Niederlage und/oder Befreiung Am Ende des Zweiten Weltkriegs fanden sich die Deutschen in einer Lage, in der sie sich als besiegt wie auch als befreit fühlen konnten. De facto wurden sie von den Alliierten besiegt, aber zugleich befreit von der nazistischen Diktatur. (…) Der erste Bundespräsident T. Heuss erinnerte am 12. September 1949 daran, dass weder Leute noch Nationen ihre Fähigkeit zu vergessen nicht missbrauchen, also ihre eigene Vergangenheit zu schnell und zu einfach vergessen sollten. Obwohl freilich die Erneuerung des deutschen ökonomischen Potentials angesagt sei, habe die Bundesrepublik, wolle sie sich in die westliche Welt integrieren, ihre nazistische Vergangenheit nicht nur zu verurteilen, sondern, ohne Hass und Rache, sich stets zu vergegenwärtigen, was die Deutschen an den Abgrund herangeführt hätte. Acht Tage später kam K. Adenauer in seiner Regierungserklärung zu einem anderen Fazit. Die Vergangenheit biete wohl manche Lehre, doch wichtiger sei die Gegenwart; Täter seien zu bestrafen, die von den Alliierten auferlegte Denazifizierung sei indes nicht immer nützlich, somit wäre zu überlegen, ob es nicht besser wäre, Vergangenes vergangen sein lassen. Anstatt mit der Vergangenheit abzurechnen, lässt Adenauer einen nüchternen und sachlichen Pragmatismus walten, der sogar eine gewisse Form der Amnestie in Aussicht stellt. (…) Stichwortartig seien nun beide Positionen vorgestellt. Wer den 8. Mai 1945 als Niederlage empfindet, identifiziert sich mit der eigenen Nation, die nach der Niederlage primär zu konsolidieren und stabilisieren sei. Mit der Vergangenheit abzurechnen bringe nichts Gutes, allenfalls weitere Verunsicherung, die bis zum Hass gegenüber dem Deutschen führen könne; daher sei es zu überlegen, ob man die Vergangenheit lieber nicht auf sich beruhen lassen solle. Zu den Kriegsgewinnern stellt man sich ambivalent; der kommunistische Osten bleibt nach wie vor der erbittertste Feind, der Westen könnte unter Umständen zum Freund werden, wenn er seine Umerziehungsverfahren einstellen, oder zumindest mit mehr Sinn für Nuance betreiben würde. Innenpolitisch werden die Interessen der Mehrheit der Deutschen vertreten (Mitmacher), während antifaschistische Minderheiten (Exilanten, Widerstandskämpfer, Deserteure, Kommunisten, Sozialdemokraten u.Ä.) eher exkludiert werden. Opfer des Nazismus einschließlich der Holocaustopfer bleiben vorläufig außen vor, gedacht wird ausschließlich derjenigen, die für die deutsche Nation gestorben sind. Wer den 8. Mai 1945 als Befreiung wahrnimmt, ist in der Regel eher bereit, zu bereuen. Zugehörigkeitsgefühle zur Nation können, so stark sie sind, unmenschliche Verbrechen nicht entschuldigen. Die wahren Verräter hätten nicht die Nation, vielmehr die Ideale der Menschheit verraten. Diesen Verrat hätten die Deutschen als Nation begangen, es würde ihnen also zustehen, sich, wenn nicht zur kollektiven Schuld, dann zumindest zur kollektiven Scham (Heuss) zu bekennen. Der individuelle Schuldanteil sei eine Sache des Gewissens von jedem Einzelnen, er sei jedoch unumstritten. Man stößt hier kaum auf nachsichtige, ja entlastende Schutznahme der Mehrheit, geschützt werden vielmehr die Widerstandswilligen (Kommunisten und Sozialdemokraten). Das Programm der denazifizierenden Umerziehung wird akzeptiert, wenn nicht gleich zum inneren Bestandteil des nachkriegsdeutschen moralischen Bekenntnisses gemacht. 1) Aus der Sicht eines Besiegten: 2) Aus der Sicht eines Befreiten: Was ist wichtiger: Vergangenheit oder Zukunft? Ideale der Menschheit oder Nation? Wer ist wichtiger: Mehrheit der Deutschen oder antifaschistische Kämpfer? Theodor Heuss oder Konrad Adenauer? Ist Denazifizierung richtig? An welche Opfer wird erinnert?