Mordechaj ben Samuel Meisel 1528-1601 wohltätig und bescheiden zugleich •Bankier und Hofjude Kaiser Rudolfs II. •65 •Rabbi Jizchak, so hieß der Primas •»Für wen füllet ihr diese Säcke?« Sogleich ließen die Flei¬ßigen, wie durch einen Zauber gebannt, die Händchen ruhen, der Haufe und die Säcke verschwanden, und nur noch einige Goldstücke glänzten zerstreut auf dem Bo¬den. — »Nicht für dich«, antwortete mit zorniger Ge¬bärde eines der Männchen und verschwand. — »Sag' du mir«, sprach Rabbi Jizchak zu dem andern Männchen, das immer noch schweigend stand, — »für wen ist so viel Geld bestimmt?« — »Für einen aus deinem Volke«, ant¬wortete dieses freundlich. »Du hast nicht wohlgetan, uns zu fragen, denn dadurch hast du dem Eigentümer viel geschadet.« — »Kannst du mir nicht sagen, woher er ist, wie er heißt?« — »Ich darf nicht.« —»Kannst du mir auch kein Merkmal geben, woran ich ihn erkennen möchte?« — »Keines.« — »Um welche Zeit wird er diese Reichtümer erhalten?« — »Wenn deine Tochter verhei¬ratet ist.« ein Gassenbube barfuß, in zerrissenen Kleidern, mit rußigem Gesichte, 67 •67 •»So einem liederlichen Jungen so viel Geld zu geben! Er ver¬steht kein Geschäft, weiß nichts vom Handel, was kann der Kerl mit so vielem Gelde machen? Wozu soll's ihm? Doch unerforschlich sind die Wege des Herrn!« •. Zwar war es ihm nicht fremd, daß selten Reich¬tum mit wahrem Verdienste gepaart ist, daß größtenteils da, wo Vermögen und Güter wohnen, Tugend und Bie¬dersinn nur Fremdlinge sind; aber ein so wunderbares, durch des Höchsten Fügung erworbenes Glück konnte seiner Meinung nach nur einem der tugendhaftesten Menschen beschieden sein. Selbst dem Feinde ein verlorenes Lamm zurückstellen •69 •Ihr habt drei Goldstücke ver¬loren, und ich habe sie auf eine wunderbare Weise gefun¬den. Mir träumte nachts vorher, ich würde vor Eurem Hause Goldstücke finden. Gern wollte ich nach Moses Gesetzen den Fund ganz zurückstellen, wenn ich nur mehr als zwei davon hätte!« sprach wehmütig der Junge, und löste die Knöpfe eines Tuchzipfels, worin der Schatz eingebunden war. — »Wohin hast du denn das dritte Stück gegeben?« fragte R. Jizchak. — »Meiner Mutter, die es sogleich wechseln ließ, um es im Handel zu ver¬wenden. Sie will es aber auch zurückgeben, sobald es nur möglich ist.« - »Schau, du bist ein Narr!« sprach lä-chelnd der Vorsteher. »Hättest du nicht alle drei behalten können? Wer hätte dich verraten, da es doch niemand gesehen? Ich bin ein reicher Mann, der so eine Kleinig¬keit leicht entbehren kann, und du wärst damit glück¬lich.« Lange schaute ihn verwunderungsvoll der Junge an, dann sprach er mit frommer Begeisterung: »Davor möge mich der Gott Israels behüten. Hat er es denn nicht durch seinen heiligen Propheten, unseren Lehrer Moses, ausdrücklich befohlen, selbst dem Feinde ein verlorenes Lamm zurückzustellen? Herkunft des Knaben •70/71 •»Mein Vater heißt Schalum Meisel, und war, ehe er erblindete, Lastträger. Meine Mutter handelt mit altem Eisen in der Ecke der goldenen Gasse«, antwortete der geschwätzige Knabe, dem dieses Examen schon zu lange dauerte. — »Nimm diese Goldstücke wieder«, sprach der Vorsteher, »bring sie deinen Eltern heim; ich hoffe, wir werden näher bekannt werden. Geh' mit Gott.« • mit Kindern mach' ich keinen Handel •73 •»Mekasse! mit Kindern mach' ich keinen Handel«, entgegnete schnell der alte Vater. » Gott hat mir den Einzigen von acht Kindern gelassen, und er soll bei mir bleiben, bis ich sterbe. Wo Zwei satt werden, kann ein Drittes auch noch mitessen.« - »Laßt mich nur aus¬reden«, sprach R. Jizchak. »Ihr könnt ja Euren Sohn bei Euch behalten, er kann bei Euch essen und trinken; nur laßt ihn täglich zu mir auf einige Stunden, damit er etwas lerne und ein ordentlicher Mensch aus ihm werde.« Biblische Parallelen, Verzögerung des Happy Ends •74 •Fünf Jahre verflogen dem jungen Meisel schnell und angenehm, wie einst dem Erzvater Jakob die Dienstjahre um die geliebte Rachel. •R. Jizchak willigte gern ein, denn die getäuschte Hoffnung auf die unermeßlichen Reichtümer hatte ihn mit Haß gegen den Tochtermann erfüllt. Meisel übernahm das kleine Eisengeschäft seiner Mutter und erhob es bald durch Fleiß und Redlichkeit zu einer be-deutenden Handlung, so daß er ehrenvoll sein und der Eltern Haus, ohne die Unterstützung seines Schwieger¬vaters anzusprechen, besorgen und noch dabei manchen Groschen ersparen konnte. • Sulamith war eine der Biederfrauen, wie sie Salomo schildert: •Auch der Eisenladen scheint gesegnet zu sein: •Der Bauer •Ich kenne Euch nicht, aber Euer Gesicht zeigt, daß Ihr mich nicht betrügen werdet. Gehet in Gottes Namen, und kommt, wenn Ihr etwas braucht, wieder. •78/79 •denn er kannte die Schwachheit der Frauen, die ihre Zunge nicht bezähmen können, wenn es auch den Tod gälte. Nun war Meisel einer der reichsten Männer der Judenschaft, aber er hütete sich, es laut wer¬den zu lassen, denn immer glaubte er, der Bauer werde wiederkommen, und sein wahrhaft redliches Gewissen sträubte sich, von einem Schatze Gebrauch zu machen, der ihm nur durch die Einfalt und Unwissenheit eines Bauers zuteil ward. • Meisel hat keinen Sitz in der Schul'. •An einem Festtage wurde die neue Synagoge eingeweiht. Die Vornehmsten der Stadt Prag waren zugegen, der Rabbi hielt eine herzliche Rede, deren Schluß folgendermaßen lautete: »Heil Dir, Israel! daß Du solche Biedermänner in Deiner Mitte hast. Tritt hervor, Du bescheidener Saul! warum verbirgst Du Dich unter der Volksmenge, wo Du doch einer der Ersten unter ihnen bist?« Dabei streckte der Rabbi seinen Arm nach der Gegend hin, wo der schamvolle Meisel in einem Winkel stand; das Volk schaute sämtlich dahin, doch wußte niemand, wen der Rabbi meine. »Tritt hervor aus der Dunkelheit, Du Leuchte des Herrn!« rief abermals der Rabbi mit begeisterter Stimme. »Dich, Mordechai Meisel! rufe ich.«