Sebastian Schütze - „L’âme des hommes de génie“: Dante – Michelangelo – Rodin (Auszug aus dem Text) Als Rodin am 16. August 1880 vom französischen Staat offiziell den Auftrag erhielt, ein Portal für das neu einzurichtende Musée des Arts Décoratifs in Paris auszuführen, wählte nicht der Auftraggeber, sondern der Künstler selbst dafür Darstellungen aus Dantes Inferno aus. Das Höllentor gehört zu den Schlüsselwerken der Moderne. Seine komplexe Entstehungsgeschichte kann hier nur angedeutet und mit Blick auf die Dante-Rezeption Rodins vertieft werden. Anhand von zeitgenössischen Berichten, von Vorzeichnungen, Wachsmodellen und Gipsen lässt sich die Genese des Projektes nachvollziehen, das letztlich ein unvollendetes bleiben sollte, nie am vorbestimmten Ort zur Aufstellung gelangte und erst posthum in Bronze gegossen wurde. In den ersten Entwürfen sind die Türflügel mit symmetrisch angeordneten Historienreliefs geschmückt und deutlich an Ghibertis Florentiner Paradiestür orientiert. Sehr schnell hat Rodin dieses Konzept dann verworfen und seinen Weg von Ghibertis Paradiestür zu Michelangelos Jüngstem Gericht gefunden. Die Historienreliefs wurden durch einen einheitlichen Bildraum ersetzt, der die gesamten Türflügel und Teile des Rahmens umfasst und von einer Vielzahl miteinander verketteter Figuren und Figurengruppen bevölkert wird. In einem wahren Schaffensrausch entwarf Rodin hunderte von Figuren, immer wieder wurden neue Bilderfindungen integriert und andere herausgelöst, um mit sich wandelnden Titeln versehen oder als Assemblagen fortzuleben. Die vorläufig endgültige Form hatte das Tor gegen 1890 erreicht, obwohl Rodin noch bis zu seinem Tode immer wieder daran arbeitete. Sukzessive entfernte sich das Höllentor dabei zugleich immer weiter von Dantes Inferno und wurde in ein „säkularisiertes Jüngstes Gericht“ umgedeutet. Anschaulich lässt sich dieser Prozess an den Darstellungen von Paolo und Francesca und Ugolino und seine Söhne nachvollziehen, deren affektives Pathos sie zu den bevorzugten Dantethemen des 19. Jahrhunderts gemacht hatte. Im dritten Modell des Tores sind beide Gruppen als Sitzfiguren prominent im unteren Teil der Türflügel angeordnet. Die sich umarmenden Liebenden, Paolo und Francesca, wurden schon bald herausgelöst und sollten unter dem Titel der Kuss ein äußerst erfolgreiches Eigenleben entfalten. Auch der vom Hungertod bedrohte Ugolino mit seinen sterbenden Söhnen war zunächst als monumentale Sitzfigur, in deutlicher Anlehnung an Carpeaux‘ Gruppe konzipiert. 1. Wer ist der Auftraggeber von Höllentor? 2. Was war der kreative Prozess von Rodin? 3. Was sind die berühmtesten Dantethemen des 19. Jahrhunderts? 4. Wurde Höllentor zu Rodins Lebzeiten in Bronze gegossen? 5. Von welchen Kunstwerken ist Höllentor inspiriert? 6. Ist die Inspiration des Jüngsten Gerichts sichtbar in Höllentor?