TANNHÄUSER Zukunftsposse mit vergangener Musik und gegenwärtigen Gruppirungen in drei Akten 1857 Musik von Karl Binder, Kapellmeister des kais. kön. priv. Carl- Theaters PERSONEN: LANDGRAF PURZL, ein Musik-Enthusiast ELISABETH, seine Nichte VENUS, Inhaberin eines unterirdischen Delikatessen-Kellers TANNHÄUSER HEINRICH WOLFRAM DRESCHENBACH Mitglieder des landgräfl. WALTER FINKENSCHLAG Männer-Gesangvereins TAUBENKLEE FRIDOLIN KATAFALKER, Landgräflicher Trauerbote EIN SCHAFHIRT EDLE DES LANDES BEIDERLEI GESCHLECHTES, VASALLEN, KNAPPEN, REISIGE, SCHLEPPTRÄGER, HEROLDE, NYMPHEN, MINNESÄNGER, LEICHENTRÄGER, BACHANTINNEN Die Handlung spielt gleichzeitig in mehreren Jahrhunderten, der 1. Akt an einer Champagnerquelle, der 2. anderswo, der 3. nach dem 2. 5 6 TANNHÄUSER 5 5 10 15 ERSTER ACT (Keller der Venus. Fantastische Dekoration eines Weinkellers in flimmerndem Gestein. Viele Fässer. Schanktisch. Links vorne ein Tischchen, bei welchem auf kleinen Fässern VENUS und TANNHÄUSER sitzen und Austern essen und Champagner trinken. Die NYMPHEN und BACHANTINNEN führen Tänze und Gruppirungen aus.) Erste Scene Nr. 1 (TANNHÄUSER steht auf.) [TANNHÄUSER.] Wo bin ich? Venus, ist’s kein Traum, ich nehme in Extase Mich prüfend oftmals selber bei der Ritternase; Nein, nein, du bist kein Luftgebild, du selbst, bist mein, Und die hier um dich sind, thun ächte Nymphen sein. Dein holdes Bild, es wird mich stets verfolgen, In Himmelswonnen habe ich geschwolgen. Wer kann die Wunder dieses Kellers malen, Wo in Champagner man und Liebe schwimmt. Hier braucht man keine Rechnung zu bezahlen, Kein Katzenjammer ist’s, der hier verstimmt. Hier ist das Paradies zurückgeblieben, Auf ewig frei zu trinken und zu lieben. (Umarmt sie.) VENUS. Ja, du hast recht, nicht auf der Erde droben, Nein, nur bei mir hier weilt das wahre Glück. Seitdem die Wohnungsnoth dort oben angehoben, Zog ich mich in den Venusberg zurück. Wo ich, da ich mich schrecklich ennuyirte, Die so gemüthliche Lokalität hier etablirte. TANNHÄUSER. So fand ich dich, und ward dein treuer Schäfer, O Venus, du bist ein famoser Käfer! VENUS. O bitte, keinen Dank für mich bereite, ’s Vergnügen war nur ganz auf meiner Seite. Nr. 2. Duett. TANNHÄUSER. Zu herzen, zu schmatzen Gleich zärtlichen Spatzen, Zu kosen, zu schwatzen, Zu streicheln, zu kratzen. VENUS. Man möchte zerplatzen. TANNHÄUSER. Vor Liebe, Juchhe! VENUS. Ich bitt dich, jetzt geh! (Jodler. Kurze Tanzbewegung im Ländlerstil, dann Gruppe, welche durch einen furchtbaren Tamtamschlag unterbrochen wird.) Zweite Scene (TANNHÄUSER, VENUS.) Dialog TANNHÄUSER. Weh mir! Was hör ich da für Glocken brummen, Das ist der Erde heimatlicher Ton. Soll ich hier in der Unterwelt verdummen, Wie eines Maulwurfs ungerathner Sohn? Ich geh in mich und auf dieser Promenade Macht mein Benehmen die abscheulichste Parade. Tannhäuser – spricht’s in mir! Was soll das heißen? Und die Gewissensbisse fangen an zu beißen. Madam, ich kann nicht länger hier mehr bleiben, Wenn’s möglich ist, so werd ich Ihnen schreiben. Und wenn Sie auch noch zehnfach größern Reiz vereinten, Ich kann mich wegen Ihnen mit dem Himmel nicht verfein- den. Der Erde Ruf entreißt mich Ihren Blicken, Ich hab genug, jetzt werde ich mich drücken. I, 1 7 8 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 25 30 VENUS. Tannhäuser? Wie, was hören meine Augen? Geh, sei doch gscheidt, was fällt dir denn nur ein? Komm, laß uns trinken, spielen, Küsse saugen, Du mich plantiren, kann’s denn möglich sein? TANNHÄUSER. Heb dich hinweg, du grauser Höllenspuck, Der Himmel winket mir, ich muß zuruck. Nr. 3 (Musik. Fernklingendes Gewirr von Halterblasen, Schafglocken, brummenden, brüllenden, blöckenden Thierstimmen, welches unter der Rede Tannhäusers melodramatisch forttönt.) [TANNHÄUSER.] Welch ferne Erdenlaute tönen nieder, Die lang entbehrten Stimmen hör ich wieder, Gemüthlich brüllt der Rinder traute Heerde, O was für Ochsen gibt es auf der Erde. VENUS. O Heinrich, Heinrich, laß dich nicht bethören, Ich will dir ewig heiße Liebe schwören! (Von oben ertönt leise die Melodie der Pechpolka.) TANNHÄUSER. Wohl bist du schön wie keine Maid auf Erden, Wenn man dich sieht, möcht man des Teufels werden. Doch nein, potz alle tausend Donnerwetter, Aus ist es, aus, leb wohl du Reich der Götter! O tönet fort, ihr Heimat-Wonnelieder, Die ird’sche Kneipe winkt, sie hat mich wieder. (Stürzt ab.) (VENUS stürzt mit einem lauten Schrei aufs Ruhebett. Das Orchester spielt mit Kraft im Marschtempo obige Polka.) Dritte Scene (VENUS, NYMPHEN.) VENUS (erhebt sich langsam). Es ist vorbei! Er ist für mich verloren, Das Schicksal hat sich gegen mich verschworen. Ich bin blamirt, verrathen und betrogen, Warum ward ich geboren und verzogen? Erstickt sind meines Lebens tiefste Keime, Es ist vorbei, ich gehe aus dem Leime! Nr. 4 CHOR DER NYMPHEN (ihr Luft zufächelnd). Holde Venus laß dir sagen, Durch den Gram wird Niemand fett, Häßlich machen dich die Klagen, Komm, steh auf von deinem Bett. Melodram VENUS. Rache, Rache will ich üben, Nicht der allerkleinste Humpen Werde je mehr aufgeschrieben, Keinem werd ich je mehr pumpen. CHOR (sprechend). Nicht den allerkleinsten Humpen Wollen je wir Einem pumpen. VENUS. Feen, wollt den Schwur belauschen, Den ich dem Tannhäuser schwöre. Will in Liebe er sich berauschen, Stets sein Glück er selbst zerstöre! Dieses ist der Fluch der Venus, O die Rache ist ein Genuß! CHOR (sprechend). Dieses ist der Fluch der Venus, O die Rache ist ein Genuß! I, 1–2 9 10 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 (VENUS und NYMPHEN ab unter Donner und Blitz. Das Orchester, welches bei den letzten Worten [in] furchtbaren Accorden accompagnirte, geht in eine sanfte idyllische Schäfermusik über.) VERWANDLUNG (Gebirgsgegend.) [Vierte Scene] (TANNHÄUSER, SCHAFHIRT.) ([SCHAFHIRT] sitzt vorne, links vom Publikum, auf einem Felsen, bläst den Dudelsack, idyllisch gekleidet.) Nr. 5. Romanze 1. Frau Holda stieg auf dem Berge herauf, Es grünten der Wald und die Saaten, Da kam der Frühling über sie, Sie wünschte heuzuraten. Doch leider fand sie keinen Mann, Es fehlt ihr an Bekanntschaft, Und keine Zeitung gibt es nicht In dieser schönen Landschaft. 2. D’rum lockte sie den Wandersmann In unterird’sche Grotten, Zog träumend ihn ans Herz hinan, Wie Werther einstens Lotten. So kriegt die Liebe wunderbar Die Männer ins Gehege, Auf diesem in der jetzigen Zeit Ganz ungewöhnlichen Wege. (Steht auf, spricht.) Da liegt ja was? Was ist denn das? Es ist ein Rittersmann, Der nicht mehr weiter kann. Er liegt so fest, er liegt so lange, Mir ist um seine Beinkleider bange, Er stöhnt und seufzt als wie besessen, O Herr, was hat er ausgefressen! (Für sich reflectirend.) Da lob ich mir ein friedliches Gewissen, Die Unschuld ist das beste Ruhekissen, Die Schulden sind der Güter höchste nicht, Der Übel größtes aber ist die Zahlungspflicht. Nr. 6. Chor des Gesangvereines [CHOR.] Frisch alle miteinand mit lautem Sing und Sang, Bei frohem Liederklang wird nie der Weg zu lang. Links, rechts, streng im Tact, Rein, fest angepackt, Rasch voran, Mann an Mann, Auf der neuen Bahn. Überall sucht man das Neue, Musik kommt jetzt an die Reihe, Neue Richtung gründen wir, Anderswo ist’s nicht hier, Durch die weite Welt, Wohin es uns gefällt. SCHAFHIRT (spricht unter den letzten 16 Tacten des Gesanges). Dort ziehet der Gesangsverein und kehret nimmer, Ausgewiesen vom Landgrafen ward er für immer, Landgraf liebt die Musik wie sie war, wie sie ist. Nicht wie sie sein wird, und deswegen verschließt Er streng sein Ohr dieser Neuerer Schaar Noch auf 6 Wochen länger, als auf immerdar. Nr. 7 TANNHÄUSER (ist bis jetzt vorn unter einer Säule gelegen, springt plötzlich auf). I, 3–4 11 12 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 5 10 15 20 25 30 35 Recitativ TANNHÄUSER. Es sei getrommelt und gepfiffen, So bin ich glücklich durchgekniffen, Es kann mein Stiefel wieder treten Den lieben alten Erdplaneten; Die frische Luft macht mir Courage, Mich grüßt die menschliche Visage! (Auf den HIRTEN deu- tend.) Melodram Ich hör im Dorf die Glocken bimmeln, Die Schäferknechte seh ich lümmeln, Ja wunderschön ist dieses Leben Und werth, darin vergnügt zu sein, Drum werd ich mir die Ehre geben, Mich dieser schönen Welt zu freun. Arie Heil euch, gegrüßet seid Güter der Erde, Tugend und Ehrbarkeit, Erbsen und Kohl, Freiheit und Thatendurst, Schinken und Leberwurst, Wie thut ihr wohl, so wohl, Liebe und Schnupftabak, Himmlischer Vorgeschmack, Herrlich Plaisir! Melodram Doch ach, es drückt mich schwer der Sünden Last, Es läßt mir keine Ruhe und keine Rast, Und weh, was fällt mir jetzt noch ein, Ich bin verliebt ja obendrein! Auf Landgraf Purzels Lisi bin ich ganz versessen, Das hätt ich jetzt auf Ehre bald vergessen, Wie soll ich vor die Holde treten, Beladen schwer mit Missethäten. Und kann ich’s vor ihr zu erscheinen wagen Im selben Kleid, das bei der Venus ich getragen? Nein, nein, doch wer macht auf Credit mir neue Kleider, O Himmel! sende du mir einen Zukunftsschneider. Ich habe kein Kollet als dieses Schößellose, Und das ist meine einzige Rittersommerhose. (Legt sich unter die Säule. Man hört von Ferne den Refrain des Gesangvereines, den Dudelsack des Hirten und die kommenden Fanfaren Purzls.) Nr. 8 SCHAFHIRT (sieht in die Ferne während den Fanfaren). Gefährlich ist’s, bleib ich hier länger sitzen, Der Landgraf naht mit seinen Sonntagsschützen. (Geht ab.) Fünfte Scene (PURZL, WOLFRAM, WALTER, FRIDOLIN, JÄGER; CHOR tritt zuerst ein, ALLE komisch karrikirt gekleidet, kurze Wämser, Stutzhosen mit großen Puffen, Lanzen.) CHOR. Das Jagdhorn schallt trara, trara, Tatera, tatera, tatera, Wau, wau, wau, wau. Halli, halloh, Bei uns geht’s immer so! PURZL (tritt ein. Karrikatur eines ritterlichen Jägers). Das Jagen ist gar schwierig. WOLFRAM, WALTER, FRIDOLIN. Gar schwierig! Ja! PURZL. Drum jausne, Freunde, hier ich! ALLE DREI. Jausne hier ich! Ja! PURZL. Mich däucht, das Hochwild will mich äffen, I, 4 13 14 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 Wenn ich in meiner Waldung pürsch, Ich konnte heut das Thier nicht treffen, Mir scheint, es war ein Zukunftshirsch. PURZL, WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Gebraten auf dem Teller Trifft man die Hirsche gut, Da schwillt so heiß das Blut Im wilden Jägermuth. [Dialog] PURZL (sieht TANNHÄUSER und spricht). Ihr Freunde seht, soll sich mein Auge irren, Hier liegt ein fremder Rittersmann spaziren, Ich glaube gar, ich kenne diesen Wanderer, Entweder ist er’s, oder ’s ist ein Anderer. WOLFRAM. Zwar, wen Ew. Gnaden meinen, weiß ich nicht, Doch hat er ein sehr ähnliches Gesicht. PURZL. Gleicht er nicht dem Tannhäuser, sagt es offen. WOLFRAM. Ja, in der That, ich find ihn sehr getroffen. PURZL. Der längst Vermißte weilt hier in der Stille, Es klopft mein Herz, wo hab ich meine Brille? Er ist’s, er ist’s! O Freunde sehet doch, Der edle Heinrich, er lebet noch! Laß dich umarmen, Sängerfreund – doch warte – Von wannen lautet deines Passes Karte? TANNHÄUSER. Fragt nicht; in jenem Land, wo ich gewesen, Gibt’s keinen Paß, dort kann man gar nicht lesen. PURZL. Wo man nicht lesen kann, da wird auch nichts geschrieben, O herrlich Wunderland, warum bist du nicht dort geblieben? TANNHÄUSER. Zerknirschet nah ich euch im stillen Trabe, O wüßtet ihr, wo ich gewesen habe. Nr. 9. Quintett PURZL. Wo bist du denn gewesen, mein lieber Freund? WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Mein lieber Freund! TANNHÄUSER. Das kann ich euch nicht sagen, gnäd’ger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Das kann er euch nicht sagen, gnäd’ger Herr! PURZL. Na, wennst du dich nur amüsirt hast, lieber Freund! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Lieber Freund! TANNHÄUSER. Mehr als ich sollte, gnäd’ger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Mehr als er sollte, gnäd’ger Herr! PURZL. Jetzt aber bleibst bei uns, mein lieber Freund! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Jetzt aber bleibst du bei uns, lieber Freund! TANNHÄUSER. Es jing wohl, aber ’s jeht nicht, gnäd’ger Herr! WOLFRAM, WALTER und FRIDOLIN. Es jing wohl, aber ’s jeht nicht! Dialog PURZL. Du bleibst bei uns nicht? Sprich, wo willst du hin? TANNHÄUSER. O laß mich Herr! Ihr ahnt nicht, was ich bin. WOLFRAM. Du sollst wie ehnder wieder mit uns singen. TANNHÄUSER. Wie ein zerbrochnes Hefen würd ich klingen. WALTER. Sollst mit uns kämpfen an der Liedertafel. I, 4–5 15 16 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 25 30 35 TANNHÄUSER. O nein, das bin ich niemals mehr cumpafel. Nr. 10. Recitativ PURZL. Wohlan! Denk an Elisabeth! ALLE. E–li–sa–beth! WOLFRAM. Elisabeth! O flieh sie nicht, Es ist ihr Herz auf dich verpicht. Sie springt sonst noch aus Liebesqual Bei Wienerisch-Neustadt in Canal. ALLE. O bleibe, wo Elisa weilt &c. TANNHÄUSER. Ich bleibe, wo Elisa weilt &c. Dialog PURZL. Wohlan, du bleibst, so kommt denn Alle Zur Wartburg in die Sängerhalle, Ich gebe dort heut Soirei Mit etwas Sängerkampf dabei! Bringt mein arabisch Dänenroß Und folget mir im Jägertroß. Und daß die dummen Leut nicht etwa glauben, Wir schossen nichts, so kauft zweihundert wilde Tauben, Sechs Schock Fasanen, eines Ebers hintres Viertel Und hängt euch’s als Trophäen an die Gürtel. Bewundernd rauscht der Wald in allen Zweigen, Das Schlachtroß klingt und die Trompeten steigen. (Der CHOR beginnt, während desselben bringt man PURZLS riesiges PFERD herein, welches er besteigt.) No. 11. Chor Der Landgraf er soll leben, Sein ganzes Haus daneben, Es lebe hochgeehrt Die Nichte und das Pferd. Trararara, wau, wau, wau, trara, Falari, falari, hussa, Halli, halloh, halli, halloh, Bei uns geht’s immer so! (Ende des ersten Acts.) I, 5 17 18 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 ZWEITER ACT (Sängerhalle auf der Wartburg. Großer Saal. Die Ausschmückung desselben bilden Embleme von Guitarren, Harfen. Zithern, Clarinetten, Drehorgeln, Dudelsäcke, Tschinellen &c. Rechts vom Publikum vorn eine Erhöhung, auf welcher ein aufrecht stehendes Piano den Thron bildet, eine große Zugharmonika bildet die Tribune für die Gäste. Die DAMEN setzen sich auf kleine Trommeln, die PREISRICHTER und SÄNGER auf Pauken.) Erste Scene Nr. 12. [Recit et] Arie ELISABETH (tritt pathetisch auf und singt). Ich grüße euch, ihr stolzen Sängerhallen, Dich, Harfenisten-Kampfplatz, grüße ich, Hier, wo nur Saitenspiel und Lieder schallen, Wird’s mir im Herzen gleich so liederlich. Ach lange mied ich diese Sängerschwelle, Denn er, der Theure, war nicht mehr zur Stelle. Konzerte, Kränzchen, Soir- und Matinéen, In alles dieses that ich nicht mehr gehen. Mein Busen klopfte nicht mehr musikalisch Denn meine Trauer war zu kanibalisch. Die Lust war mir entschwunden ganz und gar, Seitdem Tannhäuser durchgebrannt mir war. Jetzt ist er wieder da, er ist gefunden, O güt’ger Himmel, ich bin dir sehr verbunden. Arie Bis zum letzten Hauch der Seele, Lieb ich dich so fürchterlich, Will mit dir als Philomele Schlagen, du mein Filomelerich. Du bist der Sänger Kaiser, Mein einziger Tannhäuser. Häu, häu, häu, häu, häu, häu, Häuser!– Zweite Scene (VORIGE; WOLFRAM, TANNHÄUSER.) WOLFRAM. Sie ist allein, du darfst dich nicht geniren, Doch bitt ich, thu das Mädl nicht sekiren. Ich stehe Schildwach trotz dem Zeitversäumniß, Ich lieb sie auch, doch das bleibt mein Geheimniß. TANNHÄUSER. Wie edel bist du, Freund, das thut mich rühren, Ich werde suchen, mich bei dir zu revangiren, Ich kann ja doch ihr ganzes Herz nicht fassen, Ich werde dir noch etwas übrig lassen. (Tritt zu ELISA- BETH.) WOLFRAM. Ich werde bitten! (Ab.) TANNHÄUSER. O Prinzessin! ELISABETH (erblickt ihn). Ha! TANNHÄUSER. Jetzt nur solid! ELISABETH. O Götter, er ist da! TANNHÄUSER. Prinzessin wollen gnädigst Nachsicht üben, Ich war so frei, mich in Sie zu verlieben. Zu Ihnen fühlt mein Herz geheimes Neigen, Ich komme, Ihnen dieses zu verschweigen. ELISABETH. Mein Herr, ich finde es wirklich sehr .apparte., Ganz ohne Meldung und Visitenkarte, Statt Antwort schlag ich blos die Augen nieder, Ich bitte, gehen Sie und beehren Sie mich wieder. TANNHÄUSER (entzückt). Ich werd so frei sein, wenn Sie gütigst es erlauben, Und stille Hoffnung nähren, Sie zu bringen unter d’Hauben. Kein Mensch auf Erden ist so froh heut, Leb wohl, du Engel, königliche Hoheit! [(stürzt ab.)] I, 5 – II, 1 19 20 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 35 Dritte Scene (ELISABETH, PURZL.) (PURZL tritt von links vorn ein, küßt sie auf die Stirne.) [PURZL.] Mein theures Nichtchen! ELISABETH. Mein verehrter Onkel! PURZL. Du hast geweint? Die Augen sind so donkel? ELISABETH. O nein, doch knie mir nicht auf mein Gewissen, Sieh mir ins Angesicht, da wirst du’s lesen müssen, Ein hohes Sehnen muß aus meinen Zügen winken. PURZL. Du willst Kaffeh, er macht dir Hitz, sollst keinen trinken. Du armes Kind, in Liebe ganz verlornes, Dir ach, rekommandir ich nur Gefrornes, Doch mit des Compliments devotsten Katzenbuckel Harrt schon der ganze Hofstaat draußen in der Kuchel, Die Ritter lud ich all sammt Gattin und Familie, Glaub mir, Elisabeth, so ein Fest ist gar nit billi. Schon naht der Herold wappenreich beschildet, Benimm dich nur recht sittsam und gebildet. Heran ihr Saiten- und ihr Lanzenschwinger, Gib acht mein Kind, jetzt wink ich mit dem Finger. [(Er besteigt den Thron und winkt.) (ZWEI HEROLDE treten auf mit Stäben, deren Spitzen ein Kartentreff bilden, im altdeutschen Kostüm, auf Brust und Rücken ein großes Kartentreff. Sie treten aus dem Hintergrund links auf, gehen zum Thron, verneigen sich und gehen, auf den Wink des LANDGRAFEN, zur großen Trommel, unter Musik.) Vierte Scene Großer Festzug. (ELISABETH, LANDGRAF, ZWEI HEROLDE. Dann ACHT TRABANTEN. Dann CARREAU-KÖNIG und PIK-DAME. Dann HERZ-KÖNIG und TREFF-DAME. Dann BERTRAM und ALICE. Dann TELL und sein KNABE. Dann NORMA mit ZWEI KINDERN und OROVIST. Dann FIGARO. Dann OTHELLO und DESDEMONA. Dann MASANIELLO und FENELLA. Dann die kleine MUSIKBANDE des Landgrafen. Dann die VIER PREISRICHTER. Dann WOLFRAM, WALTER, FRIDOLIN und TANNHÄUSER; hinter ihnen VIER PAGEN.) Nr. 13. Marsch. (Die BEIDEN HEROLDE treten auf, verneigen sich vor dem Thron und stellen sich vor die große Trommel auf, auf den Tamtamschlag hauen sie mit ihren Stäben das Trommelfell ein.) (ACHT TRABANTEN kommen durch die Trommel und stellen sich rechts an den Kulissen auf.) (HEROLDE melden hierauf pantomimisch CARREAU-KÖNIG und PIK-DAME, welche eintreten.) (LANDGRAF und ELISABETH steigen vom Thron, empfangen BEIDE. LANDGRAF umarmt PIK-DAME, ELISABETH umarmt den CARREAU-KÖNIG, dann treten BEIDE auf die ihnen bestimmten Plätze.) (HEROLDE melden wie vorher HERZ-KÖNIG und TREFFDAME. Wie der LANDGRAF TREFF-DAME umarmen will, sieht er, daß dieselbe alt und häßlich ist; er winkt ELISABETH, sie zu umarmen; ELISABETH umarmt sie, der LANDGRAF umarmt den HERZ-KÖNIG.) (Ein HEROLD meldet BERTRAM und ALICE, welche unter der Musik zu „Robert der Teufel“ eintreten, sich verbeugend folgen ihnen TELL und sein KNABE unter der „Tell“-Musik.) II, 2–3 21 22 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 (Ein HEROLD meldet NORMA, welche unter der „Norma“Musik mit ihren beiden KINDERN und OROVIST eintreten; wie der LANDGRAF sie erblickt, steht er auf und umarmt NORMA, kann aber, indem er NORMA mit dem Finger droht, einen vorwurfsvoll-sarkastischen Blick über die beiden Kinder nicht un- terdrücken.) (Ein HEROLD meldet FIGARO, welcher unter der Musik zu „Figaros Hochzeit“ eintritt.) (Ein HEROLD meldet OTHELLO, der mit DESDEMONA eintritt. Man sieht dem LANDGRAFEN an, er möchte DESDEMONA umarmen, wird aber durch OTHELLOS wüthende Gebärde zurückgeschreckt.) (Hierauf folgt Musik zu „Die Stumme von Portici“.) (MASANIELLO und FENELLA treten auf. Der LANDGRAF steigt wieder vom Thron, versucht sich mit FENELLA zu verständigen, diese deutet an, daß sie stumm ist, der LANDGRAF deutet auf komische Weise an: „Na, wir werden uns doch ver- stehen!“.) (Während dessen ist die kleine MUSIKBANDE des Landgrafen durch die Trommel gekommen, phantastisch gekleidet mit Trommeln und Pfeifen. Die kleinen MUSIKANTEN stellen sich je vier und vier vor der Trommel auf und gehen dann auf die Harmonika. Es folgen die VIER PREISRICHTER, in schwarzen Kutten, mit weißen Binden, um den Hals rote Krausen, auf dem Kopfe Faustbaretts. Sie stellen sich zu den vier Pauken vor der Harmonika. Zuletzt WOLFRAM, WALTER, FRIDOLIN und TANNHÄUSER, hinter ihnen VIER PAGEN, jeder eine Harfe in der Hand.) CHOR. Heil, Heil, Heil sei dem Landgrafen, Heil, Dem edlen Kunstbeschützer Heil! Heil! Heil! (ALLE haben Platz genommen.)] Nr. 14. Recitativ PURZL (zu den VIER HERREN). G’horsamster Diener, meine hochgelehrten Herren, Es ist heut Sängerkampf, es wird auch gsungen werdn, Preisrichter seid ihr bei dem Spiel der Lieder, Drum setzt euch hier auf diese Stockerln nieder. Fünfte Scene PURZL (singt). Ihr Sänger, durch Apollo groß, Laßt jetzt die schönsten Lieder los, Machts mit der Stimm nur keinen Gix, Am Text, o mein! da liegt ja nix. Und wenn bei Ein’m von euch ihr Herrn Die Tön schon etwas waklet werdn, So helft euch Philomelerer Und nehmt das Tempo schnellerer, Daß ich das Tremulirn nicht hör, Sonst kriegts ös keinen Preis auf Ehr. Recitativ Nehmt eure Harfen jetzt und thut vor allen Dingen Aus vollem Hals die Liebe mir besingen. Den Preis mag ungenirt der Sänger fordern, Ich werde diese hier (auf ELIS[ABETH]) dazu beordern, Daß sie – das wird die Andern alle fuxen, Den Singsangsieger heirat s’ ohne Muxen. Und weil die Gschicht langweilig werden kann, So fangen wir gleich bei dem Letzten an. DIE RICHTER (stehen auf und singen). Wolfram von Dreschenbach! beginne! (Setzen sich.) Nr. 15. Der Sängerkrieg WOLFRAM (steht auf, sieht sich grüßend um, nimmt die Harfe und singt schmelzend). II, 4 23 24 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 Eduard und Kunigunde, Ihr der Liebe Musterpaar, Lehret mich in dieser Stunde Liebe singen rein und wahr. Seufzen, sehnsuchtsvoll, mordionisch, Glücklich sein in Lieb platonisch, Wenn d’Geliebte ein’ auch verschmäht, Oder mit ein’ Andern geht. ALLES (murmelt beifällig). Bravo! RICHTER (stehen auf und verbeugen sich). Ausgezeichnet! (Setzen sich.) Recitativ TANNHÄUSER (springt auf). O Wolfram! O Dreschenbach! Was leiert deine Kehle! Ich werd dir zeigen, Tro[u]badour, Wie man die Lieb besingt aus voller Seele! Dort drobn aufn Berg Is d’Welt kugelrund, Da logirt mein liabs Deandl Vom Himmelpfortgrund. A jeds Bußl von ihr Macht an Schnalzer als wia Und umarmt s’ mich frischweg, Bin ich voll blauer Fleck! Dulie! Dulie! ALLES (klatscht in die Hände, bewegt sich mit, wie der Jodler schließt, bleibt ALLES starr, ein unwilliges Murren durchzieht die Versammlung). DIE RICHTER (stehen auf und verbeugen sich). Sehr gemein! (Setzen sich.) Recitativ FRIDOLIN (steht auf). Halt ein, Tannhäuser! Du willst uns kompromittiren, Das duld ich nicht, drum werd ich mich prostituiren. Arie (sehr sanft) Ja leidenvoll und freudenvoll macht uns der Liebe Band, Ja leicht oft sehr, oft zentnerschwer und noch gar viel und allerhand. Lieb liebt Blümlein fein, Schmalzblümelein, An jedem findet sie Geschmack. Doch manch Kräutlein fein, thut ihr z’wider sein, Wie zum Beispiel ’s Kräutlein Schnupftabak. (Allgemeines) Bravo! RICHTER (stehen auf und verbeugen sich). Ausgezeichnet! Recitativ TANNHÄUSER (stürzt vor). Hör auf mit deiner Dudelei, Die Saiten abzuhaspeln, Verboten ist Thierquälerei, Was soll das Süßholzraspeln. (Gemurmel.) Ich hab der Liebe Hochgenuß ermessen, Ich kostete ihr ganzes Wunderwerk, Wollt ihr gleich mir das Glück mit Löffeln essen, Wohlan, so geht und kneipt im Venusberg! (Allgemeiner Aufruhr. ALLES rennt wild durcheinander mit erhobenen Armen.) ELISABETH (sinkt mit lautem Schrei in Ohnmacht). II, 4–5 25 26 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 Nr. 16. Ensemble-Stück. Recitativ PURZL. Wie? Hör ich recht? Im Venusberg vergaß er Ehr und Pflicht? Merkwürdig, so etwas ahnt ich nicht. PURZL, WOLFRAM, WALTER, FRIDOLIN und CHOR. Ergreift das erste Beste Und klopft ihm aus die Weste Im donnernden Gebraus, Werft den Verräther naus. ELISABETH (mit lautem Schrei). Haltet ein, wer wirft auf ihn den ersten Stein! ALLES (zieht sich furchtsam zurück. Pause). PURZL (spricht zu TANNHÄUSER). Mein Sohn! Du hast dich sehr schmafu benommen, Mir ist so was noch gar nicht vorgekommen, Statt hier heroben Eine auszuwählen, Hast du charmirt mit unterirdschen Mamselln. Fehlt’s etwa an Gelegenheit hier, die Cour zu schneiden, Hier stengens Dutzendweis, die allerschönsten Maiden. Sogar sie, meine leibliche Niece, Zusammengsetzt aus Schönheit und Nobless’. Du wußtest es, daß sie dich liebet, Und dennoch hast du sie so tief betrübet. Sangst einer Hexe deinen Liebeswahnsinn vor, Du hast gefrevelt schwer in Liebe und Tenor, Deshalb verbann ich dich aus diesem Liederzirkel, Wo du ertönen ließest Coloratur-Geschnirkel. (Man hört von Innen den fortziehenden Männergesangver- ein.) Nr. 17. Finale [PURZL.] [(spricht unter der Musik.)] Hörst du den Männergesangverein, Den ich verbannt aus meinen Ländereien? Mit ihm wirst du fortziehen und nicht wiederkehren, So lang du einen Ton noch hast, der anzuhören. Bei Zukunfts-Musik geht wohl ohne Zweifel Der festeste Tenor gar bald zum Teufel. Die Heiserkeit kriegt immer mehr Frequenz, Erkläret endlich sich in Permanenz, Drum sprech ich theils in Milde, theils im Grimme: Auf Wiedersehen, aber ohne Stimme! TANNHÄUSER (singt). Mich treibt mein Geschick Zur Zukunftsmusik. ALLE. Fort zur Zukunftsmusik. TANNHÄUSER [(spricht)]. So bin ich aus dem Sängerkreis hier ausgeschlossen, Jetzt sing ich justament euch Allen noch zum Possen. (singt.) Dort drobn aufn Berg Is d’Welt kugelrund, Da logirt mei liabs Deandl Vom Himmelpfortgrund. (Jodler.) (Ende des zweiten Aktes.) II, 5 27 28 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 DRITTER ACT (Gebirgsgegend wie im ersten Akte.) Erste Scene (ELISABETH tritt auf, stopft an einem ungeheuren grünen Strumpf.) Nr. 18. Arie Durch Hecken, Wald und Sümpfe Eil ich mit nassem Blick, Und stopf ihm ach die Strümpfe, Die er mir ließ zurück. Was duld ich nicht für Qual und Pein, Es sind so viele Löcher drein, Ich find nicht Ruhe mehr, Die Sehnsucht und die Strümpfe, Die stopfen sich so schwer. (Weint, trocknet sich mit dem Strumpfe die Thränen.) WOLFRAM (ist im Hintergrunde herumgeschlichen). Elisabeth! ELISABETH (erschrocken). Wer ist’s? – Ach Sie sind es, mein Lieber? Was raschen Sie mich denn so plötzlich über? WOLFRAM (süß). Sie sind so abgeschwärmt, die Stimm ist Klageflüster, Es liegt auf Ihrer Stirn ein Haufen Wolken düster, O mäß’gen Sie des Herzens heißen Kampf, Sie kriegen sonst am Ende noch den Magenkrampf. ELISABETH. O Wolfram, soll ich mich nicht selbst entleiben, So muß ich meinen grausen Schmerz betäuben. WOLFRAM. Kann ich’s vielleicht? ELISABETH. Du kannst’s! WOLFRAM (freudig). Ich kann’s? O sprich! ELISABETH (verzweifelnd). O Wolfram, komm, chloroformire mich! WOLFRAM (sanft). Ich soll sie chloroformiren In einen tiefen Schlaf, Ich darf nicht practiziren, Das kost fünf Gulden Straf. ELISABETH. Der Gsangverein kam wo[h]l und munter Und pardonirt zurück nach Haus. Doch mein Tannhäuser war nicht drunter Ich schau umsonst mir d’Augen heraus. Drum geh ich jetzo die Grotte zu betrachten, Und werde mich daselbst zu Tode schmachten. Leb wohl, und wart nur einen Augenblick, Als Leiche kehr ich bald zu dir zurück. (Pathetisch ab.) Zweite Scene WOLFRAM (allein). Sie liebt nur ihn, und stirbt, die dumme Gredel! O so ein Weib hat einen dicken Schädel. Jetzt aber sänge ich vom Herzen gern Die große Arie vom Abendstern! Nr. 19. Arie Guter Mond, du goldner Zwiebel, Ach, dich seh ich äußerst gern; Doch auch du bist gar nicht übel, Hochgeehrter Abendstern! II, 5 – III, 1 29 30 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 Dritte Scene (WOLFRAM; PURZL heftig weinend.) WOLFRAM. Der Landgraf weint, es rührt ihn mein Gesang, Ich laß es lieber gehen, sonst wird der Mann mir krank. PURZL. O Wolfram, denk dir, was mir ist passirt, Elisabeth hat sich zu Tode lamentirt; Man sah es wohl der Ärmsten an, daß’s bald mit ihr vorbei, Vier Schluchzer und fünf Ächzer, und sie seufzte sich entzwei. Erblichen ist die beste aller Seelen, Sie starb gefaßt, und läßt sich dir empfehlen. (Laut schluchzend ab.) WOLFRAM. Das Morgenroth erhebt sich schon recht munter, Doch sieh, wer wimmelt dort den Berg herunter? Vierte Scene. Nr. 20. Melodram (TANNHÄUSER tritt taumelnd auf, sein Anzug ist zerlumpt, um den Hals eine große Schnapsflasche, eine dicke Weinrebe als Reisestock.) WOLFRAM (unter Musik). Der Wanderer macht gar eine finstere Jammermiene, Er scheint mir eine Slivowitzruine. Ist’s möglich? Kruzi Türken, Crimineser! Er ist’s! es ist mein Freund Tannheser! TANNHÄUSER (ohne Musik). O nenn den Namen nicht um alles in der Welt, Man preist ihn würdig nur im Lerchenfeld. Doch diese rothe Nase und das lange Ohr Wolfram – du bist’s – du schaust noch grad so dumm aus wie zuvor! WOLFRAM (beleidigt). Du scheinst vom Dusel etwas mir befangen. TANNHÄUSER. Mir ist es miserabel schlecht ergangen. Ich will dir Alles sagen, altes Haus, Doch trink erst einen, sonst hältst du’s nicht aus. (Gibt ihm die Flasche. WOLFRAM nimmt dann und wann einen Schluck. Musik.) Melodram TANNHÄUSER (spricht mit melodramatischer Musikbegleitung.) Des Landgrafen Urtheilsspruch war kanibalisch, Die mir diktirte Strafe musikalisch – Gemißbraucht hab ich den mir inwohnenden Tenor[,] Drum verbannt er mich, bis ich den letzten Ton verlor. So ausgewiesen sucht ich Engagement Bei einer Bühne, wo man Opern gibt allaan, Und zwar wo man die Zukunftsoper kultivirt, Weil man bei der am schnellsten seine Stimm ruinirt – Man nahm mich freudig an, ob meines Athems Länge Und meiner Lunge Kraft für diese Art Gesänge. In Mozarts Zauberflöte wollt ich debutiren, Wer Stimme hat, muß als Tamino reussiren. (Singt.) Dies Bildniß ist bezaubernd schön, Wie noch kein Auge je gesehen, Ich fühl es, ich fühl es! Doch weh! Statt diesen Melodien, die zum Herzen dringen, Mußt ich in einer Zukunftszauberflöte singen. (Singt im Geschmack der Zukunftsmusik.) Dies Bildniß ist bezaubernd schön Wie noch kein Auge je gesehen Ich fühl es! ich fühl es! (Spricht mit Musikbegleitung.) Drauf hieß es, daß ich Max im Freischütz singen solle, Und gleich gab man mir Singparthie und Rolle; Doch war’s von Weber nicht, o Richtung des Geschmacks, Was ich in Händen hielt, es war ein Zukunftsmax. Da hieß es nicht mehr: (Singt.) Durch die Wälder, durch die Auen – III, 1–4 31 32 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 35 (Spricht.) Nein, o nein, da lautet es so: (Singt.) Durch die Wälder, durch die Auen. (Spricht.) Nicht besser ging’s mit Winters Opferfest In dem man auch mich debutiren läßt. Die reizend süße Melodie Ich glaub, es kennt ein Jeder sie. (Singt.) Wenn mir dein Auge strahlet Wird mir so wohl, so gut, Und meine Wangen malet Noch nie gefühlte Gluth! (Spricht.) Doch nein, mir sträubt sich noch das Haar davon, Das lautete s o in der Zukunftskomposition: (Singt.) Wenn mir dein Auge stra[h]let &c. &c. (Spricht.) So gings und ging es fort[,] ich schrie im Übermaß, Ich sang drauf los, wußt selber oft nicht was. Und trotzdem hab ich doch die Stimm nicht verloren, Doch ward mir endlich bang für meine Ohren; Posaunen, Bombardons, Trompeten und Tamtam, Das reißt das stärkste Trommelfell ja endlich zusamm’. Mag zürnen mir der Landgraf hinfür wie er will, Ich halt es nicht mehr aus, was z’viel is, is zu viel. Wenn sich das weiter fortspinnt in die Länge, So kommts am Ende noch auf die Volksgesänge. Wie solln die Leut denn das prestiren mit den Lungen, Wenn draust beim Heurigen nicht mehr wie früher wird gesungen: (Singt.) I bitt Herr Hauptmann &c. Wenn es dann heißen wird: (Singt wie oben.) I bitt Herr Hauptmann &c. WOLFRAM. O fürchterlich, Herr je, Herr je, Vom Zuhören thut die Brust mir weh! TANNHÄUSER. Fest entschlossen stieg ich wieder In das Reich der Venus nieder, Froh ertönen dort Gesänge Und der Wonne heitre Klänge, Hier oben ward mir mein Tenor vergällt[,] So sing ich unten in der Feenwelt. WOLFRAM (entsetzt). Mich rührt der Schlag, Apoplexia genannt, O Heinrich, sei doch nicht so desperat. TANNHÄUSER. Laß mich, hier wars, mitten in diesen Kessel drinn, Wo ich hinabgefahren damals bin, Und wo ich auffuhr als ich ausgerissen; Hier ruf ich sie, sie wird mich hören müssen. O Venus, herrlichste von allen Engeln, Ich komme, um mich wieder bei dir anzuschlängeln. Ich weiß, mir lächelt dein Gesicht, Denn alte Liebe rostet niemals nicht. VENUS, NYMPHEN-CHOR. Wir winden dir den Jungfernkranz Mit veilchenblauer Seide. TANNHÄUSER. Hörst du, sie winden mir den Jungfernkranz, Es steigt herauf ein rosenfarbner Glanz. Die Erde wackelt unter meinen Füßen, Leb wohl, Wolfram, ich lasse Alle grüßen. (Will in die Erde hinein.) WOLFRAM (packt ihn von hinten am Gewande). O Heinrich bleib! in meines Herzens Nöthen Beschwör ich dich beim Schnurbart des Propheten, Die Venus laß, sie werde dir gestohlen, Du bleibst, oder – der Teufel soll dich holen. CHOR DER NYMPHEN. Lavendl, Myrth und Tymian, Das wächst in unserm Garten. III, 4 33 34 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 35 5 10 15 20 25 30 35 TANNHÄUSER (ringt mit WOLFRAM). Laß ab von mir – ich komme – bin schon da, Es lebe Venus! Vivat hoch! [Hurra!] (Eine Flamme steigt mitten aus der Erde. Die Musik des unterirdischen Chors geht in den Trauermarsch über. Musik bis zum Schluß.) WOLFRAM (entzückt). Ha köstlich, apropos, er ist geprellt, Der Leichenzug kommt grade wie bestellt. (Der LEICHENZUG bewegt sich feierlich vom Berge herab.) TANNHÄUSER. Ha, was ist das? Welch schauerliche Mahnung, Es faßt mich eine centnerschwere Ahnung. KATAFALKER (im Leichenbittertone). Das heute Früh erfolgte sanfte Scheiden Elisabeths nach langem schweren Leiden Beehr ich mich mit traurigem Verneigen Dir statt des Partezettels anzuzeigen. TANNHÄUSER. Elisabeth! WOLFRAM. Um dich ist sie gestorben, Die Liebe hat die Gsundheit ihr verdorben. Sie ist erlegen der Verzweiflung Sturm, Sie weinte sich zu Tod!– TANNHÄUSER. Der arme Wurm! Elisabeth, du unschuldige Person, Dein Opfer packt mich bei der Ambition, Ich folg dir in die Gruft zu deinen Ahnen, Und dich, Frau Venus, laß ich unten lahnen. (Furchtbarer Donner. Flamme aus dem Boden. Es wird Tag. Musik wird stark. Chor beginnt.) Fünfte Scene [Nr. 21. Finale] Trauerzug (1. Die HEROLDE in Trauer. 2. HOFDAMEN in Leichentücher gehüllt. 3. Eine Schaar SÄNGER. 4. Die Bahre, auf welcher ELISABETH im Negligée liegt mit Blumen verziert. 5. 4 RICHTER tragen die Bahre. 6. PURZL neben ihr. 7. 2 BANNERTRÄGER mit ungeheuren Trauerflören, in welche sich PURZL von beiden Seiten hüllt. 8. HOFDAMEN. 9. HOFHERREN und die SÄNGER. 10. SOLDATEN.) CHOR. Mensch bedenk, du bist aus Staub, Bist des grausen Todes Raub, Unsre unschuldvolle Maid Liegt jetzt da im weißen Kleid. TANNHÄUSER (stürzt laut weinend vor der Bahre nieder). PURZL, CHOR. Was will der Fremdling so verwegen, Daß er es wagt sich hinzulegen. Was seh ich – er ist es – er ist es – meiner Seele Ja er ist’s! Er selbst! PURZL (schreit). Tannhäuser! (Zieht ein ungeheueres Schwert, will auf ihn los.) WOLFRAM (fällt ihm in die Arme). WOLFRAM (abwechselnd mit CHOR). O edler Landgraf, sei nicht so dumm, Bringe uns den Tenoristen nur nicht um, Mußt deinen Zorn du kühlen schon, So tödte diesen zweiten Bariton. TANNHÄUSER. O laßt ihn doch gewähren, Um mich braucht ihr euch nicht zu scheren, Wer so wie ich geduldet, Wer so wie ich verschuldet, Und trotzdem noch kann singen, Der ist so leicht nicht umzubringen. Ich folge dir, du weißgewaschne Maid, III, 4 35 36 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 5 10 15 20 25 30 35 Wir gehn .ensemble. in die Ewigkeit. (Setzt eine Nachtmütze auf und stirbt.) CHOR. O barmherziger Gott[,] Schon wieder Einer todt. PURZL. Hier liegen sie, die beiden zarten Pflanzen. WOLFRAM. Sie liebten sich im Einzelnen, wie im Ganzen. PURZL. Mir is leid, es waren beide So liebe, gescheidte Leute. FRIDOLIN. Leb wohl, auf ewig lebe wohl! WOLF[RAM] und WALTER. Leb wohl! PURZL. Leb wohl! (Greller Accord. Donner und Blitz.) Sechste Scene (VORIGE; NYMPHEN, VENUS aus der Erde dicht hinter der Bahre emporsteigend. Die Bühne hüllt sich in Wolken.) VENUS (unter Musik). .Bon jour messieurs., ich bin der Liebe Göttin, Und trete gnädig an dies Trauerbett hin, Die Liebe dieses Fräuleins rührt mich tüchtig Und ich bin wirklich gar nicht eifersüchtig. Erwachen mögen sie, sich zu ergötzen Und ihre Liebe wieder fortzusetzen. Doch die Bedingung sprech ich als Gebot, Beim ersten Streit seid Ihr gleich wieder todt. PURZL. Nicht zanken sollen sie – da ruf sie lieber nicht zurück ins Leben, Ein Ehstand ohne Streitigkeit, wo sollt es so was geben? VENUS. Lebt wohl denn, und beherzigt diese Lehre, Ich mach mein Compliment und hab die Ehre! PURZL. Als Verlobte empfehlen sich, ich als Onkel verkünde die Geschichte, Heinrich Tannhäuser und Elisabeth bürgerliche Landgra- fensnichte. ALLGEMEINER JUBELCHOR. Was gäb es auf Erden Für Glück ohne Liebe! (Ende) III, 5–6 37 38 TANNHÄUSER 5 10 15 20 25 30 35 5 10