VO Linguistische und didaktische Grammatik Sabine Dengscherz SoSe 2012 2. Wie stehen linguistische und didaktische Grammatik zueinander? Wortarten / Wortklassen • Form- und Funktionskategorien • Gesamtheit der kategorialen Merkmale trifft meist nur auf einen Kernbereich zu; in der Peripherie ist Merkmalsstruktur nicht so vollständig Ein Vergleich zur Veranschaulichung (aus der Prototypensemantik) • Beispiel „Tisch" • Welche Merkmale sollte ein Tisch erfüllen, um als möglichst prototypischer Vertreter seiner Klasse zu gelten? • Notieren Sie diese Merkmale! Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Die drei Hauptwortarten und ihre Eigenschaften (in Auswahl) Wortart Kategor iale Bedeutung Kategor iale Merkmale Grammatische Kategorie Substantiv Gegenstand - hat gramm. Geschlecht - zählbar - deklinierbar Genus Numerus Kasus Verb Prozess - bindbar an Person - in der Zeit verlaufend - eine bestimmte Geltung ausdrückend Person Tempus Modus Adjektiv Merkmal - unselbständig - graduierbar Komparation vgl. Sommerfeldt/Staike: S. 40 Einschränkung folgt sofort: „Allerdings trifft die Gesamtheit der für eine Wortart charakteristischen grammatischen Merkmale meist nur auf einen Kenibereich zu, an den sich eine Peripherie anschließt, deren Merkmalstruktur nicht so vollständig ist (so ist z.B. nicht jedes Adjektiv komparierbar, nicht jedes Substantiv pluralfähig, nicht jedes Verb in allen drei Personen verwendbar)." (Sommerfeldt/ Starke, S.40) Beispiele: Milch, Menschheit / optimal, kinderlos, tot / regnen, schneien Konjunktion oder Präposition? • Während • Während wir auf Urlaub waren, haben sie in unser Haus eingebrochen. • Während des Essens lief die Unterhaltung nur schleppend. Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Substantiv oder Verb? • Morgen werden wir bis an die Grenze wandern. • Das Wandern ist des Müllers Lust. • Wandern ist des Müllers Lust. • Mit seiner Geliebten zu wandern ist des Müllers Lust. • Stundenlanges Wandern ist des Müllers Lust. Modalpartikel oder Konjunktion? • Das hast du aber schön gemacht! • Das hast du schön gemacht, aber dort musst du noch nacharbeiten. • Wir bleiben doch zu Hause. • Sie waren zwar zu Hause, doch sie hatten die Einbrecher nicht gehört. Fazit: „Wortarten sind Kategorien, Ordnungsbegriffe. Das bedeutet, dass sie nicht einfach die ,Natur der Sache' (hier: der Wörter) abbilden, sondern als Einteilung aus theoretischen und praktischen Gesichtspunkten heraus entstanden sind. Ihre Angemessenheit ist daher manchmal Umstritten." Graefen/liedke (2008, S.181) Terminologie und Systematik nicht einheitlich Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Bestimmung von Wortarten • abhängig von der Verwendung im Satz • abhängig vom Kategoriensystem, das verwendet wird Kategoriensysteme • historisch veränderlich (diachron) • es existieren auch mehrere parallel (synchron) Wortarten bei Dyonisos Thrax • xexvT| Y(?aM4iaTixf]; 2. Jh. v. Chr. 1. Nomen (inkl. Adjektive) 2. Verb 3. Partizip 4. Artikel 5. Pronomen 6. Präposition 7. Adverb 8. Konjunktion WA im 18. Jh.: Johann Christoph Adelung Umständliches Lehrgebäude der deutschen Sprache (1782). 1. Artikel 6. Verb 2. Substantiv 7. Adverb 3. Pronomen 8. Präposition 4. Adjektiv 9. Konjunktion 5. Numerale 10. Interjektion Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik WA im 20. Jh.: Duden (ab Auflage 1995) „Die Flektierbaren" „Die Unflektierbaren" 1. Verb 2. Substantiv 6. Adverb 3. Adjektiv 7. Partikel 4. Artikel 8. Präposition 5. Pronomen 9. Konjunktion „Neu": Partikel Keine eigenen Kategorien: Interjektion, Numerale Ulrich Engel: Deutsche Grammatik. Neubearbeitung 2004 (Auswahl aus dem Inhaltsverzeichnis) 1. Allgemeines 2. Der Text 3. Der Satz 4. Das Verb 5. Der nominale Bereich - Nomen - Determinativ (z.B. Artikel, Possessiva, Determinative) -Adjektiv - Pronomen 3. Partikeln - Präpositionen - Subjunktoren -Adverbien - Kopulapartikeln Klassifikationskriterien • Semantisch (z.B. Negationspaitikel) • Morphologisch (z.B. deklinierbar, konjugierbar, komparierbar, nicht flektierbar) • Syntaktisch (Stellenwert im Satz); z.B. Relativpronomen vs. Artikel Es gibt keine einheitliche Klassifikation der Wortarten! Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Waren diese Ausführungen • ... präskriptiv oder deskriptiv? • Gehören sie zur linguistischen oder zur didaktischen Grammatik? • Warum? Ebenen Grammatik(-Unterricht) • Linguistische Ebene • Didaktische Ebene • Sprachlernpsychologisch-psycholinguistische Ebene (vgl. Krumm 1988, 6f) Didaktische Grammatik • Wie viel Grammatik braucht der Mensch? • Was soll wann, in welchem Umfang, in welcher Reihenfolge gelehrt und gelernt werden? • Deduktiv oder induktiv? • Wie haben Sie Grammatik gelernt? - die Grammatik ihrer Muttersprache - die Grammatik von Fremdsprachen - die Grammatik einer Zweitsprache Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Explizites vs. Implizites Lernen • Expliziter Zugang: von der Regel zur Äußerung / zum Text; deduktiv • Impliziter Zugang: vom Text / von der Äußerung zur Regel induktiv Induktives vs. deduktives Vorgehen L1 -Grammatik-Unterricht: Von der Sprache zur Grammatik, nicht umgekehrt (induktiv) L2-Grammatik-Unterricht: Beide Richtungen gebräuchlich; z.B. erst induktiv (aus AT) Regeln erschließen, dann (deduktiv) anwenden; (vgl. Modell Hans-Jürgen Krumm:) Text, Äußerung Rezeption Text, Äußerung Produktion Textanalyse Grammatik Pragmatik Übung Automatisierung „Regel" - Grammatik induktiv gefunden bewusst gemacht Modell: HJ Krumm Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Besonderheiten im FU • Höherer Grad der Bewusstheit • Grammatikreflexion hilft bei Sprachproduktion • Möglichkeit kontrastiven Vorgehens: - Grammatische Kategorien u.U. bereits aus anderen Sprachen bekannt - Fördert Sprachbewusstheit (Gegebenheiten aus LI werden nicht mehr als „selbstverständlich" empfunden) Grammatikreflexion LI: - Auch Erwachsene „können grammat. Voraussetzungen sprachlichen Handelns nicht oder allenfalls nur in Teilbereichen verbalisieren" - Grammat. Reflexion im Unterricht kann und sollte vom Sprachgebrauch ausgehen L2: - Im FU gilt grammat. Progression sehr oft (auch) als Richtschnur - Hat oft präskriptiven Charakter und wird selten zum Gegenstand kritischer Reflexion Zwei Extreme 1) Direkte Methode: Fremdsprache wird erworben, indem in konkreten Situationen (nach)gesprochen wird; es werden keine Grammatikregeln behandelt 1) Systematische Aneignung und Anwendung der Regel-Grammatik einer Sprache (z.B.: GÜM) Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Weisgerber 1982, S. 112 „Lange Zeit hat man geglaubt, durch das Erlernen und Anwenden grammatischer Regeln in der Schule den richtigen Sprachgebrauch begründen und garantieren zu können, und diese Fehleinschätzung ist eine der Hauptursachen für die Unbeliebtheit und Folgenlosigkeit eines solchen Grammatikunterrichts, die den gesamten Aufgabenbereich der Reflexion über Sprache im Unterricht bei Schülern und Lehrern in Mißkredit gebracht haben." Methoden: Übersicht Grammatik-Übersetzungs- 1 Methode 1—i ^^Direkte Methode 1 (W. Vietor) I Audio-Linguale I Methode Kommunikative Didaktik Kognitive Wende Methodenmix -1882-----------------1960 - 1975-------1990 - Überlegen Sie: Was wissen Sie schon? • Welche Rolle spielt(e) die Grammatik in den erwähnten Methoden? • Wie wurde/wird sie jeweils dargestellt? Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik Didaktischer Filter (Vgi. Bömer/vogei 1979) 1. Intentionalität (partielle Beherrschung der Sprache und der Grammatik) 2. Lernende (entwicklungs- u. sozialpsycholog. Bedingungen, z.B. Alter; Sprachbegabung, Lernerfahrungen) 3. Lernpsycholog. Faktoren (Motivation, Transfer und Interferenz, mechanisches vs. Einsichtsvolles Lernen) 4. Vermittlung / Methodik (Arbeitsweisen: z.B. kognitiv od. imitativ; Medien, Progression, Prüfungen etc.) Was wird gelernt? • Lehrziele / Lernziele • Lernzeit • Teilziele - kommunikativ - formal / sprachen-analytisch Quellen und weiterführende Lit.: Engel, Ulrich : Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. Iudicium Verlag, München 2004 Graefen, Gabriele / Liedke, Martina: Germanistische Sprachwissenschaft. Deutsch als Erst-, Zweit- oder Fremdsprache. Francke Verlag, Tübingen und Basel 2008 Jungen,/ Lohnstein: Einführung in die Grammatiktheorie. W. Fink Verlag, München 2006 Krumm, Hans-Jürgen: Grammatik im kommunikativen Deutschunterricht. In: Dahl/Weihs: Grammatik im Unterricht; München 1988 Müller, Horst M.: Arbeitsbuch Linguistik. UTB, Paderborn 2002 Sommerfeldt, Karl-Ernst / Starke, Günter : Einführung in die Grammatik der deutschen Gegenwartssprache. 2., neu bearbeitete Auflage., Niemeyer Verlag, Tübingen 1992 Weisgerber, Bernhard: Die Rolle der Grammatik beim Erwerb von Muttersprache und Fremdsprache. In: Gnutzmann / Stark (Hrsg.): Grammatikunterricht. Beiträge zu Linguistik und Didaktik. Narr. Tübingen 1982 Dengscherz, VO Linguistische und didatische Grammatik