. [K 173] Wer mit einemmal übersehen will, wie die Men- schen Geschichte schreiben, der muß sich mit der Ge- schichte der Religionsstifter bekannt machen, weil das der Fall ist, wo man die Sache am deutlichsten sieht. In der Naturlehre ist es eine sehr bekannte Regel, daß man die günstigsten Umstände abpassen muß. Die eine Partei glaubt gewöhnlich sehr viel mehr, und die andere sehr viel weniger, als wahr ist. Was hier im höchsten Grade erscheint, zeigt sich minder merklich in andern Relationen; ist aber immer da. [K 174] Ich glaube, daß man selbst bei abnehmendem Ge- dächtnis und sinkender Geisteskraft überhaupt noch immer gut schreiben kann, wenn man nur nicht zu viel auf den Augenblick ankommen läßt, sondern bei seiner Lektüre oder seinen Meditationen immer nie- derschreibt, zu künftigem Gebrauch. Auch der abge- lebteste Mann hat Augenblicke, wo er, durch Umstän- de so gut wie durch Wein angespornt, sieht, was kein anderer gesehen. Dieses muß gehörig aufgesammelt werden. Denn das, was der Augenblick der Ausarbei- tung zu geben vermag, gibt er doch. So sind gewiß alle großen Schriftsteller verfahren. [K 175] Sollte es nicht sehr viel besser um das menschliche Geschlecht stehen, wenn wir gar keine Geschichte, wenigstens keine politische mehr hätten? Der Mensch würde mehr nach den jedesmaligen Kräften handeln, die er hat; da jetzt hier und da das Exempel, gegen einen, den es bessert, Tausend schlimmer macht. - Alles dieses für den proprium locum. [K 176] Es gibt eine bleibende menschliche Natur, Regun- gen des Herzens, die sich jetzt noch bei eben den Ver- anlassungen einstellen, auf die sie ehemals in Athen, Rom und Jerusalem gefolgt sind. Schriftsteller, die diesen Menschen in ihren Werken schildern, geben zugleich den Kommentar dazu, und werden gelesen werden, so lange Menschen sind, zumal wenn sie durch Abwechselung zu unterhalten wissen; denn Vergnügen an Veränderung ist dem Menschen blei- bend eigen. Allein diese Anlagen verhindern nicht, daß der Mensch nicht selbst in gewissen Grenzen sollte sehr veränderlich sein können. Der Stolz zeigt sich unter tausendfacher Form, so gut wie die Nei- gung zum Putz. Der Mond bewegt sich in einer Ellip- se um die Erde, aber es finden sich viele Anomalien. Monden gehen und kommen wieder. Auch diese Men- schen kann man schildern; es ist menschliche Natur, modifiziert durch Umstände, die dem Wechsel unter- worfen sind. Diesen Menschen hat sich vorzüglich Hogarth gewählt; aber solche Werke verlieren viel mit der Zeit. - [K 177] Es gibt kein größeres Hindernis des Fortgangs in den Wissenschaften, als das Verlangen, den Erfolg davon zu früh verspüren zu wollen. Dieses ist munte- ren Charakteren sehr eigen; darum leisten sie auch selten viel; denn sie lassen nach und werden niederge- schlagen, sobald sie merken, daß sie nicht fortrücken. Sie würden aber fortgerückt sein, wenn sie geringe Kraft mit vieler Zeit gebraucht hätten. [K 178] Unter allen Kapiteln, die uns der angenehme Schwätzer Montaigne hinterlassen hat, hat mir immer das vom Tode, der vielen vortrefflichen Gedanken un- geachtet, am wenigsten gefallen. Es ist das 19. im er- sten Buche. Man sieht durch alles hindurch, daß sich der wackere Philosoph sehr vor dem Tode gefürchtet, und durch die gewaltsame Ängstlichkeit, womit er den Gedanken wendet, und selbst zu Wortspielen dreht, ein sehr übeles Beispiel gegeben hat. Wer sich vor dem Tode wirklich nicht fürchtet, wird schwerlich davon mit so vielen kleinlichen Trostgründen gegen ihn zu reden wissen, als hier Montaigne beibringt. [K 179] Eine traurige Betrachtung für die alte Geschichte liefert uns die neue französische. Wie viel ist nicht darüber geschrieben worden! Wer dünkt sich gleich- wohl jetzt weise genug, etwas darüber zu schreiben, was nur einigermaßen der Wahrheit nahe kommt? Nun ist freilich bei den Alten nicht so viel geschrie- ben, und folglich gelesen worden; aber gewiß gesche- hen ist wohl eben so viel; ja was das Schlimmste ist, so mußte man sich dort mehr auf Erzählung und Tra- dition verlassen. [K 180] Es schadet bei manchen Untersuchungen nicht, sie erst bei einem Räuschchen durchzudenken und dabei aufzuschreiben; hernach aber alles bei kaltem Blute und ruhiger Überlegung zu vollenden. Eine kleine Er- hebung durch Wein ist den Sprüngen der Erfindung und dem Ausdruck günstig; der Ordnung und Planmä- ßigkeit aber bloß die ruhige Vernunft. [K 181] Die Deutschen mögen auch sagen, was sie wollen, so kann nicht geleugnet werden, daß unsere Gelehr- samkeit mehr darin besteht, recht gut inne zu haben, was zu einer Wissenschaft gehört, und zumal deutlich angeben zu können, was dieser und jener darin getan hat, als selbst auf Erweiterung zu denken. Selbst unter unsern größten Schriftstellern gibt es welche, die ei- gentlich nur das, was man schon wußte, gut geordnet wieder drucken lassen, hier und da mit einer Erläute- rung, die sie entweder wieder an einem andern Ort aufgefangen haben, oder die sich sonst leicht machen läßt. Wie viele Kante, Euler, Klaprothe haben wir denn? Die Engländer bekümmern sich wenig darum, was andere mögen gewußt haben, und suchen immer weiter zu gehen, als das allgemein Bekannte reicht, und stehen sich dabei recht gut, und, möchte ich fast hinzusetzen, wir uns auch - nämlich bei den Erfin- dungen der Engländer. [K 182] Ich glaube, daß es mit dem Studieren gerade so geht, wie in der Gärtnerei: es hilft weder der da pflanzt, noch der da begeußt etwas, sondern Gott, der das Gedeihen gibt. Ich will mich erklären. Wir tun si- cherlich eine Menge von Dingen, von denen wir glau- ben, daß wir sie mit Wissen, täten, und die wir doch tun, ohne es zu wissen. Es ist so was in unserm Ge- müte wie Sonnenschein und Witterung, das nicht von uns abhängt. Wenn ich über etwas schreibe, so kommt mir das Beste immer so zu, daß ich nicht sagen kann, woher. Merkwürdige Beobachtungen, wie viel man tut, ohne es zu wissen, enthält Montai- gne im 3.T. S. 105 ff. [K 183] Der einzige Fehler, den die recht guten Schriften haben, ist der, daß sie gewöhnlich die Ursache von sehr vielen schlechten oder mittelmäßigen sind. [K 184] Die Mathematik ist eine gar herrliche Wissen- schaft, aber die Mathematiker taugen oft den Henker nicht. Es ist fast mit der Mathematik, wie mit der Theologie. So wie die der letztern Beflissenen, zumal wenn sie in Ämtern stehen, Anspruch auf einen be- sondern Kredit von Heiligkeit und eine nähere Ver- wandtschaft mit Gott machen, obgleich sehr viele dar- unter wahre Taugenichtse sind, so verlangt sehr oft der so genannte Mathematiker für einen tiefen Denker gehalten zu werden, ob es gleich darunter die größten Plunderköpfe gibt, die man nur finden kann, untaug- lich zu irgend einem Geschäft, das Nachdenken erfor- dert, wenn es nicht unmittelbar durch jene leichte Ver- bindung von Zeichen geschehen kann, die mehr das Werk der Routine, als des Denkens sind. [K 185] Es ist traurig, daß die meisten Bücher von Leuten geschrieben werden, die sich zu dem Geschäft erhe- ben, anstatt daß sie sich dazu herablassen sollten. Hätte z.B. Lessing ein Vademecum für lustige Leute herausgeben wollen, ich glaube, man hätte es in alle Sprachen der Welt Übersetzt. Aber so schreibt jeder- mann gern über Dinge, worin er sich noch selbst ge- fällt, und man gefällt sich selten in Dingen, die man so inne hat und Übersieht, wie etwa das Einmaleins. Wer, wenn er schreibt, um sich Genüge zu tun, alles sagt, was er weiß, schreibt gewiß schlecht. Hingegen wer anhalten muß, um nicht zu viel zu sagen, kann sich eher Beifall versprechen. [K 186] ..., Prediger zu..., ist der artige Mann, der das Klatschmagazin über Schulen und Universitäten anle- gen will. Ein Prediger sollte sich schämen, so etwas [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 538 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69634 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 429 ff.)] anzukündigen. Er will auch Listen liefern von studio- sis non studentibus, wenn anders, wie er sagt, auf dem Papier sich Raum dazu findet, und, hätte er hinzuset- zen können, auf seinem Buckel Raum für die gerech- ten Züchtigungen, die er deswegen erhalten wird. [K 187] Ich glaube, man treibt in unsern Tagen die Ge- schichte der Wissenschaften zu minutiös, zum großen Nachteil der Wissenschaft selbst. Man liest es gerne, aber wahrlich es läßt den Kopf zwar nicht leer, aber ohne eigentliche Kraft; eben weil es ihn so voll macht. Wer je den Trieb in sich gefühlt hat, seinen Kopf nicht anzufüllen, sondern zu stärken, die Kräfte und Anlagen zu entwickeln, sich auszubreiten, der wird gefunden haben, daß es nichts Kraftloseres gibt, als die Unterredung mit einem so genannten Literator in der Wissenschaft, in der er nicht selbst gedacht hat, aber tausend historischliterärische Umständchen weiß. Es ist fast als wie Vorlesung aus einem Koch- buch, wenn man hungert. Ich glaube auch, daß unter denkenden, ihren eigenen und der eigentlichen Wis- senschaft Wert fühlenden Menschen die so genannte Literärgeschichte nie ihr Glück machen wird. Diese Menschen räsonieren mehr, als sie sich darum beküm- mern, zu wissen, wie andere Menschen räsoniert haben. Was das Traurigste bei der Sache ist, so findet man, daß, so wie die Neigung an literärischen Unter- suchungen in einer Wissenschaft wächst, die Kraft zur Erweiterung der Wissenschaft selbst abnimmt, allein der Stolz auf den Besitz der Wissenschaft zunimmt. Solche Leute glauben sich mehr im Besitz der Wis- senschaft selbst zu sein, als die eigentlichen Besitzer. Es ist gewiß eine sehr gegründete Bemerkung, daß wahre Wissenschaft ihren Besitzer nie stolz macht, sondern bloß die von Stolz sich aufblähen läßt, die aus Unfähigkeit, die Wissenschaft selbst zu erweitern, sich mit Aufklärung ihrer dunkeln Geschichte abge- ben, oder alles herzuerzählen wissen, was andere getan haben, weil sie diese größtenteils mechanische Beschäftigung für Übung der Wissenschaft selbst hal- ten. Ich könnte dieses mit Exempeln belegen, aber das sind odiöse Dinge. [K 188] Es müßte eine ganz entsetzlich elende Übersetzung sein, die ein gutes Buch für einen Mann von Geist, der ins Große liest und nicht über Ausdrücken und Sentenzen hängt, verderben könnte. Ein Buch, das nicht einen solchen Charakter hat, den selbst der schlechteste Übersetzer kaum für den Mann von Geist verderben kann, ist gewiß nicht für die Nachwelt ge- schrieben. [K 189] Es ist gewiß sehr schwer, ein Werk zu schreiben, das den Beifall derer erhält, die bei Genie die Materie, worein die Sache einschlägt, zum Studio ihres ganzen Lebens gemacht haben. Ich habe gefunden, daß, wenn ich eine gewisse Materie in der Physik, von nicht sehr großem Umfange, 8 bis 14 Tage lang zum Hauptge- genstand meiner Untersuchungen machte, mir alle Schriftsteller, die darüber geschrieben hatten, seicht vorgekommen sind. [K 190] Die Leichenpredigten auf Bücher unterscheiden sich gar sehr von denen auf Menschen. Die letzteren werden gewöhnlich über Verdienst gelobt und die er- steren ausgeschimpft. [K 191] Viele sogenannte berühmte Schriftsteller, in Deutschland wenigstens, sind sehr wenig bedeutende Menschen in Gesellschaft. Es sind bloß ihre Bücher, die Achtung verdienen, nicht sie selbst. Denn sie sind meistens sehr wenig wirklich. Sie müssen sich immer erst durch Nachschlagen zu etwas machen, und dann ist es immer wieder das Papier, das sie geschrieben haben. Sie sind elende Ratgeber und seichte Lehrer dem, der sie befragt. [K 192] Ich möchte wohl wissen, wie es um unsere deut- sche Literatur in manchen Fächern stehen würde, wenn wir keine Engländer und Franzosen gehabt hät- ten. Denn selbst zum bessern Verständnis der Alten sind wir durch sie angeführt worden. Selbst die Frivo- lität mancher unter ihnen hat manchen die Augen für den Wert der Alten geöffnet. [K 193] Es hält nicht schwer, eine Sache zu Papier zu brin- gen, wenn man sie einmal in der Feder hat. [K 194] Es war vor einiger Zeit Mode, und ist es vielleicht noch, auf die Titel der Romane zu setzen: eine wahre Geschichte. Das ist nun eine kleine unschuldige Be- trügerei, aber daß man auf manchen neueren Ge- schichtsbüchern die Worte: ein Roman, wegläßt, das ist keine so unschuldige. [K 195] Vielleicht leistet manches schlechte Buch, das jetzt verachtet wird, dereinst einem guten eben den Dienst, den die elenden Schauspiele den Shakespearischen geleistet haben, mit dessen Werken sie gleichzeitig waren. So kommt auch dem schlechten Schriftsteller der Trost zu statten, daß die Nachwelt dereinst sein Verdienst erkennen wird. [K 196] Um über gewisse Gegenstände mit Dreistigkeit zu schreiben, ist fast notwendig, daß man nicht viel davon versteht. Auch geht es gut an, wo der Gegen- stand noch wenig bekannt ist. Unstreitig hat man sehr viel mehr vom Vielfraß zu erzählen gewußt, da er noch wenig gekannt war, als jetzt, da man ihn kennt. [K 197] B. besitzt großes Dichtertalent; aber es ist bei ihm in eine fremde Materie gefaßt, so wie bei den Bleistif- ten das Reißblei in Holz; wenn er sich zu spitzen ver- gißt, so glaubt er zuweilen, er schriebe, wenn er bloß mit dem Holze kritzelt. [K 198] Um gut versifizieren zu können, scheint es unum- gänglich nötig, daß man das Metrum und den Nume- rus in demselben leise hört, ohne noch die Worte zu vernehmen, die es füllen sollen. Die Form des Gedan- kens muß dem Dichter schon vorschweben, ehe der Gedanke selbst erscheint. [K 199] Eine gute Bemerkung über das sehr Bekannte ist es eigentlich, was den wahren Witz ausmacht. Eine Be- merkung über das weniger Bekannte, wenn sie auch sehr gut ist, frappiert bei weitem nicht so, teils weil die Sache selbst nicht jedermann geläufig ist, und teils weil es leichter ist, über eine Sache etwas Gutes zu sagen, worüber noch nicht viel gesagt ist. Man be- zeichnet auch daher diese Art von Einfällen im gemei- nen Leben durch die Ausdrücke: gesucht und weit hergeholt. [K 200] Mich wundert, daß noch niemand eine Bibliogenie geschrieben hat, ein Lehrgedicht, worin die Entste- hung nicht sowohl der Bücher, als des Buchs be- schrieben würde - vom Leinsamen an, bis es endlich auf dem Repositorio ruht. Es könnte gewiß dabei viel Unterhaltendes und zugleich Lehrreiches gesagt wer- den. Von Entstehung der Lumpen; Verfertigung des Papiers; Entstehung des Makulaturs; mitunter die Druckerei; wie ein Buchstabe heute hier, morgen dort dient. Alsdann wie die Bücher geschrieben werden. Hier könnte viel Satyre angebracht werden. Der Buch Linder; hauptsächlich die Büchertitel und zuletzt die Pfefferduten. Jede Verrichtung könnte einen Gesang ausmachen, und bei jedem könnte der Geist eines Mannes angerufen werden. [K 201] Ich glaube, daß ein Gedicht auf den leeren Raum einer großen Erhabenheit fähig wäre. Ich glaube we- nigstens so, nach allem, was ich bisher gelesen habe; vielleicht trägt aber auch meine eigene Disposition etwas dazu bei. [K 202] Wenn man Rape of the Lock durch »Lockenraub« übersetzt, so ist schon die Hälfte des Witzes verloren. Was mag nicht erst im Gedichte selbst verloren ge- gangen sein! [K 203] In allen Werken Hogarths findet sich kein Esel an- gebracht, womit sonst die satyrischen Künstler so sehr freigebig sind. [K 204] Gespräch zwischen mir und dem französischen Sprachmeister L..., der ein versteinertes Gehirn gefunden haben wollte Der Sprachm. Hier, Herr Professor, habe ich ein versteinertes Menschengehirn auf dem Hainberge ge- funden; das ist wirklich eine große Seltenheit. Ich. Ja, so wie überhaupt Versteinerungen von Dingen, die leicht faulen; allein die Menschen, die dergleichen gefunden haben wollen, sind gar keine Seltenheit. Ich habe sogar jemanden gekannt, der einen versteinerten Butterweck gefunden haben woll- te. Der Sprachm. Wollen Sie mir dieses rare Stück nicht abkaufen? Vous l'aurez pour un ducat. Ich. Mein lieber Herr L..., folgen Sie meinem Rate, und werfen Sie den Stein weg, es ist ein gemeiner, im Wasser abgerundeter Stein. Der Sprachm. O Sie sind schon so oft so gütig gegen mich gewesen - Vous l'aurez pour un écu. Je n'ai pas un sou. Ich. Hier haben Sie einen halben Gulden, den schenke ich Ihnen, aber nehmen Sie den Stein mit. Der Sprachm. O Sie kennen ja den Herrn Hofrat H... gut, empfehlen Sie mich doch, vielleicht wird die- ses pretiöse Stück für das Cabinet gekauft. (Hier ging mir die Geduld aus). Ich (heftig). Hören Sie, lassen Sie mich mit Frie- den; wenn Sie aber sagen wollen, das, was Sie hier in der Hand halten, sei Ihr eigenes Gehirn, so will ich sehen, was ich für Sie tun kann, denn so klingt doch die Sache noch plausibel. (Hier machte ich die Tür auf). [K 205] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 546 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69642 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 434 ff.)] Hochzeiten gehören unter die Fleischspeisen, da sie in den Fasten verboten sind. [K 206] Die metallischen Alter der Welt sind jetzt ver- kalcht. [K 207] Geheimer Ausrufer - eine neue Hofcharge - näm- lich, der heimlich verbreitet, was man gern verbreitet hätte, und doch nicht laut verbreiten darf [K 208] Wenn die Menschen nicht nach den Uhren gehen, so fangen endlich die Uhren an nach den Menschen zu gehen. [K 209] Man macht jetzt so junge Doktoren, daß Doktor und Magister fast zur Würde der Taufnamen gediehen sind. Auch bekommen die, denen diese Würden erteilt werden, sie oft wie die Taufnamen, ohne zu wissen wie. [K 210] Man sollte, wenn man die Titel ansieht, wie sie ihren Wert verlieren, fast glauben, es wäre mehr Ehre in die Welt gekommen; so wie der Wert des Geldes fällt, wenn des Goldes zu viel wird. [K 211] Warum sollte las herrliche Sprüchwort nicht so gut vom geistlichen als vom leiblichen Vermögen gelten: Mit Vielem hält man Haus, mit Wenigem kommt man auch aus? [K 212] Ja, der Herr Leibarzt war ein vortrefflicher Mann, er besuchte jedermann, er machte vornehm oder ge- ring sein, und wenn es um Mitternacht gewesen wäre. Man konnte mit Recht von ihm sagen, was Horaz von des Kaiser Augusts Leibarzt sagt: aequo pulsat pede pauperum tabernas regumque turres. [K 213] Während man über geheime Sünden öffentlich schreibt, habe ich mir vorgenommen, über öffentliche Sünden heimlich zu schreiben. [K 214] Wenn es gegründet ist, was ein vortrefflicher Kopf, der Abbé Lechevalier, mutmaßte, daß der König Lud- wig XVI. durch den Einfluß der Royalisten hingerich- tet sei, weil man dies für das sicherste Mittel gehalten hätte, wieder einen König zu bekommen; so könnte man nicht unschicklich sagen, der König sei in usum Delphin; hingerichtet worden. [K 215] Ich schätze Leute glücklich, die einen Vornamen mit einem M haben, weil sie gleichsam natürliche Magistri sind. [K 216] Der herrschende Geschmack an Halbromanen zeigt sich sogar jetzt in unseren politischen Zeitungen. [K 217] Guter Rat. A. Sagen Sie mir, soll ich heiraten oder nicht? B. Ich dächte, Sie machten es wie Ihre Frau Mutter, und heirateten in Ihrem Leben nicht. [K 218] Vergleichung zwischen einem Prediger und einem Schlosser. Der erste sagt: du sollst nicht stehlen wollen; und der andere: du sollst nicht stehlen können. [K 219] Er kann die Dinte nicht halten, und wenn es ihm ankommt, jemand zu besudeln, so besudelt er sich ge- meiniglich am meisten. [K 220] So wie es Tiere gibt, die mit dem Schwanze grei- fen, so gibt es auch welche, die mit der Hand schwän- zeln. [K 221] So wie man anderen Leuten Pistolen und Degen wegtun muß, wenn sie betrunken sind, so mußte man ihm den Geldbeutel weg nehmen, damit er nicht zu viel Gutes tat. [K 222] Das Buch bedarf noch des Kalfaterns, die Risse auszustopfen. [K 223] Wir fressen einander nicht, wir schlachten uns bloß. [K 224] Es gibt eigentlich zwei Arten, eine Sache zu unter- suchen, eine kaltblütige und eine warmblütige. [K 225] Der Korrektor verbessert Druckfehler noch zu rech- ter Zeit; der Kritiker gedruckte Fehler, wenn es leider zu spät ist. [K 226] Es wäre freilich gut, wenn es keine Selbstmorde gäbe. Aber man richte nicht zu voreilig. Wie in aller Welt wollte man z.B. in Trauerspielen die unnützen Personen wegschaffen, Sie durch andere ermorden zu lassen ist gefährlich. Alles ist weislich geordnet. [K 227] Man kann sich nicht leicht eine schlauere Hexe denken. Die Schlange hatte wie den Vater, so auch seine beiden Söhne bestrickt. Wahrlich eine wahre Gruppe des Laokoon. [K 228] So gehts an der Leine, an der Elbe und am Rhein, und wird wohl am Jordan eben so gegangen sein. [K 229] Er war nicht sowohl Eigentümer als Pächter der Wissenschaften, die er vortrug. Denn es gehörte ihm nicht ein Fleckchen davon. [K 230] Es gibt heutzutage so viele Genies, daß man recht froh sein soll, wenn einem einmal der Himmel ein Kind beschert, das keines ist. [K 231] Man hatte ihm sein Buch zu Schanden rezensiert, und er sagte selbst, wenn er es auf dem Schranke ste- hen sähe, so verarge es in ihm las Gefühl, wieder An- blick des verschlossenen Ladens eines Kaufmannes, der bankerott geworden ist. [K 232] Gespräch. A. Ja, die hat ihr Köpfchen. B. Und ich habe mein Prügelchen. [K 233] Mit der christlichen Religion läßt sich Staat ma- chen, aber wahrlich mit den Christen sehr wenig. [K 234] Man wäscht am Gründonnerstag 12 Männern oder Weibern die Füße, und dafür das ganze Jahr hindurch allen übrigen Untertanen die Köpfe. [K 235] Jetzt sucht man überall Weisheit auszubreiten, wer weiß, ob es nicht in ein paar hundert Jahren Universi- täten gibt, die alte Unwissenheit wieder herzustellen. [K 236] Wäre es nicht gut, die Theologie etwa mit dem Jahre 1800 für geschlossen anzunehmen und den Theologen zu verbieten, fernere Entdeckungen zu ma- chen? [K 237] Um an etwas zu zweifeln, ist freilich oft bloß nötig, daß man es nicht versteht. Diesen Satz wollten einige Herren gar zu gern umkehren, indem sie behaupten, man verstehe ihren Satz nicht, wenn man ihn bezwei- felt. [K 238] Ein einschläfriger Kirchstuhl. [K 239] Wir von Gottes Ungnaden Taglöhner, Leibei- gen[e], Neger, Fronknechte etc. [K 240] Die Frauenzimmer mit Paradiesvögeln verglichen, weil sie keine Beine haben. [K 241] Die geschärfte Sokratische Methode - ich meine die Tortur. [K 242] Eine Schraube ohne Anfang; so könnte man wohl eine lahme nennen. [K 243] Augen wie ein Stilet. [K 244] Er stand so erbärmlich da, wie ein ausgebranntes Räucherkerzchen. [K 245] Er handelte mit anderer Leute Meinungen. Er war Professor der Philosophie. [K 246] Der Hunger und das Elend liegen da gleichsam in Garnison. [K 247] Er war damals die Spadille der Gesellschaft. [K 248] Das Musenbrot ist an manchen Orten noch [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 554 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69650 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 438 ff.)] schwärzer als das Kommißbrot. [K 249] Er glich gewissen Blumenblättern, die man nie ge- rade biegen kann, sie bleiben immer nach der einen oder der andern Seite hohl. [K 250] Ein Mädchen, kaum zwölf Moden alt. [K 251] Wo die gemeinen Leute Vergnügen an Wortspielen finden, und häufig selbst welche machen, da kann man immer darauf rechnen, daß die Nation auf einer sehr hohen Staffel von Kultur steht. Die Calenberger Bauern machen keine. [K 252] Ängstlich zu sinnen und zu denken, was man hätte tun können, ist das Übelste, was man tun kann. [K 253] Ach, ich habe so oft selbst erfahren, wie viel die Regel gilt: Vermeidet den Schein des Bösen sogar! Denn wenn man auch noch so gut handelt, so gibt man doch irgend einmal jemanden Gelegenheit, uns eine Schuld aufzubürden, wobei sein Mund nicht einmal zu lügen Ursache hätte, so sehr auch sein Herz ihn der Falschheit ziehe. [K 254] Särge von Korbwerk könnten wohlfeil und doch schön gemacht werden; man könnte sie schwarz und weiß anstreichen. Sie hätten den Vorteil, daß sie leicht verfaulten. [K 255] Man könnte die menschliche Gesellschaft in drei Klassen teilen, in die: 1. neque ora neque labora, 2. ora et non labora, und 3. ora et labora. [K 256] Was man von dem Vorteile und Schaden der Auf- klärung sagt, ließe sich gewiß gut in einer Fabel vom Feuer darstellen. Es ist die Seele der unorganischen Natur, sein mäßiger Gebrauch macht uns das Leben angenehm, es erwärmt unsere Winter und erleuchtet unsere Nächte. Aber das müssen Lichter und Fackeln sein, die Straßenerleuchtung durch angezündete Häu- ser ist eine sehr böse Erleuchtung. Auch muß man Kinder nicht damit spielen lassen. [K 257] Es ließe sich vielleicht ein ganz guter Aufsatz über die Namen von Hunden schreiben. Mélac nennt man Hunde, nach dem bekannten privilegierten Mordbren- ner. Vielleicht gibt es nach der französischen Staats- umwälzung auch Namenumwälzung unter den Hun- den. Custine wäre ein herrlicher Name für einen, der viel bellt und nicht beißt, wenigstens nicht wo er soll. Kotzebue müßte notwendig einer heißen. Ehrliche Leute, die noch so heißen, kann es so wenig verdrie- ßen, wie den türkischen Kaiser, daß so viele Hunde Sultan heißen. [K 258] In jeder Fakultät sollte wenigstens Ein recht tüchti- ger Mann sein. Wenn die Charniere von gutem Metall sind, so kann das übrige von Holz sein. [K 259] Einmal die sogenannten natürlichen Dinge aufzu- zählen: natürliche Kinder, natürliche Religion, na- türliche Tugend. Es steckt in diesen Äußerungen der natürlichen Philosophie sehr vieles, was sich die un- natürliche nicht immer träumen läßt. [K 260] Daraus, daß die Kinder ihren Eltern zuweilen so sehr gleichen, sieht man offenbar, daß es ein gewisses Naturgesetz ist, daß Kinder ihren Eltern gleichen sol- len. Allein wie viele Fälle gibt es dessenungeachtet nicht, wo sie ihnen nicht gleichen? Vermutlich sind daran gewisse Kollisionen Schuld, ebenfalls wie bei den Physiognomien. [K 261] Wenn man einmal Nachrichten von Patienten gäbe, denen gewisse Bäder und Gesundheitbrunnen nicht geholfen haben, und zwar, mit eben der Sorgfalt, womit man das Gegenteil tut, es würde niemand mehr hingehen, wenigstens kein Kranker. [K 262] Wenn jemand etwas schlecht macht, das man gut erwartet, so sagt man: nun ja, so kann ichs auch. Es gibt wenige Redensarten, die so viel Bescheidenheit verraten. [K 263] Sich durch plötzliche Umänderung ohne Erklärung gegen die, die es eigentlich angeht, ein gewisses Air von Wichtigkeit zu geben, ist ein sehr gemeines Ver- fahren im Ehestande. Jammer und Elend, wo es in Re- gierungen Statt findet! [K 264] Gewissen Menschen ist ein Mann von Kopf ein fa- taleres Geschöpf, als der deklarierteste Schurke. [K 265] Ich habe mir die Zeitungen vom vorigen Jahre bin- den lassen, es ist unbeschreiblich, was für eine Lektü- re dieses ist: 50 Teile falsche Hoffnung, 47 Teile fal- sche Prophezeiung und 3 Teile Wahrheit. Diese Lek- türe hat bei mir die Zeitungen von diesem Jahre sehr herabgesetzt, denn ich denke: was diese sind, das waren jene auch. [K 266] Wenn die Fische stumm sind, so sind dafür ihre Verkäuferinnen desto beredter. [K 267] Wir leben in einer Welt, worin ein Narr viele Nar- ren, aber ein weiser Mann nur wenige Weise macht. [K 268] Pantheon der Deutschen Ich habe auch vor Newtons Grabmal in Westmin- sterabtei gestanden; ich habe Shakespears Denkmal, vermischt mit denen von großen Helden angesehen; allein ich muß bekennen, vielleicht zu meiner Schan- de, daß der Eindruck sehr gemischt und eigen war. Ich konnte mich unmöglich überzeugen, daß Newton und Shakespear dadurch geehrt würden, sondern, wenn ich mich in der Erklärung meines Gesichts nicht irre, so war es mir, als ständen diese Denkmäler da, die übri- gen zu ehren, und dem Platz Ehre zu verschaffen. Es war mir unmöglich, mich von diesem Gefühl los zu machen. - Was könnte es helfen, jetzt Luthern in einem deutschen Pantheon aufzustellen? Soll das zur Ehre Luthers sein? Unmöglich, es ist zur Ehre des Pantheons. Wenn ja eine solche Anstalt nützen soll, so müssen Männer aufgestellt werden, deren Taten ohne Glanz groß waren; Männer, die sich bloß durch Handeln um Vaterland und Nebenmenschen verdient gemacht haben - kein Schriftsteller, als solcher. Ein Schriftsteller, der zu seiner Verewigung eine Bildsäu- le nötig hat, ist auch dieser nicht wert. [K 269] Wenn der Mensch die Nägel nicht abschnitte, so würden sie unstreitig sehr lang wachsen, und er da- durch zu allerlei Verrichtungen ungeschickt werden, die ihm jetzt Ehre machen. Diese Verstümmelung ist also unstreitig von großem Nutzen gewesen. Ich habe daher immer das Nägelabkauen als einen Instinkt be- trachtet, sich auszubilden. Daher kaut man an den Nä- geln bei einer epinösen Frage oder überhaupt bei einem schweren Problem. Wenn schon dadurch nicht viel ausgerichtet wird, so wird doch Perfektibilitäts- trieb geübt; nun wirft sich die gesammelte Kraft, wenn sie sich an einem Ende zu schwach fühlt, auf einen andern Teil. [K 270] Der Gehalt, das spezifische Gewicht des Geistes und der Talente eines Menschen ist dessen absoluter Wert, multipliziert mit der mittlern Wahrscheinlich- keit seiner Lebensdauer oder seiner Entfernung vom gewöhnlichen Stillstand der Fortschritte. - Sehr ver- ständlich, für mich wenigstens. [K 271] In England ward vorgeschlagen, die Diebe zu ka- strieren. Der Vorschlag ist nicht übel: die Strafe ist sehr hart, sie macht die Leute verächtlich, und doch noch zu Geschäften fähig; und wenn Stehlen erblich ist, so erst es nicht fort. Auch legt der Mut sich, und da der Geschlechtstrieb so häufig zu Diebereien ver- leitet, so fällt auch diese Veranlassung weg. Mutwil- lig bloß ist die Bemerkung, daß die Weiber ihre Män- ner desto eifriger vom Stehlen abhalten würden; denn so wie die Sachen jetzt stehen, riskieren sie ja, sie ganz zu verlieren. [K 272] Die Jahre der zweiten Minorennität, das sind böse Zeiten, wenn sie ankommen. Bei Schriftstellern über- nimmt das Publikum alsdann gemeiniglich die Vor- mundschaft. Abnahme des Gedächtnisses, graue Haare, Wegschleichen der Zähne, und Lob der Zeiten, wo das Fleisch noch weicher gekocht wurde, sind die sicheren Kennzeichen, daß sie eingetreten sind. Wohl dem alsdann, der auf guten Grund gebaut hat. [K 273] Cartesius sagt in einem Briefe an Balzac (European Magazine Febr. 1795 p. 85.), daß man die Einsamkeit in großen Städten suchen müsse, und er lobt sich dazu Amsterdam, von wo der Brief datiert ist. Ich sehe auch wirklich nicht ein, warum nicht Börsengesumse eben so angenehm sein soll, als das Rauschen des Ei- chenwaldes; zumal für einen Philosophen, der keine Handelsgeschäfte macht, und zwischen Kaufleuten wandeln kann, wie zwischen Eichbäumen, da die Kaufleute ihrerseits bei ihren Gängen und Geschäften sich so wenig um den müßigen Wandler bekümmern, als die Eichbäume um den Dichter. [K 274] Seit der Erfindung der Schreibekunst haben die Bit- ten viel von ihrer Kraft verloren, die Befehle hingegen gewonnen. Das ist eine böse Bilanz. Geschriebene [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 562 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69658 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 442 ff.)] Bitten sind leichter abgeschlagen, und geschriebene Befehle leichter gegeben, als mündliche. Zu beiden ist ein Herz erforderlich, das oft fehlt, wenn der Mund der Sprecher sein soll. [K 275] Es ist doch so ganz modern, einen Aschenkrug oben über ein Grab zu setzen, während der Körper unten in einem Kasten fault. Und dieser Aschenkrug ist wieder ein bloßes Zeichen eines Aschenkruges; es ist bloß der Leichenstein eines Aschenkruges. [K 276] Wenn der Mensch, nachdem er 100 Jahre alt ge- worden, wieder umgewendet werden könnte, wie eine Sanduhr, und so wieder jünger würde, immer mit der gewöhnlichen Gefahr, zu sterben; wie würde es da in der Welt aussehen? [K 277] Wie viele Menschen mag wohl die Bibel ernährt haben, Kommentatoren, Buchdrucker und Buchbin- der? [K 278] In den Roman muß notwendig ein Mensch hinein gebracht werden, der immer nur von einer Sache spricht, und die an sich selbst sehr geringfügig ist. Z.E. von der Prosodie der Lateiner. (Grammatica mar- chica zu brauchen.) [K 279] Im Roman ja einen Gefälligen aufzuführen, der sich durch sein Komplimentemachen in 1000 Verle- genheiten bringt. Er muß es nicht ernstlich meinen, sondern nur so sprechen. Chenius ist ein sehr gutes Subjekt dazu, auch Lion, der in geschwätziger Gefäl- ligkeit sich zu Dingen versteht, die er gleich darauf bereut, und daher, wenn er Wort hält, wenigstens die Sache nicht 50 unternimmt, als seine Bereitwilligkeit erwarten ließ. [K 280] In dem Roman könnte ein großer Verehrer des Kö- nigs von Preußen vorgestellt werden, der noch immer den 24. Januar feiert, als des Königs Geburtstag, und da wird der 7jährige Krieg auf der Tafel vorgestellt mit Fressen und Saufen, das Lager der Sachsen bei Pirna eine Pastete, die Artillerie durch Wein etc. [K 281] Zwei in die Insel Otaheiti und deren Sitten verlieb- te junge Leute vertauschen ihre Namen, dadurch ent- steht bei den Eltern durch die Nachricht von ihnen allerlei Verwirrung, denn in den Briefen an ihre Eltern behalten sie ihre wahren Namen bei. [K 282] In dem Lande des doppelten Prinzen sagt man nicht, er hat die und die Nation bekriegt, sondern er hat seine Bauernkerle hinter die Nation gehetzt. Es ist eigentlich eine Völkerhetze, der Krieg. Man sollte die Sachen ausdrücken, so wie sie sind. [K 283] Er verlangte immer angeredet zu werden: Zweieini- ger, Höchstdero Zweieinigkeit. [K 284] Nur eine Amme. Dadurch wird fast immer Streit oder Friede. [K 285] Die Statue nach dem Tode nicht zu vergessen. [K 286] Doppelter Prinz. Die ungarische Mißgeburt ist ei- gentlich 1701 in dem Dorfe Szony, in der Komorner Gespannschaft geboren. Eine authentische Nachricht davon findet sich in des Herrn von Windischen Geo- graphie S. 40. (Nicolai Reisen, B. XII Zusätze S. 76.) [K 287] Ich habe Heydenreichs Briefe über den Atheismus gelesen, und ich muß bekennen, daß mir, seiner Ab- sicht zuwider, die Briefe des Atheisten sehr viel gründlicher geschrieben zu sein scheinen, als die des Gläubigen. Ich kann mich von einigen Behauptungen des letztern schlechterdings nicht überzeugen, und doch bin ich mit Anstrengungen der Vernunft nicht so ganz unbekannt, und an gutem Willen fehlt es mir auch nicht. Es wird zu viel auf die Ausbreitung des moralischen Bewußtseins gerechnet, und ich möchte fast sagen, sich hinter diesen Satz versteckt, um einem glauben zu machen, man sei moralisch krank, wenn man die Behauptung nicht versteht. Hätten die Erfin- der dieser wohlgemeinten Sätze anerkannte Infallibili- tät, so könnte man sich gewöhnen, ihre Sätze wahr zu finden, und sie könnten von ihrer Seite sprechen: dein Glaube hat dir geholfen. - Aber was ist für den Men- schen ein solcher Beweis für die Existenz Gottes und der Unsterblichkeit, den zu verstehen, oder eigentlich zu fühlen, unter Tausenden kaum Einer fähig ist? Soll der Glaube an Gott und Unsterblichkeit wirklich in einer Welt wie diese nützen, so muß er wohlfeiler werden, oder er ist so viel wie gar keiner. [K 288] Gestern regnete es den ganzen Tag und heute schien die Sonne den ganzen Tag. Wie viele Begeben- heiten meines Lebens würden eine andere Richtung genommen haben, wenn es heute geregnet und gestern die Sonne geschienen hätte? Der Winter von 1794 auf 1795 war fürchterlich streng, der von 1795 auf 96 sehr gelinde. Was für Weltbegebenheiten würden eine andere Richtung genommen haben, wenn die Ordnung umgekehrt gewesen wäre? Sicherlich hätten die Fran- zosen Holland nicht erobert. Dergleichen Betrachtun- gen können sehr weit führen. [K 289] Milton, der zwar nicht unter die Königsmörder selbst gehört, die Carl I. auf das Schafott brachten, aber sie doch nachher bekanntlich verteidigte, lehrte: a popular government was the most frugal; for the troppings of a monarchy would set up an ordinary common wealth. Dieses ist ein zu unserer Zeit sehr gewöhnliches Räsonnement. Wir müssen, sagen sie, so viel bezahlen, bloß um den Hofstaat zu unterhal- ten; diesen brauchen wir nicht. - Diese Art zu schlie- ßen ist aber, so vielen Schein sie auch für sich hat, nichts desto weniger sehr grundlos. Erstlich setzt es voraus, daß, um glücklich zu leben, man nichts weiter nötig hat, als Geld: Ruhe und innerer Friede kommt dabei nicht in Betracht. Die Leute glauben, das bißchen Geld, das sie mehr haben, würden sie alsdann eben so ruhig verzehren können, als in der Monar- chie; aber das ist Verblendung. Wir ertragen es ganz wohl, daß uns eine Familie beherrscht, die wir über uns erhaben glauben. Aber wenn sich ein Bösewicht, der dem Range nach nicht mehr ist, als ich, durch Geld und List bei den Wahlen emporschwingt; ein Mann, dem ich mich an reellem Verdienst überlegen fühle - das kränkt. Auch wenn ich nicht gewählt werde, und die Frau sagt: »aber, lieber Mann, warum wählen sie denn dich nicht? wenn wir doch nur ein einzigesmal das Glück hätten! unsere Kinder werden gar nicht so angesehen, als wie der Frau N... ihre« - das schneidet sehr tief und verbittert das Leben, und verleitet selbst manchen Mann, der in einer Monar- chie ehrlich geblieben wäre, zu Kabalen. Bei einer solchen Hintansetzung verliert alles seinen Wert. Schon der schönste Landsitz in England wird seinem Besitzer zur Wüste, wenn er bei einer Parlamentswahl ausgefallen ist. Hingegen in einer Monarchie vernach- lässigt zu werden, das schreibt man mehr dem Schick- sale zu, und dünkt sich wohl noch gar in dem Leiden groß, und wird auch mehr beklagt. Jeder mir benach- barte Bauer, der seine Stimme wider mich gegeben hat, sieht sich als meinen Herrn an, und rühmt sich in der Schenke, mich gedemütigt zu haben. - Zweitens, ist denn das Geld, das dem Hofe gezahlt wird, weggeworfen? oder wird es in eiserne Kisten vergraben? Kommt es nicht vielmehr schneller in Um- lauf, als jedes andere Geld? Fragt einmal die Hofliefe- ranten, oder den Schuster und Schneider, der für den Hof des Hoflieferanten arbeitet; diese werden anders urteilen. Der Hof hat seine Höfe unter sich, die wieder die ihrigen haben, und so erstreckt es sich mit unzäh- ligen Ramifikationen bis zur untersten Klasse. Drittens untersuche man einmal unparteiisch, was eigentlich der Grundtrieb des Republikanismus ist. Bei den meisten wenigstens ein Haß gegen die Gro- ßen. Denn man ist gewöhnlich immer desto weniger republikanisch gesinnt, je höher der Rang ist, den man selbst in der Welt bekleidet. Auch ist es schon hundertmal gesagt worden, daß die Verteidiger der Gleichheit eigentlich nichts wünschen, als alles höher zu ihrem Horizont hinauf, aber nicht sich selbst zu einem tiefern herab gebracht zu sehen. Die berühmte Mrs. Macaulay, eine große Gleichmacherin, konnte es dem Dr. Johnson nie vergessen, daß er sie nach einem solchen Dispüt, als man sich zu Tisch setzte, fragte, ob sie nicht ihren Kammerdiener mitessen lassen wollte. Viertens wird man häufig finden, daß die Verteidi- ger der Freiheit nicht selten die größten Tyrannen in ihrem Hause sind. In England erzählt man, daß der Herzog von Richmond, der ehemalige große Verteidiger der amerikanischen Freiheit nicht selten seine Verwalter durchprügeln soll. Ja Milton, der große Freiheitsredner, hatte drei Weiber nach einan- der und drei Töchter, aber solche erniedrigende Be- griffe vom weiblichen Geschlechte, daß er glaubte, sie wären bloß zum Gehorchen da. Dieses ging bei ihm so weit, daß er sogar seine eigenen Töchter nicht schreiben lernen ließ. Ich glaube, es müßte eine sehr unterhaltende Lektüre sein, die Reden eines solchen Freiheitsritters mit der Geschichte des kleinen monar- chischen Staates verglichen zu sehen, an dessen Spit- ze er selbst steht. [K 290] Es wäre vortrefflich, wenn sich ein Katechismus, oder eigentlich ein Studienplan erfinden ließe, wo- durch die Menschen vom dritten Stande in eine Art von Biber verwandelt werden könnten. Ich kenne kein besseres Tier auf Gottes Erdboden: es beißt nur, wenn es gefangen wird, ist arbeitsam, äußerst matrimonial, kunstreich und hat ein vortreffliches Fell. [K 291] Ich möchte was darum geben, genau zu wissen, für wen eigentlich die Taten getan worden sind, von denen man öffentlich sagt, sie wären für das Vater- land getan worden. [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 570 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69666 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 446 ff.)] [K 292] Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird wenn es anders wird; aber so viel kann ich sagen, es muß anders werden, wenn es gut werden soll. [K 293] Es gibt Länder, wo es nichts Ungewöhnliches ist, daß man Offiziere, die im Kriege treu gedient haben, beim Frieden reduziert. Wäre es nicht gut, bei gewis- sen Departements der Staatsverwaltung die Einrich- tung zu treffen, daß die dazu gehörigen Bedienten, oder einige von ihnen, reduziert würden, sobald es Krieg wird? Es wäre auch schon genug, wenn sie auf halbe Besoldung gesetzt würden. [K 294] Wer hat denn die Franzosen genötigt, ihr Heil auf Umwegen zu suchen? Die jetzige Verfassung (1796) ist so wenig der Zweck, als Robespierre's Tyrannei war. Auf diesem Wege, glaube ich, muß die Sache ge- funden werden. Kommen sie am Ende zu einer monar- chischen Regierung zurück, gut, so ist es ein neuer und zwar sehr kräftiger Beweis, daß große Staaten nicht anders beherrscht werden können. [K 295] Wenn die Gleichheit der Stände, über die man jetzt so viel schreibt und spricht, etwas Wünschenwertes ist, so muß sie notwendig etwas jener Gleichheit Ana- loges haben, die man nach Aufhebung des Rechts des Stärkern durch weise Gesetze eingeführt hat. Es ist daher ein gar sonderbares Argument, das man zur Verteidigung der Ungleichheit beibringt, wenn man sagt, die Menschen würden mit ungleichen Kräften geboren. Denn hierauf kann man antworten: eben des- wegen, weil die Menschen mit ungleichen Kräften ge- boren werden, und der Stärkere den Schwächern ver- schlingen würde, hat man sich in Gesellschaften ver- einigt, und durch Gesetze eine größere Gleichheit ein- geführt. Ist das so genannte Gleichgewicht von Euro- pa etwas anderes? Überhaupt wäre es wohl besser, zu sagen: Gleichgewicht der Stände, als: Gleichheit. [K 296] Man sollte sich nicht schlafen legen, ohne sagen zu können, daß man an dem Tage etwas gelernt hätte. Ich verstehe darunter nicht etwa ein Wort, das man vorher noch nicht gewußt hat; so etwas ist nichts; will es jemand tun, ich habe nichts dagegen; allenfalls kurz vor dem Lichtauslöschen. Nein, was ich unter dem Lernen verstehe, ist Fortrücken der Grenzen un- serer wissenschaftlichen oder sonst nützlichen Er- kenntnis; Verbesserung eines Irrtums, in dem wir uns lange befunden haben; Gewißheit in manchen Dingen, worüber wir lange ungewiß waren; deutliche Begriffe von dem, was uns undeutlich war; Erkenntnis von Wahrheiten, die sich sehr weit erstrecken usw. Was dieses Bestreben nützlich macht, ist, daß man die Sache nicht flüchtig vor dem Lichtausblasen abtun kann, sondern daß die Beschäftigungen des ganzen Tages dahin abzwecken müssen. Selbst das Wollen ist bei dergleichen Entschließungen wichtig, ich meine hier das beständige Bestreben der Vorschrift Gnüge zu leisten. [K 297] Unternimm nie etwas, wozu du nicht das Herz hast, dir den Segen des Himmels zu erbitten! [K 298] Rat am Ende des Lebens: Man hüte sich, wo mög- lich, vor allen Schriften der Kompilatoren und der allzu literärischen Schriftsteller! Sie sind nicht ein Mensch, sondern viele Menschen, die man nie unter einen Kopf bringen kann, ohne sich zu verwirren; und es geht oft viele Zeit verloren, eine solche musivische Arbeit unter einen guten Gesichtspunkt zu bringen. Ein Mann, der alles zusammen gedacht hat, für sich, verdient allein gelesen zu werden, weil ein Geist nur einen Geist fassen kann. [K 299] Immer sich zu fragen: sollte hier nicht ein Betrug statt finden? und welches ist der natürlichste, in den der Mensch unvermerkt verfallen, oder den er am leichtesten erfinden kann? [K 300] Bei großen Dingen frage man: was ist das im Klei- nen? und bei kleinen: was ist das im Großen? wo zeigt sich so etwas im Großen, oder im Kleinen? - Es ist auch gut, alles so allgemein, als möglich, zu ma- chen, und immer die ganze Reihe nach oben und nach unten aufzusuchen, von der etwas ein Glied ausmacht. Jedes Ding gehört in eine solche Reihe, deren äußer- ste Glieder gar nicht mehr zusammen zu gehören scheinen. [K 301] Nicht eher an die Ausarbeitung zu gehen, als bis man mit der ganzen Anlage zufrieden ist, das gibt Mut und erleichtert die Arbeit. [K 302] Zweifle an allem wenigstens Einmal, und wäre es auch der Satz: zweimal 2 ist 4. [K 303] Man muß sich hüten, manche Dinge nicht bekannt zu nennen, weil man gerade zuweilen daraus sieht, daß sie einem unbekannt waren. [K 304] Keine Untersuchung muß für zu schwer gehalten werden, und keine Sache für zu sehr ausgemacht. [K 305] Wir sind auf dem Wege zur Untersuchung der Natur in ein so tiefes Geleise hinein geraten, daß wir immer andern nachfahren. Wir müssen suchen heraus- zukommen. [K 306] Eine historiam inertiae s[ive] vis inertiae zu schrei- ben, wäre wohl der Mühe wert. [K 307] Wie viel Ideen schweben nicht zerstreut in meinem Kopf, wovon manches Paar, wenn sie zusammen kämen, die größte Entdeckung bewirken könnte. Aber sie liegen so getrennt, wie der Goslarische Schwefel vom Ostindischen Salpeter und dem Staube in den Kohlenmeilern auf dem Eichsfelde, welche zusammen Schießpulver machen würden. Wie lange haben nicht die Ingredienzen des Schießpulvers existiert vor dem Schießpulver! Ein natürliches aqua regis gibt es nicht. Wenn wir beim Nachdenken uns den natürlichen Fü- gungen der Verstandesformen und der Vernunft über- lassen, so kleben die Begriffe oft zu sehr an andern, daß sie sich nicht mit denen vereinigen können, denen sie eigentlich zugehören. Wenn es doch da etwas gäbe, wie in der Chemie Auflösung, wo die einzelnen Teile leicht suspendiert schwimmen und daher jedem Zuge folgen können. Da aber dieses nicht angeht, so muß man die Dinge vorsätzlich zusammen bringen. Man muß mit Ideen experimentieren. Ein bequemes Mittel mit Gedanken zu experimen- tieren ist, über einzelne Dinge Fragen aufzusetzen: z.B. Fragen über Trinkgläser, ihre Verbesserung, Nutzung zu andern Dingen etc., und so über die größ- ten Kleinigkeiten. [K 308] Das beste Mittel neue Gedanken z.B. in der Natur- lehre zu finden, wenigstens unerwartete Anwendun- gen zu machen, ist, sich einige Tage ja Wochen lang hindurch in eine gewisse Materie recht einzustudieren, und hernach die ganze Naturlehre nach einem gewis- sen Plan geschwind zu durchlaufen. Es entstehen da gewiß unverhoffte Kombinationen. [K 309] Fragen über Gegenstände aufzusetzen: Fragen über Nachtwächter - und ja jedes Kapitel der Physik mit Fragen über dasselbe zu beschließen. [K 310] In unsern physikalischen Lehrbüchern trennen wir mit Recht, was in der Natur ungetrennt vorkommt. Wir sollten auch suchen zu vereinigen. So trennen wir z.B. beim Lichte Reflexion, Refraktion und Inflexion, und alle diese obendrein noch von chemischer Bin- dung. Aber es ist mir unmöglich zu glauben, daß nicht alle diese drei und mehr Relationen in jedem ge- gebenen Falle beisammen sein sollten. (S. Broug- ham's Experiments and Observat. on the Inflection etc. in den Philos. Transact. for 1796. P.I.) Das Trau- rige bei diesen Trennungen ist nur, daß wir alsdann zu unsern Versuchen nur die Körper aussuchen, in welchen sich Eins von dem vielen vorzüglich zeigt. Dieses ist zwar einer guten Methode sehr gemäß, we- nigstens nach unsrer Eingeschränktheit. Aber sobald wir zur Anwendung kommen, muß alles zusammen- genommen werden. - Was würde nicht z.B. aus uns- rer Dioptrik geworden sein, wenn die verdoppelnden durchsichtigen Körper die gemeinsten, und das Glas selten wäre? [K 311] Ich glaube unter allen heuristischen Hebezeugen ist keins fruchtbarer, als das, was ich Paradigmata ge- nannt habe. Ich sehe nämlich nicht ein, warum man nicht bei der Lehre vom Verkalchen der Metalle sich Newtons Optik zum Muster nehmen könne. Denn man muß notwendig heut zu Tage anfangen, auch bei den ausgemachtesten Dingen, oder denen wenigstens, die es zu sein scheinen, ganz neue Wege zu versu- chen. Die Gleise oder vielmehr die gebahnten Wege sind etwas sehr Gutes, - aber wenn niemand nebenher spazieren gehen wollte, so würden wir wenig von der Welt kennen. Die Leute, die in der Gegend wohnen, das ist, die, die sich in der Welt nur einem kleinen Fach widmen, müssen alles versuchen. Der Reisende bleibt auf der Heerstraße, der Gutsbesitzer muß alle Stellen untersuchen. [K 312] Ich glaube, daß man durch ein aus der Physik ge- wähltes Paradigma, auf Kantische Philosophie hätte kommen können. [K 313] Diese Erfindungsregel durch Paradigmata hilft frei- lich dem Dummkopfe nicht; denn dieser taugt gar nicht zum Erfinden, eben weil er ein Dummkopf ist. Allein selbst der gute Kopf will angestoßen sein, um [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 578 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69674 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 450 ff.)] etwas Neues zu sehen; zumal etwas Neues auf neuen Wegen kann fast nur allein durch solche Mittel gefun- den werden. Wenn, wie einmal Kästner mutmaßete, Newton durch seine Licht Geschichte auf das Gesetz der Schwere kam, so ist dieses ein Paradigma. Man kann bei diesem Hülfsmittel nicht genug bedenken daß der gute Kopf doch immer dabei noch seine na- türliche Freiheit behält, und also die andern Wege durch dieses Hülfsmittel nicht verstopft werden. [K 314] So oft etwas Neues bemerkt wird, zu untersuchen, ob dieses nicht ein Glied einer versteckten Kette sei, einer ganzen Familie von Wahrheiten, so wie der Ver- such mit dem Flintenlauf und Wasserdampf. [K 315] Mikroskope überall zu erfinden, und wo dieses nicht angeht, die Versuche im Großen anzustellen, das ist der einzige Weg directe zum Neuen zu gelan- gen. [K 316] [Aus »Sudelbuch« L] Nicht intolerant, aber intolerabel. Herr S. Lion. [L 1] Der Weisheit erster Schritt ist: Alles anzuklagen, Der letzte: sich mit Allem zu vertragen. [L 2] Man wirft oft den Großen vor, daß sie sehr viel Gutes hätten tun können, das sie nicht getan haben. Sie könnten antworten: bedenkt einmal das Böse das wir hätten tun können und nicht getan haben. [L 9] Weder leugnen noch glauben. [L 18] Man verachtet den Handwerkspurschen-Geist (Gil- en-Geist), und doch ist alles was die Großen je ausge- richtet haben dem Handwerks purschen-Geist des Mi- litairs zuzuschreiben. [L 24] Die Französische Revolution hat durch die allge- meine Sprache, zu der es mit ihr gekommen ist, nun ein gewisses Wissen unter die Leute gebracht, das nicht leicht wieder zerstört werden wird. Wer weiß ob nicht die Großen genötigt sein werden, eine Barbarei ein zuführen. Jetzt im Herbst 1796. rüstet sich Ruß- land, das wäre vortrefflich dazu. Von diesem unwirt- baren Schlamm läßt sich vieles für unsere Saaten er- warten. [L 25] Das neue Testament ist ein autor classicus, das beste Not- und Hülfsbüchlein das je geschrieben wor- den ist, daher man jetzt auf jedem Dorfe der Christen- heit mit Recht einen Professor angesetzt hat diesen Autor zu erklären. Daß es viele unter diesen Professo- ren gibt, die ihren Autor nicht verstehn, hat dieser Autor mit andern Autoritus gemein. Aber dadurch un- terscheidet sich das Buch gar sehr von andern daß man Schnitzer in der Erklärung desselben sogar ge- heiligt hat. [L 27] Wie geht es, fragte ein Blinder einen Lahmen; Wie Sie sehen, war die Antwort. [L 29] Ob der Mond bewohnt ist weiß der Astronom un- gefähr mit der Zuverlässigkeit mit der er weiß wer sein Vater war, aber nicht mit der womit er weiß wer seine Mutter gewesen ist. [L 31] Die reine Philosophie pflegt (und kann es nicht vermeiden) noch immer unvermerkt der Liebe mit der - unreinen. Und so wird es gehn bis an das Ende der Zeit. [L 35] Große Eroberer werden immer angestaunt werden, und die Universalhistorie wird ihre Perioden nach ihnen zuschneiden. Das ist traurig, es liegt aber in der menschlichen Natur. Gegen den großen und starken Körper selbst eines Dummkopfs, wird immer der klei- ne des größesten Geistes, und sonach der große Geist selbst verächtlich erscheinen, wenigstens für den grö- ßesten Teil der Welt, und das so lange Menschen Menschen sind. Den großen Geist im kleinen Körper vorzuziehn ist Überlegung, und zu der erheben sich die wenigsten Menschen. Bei einem Viehmarkt sind immer die Augen auf den größesten und fettesten Ochsen gerichtet. [L 37] Man hat heutzutage mehr Magister der Rechtschaf- fenheit als rechtschaffene Menschen. [L 46] In einem Lande N. N. müssen bei einem Kriege der Regent so wohl als seine Räte solange der Krieg währt über einer Pulvertonne schlafen und zwar in be- sondern Zimmern des Schlosses, wo jedermann frei hinsehn kann um zu beurteilen, ob das Nachtlicht auch jedesmal brennt. Die Tonne ist nicht allein mit dem Siegel der Volks-Deputierten versiegelt sondern auch mit Riemen an den Fußboden befestigt die wie- der gehörig versiegelt sind. Alle Abend und alle Mor- gen werden die Siegel untersucht. Man sagt daß seit der Zeit die Kriege in jenen Gegenden ganz aufgehört hätten. [L 58] Die absondernde Philosophie pp (S. M. C. s. 13 Lion) trennt Trägheit vom Widerstand in der Lehre, vom Körper, so wie sie in der Anthropologie den bloß tierischen Menschen vom bloß vernünftigen trennt, aber beide vereinigt sind nur allein wirklich da. [L 59] Daß in den Kirchen gepredigt wird macht deswe- gen die Blitzableiter auf ihnen nicht unnötig. [L 67] Pindar, Epaminondas und Plutarch, drei Männer, die der Kartoffeln-Luft von Böotien, in der sie gebo- ren waren, Ehre machen. [L 68] Der Mann, der nicht aus dem Stegreif zu räsonieren weiß über Materien seines Fachs, der erst in seine Ex- cerpta steigen muß oder in seine Bibliothek, ist gewiß ein Artefakt. Man hat heut zu Tage eine Kunst be- rühmt zu werden, die war den Alten unbekannt, die wurdens durch Genie. Pasten sind unsere meisten be- rühmten Gelehrten, keine Edelsteine. Allein sehr weit wird es auch mit ihrem Ruhm nicht gehen. Ihre Werke werden vergessen, wie die Poesie des Cicero, die sogar [seine] der Ewigkeit entgegen gehende Prose nicht einmal zu erhalten im Stand war. [L 69] Der liebe Gott mit seinen Vasallen. Statt einer Monarchie Gottes haben wir nun Feudal-System. [L 72] Er stieg langsam und stolz wie ein Hexameter voran und seine Frau trippelte wie ein Pentameterchen hinten drein. [L 73] So wie es unter Schriftstellern von Profession Stati- stiker, Politiker, Ökonomen pp gibt, so gibt es auch Philosophen. Allein ein philosophischer Schriftsteller von Profession ist deswegen noch kein Philosoph von Profession, so wenig, als der ökonomische Schriftstel- ler, der alles gelesen und verglichen hat, deswegen gleich im Stand sein wird einem Haushalt vorzuste- hen. Hume wurde einmal zur Rede gestellt darüber, daß er in seiner Geschichte von England gesagt habe, England würde ruiniert werden sobald die National- Schuld einhundert Million Pfund Sterling betragen würde, da er ja nun sähe daß England noch stünde vor wie nach, obgleich die Schuld sich jetzt schon sehr viel höher beliefe. It is owing to a mistake, sagte der große Mann, common to writers by profession who are often obliged to adopt statements on the authority of other people. Das heißt doch fürwahr mit andern Worten, dergleichen Schriftsteller sehen sich oft genö- tigt über Dinge zu urteilen, die sie nicht verstehen. [L 75] Die Griechen verdarben möchte ich fast sagen nicht die schönste Zeit ihrer Jugend mit Erlernung von toden Sprachen und so lernten [sie] die Sprachen, die sie nötig hatten, durch die Sachen und nicht wie wir umgekehrt in unzähligen Dingen die Sachen durch die Wörter. Plutarch war schon ziemlich bei Jahren, als er Latein lernte. [L 76] Die glücklichen Zeiten des Lebens, da man noch nicht denkt, wie alt man ist, noch kein Buch hält über die Haushaltung des Lebens. [L 79] Man hat in den finstern Zeiten oft sehr große Män- ner gesehen Dort konnte nur groß werden, wen die Natur besonders Zum großen Manne gestempelt hatte. Jetzt, da der Unterricht so leicht ist, richtet man die Menschen ab zum Groß-Werden so wie man den Hunde das Apportieren beibringt, dadurch hat man eine neue Art von Genies entdeckt, nämlich die große Abrichtungsfähigkeit, und dieses sind die Menschen, die uns den Handel hauptsächlich verderben. Es wird ein gewisses Wissen allgemeiner gemacht, aber, und solche Leute können oft das eigentliche Genie verdun- keln, oder wenigstens hindern gehörig hervorzukom- men. [L 100] Da jetzt in den Zeitungen so viel von den Spitzen der Armeen, und der Ehre der Kronen gesprochen wird, so wünscht ein wahrer Patriot und Menschen- Freund zu erfahren 1) Wo eigentlich die Spitzen der [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 586 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69682 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 2, S. 455 ff.)] Armeen liegen, vornen oder hinten oder auf den Sei- ten oder in der Mitte, oder ob die Armeen ihre Spit- zen, wenn sie gegen den Feind marschieren, gar nicht einmal bei sich führen, sondern als ein Heiligtum unter einer guten Eskorte zurücklassen. 2) Worin ei- gentlich die wahre Ehre der Kronen besteht? Darin, daß ihre Untertanen bei einem mäßigen Auskommen und bei geraden Gliedern glücklich sind, oder darin daß man Hunderttausende schlachten oder zu Krüp- peln schießen läßt, um ein paar Krämer zu bereichern und von dem Abfall dieses Überflusses Edelsteine für die Krone zu kaufen? (Ist im Hogarth genützt) [L 101] Benvenuto Cellini macht die vortreffliche Bemer- kung: Schaden mache nicht klug, weil der neue sich immer unter einer verschiedenen Form ankündige. Dieses kenne ich recht aus eigner Erfahrung. NB. [L 103] Ich bin längst von dem Satz überzeugt gewesen, daß es in den Familien, die zum Exempel aus Mann und Frau, 4 bis 8 Kindern, einer Kammerjungfer, ein Paar Mägden, ein Paar Bedienten, Kutscher pp beste- hen, und auch kleineren, zumal wenn noch ein paar Frau Basen wenigstens toleriert werden, gerade so zu- geht, wie mutatis mutandis in den größten Staaten. Es gibt da Verträge, Friedens schlüsse, Kriege, Minister- wechsel, Lettres de Cachet, Reformation, Revolution usw. Dieses nun ŕ la spectateur mit Familien-Ge- schichten zu erläutern. [L 106] Glaubt ihr denn, daß der liebe Gott katholisch ist? [L 113] Eine der sonderbarsten Anwendungen, die der Mensch von der Vernunft gemacht hat, ist wohl die es für ein Meisterstück zu halten sie nicht zu gebrau- chen, und so mit Flügeln geboren sie abzuschneiden und so von dem ersten dem besten Kirchturm sich herabzulassen. - Die Verteidigung des Mönchswesen gründet sich gewöhnlich auf einen ganz irrigen Be- griff von Tugend. Besser: Diese Menschen haben un- gefähr einen solchen Begriff von Tugend, als derjeni- ge von Wissenschaft haben müßte, der die Tollhäuser für Akademien der Wissenschaften erklären wollte. Herr Joseph Anton Weißenbach, Chorherr zu Zur- zach, hat geschrieben: neue durchaus verbesserte Mo- nachologie, mit Erlaubnis des Hochwürdigen Ordina- riats geschrieben (ganz ernstlich gegen Herrn von Born), Augsburg bei Benedikt. 1796. 14 Bogen in 8vo. [L 114] Im Jahr 1796 zählte Deutschland gegen 9000 Schriftsteller (Neue allgemeine deutsche Bibliothek 29. Band s. 162). [L 115] Man adjungiert alten Leuten junge, ich glaube es wäre in vielen Fällen besser, wenn man manchen jun- gen Leuten alte adjungierte. [L 117] Der Todenkopf eine Weltkugel. [L 126] Die Hochedle Wahrheit. Ew. Hochedelgeboren. [L 130] Die Geehrten und die Gelehrten. [L 132] Es geht hier wie mit dem heiligen Christ und den Oster-Eiern, so bald man erfährt, wo sie herkommen, kriegt man keine mehr. [L 136] Er hatte so viel über die Sache gedacht, wenigstens geschrieben, daß man damit wo nicht ein Pferdchen doch ein mäßiges Eselchen füglich damit hätte belasten können. [L 140] So ist zum Beispiel das Wort unvergleichlich im Deutschen ganz unvergleichlich erbärmlich. [L 141] Der Deutsche liebt die scharfen Distinktionen. Warum nicht Hoch-, Höher-, Höchst-Edelgeborner, Wohl-, Besser-, Bestgeborner Herr? [L 145] Ob das Elend in Deutschland zugenommen hat, weiß ich nicht, die Interjektions-Zeichen haben gewiß zugenommen. Wo man sonst bloß! setzte, da steht jetzt!!! [L 147] Ich werde tagtäglich mehr überzeugt daß mein Ner- en-Übel von meiner Einsamkeit sehr unterhalten wird, wo nicht gar hervorgebracht worden ist. Ich finde fast gar keine Unterhaltung mehr, als durch meinen eignen Kopf, der immer beschäftigt ist, da nun meine Nerven nie die stärksten gewesen sind, so muß notwendig da- durch eine Ermüdung entstehen. Ich merke dieses sehr wohl, daß mich Gesellschaft aufheitert. Ich vergesse mich, oder vielmehr mich Kopf empfängt anstatt zu schaffen und ruht daher. Daher ist auch das Lesen schon eine Erholung für mich, allein es ist doch nicht das, was die Gesellschaft ist, weil ich das Buch immer weglege und wieder für ich handle. [L 152] Der jetzige Krieg hat gewisse Begriffe allgemein in Gang gebracht. Man kann nicht sagen, daß dieses schon oft geschehen sei. Nein! Niemals so: nach Er- findung der Buchdruckerei, nach der Reformation, nach dem Etablissement so vieler Zeitungen und Jour- nale, nach so vielen Leih-Bibliotheken, und nach der entstandenen Lesesucht, die gewiß nie so allgemein war. Es kömmt so vieles zusammen, was nie vorher beisammen war, und nicht beisammen sein konnte, was unsere Zeiten zu den merkwürdigsten macht, die je gewesen sind. [L 154] Ein etwas vorschnippischer Philosoph, ich glaube Hamlet Prinz von Dänemark hat gesagt: es gebe eine Menge Dinge im Himmel und auf der Erde, wovon nichts in unsern Compendiis steht. Hat der einfältige Mensch, der bekanntlich nicht recht bei Trost war, da mit auf unsere Compendia der Physik gestichelt, so kann mann ihn getrost antworten: gut, aber dafür stehn aber auch wieder eine Menge von Dingen in unsern Compendiis wovon weder im Himmel noch auf der Erde etwas vorkömmt. [L 155] Das Niesen ist eine Operation wodurch große Übel entstehen können, Taubheit, Blindheit, Aderkröpfe, ja selbst der Tod. Dieses ist die Ursache warum man Prosit sagt, Gott gebe, daß dir dieses nicht schaden möge. Man könnte das Prosit bei manchen andern Dingen sagen, beim ersten Versmachen, Heiraten pp. [L 156] Diesesmal habe ich Ihnen durch meinen Bedienten sagen lassen, daß ich nicht zu Hause wäre, nach dem Billet aber, das Sie mir deswegen geschrieben haben, werde ich bei dem nächsten Besuch, womit Sie mich beehren werden, die Ehre haben es Ihnen auf der Treppe selbst zu sagen. Ich bin pp. [L 164] Es macht allemal einen sonderbaren Eindruck auf mich, wenn ich einen großen Gelehrten oder sonst einen wichtigen und gesetzten Mann sehe, dabei zu denken, daß doch einmal eine Zeit war, da er den Maikäfern ein Liedchen sang um sie zum Auffliegen zu ermuntern. [L 165] Meine Fragen über die Physik könnten vielleicht den Titul bekommen: Vermächtnisse. Man vermacht ja auch Kleinigkeiten. [L 166] Subjektivität. Wie viel anders sieht nicht schon der Alte die Welt an, als der Jüngling? Wahrlich eine Harmonika ist kaum mehr von einer Maultrommel un- terschieden, als ein schönes Mädchen in den Augen eines gefühlvollen Jünglings, und denen eines dünn- haarigen zahnlosen Greises. [L 167] Ehemals taufte man die Glocken, jetzt sollte man die Drucker-Pressen taufen. [L 179] Eine verfängliche Frage fast wie die: ob Zwillinge Stiefgeschwister sein können. [L 183] Wenn unsere Theologie so fortfährt sich nach und nach in Theonomie zu verwandeln, so wie sich Astro- logie in Astronomie verwandelt hat, so wäre doch die Frage ob es nicht besser wäre das neue Testament das mittlere zu nennen. [L 184] Es könnte vielleicht ein Aufsatz für Herrn Reinhard werden: zu bitten, daß doch große Männer ihre Art zu studieren bekannt machten; eigentlich die Art wie sie ihre Meisterwerke verfertigt haben. Der Anfang dieser Werke war sicherlich nicht der Anfang des Schrei- bens. Es wäre möglich, daß von einem großen Werke des Genies der Anfang das wäre was zuletzt geschrie- ben worden ist. Der Anfang wird sicherer gemacht, wo man sich vorher schon der Güte der Mitte und des Endes bewußt ist. Man fand in Sternen's (Lorenz) Nachlaß eine Menge flüchtiger Bemerkungen, sie wurden sogar trivial genannt, aber das waren Einfälle, die ihren Wert erst durch die Stelle erhielten. Hier werden Farben gerieben, hätte Sterne auf den Titel seiner Kollektaneen setzen müssen. - Man verliert ja durch diese Vorbereitung nicht die Kraft nun bei der wirklichen Komposition noch immer hinzu zu erfin- den, oder das anzubringen, was auch alsdann noch der Zufall gibt. Bei Butlern fand man eben das. Johnson, selbst ein Mann dieser Art, aber freilich, wie man aus seinen aufgezeichneten Unterredungen merkt, ein gro- ßer Erfinder aus dem Stegreif, sagt dabei: such is the labour of those who write for immortality. Wie mag z.B. der Telemach entstanden sein? S. oben Hume p. 10 [L 75]. [L 186] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 594 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69690 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 865 ff.)] Als er am Kirchhofe vorbei ging, sagte er: Die da können nun sicher sein, daß sie nicht mehr gehenkt werden, das können wir nicht. [L 193] Vor einigen Tagen las ich wieder, daß ein Prediger im Lüttichischen, wo ich nicht irre, der 125 Jahre alt gestorben ist, von dem Bischofe sei gefragt worden, wie er es angefangen habe so alt zu werden. ich habe mich, sagte er, des Weins, der Weiber und des Zorns enthalten. Hier ist, wie mich dünkt, nur die große Frage: wurde der Mann so alt, weil er sich jener Gifte enthielt, oder weil [er] ein Temperament besaß, das es ihm möglich machte sich jener Gifte zu enthalten? Ich glaube es ist unmöglich nicht für das letzte zu stim- men. Daß sich mit jenen Giften jemand das Leben verkürzen kann, und zwar sehr stark, ist kein Beweis, daß man sich das Leben da durch verlängert, daß man sich ihrem Gebrauch entzieht. Wer das Temperament nicht hat, würde, wenn er sich des andern Geschlechts enthielte, gewiß sein Leben damit nicht verlängern. Eben so ist es mit der Sage, daß die wahren Christen immer rechtschaffene Leute sind. Es hat lange recht- schaffene Menschen gegeben, ehe Christen waren, und gibt gottlob! auch da noch welche, wo keine Christen sind. Es wäre also gar wohl möglich, daß die Leute gute Christen sind, weil das wahre Christentum das heischt, was sie auch ohne dasselbe würden ge- worden sein. Sokrates wäre gewiß ein sehr guter Christ geworden. [L 194] Wir haben nunmehr 4 Prinzipien der Moral: 1) ein philosophisches: Tue das Gute um sein selbst willen, aus Achtung fürs Gesetz; 2) ein religioses: Tue es darum, weil es Gottes Wille ist, aus Liebe zu Gott; 3) ein menschliches: Tue es weil es deine Glückse- ligkeit befördert, aus Selbstliebe; 4) ein politisches: Tue es, weil es die Wohlfahrt der großen Gesellschaft befördert, von der du ein Teil bist, aus Liebe zur Gesellschaft, mit Rücksicht auf dich. (Dieses alles nicht pm Reichs-Anzeiger. No 133. 1797. (Düvel)). Sollte dieses nicht alles dasselbe Prinzip sein, nur von andern Seiten angesehn? Ein Ausdruck desselben kann dasselbe besser für gewisse Klassen von Menschen repräsentieren. Ich sehe nicht ein, warum man nicht gewissen Menschen-Klassen dieselbe Sache unter einem andern Bilde verständlich machen sollte, wenn er nur bei wachsender Erkentnis ein besseres findet, oder eines, das seinem Steigen an- gemessen ist. Ja es ist mir sogar ein Fall gedenkbar, da der menschliche Geist sich noch ruhig findet, und ruhig ansehen kann, daß alles nichts ist, wenn er nur durch diese Stufen der höchsten Anstrengung zu die- ser Kenntnis gelangt ist. Schwache zum Nachdenken nicht aufgelegte Menschen, die solche Kenntnisse auf Treu und Glauben antizipierten, wären verloren, und daher rührt vieles Unheil in der Welt. [L 195] Jedermann kennt die Schnirkel womit die Englän- der die Buchstaben der in Kupfer gestochenen Titul verzieren. Ein simpler Titul mit einfachen Didoti- schen Lettern gedruckt, und ein solcher. Sehet da das wahre Sinnbild von Stil der besten Alten und der be- leibtesten Neuern. [L 197] Wer willens ist seine Kinder zu Huren und Spitz- buben zu erziehen, und so etwas kann zuweilen nütz- lich sein (besser), der muß hauptsächlich Sorge tragen sie mit den Anfangsgründen bekannt zu machen ehe die Kinder erfahren, daß es Laster sind. [L 199] Es wäre wohl der Mühe wert ein Leben doppelt oder dreifach zu beschreiben, einmal wie ein allzu warmer Freund, dann wie es [ein] Feind, und dann wie es die Wahrheit salbst schreiben würde. [L 219] Es wäre möglich, daß manche Lehren der Kanti- schen Philosophie von niemand ganz verstanden wür- den, und jeder glaubte, der andere verstünde sie bes- ser als er, und sich daher mit einer undeutlichen Ein- sicht begnügte oder gar mitunter glaubte es sei seine eigene Unfähigkeit, die ihn verhinderte so deutlich zu sehn, als andere. [L 225] Natürlich! wer sich in der Welt über gar nichts wegzusetzen weiß, der kömmt eo ipso ganz unten hin zu liegen. Man muß sich notwendig über manches wegzusetzen wissen; man kommt natürlich immer höher. (moderandum) [L 226] Man fängt seine Testamente gewöhnlich damit an, daß man seine Seele Gott empfiehlt. Ich unterlasse dieses mit Fleiß, weil ich glaube, daß solche Rekom- mendationen wenig fruchten, wenn sie nicht durch das ganze Leben vorausgegangen sind, solche Rekom- mendationen sind Galgenbekehrungen; eben so leicht als unwirksam. [L 227] Er wollte nicht verführen, aber er verführte. Es ist sehr traurig, daß das Bestreben der Menschen Übel zu vermindern so viel neues erzeugt. Man scheint ge- wöhnlich die Kraft besser zu kennen, als den Stoff, auf welchen sie angewandt wird. [L 236] Wenn dieses Philosophie ist, so ist es wenigstens eine, die nicht recht bei Trost ist. [L 239] Lachstoff, ad modum Sauerstoff. [L 246] Alles, was wir als Menschen für reell erkennen müssen ist es auch würklich für Menschen. Denn so- bald es nicht mehr verstattet ist, aus jenem Natur- zwang auf Würklichkeit zu schließen, so ist an ein fe- stes Principium gar nicht mehr zu gedenken. Eines ist so ungewiß als das andere. Wem der Beweis für das Dasein eines höchsten Wesens aus der Natur (kosmo- logischer) zwingend ist, der bleibe dabei; eben so der, den der theoretische, oder der moralische überzeugt. Selbst die, die an neuen Bewiesen gegrübelt haben, sind vielleicht durch einen Zwang dazu verleitet wor- den, den sie sich nicht ganz entwickeln konnten. Statt uns ihre neuen Beweise zu geben, hätten sie uns die Triebfedern entwickeln sollen, die sie nötigten sie zu suchen, wenn es anders nicht bloß Furcht vor den Konsistorien oder den Regierungen war. [L 253] Ach was wollten wir anfangen, sagte das Mädchen, wenn der liebe Gott nicht wäre. [L 254] Ist es nicht sonderbar, daß man zu den höchsten Ehrenstellen in der Welt (König) ohne Examen ge- langt, das man von jedem Stadt-Physikus fordert? [L 261] Ein doppelter Louisd'or ist zuverlässig mehr als 2 einzelne. [L 264] Kaum spricht er aus: Es werde - - so brennen die Laternen auf der Erde. [L 265] Es geht im einzelnen wie bei der Menge, an welche Anreden gehalten werden. Es hören es nur die Nahe- -Stehenden, allein die Entfernten schreien mit, wenn es zum Beifall geht. So darf nur bei mancher Überle- gung eine Leidenschaft Beifall geben, so rufen alle übrige, und selbst Vernunft mit in den Haufen. [L 267] Voltaire sagt an einem Orte sehr schön: Si Dieu n'existait pas, il falloit l'inventer. [L 269] Kant sagt irgendwo einmal: Die Vernunft ist mehr polemisch als dogmatisch. [L 270] Im gemeinen Leben heißt oft die Epilepsie das böse Wesen. Was wäre das gute Wesen? Jemand glaubt man könne den epileptischen Zuckungen im Paraxysmus der gekrönten Liebe diesen Namen geben. [L 274] Jetzt fängt sich das Studium der Alten wieder zu heben an. Man glaubt nun da Erlösung zu finden und Beobachtungs-Geist und wahre Sprache der Natur wieder in Umlauf zu bringen. Einigen wenigen mag das freilich helfen, aber gewiß [ist] in diesem Getreibe sehr viel Mode, und des eigentlichen Wahren und mit menschlicher Natur und Vernunft Zusammenhängen- des nur wenig. Im Rittergeist ist sehr vieles was sich an menschliche Natur anschließt, aber das eigentliche Treiben war Mode, Esprit du Corps; während als man sich mitten darin befand hielt man alles für notwen- dig. Mit der christlichen Religion ist es eben so. Was für ein Kriegen und Streiten und Rennen für Gottes- -Verehrung, man sollte zu manchen Zeiten fast ge- glaubt haben, der Mensch lebe bloß um zu beten und Gott zu verehren. Ich bin überzeugt, daß hierin das meiste bloßer Auswuchs ist. Es gibt schlechterdings keine andere Art Gott zu verehren, als die Erfüllung seiner Pflichten, und Handeln nach Gesetzen die die Vernunft gegeben hat. Es ist ein Gott kann meiner Meinung nach nichts anderes sagen, als ich fühle mich bei aller meiner Freiheit des Willens genötigt Recht zu tun. Was haben wir weiter einen Gott nötig? das ist er. Wenn man dieses mehr entwickelt, so kömmt man meiner Meinung nach auf Herrn Kants Satz. Einen Gott der objektive dreinschlüge, wenn ich Unrecht tue, gibt es nicht, das muß der Richter tun der der Verwalter der Gesetze ist oder wir selbst. Ich glaube daher auch nicht, daß es Religions-Spötter gibt, aber Spötter der Theologie wohl. - Das sind Auswüchse, die freilich gar mancherlei Art sind, und darunter sehr gefällige die durch Aberglaube und frühe Einschätzung ganz das Ansehen und das Ge- wicht von Wahrheit erhalten. Dieses muß mehr ent- wickelt werden. Überhaupt erkennt unser Herz einen Gott, und dieses nun der Vernunft faßlich zu machen [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 602 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69698 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 879 ff.)] ist freilich schwer, wo nicht gar unmöglich. Hiervon steht etwas in meinen andern Büchern, das ich aufsu- chen muß. S. Pascal. K p. 174. [L 275] Es wäre eine Frage ob die bloße Vernunft ohne das Herz je auf einen Gott verfallen wäre. Nachdem ihn das Herz (die Furcht)erkannt hatte suchte ihn die Ver- nunft auch, so wie Bürger die Gespenster. [L 276] Wie man sagt so sollen die Götter gewünscht haben, daß sie so schön wären, wie sie von den Grie- chen abgebildet worden sind. Höher läßt sich wohl das Lob der griechischen Künstler schwerlich treiben, und ein illüstreres Beispiel, daß die Porträte schöner sind als ihre Originale, auch nicht gehen. [L 280] Da man beim Frieden das Te Deum laudamus an- stimmt, so wäre doch nichts natürlicher als [wenn man] beim Anfang des Krieges das Te Diabolum (damnamus) anstimmte (besser). Wäre es nicht eines Dichters würdig ein Te diabolum zu dichten, und eines Musikers zu komponieren: [L 282] Der Patriotismus, Vaterlands-Liebe ist das Kriegs- Genie der Nationen. Nationen, die ohne Patriotismus streiten, sind Mechaniker, zugestutzte, abgerichtete Krieger ohne das eigentliche Genie. Daß auch hier brave Menschen durch Ehrgeiz, lebhaftes Gefühl der Pflicht getrieben etwas tun können, das nicht nach der Gilde riecht, versteht sich von selbst. Das ist aber subordiniertes nicht primäres Genie (besser). Das Genie der Nation ist gar sehr von dem der Individuen verschieden. Dieses einmal zu betrachten. [L 283] Ich möchte wohl die Verhält[nis] der Zahlen sehen, die ausdrückte wie oft das Wort: Revolution in den 8 Jahren von 1781-89 und in den 8 Jahren von 1789-97 in Europa ausgesprochen und gedruckt worden ist, schwerlich würde die Verhältnis geringer sein als 1:1000000. [L 286] Das Wort: unvergleichlich zeigt was in der Welt aus Worten werden kann. [L 288] Unsere Gedichte werden gemacht, bald nach dem Herzen, bald nach dem Ohr, bald nach der Konveni- enz (jedes allein NB). Es sollte aber in jedem Gedicht nur ein einziger Quell sein. [L 289] Der Mensch als Natur-Produkt; als Produkt seines Geschlechtes (der Gesellschaft); das Produkt seiner selbst, der gebildete, gesittete, wissende Mensch. [L 296] Keine Erfindung ist wohl dem Menschen leichter geworden, als die eines Himmels. [L 298] Ihre körperliche Reize befanden sich gerade in dem sonderbaren Zeit-Punkt, wo sie anfangen ihre anzie- hende Kraft mit der abstoßenden zu vertauschen. [L 302] Sind wir nicht auch ein Weltgebäude und eines, das wir besser kennen, wenigstens besser kennen sollten, als das Firmament? NB. [L 305] Was die wahre Freundschaft und noch mehr das glückliche Band der Ehe so zückend macht, ist die Er- weiterung seines Ichs und zwar über ein Feld hinaus, das sich im einzelnen Menschen durch keine Kunst in der Welt schaffen läßt. Zwei Seelen, die sich vereinigen, vereinigen sich dennoch nie ganz so, daß nicht immer noch der beiden so vorteilhafte Unter- schied bliebe der die Mitteilung, so angenehm macht. Wer sich sein eigenes Leiden klagt, klagt es sicherlich vergeblich, wer es der Frau klagt [klagt] es einem Selbst das helfen kann und schon durch die Teilnah- me hilft. Eben so wer gern sein Verdienst gerühmt hört findet ebenfalls in ihr ein Publikum, gegen wel- ches er sich rühmen kann, ohne Gefahr sich lächerlich zu machen. [L 310] Nichts verloren gehen zu lassen, ist eine Hauptre- gel, Papierschnitzel so wenig als Zeit. Petschafte. [L 316] Wenn er philosophiert, so wirft er gewöhnlich ein angenehmes. Mondlicht über die Gegenstände, das im ganzen gefällt, aber nicht einen einzigen Gegenstand deutlich zeigt. [L 320] Ich hatte mich auf K's Anraten damals entsetzlich darüber geärgert. [L 321] Experimental-Politik, die französische Revolution. [L 322] Selbst die sanftesten, bescheidensten und besten Mädchen sind immer sanfter bescheidener und besser, wenn sie sich vor dem Spiegel schöner gefunden haben. [L 326] Es ist ein Glück, daß die Gedanken-Leerheit keine solche Folge hat, wie die Luftleerheit, sonst würden manche Köpfe, die sich an die Lesung von Werken wagen, die sie nicht verstehen, zusammen gedrückt werden. [L 327] Es ist wohl gewiß, daß man über eine Sache sehr richtig urteilen kann und weise, und dennoch, so bald man genötigt wird seine Gründe anzugeben, nur wel- che angeben kann, die jeder Anfänger in der Art Fechtkunst widerlegen kann. Letzteres können oft die weisesten und besten Menschen so wenig, als sie die Muskeln kennen, womit sie greifen, oder Klavier spielen. Dieses ist sehr wahr, und verdient weiter aus- geführt zu werden. [L 328] Das Populär-Machen sollte immer so getrieben werden, daß man die Menschen damit heraufzöge. Wenn man sich herabläßt, so sollte man immer daran denken auch die Menschen zu denen man sich herab- gelassen hat ein wenig zu heben. [L 329] Den eigentlichen Adel kann kein Gesetz abschaf- fen, es kann nur die Art vorschreiben wie und wem er mitgeteilt werden soll. [L 334] Citoyen de Gomorrha. [L 342] Das war der Henkel (Stiel) bei dem man ihn anfas- sen mußte, wenn man ihn ausgießen wollte, an allen andern Stellen verbrannte man sich die Finger. [L 346] Ein zahm Geborner. [L 364] Die Kleinen Versuche die wir anstellen, und unsere Privat-Bemühungen, so unbedeutend sie öfters sind, helfen doch den großen Strom formieren, der in das Meer der Unendlichkeit (?) fließt, ob der gleich mit seinem Namen alle die kleinen Bäche verschlingt. Was würde dem Rhein bleiben, wenn ihm die kleinen Bäche das ihrige entziehn wollten? [L 365] Die Religion eine Sonntags-Affaire. [L 368] Das Hallische Waisenhaus oder eine Hospital-An- stalt könnte so mächtig werden, daß sie endlich Krie- ge führte. [L 369] Das größte Geheimnis , das so viele Menschen ge- wußt haben, und noch so viele beiderlei Geschlechts einst wissen werden, das man gewöhnlich an öffentli- chen Plätzen erfährt , das aber noch niemand ausge- plaudert [hat], noch je ausplaudern wird. - Die Emp- findung wenn einem der Kopf abgehauen wird. [L 378] Er trieb einen kleinen Finsternis-Handel. [L 386] Sein Gewissen wurde in den Grafenstand erhoben. [L 391] Jeder stürzt sich mit seiner elastischen Atmosphäre in das Meer der Ewigkeit, je elastischer sie ist, desto länger sprudelt es, aber am Ende, wo es nicht mehr sprudelt, sind wir Alle, Alle vergessen.!! [L 392] Die Zahl der legislativen Glieder am physischen Staate werden täglich mehr, der exekutiven immer we- niger. [L 396] Dieses ist einer von den sogenannten geflügelten Sprüchen die sich aber leider, anstatt umher zu flie- gen, über die Wolken erhoben haben. So geht es mit fliegenden Dingen. Man sollte sie anzubinden wissen oder lernen. [L 400] Was die wahre Freiheit und den wahren Gebrauch derselben am deutlichsten charakterisiert, ist der Miß- brauch derselben. [L 402] Ist es nicht sonderbar, daß man, um dem Gouverne- ment und namentlich dem Direktorium Respekt zu verschaffen, ein Costume, Kleidertracht, erschaffen hat? Das schönste Costume wäre unstreitig die [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 610 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69706 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 892 ff.)] Erblichkeit der Regierung. Keine Tracht, kein Anzug wird je erfunden werden, der dem gleicht. Es liegt im Menschen ein Prinzip, das diesen Anzug schneidert, den man jetzt geradeweg der Schneider-Gilde über- läßt. Sollte sich nicht ein Mittel finden lassenhier einen Mittelweg zu finden? Es ist Demokratie in dem aus Kopf und Herz bestehenden Menschen, was die Monarchie der reinen Vernunft verwirft, und die poli- tischen Demokraten stützen sich auf Monarchie der Vernunft. Sie erkennen eine Monarchie zur Verteidi- gung einer Demokratie. - Suchet einmal fertig zu werden in der Welt mir einem Gott, den die Vernunft allein auf den Thron gesetzt hat. Ihr werdets finden. Es ist unmöglich. Ich sage dieses, so sehr ich auch einsehe (einsehe) daß es billig wäre, aber diese grö- ßere Billigkeit ist gerade die Stimme der Vernunft, die jenes will, also parteiisch. Befraget das Herz und ihr werdet finden, daß, so wie die Kleider Leute, so die Geburt Regenten macht. Das Gleichnis führt, ich ge- stehe es, auf etwas Lächerliches aber bloß für den La- cher, den erbärmlichsten Menschen, den ich kenne. Ich werde gewiß von denen verstanden, von denen ich verstanden sein will, und dieses überhebt mich der Mühe hier präziser in den Ausdrücken zu sein. Ich bin davon so sicher überzeugt, daß, wenn mir die Wahl gelassen würde, welches Oktav-Blatt von mir auf die Nachwelt kommen sollte? ich getrost sagen würde: dieses. Weiter sind denn die Kleidertrachten auch Vernunft? Warum ist ein Rewbell durch den Schneider mehr wert, als ein Rewbell durch die Natur, nackend oder mit rund abgeschnittnen Haaren, und einem Hosenlatz aus Bärenfell, ohne Hosen? Ihr im- poniert der Einbildungs-Kraft und dem Herzen von einer Seite, wo die Bekehrung von seinem Irrtum viel leichter ist, als der die durch Vorrechte und Geburt unterstützt wird. Geht mir weg mit euern neuen Schneidereien, die weit hinter den unsrigen liegen. Selbst in eurer Livree liegt etwas von dem ignoto Deo. Das Herz und das Auge wollen was haben. [L 403] Er vernünftelte mich ganz aus meiner Vernunft her- aus. (pity pity) [L 404] Man hat auch bei Schließung der Ehen, wo allein die Leiber diktieren sollen, das Interesse zugelassen. [L 405] Die Vernunft sieht jetzt über das Reich der dunkeln aber warmen Gefühle so hervor wie die Alpen-Spit- zen über die Wolken. Sie sehen die Sonne reiner und deutlicher, aber sie sind kalt und unfruchtbar. Brüstet sich mit ihrer Höhe. [L 406] Ein Gedanken-Vakuum, was für ein Glück, daß die Köpfe nicht zerdrückt werden. Wenn eine Gedanken- Leere auch um sie herum ist, so ist es nicht möglich. [L 407] Universal-Medizin, Universal-Philosophie. [L 410] Es ist eine ganz bekannte Sache, daß die Viertel- Stündchen größer sind, als die Viertelstunden. [L 417] Wir wollen nun sehen, was aus der französischen Republik wird, wenn die Gesetze ausgeschlafen haben. [L 419] Motto: die Wahrheit finden wollen ist Verdienst, wenn man auch [auf] dem Wege irrt. [L 421] Das Einmal-Eins zum Schutz-Heiligen wählen. [L 427] Wo alle Leute so früh als möglich kommen wollen, da muß notwendig bei weitem der größere Teil zu spät kommen. [L 432] Kein Wort im Evangelio ist mehr in unsern Tagen befolgt worden, als das: Werdet wie die Kindlein. [L 435] Jemand stirbt stoisch, an einem Geschwür am Rücken, man begreift nicht, warum der Mann so steif- sinnig ist, findet aber nach seinem Tode, daß ihm der Galgen auf den Rücken gebrannt war. [L 436] Mit dem Glücks-Rad des Lotto lebendig gerädert kam er endlich hieher, kurz vor dem Gnadenstoß. [L 439] Deutschland hat sich gegen das unchristliche Frankreich recht christlich bewiesen. Nachdem es von demselben einen Streich auf den einen Backen be- kommen hatte, so hielt es ihm den andern auch dar. [L 440] Sich in seinen Zustand hineinleben, darin eingelebt sein, ist eine Sache, die einer nähern Betrachtung wert ist. Die armen Eichsfelder. Der alte Mann heute an der Tür von Böttchers Garten war wohl glücklicher als ich. [L 443] Das heißt hindenken, wo es keine Gedanken mehr gibt, so wie jener Junge, der Kegel in der Dämmerung aufsetzte, als er von jemanden, der vorbei geworfen hatte, aus Scherz befragt wurde, wie viel er geworfen habe, sehr naiv antwortete: Sie haben hingeworfen, wo keine Kegel waren. [L 444] Wer nicht so schreiben kann, daß die Philosophen Regeln davon abstrahieren müssen, der lasse es. Ist wohl je ein Dichter durch Regeln geworden, Was hel- fen der Nessel die Regeln für die Zeder? Die Philoso- phen, die Ästhetiker kann man als Physiologen anse- hen. So wenig die höchste Kenntnis dessen, was zu einem vollkommen Menschen gehört, den Besitzer dieser Kenntnisse in den Stand setz einen vollkom- men Menschen zu machen, so wenig werden auch die Regeln einen Dichter machen. Für den Philosophen, und für Kenntnis der menschlichen Natur sind diese Untersuchungen in sehr hohem Grade wichtig, dieses wird niemand leugnen. [L 457] Schon lange vor der Französischen Revolution hatte er die dreifarbige Nase aufgesteckt. [L 458] Die Linien der Humanität und Urbanität fallen nicht zusammen. [L 461] Lord Monboddo in Ancient Metkaphysics schreibt den größten Teil alles Unheils in der Welt dem Gelde zu. Bettler, Diebe, Krankheit. Er übertreibt zwar hier und da, hat aber gewiß im ganzen recht. [L 465] Die Vorreden zu manchen Büchern sind deswegen öfters so seltsam geschrieben, weil sie gewöhnlich noch im gelehrten Kindbett Fieber geschrieben sind. [L 468] Bekanntlich ist Voltaire 2mal getauft worden, es hat aber nicht viel gefruchtet, vielleicht wäre es besser für ihn und die Welt gewesen, wenn man, statt das Pflänzchen 2mal zu begießen, es 2mal beschnitten hätte. [L 469] Er trug den Kopf auf einer Seite wie Alexander, wie dem Cervantes stund immer der Hosenlatz offen, und wie Montaigne konnte er nicht rechnen, weder mit Ziffern noch mit Zahlpfennigen. [L 471] Man spricht viel von Aufklärung, und wünscht mehr Licht. Mein Gott was hilft aber alles Licht, wenn die Leute entweder keine Augen haben, oder die, die sie haben, vorsätzlich verschließen? [L 472] Theorie der Falten in einem Kopfkissen. [L 476] Er hatte seinen beiden Pantoffeln Namen gegeben. [L 477] Wenn man jung ist, so weiß man kaum daß man lebt. Das Gefühl von Gesundheit erwirbt man sich nur durch Krankheit. Daß uns die Erde anzieht merken wir wenn wir in die Höhe springen, durch Stoß beim fallen. Wenn sich das Alter einstellt, so wird der Zu- stand der Krankheit eine Art von Gesundheit und man merkt nicht mehr, daß man krank ist. Bliebe die Erin- nerung des Vergangenen nicht, so würde man die Än- derung wenig merken. Ich glaube daher auch daß die Tiere auch nur in unsern Augen alt werden. Ein Eichhörnchen, das an seinem Sterbe-Tage ein Auster- Leben führt, ist nicht unglücklicher als die Auster. Aber der Mensch der an drei Stellen lebt, im Ver- gangnen, im Gegenwärtigen und [in] der Zukunft, kann unglücklich sein, wenn eine von diesen dreien nichts taugt. Die Religion hat sogar noch eine vierte hinzugefügt, die - Ewigkeit. [L 483] Man sieht jetzt häufig Verordnungen, daß kein Kandidat zum Predigtamt gelassen werden soll, der nicht die (orientalischen) Grundsprache studiert habe. Du gerechter Gott, und doch läßt man täglich Leute auf Thronen steigen und in das Ministerium, die nicht einmal die Muttersprache ihres Fachs kennen!! [L 485] Ein solider Lügner; Betrüger. [L 488] Das heißt einen doch fürwahr an einen Freiheits- baum aufhängen. [L 494] Der Galgen Freiheitsbaum. [L 495] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 618 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69714 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 910 ff.)] Es ist möglich jemanden die Backen so zu strei- cheln, daß es einem Dritten läßt, als hätte man ihm eine Ohrfeige gegeben. [L 503] Wie viel in der Welt auf Vortrag ankömmt, kann man schon daraus sehen, daß Kaffee, aus Weingläsern getrunken, ein sehr elendes Getränke ist, oder Fleisch bei Tische mit der Schere geschnitten, oder gar, wie ich einmal gesehen habe, Butterbrod mit einem alten wiewohl sehr reinen Schermesser geschmiert. [L 504] Die Polizei-Anstalten in einer gewissen Stadt las- sen sich füglich mit den Klappermühlen auf den Kir- chen-Bäumen vergleichen. Sie stehen stille wenn das Klappern am nötigsten wäre, und machen einen fürch- terlichen Lärm, wenn wegen des heftigen Windes gar kein Sperling kömmt. [L 505] Was ein bedächtliches gesetztes Verfahren in allen Vorfällen des Lesens nützlich ist, kann ich mir auch dadurch erläutern. Ich kann mir keinen schrecklichern Zufall denken, als wenn mir jemand eines meiner Kin- der aus Unvorsichtigkeit erschösse, und doch kenne ich mehrere Menschen, denen ich ohne Mühe vergeben würde, andere die ich nie wieder würde vor Augen sehen können und noch andere, die ich auf der Stelle erschießen könnte, und würde, wenn ich ein Gewehr zur Hand hätte. [L 506] Zu Parma werden keine Parmesan-Käse gemacht. [L 507] Wenn die Not die Mutter der Erfindung ist so wäre wohl der Krieg der die Not erzeugt der Großvater der Erfindung. Ein Beweis durch Sprüchwörter könnte man presque geometrique nennen. [L 524] Man hat schon einigemal mein Duodez-Bändchen in den Oktav-Stand erheben wollen. [L 534] Wenn die Erinnrung an die Jugend nicht wäre, so würde man das Alter nicht verspüren, nur, daß man das nicht mehr zu tun vermag, was man ehmals ver- mochte, macht die Krankheit aus. Denn der Alte ist gewiß ein eben so vollkommnes Geschöpf in seiner Art als der Jüngling. [L 535] Man hat schon lange bemerkt, daß, wenn der Geist sich erhebt, er den Leib fallen läßt auf die Knie. (bes- ser; not quite pm) [L 536] Daß so mancher die Wahrheit sucht und nicht fin- det rührt wohl daher, daß die Wege zur Wahrheit, wie die in den Nogaischen Steppen von einem Ort zum andern, eben so breit als lang sind. Auch auf der See. [L 539] Es ist ein närrischer Gedanke des Hofrat Herz zu Berlin, daß er Moritzen, der beklagte daß er so jung sterben müßte, antwortete, er solle sich vorstellen er wäre anno 1712 geboren. Närrischer Einfall ist hier bekanntlich ein Lob. Die Sache läßt sich verteidigen. [L 540] Es ist gut wenn junge Leute in gewissen Jahren vom poetischen Übel befallen werden, nur inokulieren muß man es ihnen ums Himmelswillen nicht lassen. [L 542] Das Wort Entbindung ist zweideutig; es kann auch den Tod bedeuten. [L 543] Er schliff immer an sich, und wurde am Ende stumpf, ehe er scharf war. [L 559] Das Schafs-Kleid des goldnen Vlieses. [L 566] Es ist in vielen Dingen eine schlimme Sache um die Gewohnheit. Sie macht, daß man Unrecht für Recht, und Irrtum für Wahrheit hält. [L 572] Ein Urteil über Jean Pauls Romanen in der Gothai- schen gelehrten Zeitung 1798. No. 74. S. 659 ist vor- trefflich. Man kann nichts Besseres und gründlicheres über diesen sonderbaren Schriftsteller sagen. »Das In- teresse, das er erregt, ist nicht so wohl ein Interesse an seinen Personen und deren Geschichte, als vielmehr an ihm und seinem Geiste und seiner Empfindung, wie sie sich in der Erzählung offenbaren. Statt, daß wir sonst den Verfasser über seinen Personen verges- sen, ist es hier umgekehrt; wir vergessen die Personen und die ganze Geschichte über dem Verfasser.« [L 581] Es gibt Leute, die so wenig Herz haben etwas zu behaupten, daß sie sich nicht getrauen zu sagen, es wehe ein kalter Wind, so sehr sie ihn auch fühlen möchten, wenn sie nicht vorher gehört haben, daß es andre Leute gesagt haben. [L 582] Es war zu Ende Septembers 1798, als ich jeman- den im Traum die Geschichte der jungen und schönen Gräfin Hardenberg erzählte, die mich und überhaupt jedermann sehr gerührt hat. Sie starb im September 1797 in den Wochen, eigentlich während der Geburt die nicht zu Stande kam. Sie wurde geöffnet, und das Kind neben sie in den Sarg gelegt, und so wurden sie zusammen des Nachts mit Fackeln unter einem ent- setzlichen Zulauf von Volk nach einem benachbarten Orte, wo das Familien-Begräbnis ist, gebracht. Dieses geschah auf dem Göttingischen Leichenwagen, einer sehr unbeholfenen Maschine. Dadurch wurden also die Leichname sehr durcheinander geworfen. Am Ende wollten sie, ehe sie in die Gruft gebracht wur- den, noch einige Leute sehen. Man öffnete den Sarg und fand sie auf dem Gesichte liegend und mit ihrem Kinde in einen Haufen geschüttelt. Das schöne Weib, schwerlich noch 20 Jahre alt, die Krone unsrer Damen, die auf manchem Ball den Neid der schönsten auf sich gezogen, in diesem Zustande! Dieses Bild hatte mich zu der Zeit oft beschäftigt, zumal, da ich ihren Gemahl, einen meiner fleißigsten Zuhörer, sehr wohl gekannt hatte. Diese traurige Geschichte erzähl- te ich nun jemanden im Traume im Beisein eines Drit- ten, dem die Geschichte auch bekannt war; vergaß aber (sehr sonderbar) den Umstand mit dem Kinde, der doch gerade ein Hauptumstand war. Nachdem ich die Erzählung, wie ich glaubte, mit vieler Energie und Rührung dessen, dem ich sie erzählte, vollendet hatte, sagte der Dritte: Ja und das Kind lag bei ihr, alles in einem Klumpen. Ja, fuhr ich gleichsam auffahrend fort, und ihr Kind lag mit in dem Sarge. Dieses ist der Traum. - Was mir ihn merkwürdig macht, ist dieses: Wer erinnerte mich im Traume an das Kind? Ich war es ja selbst, dem der Umstand einfiel? Warum brachte ich ihn nicht selbst im Traume als eine Erinnerung bei? Warum schuf sich meine Phantasie einen Dritten, der mich damit überraschen und gleichsam beschä- men mußte? Hätte ich die Geschichte wachend er- zählt, so wäre mir der rührende Umstand gewiß nicht entgangen. Hier mußte ich ihn übergehn um mich überraschen zu lassen. Hieraus läßt sich allerlei schließen. Ich erwähne nur Eines, und mit Fleiß grade das, was am stärksten wider mich selbst zeugt, zu- gleich aber auch für die Aufrichtigkeit, womit ich die- sen sonderbaren Traum erzähle. - Es ist mir öfters begegnet, daß [ich], wenn ich etwas habe drucken las- sen, erst ganz am Ende, wenn sich nichts mehr ändern ließ, bemerkt habe, daß ich alles hätte besser sagen können, ja, daß ich Haupt-Umstände vergessen hatte. Dieses ärgerte mich oft sehr. - Ich glaube, daß hierin die Erklärung liegt. Es wurde hier ein mir nicht unge- wöhnlicher Vorfall dramatisiert. - Überhaupt aber ist es mir nichts Ungewöhnliches, daß ich im Traum von einem Dritten belehrt werde, das ist aber weiter nichts als dramatisiertes Besinnen. Sapienti sat. [L 587] Juden. Daß man einige Familien aus Göttingen verbannt hat, ist ja kein Eingriff in den großen Plan zu ihrer Verbesserung, es ist ja bloß ein untergeordne- tes Verfahren gegen sie, während die große Absicht immer fortdauern kann. Ja dieses kann dazu dienen jenen Plan zu befördern. Überhaupt begreift man nicht, was eine so große Empfindlichkeit gegen den Zustand der Juden bei uns bedeuten soll. Ist denn die- ses Volk so wichtig und so genievoll, so fruchtbar für uns, daß wir es mit solcher Gewissenhaftigkeit hegen sollen? Dieses sehe ich nicht ein. Warum wollen wir unsern Boden anders bearbeiten um eine sehr unnütze Frucht zu nähren, die unter unserm Klima nicht ge- deiht, und sich auch nicht nach ihm bequemen Will? - Jetzt erklärt der erbärmlichste Betteljude sei- nen traurigen Zustand durch Christendruck. Koalisiert man sie mehr, öffnet ihnen alle rechtliche Wege zu Handel und Wandel, wobei jene Entschuldigung wegfällt, so werden sie finden, was für ein erbärmli- ches Volk sie sind. Mendelssohn ist viel zu viel erho- ben worden. Hätte er in einem ganz jüdischen Staat gelebt, so würde er ein sehr gemeiner Verbreiter ihrer ab geschmackten Zeremonien usw. geworden sein. - Berlin ist es und nicht Judäa oder Jerusalem was ihm einigen Vorzug gab. Es müßte ja mit dem Teufel zu- gehen, wenn ein Geschöpf, das wenigstens Menschen- -Gestalt hat, nicht hier und da für Wahrheit empfäng- lich sein sollte. Er war empfänglich dafür, und das ge- reicht ihm zur Ehre.- Ich sehe nicht warum wir mit vielem Aufwand eine Pflanze bauen sollen, die sich nicht für unser Klima schickt und die uns wahrlich nichts einträgt, bloß aus dem empfindsamen Prinzip, daß das Pflänzchen nicht verloren gehe. [L 593] Unter allen Übersetzungen meiner Werke, die man übernehmen wollte, verbitte ich mir ausdrücklich die ins Hebräische. [L 594] Er hustete so hohl, daß man in jedem Laut den doppelten Resonanz-Boden Brust und Sarg mitzuhören glaubte. [L 599] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 626 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69722 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 922 ff.)] Er schien eher Tischler-Arbeit zu sein als ein wirk- lich menschliches Geschöpf. [L 600] Ein wahres Steckbrief-Gesicht. [L 610] Wir wollen sein Leichen-Tuch nicht lüften. [L 612] Es ist fast nicht möglich etwas Gutes zu schreiben ohne daß man sie dabei jemanden oder auch eine Gewisse Auswahl von Menschen denkt die man an- redet. Es erleichtert wenigstens den Vortrag sehr in tausend Fällen gegen einen. [L 617] Der menschliche Geist wird immer gleichförmiger, je mehr er sich über das Körperliche erhebt. Je näher er aber diesem wieder kömmt, desto häufiger werden die Abweichungen gerade so wie ich bei den Planeten gesagt habe. [L 618] Das Beschneiden der Bäume zu nützen, Taxus usw. Buchsbaum, so werden Gelehrte am Hofe und im Staate behandelt. [L 623] Er leistete seiner Frau die eheliche Pflicht des Prah- lens an jedem Abende. Er suchte ihr begreiflich zu machen, daß er der erste Mann in der Stadt oder wohl gar im Staate sei. Vertraulichkeit ist nirgends größer als zwischen rechtschaffenen Ehe-Leuten, sie gründet sich zwischen rechtschaffenen Menschen auf Aufopfe- rung der Schamhaftigkeit in dem einzigen Falle der ehelichen Verhältnisse. Dieses vermehrt das Verbre- chen des Ehebruchs gar sehr (besser). Es gibt der ehe- lichen Pflichten gewiß mehrere, dahin gehört auch die für die Frau, daß sie schlechterdings den Beweis von dem Wert ihres Mannes dem Manne selbst überläßt; ihm implicite glaubt, allenfalls nur mit gesundem Menschenverstand hier und da moderiert. Des Man- nes Pflicht ist zu glauben, daß das Weib das treuste in der Welt sei so bald sie es sagt. Ja er muß sogar an Reservationes nicht einmal glauben. Doch wird auch hier gesunde Vernunft, wo sie statt findet, zu verbes- sern und nachzuholen wissen. Seine Frau mußte ihm alle Abende die eheliche Pflicht leisten seine Prahle- reien anzuhören. [L 627] (ad pag. 73 Col. 1. Über die Juden [L 593]) Selbst, wenn man den Entschluß gefaßt hatte sie künftig zu bessern, so mußten sie pro nunc wegge- schafft werden, so lange bis sie gebessert sind, wozu wenig Hoffnung war. Die Besserung dieses in unserm als ihrem eignen Sinn unverbesserlichen Geschlechts konnte hier nicht unternommen werden. Der Universi- äts-Acker ist nicht das Feld Versuche anzustellen ob sich aus Nesseln etwas machen läßt, dazu wähle man andere Felder. Warum sollen wir ihnen entgegen kommen? laßt sie uns entgegen kommen, das werden sie am besten verstehn, da sie so sehr viel Kopf haben sollen. Ein Berlinischer Jude (Bendavid) hatte einmal die Artigkeit mir bei einem Besuche ins Gesicht zu sagen, daß in dubio der Jude mehr Kopf habe als der Christ. Ich glaube sie haben eigentlich gar das nicht was man Kopf nennt. Das Platten-Polieren bei Klind- worth. Große Groschen-Stücke aussuchen um sie dem Unwissenden und Unerfahrnen einmal für doppelte Groschen hin zuzahlen. Hat wohl je ein Jude eine Er- findung gemacht? Der einzige Jude von Kopf war Spinoza, und den erkannten sie für keinen Glaubens- genossen und wollten ihn ermorden. [L 661] An Deluc. Kant unterscheidet sich dadurch von an- dern Philosophen, daß er seine hauptsächliche Auf- merksamkeit auf das Instrument richtet; dessen Güte und hauptsächlich dessen Umfang untersucht, wie weit es reicht, und ob es auch dazu taugt Dinge aus- zumachen, die man damit ausmachen will, das ist er untersucht die Natur unsers Erkenntnis-Vermögens. - What right have we to suppose that our sensations are anything more than our sensations? What is reality for us (perhaps to us), what is existence? Könnte faculty of cognition gebraucht werden? [L 662] Die Buchdruckerkunst ist doch fürwahr eine Art von Messias unter den Erfindungen. [L 667] Als ich meine Gedanken- und Phantasie-Kur ge- brauchte. [L 671] Nichts muntert mich mehr auf, als wenn ich etwas Schweres verstanden habe, und doch suche ich so wenig Schweres verstehen zu lernen. Ich sollte es öfter versuchen. [L 672] Bei den meisten Menschen gründet sich der Un- glaube in einer Sache auf blinden Glauben in einer andern (nicht pm). [L 674] Gerade wie auf meinem neuen Bibliotheks-Zimmer, sieht es in meinem Kopfe aus. Ordnungsliebe muß dem Menschen früh eingeprägt werden, sonst ist Alles Nichts. [L 691] Ist es nicht sonderbar, daß die Menschen so gerne für die Religion fechten, und so ungerne nach ihren Vorschriften leben? [L 705] [Verstreute Bemerkungen] Leute, die viel auf der Straße lesen, lesen gemeinig- lich nicht viel zu Hause. [VB 3] Auch selbst den weisesten unter den Menschen sind die Leute, die Geld bringen, mehr willkommen, als die, die welches holen. [VB 4] Man hat so viele Anweisungen, den Wein recht zu bauen, und noch keine, ihn recht zu trinken. Er wächst nur gut unter dem Schutz eines sanften Himmels, und ähnliche Seelen müssen diejenigen haben, die ihn am besten trinken. Derjenige, der mehr als eine Bouteille trinkt, ohne entweder französisch, oder von seinem Mädchen zu sprechen, ohne mich seiner Freundschaft zu versichern, ohne zu singen, ohne irgend ein kleines Geheimnis zu verraten usw., und der, der beim vierten Glas mich hitzig fragt, ob ich ihn nicht für einen bra- ven Kerl halte, alle kleinen Scherze krittlich abwägt, kurz der Unglückliche, der beim Wein immer Schläge haben will, und sehr oft auch bekommt, täten beide weiser, wenn sie Wasser tränken. [VB 5] Es wäre vielleicht gut, wenn Redner sich Einen hohen Absatz am Schuh machen ließen, um im Fall der Not sich auf einmal viel größer zu machen. Diese Figur müßte, zur rechten Zeit gebraucht, von unglaub- licher Wirkung sein. [VB 6] Ein Mensch, der mit einem Fluch andern die Herz- haftigkeit nimmt und sich gibt - ein Straßenräuber. [VB 7] Kirchtürme, umgekehrte Trichter, das Gebet in den Himmel zu leiten. [VB 8] Königlicher Hofblitzableiter - ein Titel. [VB 9] Er war nicht sowohl Vater des Vaterlandes, als dessen Generalquartiermeister. [VB 10] Ein Mannsfriseur, der auch allenfalls mit Frauen- zimmern fertig werden kann. [VB 11] Wenn man seinen Stammbaum und die hoffnungsvolle Jugend ansah, so mußte man gestehen, daß die Familie ein wahrhaftes perpetuum nobile wäre. [VB 12] Er saß zwischen seinen jungen Hündchen, und nannte sich Daniel in der Löwengrube. [VB 16] Das neue Testament, von neuem aus dem Griechi- schen übersetzt, vermehrt und verbessert usw. [VB 25] Er war der Ausrufer des Evangelii, denn Prediger konnte man ihn nicht nennen. [VB 29] Ich habe gehört, er soll zuweilen nüchtern sein. [VB 30] Er war der wahre Sekundenzeiger des Anstandes, der Vernunft und des guten Geschmacks. [VB 31] Der gute Ton steht dort um eine Oktave niedriger. [VB 32] [Lichtenberg: [Aus den »Sudelbüchern«], S. 634 ff. Digitale Bibliothek Band 1: Deutsche Literatur, S. 69730 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 935 ff.)] Das Wort Halsgericht könnte zuweilen von einem concilio medico gebraucht werden. [VB 33] Er hatte eben einige lateinische Wörter apportieren gelernt. [VB 34] Man sagt: das Adlerauge der Kritik. In vielen Fäl- len wäre es besser, zu sagen: die Hundsnase der Kri- tik. [VB 35] Ich möchte wohl den Titel des letzten Buches wis- sen, das gedruckt wird, Original versteht sich, nicht Auflage. [VB 39] Was die Enthusiasten Beobachtung nennen ist ge- meiniglich über die Hälfte Urteil. [VB 41] Was hilft aller Sonnenaufgang wenn wir nicht auf- stehen. [VB 44] Die Fehler, die die Damen beim Sprechen machen sind oft unwiderstehlich. [VB 45] Fußnoten 1 Hieher gehört Bogatzky, Sen[ior]. Goeze pp. 2 Gunkel muß hinein. Das ewige was Shakespear und nicht Shakespear. 3 Robertson schreibt ihn Haimon. 4 Weber Malek S. den 3. Tag in den Persischen Mär- gen. 5 Man wird mich verstehen, ich sage nicht, daß man sie für Lügner hält, das ist Herr Lavater gewiß nicht, und niemand als der Teufel könnte so was Herrn La- vater schuld geben.