Heinrich Böll im Kontext der Nachkriegsliteratur NJII_25A Určující tendence současné literatury Mgr. Martina Trombiková, Ph.D. 1.3.2023 •https://jamboard.google.com/d/1by53gtmGJLRHvG-o3pvkhNvdtcEtlYx_6K-F-_8F80U/edit?usp=sharing • •Welche Themen können Sie anhand der Lektüre identifizieren? •Welche Problematik hat Heinrich Böll schriftstellerisch beschäftigt? Welche Stellung nimmt Heinrich Böll mit seinem Werk im Kontext der Nachkriegsliteratur ein? Wie hat die literarische Szene nach 1945 ausgesehen? Was sind die wichtigsten Themen im Werk von Heinrich Böll? • • • I.KONTEXTUALISIERUNG II. •1945: Endzeitstimmung + Hoffnung auf einen Neubeginn •Man sollte mit den Ursachen des Terrors des Faschismus brechen! •„Ankunft zu neuen Ufern“ (W. Borchert) •erste öffentliche Beiträge zur Schuldfrage: •Karl Jaspers (“Die Schuldfrage”), Friedrich Meinecke (“Die deutsche Katastrophe”), Eugen Kogon (“Der SS-Staat"), Alfred Weber (“Abschied von der bisherigen Geschichte”) oder Max Picard (“Hitler in uns”) •aber auch Brücken schlagen zwischen Autoren des Exils und der Inneren Emigration •„JUNGE GENERATION“ • • •Heinrich Bölls Position in der Nachkriegsliteratur? • •… gehört zu den Autoren der JUNGEN GENERATION (geb. 1917) •… hat den Krieg bereits aktiv erlebt • •Briefe aus dem Krieg 1939–1945 • • AUSZUG 1 •Bromberg, den 14.7.40 • •Liebe Eltern und Geschwister! • •[…] Mein Überdruß am Kasernenleben hat nun seinen Höhepunkt erreicht; bei der nächsten Gelegenheit melde ich mich freiwillig weg, gleich wohin; ich bin bestimmt alles andere als ein Held oder ein Draufgänger, aber dauernd in der Urbrutstätte des Unteroffiziersgeistes, in der Kaserne, ist es nicht zu ertragen; ich halte es einfach nicht länger aus. Für das Mehr an Freiheit und Großzügigkeit, das draußen bestimmt herrscht, will ich gern das Leben riskieren. […] • •[Heinrich Böll. Leben und Werk. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995, S. 9] AUSZUG 2 •Debrecen (Ungarn), den 19. Juni 1944 •Meine Lieben, dieses Mal war das Entsetzen kürzer, aber um so heftiger; der vollkommene Irrsinn des modernen Materialkrieges noch einmal für wenige Tage aufgelebt, Massen von Panzern, Wolken von Fliegern, Nebelwerfer, Stalinorgeln und alles, alles dieses verbrecherische moderne Zeug, das Eisen spucken kann, und dazwischen die tapfere Infanterie. Ich habe am Morgen des dritten Tages 20 Meter vor unserer Einbruchstelle drei Splitter einer russischen Handgranate ins Kreuz bekommen und bin dann, obwohl ich durch dreitägigen Hunger, Durst und gräßliche Hitze schon fast tot war, noch etliche Kilometer getürmt, weil ich mit meiner Verwundung nicht allein liegenbleiben wollte und weil die russischen Panzer schon hinter mir waren, als ich nach dem ersten Schrecken der Verwundung erst merkte, dass ich allein war!! Die bisherige dreiwöchige sanitäre Behandlung hat mir nichts eingebracht als Läuse und Wut. Leider gibt es für "unsere Verwundeten” keine Schokolade mehr, sonst würde ich meiner kleinen Taube etwas schicken; nach dem Krieg hoffe ich, manche Unterlassung gutmachen zu können. Ich hasse den Krieg und alle, die ihn lieben! Gott gebe, dass Alois noch in Deutschland ist und nicht zur Bekämpfung der Italiener aufgefahren ist. Euch alle grüße ich von Herzen mit der Hoffnung auf ein Wiedersehen. Euer Hein • •[Heinrich Böll. Leben und Werk. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995, S. 9] • DER ZWEITE WELTKRIEG ALS THEMA •Überdruss vom Krieg • •literarische Auseinandersetzung mit dem Krieg: • •1949: Der Zug war pünktlich •1951: Wo warst du, Adam? • •pessimistische Texte über den Krieg – kein großer Erfolg • • 1949 1951 Wo warst du, Adam? (übersetzt von Luvík Kundera, 1961) 1951 DIE SCHWARZEN SCHAFE 1953 Erfolg! Die Handlung spielt nicht mehr während des Krieges, sondern in der Gegenwart Auseinandersetzung mit einem aktuellen sozialen Problem “Drama der Wohnungsenge” „Mietroman“ Kritik der Kirche •Bölls Rückkehr auf die literarische Szene ist direkt nach dem Zweiten Krieg zunächst ausgeblieben • •“unglaublich schwer, nach 1945 auch nur eine halbe Seite Prosa zu schreiben” [H.B.] • • •erst 1951 nimmt Böll an einer Lesung der Gruppe 47 teil •(Schwarze Schafe) Köln am Rhein 1920 / 1945 1971 / heute Welche literarische Möglichkeiten gab es für die AutorInnen der unmittelbaren Nachkriegszeit, um trotz der großen Skepsis weiter schreiben zu können? •KURZGESCHICHTEN / ERZÄHLUNGEN •50ER JAHRE •"die schönste aller Prosaformen” [H. B.] • •1950 Wanderer, kommst du nach Spa… •1951 Nicht nur zur Weihnachtszeit •1955 Doktor Murkes gesammeltes Schweigen • •beeinflusst v. a. von amerikanischen Short-Story-Autoren • 1950 1951 1955 60ER JAHRE: “Literatur der Bundesrepublik” •Etabliert hatten sich eine Reihe von Autoren, die das literarische Bild der folgenden Jahre nicht nur nachhaltig geprägt, sondern als Einzelgestalten auch repräsentiert haben. •Heinrich Böll •https://www.youtube.com/watch?v=oz1n3Mfj-XQ •Günter Grass •Siegfried Lenz •Martin Walser •Uwe Johnson • •… äußern sich auch kritisch-publizistisch in der Öffentlichkeit •…thematisieren Gegenwartsprobleme • Obsah obrázku text, osoba, interiér, oblek Popis byl vytvořen automaticky Obsah obrázku osoba, muž, nošení, tmavé Popis byl vytvořen automaticky Obsah obrázku osoba, muž, interiér, starší Popis byl vytvořen automaticky Obsah obrázku muž, osoba, pózování, starší Popis byl vytvořen automaticky bereits 1953 stofflich-thematische Akzentverschiebung PROBLEME DER GEGENWART Einfluss der franzözischen literarischen Bewegung “Renouveau catholique“ KRITIK DER KIRCHE? 1963 ANSICHTEN EINES CLOWNS – FILM (1976) • •Vojtěch Jasný (Regie) •Helmut Griem (Titelrolle) • •https://www.youtube.com/watch?v=w6Z1y7acBrQ • ANSICHTEN EINES CLOWNS (1963) • •”Keines meiner Bücher ist do missverstanden worden wie die Ansichten eines Clowns...das war eigentlich nur eine Liebesgeschichte, wirklich nicht mehr. Es ist hier auf eine Weise politisiert worden in diesem Land, wie in keinem Land der Welt, noch nicht einmal in der Sowjetunion.” • [H. B.] Ansichten eines Clowns Ansichten eines Clowns (übersetzt von František Kafka) KRITISCHE AUSEINANDERSETZUNG MIT DER KATHOLISCHEN KIRCHE •antiklerikale Tendenz • •1953 Und sagte kein einziges Wort („dummer Bischof“) •1958 Brief an einen jungen Katholiken •1963 Ansichten eines Clowns • •vgl. “Renouveau catholique” • Renouveau catholique Ziel: die Erneuerung von Literatur und Gesellschaft durch die Hinwendung zu den Werten eines ursprünglichen Katholizismus • • • • Georges Bernanos (FR) • Gertrud von Le Fort (DE) • • • • Graham Greene (VB) • • Jan Zahradníček (CZ) 1958 •Auszug aus Heinrich Bölls "Brief an einen jungen Katholiken", 1958 • •"Gewiß wundern Sie sich, daß ich Ihnen das alles schreibe und es Ihnen nicht an jenem Abend bei Pfarrer U. erzählte; das hat einen Grund, den ich Ihnen nicht verschweigen will: ich bringe es nicht mehr über mich, in Gegenwart von Pfarrer U. über Dinge zu sprechen, die mir ernst sind; ich kenne Pfarrer U. schon länger als zwanzig Jahre; damals sprachen wir über Bernanos und Bloy (wobei Pfarrer U. wie allen anderen deutschen Katholiken, von einigen Ausnahmen abgesehen, immer wieder bis heute der Irrtum unterläuft, Bernanos für einen linken Katholiken zu halten, womit sie nur beweisen, daß sie noch rechts von Bernanos stehen - aber das wäre eines besonderen Exkurses wert, wieviel verhängnisvolle Irrwege aus diesem Irrtum zu erklären sind). •Damals schon erzählte Pfarrer U. die besten Witze übers Generalvikariat, und es imponiert natürlich einem jungen Mann, auf diese Weise zu den Eingeweihten und Privilegierten gezählt zu werden. Aber die Witze über das Generalvikariat (die sich übrigens in den letzten zwanzig Jahren wenig verändert haben), sind nur das, was für Major Sch. die verbotenen Lieder waren, was heute für ihn die Kritik ist; lassen Sie sich nur nicht täuschen; man weicht den Entscheidungen aus. [½] • •Ich schätze Pfarrer U. auf eine bestimmte Weise: er ist witzig, amüsant, weiß gut über Literatur Bescheid, er bietet seinen Gästen einen ausgezeichneten Wein an, vorzügliche Zigarren, und ich weiß diese Dinge - als nebensächlich - durchaus zu schätzen; außerdem gehört es zu meinem Beruf, zu beobachten, und ich beobachte Pfarrer U. seit mehr als zwanzig Jahren; ich versuche, in meine Beobachtung etwas von der Verzweiflung zu legen, die der junge blasse Unteroffizier empfunden haben muß, als er sich im Anblick der grauen, unendlichen Gleichgültigkeit des Ozeans im Morgengrauen erschoß, ein wenig auch von der verzweifelten Korruptheit jenes intelligenten Feldwebels, der sich am Krieg bereicherte. Vieles weiß ich an Pfarrer U. zu schätzen, doch ein Gespräch mit ihm interessiert mich nicht; - lieber spiele ich mit meinen Kindern Mensch-ärgere-dich-nicht. •Die deutschen Katholiken, die für mich in Pfarrer U. bis zu einem gewissen Grad repräsentiert sind, haben seit Jahrzehnten kaum andere Sorgen gehabt als die Vervollkommnung der Liturgie und die Hebung des Geschmacks; das ist höchst lobenswert, doch frage ich mich, ob es als Alibi für eine oder zwei Generationen ausreicht. Es gehört zum guten Ton, fast möchte ich sagen zum Programm, über das jeweilige Generalvikariat zu schimpfen, über die Bischöfe, den Klerus (besonders Kleriker tun sich darin hervor), aber die geistige Haltung, die aus diesem Gebaren spricht, ist kaum ernster zu nehmen als die eines Obersekundaners, der sich beim Kommers über seinen Klassenlehrer lustig macht. •Hinter diesen Kindereien verbirgt sich bei Pfarrer U. wie bei vielen anderen Katholiken eine tiefe Verzweiflung: Literatur, Bildung, Liturgie sind nur Mittel, ihren Gewissensqualen zu entfliehen; sie alle sind einsichtig und intelligent genug, um zu wissen, daß die Fast-Kongruenz von CDU und Kirche verhängnisvoll ist, weil sie den Tod der Theologie zur Folge haben kann; es ist doch einfach nur peinlich, nichts anderes als peinlich, wenn man Stellungnahmen von Theologen zu politischen Fragen liest; das ist stramm auf Bonn gezielt und man spürt hinter jedem Satz einen Eifer, der auf das Schulterklopfen wartet.” [2/2] •“Böll ist Katholik und schreibt daher über Gedanken und Praktiken seines Glaubens mit tieferem Verständnis, selbst dann, wenn er der Kirche mit beißender Kritik gegenübertritt.” • •[Edgar Hättich, Literaturkritiker] • •“Was ein deutscher Katholik ist, lässt sich einigermaßen klar definieren: wer katholisch getauft, nicht exkommuniziert ist, seiner deutschen Staatsangehörigkeit nicht verlustig ging oder sich ihrer nicht entledigte. Der deutsche Katholizismus, wie er hier verstanden wird, existiert in Gremien, Komitees, auf Konferenzen. Es gibt nicht die Einheit: deutsche Katholiken – deutscher Katholizismus […]. Der deutsche Katholizismus ist auf eine heillose Weise mit jener Partei und ihren Interessen verstrickt, die sich als einzige das C (für christlich) angesteckt hat. […] Carl Amerys Versuch […] ist eine Stimme einer Generation, die ungefragt (wir waren 15, 16 Jahre alt, als die von unseren Vätern gewählten kathoischen Parteien Hitler ermächtigten) für die Kapitulation des deutschen Katholizismus mitverantwortlich wurde, mitgebüßt hat und in einen zweideutigen Zustand geriet. […] Der deutsche Katholizismus ist in einer geschickten Lage: Wird er nach seiner Loyalität gefragt, zeigt er das Konkordat vor (= Übereinkunft von Staat und Heiligem Stuhl, hier Reichskonkordat von 1933 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem nationalsozialistischen Deutschland), dessen unselige Folgen Carl Amery exakt beschreibt; wird er um seiner Loyalität willen angegriffen, zeigt er die katholischen Widerstandskämpfer vor, aber ich wiederhole: Widerstand war Privatsache, der offizielle Status war der des Konkordats.” • •[H. Böll: Nachwort zu Carl Amery: Die Kapitulation. In: H. Böll: Werke. Essayistische Schriften und reden, Band I, S. 540-43.] • •70ER JAHRE: LITERARISCHE AUSEINANDERSETZUNG MIT AKTUELLEN PROBLEMEN DER GEGENWART • •1971 Gruppenbild mit Dame •+ 1972 Nobelpreis für Literatur • •1974 Die verlorene Ehre der Katharina Blum •https://www.youtube.com/watch?v=P5zBH-PFjag •(verfilmt 1975; Regie: Volker Schlöndorff, Hauptrolle: Angela Winkler) • •1985 Frauen vor Flußlandschaft • 1971 Gruppenbild mit Dame (übersetzt von Božena Koseková) Gruppenbild mit Dame (übersetzt von Božena Koseková) Gruppenbild mit Dame (übersetzt von Božena Koseková) 1974 1971: die Kause Meinhof 1985 Welchen Beitrag hat Heinrich Böll mit seiner Literatur geleistet? •die Begründung der Schwedischen Akademie für die Verleihung des Nobelpreises: • •"for his writing which through its combination of a broad perspective on his time and a sensitive skill in characterization has contributed to a renewal of German literature.“ • • [https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1972/summary/, 11.3.2021] • •“für sein Schreiben, das durch die Kombination einer erweiternden Perspektive auf seine Zeit und einer sensiblen Fähigkeit zur Charakterisierung zu einer Erneuerung der deutschen Literatur beigetragen hat.” [übersetzt von MT] • •https://www.youtube.com/watch?v=oz1n3Mfj-XQ •[1:24-1:45] • • Heinrich Böll’s speech at the Nobel Banquet in Stockholm, December 10, 1972: „[…] Mit Bangen denke ich an meine deutschen Vorgänger hier, die innerhalb dieser verfluchten Dimension Eigentlichkeit keine Deutschen mehr sein sollten. Nelly Sachs, von Selma Lagerlöf gerettet, nur knapp dem Tod entronnen. Thomas Mann, vertrieben und ausgebürgert. Hermann Hesse, aus der Eigentlichkeit ausgewandert, schon lange kein deutscher Staatsbürger mehr, als er hier geehrt wurde. Fünf Jahre vor meiner Geburt, vor sechzig Jahren, stand hier der letzte deutsche Preisträger für Literatur, der in Deutschland starb, Gerhart Hauptmann. Er hatte seine letzten Lebensjahre in einer Version Deutschland verlebt, in die er wohl trotz einiger Mißverständlichkeiten nicht hineingehörte. Ich bin weder ein Eigentlicher noch eigentlich keiner, ich bin ein Deutscher, mein einzig gültiger Ausweis, den mir niemand auszustellen oder zu verlängern braucht, ist die Sprache, in der ich schreibe. Als solcher, als Deutscher, freue ich mich über die große Ehre. Ich danke der Schwedischen Akademie und dem Land Schweden für diese Ehre, die wohl nicht nur mir gilt, auch der Sprache, in der ich mich ausdrücke und dem Land, dessen Bürger ich bin." [Heinrich Böll. Leben und Werk. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 1995, S. 39] https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1972/boll/speech/ https://www.nobelprize.org/prizes/literature/1972/boll/25210-heinrich-boll-nobel-lecture-1972/ • • •Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!