Das deutsche Problem in der nachkriegsdeutschen Literatur und der Geschichtswissenschaft Inhaltsverzeichnis Einleitung ................................................................................................... ..... 9 1 Deutschlandreden nach 1945 ............................................................. 15 1.1 Hermann Lübbe: Der Nationalsozialismus im Bewusstsein der deutschen Gegenwart ....................................................................... 19 1.2 Richard von Weizsäcker: 8. Mai 1945 ................................................. 22 1.3 G. Grass: Geschenkte Freiheit ............................................................... 25 1.4 E. Nolte: Vergangenheit, die nicht vergehen will .................................. 29 1.5 P. Jenningers Bundestagsrede vom 10. November 1988 .................... 31 1.6 M. Walser: Über Deutschland reden ..................................................... 36 1.7 Deutschlandreden jenseits der Disziplinarität und Ideologie ............ 39 2 Entweder-oder: Kontinuität der Schemata ...................................... 45 2.1 Freiheit oder Einheit ............................................................................ 47 2.2 Variationen des deutschen Sonderwegs .............................................. 54 2.3 Der lange Weg zum Westen als Schwundstufe des Sonderwegs? ...... 66 2.4 Kulturnation und Verfassungspatriotismus ........................................ 69 3 Niederlage und/oder Befreiung ......................................................... 77 3.1 Geschichtspolitik als Bestandteil der Reflexionen der Deutschheit .................................................................................... 80 3.2 Im Schatten des Kalten Krieges ........................................................... 85 3.3 Totalitarismus ....................................................................................... 87 3.4 1960er Jahre. Ein Wendepunkt? .......................................................... 90 3.5 Deutsche Nachkriegsgeschichtswissenschaft ..................................... 94 3.6 Fischer-Kontroverse ............................................................................. 97 3.7 Historikerstreit ................................................................................... 101 3.8 Gute Karten, klarer Sieg ..................................................................... 104 3.9 Historikerstreit und die Reflexion der Deutschheit ........................ 107 4 Essentielle Deutschheit..................................................................... 115 4.1 Der nützliche Goldhagen ................................................................... 117 4.2 Zwischen Grundsätzlichkeit und Zweckmäßigkeit .......................... 120 4.3 Historisierung des Nationalsozialismus ........................................... 127 6 4.4 Vom Nutzen und Nachteil der „Erinnerungskultur“ ...................... 134 4.5 Zwischen Antisemitismus und Philosemitismus .............................. 143 4.6 Schatten der Gruppe 47 ...................................................................... 151 …………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Das Buch stellet einen Beitrag zur literaturgeschichtlichen Aufarbeitung der politisch-literarischen Deutschlanddebatten in der Bundesrepublik dar, sofern es analysiert, wie in den Jahren 1960-2010 in (West)Deutschland das Deutschsein reflektiert wurde. ……………………………………………………………………………………………………………………………………………… In einigen literarischen Deutschlandreden (etwa bei M. Walser, B. Strauß, H.M. Enzensberger, oder auch G. Grass) manifestiert sich diese produktive Spannung in der Suche nach einer Sprache, in der man über das deutsche Problem überhaupt sprechen könnte; einer Sprache, die der Notwendigkeit zu artikulieren genauso Rechnung trägt, wie all den wohl unumgänglichen Verboten und Tabuisierungen; die das, worüber geschwiegen wird, nicht weniger beachtet, als das, worüber man spricht. Über die Formen, in denen literarische Deutschlandreden ihre eigenen Möglichkeiten thematisieren, also zur Selbstkritik ansetzen, ist der Bogen zu schlagen zu Fragen, die in Bezug auf die Möglichkeiten des Denkens über das deutsche Problem die Literaten mit den Historikern, Politologen, Soziologen, Philosophen oder Publizisten teilen. Wie sähe so ein Fragenkatalog aus? 16 Was besagt die jeweilige Definition des Deutschseins über die Motivation des Definierenden? Wie hat man sich zur deutschen Geschichte zu stellen? Akzeptierend oder ablehnend, sprich antinationalistisch, oder lieber neutral dessen eingedenk, dass Geschichte immer instrumentalisierbar sei? Inwieweit ist der kausale Bezug legitimiert, der zwischen dem Kulturnationalismus (deutsche Nation gespalten in zwei Staaten, die allenfalls eine gemeinsame Kultur verbinde), der Schuldanerkennung (die Trennung als gerechte Strafe) und der proklamierten nachkriegsdeutschen Westorientierung bestehen soll? Ist daraus auch die Schlussfolgerung zu ziehen, dass Deutsche zwangsläufig das zivilisierte Europa (gegebenenfalls den Westen) verlassen, wenn sie nach einem (ungetrennten) Deutschland rufen, da sie dadurch die Schuldanerkennung von sich weisen? Also impliziert der Kulturnationalismus des getrennten Deutschlands eine moralische und der politische Nationalismus des vereinten Deutschlands eine amoralische Haltung? Inwiefern und wie lange sollen die Jahre 1933–45 für das Nachkriegsdeutschland determinierend sein? Wann, wenn überhaupt, wird man aus dem Schatten der NS-Zeit heraustreten dürfen? Wann geht also die Nachkriegszeit mit den aus dem Krieg abgeleiteten Konstellationen zu Ende? Darf sie überhaupt jemals zu Ende gehen? Wie sind die unmittelbaren Nachkriegsjahre (etwa 1945–1960) zu verstehen? Als eine unheilvolle Restauration (da müsste man aber fragen, was da genau restauriert wurde?), in der die nazistische Vergangenheit massiv verdrängt wurde, oder als eine menschlich akzeptierbare und wohl auch einzig mögliche Reintegration der Millionen Nazi-Deutschen in das neue Deutschland, bei der die NS-Vergangenheit allgemein und pauschal abgelehnt wurde, doch parallel dazu auf der persönlichen Ebene die einzelnen persönlichen „Fälle“ eher beschwiegen und diskret übergangen wurden? Was hat sich diesbezüglich in den 1960er Jahren geändert? Welche Rolle spielte im Deutschlanddiskurs die Generation der 68er? Kommt ihr das Verdienst zu, sich als erste Generation mit der unangenehmen Vergangenheit kritisch auseinanderzusetzen und all das zu Unrecht Verdrängte und Verschwiegene zu thematisieren, oder nutzte sie eher ihre Chance per Faschismusvorwurf ihre politischen Gegner zu diskreditieren, um mit der bürgerlichen Demokratie in der Bundesrepublik schlechthin aufzuräumen? Muss Ausschwitz als ein unvergleichbares, singuläres Verbrechen verstanden werden, oder darf man es mit anderen europäischen Verbrechen vergleichen? Steckt hinter jedem solcher Vergleiche die Versuchung, das Schlimme zu verharmlosen? Ist bereits das Vergleichen ein Sakrileg, weil man dadurch Auschwitz relativiert, oder ist es eher als verbrecherisch zu bezeichnen, wenn man Auschwitz ein für alle Mal zu vergleichen verbietet? Ist das Bestehen auf der negativen Singularität von Auschwitz interesselos, oder verstecken sich dahinter gewisse Interessen, etwa das Interesse, Auschwitz moralisch und politisch zu instrumentalisieren, und 17 oder dadurch moralisch denjenigen überlegen zu sein, die mit der bösen Vergangenheit anders umgehen? Wie ist das Dilemma zu lösen, das den Deutschen einerseits vorschreibt, sich ständig an ihre Nazivergangenheit zu erinnern, sie aufzubewahren, ja sie abzuarbeiten, andererseits aber jede Erinnerung und jede Arbeit an der Vergangenheit für unzureichend erklärt? Was hat sich an der deutschen Position in Europa verändert, nachdem Deutschland wieder einheitlich geworden ist? Stellt ein einheitliches Deutschland für Europa irgendwelche Gefahr dar? Geht am Tag der Wiedervereinigung für Deutschland die Nachkriegszeit mit ihrem Blockdenken und festgefahrenen Denkschemata definitiv zu Ende, oder bleiben die Deutschen darin nach wie vor verhaftet? Wie ist es nach der Wende um die Aussagekraft der Kategorien links und rechts, liberal und konservativ, aufklärerisch und gegenaufklärerisch bestellt? Ist die Vergangenheitsbewältigung zwingend eine Bewältigung der Vergangenheit von anderen (ideologisch oder generationsbedingt anders Denkenden)? Zu welchen Änderungen und Variationen der Relation zwischen Tätern und Opfern kommt es in der inkriminierten Zeitspanne, und zwar sowohl auf der Ebene der Individuen, als auch der Kollektive (Deutsche versus Alliierte, bzw. Deutsche versus Juden)? Ist eine vergleichbare Empathie gegenüber Tätern und Opfern festzustellen? Ist das Erinnerungsgebot dermaßen unbedingt, dass es alle, auch die ritualisierten und instrumentalisierten Erinnerungsformen rechtfertigt? Kann es auch absolute Anforderungen legitimieren, etwa den deutschen Pazifismus für alle Zeiten oder Stigmatisierungen aller, die darauf hinzuweisen wagen, dass der Mensch um leben zu können vergessen muss? Welche Relationen bestehen zwischen den einzelnen äußeren und inneren Formen des Vergangenheitsbezugs? Ist etwa der nachkriegsdeutsche Philosemitismus eine verinnerlichte Haltung, oder stellt er eher eine gute und zur Schau gestellte Absicht dar, nicht unähnlich dem von M. Walser verschmähten „Lippengebet“? Und ist wiederum die Privatisierung der nazistischen Vergangenheit, die man eben Walser vorzuwerfen pflegt, nur eine entlastende Strategie, oder vielmehr eine berechtigte Reaktion auf die Praxis, dank der man sich mittels Vergangenheit ein Alibi für heute verschafft? Ist der Umgang mit dem Nachkriegsdeutschsein in Händen der auf political correctness achtenden „Diskurspolizei“, die überwacht und bestraft? Oder sind vielmehr die Stigmatisierten darauf aus, vermeintliche Tabus zu produzieren, um sie folglich zu brechen und den Eindruck hervorzurufen, alles werde von der „Diskurspolizei“ beherrscht? Ist es erwünscht, Deutschland zu normalisieren? Falls ja, erreicht man es eher, indem man die Gründe anzweifelt, die der Normalität im Wege stehen, oder eher indem man sich zu der Abnormalität Deutschlands bekennt? Ist die Anerkennung der historischen Schuld etwas, was Deutschland herabwürdigt und dessen internationale Anerkennung verhindert, oder stellt gerade sie die unumgängliche Voraussetzung dafür dar, eine akzeptable Identität zu gewinnen?