Spickzettel: Narratologische Analysebegriffe Analysebegriff Erklärung Beispiel Figurenrede (Wiedergabe von Rede und Gedanken) Direkte Rede Bei der direkten bzw. wörtlichen Rede werden Aussagen oder Gedanken im Wortlaut wiedergegeben. Direkte Rede wird oft (aber nicht immer!) durch eine Inquit-Formel („er/sie sagte/dachte“ → verbum dicendi oder verbum sentiendi) gekennzeichnet. Direkte Rede wird häufig durch Anführungszeichen („“), Guillemets («») oder Chevrons (»«) hervorgehoben. In der direkten Rede sprechen die Figuren selbst. Die Erzählerfigur tritt in den Hintergrund. „»Und du? Was willst du in Berlin machen?« fragte mich Mama immer wieder. »Studieren«, antwortete ich, um überhaupt etwas zu meiner Verteidigung zu sagen. »Studieren?« Und dabei verdrehte sie ungläubig die Augen. Jede andere Mutter hätte Luftsrpünge gemacht, daß ihr Sohn solche Ziele hatte. Aber Mama dachte anders.“ Yadé Kara – Selam Berlin Indirekte Rede Erzählerische Wiedergabe von Rede im Konjunktiv I. Die wiedergegebene Rede wird durch einen „dass“-Satz eingeleitet. Recht hatte aber Nathanael doch, als er seinem Freunde Lothar schrieb, daß des widerwärtigen Wetterglashändlers Coppola Gestalt recht feindlich in sein Leben getreten sei. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann Redebericht Die Erzählerfigur gibt den Inhalt der Rede in verkürzter Form wieder. [...] aber alle diejenigen, die nachher zuerst in den Zeitungen durch den Doktor Berg von dem Vorgefallenen zu lesen bekamen, hatten doch sämtlich das Gefühl, daß die Geschichte dicht nebenan ihnen selber passiert sei. So sagten sie auch alle [...]. Wilhelm Raabe – Im alten Eisen Erlebte Rede Die erlebte Rede dient der Wiedergabe von Rede oder Gedanken. Bei der erlebten Rede schildert der Erzähler die Rede bzw. Gedanken aus der Sicht der entsprechenden Romanfigur. Erlebte Rede steht immer in der 3. Person und kommt, je nach Erzähltempus meistens im Präteritum vor. Bei der erlebten Rede fehlen im Unterschied zur direkten Rede verba dicendi („Sie sagte: „…“) und sentiendi („Er dachte: „…“). Im Unterschied zur indirekten Rede steht die erlebte Rede immer im Indikativ und niemals im Konjunktiv I. „[Emma Bovary sah ihn an und zuckte die Achseln.] Warum war ihr Gatte nicht wenigstens einer dieser stillen, aber ehrgeizigen Männer der Wissenschaft, die die ganze Nacht über ihren Büchern sitzen …? Der Name Bovary, der ja auch der ihre war, hätte berühmt sein, hätte in Büchern und Zeitungen stehen müssen, von ganz Frankreich gekannt. Aber Charles hatte keinen Ehrgeiz!“ Gustave Flaubert – Madame Bovary Innerer Monolog Der Innere Monolog lässt die Gedanken der Figuren sprechen. Es ist keine klassische Erzählinstanz vorhanden (d.h. der Erzähler rückt in den „Hintergrund“). Der innere Monolog wird immer durch die 1. und 2. Person Präsens Indikativ wiedergegeben. „Wie lang‘ wird denn das noch dauern? Ich muß auf die Uhr schauen… schickt sich wahrscheinlich nicht in einem so ernsten Konzert. Aber wer sieht’s denn? Wenn’s einer sieht, so paßt er gerade so wenig auf, wie ich, und vor dem brauch‘ ich mich nicht zu genieren… Erst viertel auf zehn?… Mir kommt vor, ich sitz‘ schon drei Stunden in dem Konzert. Ich bin’s halt nicht gewohnt… “ Arthur Schnitzler – Leutnant Gustl Bewusstseinsstrom Variante des Inneren Monologs, bei der nur noch assoziative Verknüpfungen zwischen einzelnen Gedanken vorliegen. Daher tritt auch keine Erzählerinstanz auf. Oftmals gibt es große Sprünge zwischen einzelnen Gedanken. Es fehlen verba dicendi („Sie sagte: „…“) und sentiendi („Er dachte: „…“), häufig auch Satzzeichen und weitere textstrukturierende Mittel (z.B. Absätze). „es geht doch nichts über so einen Kuß lang und heiß geht einem runter bis in die Seele ja lähmt einen fast und dann kann ich diese ganze Beichterei auf den Tod nicht ausstehen wie ich immer zu Pater Corrigan gegangen bin er hat mich angefaßt Pater na wenn schon was ist denn dabei und er gleich wo und ich wie ein richtiges Doofchen als Antwort am Kanalufer aber ich meine doch wo an deinem Körper mein Kind am Bein hinten oben ja ziemlich hoch oben wars dort wo du sitzt etwa ja o mein Gott konnte er nicht einfach Hintern sagen.“ James Joyce – Ulysses (Schlussmonolog der Molly Bloom) Typologisches Modell der Erzählsituationen (nach Franz Karl Stanzel) auktoriale Erzählsituation Die auktoriale Erzählsituation ist durch die Außenperspektive gekennzeichnet. Die Erzählerfigur berichtet über eine Welt, der sie selbst nicht angehört. Der Erzähler ist häufig allwissend und kann Ereignisse voraussehen. „Seit der Schwedenzeit waren die Wutze Schulmeister in Auenthal, und ich glaube nicht, daß einer vom Pfarrer oder von seiner Gemeinde verklagt wurde. Allemal acht oder neun Jahre nach der Hochzeit versahen Wutz und Sohn das Amt mit Verstand – unser Maria Wutz dozierte unter seinem Vater schon in der Woche das Abc, in der er das Buchstabieren erlernte, das nichts taugt.“ Jean Paul – Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal. personale Erzählsituation In der personalen Erzählsituation dominiert die Innenperspektive einer Figur (der Reflektorfigur) des narrativen Werkes. Das Geschehen wird in der Er- bzw. Sie-Form geschildert. Das Wissen, das der Leser erlangen kann, ist auf den Bewusstseinshorizont der Figur beschränkt. Manchmal wird das Geschehen auch aus der Perspektive mehrerer personaler Erzähler geschildert (Multiperspektivität). „Zunächst wollte er ruhig und ungestört aufstehen, sich anziehen und vor allem frühstücken, und dann erst das Weitere überlegen, denn, das merkte er wohl, im Bett würde er mit dem Nachdenken zu keinem vernünftigen Ende kommen. Er erinnerte sich, schon öfters im Bett irgendeinen vielleicht durch ungeschicktes Liegen erzeugten, leichten Schmerz empfunden zu haben, der sich dann beim Aufstehen als reine Einbildung herausstellte, und er war gespannt, wie sich seine heutigen Vorstellungen allmählich auflösen würden.“ Franz Kafka: Die Verwandlung. Ich-Erzählsituation Erzähler ist eine Figur der Handlung und gibt das Geschehen in der ersten Person Singular wieder. Beide gehören demselben Seinsbereich an. Das Wissen des Lesers ist auf den Wahrnehmungshorizont des erzählenden Ichs beschränkt. „Ich war sicher, dass sie schwarzhaarig ist. Aber sie ist blond. Sie steht auf meiner Fußmatte, das linke Auge zugekniffe, den Oberkörper leicht vorgebeugt zu der Stelle, an der sich eben noch, bei geschlossener Tür, die Linse des Spions befand. Ohne Eile richtete sie sich auf.“ Juli Zeh – Adler und Engel Unterscheidung von Textanfängen (nach Roland Harweg) emischer Textanfang Am Anfang des Textes wird alles ausladend für den Leser erklärt und eingeführt. Oft werden auf der Textoberfläche unbestimmte Artikel zur Charakterisierung von Personen und Orten verwendet („ein großer Mann“, „eine kleine Stadt“), die später weiter spezifiziert werden (z.B. „… lebte einmal ein Mann … der hieß XY…) Der emische Textanfang ist typisch für die auktoriale Erzählsituation (Stanzel). „Vor einem großen Walde wohnte ein armer Holzhacker mit seiner Frau und seinen zwei Kindern; das Bübchen hieß Hänsel und das Mädchen Gretel. Er hatte wenig zu beißen und zu brechen, und einmal, als große Teuerung ins Land kam, konnte er das tägliche Brot nicht mehr schaffen.“ Hänsel und Gretel (Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm) etischer Textanfang Es werden keine Erklärungen gegeben und vorausgesetzt, dass sich der Leser in der fiktionalen Welt auskennt. Oft werden auf der Textoberfläche bestimmte Artikel zur Charakterisierung von Personen und Orten verwendet („der große Mann“, „die kleine Stadt“). Es herrschen Pronomen ohne konkreten Bezug (referentless pronouns) und unvermittelte Namensnennungen vor. Der etische Textanfang ist typisch für die personale Erzählsituation (Stanzel). „Vor Tau und Tag stand er auf, stellte sich im Schlafanzug ans Fenster, es schneite und der Schnee blieb liegen. Er sah: Tauben auf den Antennen. Krähen auf den Lichtmasten. Schnee auf dem Meisenknödel, der am Zweig vor dem Balkon hing – die Vögel, aufgeweckt und aufgescheucht vom Blau des winterklaren Himmels, hatten hineingehackt. Schnee auf Ästen.“ Feridun Zaimoglu – Ruß Analysekategorien nach Gérard Genette Zeitliche Ordnung des Textes Analepse Die Erwähnung eines vergangenen Ereignisses (Retrospektion, Rückblende, Zeitsprung in die Vergangenheit). „Er stand vor dem Tor des Tegeler Gefängnisses und war frei. Gestern hatte er noch hinten auf den Äckern Kartoffeln geharkt mit den anderen, jetzt ging er im gelben Sommermantel, sie harkten hinten, er war frei.“ Alfred Döblin – Berlin Alexanderplatz Prolepse Prolepse bezeichnet einen Blick in das zukünftige Geschehen (Vorausschau, Zeitsprung in die Zukunft) „Diese Stadt heißt schon seit undenklichen Zeiten Leiden und hat noch nie gewußt, warum, bis am 12. Jänner des Jahres 1807. Sie liegt am Rhein in dem Königreich Holland und hatte vor diesem Tag elftausend Häuser, welche von vierzigtausend Menschen bewohnt waren, und war nach Amsterdam wohl die größte Stadt im Königreich. Man stand an diesem Morgen noch auf wie alle Tage, der eine betete sein Das walt Gott, der andere ließ es sein, und niemand dachte daran, wie es am Abend aussehen wird, obgleich ein Schiff mit siebenzig Fässern voll Pulver in der Stadt war.“ Johann Peter Hebel – Unglück der Stadt Leiden Erzähldauer Zeitdeckendes Erzählen Als zeitdeckendes Erzählen (auch: Isochronie bzw. Szene) bezeichnet man Erzählen, bei dem die Erzählzeit gleich der erzählten Zeit ist. „,Weißt Du, Grete, wir haben ein Nest in unserm Garten, und ganz niedrig, und zwei Junge drin.‘ ,Das wäre! Wo denn? Ist es ein Fink oder eine Nachtigall?‘ ,Ich sag’ es nicht. Du mußt es rathen.‘ Diese Worte waren an einem überwachsenen Zaun, der zwei Nachbargärten voneinander trennte, gesprochen worden. Die Sprechenden, ein Mädchen und ein Knabe, ließen sich nur halb erkennen, denn so hoch sie standen, so waren die Himbeerbüsche hüben und drüben doch noch höher und wuchsen ihnen bis über die Brust. ,Bitte, Valentin‘, fuhr das Mädchen fort, ,sag‘ es mir.‘ ,Rathe.‘ ,Ich kann nicht. Und ich will auch nicht.‘“ Theodor Fontane – Grete Minde Zeitraffendes Erzählen Zeitraffendes Erzählen oder auch summarisches Erzählen bezeichnet Erzählen, bei dem die Erzählzeit kürzer ist, als die erzählte Zeit. „Unterdessen wurde die Stadt Lissabon in Portugal durch ein Erdbeben zerstört, und der siebenjährige Krieg ging vorüber, und Kaiser Franz der Erste starb, und der Jesuitenorden wurde aufgehoben und Polen geteilt, und die Kaiserin Maria Theresia starb, und der Struensee wurde hingerichtet, Amerika wurde frei, und die vereinigte französische und spanische Macht konnte Gibraltar nicht erobern. Die Türken schlossen den General Stein in der Veteraner Höhle in Ungarn ein, und der Kaiser Joseph starb auch. Der König Gustav von Schweden eroberte russisch Finnland, und die französische Revolution und der lange Krieg fing an, und der Kaiser Leopold der Zweite ging auch ins Grab. Napoleon eroberte Preußen, und die Engländer bombardierten Kopenhagen, und die Ackerleute säetn und schnitten.“ Johann Peter Hebel – Unverhofftes Wiedersehen Zeitdehnendes Erzählen Beim zeitdehnenden Erzählen ist die Erzählzeit länger als die erzählte Zeit. Der Kellner des Gasthofes „Zum Elefanten“ in Weimar, Mager, ein gebildeter Mann, hatte an einem fast noch sommerlichen Tage ziemlich tief im September des Jahres 1816 ein bewegendes, freudig verwirrendes Erlebnis. Nicht, dass etwas Unnatürliches an dem Vorfall gewesen wäre; und doch kann man sagen, dass Mager eine Weile zu träumen glaubte. Mit der ordinären Post von Gotha trafen an diesem Tage, morgens kurz nach 8 Uhr, drei Frauenzimmer vor dem renommierten Hause am Markte ein, denen auf den ersten Blick – und auch auf den zweiten noch – nichts Sonderliches anzumerken gewesen war. Ihr Verhältnis unter einander war leicht zu beurteilen: Es waren Mutter, Tochter und Zofe. Mager, der, zu Willkommsbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte zugesehen, wie der Hausknecht den beiden ersteren von den Trittbrettern auf das Pflaster half, während die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager verabschiedete, bei dem sie gesessen hatte, und mit dem sie sich gut unterhalten zu haben schien. Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich im Gedanken an den auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen, und folgte ihr in einer Art von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indeß sie nicht ohne unnötige Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand. Thomas Mann – Lotte in Weimar Erzähl-frequenz Singulatives Erzählen „Einmal erzählen, was sich einmal ereignet hat.“ „Den 20. Januar ging Lenz durch’s Gebirg.“ Georg Büchner – Lenz Repetitives Erzählen „Wiederholt erzählen, was sich einmal ereignet hat“ Uwe Johnson – Mutmaßungen über Jakob Iteratives Erzählen „Einmal erzählen, was sich wiederholt ereignet hat.“ „An diesem Platz waren Mutter und Tochter seit fünfzehn Jahren alle Tage von April bis November bei beständiger Arbeit friedlich dahingegangen. Am ersten November durften sie dann ihren Winterplatz am Kamin beziehen. Erst an diesem Tag erlaubte Grandet, daß im Saal Feuer gemacht wurde, und am einunddreißigsten März liefß er es löschen, ohne dabei auf die ersten Fröste des Herbstes oder die letzten des Frühlings Rücksicht zu nehmen.“ Honoré de Balzac – Eugénie Grandet Modus des Erzählens Distanz / Mittelbarkeit Wenn das Erzählte mittelbar erzählt wird, spricht man vom narrativen Modus (mit Distanz), wenn das Erzählte unmittelbar erzählt wird hingegen vom dramatischen Modus (ohne Distanz). Zwischen narrativem und dramatischem Modus steht die transponierte Rede. Der narrative Modus entspricht dem telling und der dramatische Modus dem showing. Im narrativen Modus meldet sich der Erzähler häufig zu Wort, im dramatischen Modus hingegen tritt er hinter den Text zurück. Bsp. Narrativer Modus: „Damit klarer werde, was gleich anfangs zu wissen nötig, ist jenen Briefen [die vorher zu lesen waren] noch hinzuzufügen, daß bald darauf, als Nathanaels Vater gestorben, Clara und Lothar, Kinder eines weitläuftigen Verwandten, der ebenfalls gestorben und sie verwaist nachgelassen, von Nathanaels Mutter ins Haus genommen wurden. Clara und Nathanael faßten eine heftige Zuneigung zueinander, wogegen kein Mensch auf Erden etwas einzuwenden hatte; sie waren daher Verlobte, als Nathanael den Ort verließ um seine Studien in G. - fortzusetzen. Da ist er nun in seinem letzten Brief und hört Kollegia bei dem berühmten Professor Physices, Spalanzani.“ E. T. A. Hoffmann – Der Sandmann Bsp. Dramatischer Modus: „An einem der letzten Maitage, das Wetter war schon sommerlich, bog ein zurückgeschlagener Landauer vom Spittelmarkt her in die Kur- und dann in die Adlerstraße ein und hielt gleich danach vor einem, trotz seiner Front von nur fünf Fenstern, ziemlich ansehnlichen, im übrigen aber altmodischen Hause, dem ein neuer, gelbbrauner Ölfarbenanstrich wohl etwas mehr Sauberkeit, aber keine Spur von gesteigerter Schönheit gegeben hatte, beinahe das Gegenteil. Im Fond des Wagens saßen zwei Damen mit einem Bologneserhündchen, das sich der hell- und warmscheinenden Sonne zu freuen schien. Die links sitzende Dame von etwa dreißig, augenscheinlich eine Erzieherin oder Gesellschafterin, öffnete, von ihrem Platz aus, zunächst den Wagenschlag und war dann der anderen, mit Geschmack und Sorglichkeit gekleideten und trotz ihrer hohen Fünfzig noch sehr gut aussehenden Dame beim Aussteigen behülflich.“ Theodor Fontane – Jenny Treibel Fokalisierung Fokalisierung bezeichnet die Wahrnehmungsinstanz eines Textes. Die Instanz also, die sieht, hört, riecht, schmeckt, spürt, fühlt, denkt. Bei der Nullfokalisierung ist die Wahrnehmung an keine Figur gebunden (siehe auktorialer Erzähler bei Stanzel). Bei der Nullfokalisierung weiß der Erzähler immer mehr, als die Figuren selbst. Bei der internen Fokalisierung ist die Wahrnehmung an eine bestimmte Figur gebunden (vgl. personaler Erzähler bei Stanzel). Bei der externen Fokalisierung ist die Wahrnehmung nicht an eine Figur der erzählten Welt gebunden. Der Erzähler jedoch weiß weniger und nimmt weniger wahr als die Figuren. Bsp. Nullfokalisierung: „In Front des schon seit Kurfürst Georg Wilhelm von der Familie von Briest bewohnten Herrenhauses zu Hohen-Cremmen fiel heller Sonnenschein auf die mittagsstille Dorfstraße, während nach der Park- und Gartenseite hin ein rechtwinklig angebauter Seitenflügel einen breiten Schatten erst auf einen weiß und grün quadrierten Fliesengang und dann über diesen hinaus auf ein großes, in seiner Mitte mit einer Sonnenuhr und an seinem Rande mit Canna indica und Rhabarberstauden besetztes Rondell warf.“ Theodor Fontane – Effi Briest „Bsp. Interne Fokalisierung Wie erstaunte Nathanael, als er in seine Wohnung wollte und sah, daß das ganze Haus niedergebrannt war, so daß aus dem Schutthaufen nur die nackten Feuermauern hervorragten.“ E. T. A. Hoffmann – Der Sandmann Bsp. Externe Fokalisierung „Herr Thienwiebel war jetzt ganz eifrig geworden. Seine Langeweile von vorhin schien er völlig vergessen zu haben. Er schien es sogar nicht bemerkt zu haben, daß dem kleinen zappelnden Wurm auf seinen Knien der Schnuller wieder heruntergekullert war.“ Arno Holz – Papa Hamlet Stimme Zeitpunkt Zeitpunkt des Erzählens meint, dass der Erzählakt später gleichzeitig oder früher als das Erzählte stattgefunden haben kann. Genette unterscheidet zwischen früherem Erzählen, gleichzeitigem Erzählen, späterem Erzählen und eingeschobenem Erzählen. Bsp. Früheres Erzählen „Wenn Mittag kommen wird, wirst du dich auf der hinteren Plattform eines Autobusses befinden, auf der viele Fahrgäste zusammengepfercht sein werden.“ Raymond Queneau – Stilübungen Bsp. Gleichzeitiges Erzählen „Durch die halboffene Tür sehe ich den lehmigen, aufgestampften Weg und die morschen Bretter um den Schweinekofen. Der Rüssel des Schweines schnuppert in der breiten Fuge wenn er nicht schnaufend und grunzend im Schlamm wühlt. Außerdem sehe ich noch ein Stück der Hauswand, mit zersprungenem, teilweise abgebröckeltem gelblichen Putz, ein paar Pfähle, mit Querstangen für die Wäscheleinen, und dahinter, bis zum Horizont, feuchte, schwarze Ackererde“ Peter Weiss – Der Schatten des Körpers des Kutschers Bsp. Späteres Erzählen „Es war im Jahr 1763, wo der Hubertsburger Friede zur Welt kam und gegenwärtiger Professor der Geschichte von sich; - und zwar in dem Monate, wo mit ihm noch die gelbe und graue Bachstelze, das Rotkehlchen, der Kranich, der Rohrammer und mehre Schnepfen und Sumpfvögel anlangten, nämlich im März; - und zwar an dem Monattage, wo, falls Blüten auf seine Wiege zu streuen waren, gerade dazu das Scharbock- oder Löffelkraut und die Zitterpappel in Blüte traten, desgleichen der Ackerehrenpreis oder Hühnerbißdarm, nämlich am 21ten März; - und zwar in der frühesten frischesten Tagzeit, nämlich am Morgen um 1½ Uhr; was aber alles krönt, war, daß der Anfang seines Lebens zugleich der des damaligen Lenzes war.“ Jean Paul – Selberlebensbeschreibung Stellung Mit dem Begriff der Stellung ist die Stellung des Erzähler zum Erzählten gemeint. Genette unterscheidet grundsätzlich zwischen dem homodiegetischen Erzähler,der Teil der erzählten Welt (Diegese) ist und dem heterodiegetischen Erzähler, der nicht selbst Teil der erzählten Welt ist. Ein Sonderfall des homodiegetischen Erzählers ist der autodiegetische Erzähler, dergleichzeitig die Hauptfigur der Erzählung ist. Bsp. Homodiegetisches Erzählen „Ich lief den dunklen, schmalen Korridor runter, wo nicht viel zu erkennen war, dann links in den Gang mit dem Eisengeländer und drückte mich mit dem Rücken an die Wand, die zwei Tanks und die Türöffnung im Blickfeld. Ich sah Tschick im Dauerlauf um die Ecke biegen, heftete mich an seine Fersen und konnte sogar von hinten erkennen, wie ratlos er war.“ Wolfgang Herrndorf – Tschick Bsp. Heterodiegetisches Erzählen „Die Sonne neigte sich bereits zum Untergang, als Agathon, der sich in einem unwegsamen Walde verirret hatte, von der vergeblichen Bemühung einen Ausgang zu finden abgemattet, an dem Fuß eines Berges anlangte, welchen er noch zu ersteigen wünschte, in Hoffnung von dem Gipfel desselben irgend einen bewohnten Ort zu entdecken, wo er die Nacht zubringen könnte. Er schleppte sich also mit Mühe durch einen Fußweg hinauf, den er zwischen den Gesträuchen gewahr ward; allein da er ungefähr die Mitte des Berges erreicht hatte, fühlt er sich so entkräftet, daß er den Mut verlor den Gipfel erreichen zu können, der sich immer weiter von ihm zu entfernen schien, je mehr er ihm näher kam. Er warf sich also ganz Atemlos unter einen Baum hin, der eine kleine Terrasse umschaltete, auf welcher er die einbrechende Nacht zuzubringen beschloß.“ Christoph Martin Wieland – Die Geschichte des Agathon Ebene In einem Erzähltext erzählt ein Erzähler eine Geschichte. Innerhalb der erzählten Welt können aber wiederum Erzählakte angesiedelt sein. In der zweiten Ebene können wiederum Erzählungen eingebettet sein (Binnenerzählung). Daher unterscheidet Genette zwischen primärem, sekundärem und tertiärem Erzählen. Bei Texten, die im Stil einer Textmontage verfasst sind, kann man nicht sinnvollerweise von einem „Erzähler“ sprechen. Bsp. Primäres Erzählen „Eduard - so nennen wir einen reichen Baron im besten Mannesalter - Eduard hatte in seiner Baumschule die schönste Stunde eines Aprilnachmittags zugebracht, um frisch erhaltene Pfropfreiser auf junge Stämme zu bringen. Sein Geschäft war eben vollendet; er legte die Gerätschaften in das Futteral zusammen und betrachtete seine Arbeit mit Vergnügen, als der Gärtner hinzutrat und sich an dem teilnehmenden Fleiße des Herrn ergetzte.“ Johann Wolfgang von Goethe – Die Wahlverwandtschaften Bsp. Sekundäres Erzählen „Ihm gab Antwort darauf der kluge Odysseus und sagte: Herrscher Alkinoos, ausgezeichnet vor sämtlichen Männern, angenehm ist es, einem Sänger zu lauschen wie diesem, dessen Gesang so herrlich erklingt wie Stimmen der Götter! [...] Nennen will ich zu Anfang den Namen: Ihr müßt ihn erfahren - ich will künftig, sofern ich dem Tage des Todes entrinne, gastlich euch aufnehmen, wohne ich auch in der Ferne! Odysseus bin ich, der Sohn des Laërtes, durch allerlei listige Taten weltbekannt. [...] Lasse dir jetzt von mir die leidige Heimfahrt berichten, die der Kronide mir nach dem Aufbruch von Troja bescherte! Fort von Ilion trieb mich der Wind [usw.]“ Homer – Odyssee Bsp. Tertiäres Erzählen „Aber bevor ich noch zu antworten vermochte, saß er schon wieder neben mir. „Laß, laß!“ sagte er, sich besinnend; „es bedeutet ja eigentlich das Beste, was das Leben mir gegeben hat. - Ich will es dir erzählen; wir haben wohl noch Zeit dazu. - In diesem Haus und Garten bin ich aufgewachsen, meine braven Eltern wohnten hier, und hoffentlich wird einst mein Sohn hier wohnen!“ Theodor Storm – Pole Poppenspäler Bsp. Textmontage „Der Rosenthaler Platz unterhält sich. Wechselndes, mehr freundliches Wetter, ein Grad unter Null. Für Deutschland breitet sich ein Tiefdruckgebiet aus, das in seinem ganzen Bereich dem bisherigen Wetter ein Ende bereitet hat. [usw.]“ Alfred Döblin – Berlin Alexanderplatz http://www.li-go.de/definitionsansicht/ligostart.html http://www.einladung-zur-literaturwissenschaft.de/ http://wikis.sub.uni-hamburg.de/lhn/index.php/Main_Page