PRAGER FEMMES FATALES– STADT, GESCHLECHT, IDENTITÄT von Georg Escher (Zürich) Tschechische Landmädchen Wenn auch Eisner die spezifische Überlagerung von urbanen, geschlechtlichen und nationalen Fremdheitskonstruktionen sieht, so benennt er doch nicht deren identitätspolitische Implikationen. Vielmehr schreibt er sie im Zeichen eines Dualismus im Sinne Otto Weiningers und im Geist der kollektiv psychologischen Gassenhauer seiner Zeit fort: Die tschechische Frau trage in sich die Attribute der »Slawin« – »nezlomenou pudovost,bohatou smyslovost,[…] magii pohlaví« [»ungebrochene Instinktivität,reiche Sinnlichkeit,[…] Magie des Geschlechts«]^[1]^1 –, welche den von der Zivilisation erschöpften Geist des deutschen Kopfmenschen instinktiv anziehe. Dessen Eroberungsdrang habe seinen Motor »v touze rozeklané psychy,jež vysušena civilisací […] touží po životné vlahosti« [»in der Sehnsuchtder gespaltenen Psyche,die,ausgetrocknet von der Zivilisation […],nach lebensspendender Feuchtigkeit strebt«].^[2]^2 Eisners Argumentation greift nicht nur die verbreitete,bis auf Herder zurückgehende Metaphorisierung der differierenden Nationsentwürfe als Geschlechtergegensatz auf, sondern auch die Stereotypen der Großstadtkritik und die Entwürfe eines im Territorium verwurzelten Volkes, wie sie sich im Agrarutopismus der Heimatkunst herausgebildet haben.Tatsächlich ist die Figur der tschechischen Frau,die dem deutschsprachigen Mann in Prag begegnet,in den Werken von Max Brod und Egon Erwin Kisch,in Karl Hans Strobls Studentenromanen bis hin zu den Volkslieder singenden Mädchen in Rainer Maria Rilkes Larenopfern(1895) fast immer mit dem Land assoziiert.Die Imagination der fremden Frau verkehrt sich hier vom bedrohlichen Anderen (der »gorgonischen« femme fatale) ins begehrenswerte Andere (die natürlich sinnliche Tschechin) und gewinnt eine kompensatorische Funktion.Das wilde Andere,das im Zivilisations- und Subjektivierungsprozess vom Ich abgespalten und in das Bild weiblicher Körperlichkeit oder ursprünglicher Traditionalität gefasst wird, verliert in dieser rückwärts gewandten zivilisationskritischen Optik seine Bedrohlichkeit.Es dient jetzt im Gegenteil als Natürlichkeits- und Lebenselixier gegen Entfremdung und Selbstverlust,welche das Subjekt in der modernen Zivilisation gefährden. Das kolonisatorische Moment dieser Fremdzuschreibungen ist offensichtlich. Die Figur der sinnlichen Frau aus der fremden Nation gehört seit jeher zum klassischen Repertoire jener Stereotypen,die eine zentrale Funktion in machtlegitimierenden Diskursen ausüben: Superficially they [the stereotypes,GE] flattered the ›Slav‹ […] by representing them as reservoirs of spiritual and cultural refreshment within the prosaic modern world. But they implied also that the ›Slav‹ […] had nothing positive to contribute to the modern world, and certainly no aptitude for participation in politics.[…] Their [the Slavs',GE] role is to be dominated by the Germans, while helping to regenerate their masters spiritually through their closeness to nature and the ›Volksgeist‹ expressed in their traditional songs.^[3]^3 Die Sprache des Räumlichen hebt dabei die kolonialistischen Konnotationen dieses Machtdiskurses hervor,wie Eisners Charakterisierung der Geschlechterverhältnisse in der Prag-Literatur zeigt: Die Stadtals Frau,die durch ihr Geschlecht und ihre nationale Zugehörigkeit zweifach als fremd gekennzeichnet ist, kann vom männlichen Dichter-Helden erobert werden wie ein fremdes Territorium – der Dichter »begehrt« die Frau und »dringt« in den städtischen Raum »vor« (s.o.).Diese Eroberung dient zwei Zwecken zugleich: der Zivilisation des bedrohlichen Anderen und der Kompensation im rettenden Anderen.Die eroberten Kolonien »versorgen die Menschen der Metropole symbolisch mit jenen Dingen, die dort rar geworden sind«,^[4]^4 z.B. eben mit instinktiver Sinnlichkeit und kollektiver Identität. Beide Seiten des Bildes von der weiblich konnotierten Fremdheit– die zu zivilisierende Wildheit wie die heilsame Natürlichkeit – ermöglichen und legitimieren die Eroberung und Beherrschung:»Die andere,fremde Frau […] ist botmäßig, als Hure, aber womöglich auch als Mama, als Geliebte wie als erdschwere Nährmutter-Amme […]«.^[5]^5 Indem sich nun aber das heilsbringende und identitätsstiftende Territorium im Prager Kontext nicht auf dem Land, sondern in der Natürlichkeit und Sinnlichkeitder tschechischen Frau vom Land befindet,verändert sich der anti-urbane Kompensationsmythos:Nicht nur das weiblich imaginierte Wilde, das die Zivilisation bedroht, ist in den städtischen Raum eingeschrieben,sondern auch jenes ebenfalls weiblich imaginierte kompensatorische Andere in der Gestalt der Tschechin vom Land. Parallel zur Imagination der tschechischen Frau funktioniert damit auch der imaginierte Stadtraum Prags als exotisierte »nahe Fremde«, als koloniales »Territorium des Fremden in der Nähe«.^[6]^6 Die Beschreibung der Stadtals (ethnisch-national und geschlechtlich) fremd ist die Voraussetzung für ihren exotischen Reiz, aber auch für die Eroberung und Beherrschung, zumal sich »[d]ie kulturelle Asymmetrie [...] immer auch daran messen [lässt],wer das Monopol der Fremdbeschreibung innehat[…]«.^[7]^7 Vor dem Hintergrund dieser Konstellation kann auch Oskar Wieners Rede von der Hassliebe zur verführerischen Stadt-Frau (s.o.) als rhetorische Strategie der Kolonisierung gelesen werden.Der Topos der Verführung durch die sexuell gelenkte fremde Frau und jener der Eroberung des weiblich kodierten fremden Landes gehören als komplementäres Paar zum Kernbestand kolonialistischer Diskursmuster.Das Gebunden-Sein an die exotische Prager femme fatale verkehrtsich in einen Besitzanspruch auf die Stadt. Zwar versucht Eisner,wie vor ihm schon Max Brod,aus der Geschlechter- und Nationenpolarität Otto Weiningers ein durchaus positives Vermittlungsmodell zu kreieren, indem er das Zusammenleben der nationalen Kollektive als ›erotische Symbiose‹^[8]^8 entwirft,in welcher beide Seiten im jeweiligen Gegenüber ihre Defizite kompensieren sollten. Dennoch spricht der Topos vom deutschen Dichter, der Stadt und Frau zugleich erobert,in seiner plakativen Trivialität die klare Sprache eines Herrschaftsdiskurses. [9]1Eisner,Pavel:Milenky.Německý básník ačeská žena [Geliebte.Der deutsche Dichter und die tschechische Frau].Praha:Concordia 1992 [Erstausg.1930],p.15 [10]2Ebenda, S. 20 [11]3Robertson,Ritchie: National Stereotypes in Prague German Fiction. In: Colloquia Germanica 22 (1989), pp.116-136,hier p.117,132. [12]4Müller-Funk,Wolfgang:Kakanien revisited.Über das Verhältnis von Herrschaftund Kultur.In: http://www.kakanien.ac.at/beitr/ theorie/WMueller-Funk1.pdf v.1.10.2001,p.7. [13]5Ebenda.,p.9 [14]6Weigel,Sigrid:Die nahe Fremde – das Territorium des ›Weiblichen‹. Zum Verhältnis von ›Wilden‹ und ›Frauen‹ im Diskurs der Aufklärung. In:Koebner,Thomas/ Pickerodt,Gerhard (Hg.).Die andere Welt.Studien zum Exotismus.Frankfurt/M.:Athenäum 1987,pp.171-199,hier p.173. [15]7Müller-Funk, 5 [16]8Cf.Spector,Scott:Prague Territories.National Conflictand Cultural Innovation in Franz Kafka's Fin de Siècle.Berkeley etal.:Univ.of California Pr.2000,pp.64-67 und pp.174-184