Ein tschechisches Dienstmädchen von MAX BROD Kleiner Roman V feSJOOOO Axel Juncker Verlag Berlin / Stuttgart / Leipzig IL Ich bin und heiße William Schurhaft, Sohn reicher Bürgersleute in Wien. In diefer Stadt verlebte ich meine Jahre, bis ich zwanzig wurde. Dann fchickte mich mein Vater nach Prag, „weil es dort foviel zu fehn gebe". Aber Prag gefällt mir gar nicht. Ich fpüre gar keinen Eindruck feiner Merkwürdigkeiten, von denen man mir viel erzählt hat. Der Vater hatgefagt: „Du wirft nach Prag kommen, und deine Gleichgültigkeit gegen die Umwelt, gegen alles, was fleh nicht in dir felbft abfpielt, wird allmählich fchwinden. Es ifl dies gar nicht anders möglich in einer Stadt, die fich mit ihrer Gefchichte fo aufdrängt und wo zu= gleich etwas fo Seltfames vor unfern Augen Gefchichte wird, der Kampf der beiden Nationen. Die Heilig enftatuen und Kirchtürme werden dir in die Äugen treten, du wirft an barocke Faffaden anrennen, aufbewahrte Drahthelme und Kanonenkugeln in die Hand bekommen, eine fremde Sprache und Fenfterfcheiben klirren hören. Dein Sinn für das Reale wird endlich erwachen. Es ifl ausgefchloffen, daß du dort 11 nur grübelfl und gar nicht auf das Tatfachliche aufmerkfam wirft- Jeden Mittag wird von der Marienfchanze aus gefchoffen, auf den Brücken muß man einen Kreuzer zahlen," Mein Vater ift ein fehr kluger Mann. So fchrieb man alfo einem entfernten Ver= wandten, ob er nicht einen Buchhalter brauchen könne und machte es durch allerlei mir ganz unintereffante Intriguen möglich, daß ich den Poflen bekam ... Ich fi^e je^t in einem kleinen rückwärtigen Zimmer, das von dem übrigen Gefchäft durch eine Milchglaswand ab= gefchloffen ift. Es riecht hier recht feltfam und muffig nach warmen abgefchälten Kartoffeln ... Eigentum habe ich nichts zu tun, die wenigen Eintragungen und Briefe find jeden Tag fchnell zu Beginn meiner Bureauftunden erledigt. Und Freiheit ifl alles übrige. Aber, wenn mein Vater glaubt, daß ich diefe leere Zeit nach feiner Abficht ausfülle, fo täufcht er fleh leider ganz gründlich. Obwohl ich dort gar nichts zu fchaffen habe, fi^e ich doch., den ganzen Tag, gefchlagene elf Stunden von 9 Uhr früh bis 8 Uhr abends in meinem Bureau, in meinem Lehnfluhl, fo wie ich auch in Wien 12 1 kein anderes Vergnügen gekannt habe, als ruhig auf einer Stelle zu hocken. Und natürlich gebe ich mich auch in Prag meinen wertlofen philofophifchen Betrachtungen hin. Oder ich lefe meine Bücher, ganz wie früher. Es find dies natürlich keine Romane, Schwanke oder ■r> andere Lebendigkeiten. Was follten mich auch Abenteuer und tatfachliche Zukommniffe anderer Menfchen nur im geringften interefjieren, da ja fogar die mich betreffende Außenwelt und meine eigene Erfahrung mich ganz gleichgültig läßt. Ich lefe nur Werke der Scholajliker, Thomas von Äquino am liebflen und den großen Scotus. Ganz unanfchauliche Begriffe muffen ! es fein, Realismus und Nominalismus, EJfenz und Exiftenz, das Subftanziale und die Form, die caufa realis, finalis, accidentalis, Gottes= beweife, Einheit, Vielheit, Gefamtheit. Nur folche vielbedeutende zufammenfaffende Namen q dünken mich meiner Aufmerkfamkeit wert, diefe herrlichen unirdifchen Formen, die mit unferer armen fichtbaren Welt fajt gar nicht mehr zufammenhängen, wenngleich fie fleh vielleicht urfprünglich aus ihr gebildet haben; die fleh eben aus ihr gebildet haben und jetjt k 13 frei wie leuchtende klingende Schalen vor einer reinen feidenen Luft auf und nieder fchweben. Ich lefe nie viel in einem Zug. Wenn ich in die Bahn des Verallgemeinerns durch die erften Zeilen meines Lieblingsbuches geleitet bin, dann gerät mein allzu reger Geift in immer fchnellere Bewegung, wie auf einer fchiefen Ebene, Es ift mein größter Genuß und meine einzige Qual, diefes Befdileunigen und Immer: mehr-Segel-Anfe^en, es ifl das mir Natürlidifle, meine angeborene Fähigkeit. Alles gerät ins Gleiten, die Trübfal des banalen Sdireibbureaus um mich verdampft, ich fetje immer mehr Segeln an, bald habe ich Backstagswind und offenfte Bahn. Alle die fchwierigen Definitionen und Schlüffe, meine lieben Freunde, drängen (ich haufenweife eifrig in mein Gehirn, in meine Segel. Es wird ein Orkan. Ich muß das Buch weglegen und allein nachfmnen. Und jetjt erfl wird alles Problem, jede Kleinigkeit um midi, ■gj, das metallene Lineal mit den Schrauben oder dieLöfchblattwieg e, Anlaß zu endlofen Gedanken= ketten, wie ich gleich anfangs eine darzuflellen verfucht habe. Ich denke, ich muß denken, es ift mir ganz einerlei, daß diefe Tätigkeit lächerlich und nutjlos ift- Diefe unfruchtbare Arbeit ift mein einziges Glück und meine größte Qual. Der entfernte Verwandte und Chef fleckt den Kopf ins Zimmer: „Schreiben Sie, Sieg= mund Mankwald, Tuche um 1000 K, 3 Monate Ziel, 4 7a Prozent Zinfen von heute an," Türe zu. Ich fahre auf, richte meinen Geijl fchnell auf diefe Kleinigkeit, wie man an einem Operngucker haftig fchraubt, fchreibe diefe Daten richtig ein. Aber dann fchraube ich den Operngucker fofort wieder unwillkürlich in die alte Lage, in die großartig-abflrakte Sehweife, die meinem Denken allein paffend ifl und bleibt. Und alles erblicke ich wieder als Bafls für logifche Ver= knüpfungen . . . „Zinfen" ifl eines der legten Worte gewefen. Ich meditiere alfo: Wie wäre es, wenn ich eine ganz neue Methode der Ver= zinfung erfände. Das ifl zwar gar nicht nötig, gar nicht mHjlich, denn diefe Methode hätte gar nichts Zweckentfprechenderes als die bis= herige. Aber darauf kommt es gar nicht an. Sie ifl ja auch nicht fchlechter. Ich denke mir 15 nämlich eine Verzinfung nach Art der Ämorti= fation. Das heißt, der Schuldner hat jährlich oder halbjährlich, wenn man will, eine Quote, nach gewiffen gleichbleibenden Prozentfatjen ausgerechnet, zu zahlen, als ob er dadurch die Schuld amortifieren wollte. Älfo jedes Jahr (oder Halbjahr) etwas weniger, da das quafi zu amortifierende Kapital immer kleiner wird. Trotjdem bleibt er Schuldner des ganzen Kapi= tals. Er zahlt alfo beifpielsweife erfl Alj2 Pro= zent von 100 flu, in der nächflen Periode 47a Prozent von 95*[2 fl., dann wieder 41/« Pro= zent des Refles. Es könnte feflgefetjt werden, daß fpäter, wenn die Quoten zu klein werden, wieder auf die er fie Quote zurückgegriffen werden foll. Was für ein Unjinn, he! . . . Aber das Ganze ift eben nur ein neuer Modus, eine Ufance, die fleh ihr wirtfchaftUches An= Wendungsgebiet erfl finden muß. Man wird fie als die „Schurhaftifche Verzinfungsmethode" bezeichnen, ich werde berühmt fein. Nicht gerade berühmt im Sinne eines ehrenvollen Andenkens, aber jedenfalls oft genannt, da in jedem Lehrbuch der Handelswiffenfchaften von meiner1 Methode die Rede fein wird; vielleicht 16 - «3» nur in einer kleingedruckten Anmerkung, viel= leicht wird man fie tadeln und gotifch nennen. Ehrgeizig bin ich nicht. ... Ich frage mich felbfl, was folch ein Spekulieren für einen Zweck haben foll, Es ift das nichtig fie Zeug, das es gibt. Das weiß ich, und doch kann ich es nicht laffen . . . Eigentlich ift es fchade um meinen ewig regen Geift, daß er auf folche Dinge verfallen ift. Ich hätte mit meinem Scharffinn und mit diefer Kombinationskraft leicht ein Held des prakti= fchen Lebens werden können, ein Macchiavelli, ein Detektiv, ein Milliardär! Aber meine Denk= kraft will nun einmal mit dem Realen, mit den Intriguen des Lebens, nichts zu tun haben . . . Nun gut, da hätte ich wenig flens ein Träumer werden können, ein Dichter, dem das praktifche Leben fern bleibt, der aber gerade aus feinem zwecklofen Dahinleben hödifle Zwecke gehaltet, Dichtungen, Romantik, Genüffe für fich und andere! Nein, ich träume auch nicht. Mein Zwecklofes ift wirklich zwecklos. Nichtig ifl es, wie ich eben zugegeben habe. Es nüijt weder mir, noch fonft wem. Ich weiß, daß die fchola= flifdien Begriffe falfch find, und doch freut es Mai Brod: 2. 17 mich, mit ihnen zu fpielen, zu operieren. Und ich fpinne meine trofUöfen Gedankenketten, deren Öde und Unwirklichkeit mich entzückt. Dabei find fie mir, ganz tief betrachtet, eigentlich mehr Bedürfnis als Genuß. Nun habe ich mein Gefländnis abgelegt, idi bin zerknirfcht und erniedrigt, ich flehe ganz lächerlich klein da . . . Aber obgleich ich felbft meine eigene Art fo feltfam und unfympathifch finde, obgleich ich das Denken der andern Menfchen ohne weiteres für gefunder, natür= Hcher, lobenswerter halte; eben in diefes Denken werde ich mich doch bei beflem Willen niemals hineinfinden. Da fdiickt man mich nach Prag und ifl überzeugt davon, daß ich hier Sehens= Würdigkeiten finden werde . . . Ich fehe gar nichts. Ich bemerke gar nichts Auffallendes. Nun ja, da gibt es altes Gemäuer, glaub ich, ich gehe täglich an fo einem zerbröckelnden Ding vorbei. Aber das fleht doch nur zu = fällig da und nur ganz zufällig hat es diefe und diefe Geflalt, Größe, Farbe, dient diefem oder jenem Zweck. Ebenfogut könnte es 30 Türme haben, wie es einen oder zwei hat; ich weiß gar nicht genau. Und es bleibt mir völlig unzugänglich und rätfelhaft, welchen all= gemeinen Sinn, welche Bedeutung, welche Widitigkeit für andere diefer Körper haben foll." Es bedeutet doch nichts anderes als fich felbft, es deutet nicht auf etwas über fleh hinaus. Es fleht da. Gut, aber ebenfogut könnte es auch nicht daflehen. Das heißt, mit andern Worten ausgedrückt, esifl gleichgültig... Da find doch die abfrrakten Begriffe, meine Freunde, ganz anders, jeder erfchemt wie eine funkelnde Schale, in der fo vieles Plat; hat, man kann fie vergrößern oder verkleinern, in eine andere Schale flellen oder eine andere Schale in fie, man kann fie umdrehen, empor= werfen, der Länge oder der Breite nach zer= teilen oder in Sdiichten zerlegen, flachdehnen» in die Tiefe aushöhlen. Ja die Begriffe find das Lebende, das Ernflhafle, alles andere fcheint mir Kinderfpiel ... Ich bitte euch, liebe Leute, warum fleht ihr vor der alten Kirche? was interefflert euch daran, was denkt ihr euch inzwifchen? Ich bitte demütig um Erklärung, ich will mich euch zu Fußen werfen, macht mir das um Gottes willen begreiflich! . . . Und ebenfo unberührt bleibe ich auch 18 f dem angeblich fo aufregenden Leben in Prag gegenüber, dem Kampf der zwei Kulturen. , Ich habe bisher von einer andern Nation noch gar nichts bemerkt, kein tfdiechifehes Wort gehört. Und wenn ich wie in diefen Tagen *■ bisher weiterhin lebe, fo wird midi auch in Zukunft nichts davon ftören. Ich mache näm= lieh wirklich keinen andern Weg als den von meiner Wohnung, wo es nach naffen Tüdiern riecht, ins Gefchäft, wo es nach gefchälten Kor= toffem riecht, und wieder zurück, natürlidi unterwegs ganz in meine Liebhabereien ver= formen und kaum aufblickend. Und meine Zimmerfrau heißt Leontine Wieg and und idi höre fie allerdings ziemlich viel reden, nämlich mit ihrem Dienftmädchen zanken, aber das find deutfehe Worte, denn diefe Leontine ift eine deutfehe alte Jungfer, fogar eine Reichs -deutfehe. Ebenfo deutfeh ift audi mein Chef und entfernter Verwandter, wie auch alle feine Ängeftellten, er ift nämlich „ftrammdeutfdi", fogar der kleine Junge, der mir das Mittag= effen bringt. Jetjt habe ich alle Leute auf= gezählt, die meinen Umgang bilden. Ändere Bekannt fdiaften habe ich natürlich nicht. Und 20 überhaupt, ganz kurz gefagt, andere Leute habe ich bisher in Prag nicht bemerkt, nicht gefehen, nicht gehört ... Ich muß wirklich ein Unikum fein, eine Monflrofität von verklebten Äugen und Ohren, ein neuer Kafpar Häuf er. Meine Sinneswerkzeuge find auch in der Tat, da ich fo wenig Verwendung für fie habe, ganz fchwach und rudimentär geworden. Bei= fpielsweife fehlt ;mir fchon fafl gänzlich der Sinn für Perfpektive, das Orientierung sver= mögen, die Fähigkeit, Gefehenes fchnell wieder= zuerkennen, jedes Orts- und Perfonengedächt= nis, die Sagazität, fdmelles Überblicken von Situationen. Das war nicht etwa fchon feit meiner Jugend fo, als Kind war ich fogar ein gefurefateter Allesbemerker und Ällesfrager. Erft feit ich den inneren Abenteuern und Be= griffen fo nachhänge, hat jich diefer klägliche Zuftand entwickelt . . . Und komifcherweife ift nur mein Riechvermögen, fo viel ich beurteilen kann, auf feiner früheren Höhe geblieben. Die Nafe gibt mir wirklich die fchärfllen Bilder der Außenwelt, fo fonderbar das auch klingen mag; auf fie verlaffe ich mich, während die andern Organe ftumpf geworden find. 21 Stumpf geworden . , . Bin ich. nicht ganz und gor flumpf geworden ... Es erübrigt noch, das Hauptgefländnis zu machen, meine tieffle Erniedrigung, mein Kanoffa zu beichten. Diefer -Fehler, der letjte in der langen Reihe, über= trifft alle übrigen an Seltfamkeit und Menfchen= unwürdigkeit. Es gibt traurige Stunden, in denen ich über ihn bitterlich weinen muß. Und nun heraus damit! . . . Älfo ich bin ein Schlaf= bold, ich fchlafe zwölf bis dreizehn Stunden täglich, Tag für Tag. Das ifl doch gewiß ab= normal. Um zehn Uhr fleh zu Bett zu legen und fofort, nachdem der Kopf ein wenig warm geworden iffc, einzufchlafen, bis acht Uhr früh oder noch länger zu döfen, dann im Gefchäft nach ein paar Strichen und natürlich nach ein paar folchen zwecklofen Gedankenketten von diefer übermenfchlichen Än[crengung des Ge= hirnes fo müde zu werden, daß man kaum die Augen offen halten kann und alle Dinge rings= um flüfjig ausfehen, direkt wie öl in einer fich drehenden riefigen Flafche, dann gegen elf Uhr, um welche Stunde der Chef und entfernte Verwandte immer das Lokal verläßt und zu Gericht oder auf ein Gabelfrühftück geht, in 22 fernem Lehnfluhl einzunicken, zum Mittageffen zu erwachen, Nachmittag gegen vier Uhr auf das Sofa fleh hinzuräkeln und wieder eine oder anderthalb Stunden ganz dumm zu ver= fchlafen . . . das ifl mein Leben. 0 pfui, wie tierifch, wie ekelhaft geradezu! Aber ich kann mir nicht helfen. Auch der Schlaf ifl mir kein Genuß, er ifl mir mehr als das, ein Bedürf= nis . . . und das notwendige Gegenflück des andern Bedürfniffes, diefes nichtigen abftrakten Denkens und Gehirnanflrengens . . . Und diefe Schlafsucht ifl es, die mir den legten Zugang zur Außenwelt zauberhaft abfehneidetj ße nimmt mir einfach die Zeit weg, in der ich ein tätiger glückfeliger gewöhnlicher Menfch werden konnte. Trotj alledem bin ich nicht unglücklich . . . Das waren meine erften Worte und darauf beharre ich. Ich bin, wie ich fein muß, in meiner Art ein harmonifches Ganzes . . . Und nur, wenn ich von dem Standpunkt der übrigen Menfchen, gleichfam von außen her mein Wefen darzuflellen fuche, das ich fonfl von innen heraus rafllos und ohne Schwanken erfülle, dann erfcheint mir diefer William Schurhaft, nur dann . . . als etwas, was beffer gar nicht wäre. 23 in. Glücklich oder unglücklich, jedenfalls blieb mein Leben mehrere Wochen lang in diefem ruhigen Zuftand, Da komme ich eines Abends in meine Wohnung, ohne aufzublicken wie gewöhnlich fleige ich die fchmale Treppe hinauf, fperre auf und trete in das dunkle Vorzimmer. Welch ein angenehmer, ganz unerwarteter Geruch! Nach Fichtennadeln! Er wirft mich mit einem BKtj aus meinem Spekulieren. Und fofort fällt mir ein: Sollte ich in ein falfches Stockwerk geraten fein? Ich kehre um, reiße die Türe auf. Nein, „Leontine Wiegand" fleht da. Be= ruhigt trete ich zum zweitenmal ein, zugleich voll Ärger über meine hündifche Schnupper= natur, die mich der Nafe mehr als den Augen trauen läßt. Überdies rieche ich jetjt auch fchon Leontine Wiegand, d. h. naffe Tücher. Aber wirklich mifcht fich heute ein rätfelhafter neuer Duft in die gewohnte Ätmofphäre, es ift feltfam, er überflutet, umflutet, er flickt mich. Und nicht nur im Vorzimmer, auch in dem ebenfalls dunkeln Zweifenflerzimmer, durch 24 . das ich hindurch muß, und in meinem ein= fenflrigen. Ganz beflürzt und aufgeregt ßnke ich in einen Seffel hin, fpringe jetjt auf und will das Fenfler aufreißen, befinne mich, taumle, Hände vor dem Geficht, wieder in den Seffel. j Ich zünde kein Licht an. Tief atmend ziehe ich die verzauberte Luft in mich, jeder Zug be= & raufcht mich neuerdings, läßt mich zittern und begehrlicher, immer begehrlicher werden. Ich feufze, ich bin ganz machtlos, ganz befiegt. . . Diefer Duft ifl fo frifch, fo prickelnd, dabei trotj des Aufflacheins befänfHgend und durch die Sanftheit wieder aufflachelnd. Er erinnert mich deutlich an den Geruch eines förmigen Fichtenwaldes, noch mehr aber an den künfl= liehen Fichtendufl, den ich einmal in einem Wiener Ballfaale bemerkt habe. Diefer Duft geigt und flüflert und glänzt wie der Ballfaal, er ifl wohl unausfprechlich lieblich . . . Und plötdich fleht ein Bild vor meinem Auge, dringt nämlich bei einem neuerlichen öffnen der Türe der fuße Fichtennadelgeruch in einem ganz unvergleichlich flarken Schwall in mein Zimmer, viel flärker als g eftern abends. Ich wende mich vom Nachtkaften, eine Krawatte in der Hand, voll um, ... da fbeht ein Mädchen im Zimmer, ein fchones kleines blondes Mädchen mit der blanken Auftragetaffe vor fich, im Sonnenlicht; offenbar das neue Dienft= mädcken. Ich habe mein Lebtag kein Mädchen angefchaut, aber ein fchÖneres gibt es gewiß nicht. Ich muß fie immerfort betrachten, glühend, es reißt mir formlich die Augen aus dem Kopf und zu ihr hin . .-.meine, flumpfen Augen. 'Ich muß ihren abgerundeten Wuchs, der jede Bewegung der blaugefprenkelten Schürze ausfüllt, bemerken, das unregelmäßige ganz rätfelhafte Gefichtchen mit einem Turm blonder duftender Flechten darüber, die müden blauen Augen, die fdimutjigbraun gemuflerte Blufe, an der oben ein Knopf fehlt, weshalb fie eingefchlagen ift und im fpitjen Ausfchnitt den weißen zarten Hals und den glänzenden Anfang der Brufl mit regelmäßigen griesartigen Pünktchen frei läßt. Das olles fehe ich in dem Ii* a l -c- (■> i * ■!'; r -' b * 4~ rA ^ ■ • a -3 JB. i » l c J i 0 i I "t a - ($mk ül • • ;• Bruchteil einer Sekunde, mit fafl fchmerzhafter Anflrengung blickend; während fie dos G von „Gu'n Morgen" ausfpricht, beginne ich meine Beobachtung, und alles, was hier aufgefdirieben ifl, habe idi wahrgenommen, ehe fie noch das n an den kleinen Zähnen zerdrüdtt. Sie ifl ernfl und [teilt, ohne midi anzufehn, das Tablett auf den Tifch. Dann entfernt fie fidi haftig und draußen erfchallt fchon die zankende Stimme von Fräulein Leontine. Was war das! Um der Ewigkeit und aller geheimen Dinge willen, was war das! ... Ich blicke noch immer vor mich hin. Meine Augen fehn, fie find in Tätigkeit wie eine losfchiiurrende Mafchine. Ich kann ihnen gar nicht Halt ge= bieten. Sie fehn immer noch auf die Stelle, wo vorhin das fchöne Mädchen geflanden ifl, wo fie das Tablett und die blanke Auftrage= taffe hingeftellt hat, fie zergliedern den Teller, das Mufter der Kaffeetaffe, die Zuckerdofe mit der verbogenen Zange, ein weißes Dedcerl darunter mit rofa Kreuzflichen, all das nehmen fie zur Kenntnis. Erfl geraume Zeit fpäter wird mir klar, daß ja jetjt von dem Mäddien nichts mehr zu fehn ift; und genau in dem= 32 felben Moment umwölken fich meine Augen wieder. Aber fie machen nur einer andern, ebenfo ungewohnten Sinnestätigkeit Plaij. Die Wunder an die fem Morgen wollen gar kein Ende nehmen. Nein wirklich, ich werde plöijlich auf das Ge= zänk im Nebenzimmer aufmerkfam, ich paffe auf, ich trete fogar zur Türe und laufme; in dem unklaren Gefühl, daß der Lärm da drinnen für midi eine Wichtigkeit habe . . . „Was, Sie wollen nicht die Fenfler putjen! . . . Sie freche Perfon, Sie ... ich habe Sie doch als Stuben= mädel aufgenommen. Da foll fich einer an= fdiaun! Keine Fenfler will das Menfch . . . Hab ich Sie denn nur zum Freffen aufgenommen! Das können Sie natürlich aus dem f, das halbe Brot ifl fchon weg von geflern und die Kipfel für den jungen Herrn auch" . . . Man hört ängfllichen Widerfpruch dazwifchen, ein ver= fchüchtertes Stimmlein. „Wie, Angfl haben Sie? Ich werde Sie lehren, Angfl haben. Sie find mir überhaupt eine Feine, mit der Frifur. Ich will gar nicht fagen, wie Sie mir vorkommen. Was?" Ich horche angeftrengt, aber die Ant= worten find zu leife. „Aber laffen Sie mich MaiBrod: 3, 33 aus! Ich. werde Ihnen eine Sauce dazu machen. Morgen nachmittag werden die Fenfter gepuljt und bafla!" Wie drängt ßdi mir das alles auf! Wie interefjiert mich das alles! Ewig möchte ich hier flehn und diefen Worten laufchen, die an ein fo fdiönes Mädchen geridvtet find, an der Tür flehen, durch die eben diefes Mäddien jeden Augenblick eintreten kann, in ihrem Duft ftehn und laufchen. Es iß, als hätte die Außen= weit eine Einbruchsflelle in meinen fonfl fo verfperrten Geifl gefunden. Während ich meine Toilette beendige, denke ich gar nicht melir an den „Begriff des Traumes", „Realität", ich hege nur noch einen ganz konkreten Wunfdi und Willen: Wie ifl es zu bewerkflelligen, daß ich diefes fchöne Mädchen recht bald wieder= fehe? Ich befchließe zuerft zu warten, bis fie wieder in mein Zimmer kommt, um das Frühftücks= gefchirr wegzuräumen. Aber die Zeit, ins Comptoir zu gehen, drängt. Und leider weiß ich gar nicht, wie lange das Frühflüdtsgefchirr bei mir auf dem Tifche zu [lehn pflegt, ob man es am Ende nicht erfl gegen Mittag ab= 34 9 1 f. i räumt. Um folche Dinge habe ich mich leider nie bekümmert, die Hausordnung ifl mir ganz unbekannt. . , Und dann komme ich erfl abends wieder heim. Wie unpraktifch! Überdies, wie ifl es bei uns am Abend eingerichtet; das Mädchen muß doch hereinkommen, um auf= zubetten und das Naditmahl zu bringen? Ich habe das nie beobachtet, ganz metnanifch und ohne aufzublicken habe ich hinuntergewürgt, was mir vors Maul kam; in meine endlofen Ideen begraben. Jetjt könnte ich einiges Em= pirifche wohl gebraudien ... So vergeht die Zeit, ValO Uhr iß längft vorbei, und ich bin immer noch bei der ungewohnten luftigen Arbeit, Intriguen zu fpinnen. Dann raffe ich mich auf. . . vielleicht treffe ich fie überdies noch im zweifenfingen Zimmer oder im Vorzimmer, foll ich fie dann anfprechen . und wie?... ich verlaffe mit flürmifdien Schritten, * mein Kabinett. Verwundert fchaut mich Fräu= y lein Leontine an, ein „So fpät heute?" auf den Lippen. Ich laffe fie nicht zu Wort kommen, fchnauze ße an: „Überdies find meine zwei Kipfel noch drin. Ich habe fie abßchtlich heute flehn gelaffen," dann bin ich fchon draußen. 35 CT J A £ > Das fchöne Mädchen habe ich felbftverfländlidi nicht getroffen. „Du darffl nicht fo fchnell durch die Zimmer gehn, mein Lieber," rede ich mich unterwegs felbft an, „das ifl wichtig. Damit verringerft du dir felbft die Chance, fle anzutreffen . . . Uberhaupt wirft du jetjt damifch aufpaffen muffen, du bift jetjt auf dem Kriegspfade, mein Lieber, mußt alle fiinf Sinne beifammen haben." Im Gefchäfb arbeite idi heute fchnell und befonnen. Der Chef geht weg, aber idi denke nidit an ein Vormittagsfchläfchen. Ich beendige alles prompt, ohne Auffchub, damit ich dann ungeftört an mein Mädchen und die Intrigue denken kann. Und dann will ich zu Mittag einen Hauptcoup ausfuhren, der von langer Hand vorbereitet werden muß. Gegen zwölf Uhr mache ich einen Sprung auf die Gaffe, kaufe bei dem nächften Hökler eine Kleinig= keit Pfeffer und Salz. Eine Kleinigkeit, ha, aber immens bedeutungsvoll . . . Eine halbe Stunde fpäter nämlich kommt der kleine Junge mit dem Mittageffen, das er täglich aus einem nahegelegenen Reflaurant holt. Ohne daß es jemand bemerkt, gelingt es mir, meinen Pfeffer 36 1^ auf das Fleifdi, das Salz in die Suppe zu ftreuen, fogar die Mehlfpeife verfchone ich nicht. Jetjt klingle ich den Jungen noch ein= mal ins Comptoir, ich mache ein fürchterlich ftrenges Geßcht: „Was haft du denn da ge= bracht, du Idiot! Kofte einmal!" Der Arme koflet, er ifl jugendlich naiv genug, das Stück Fleifch wieder auszufpudten. „Und davon foll ich mich nähren, was du ausfpuckft, du ver= dammter Fratj. Na warte." Ich rufe den Chef, ich brülle wie befeffen, ich laffe es mir nicht nehmen, mit dem Fleifchtopf in der Hand durch •das ganze Lokal zu Jtürmen, allen Ange(teilten eine Probe von dem anzubieten, womit man mich vergiften wollte. Ich laffe mir endlich die Tragik ausreden und der Abwechflung halber ziehe ich ein anderes Regifter, ich werde populärfarkaftifch: „No ja, die Köchin muß verliebt gewefen fein." Dann variiere ich das 1 Thema noch parodiftifch, fchließlich fogar fozial= poliüfch. So bringe ich es zuwege, faft eine Stunde lang diefes Reflaurant und alles aus Reftaurants geholte Effen überhaupt zu be= fchimpfen; und mit dem Ausrufe zu fchließen: „Von morgen an mittagmahle ich zu Haufe, das fchwöre ich . . ." Das ift mir glänzend gelungen! Den ganzen Nadimittag bin ich in fröhlicher Erfdiöpfung von diefem erften Ausflug in die Wirklichkeit. Aber der Abend, der Abend! ... Ich komme ganz kühn nach Haufe, ermutigt durch die Machinationen des Tages, und überzeugt davon, daß ich je^t die Hebel der Welt fchon ein wenig zu bewegen weiß ... Da ift mein Bett fchon gemacht, das Äbendeffen prangt auf dem Tifch. Ich bleibe zitternd an der Tür flehn, ich muß midi feflhalten. Ganz ungeheuerlich und graufam erfcheint es mir nun, daß ich die Holde, um die ich den ganzen Tag gerechnet und geplant habe, heute nicht mehr fehn foll. Darüber werde ich nicht hinwegkommen, fchreit es in mir. Einen Augenblick denke ich daran, in die Küche hinauszulaufen, fie zu umfchlingen und herein in mein Bett zu tragen ... Ja, ich begehre fie wahnfmnig, das brauche ich nicht mehr zu geflehn . ,. Oder nein, ich werde nur hinausgehn, unter dem Vorwande, etwas im Vorzimmer vergeffen zu haben. Oder halt, jetjt fällt mir das Richtige ein, ich werde ihr fagen: „Morgen effe ich zu Mittag hier. Kochen Sie mir etwas Gutes" . - - Aber in diefem Augen= 38 blick, nachdem ich blitjfchnell noch während des vorigen Gedankens mir überlegt habe, ob fie mich nach diefem kleinen Scherzwort anlächeln wird, fällt mir zum erflenmal ein, daß ich ja noch kein einziges Wort mit ihr geredet habe, daß ich ihr ganz fremd und gleichgültig bin, daß fie mich noch nidit einmal richtig ange= fehn hat. Und von der ganzen Höhe meiner Erwartungen abgeflürzt, weiß ich mir nicht mehr zu helfen. Eben fchien mir noch alles fo nah, jetjt fehe ich ein, wie ich erft im Än= fang flehe. Ich muß mich auf das Bett hin= werfen und fange im Dunkel der Polfler an, bitterlich zu weinen. IV. So war der erfle Tag meiner beginnenden Umwandlung verflrichen. Ich will jetjt er= zählen, wie es weiter ging. Eine traurige Nacht und ein trauriger Morgen . . . Erft als ich zu mittag nach Haufe kam, fah ich das Mädchen wieder. Ich trete mit ungeheuer verlangfamten Schritten in die Wohnung, dicfe Erfahrung 39 decke fpielt das Bogenlicht mit feinem Singen auf fazettierten matten Glasplatten . . . wie auf feiigen Teichen. VI. Die nächften Tage war ich alfo ganz un= » glüddich, ganz tief unten. Meine Liebe und Sehnfucht nach der blonden Pepi über|Keg alle menfchlichen Schranken. Ich glaube, wenn das Schickfal oder die Macht, welche die Ge= fchicke lenkt, ein Bewußtfein hätte, fo hätte fie durch diefe ganz außergewöhnliche Leiden= fchaft meiner Liebe, wenn fie auch noch fo graufam wäre, beeinflußt werden muffen. Aber fo ein Bewußt fein gibt es ja leider nicht Meine ganze freie Zeit -verwendete ich dazu, das Mädchen in Prag zu fuchen. Ich hatte da verfehle dene Methoden und Einfälle j und das Seltfame daran war nur, daß immer gerade j dann, wenn ein Einfall fidi als erfolglos er-wiefen hatte, wie zum Trofle mehrere neue in mir auftauchten, die ich fofort mit aller Kraft in Angriff nahm. Gleich am nächften Tag fudvte ich das 64 Dienftmädchenafyl, deffen Pepi ganz flüchtig in unferem einzigen Gefpräch Erwähnung getan hatte, und fand es auch. Allerdings nach vielen Irrwegen und Fragen, obwohl es doch knapp hinter dem Rathaus liegt. Es ift eben un= glaublich, wie göttlich kompliziert die gcwöhn= lidiften Dinge und Gedanken werden, wenn man fie praktifch in Angriff nimmt ... Ich trat über eine holperige Holzfdrwelle in einen dunklen Flurgang, in deffen Hintergrund eine Wendeltreppe, von offener Gasflamme gelb bemalt, in neues, noch tieferes Dunkel führte. Wie immer beim Eintritt in ein fremdes Haus hatte idi das fehr unangenehme und unßchere Gefühl, es könnte mir jemand, irgend ein Hüter des Haufes, aus einem Verftecke zufehn und meine Bewegungen für verdächtig halten. Dadurdi komme ich felbft dazu, midi gleichfam mit verdächtigenden Blicken zu betrachten, Gehe ich aus Höflichkeit leife, fo fehe ich darin das Schleichen eines Einbrechers. Trete ich, um diefen fchlimmen Eindruck zu verfcheuchen, feft und lärmend auf, fo bin ich gar ein Räuber... Ich trat alfo in die Hausflur ein, ging nicht die Treppe hinauf, fand feitlich eine Tür und Max Brod* 5. 65 kam gleich in das Hauptzimmer, eigentlich geradeswegs in den Gefellfchaflsraum des Afyls. Da war ich in der Ecke eines großen öden Raumes, die Fenfler an den zwei aneinander floßenden Seiten mir gegenüber gingen auf Gaffen hinaus; denn das Afyl ift ein Eckhaus. Und gerade an diefen zwei Seiten, knapp vor den vielen Fenflern, alfo ziemlich fern von mir, jenfeits des leeren, teppichlofen und ziemlich fchmu^igen Holzbodens, (landen zwei lange einfache Holztifche. Und an diefen faßen die Dienflmädchen, faßen da und fangen ein Lied von irgend einer Schafferstochter Andulka, die aufs Feld gelockt wird von ihrem Liebflen, nachts, . . . ein ländliches Lied . . . Da fiijen diefe Dienflmädchen, im Grau der Fenfler, an zwei langen, rechtwinklig aneinandergrenzen= den Tifchen, wie eine große Familie; einige mir zugewendet, einige mit dem Rücken gegen die Tür, in unregelmäßigen Abfländen und Gruppen, hier weit voneinander, hier mehrere beifammen, die einen groß, die andern klein; recht mannigfaltig. Und das Licht der Straße fällt durch die großen Fenfler, eigentlich ift es eine flaubige Dämmerung, aber flark genug, um die fchmale Wand zwifchen den Fenflern und vornehmlich die Holzjläbchen am Glas, die Fenflerkreuze, verfchwimmen zu machen, aufzulöfen, einen zitternden Glanz von Grauheit wie ein Tifchtuch über den Tifch zu fpreiten und die vielfältigen Gruppen der Mädchen als Schattenkontraflc lebhafl auszufondern . . . Und in die fem fliegenden Glänze fingen die Mädchen das ländliche Lied. Eine tritt auf midi zu, die Oberin vermut= lieh. Sie fragt mich überrafcht und freundlich, was ich wünfehe; natürlich fragt fie tfchechifch. Und ich antworte ebenfo, flockend, errötend. Es ifl mein erfler praktifcher Verfuch in der fremden Sprache. Wie angenehm ifl es doch, einmal nicht in der Mutterfprache zu reden." Jedes Wort befieht man und fhreichelt es, ehe man es in die kalte Welt hinausflößt, man küßt es formlich wie einen ins Feld rückenden Sohn; jedes Wort. . . Inzwifchen haben die Dienflmädchen nicht aufgehört zu fingen, fie find nur etwas leifer geworden, und es klingt wie eine gefummte Begleitung zu meinerkühnen und eigentümlichen Melodie. Überdies fage ich alfo, was ich wünfehe. 67 Ob nicht eine Pepi Vlková da ift oder da war, ein obdachlofes Dienstmädchen, Blondine, Nein, es ift keine da und keine ift da= gewefen ... Ich habe midi ordentlich ver= fländigt, eine vernünftige Antwort bekommen, jetjt kann ich alfo gehn ... Ich öffne die Tür, gehe, fchließe die Tür hinter mir. Die Dienfl-mädchen erheben die Stimmen und fingen wieder lauter: Andulko Šafářová . . . Diefes ift das Lied, das man jetjt in dcr ganzen Stadt hört. Jeder Straßenbahnkonduk= teur fingt es, jede Zeitungsausträgerin und Semmelfrau, die Kinder auf dem Schulwege, die Würftelverkäufer, die Handfdiuhmacher, die Journalíften, die Tifchlergehilfen, die Arbeiter in den Mafchinenfabriken .. . Alle fingen das ländliche Lied. Es hat einen flawifchen Rhyth= mus, weiche melancholifche Tonfolgen, es gefällt mir audi. VII. Tn den nachften Tagen fetjte ich meine Nach= J- forfchungen fehr eifrig fort. . . Pepi hatte auch von ihrem Sdiwager gefprochen, das war mir nicht entgangen. Mein Gedächtnis zeigte 68 X. Mein jetjiges Verhältnis zur Pepi, ich meine: der Stand der Dinge, war höchfl unbe= flimmt, zweideutig. Nun wohl, ich hatte ihre Spur gefunden. Aber für den Sonntag und über= haupt für fpäter war nichts verabredet . . . Denn fie kam auch an den nächflen Abenden nicht durch den Park um Bier; und meine Briefe, die jetjt ganz deutliche Ädreffen hatten, blieben ■unbeantwortet . . . Na fie konnte wahrfchein=. lieh wirldich nicht fchreiben. Diefe Tage Heß ich indeffen nicht unbenü^t verflreichen. Im Gegenteil, nie war ich fo tätig und fo vom Zweck des Dafeins erfüllt wie da= mals . . . Kurz gefagt: Ich belagerte von früh bis fpät in die Nacht mit kleinen Paufen die Langkranzifche Wohnung, Im Gefchäft hatte ich mich krank gemeldet . . . Es ift wirklich ungeheuer fchwer, fo von außen und ungeladen in eine fremde HäusHch= keit Einblick zu gewinnen . . . Und gerade das war ja mein Ziel. Ich wollte durch die Beobachtungen, die ich auf meinen ewigon Fenfterpromenaden anftellte, herauskriegen, 93 wann man bei Profeffor Langkranz aufjland, wann man ftühfbückte, mittagmahlte, jaufle, nachtmahlte, wieviel Zimmer, wieviel Kinder es gab, wie und wie oft die Zimmer auf= geräumt, die Fenfler geputjt wurden, wer auf Ordnung hielt und wer nicht, wer zu Befuch kam, und alles andere. Das war eine fürchterlich komplizierte Aufgabe, aber fo konkret und lebendig, fo ganz im Geifle meines je^igen Lebensraufcbes, fo ganz anders als mein ehemaliges Dahinvegetieren. Und ich machte in diefen atemlofen und fpannenden Tagen auch einen gewaltigen Schritt nach vorwärts. Während ich nämlich die ganze Zeit bisher dazu gebraucht hatte, um auf das Niveau der gewöhnlichen Menfchen, der im Leben üblichen Findigkeit und Klugheit zu gelangen, begann ich jetjt aufzuglänzen, aufzuzeigen, der Meifler aller Detektivkünfle und praktifchen Eingebungen zu werden . . . Es war wirklich bewunderungswert, wie ich diefe Spur feflhielt und um nichts mehr in der Welt preisgab, wie idi um das Haus fchnüffelte und kroch, wie ich in einer der belebteflen Straßen Prags gleichfam Wacht= 94 poften fland, ohne den Paffanten oder den dort anfaffigen Ladeninhabern verdächtig zu werden. Noch unlängfl hatte ich mich ge= furchtet, überhaupt in ein Haus einzutreten. Jetjt bot ich fchon der ganzen Welt Trofj . . . Ich (trotte von Witj und Scharfblick, von neuen Erfahrungen. Es war eine erhabene ruhmvolle Zeit. Ununterbrochen lernte ich und flieg über die andern Menfchen empor. Ein Beifpiel: Da habe ich vorhin eine Freitreppe im Park erwähnt, auf der ich mich zuerfl verfleckt geglaubt, dann befbrahlt ge= funden hatte. Im genaueren hatte fleh die Sache folgendermaßen abgefpielt . . . und ich fchicke voraus, daß diefe Situation wie alles Lebendige höchfl kompliziert und kaum er= fchöpfend zu befchreiben ifl . . . Da gibt es im Stadtpark eine fleinerne Treppe, deren oberfle Plattform durch eine niedrige Hecke und ein Eifengitter von dem nächflen höher gelegenen Weg abgefchloffen ifl. Auf diefem Weg gibt es weiterhin eine Laterne; eigentlich viele Laternen, aber hier kommt nur eine in Betracht. Diefe eine Laterne leuchtet über die Hedie hinweg in die leere Nachtluft hinein, 95 die Treppe ober mit ihren Stufen liegt in tiefem Schatten. Kein Menfch kann wähnen, da(5 er irgendwo beffer geborgen ift, als wenn er fleh auf diefe fchartige Treppe oder Platt= form fetjt; er fitjt mitten in der Dunkelheit. Aber inzwifchen ifl fein Kopf beftrahlt, jämmerlich jichtbar, direkt von einem Glorien-fchein umwoben, wie die Poeten fagen . . . Dies bemerkte ich nachträglich, nachdem ich mein herrliches Verfleck fchon verlaffen hatte. Ein Liebespaar ließ [ich nämlich nach mir auf diefen heuchlerifdien Stufen nieder, fie küßten einander, fie waren traut und heimlich; und dabei tagte es formlich um fie. Die Hecke ift nämlich etwas zu niedrig und die Lichtftrahlen der Laterne treffen zwar nicht die Treppe, aber alles, was eine gewiffe Höhe darüber hat ... Das weiß ich, ich bin je^t gewitjigt und um eine Erfahrung reicher als weitaus die meiften Liebespaare des Stadtparks. Ich lebe, ich belagere, ich bin tätig, ich freue mich . . . nur denke ich manchmal: Warum läßt fie fleh eigentlich belagern, die Pepi? Warum alle diefe Schwierigkeiten? Liebt fie mich vielleicht doch nicht, trotj der 96 Küffe und Fing er Umarmungen? . . . und dann werde ich traurig ... Im ganzen ift es eine zufammengefetjte, kaum begreifliche Stimmung, kompliziert wie alles Lebendige. Nämlich fo: daß diefes Mädchen rätfelhaft und fpröde ift, bereitet mir Pein; aber es erzieht mich auch und bringt mich vorwärts. Ich weiß daher nicht, ob ich all diefer Schwierigkeiten Ende herbeiwünfehen foll oder lange Dauer. Ich bin verliebt und fehnfüchtig, zugleich zufriedenge= ftellt und wacker. Überdies erzielte ich am Freitag vormittag einen riefigen Erfolg. An diefem Freitag wußte ich fchon alles über die Hausordnung von Pro= feffors, nicht das Geringfte hatte fleh meiner Spionage entzogen. Und ich wußte auch, wann der Äfchewagen vor dem Haufe hält... Täglich paßte ich ihn ab, und am Freitag kam auch riditig unter andern Mädchen Pepi mit einer Kifle voll Äfche herunter. Ich blitjfchnell bei ihr. Sie fehlen freudig, nicht fehr über= rafcht, ernft und felbftverfländUch wie immer. Diesmal trug fie ein fdimutjiges Kleid und die blaugefprenkelte Schürze darüber, die ich fchon kannte. Sie ftellte die Kifle nieder, und Max Brod= 7. . 97 während ße mit mir fprath, wifchte fie ihre befchmutjten Handflächen immerfort an ihren Hüften ab, fo nett und eitel, wie fie eben war. Sie fah reizend aus, und ich glaubte zu be= merken, daß fie nicht viel mehr unter der Blufe und befonders unter dem Rock anhatte, I Es ergab fich eine verfuhrerifche Stellung, als fie die Kifle dann zu dem Wagen emporhob, wobei fie auf den Zehenfpitjen fland, die Kleine, und ihre volle Bruft zu einer glatten Welle auffchwellte . . . Die Sonne girierte über die Straße und in alle Fenflerfcheiben, ein fchöner Tag mit guter Morgenluft war es. Und die Haare des Mädchens waren noch lockerer als fonft, noch üppiger, nodi blonder. Ich fagte, kurz und bündig, wie ich es mir vorgenommen hatte, ohne mich auf Vorwürfe und zwecklofes Zeug einzulaffen, tfdiechifdi: „Wollen Sie diefen Sonntag, das iffc über= morgen, mit mir fpazieren gehen? Sagen Sie, bitte, ja oder nein." Sie lächelte und fagte ja. „Um wieviel Uhr haben Sie Ausgang und wie lange?" 98 *P Sie lächelte wieder und nannte die Zeit von vier bis acht Uhr. „Gut, dann werde ich Sie alfo hier vor dem Haus Punkt vier Uhr erwarten. Ich bringe Ihnen eine fchone Blufe mit, die ich für Sie gekauft habe . . . Noch eines, bitte, nehmen Sie ein Kopftuch auf, Ihre Haare find zu fchön und zu auffallend. Und es muß ja niemand wiffen, daß wir miteinander gehn . . . Haben Sie das alles verflanden und werden Sie kommen, Pepi?" Sie lächelte auch diesmal, blinzelte in die Sonne, fagte ja, mehrmals hintereinander, dann lief ße in das Haus. Die Hände wollte ße mir nicht reichen, ße hielt beide mit der Kifle unter der Schürze verfteckt. XI. T~\rei Gefchäftskollegen, die mich Sonntag Mjf nachmittags trafen, als ich eben glatt ge= kleidet und raßert, den Karton mit der Blufe tragend, den Wenzelsplatj hinauffturmte, blieben ßehn und riefen mich an: „He, 99 Schurhaft, Sie laufen da gewiß zu dem Mädel, mit dem wir Sie vorgejlern hier irgendwo (lehn fah'n?" Idi bin fo verblüfft, daß ich es fafl zugebe, „Aber wie kann man nur! . . , mit einem Dienflmädel! . , . Das ift doch nidit gerade l. flandesgemäß.1' Ich verabfchiedete midi und eilte weiter. Ich war voll von Begierde und Fieberfpannung, ich war einfadi zum Sterben verliebt , . . Merkwürdig überdies, daß ich mir diefe ganze Angelegenheit doch fo gründlich und, wie idi \ glaubte, nach allen Seiten überlegt hatte, ; aber auf diefen Standpunkt meiner Kollegen ; nie auch nur von ferne gekommen war . . . Nein, wie kompliziert die Welt doch ifl! I Es ift erfl dreiviertel vier Uhr. Aber trotjdem tritt aus dem Haufe Pepi Vlkovä, fie felbfl. Etwas, was ich nicht fehe, geht neben ihr. Pepi Vlkovä ifl elegant angezogen, ich fehe fie von Weitem herankommen und mein Herz klopft vor Vergnügen; ja fo oft ich ße noch getroffen habe, immer ifl fie häßlich an= gezogen gewefen. Weil wir einander bisher 100 eben immer nur durch Zufall getroffen haben, Heute aber hat fie mich erwartet . , . und hat fich für mich, für mich fchön angezogen. Für mich . . . faffe das, mein Herz . . . Sie trägt fogar einen Hut und einen blauen Schleier mit Meinen Samtflocken, Sie fleht vor mir, fie flellt mir die Dame neben fidi vor als die Köchin, ihre Freundin. Und fie fagt, daß fie eigentlich diesmal Heber mit der Freundin fpazieren gehn wolle. Adieu, Das zerfchneidet mich, Alfo entfliehn wollte fie mir vor der feftgefetjten Zeit. Ich hätte wieder flundenlang in Nervenqualen warten follen, wie fo oft fchon. Nein, nein, nein. Diesmal keine Schwach= heit, kein Zurück, kein Hindernis! ... Ich foorne mich; ich rede fie an, die fchon ein paar Schritte mit der Freundin voraus ifl. Es kommt zu einer heftigen und ganz feltfamen Szene, auf offener Straße. Ich kämpfe um mein Glück, ich blitje und donnere, ich rede mit Gewandtheit und Nachdruck, männlich rückfichtslos. Ich bezweifle einfach, daß die beiden wirklich fo innige Freundinnen feien, ich klatfche aus, was mir die Pepi über 101 die Köchin anvertraut hat . . . Hierauf sieht die Freundin mit faurem Geficht ab, Pepi bleibt mir, hurra, und fie fcheint nidit einmal fehr bös darüber, fondern hangt fleh fanft und warm in" mich ein. Wer kennt fich in diefen Frauen aus! Wahrfdieinlich wollte fie nur überredet fein. Ich hatte aber noch kaum zwei Worte mit Pepi geredet, da nahte fchon eine neue Ge= fahr ... Ja es war mir befchieden, an die fem großen Sonntagnachmittag meine ganze Kunfl und Lebenstüditigkeit zu zeigen . . . Meine drei Kollegen kamen nämlich mit lautem Ge= lächter hinter uns beiden her, fie machten "Auffehn, gebürdeten fich wie ein Gefolge, wie ein betrunkenes Gefolge und fchienen übei = haupt gelaunt, midi in einer Seitengaffe durdi = zuprügeln . . . Pepi wurde glühend rot, ihre ängftliche Seele wagte kaum mehr einen Flügelfdilag, fie fdimiegte fich an mich und wimmerte: nein diefe Sdiand', das überlebe fie nicht. Wenn ihr nur endlidi die Männer Ruh geben möchten, Sie wolle nach Haufe, keinen Schritt weiter , . . Ich fühlte es, daß fie Schubs vou mir erwarte, daß ich durdi 102 diefes Abenteuer alles bei ihr gewinnen oder alles verlieren könne. Ich lugte nach einem Poltzeimann aus, ich riß Pepi durtt all die kleinen Gäßchen und Durchhäufer, um die Verfolger irre zu fuhren. Aber fie kamen um jede Edte herum, trampelnd und bedrohlich . . . Da hatte ich einen prachtvollen Einfall. Wir waren fchon in der Vorfladt Zizkov, in der Gegend der Abfleigquartiere. Nun bogen wir in eine Gafle, die nach rechts zum beliebten Hotel Myfch, nach links gegen den Bahnhof und harmlofe Kaffeehäufer fuhrt. Ich eilte jetjt noch mehr, ermunterte Pepi zu einer letjten Änftrengung und . . . bog mit ihr nach links ab. Das half. Wir hatten das Ver= gnügen, die Kollegen nach rechts weiter= flürmen zu fehn. Wir waren gerettet. Bald faßen wir im Kaffeehaus und die fchönflen Stunden meines Lebens nahmen nun ihren Verlauf In fo einem Kaffeehaus fitjen, in einer Meinen mit Holz ausgelegten Nifche wie in einer Kajüte, hübfeh abgefondert von den andern Paffagieren, an einem kleinen Tifdichen, während fernes Braufen durch das matte 103 Fenfler hereindringt - . . ach, das ifb gut und nett und fchaukelnd. Und mein kleines erobertes Mädchen fitjt mir gegenüber, ich kann ihr immerfort die Hand reichen, ich kann wie zufällig ihr Füßchen ftreifen, dann ftreicheln, ich darf fie anfehn und die lieben Reden vernehmen. Sie fchaut jetjt träumerifch drein, leicht rofig, und das Rofa der Wangen, das Blau der Augen, das Blond der Haare geben den entzückenden Durdreiklang. Ich bemerke jetjt überdies, wie viele Nuancen ihr Blond hat, unzählig viele Nuancen, nicht zwei Flechten nebeneinander find gleicher Farbe, fondern die einen fchimmern wie naffes Gold, andere glänzen wie Rohfeide, andere find tief= dunkel oder hellgelb wie Zitronenfaft oder rötlich. Aber jede Flechte ift rund wie ein Apfel. Nun beginne ich zu fchildern, wie gut zu folehen blonden Haaren die Blufe, die ich ge= kauft habe, paffen wird. Die Blufe, die hier in diefem unfch einbaren Karton am Tifcfae lehnt. Sdiwarz, volle de laine . . . Das ift meine Lift. Ich will fie nämlich ins Hotel locken. 104 Und Pepi ift forglos und glücklich. Immer= fort flreichelt fie meine Hand und den Fuß und lächelt fuß. Und mit vielem Vergnügen löffelt fie den Eiskaffee, den ich für fie beftellt habe; ja das glaub ich, das fdimeckt ihr . . . Wie es mich doch freut, einem fo traurigen Gefchöpf endlich zu einer Freude zu verhelfen. Die ganze Woche muß fie arbeiten und für andere leben, nur den Sonntag nachmittag atmet fie. „Älfo nicht wahr, Pepi. Sie nehmen die Blufe an. Von mir können Sie doch ein Ge= fchenk annehmen, da ich Sie fo gern habe." „Ja, ja, vergelt*s Gott," und fie zieht mit kindifcber Zufriedenheit den Karton auf ihre Seite hinüber, „Wiffen Sie, ich hab eine Idee. Sie werden jetjt gleich die Blufe anprobieren, ob fie Ihnen paßt. Ich bin fchon fchrecklich neugierig . . . Und dann könnte ich fie morgen früh gleich umtaufchen, wenn fie Ihnen nicht paßt, und etwas anderes bringen," ,Ja, ja ... aber wo foll man das prubieren." „Ich weiß fchon. Hier in der Nähe ift ein Hotel, neben dem Bahnhof. Da machen wir 105 halt fo, als ob wir Reifende wären, eben aus Klagenfurt angekommen. Ich nehme ein Zimmer für mich und meine Frau. Dort probieren wir die Blufe und gehn dann wieder fpazieren." „Dos is a Spaß, dos is fein." Ich erfchrecke faß darüber, wie mir das alles gelingt. Ahnt fie vielleicht nidits? Aber wie wir das Kaffeehaus verlaffen, zieht fie fidi den Schleier dichter an und vorher hat fie mir diefen verfmmitjten Blidt zugeworfen, wie da= mals „I bin halt fo a Luder" - . . Vielleicht iß .ße„gar nicht fo naiv, wie ich glaube . . . Wir gehn, wir plaudern. Nie werde idi midi in diefen Dingen auskennen! . . . Das Hotelzimmer iß licht, licht und fdion. Sonne durch die Fenfter, über das weiße Tifchtuch, über das blendend weiße Bett. Es ifl hier heller als auf der Straße, weil keine Häufer gegenüber Schatten werfen, gegenüber gibt es nichts als Luft, weithin Luft und Licht, freie Helligkeit über dem großen Schienennetj des Bahnhofes da unten. Alles glänzt in dem Zimmer, jedes Glas, der Zünd= holzdienbehälter, jeder Teller auf dem Tifdi, felbfl das polierte Holz, der Spiegel, in jede 106 Ecke keilt ßdi die finnliche Pracht einer Sonntagnachmittag-Sonne. Und unten dröhnen die wilden Züge, fchwere Eifenmaffen, wuch= tiges Holz, angefüllt mit glücklichen, jubelnden Menfchen, ße dröhnen, ße dröhnen . . . Licht und Lärm in dem kleinen, braven, ruhigen ^ Zimmer. Hinter dem Ofenfchirm entkleidet ßch Pepi. Ich halte die Blufe in der Hand. Jet}t iß ße alfo fo weit. „Geben's alfo her," ruß ße und ein weißer Arm kommt um den Schirm herum. Ich aber ,.. ich werfe die Blufe auf den Tifch, ßoße den Schirm mit einem Fußtritt zur Seite und umarme das Mädchen. Sie i lächelt, fie verbirgt den Kopf an meinem Hals, ße preßt ßch eng an mich, im Hemde, während mich ein warmes Riefeln von oben bis unten anfüllt. Schnell putje ich den Rock völlig von 1 ihr hinunter und ziehe ße in das Bett . . . i Kübelnde Haare an meinen Wangen, nackte heiße Glieder um mich, wie ich mich drehe, / Duft und Duft ... Da erfüllt ßch die; Natur) Ich bin zum erßenmal Mann, idi ertrinke in Annehmlichkeit und Wohlgefallen . . . ; 1 107 Dann liegen wir ruhig da, dicht beieinander, ineinander, ich fühle tief atmend nicht mehr die Grenzen meiner Körperlichkeit, nein, mein Blutkreislauf hat einen Weg in den ihren ge= funden, mein Blut kreift in ihren Adern weiter und liebes fremdes Blut hat fich in meinen Gefäßen eingefunden. Wir find einig, wir find glücklich. Und nun erfaßt mich ein grenzenlofes Wohlwollen gegen das liebe, fchöne Mädchen neben mir; jetjt erfl, da fie die Begierde ge= ftillt hat, bin ich ihr dankbar und von ganzem Herzen gut. Ich denke nicht mehr an Intriguen und Kampf und Uberliftung . . . nein, du lieber Menfch neben mir, ich habe dich lieb, ich bin dir gut, du bifl mein Mitmenfch, mein Gefeile, mein Freund, ich lobpreife dich, du bift von Gott gefchaffen .. . Und die Sonne fcheint in I das warme Bett und dröhnende raufchende Züge fahren ein, rollen in ihrer Vollkraft da= von, braufen und faufen. Und Pepi neben mir ifl fo (Uli, fo fanft wie eine Pflanze, mit gefchloffenen Augen und bebendem Mund . . . Und nun fummt fie, leife, ganz leife, ein Lied, fie legt den Mund 108 - P ganz nahe an mein Ohr und fingt mir,' viel= leicht ebenfo dankbar wie ich, mir das länd= Hche Lied vor, von dem jetjt die ganze Stadt widerklingt. Sie fingt, fein wie eine Harfe in der höchflen Lage, tfchechifdv in mein Ohr: „Andulka, Sdiafferstochter, duhafl die Gäns-lein nidit zu Haus. Die Gänfe find im Gerflen= feld; Andulka treib ße heraus. Treib jie aus dem Gerjlenfeld, ehe der weiße Tag kommt. — Ich möchte ße heraustreiben, wenn ich nur nicht fo viel Furcht hätte. Die Frau Mutter fchläft leife; wie ich aufflehe, wacht fie auf. Ich darf nidit aus dem Kämmerchen, ehe der weiße Tag kommt. — Andulka, Schaffers= tochter, fei nur nicht närrifch. Vor der Frau Mutter keine Angft, du mußt auf den Fuß-fpitjen gehn. Aus dem Kämmerchen fchlüpffl du, ehe der weiße Tag kommt, — Mein lieber Jenik, ich kann nicht einmal auf eine Weile kommen. Im Vorhaus der Herr Vater hat fleh gleich hinters Tor gelegt. Wenn das Tor nur ein bißchen knarrt, kommt er gleich auf uns heraus. — Andulka, Schaffers= tochter, der Herr Vater ifl nicht zu Haus. 109 Der fitjt beim Kruge, kommt erft am Morgen zurück, er gebt nicht aus dem Wirtshaus, ehe der weiße Tag kommt. — Mein lieber, lieber Jenik, ich komme fofort. Die Frau Mutter fchläft feft, die wacht fchon nidit auf. Wir werden den fchönfben Tag haben, ehe der weiße Tag kommt. — Ändulka, Schaffers= tochter, fag kein Wort, daß wir uns geküßt haben, im Dunkel verfleckt haben, fag nicht, daß ich fdiuld dran bin, daß idi dich heraus= gelockt habe. — Jenik, fei nur fröhlich, ich fag nichts zu Haus. Ich fag's nicht der Frau Mutter, daß wir uns geküßt haben. Das mußt du fchon felbfl fagen, bis der richtige Tag kommt. — Andulka, Schafferstochter, du hafl die Gänslein nidit zu Haus. Die Gänfe find im Feld geblieben, fleh jetjt auf treib fie heraus, treib fie aus dem Gerflen-feld, ehe der weiße Tag kommt. — Deshalb bin ich nicht aufgeftanden, um fie herauszu= treiben. Lieber als die Gänslein find mii deine Küffe. Nur an die will ich denken, bis der weiße Tag kommt." Und nun küffe ich fie wieder, und fie denkt nur an meine Küffe, an die vielen Umarmungen 110 tj Die Stunden vergehn. Im Zimmer ijl der Glanz erlofchen. Ihre Brüfle, die fo weiß wie Porzellanglocken waren, werden matt, noch fünfter, noch liebender. Und der zarte weiße Grieß an ihrem Hals zerfläubt. Die Stunden vergehn . . . Sie erzählt jetst von ihrer Heimat, von dem Dorfe irgendwo ^ mitten in Böhmen, zwifchen Wäldern und Korn= feldern, fern von den Eifenbahnhmen, in einem lieben Tal. Sie erzählt tfehechifeh und das „Tal" heißt auf tfchediifch údolí, auf der erften fehr langen Silbe betont. Wie hingeftreckt und blumig weiß fie das auszufprechen/eirf SöflTien= Untergang ifl in dem Wort. Die Sonne ifl untergegangen und wir liegen immer noch im warmen dunklen Bett. . , Eine Zeitlang habe ich wieder von all dem gefprochen, was mir fo durch den Kopf geht, ich habe ihr Vorwürfe gemacht, ich habe fie nach der Freundin und dem Bräutigam ausgeforfcht, G nach all diefen rätfelhaften Dingen, die mir indes durch ihre Antworten immer nur noch verwirrter erfcheinen. Denn fie lügt vielleicht . . . Dann erzählt fie wieder etwas, eine Gefchichte aus ihrer Jugend. Sie taucht ganz i zurück in ihre Kinderjahre und in ihre Heimat. Ein zartes Mäderle mit blondem Zopf ift fie jetjt, die Gänfe treibend mit dem Zuruf: hufy, hufy, hufy, am Dorfteich, dann vor der Kirche im Sonntagsmieder. Burfchen mit Mütjen aus Otter feil kommen zum Tanz, aber niemand tanzt fo feurig wie der alte Müller, der doch fünf erwadafene Sohne hat. Später hat er dann noch eine junge Frau genommen, aber das war nicht zum Glück. Mit der kleinen Tochter des Müllers ift die kleine Pepi immer baden gegangen, und einmal ift die Freundin plÖ^lich. beim Schwimmen vom Krampf gepackt worden und ertrunken, ehe man ihr Hilfe bringen konnte. Der Waffermann, der haftr= man, habe fie hinuntergezogen, flüfterten die Leute, er fei fchon lange neidifch auf den luftigen Müller gewefen. Pepi erzählt das und fie fetjt gleidi dazu: „Ich glaube nicht an das, was die Leute fagen. Das find nur dumme Märchen." Ich frage, was nadiher aus dem Müller geworden fei. Ausgewandert ift er, ja, nach Amerika, ein rüftiger Greis. Sie erzählt mir alles, wie er 112 - 6 dann fpäter gefchrieben habe, die Söhne follten nur nachkommen, er fei jefjt wieder reich und wolle fie fchon unterbringen. Das halbe Dorf fei damals ausgewandert, denn zu Haufe war ja kein Verdienen mehr. Nach Wien feien die Familien gezogen, ins deutfehe Böhmen, in die Städte, viele nach Amerika. Sie felbfl habe audi fortmüffen und dienen, zu Haufe war große Not. Ich frage fie, ob fie gern wieder nach Haufe zurück möchte. Nein, um alles in der Welt nicht, fagt fie, ihr gefalle es am beften in der Stadt . . . und bei mir, fe^t fie noch leife hinzu. Ich habe fie fo unendlidi lieb und deshalb, um fie vor fchlimmen Szenen zu fchütjen, er= innere ich fie daran, daß fchon hübfeh fpät Abend ift. Aber fie feufzt und klammert fich an mich. Wir gehn noch einmal in Küffen, in Süßigkeit unter . . . Dann zieht fie fich wieder an, in dem ganz finftern Zimmer, Die Züge draußen tragen fchon erleuditete Coupefenfler vorbei und farbige Lichter ftehn über der dunklen Fläche Mai Brod: 8. 113 des Bahnhofes . . . Sie zieht die neue fchwarze Blufe an, die ihr reizend fleht. Von neuem erwacht meine Raferei, wie ich fie fo ver= wandelt vor mir fehe. Aber ich bezwinge mich, ich bleibe ruhig und mild. In vollkommener Eintracht verläffen wir das Haus und gehn in Sdilußarm durch die Straßen. Plö^lidi, an einer dunklen Ecke, fchreit fie leife: „Menfch, einen Kuß!" und wir find ganz gut miteinander, verfländig und ver= liebt, wir können einander nichts mehr ab= fchlagen. Ich begleite fie bis zum Wenzelsplatj. Wie fchwer wird es uns, voneinander zu fcheiden. Aber wenn es fein muß . , , Dafür haben wir einander am nädiflen Sonntag wieder, das wird ganz feß ausgemacht. Nädiflen Sonntag um 4 Uhr beim Staatsbahnhof. Adieu. An diefem Abend bin im rein und glücklich wie ein Engel Idi fi^e zu Haufe, die Petroleum^ lampe auf dem Tifch gibt ihr gelbes befchei= denes Licht, das einfenflrige Zimmer ifl heute traut, ein Stübchen. Und Weltall und Gott und die Folge der Zeiten find mir jetjt nah und lieb . .. Alles, was; ich an diefem großen 114 *S- Nachmittag erlebt habe, zieht vorbei, das tfchechifche Volk in feinen Dörfern, mit feinen rührenden Liedern. Ich verflehe es nun, ich verflehe feine ängftlidie kindifche Seele in meiner Geliebten, ich fehe, wie es bedrängt von einer agrarifchen Krißs in die Städte flüchtet, und ringsum die deutfehen Lande flürmt. Man muß kämpfen, der Kinder find zu viele und das Land iß verteilt. Aber ich denke mir in meiner gütigen Stimmung, der Kampf könnte etwas lächelnder gefuhrt werden, liebenswür= diger, nicht fo verbittert und von allen Seiten erhrtjt . . . Und ich fehe die heißen Städte Böhmens vor mir, die Bauernfchaft kommt durch die Tore, ein gehetjtes melanchoHfches Volk von Arbeitern, Dienßboten, Huren.' / Sie bringen ihre ländlichen Lieder' mit, wie_ einen Luftzug vom Dorfteidi her, und ganz Prag er= klingt einmal von dem Lockrufe eines Bauern= jungen an eine Andulka, Schafferstochter. Da= bei ßnd fie gar nicht fentimental, fie wollen gar nicht auf das Land zurück, ße glauben nicht mehr an Märchen, ße ßnd ganz zufrieden= geßellt mit ßädtifchen Erlebniffen, und der Tod einer blutjungen Freundin, eines zarten Kindes 115 im Mühlbach dient als Schmuck für ein liebe= heißes Hotelzimmer . . . Wie anders flellt man fleh gewöhnlich das Volk vor, als es wirklich ift. Man klebt ihm die Gefühle, die es kaum bewußt wie eine Ahnung im Innerflen trägt, ganz äußerlich an; man will es in einer ewigen Sehnfucht nach der Heimat, indeffen wandert es fröhlich noch mit weißen Haaren nad> Amerika aus. Ich verstehe die Tfchedien, diefe Nation von vielen Talenten und Schönheiten. Wie blind war ich die erflen Tage über in Prag, daß idi. die jungen Ströme fremdartigen Lebens um mich gar nicht bemerkt habe, nicht den einzigartigen Reiz diefer Stadt, der in der Zweifprachigkeit befteht, in abwechfelnd deutfch und tfdiediifdi geführten Gefprächen voll Unregelmäßigkeit und unerhörten Nuancen, in einer maffiven Wechfel= wirkung und in einer feltfamen Doppelkultur, die ihresgleichen in der Welt nicht hat... Ich achte den Gegner, die tfchechifdie Spradie, die fo fexuell ift, daß fie fogar beim Verbum oft das Gefchlecht ausdrückt. „Ich bin gegangen" heißt sei jsem von einem Manne, §la jsem von einer Frau. Wie berechtigt, da es doch ein 116 V ganz anderes Gehn beim Manne als bei der Frau ift. Bis lange nach Mitternacht fitje ich bei Tifch und kann meiner glückfeligen Gedanken nicht Herr werden. Ich blättere in der griechifchen Anthologie und fühle mich eins mit den Sängern aller Liebesgedichte, eins mit den gütigen und vieles vergehenden Menfchen. Gott, ich lobe dich . . . Und da finde ich noch in einem Ge= dicht von Rufinus, dem ich über Jahrhunderte hinweg die Hand drücken möchte, diefe fchönen Zeilen für mich: jVicX).gv %Cnv öoßuQCov tag dovXidag HMyope^ti, Talg (J« '//((Jic y-Ctl xpäfu," '''cUöjg '/ai J.tv.TQfjv Izoiftov . . Ja ich denke daran, was mir heute zu Beginn des Nachmittags die drei Gefdiäftskollegen vorgeworfen haben. Und nun kommt über Jahrhunderte hinweg ein griechifcher Dichter, eigentlich ein griechifch fchreibender Römer, in feinem Mantel, der durch den Sternenraum fchleppt, er kommt zu mir und gibt mir Recht in einigen leichtfertigen fußen Verfen, die er für mich niederfchreibt, diefer edle Gefinnungs= genoffe. Ja wir beide, Rufinus und ich, wir 117 ziehn die Dienflmäddien den flolzen Damen ^ " vor, wir laßen uns beraufchen von ihrer An= p mut und dem natürlichen Fichtennadclduft ihrer Haut. Adieu, Pepi, ich bin verliebt in didi, ich bin dir ewig dankbar, meine Geliebte. Gute Nacht, fchlafe fuß, träume von mir. XII. Am nächflen Sonntag wartete idi beim Bahnhof. Vergebens, Idi ftand von vier Uhr an bis Abend. Dann nahm ich einen Anlauf und raunte gegen die Wand. Blutüberflrömt ftürzte ich hin. Einige Leute hoben midi auf und braditen mich ins Spital. Indeffen wurde ich nach einigen Tagen ent= laffen, man hatte mir nur ein paar Nadeln durch die Schädclhaut gezogen . . . Aber es waren wahnjmnige Tage, ich liebte und war wütend. Ifl fie am Ende nach Amerika aus= gewandert, um den ewigen Verfolgungen der 118 v Männer zu entgehn? - Ein dummes Ding ifl fie, nichts weiter. An demfelben Tage, an dem ich das Spital verlaffen hatte, fah ich fie. Sie war fdilecht angezogen wie immer, wenn ich fie zufällig traf. Ich fah fie von weitem, ballte die Faufl in der Tafdie und ging ihr nach. Zuerft dachte idi daran, fie Öffcntlidi zu ohrfeigen, das Luder. Dann aber hielt ich mich in Entfernung und war neugierig, wohin fie ging. Sie ging auf das Zollamt zu . . . ja bei Gott, fie trat im Zollamt ein. In diefem Augenblick, da fie durch das Tor eintrat, barfb etwas in mir. Schnell dachte ich nodi an den komplizierten und langen Vor= gang bei der Zollabfertigung, den eine dumme primitive Seele, als die ich mir Pepi zur Ent= fchuldigung zu denken pflegte, abfolut nicht begreifen kann ... Ich dachte an den Zoll, an diefe Deklarationen und Zettel und brummigen Beamten. Ich dachte an Pepi , . . Aber ich konnte mir diefe Tatfadien nicht zufammen= flellen, ich konnte keinen logifchen Schluß daraus ziehn ... Ich fah nur immer das Haus und das Tor und den fchwarzgelben Adler 119