Stefan George, Algabal Mein garten bedarf nicht luft und nicht wärme Der garten den ich mir selber erbaut Und seiner vögel leblose schwärme Haben noch nie einen frühling geschaut Von kohle die stämme von kohle die äste Und düstere felder am düsteren rain Der früchte nimmer gebrochene läste Glänzen wie lava im pinien-hain Ein grauer schein aus verborgener höhle Verrät nicht wann morgen wann abend naht Und staubige dünste der mandel-öle Schweben auf beeten und anger und saat Wie zeug ich Dich aber im heiligtume — So fragt ich wenn ich es sinnend durchmass In kühnen gespinsten der sorge vergass — Dunkle grosse schwarze blume? Maximin Dem bist du kind – dem freund Ich sehe in dir den gott Der schaudernd ich erkannt Dem meine andacht gilt Maximilian Dauthendey Morgenduft Schwergebogen nasse Äste, Trübe Aprikosenblüten. Unter tiefen Wolken schleichen Feuchte Wege. Aschenweiche tiefe Wälder Kahle perlenmatte Fjorde Kaltes Schilf. Auf glasigem Grunde Spielen scheue Rosenmuscheln Rainer Maria Rilke Archaischer Torso Apollos Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt, darin die Augenäpfel reiften. Aber sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber, in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt, sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug der Brust dich blenden, und im leisen Drehen der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen zu jener Mitte, die die Zeugung trug. Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz unter der Schultern durchsichtigem Sturz und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle; und bräche nicht aus allen seinen Rändern aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle, die dich nicht sieht. Du mußt dein Leben ändern. Das Karussell Jardin du Luxembourg Mit einem Dach und seinem Schatten dreht sich eine kleine Weile der Bestand von bunten Pferden, alle aus dem Land, das lange zögert, eh es untergeht. Zwar manche sind an Wagen angespannt, doch alle haben Mut in ihren Mienen; ein böser Löwe geht mit ihnen und dann und wann ein weißer Elefant. Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald, nur daß er einen Sattel trägt und drüber ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt. Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge und hält sich mit der kleinen heißen Hand die weil der Löwe Zähne zeigt und Zunge. Und dann und wann ein weißer Elefant. Und auf den Pferden kommen sie vorüber, auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge schauen sie auf, irgend wohin, herüber - Und dann und wann ein weißer Elefant. Und das geht hin und eilt sich, daß es endet, und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel. Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet, ein kleines kaum begonnenes Profil -. Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet, ein seliges, das blendet und verschwendet an dieses atemlose blinde Spiel ... Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge Rainer Maria Rilke R.M.R (Aus den Briefen vom Februar 1912) II. September, rue Toallier. So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Ich bin ausgewesen. Ich habe gesehen: Hospitäler. Ich habe einen Menschen gesehen, welcher schwankte und umsank. Die Leute versammelten sich um ihn, das ersparte mir den Rest. Ich habe eine schwangere Frau gesehen. Sie schob sich schwer an einer hohen, warmen Mauer entlang, nach der sie manchmal tastete, wie um sich zu überzeugen, ob sie noch da sei. Ja, sie war noch da. Dahinter? Ich suchte auf meinem Plan: Maison d'Accouchement. Gut. Man wird sie entbinden—man kann das. Weiter, rue Saint-Jacques, ein großes Gebäude mit einer Kuppel. Der Plan gab an Val-de-grâce, Hôspital militaire. Das brauchte ich eigentlich nicht zu wissen, aber es schadet nicht. Die Gasse begann von allen Seiten zu riechen. Es roch, soviel sich unterscheiden ließ, nach Jodoform, nach dem Fett von pommes frites, nach Angst. Alle Städte riechen im Sommer. Dann habe ich ein eigentümlich starblindes Haus gesehen, es war im Plan nicht zu finden, aber über der Tür stand noch ziemlich leserlich: Asyle de nuit. Neben dem Eingang waren die Preise. Ich habe sie gelesen. Es war nicht teuer. Und sonst? ein Kind in einem stehenden Kinderwagen: es war dick, grünlich und hatte einen deutlichen Ausschlag auf der Stirn. Er heilte offenbar ab und tat nicht weh. Das Kind schlief, der Mund war offen, atmete Jodoform, pommes frites, Angst. Das war nun mal so. Die Hauptsache war, daß man lebte. Das war die Hauptsache. Daß ich es nicht lassen kann, bei offenen Fenster zu schlafen. Elektrische Bahnen rasen läutend durch meine Stube. Automobile gehen über mich hin. Eine Tür fällt zu. Irgendwo klirrt eine Scheibe herunter, ich höre ihre großen Scherben lachen, die kleinen Splitter kichern. Dann plötzlich dumpfer, eingeschlossener Lärm von der anderen Seite, innen im Hause. Jemand steigt die Treppe. Kommt, kommt unaufhörlich. Ist da, ist lange da, geht vorbei. Und wieder die Straße. Ein Mädchen kreischt: Ah tais-toi, je ne veux plus. Die Elektrische rennt ganz erregt heran, darüber fort, fort über alles. Jemand ruft. Leute laufen, überholen sich. Ein Hund bellt. Was für eine Erleichterung: ein Hund. Gegen Morgen kräht sogar ein Hahn, und das ist Wohltun ohne Grenzen. Dann schlafe ich plötzlich ein. Das sind die Geräusche. Aber es giebt hier etwas, was furchtbarer ist: die Stille. Ich glaube, bei großen Bränden tritt manchmal so ein Augenblick äußerster Spannung ein, die Wasserstrahlen fallen ab, die Feuerwehrleute klettern nicht mehr, niemand rührt sich. Lautlos schiebt sich ein schwarzes Gesimse voroben, und eine hohe Mauer, hinter welcher das Feuer auffährt, neigt sich, lautlos. Alles steht und wartet mit hochgeschobenen Schultern, die Gesichter über die Augen zusammengezogen, auf den schrecklichen Schlag. So ist hier die Stille. Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wußte. Alles geht jetzt dorthin. Ich weiß nicht, was dort geschieht. Ich habe heute einen Brief geschrieben, dabei ist es mir aufgefallen, daß ich erst drei Wochen hier bin. Drei Wochen anderswo, auf dem Lande zum Beispiel, das konnte sein wie ein Tag, hier sind es Jahre. Ich will auch keinen Brief mehr schreiben. Wozu soll ich jemandem sagen, daß ich mich verändere, bleibe ich ja doch nicht der, der ich war, und bin ich etwas anderes als bisher, so ist klar, daß ich keine Bekannten habe. Und an fremde Leute, an Leute, die mich nicht kennen, kann ich unmöglich schreiben. Habe ich es schon gesagt? Ich lerne sehen—ja, ich fange an. Es geht noch schlecht. Aber ich will meine Zeit ausnutzen. Daß es mir zum Beispiel niemals zum Bewußtsein gekommen ist, wieviel Gesichter es giebt. Es giebt eine Menge Menschen, aber noch viel mehr Gesichter, denn jeder hat mehrere. Da sind Leute, die tragen ein Gesicht jahrelang, natürlich nutzt es sich ab, es wird schmutzig, es bricht in den Falten, es weitet sich aus wie Handschuhe, die man auf der Reise getragen hat. Das sind sparsame, einfache Leute; sie wechseln es nicht, sie lassen es nicht einmal reinigen. Es sei gut genug, behaupten sie, und wer kann ihnen das Gegenteil nachweisen? Nun fragt es sich freilich, da sie mehrere Gesichter haben, was tun sie mit den andern? Sie heben sie auf. Ihre Kinder sollen sie tragen. Aber es kommt auch vor, daß ihre Hunde damit ausgehen. Weshalb auch nicht? Gesicht ist Gesicht. Andere Leute setzen unheimlich schnell ihre Gesichter auf, eins nach dem andern, und tragen sie ab. Es scheint ihnen zuerst, sie hätten für immer, aber sie sind kaum vierzig; da ist schon das letzte. Das hat natürlich seine Tragik. Sie sind nicht gewohnt, Gesichter zu schonen, ihr letztes ist in acht Tagen durch, hat Löcher, ist an vielen Stellen dünn wie Papier, und da kommt dann nach und nach die Unterlage heraus, das Nichtgesicht, und sie gehen damit herum. Aber die Frau, die Frau: sie war ganz in sich hineingefallen, vornüber in ihre Hände. Es war an der Ecke rue Notre-Dame-des-Champs. Ich fing an, leise zu gehen, sowie ich sie gesehen hatte. Wenn arme Leute nachdenken, soll man sie nicht stören. Vielleicht fällt es ihnen doch ein. Die Straße war zu leer, ihre Leere langweilte sich und zog mir den Schritt unter den Füßen weg und klappte mit ihm herum, drüben und da, wie mit einem Holzschuh. Die Frau erschrak und hob sich aus sich ab, zu schnell, zu heftig, so daß das Gesicht in den zwei Händen blieb. Ich konnte es darin liegen sehen, seine hohle Form. Es kostete mich unbeschreibliche Anstrengung, bei diesen Händen zu bleiben und nicht zu schauen, was sich aus ihnen abgerissen hatte. Mir graute, ein Gesicht von innen zu sehen, aber ich fürchtete mich doch noch viel mehr vor dem bloßen wunden Kopf ohne Gesicht. Frank Wedekind Erdgeist Tragödie in vier Aufzügen Nach dem Wortlaut der zweiten Auflage (1903) ___________________________________________________________________________________________________ »Mich schuf aus gröberm Stoffe die Natur, Und zu der Erde zieht mich die Begierde. Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht Dem guten. Was die Göttlichen uns senden Von oben, sind nur allgemeine Güter; Ihr Licht erfreut, doch macht es keinen reich, In ihrem Staat erringt sich kein Besitz. Den Edelstein, das allgeschätzte Gold Muß man den falschen Mächten abgewinnen, Die unterm Tage schlimmgeartet hausen. Nicht ohne Opfer macht man sie geneigt, Und keiner lebet, der aus ihrem Dienst Die Seele hätte rein zurückgezogen.« ___________________________________________________________________________________________________ Ein Tierbändiger tritt, nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen, in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt. Hereinspaziert in die Menagerie, Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust'gen Frauen, Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen Die unbeseelte Kreatur zu schauen, Gebändigt durch das menschliche Genie. Hereinspaziert, die Vorstellung beginnt! – Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind. Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter, Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter, Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt; Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt, Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt; Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren! Ein eisig kalter Herrscherblick – Die Bestie beugt entartet das Genick Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren. Schlecht sind die Zeiten! – All die Herrn und Damen, Die einst vor meinem Käfig sich geschart, Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen Mit ihrer hochgeschätzten Gegenwart. An Futter fehlt es meinen Pensionären, So daß sie gegenseitig sich verzehren. Wie gut hat's am Theater ein Akteur! Des Fleischs auf seinen Rippen ist er sicher, Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher Und des Kollegen Magen noch so leer. – Doch will man Großes in der Kunst erreichen, Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen. Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! – Haustiere, die so wohlgesittet fühlen, An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen Und schwelgen in behaglichem Geplärr, Wie jene andern – unten im Parterre: Der eine Held kann keinen Schnaps vertragen, Der andre zweifelt, ob er richtig liebt, Den dritten hört ihr an der Welt verzagen, Fünf Akte lang hört ihr ihn sich beklagen, Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt. Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier, Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir. Sie sehen den Tiger, der gewohnheitsmäßig, Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt; Den Bären, der, von Anbeginn gefräßig, Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt; Sie sehn den kleinen amüsanten Affen Aus Langeweile seine Kraft verpaffen; Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe, Drum kokettiert er frech mit seiner Blöße; Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel', Sogar gleich hinterm Vorhang ein Kamel! – Und sanft schmiegt das Getier sich mir zu Füßen, Wenn – er schießt ins Publikum – donnernd mein Revolver knallt. Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt – Der Mensch bleibt kalt! – Sie ehrfurchtsvoll zu grüßen. Hereinspaziert! – Sie traun sich nicht herein? – Wohlan, Sie mögen selber Richter sein! Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen: Chamäleone, Schlangen, Krokodile, Drachen und Molche, die in Klüften wohnen. Gewiß, ich weiß, Sie lächeln in der Stille Und glauben mir nicht eine Silbe mehr – er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt He, Aujust! Bring mir unsre Schlange her! Ein schmerbäuchiger Arbeiter trägt die Darstellerin der Lulu in ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor dem Tierbändiger nieder. Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften, Zu locken, zu verführen, zu vergiften – Zu morden, ohne daß es einer spürt. Lulu am Kinn krauend Mein süßes Tier, sei ja nur nicht geziert! Nicht albern, nicht gekünstelt, nicht verschroben, Auch wenn die Kritiker dich weniger loben. Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen Die Urgestalt des Weibes zu verstauchen, Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden Des Lasters Kindereinfalt zu verleiden! Du sollst – drum sprech' ich heute sehr ausführlich – Natürlich sprechen und nicht unnatürlich! Denn erstes Grundgesetz seit frühster Zeit In jeder Kunst war Selbstverständlichkeit! Zum Publikum Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen, Doch warten Sie, was später wird geschehen: Mit starkem Druck umzingelt sie den Tiger; Er heult und stöhnt! – Wer bleibt am Ende Sieger?! – Hopp, Aujust! Marsch! Trag sie an ihren Platz – Der Arbeiter nimmt Lulu quer auf die Arme; der Tierbändiger tätschelt ihr die Hüften. Die süße Unschuld – meinen größten Schatz! Der Arbeiter trägt Lulu ins Zelt zurück. Und nun bleibt noch das Beste zu erwähnen: Mein Schädel zwischen eines Raubtiers Zähnen. Hereinspaziert! Das Schauspiel ist nicht neu, Doch seine Freude hat man stets dabei. Ich wag' es, ihm den Rachen aufzureißen, Und dieses Raubtier wagt nicht zuzubeißen. So schön es ist, so wild und buntgefleckt, Vor meinem Schädel hat das Tier Respekt! Getrost leg' ich mein Haupt ihm in den Rachen; Ein Witz – und meine beiden Schläfen krachen! Dabei verzicht' ich auf des Auges Blitz; Mein Leben setz' ich gegen einen Witz; Die Peitsche werf' ich fort und diese Waffen Und geb' mich harmlos, wie mich Gott geschaffen. – Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt? – – Verehrtes Publikum – – Hereinspaziert!!