TÖPFEREI- UND KERAMIKFORSCHUNG TÖPFEREIFORSCHUNG - ARCHÄOLOGISCH, ETHNOLOGISCH, VOLKSKUNDLICH herausgegeben von HARTWIG LÜDTKE UND RÜDIGER VOSSEN Beiträge des Internationalen Kolloquiums 1987 in Schleswig herausgegeben von HARTWIG LÜDTKE UND RÜDIGER VOSSEN Band 2 i ! i 1991 1991 DR. RUDOLF HABELT GMBH • BONN DR. RUDOLF HABELT GMBH • BONN Rüdiger Vossen ETHNOARCHÄOLOGISCHE ANALOGIEN - MÖGLICHKEITEN UND GEFAHREN - Ethnoarchäologische Forschung hat sich seit den 60er und 70er Jahren jenseits des Atlantik zu einem eigenen Forschungszweig entwickelt, zu einer "distinct sub-discipline of anthropology", wie Daniel Stiles von der University of California in einem zusammenfassenden Beitrag 1977 ausführt (Stiles 1977, 97f.). Wir Europäer ziehen nur langsam nach, behindert durch die Erblast der institutionellen Trennung der anthropologischen Disziplinen in Archäologie mit ihren diversen Spezialisierungen, Ethnologie, Alt-Amerikanistik, Afrikanistik, Orientalistik, europäische Ethnologie oder Volkskunde, die in den USA alle unter dem einen Dach "Anthropology" angesiedelt sind. Doch auch in Europa gibt es mittlerweile hoffnungsvolle Ansätze, wie verschiedene Publikationen seit den 60er Jahren beweisen, Z.B. Annis 1983, 1984, 1985a,b, 1988; Balfet 1965, 1973, 1984; Eggert 1976a,b, 1977, 1978, 1986, 1988; Engelbrecht 1987; Gruner 1973, 1988; Hampe/Winter 1962, 1965; Röpke 1974, 1985; Köpke/Graf 1988; van der Leeuw 1976, 1984; van der Leeuw/Pritchard 1984; Lücke 1982, 1988; Mershen 1988; Papousek 1982, 1984; Peacock 1981, 1982; Schneider 1988; Vossen 1969a,b, 1972a,b, 1974, 1984, 1988; Vossen/Ebert 1986 - sowie verschiedene Beiträge in diesem Band, außerdem nationale (Lübeck 1985 unter dem Thema "Töpfereiforschung zwischen Archäologie und Entwicklungspolitik", publiziert als "Töpferei- und Keramikforschung I" (Vossen 1988 ed.) und internationale Symposien (Lee/Niederlande, vgl. van der Leeuw/Pritchard, eds., 1984). Was versteht man aber heute unter Ethnoarchäoloqie? Stiles (1977, 87) definiert: The subdiscipline is defined broadly as encompassing all the theoretical and methodological aspects of comparing ethnographic and archaeological data, including the use of the ethnographic analogy and archaeological ethnography. 22 23 R.A. Gould prägte 1968 den Begriff "living archaeology", den er wie folgt definierte (Gould 1971, 29): As I would define it here, living archaeology is the actual effort made by an archaeologist or ethnographer to do fieldwork in living human societies, with special reference to the "archaeological" patterning of the behaviour in those societies. Ethnoarchaeology, as I see it, refers to a much broader general framework for comparing ethnographic and archaeological patterning. In this latter case, the archaeologist may rely entirely upon published and archival sources or upon experimental results... Thus ethnoarchaeology may include studies of "living archaeology" along with other approaches as well. Es lag wohl in der Luft, daß ich selbst in meiner Dissertation über eine archäologische Analyse rezenter Amazonaskeramik unabhängig von Gould zuvor (19 68) ebenfalls von "lebendiger Archäologie" sprach (Vossen 1969b, 73): Unter lebendiger Archäologie verstehe ich die archäologische Behandlung ethnographisch dokumentierter Objekte sowie ethnographische Feldforschung mit archäologischer Fragestellung. Das wichtigste Anliegen ist die systematische Untersuchung derjenigen Kulturbereiche einer ethnischen Einheit, die voraussichtlich in einer archäologischen Situation erhalten oder bruchstückhaft faßbar bleiben ... Archäologisch von Interesse ist in erster Linie der Bereich der materiellen Kultur unter Einbeziehung- des Funktionszusammenhanges dieser Erscheinungen. Methodisch gesehen wird das ethnographisch faßbare Material als jüngste archäologische Fundschicht betrachtet. I» Mittelpunkt ethnoarchäol.ogisqher Forschung steht der Vergleich archäologischer Funde oder Befunde mit ethnographischen Beobachtungen öder Ha*tre-rialieTr™fflit"deih Ziel einer besseren Deutung des archäologischen Materials. Wichtigstes Hilfsmittel ist der Analogieschluß oder der Vergleich mit "ethnographischen Parallelen", wie man im 19. Jahrhundert formulierte (1). Die leichtfertige oder unkritische Übertragung ethnographischer Parallelen' heute lebender sogenannter Naturvölker zur Deutung archäologischer Befunde .im Rahmender Kulturkreislehre und des Evolutionismus hatte bis etwa zur Mitte dieses Jahrhunderts zu einer berechtigten Kritik und Ablehnung dieser Methode geführt . Anfang der 50er Jahre plädierte Grahame Clark wieder für eine vorsichtige Verwendung von Analogien unter bestimmten Bedingungen, etwa für einen Vergleich von archäologischen und ethnographischen Befunden aus dem gleichen Wirtschaftshorizont unter ähnlichen ökologischen Verhältnissen. Gleichzeitig schränkte er ein (Clark 1953, 355, zitiert nach Orme 1974, 201): ...although the comparative method is likely to give useful clues to general conditions, it can be a dangerous guide to the particular manifestation of culture... The main use of ethnographic comparisons for the interpretation of Old Stone Age cultures is to spur the prehi-storian to further effort and provide him with clues for purpositive archaeological research. An anderer Stelle sagt er abschließend (Clark 1953, 357) : Comparative ethnography can prompt the right questions; only archaeology in conjunction with the various natural sciences can give the right answers. Eine ähnliche Ansicht vertritt G. Childe, wenn er in seinem berühmten Buch "Piecing together the past" feststellt (Childe 1956, 49): Ethnographic parallels in fact afford only clues in what direction to look for an explanation in the archaeological record itself. Dabei betont er, daß lokale Parallelen stets nützlicher und verläßlicher seien als "exotische". In Nordamerika wuchs von archäologischer Seite das Interesse an ethnographischen Parallelen mit den 50er 24 und vor allem den 60er Jahren. Gewisse Berühmtheit erlangte das Bekenntnis der Archäologen G. Willey und W. Phillips (1958, 2): American archaeology is anthropology or it is nothing. Willey hatte 1953 unter der Überschrift "What Archaeologists Want from Ethnology" sieben Komplexe genannt, zu denen die Archäologen Einzelheiten und ethnographisches Vergleichsmaterial haben wollten (Willey 1953): 1. Ökologie: Wie beuten bestimmte Leute ihre Umwelt aus, wie verändern sie diese? 2. Unterhalts- und Überlebenstechniken in ihrer Beziehung zu Werkzeugen und Werkzeugverhalten. 3. Haus- und Siedlungsformen: Hausbau, Funktionstypen, demographische Entwicklung. 4. Technologie: Herstellungsmethoden und -tech-niken, Arbeitsteilung, Einflüsse von Heiratsregeln, Sozial- und Klassenstrukturen und Besitzformen. 5. Kunst: Zeremonialbereich, Begräbnisformen, Vorstellungen vom Leben nach dem Tode. 6. Strukturwandel, Diffusion, Akkulturation; Annahme und Ablehnung von Innovationen; Verbreitung von Ideen, Objekttypen und Technologien; die Rolle einzelner Persönlichkeiten. 7. Problem der kulturellen Typen und Modelle: Frage nach den Unterscheidungsmerkmalen von Objektoder Stiltypen, der Abgrenzung von kulturellen Einheiten usw. In seinem grundlegenden Beitrag "Analogy in Archaeological Interpretation" formulierte R. Ascher 1961 erstmalig in systematischerer Weise Bedingungen und Grenzen für die Heranziehung von ethnographischen Analogien (Ascher 1961, 318ff.). Einleitend unterscheidet «j^jg, Kategorien von Analogien^ i^sKsföw»««* 1. Analogien _in^ den Regionen, wo Zeitgeschichte in Archäologie übergeht ("where history grades into archaeology" ), oder wo eine Analyse der ethnographischen Gegenwart und del^Tirchaoiofflachen" Daten eine Kontinuität^ .anzeigen. Äsche? ne'fint diesen Vergleich "folk-culture approach" oder in Anlehnung an J. Stewards Arbeit von 1942 "The Direct Historical Approach to Archaeology" - "direct historical, approajcJa," • 2. Analogien alfg'ST^ftrer^Art in den Fällen, wo keine historische Kontinuität feststellbar ist, nennt Ascher 25 tinewajTaAflgyJi.. Für ihre Anwendung formulierte er in jQ^éímung an Clark und Childe die folgenden Bedingungen: Ausgehend von der Feststellung, daß mehrere _Analogien zur Interpretation archäologischer Daten heraňgéžógéfi" werden könnten, müßten die besten_ durch Ausscheidung der schlechtesten in systematischer Weise ausgewählt werden. Positive Kriterien seien: ... _ 1. Zugehörigkeit zum gleichen Wirtschaftshorizont, , 2. zeitliche, räumliche und formale Nähe zur archäologischen Situation, 3. Entsprechungen zwischen dem archäologischen und \ dem ethnographischen Befund (Ascher 1961, 322f.). ma__^„____. Da die meisten ethnographischen Beschreibungen für. die a~ŕchaologKtSi^^^^^BCTfiÄÄT unzüreichend , seien, müßten 'Archäologen"gegebenenfalls selbst tätig werden, u»""*£n "heutigen Gesellschaften ihre eigenen Inventáre zusammenzustellen. Daneben müsse man die relevante ethnographische Literatur z.B. zur Töpferei und dem assoziierten Verhalten in speziellen Datenbanken erfassen. Abschließend betont Ascher die wechselseitige Abhängigkeit von Archäologie und Ethnologie. Im Bereich der Interpretation hänge die Archäologie von den ethnographischen Daten ab, die Ethnologie dagegen von der zeitlichen Tiefe der archäologischen Studien. Außerdem seien Archäologie und Ethnologie miteinander verzahnt im Bereich des Wegwerfverhaltens (Ascher 1961, 324): Some portions of materials are falling into disuse and decomposing, while nevr materials are being added as replacement. In a certain sense a part of every community is becoming archaeolo-gical data. Schon bald meldete sich jedoch verstärkter Protest von Seiten der Archäologen gegen die ihrer Meinung nach zu starke und irreführende Orientierung an ethnographischen Beobachtungen. Bereits M.A. Smith hatte 1955 starke Zweifel an dem Wert ethnographischer Analogien geäußert. Haupteinwände: Die verwirrende Vielfalt der Kulturen und der menschlichen Verhaltensformen mache eine Auswahl der denkbaren Analogien unmöglich; es bestehe keine logische und beständige Beziehung zwischen materieller Kultur und menschlichem Verhalten; das Interpretationsproblem könne auch nicht durch verbesserte Ausgrabungs- und gelöst werden (Smith 1955, 6). Auswertungstechniken Auch die französischen Höhlenmalerei-Experten Laming und Leroi-Gourhan wenden sich gegen eine leichtfertige Übertragung ethnographischer Analogien bei der Interpretation prähistorischer Kunst. Leroi-Gourhan geht sogar soweit zu fordern, alle auf Analogieschluß aufbauenden Hypothesen auszuschließen und die Daten nur aus sich heraus zu interpretieren (Orme 1974, 204). Der amerikanische Archäologe L.R. Binford billigt den ethnographischen Analogien in diversen Beiträgen von 1962 bis 1968 lediglich eine heuristische Funktion zu als Quelle zum Test von Hypothesen, die materielle Kultur und diesbezügliche Verhaltensweisen zum Inhalt hätten oder als Basis für Modelle, die soziale Beziehungen und die beobachtete archäologische struktur in Verbindung brächten (Binford 1968, 270). Binford bekennt sich wie G. Willey zu dem Grundsatz "Archaeology is anthropology", betont aber gleichzeitig die eigenständige Rolle der Archäologen, zur Feststellung und Erklärung kultureller Unterschiede und Ähnlichkeiten vergangener Kulturen Grundlegendes beitragen zu können (Binford 1962, 224): Archaeology must accept a greater responsibility in the furtherance of the aims of anthropology. . We as archaeologists have available a wide range of variability and a large sample of cultural systems. Ethnographers are restricted to the small and formally limited extant systems. Schon aufgrund des breiteren Spektrums der archäologischen Kulturen sei die Suche nach ethnographischen Parallelen häufig vergeblich und gefährlich, wenn durch diese Blickverengung andere Erkenntnismöglichkeiten verbaut würden. L.G. Freeman stellt dieses letzte Argument in den Mittelpunkt seines Beitrages "A Theoretical Framework for Interpreting Archaeological Materials". Mit dem Hineinpressen prähistorischer Daten in ein ethnographisches Interpretationskorsett würde die Aufdeckung soziokultureller Strukturen, die hui prähistorisch existieren^ verbaut (Freeman 1968, 262). Statt dessen schlägt Freeman ein im wesentlichen befundorientiertes Modell zur Minimierung von Analogien vor: It necessitates the slow and painstaking isolation of regular types of associations of materi- als, and their formal equation with activity types. B. Orme faßt in seinem lesenswerten Beitrag "Twentieth-Century Prehistorians and the Idea of Ethnographie Parallels" die hauptsächlichen ^Einwände gegen die Verwendung vqrT' ethnqgrap^Tschen Parallelen zusammen": Ein" ethnographischer Vergleich ist aus folgenden Gründen nicht möglich oder irreführend (Orme 1974, 205): 1. Die Tatsache einer kontinuierlichen sowohl biologischen als auch kulturellen menschlichen Evolution, verbunden mit dem Aussterben oder möglichen Verschwinden früherer Formen; d.h. prähistorische Zustände seien mit den heutigen nicht vergleichbar. 2. Der Mangel an bekannten Beziehungen zwischen Verhaltensmustern und ihren materiellen Manifestationen. 3. Die Verschiedenartigkeit archäologischer und ethnographischer Studien sowohl hinsichtlich der Ziele und Methoden als auch der verfügbaren Daten. 4. Der Mangel an ethnographischen Studien in Bereichen, die für die Archäologie relevant erscheinen. 5. Die Korrelationen zwischen einem Aspekt archäologischer und ethnographischer Gesellschaften implizierten nicht notwendigerweise Korrelationen mit anderen Aspekten. 6. Es gibt keine Möglichkeit, Analogien zu überprüfen oder zu beweisen. 7. Es gibt keine Möglichkeit, die wahrscheinlichen Analogien von der großen Vielfalt der möglichen zu unterscheiden. 8. Der Gebrauch von Analogien wirke restriktiv und begrenze die Spanne der Interpretationsmöglichkeiten. Angesichts der fast erdrückenden Anzahl von Argumenten gegen die Verwendung von Analogien scheint es vermessen zu sein, dennoch für eine fallweise und vorsichtige ethnoarchäologische Analogiebildung zu plädieren. Doch genau dieses möchte ich tun, zunächst aus der allgemeinen Erkenntnis heraus, daß unser Vorstellungs- und Interpretationsvermögen, von. K^fSCI^^T^IcKrarDct ist, begrenzt"'""'durch' "unseren eigenen. Erfahrüngshorizont, unsere VorblYduncu ,unsere_eigene Kultur. Unser Denken Ist etKnozentristisch geprägt. Wir sehen nur das be- wüßt, was wir zu sehen gelernt haben. Versucht der Archäologe, seine Ausgrabungsbefunde lediglich auf der Basis des"Pundzusammenhanges zu interpretieren, erliegt er einer Schein-Objektivität, dem sein scheinbar "gesunder Menschenverstand" und seine Kenntnis vergleichbarer- publizierter Ausgrabungsbefunde zugrundeliegen. Zur Weitung des Blickfeldes über den Tellerrand der 'Sigeneri"Kultur hinaus ist gerade für den Kulturanthropologen und™ Archäologen eine intensive Beschäftigung mit den archäologisch relevanten Bereichen anderer Kulturen zwingend erforderlich, am besten in Form eigener ethnoarchäologischer Studien. D. Stiles bringt im Anhang seines eingangs zitierten Beitrages über Ethnoarchäologie eine knappe Übersicht der Bereiche, die ethnoarchäologisch besonders aussagekräftig erscheinen (Stiles 1977, 102f.) (2). Im Gegensatz zu Laming und Leroi-Gourhan setzt sich der englische Archäologe P.J. Ucko sehr für eine intensive Beschäftigung mit ethnographischen Parallelen ein mit folgender Begründung (Ucko 1967, 157-158) (3): Je variationsreicher und zahlreicher die Analogien sind, die angeführt werden können, desto liräTirscheiniicher findet man eine überzeugende Interpretation für einen archäologischen Befund. Je zahlreicher und detaillierter die Parallelen sind, desto leichter kann man feststellen, ob die Ähnlichkeit einer bestimmten Parallele signifikant ist, und desto größer ist die Möglichkeit, sie im Vergleich mit Inhalt und Zusammenhang des archäologischen Materials in Deckung zu bringen. Es ist interessant festzustellen, daß diejenigen, die zunächst selbst zu den schärfsten Kritikern der Verwendung ethnographischer Parallelen zählten, nach eigener Feldforschung zu Befürwortern geworden sind. B. Orme führt als Beispiele Laming-Emperaire und Binford an. Letzterer hatte bei den Nord-Alaska-Eskimo Feldforschung gemacht. Anschließend äußerte er sich aufgrund von Untersuchungen der Fischerei-Technologie wie folgt (Orme 1974, 210): If you say that we cannot use ethnographic analogy, you must also say that we cannot use archaeological analogy, data from another site. 29 Binford plädiert sogar für eine Aufhebung der Trennung von Archäologie und Ethnologie, wenn es um eine gemeinsame Sache gehe, d.h. zum Beispiel eine Untersuchung eines bestimmten Aspektes menschlichen kulturellen Verhaltens sowohl unter archäologischen als auch unter ethnographischen Aspekten. Diese Untersuchungen könnten theoretisch von einem Anthropologen als Archäologen und Ethnologen in einer Person durchgeführt werden, besser jedoch von einem kleinen Team. Stiles kommt zu dem Schluß, daß^e^hjaasr^JxiscJ^^ in drei Ber^icÄej3,JBitTg:r,9JJßji. Gewinnt herangezogen, werden '""yögln"(Stiles 1977, 94): zur Analogiebildung, zur Entwicklung von Hypothesen und Modellen, .Test von Hypothesen. In meiner Arbeit "Archäologische Interpretation und ethnographischer Befund" bin ich vor 20 Jahren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen, als ich formulierte (Vossen 1969b, 73): Drei unterschiedliche Forschungsbereiche der "lebendigen Archäologie" können für die zukünftige Zusammenarbeit von Archäologie und Ethnologie von Bedeutung sein: 1. Die Überprüfung archäologischer Hypothesen und Klassifikationstechniken durch ihre Anwendung auf ethnographisches Material, 2. die Ableitung von Klassifikationskriterien einheimisch gebräuchlicher Ordnungssysteme und ihre Übertragung auf archäologisches Material, 3. Der Entwurf von Modellen zur Analyse und Interpretation archäologischer Funde und Befunde. In dem engen Bereich der Töpferei- und Keramikforschung, dem zentralen Thema dieses Kolloguiums, ist,j|ie Gefahr einer unzulässigen Anwendung von ethnographischen PäralTelerT" etwa auf die " Tokaleh scfileswig-höl steinischen Verhältnisse^ des Mittelalters gering, wenn wir bei der Auswahl der Analogien die folgenden fünf Fragen berücksichtigen:" —~ _ 30 Gehören der archäologische Befund sowie die fragliche Analogie dem gleichen Wirtschaftshori-zont und Kulturtypus an? Herrschen aufbeiden Seiten vergleichbare,.geographische und _k^matJasltMLJfeS^1^n33se? ist die raflSTfcKe' und' zeitl.ic.he....Differenz..zwischen AnalpgIe"i^dÄ gering? Entsprechen sich die verglichenen Formen oder Prozesse in der Mehrzähl ihrer Merkmale? Lassen sich Parallelen ziehen zwischen dem Fundzusammenhang der archäologischen Objekte aus geschlossenen Funden und dem Funktionszusammenhang von gesichertem ethnographischem Material? Ausgehend von eigenen töpfereibezogenen Landesaufnahmen in Spanien und Marokko, halte ich in einem ge^ralist'r-schen' Vergleich als mögliche .Denka.nstöße für "Mitteläl- -ter-Archäologen und Prähistoriker die folgenden Ergebnisse, die ich thesenartig vortragen möchte, für ver- "gXe Tc R 's relevant: 1 Im gleichen Zeithorizont 1970 bis 1987 e^cistie-ren in Marokko in enger Nachbarschaft unter"--^"chiedliche Töpf ereitraditionen nebeneinander! Frauentopferei ohne Töpferscheibe im Ri'f-Gebirge und inselartig in den Provinzen El Kelaa des Sraghna, Meknes und Settat sowie auf den Kanarischen Inseln; Frauentöpferei mit niedriger Handtöpfer- oder Kreuzscheibe in Spanien und Portugal (4) ; Männertöpferei in Aufbautechnik ohne Töpferscheibe vereinzelt in Spanien und Marokko; Männertöpferei mit niedriger Blockscheibe in Südmarokko; Männer- und gleichzeitig Frauentöpferei auf niedrigem Drehtisch mit Assistenzbetrieb vereinzelt in Nordmarokko; Männertöpferei auf der schnell laufenden Fußschubscheibe in den Städten, mit dem Fußdrehtisch auf dem Lande (5). Gleichzeitig bestehen die unterschiedlichsten Formen der Tonaufbereitung nebene^näjiäerl^ das Schlegel-Siebsystem im Trockenverfahren verbreitet auf dem Lande in Marokko, vereinzelt auch in Spanien und in marokkanischen Städten. Brennöfen und Brennstellen finden sich in unterschiedlichster Ausprägung zeitgleicK nebeneinander : Brenjpa;rub£&^ui^^ in Marokko, im nordwestlichen Rif Brot^fen als Töpferöfen, in den Städten und größeren Zentren I 31 ebenso wie in Spanien Zweikammer-Kuppel- oder Schachtöfen mit Scherbenabdecküng (6). 4. Töpferorte sind _netzartig_...üb§x...das ganz e .Land verstrebt - in Abstanden, von, durchschnitt km voneinander entfernt; anstelle eines Töpferortes kann in diesem Netz auch ein Marktort die Verteilerfunktion übernehmen (7). 5. Die tr¥gionale Verbreitung] der Tonware eines TupferZentrums ist abhängig von geographischen FäTctoferi, von' i^^^änsporfiäo^Kr^TCäl't'Ön, "der Qualität des Angebotes und von der Entwicklung einer lokalen Händler-Infrastruktur (8). 6. Txaditionelle Töpferei ist stets oidßniiert an den lojcaien Bedürfnissen,und abhängig vom Absatz" auf lokalen oder~"überregionalen Märkten. Der individuelle Spielraum zur Verwirklichung eige-ngg^afeJBiy' 1,'^ftr-xraffitionellsn wlltw- - extrem gering, erw^tert^i.ch ..jedoch bei^Kul^^andel^ öcfer bei* Erschließung neuer Absatzgebie€e7ßzwr' neuer'ATBhehmerkreise (z.B. Touristenproduktion, Produktion für Hotel- oder Repräsentationsbedürfnisse) . ^regionale TopfereiZentren/haben sich auf der jrftr,Sgl!u%t^ guten Tonqualitäten "und reichlicher Brennstoff Versorgung) in der Nähe größerer Absatzgebiete entwickelt. Sie bieten ein spezialisiertes Angebot, sei es in Form von Wasser- oder Vorratsgefäßen, Kochgefäßen, zinnglasierter Dekorware oder Schwerkeramik. Kleine Töpferorte dagegen vermitteln tendenz iejLl eifl T&reltere's',"' wentqer~,gpgzta-TTsiert.es" Angebot bei . teilweise schlechterer Qualität zur BeXriedigung, der lokalen Bedürfnisse. Pom ptXö- r*lJMi/U Im Umkreis großer Töpferzentren bildet sich als Folge von Konkurrenzdruck und aus AbsatWruSSejP" "ein Filialsystem heraus durch Abwanderung von i Töpfern in die wichtigsten Abs^ eigene Töpfereien aufmachen, einerseits den/J Form-"oderDekorstil des Zentrums verbreiten,/! andererseits ihre Produktion den lokalen Bedürf4j nissen anpassen (9). / In großen alten Töpferzentren hat sich aus arbeitsökonomischen Gründen und zur Erleichte- 32 10. 11. 12 13. 14. rung des Absatzes in der Regel ein komplexes Bennennungssystem der unterschiedlichen Formtypen und Größenklassen der Ware herausgebildet, orientiert an abstrakten Bezugsgrößen, alten Währungs- oder Maßeinheiten, Tragelasten oder den bevorzugten Absatzgebieten (10). Das Wach stum e ine s Topf er z enftrmwg fifc ffr ti „ im Zusammennang IifSem lokalen Bevöikerungswachs-OTJjreerM^'^n^TlTelt- z.üT*Tö 11zeltbe-schäfC'igung, wenn die landwirtschaftliche Basis zur Ernährung der Gesamtbevölkerung nicht mehr ausreicht",verbunden mit den oben genannten raktoreri günstiger Rohstoff- und Absatzlage. Der Niedergang bzw.-. das Absterben eines Töpfer-zentrums... wird bedingt durch Erschöpfung van Rohstoffvorkommen (Ton oder •Brennmaterial) und/oder durch wachsenden Konkurrenzdruck anderer Zentren;durch ' "konkurrierende Materialien aus Kupfer, Weißblech, Plastik, Porzellan, Gummi u.a., durch Einführung von Neuerungen wie Wasserleitungen, Eisschränken, Gas- oder Elektroherden, Handelsbeschränkungen, kriegerischen Einwirkungen oder anderen UrsachefPdes "Absätzrückganges . Armut oder Wohlstand der Töpfer/Töpferinnen eines Zentrums sind davon abhängig, inwieweit es ihnen gelingt., sich neuen , Bedürfnissen und Bedingungen anzupassen und vor allem, den Handel selbst zu organisieren, oder ob sie in ihrer Produktion üfia 'im—Absatz von Zwischen- oder Großhändlern abhängig werden. _De.r~.Beruf, des Topf ers/d,er T^pferin wird ..in der Regel sozial gering gescMtzJ^nd nur aus wirtschaftlichen Zwängen heraus weitergeführt. Aus diesem Grunde heiraten Angehörige aus Töpferfamilien häufig unter sich. Sozialer Aufstieg ist im Regelfall nur möglich durch Hinwendung zur Kunst- oder Dekorkeramik oder durch Ausstieg aus der traditionellen Töpferei (Nachwuchsmangel). Töpfemde Mädchen hz«.—grauen, die aus ihrem Töpferdorf in entferntere Topfereiregionen wegheiraten, geben in der Regel dieTöpferei auf, Frauen, die einheiraten,, erlernen bei wirtschaftlicher Notwendigkeit das Handwerk und 33 töpfern dann^ganz j,^.....Stil des neuen Zentrums / (11). ® 15. Die Töpfereiproduktion unterliegt., Jahreszeitli-cHen" Schwankungen, einmal bedingt d.uxchkTQ IcKe"TäK&Sg&iZ'"zia^Shaeren durch gleichzeitige Beanspruchung"bei landwirtschaftlichen Arbeiten. Produktionsmäßig dominieren im Frühjahr und Sommer die Wassergefäße, vor der Erntezeit die Vorratsgefäße, vor Festen oder Wallfahrten große Kochgefäße, Souvenirobjekte oder Musikinstrumente wie Tontrommeln, Flöten oder "Rummelpötte" . Diese thesenartige Auflistung von Erkenntnissen aus meiner bisherigen töpfereibezogenen Feldforschung beansprucht tendenzielle Gülfcigkj^^^.^4J;^^eerrauin, kann aber interpretationshilfen und Denkähs£öBW~ rur andere Regionen und gegebenenfalls auch.....unterschiedii- che Zeiten liefern. Sie ließe sich seibsWerständlich noch ergänzen und vertiefen. Ethnoarchäologische Analogie - Möglichkeiten oder Gefahren? Ich bin der Überzeugung: Die Möglichkeiten überwiegen, wenn man sich der Gefahren bewußt ist. 1\ CONCLUSIONS AND SUGGESTIONS Accepting the fundamental value of ethnoarchaeological analogies there remain, in my opinion, three main tasks to be fulfilled by anthropologists and archaeologists in the next future: 1. Anthropologists and archaeologists should col- lect all materials which might be of interest for the interpretation of archaeological remains by doing ethnoarchaeological fieldwork in different parts of the world, where history of the living ethnographical present grades into archaeology. We should not hesitate to do this, because the traditional cultures, as we all know, are changing so fast adapting to modern ways of life that there are only a few regions left, where ethnoarchaeological fieldwork might successfully be done. 34 35 I suggest that archaeologists themselves should do fieldwork of this kind at least once in their life to get a better insight and feeling of the technological processes, the functional relations and the cultural alternatives of human behavior, in total of the huge field of ethnographic analogies. The great intermediate aim should be to file the relevant ethnographic research material in a special ethnoarchaeological data bank according to the example of Murdock's Human Relation Area Files (HRAF). Anthropologists and archaeologists should study, revise and collect the relevant ethnographic literature in the Old and the New World in a critical and systematic manner .in order to incorporate even these valuable data in the suggested ethnoarchaeological data bank. This might be an important task for young students and scholars preparing their MA degrees or PhD dissertations in connection with ethnoarchaeological fieldwork of their own. Last not least anthropologists and archaeologists are demanded to formulate an operational system or a sound theory how to fill the gap between archaeological findings and ethnographic analogies in a systematic way. First of all anthropologists and archaeologists interested in human history are invited to discuss and select the basic criteria vital for doing ethnoarchaeological fieldwork, for constructing the ethnoarchaeological data bank and formulating the indispensable operational system. Anmerkungen (1) Vgl. R. Andree, Ethnographische Parallelen und Vergleiche, 2 Bde., 1878-1889. (2) Vgl. die im Anhang beigefügte Übersicht. (3) Vom Verfasser übersetzt. (4) Vgl. Köpke 1974. (5) (6) (7) (8) (9) (10) (ID Vgl. 233f Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. vgl Vossen 1972, 24ff.; Vossen/Ebert 1986, Köpke 1985. Vossen 1984, Vossen 1984, Vossen 1984, Vossen 1974; 371ff. 343ff. 345ff. 1984 . vergle^ä« Beobachtungen machte Ingrid Herbich (Berkeley) bei den Luo in West-Kenya (Herbich, Beitrag in diesem Band). Diefzitlerte Literatur ist der Auswahlbibliographie zur Ethnologie in diesem Band zu entnehmen.