Karla Holoubková (539957) Fritz Koreny, Hieronymus Bosch – Überlegungen zu Stil und Chronologie, Jahrbuch des Kunsthistorisches Museum Wien 4/5 (2002–2003), S. 59–60 Boschs Zeichenweise ist durch einen differenzierten Linienstil bestimmt. Das mit zarten, offenen Umrißlinien skizzierte Motiv wird anschließend mit zügigen Schraffenlagen artikuliert. Sie verleihen den Qualitäten von Hell oder Dunkel, Laubwerk, Holz oder Vogelgefieder stofflichen Ausdruck. Aus der Modulation der Linie erstehen Nähe oder Ferne, Leben, Licht um Raum. Der Zeichenvorgang wird zum Akt permanenter Erfindung, die Zeichnung selbst zur unmittelbaren Manifestation innerer künstlerisches Formsuche. Spontaneität triumphiert! Von keinem anderen niederländischen Künstler vor ihm kennen wie eine derart freie Anwendung der Feder, keiner nutzte die Zeichnung zur Niederschrift seiner Bildgedanken so exklusiv. Durch ihn erhält das Zeichnen schlagartig eine neue Dimension. Zeichnen gemäß spätmittelalterlicher Werkstattpraxis ist mit einem Schlag überholt, Kopieren gehört der Vergangenheit an. Gleich den Großen der Renaissance in Italien dient auch ihm die Feder zur intimen Niederschrift spontaner Eingebung. Das Zeichnen wird zum selbständigen, der Malerei und anderen Kunstformen ebenbürtigen künstlerischen Ausdrucksmittel, zum autonomen Kunstwerk. Dies drück sich auch in den Themen aus. Während in der offiziellen Malerei das Religiöse nach wie vor bestimmend ist und von Frühwerken wie dem Frankfurter Ecce homo bis zu späten Arbeiten wie der Londoner Dornenkrönung, die herkömmlichen ikonographischen Darstellungsformen ihre Gültigkeit behalten, geht die Zeichnung andere Wege. Von den etwa zehn bis zwölf Zeichnungen, die bei kritischer Sichtung als Werke seiner Hand standhalten, ist wohl keine vor 1500 entstanden, und von diesen behandelt keine einzige ein religiöses Sujet. Es handelt sich ausschließlich um allegorisch-profane Inhalte oder Ideenskizzen für „boscheske“ Zwitterwesen. Das Verständnis der zeichnerischen Individualität des Künstlers setzt die Kenntnis der persönlichen Handschrift im weitesten Umfang seiner Tätigkeit, der Zeichnungen ebenso wie seiner Malerei, voraus. Es interessiert jedoch nicht nur die Funktion der Zeichnung im Werkprozeß des Gemäldes. Im Zusammenhand von Zeichnen mit Feder und Tinte auf Papier vermag man auch vom Wissen um den Duktus des Pinsels mit Farbe im Bild zu profitieren. Tatsächlich zeigt sich, daß die Diskussion und das Verständnis von Zeichnungen des Rückhalts und der Rückbeziehung auf die Gemälde bedürfen. In der Beschäftigung mit Boschs Zeichnungen spielten solche Überlegungen bisher aber nur untergeordnete Rolle. Fragen: 1. Welche Qualitäten findet man in den Zeichnungen von Bosch? 2. Wie unterscheiden sich die Zeichnungen von Bosch von früheren Zeichnungen? 3. Wo haben die zeitgenössischen Künstler die Zeichnungen ähnlich benutzt? 4. Welchen Themen hat Bosch in seiner Malerei und in seinen Zeichnungen dargestellt? 5. Aus welchem Jahr könnte die älteste Zeichnung von Bosch stammen? 6. Was muss man bei der Betrachtung der Zeichnungen berücksichtigen?