DEUTSCHE ERZÄHLER AUS DER TSCHECHOSLOWAKEI Ein Sammelbuch HERAUSGEGEBEN UND EINGELEITET VON OTTO PICK HERIS'VERLAG Hermann RiAters Söhne Reichenberg / Prag / Leipzig / Wien AKTUELL http://www.praesens.at Z LU m o "in Robert Michel iter-Offlztef d Doppeladler SONDERPREIS l € 20,00 NUR BEI DIREKTER BESTELLUNG BEIM VERLAG: Riccardo Concetti: SODOMA 207 i ■' . r.i . t.,i r,). ■ Vor einigen Jahren brachte ein Ereignis die ganze Stadt X. in Erregung. Die Zeitungen um» frhrieben es gewandt in wenigen Zeilen. H er fchien felbft jedes Moralifieren gefährlich, denn das Lafter war fo ungeheuerlid), daß es über die beftbegrün» dete Moral hinweg hätte Verderbnis verbreiten können. Und obwohl fo wenig in den Zeitungen darüber ffaud, war alsbald die ganze Stadt davon erfüllt. Am Iriuteften war der Widerhall in den Vorfiädten. Da überboten fich zwei Sprachen, um zu der Melo.....und dann fühnt doch ein derart tra* gifdier Ausgang alles, es gibt kein fo großes Laßer, daß es durch foldies nicht ausgeglichen wäre — be« denken Sie: die feelifche Qual des unglücklichen Mädchens, von den Schmerzen gar nicht zu reden , und endlich der Tod. Und die Eitern und der Bruder, die jetzt herumirren werden, um ein Ver» fteck für ihren Namen zu fuchen. Und der Bräutigam, mein armer, armer Freund,- er wollte fie erfchießen, S O D O M A 209 liniím,. "m l: n: ihm D u ni li. weil der Tod zu langfam kam, ihre Schmach zu tilgen. Wenn alles nur aus Verderbnis mit laßer* hafter Abftcht entfranden wäre, fürwahr auch dann müßte man ehrfürchtig fdiweigen vor all dem Un» glück und Elend, das gefolgt ift. Aber die Leute lind fchlimmer als.....Waren Sie fdion in der Stadt? Ich bitte Sie, gehen Sie heute nidit aus Ihrer Wohnung.« Hier fdiwieg er eine Weile mit gefenktem Kopf, dodi plötzlich hob er die Augen, als wäre es ihm gelungen, einen böfen,Traum zu verfefaeuchen; »So war es aber gar nidit. Sie haben fie ja auch ge» kannt, war fie nicht das unverdorbenfte junge Gefchöpf ? Nur weil fie fo rein und unberührt war, konnte ihr folches gefchehn. Die Natur ift graufam und überfällt manchmal den Menfdien wie aus einem I [interhalt......Sie wiffen aber nicht den An» f. mg. Es war geftern am Nadimittag. Die Eltern waren weg/ audi ihr Bruder und ihr Bräutigam mußten in die Stadt gehn. Das junge Mädchen war ganz allein geblieben / der Bräutigam hatte feinen großen Bernhardiner bei ihr gelaffen.....Es kann nur fo gekommen fein: fie wollte die Kleider wechfeln oder vieh'eidit wollte fie fidi wafchen, gleich» 14 VI. 230 ROBERT MICHEL 't...........!"■ ■ ľ ■ ■'IMP - " t*ľ*r....... ''ľ ■ viel, und der Hund umfchmeichelte fie und leckte ihr die Hand oder das Knie . . . .« Die junge Frau richtete fich auf wie ein er-fdSreckter Vogel, der eben noch kugelrund mit dem Kopf unter dem Flügel im Gezweige gefeffen war und nun plötzlich feinen Körper hoch und fdhlank aufftellt, zum Wegfliegen bereit. Die hochgezogenen Augenbrauen wurden ganz gerade und ihre fdimalen Lippen verfchwanden faß. Aber er ergriff ihre Hand und fprach eindringlich weiter: »Sie dachte dabei zuerft an nichts und empfing diefe Liebkofung fo, wie fie einen angenehmen Lufthauch durdi das offene Gartenfenßer empfangen hätte. Djs iß das Fürchterliche, daß sie die Natur fo überlißet hat. Im nächften Augenblick fchon mochte fie ein Schauer gewarnt haben und da hätte fie das Tier mit einem Sdilag wegjagen können. Aber in der Strenge der Jungfrau empfand fie es gleich als ein fündhaftes Unrecht und eine Scham überfiel fie, die wuchs wie eine Sturzwelle. Und fast ebenfo rafdh kam der Gedanke, der alles Un= glück verfchuldete, der aber nur einem Gefdiöpf von wahrhaft heiliger Reinheit kommen konnte: der furchtbare Vorwurf, daß fie dem Hund Yiel- S O D O M A 211 >- ■ i - ii im n i mi mu ■! ľii iľiiiiiľ leicht nur deshalb die Liebkofung gewährt hatte, weil es fein Hund war, der Hund ihres Bräutigams. Man muß wiffen, daß fie es hatte mit ihrer Verlobung wie einfi ihre Mutter halten wollen — den erfien Kuß beim Altar. Und nun diefer fchcußliche Gedanke, er fteigerte ihre Scham alsbald zur Verzweiflung. Im felben Augenblick hätte fie alles getan,- alles auf fich genommen, um den Gedanken zu verfcheuchen, der ihre Liebe beflecken wollte. In diefer furchtbar fchwellenden Verzweiflung faßte fie fchließlich mit beiden Händen in das zottige Fell des Hundes und zog ihn ganz an fich: Nicht an ihn hab ich gedadit! Nicht an ihn hab ich gedacht!! und fie riß die letzte Hülle von ihrem Leibe, Ift folch ein Mäftyrertum nicht ergreifend: gleichzeitig verstand fie, daß fie büßen muffe für das, was fie tat, und fie felbft öffnete dem Tiere den Rachen und zwängte ihren Hafs zwifchen die blanken Zähne und drückte dann diefes fürchterliche Gebiß in ihre Brutto und mit den bekrallten Tatzen fuhr fie über ihr Gcfidit und über die Augen, damit fie nichts mehr fehe, bis endlich ihr Bewußtfein fdiwand. So hat man fie gefunden — die Tür war offen,- alfo auch ein juridifcher Beweis ihrer Unfchuld. Und 14* 212 ROBERT MICHEL wie gemein wurde alles gedeutet, Welche ungeheuere Tragik noch in allem Folgenden liegt: der Bräutigam war der erlte, der diefes Bild zu Gefleht bekam. Aus dem Nachbarhaus wurde ein Arzt geholt. Erft follte der Hund erfdioflen werden. Mein Freund nahm selbft das Gewehr von der Wand und legte an, fo gut, daß er das Mäddien fidierer getroffen hätte als den Hund. Der Arzt riß ihm das Gewehr weg. Doch mit der Hilfe war es fd>on zu fpät, fie kam nidit mehr zu lieh/ diefes Erbarmen hatte doch noch das Sdiickfal.« Er hielt erwartungsvoll inne. Aber von den Lippen feiner Freundin kam das Urteil kurz und hart: »Nein.« Da ließ er erfdirodken ihre Hand los und fchwieg.